Jakob Stern

Der Zukunftsstaat


Thesen 1 – 8


Vorwort

Die Sozialdemokratie lehnt es bekanntlich ab, ein Bild des „Zukunftsstaats“ auszumalen, schon weil die Zustände in rastlosem Fluß und speziell die Technik in stetiger Umwälzung begriffen sind.

Indessen hat sie mit unerschütterlicher Zuversicht, die sich auf ihre Wissenschaft gründet, erkannt, daß der ökonomischen Entwickelung die Tendenz zum Sozialismus innewohnt, welchen allmählich zu verwirklichen das leuchtende Endziel ihrer Bestrebungen bildet.

Die Auffassung des Sozialismus ist jedoch in den weitesten Kreisen von groben Mißverständnissen und schiefen Vorstellungen getrübt. Außerdem werden gegen ihn eine Reihe von Einwänden erhoben, die ihn, wo nicht als undurchführbar erscheinen lassen, so doch als unpraktisch, mit weit schlimmeren Nachteilen behaftet als die bestehende Gesellschaftsform.

Jene Mißverständnisse zu beseitigen und diese Einwände zu widerlegen, ist darum keine unwichtige Aufgabe unserer Propaganda.

Nicht also ein Zukunftsgemälde soll in dieser Schrift aufgerollt, sondern in populärer Kürze über das Wesen des Sozialismus Aufklärung gegeben und die Hinfälligkeit der landläufigen Einwürfe gegen dessen Durchführbarkeit und Zweckmäßigkeit dargetan werden.

Solchen Mißverständnissen und Einwänden waren meistens neue Ideen ausgesetzt, theoretische wie praktische, selbst technische Neuerungen, wie z.B. die Einführung der Eisenbahn, die bekanntlich von der Landesbehörde eines großen deutschen Staates als sehr gefährlich auch für die Zuschauer, denen der Anblick das Delirium verursachen müsse, bekämpft wurde.

Eine Hauptrolle spielt dabei das geistige Unvermögen, den neuen Zustand in seiner völligen Loslösung vom Bestehenden zu erfassen. Die unklare, konfuse Vorstellung vermischt den bestehenden Zustand mit dem künftigen, überträgt auf diesen, was nur jenem eigen ist, wie der Knabe, welcher beim Abzug der Italiener fragte: „Wer wird nächsten Sommer Schnee schaufeln?“ Typisch für solche logische Halluzinationen ist die Frage der Sadducäer im Evangelium (Matth. 22) über die Frau, die nacheinander sieben Brüder geehelicht hatte, wessen Weib sie in der Auferstehung sein werde? Worauf die Antwort erfolgte: in der Auferstehung werde ja gar nicht gefreit werden.

Ein noch stärkeres Hindernis, den Sozialismus zu würdigen, ist das Interesse der verschiedenen Gruppen, deren Weizen im kapitalistischen Klassenstaat üppig in den Halmen steht. Das Interesse am Bestehenden vernagelt die Köpfe mit Brettern und verhindert daß Eindringen des neuen Lichts. „Was dem Herzen widerstrebt, läßt der Kopf nicht ein“ (Schopenhauer).

An diese letztere Kategorie wendet sich die vorliegende Schrift nicht, an ihr ist ja doch Hopfen und Malz verloren; aber an die Unbefangenen, deren Geist auch in dieser weltbewegenden Frage gründlicher Prüfung fähig und der Aufklärung zugänglich, vor allem an das Proletariat, soweit es noch nicht in der sozialistischen Ueberzeugung gefestigt ist.

Den Sozialismus erkennen heißt, ihn anerkennen.

Stuttgart, im Oktober 1905.

J. St.



 

„Warum noch länger abgesondert leben,
da wir, vereinigt, jeder reicher werden?“
Schiller, Braut von Messina.


Erste These.
Wesen des Sozialismus.

Sozialismus heißt: Erzeugung sämtlicher Güter durch die Gesellschaft für die Gesellschaft; kürzer: gesellschaftliche Produktion.(1)

Ein Beispiel soll dies sogleich klar machen. Angenommen, eine neuentdeckte Insel werde von 10 000 Personen besiedelt. Nun kommen die Inselbewohner mit einander dahin überein, daß die Fabrikation von Schuhen auf die Weise geschehen soll, daß nur eine einzige Schuhfabrik auf der Insel errichtet wird, und zwar von Mitteln der Gesamtheit. Diese Schuhfabrik soll der Gesamtheit gehören und auch auf Rechnung der Gesamtheit betrieben werden. Die von der Gesamtheit gewählte (und derselben verantwortliche) Oberleitung des Gemeinwesens bestellt die nötigen Techniker, welche die Fabrik errichten, die Rohstoffe beschaffen, Arbeiter und Aufseher anstellen und den Betrieb besorgen und leiten. An verschiedenen Wohnplätzen der Insel werden Schuhmagazine errichtet, welche durch zweckentsprechende Verkehrsanstalten mit der Fabrik in direkter Verbindung stehen, so daß jedermann seinen Bedarf an Schuhwerk sich bequem beschaffen kann. In diesen Magazinen sind immer einige sachverständige Personen anwesend, welche den Konsumenten das Gewünschte verabreichen und den Schuh, falls es nötig sein sollte, dem Fuß und dem Geschmack jedes Konsumenten vollkommen anpassen. Uebrigens sind in den Magazinen Schuhe aller Art zu beliebiger Auswahl vorrätig, für jedes Alter und jeden Geschmack (wie heutzutage in den großen Schuhläden). Die Höhe der Produktion regelt die Fabrik annähernd nach der Bevölkerungsziffer, worüber ein statistisches Zentralbureau auf dem Laufenden hält. Es werden also mindestens so viele Schuhe auf Vorrat hergestellt, als möglicherweise Bedarf vorhanden ist.

Da die Fabrik aus Mitteln der Gesamtheit errichtet worden ist und betrieben wird, so sind auch ihre Produkte Eigentum der Gesamtheit, so daß also jedermann in den Magazinen sich so viel Schuhwerk holen kann, als er braucht, ohne etwas dafür zu bezahlen. Wird aber nicht vielleicht der und jener sich Schuhe holen über seinen Bedarf, um sie heimlich zu verkaufen? – Kindische Frage:

Wer wird sie ihm denn ablaufen, da doch jeder andere ebensogut wie er seine Schuhe unentgeltlich in den Magazinen bekommen kann! Nun denke man sich, daß diese Einrichtung nicht auf die Schuhfabrikation beschränkt bleibt, sondern auf jeden Produktionszweig angewendet wird, und zwar ebensowohl auf die Landwirtschaft wie auf die Industrie, und wir haben den Sozialismus oder die sozialistische Produktionsweise.

* * *

Die bestehende Produktionsweise hingegen ist individualistisch, d.h. jeder arbeitet für den eigenen Zweck, ohne Rücksicht auf die anderen und die Gesamtheit.

Wir sagen „für den eigenen Zweck“, aber nicht „für den eigenen Gebrauch“. Denn im Gegensatz zu früheren Zeiten beruht die heutige Produktion auf weitgehender Arbeitsteilung. Nicht mehr erzeugt jeder allerlei Lebensmittel und sonstige Bedarfsartikel für den eigenen Gebrauch (wie in den Zeiten der Naturalwirtschaft), oder läßt solche durch Sklaven oder Lohnarbeiter erzeugen, sondern nur einen Artikel oder bloß einen Teilartikel, aber diesen einen in Massen, als Waren. Diese werden verkauft und mit einem Teil des erlösten Geldes kauft er seine sämtlichen Bedarfsartikel, die ebenso von den anderen als Massenartikel hergestellt und auf den Markt oder in Läden und Bazaren in den Verkehr gebracht werden. Die Produktion ist Warenproduktion, beruhend auf Tausch, durch die Vermittlung des Geldes.

Auch der Lohnarbeiter erhält nicht sein Erzeugnis oder einen Teil desselben als Lohn, sondern Geld, womit er seine Bedarfsartikel eintauscht, d.h. kauft. –

Die bestehende Produktionsweise ist aber auch kapitalistisch. Zur modernen Warenerzeugung im großen braucht der Unternehmer viele Arbeiter; außerdem sind dazu nicht bloß einfache Werkzeuge nötig, sondern meist sehr komplizierte und kostspielige Arbeitsmittel, Maschinen, Fabriken. Hiezu sind große Geldmittel – Kapitalien – erforderlich. Infolgedessen ward das Kleingewerbe immer mehr vom Großbetrieb überflügelt, zurückgedrängt, lahm gelegt. Vollends die besitzlosen Massen können nicht mehr wie früher selbständig Waren erzeugen, auf Bestellung oder um sie auf den Markt zu bringen; sie sind vielmehr gezwungen, ihre Arbeitskraft den Fabrikanten gegen Lohn anzubieten, als Hülfsarbeiter oder Diener der Maschinen. Da aber die Maschinen sehr viel menschliche Arbeitskraft entbehrlich machen, die Fabrikanten also nur einen Teil der Besitzlosen brauchen, so ist in der Regel das Angebot der Hülfsarbeit größer als die Nachfrage. Dadurch erlangt der Kapitalist ein bedeutendes Uebergewicht über die Arbeiter, die, um nur Beschäftigung zu erhalten und leben zu können, mit geringen Löhnen und sonstigen harten Arbeitsbedingungen sich wohl oder übel zufrieden geben. So kommt es, daß der Kapitalist in der Lage ist, die Arbeiter mit einem Lohn abzufinden, der nicht entfernt dem Wert dessen entspricht, was sie erzeugen, sondern sich hart an der Grenze dürftigster Lebenshaltung bewegt, wogegen der Kapitalist den „Mehrwert“, d.h. den Wert dessen, was darüber hinausgeht, als Profit in die eigene Tasche schiebt und immer reicher wird, während die Arbeiter selten oder nie auf einen grünen Zweig kommen; daß ferner das böse Verhängnis der Beschäftigungslosigkeit beständig über ihren Häuptern schwebt und jahrsaus jahrein zahlreiche Proletarier arbeitslos sind und schwerstem Elend anheimfallen.

Weil demnach heutzutage großer Kapitalbesitz erforderlich ist, um selbständig zu produzieren, weil dadurch die Kapitalistenklasse ein erdrückendes Uebergewicht erlangt hat über die Besitzlosen und Geringbemittelten, immer größere Kapitalien anhäuft, Riesenreichtümer, nicht durch eigene Arbeit, sondern durch die Arbeit des Proletariats, so daß viele unter ihnen ohne alle nützliche Tätigkeit ein Schlaraffenleben führen können, während die hart Arbeitenden schwere Entbehrungen leiden und Not und Sorge ihr Los ist – und weil diese wirtschaftliche Uebermacht des Kapitals ihm auch eine den anderen Klassen höchst nachteilige politische Uebermacht verleiht, so daß heute der Großbesitz mehr als je herrschende Klasse im gesamten öffentlichen Leben ist – darum nennt man die gegenwärtige Produktionsweise und Gesellschaftsordnung überhaupt die kapitalistische.

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Gegen diese äußerst ungesunde und kulturwidrige Störung des gesellschaftlichen Gleichgewichts, die durch den Konkurrenzkampf auch vielen Kapitalisten selbst verhängnisvoll wird, hat sich die Arbeiterklasse, die am schwersten darunter leidet zuerst in vereinzelten Gruppen aufgelehnt, um den auf ihr lastenden Druck wenigstens zu mildern. Allein die Einsicht blieb nicht aus, daß zur gründlichen und dauernden Abhülfe die vollständige Umwälzung der Produktionsweise und Gesellschaftsverfassung notwendig ist, nämlich die Verwandlung der kapitalistischen in die sozialistische.

In England und Frankreich aufgetaucht, wo die kapitalistische Produktion zuerst Fuß gefaßt hatte, wurde diese Einsicht wissenschaftlich begründet und gefestigt durch die gediegenen, aufhellenden Forschungen von Karl Marx, welche die Erkenntnis gewinnen ließen, daß die in der Geschichte wirksamen Triebkräfte mit Notwendigkeit diese Umwälzung herbeiführen müssen (wie sie frühere herbeigeführt hatte), daß die Keime, Anläufe und Ansätze hiezu schon jetzt dem geschärften Blick erkennbar sind, und daß die zur mächtigen Organisation vereinigten Proletarier aller Länder berufen sind, die sozialistische Gesellschaft an Stelle der kapitalistischen durchzusetzen.

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Eben die hochentwickelte Arbeitsteilung und Technik der Gegenwart ist die Voraussetzung einer sozialistischen Gesellschaftsform. Nur auf dieser Grundlage ist sie fähig, die materielle und geistige Wohlfahrt und Freiheit aller herbeizuführen und den Fortschritt und Aufschwung der gesamten Kultur mächtig zu fördern. Solange die Menschheit nicht über so gewaltige Produktivkräfte wie Dampf und Elektrizität und über die entsprechenden wunderbar leistungsfähigen Produktions- und Verkehrsmittel verfügte, die Produktion daher eine zwerghafte war, wäre die sozialistische Gesellschaftsform mit allerlei Nachteilen verknüpft gewesen. Ohne jene war der Ertrag der Produktion ein verhältnismäßig dürftiger und außerdem erforderte die Produktion den vollen Einsatz menschlicher Arbeitskraft. Nun aber spannt der Mensch die gewaltigen Naturkräfte in sein Joch und wälzt auf sie den schwersten Teil der Arbeit, und die gigantischen Maschinensklaven mit ihren Gliedern und Muskeln von Eisen gewinnen der Erde ungeheure Schätze ab, Rohstoffe, und verwandeln sie spielend in die mannigfaltigsten Gegenstände des Gebrauchs. In noch weit höherem Maße, als dies schon jetzt der Fall ist, muß das eine wie das andere, die Verminderung menschlicher Arbeitsmühen und die Steigerung des Produktionsertrages, in der sozialistischen Gesellschaft der Fall sein. Solange aber diese Produktionsmittel im Besitz einer kapitalistischen Minderheit sind, kommen ihre Vorteile auch nur dieser zugute, sind sie den Kapitalisten zum Vorteil, und auch das nur bedingt und teilweise, den Besitzlosen aber zum Fluch; Sobald aber die Gesamtheit in deren Besitz gelangt ist, ergießt sich die Fülle ihres Segens auch in den Schoß der Gesamtheit. – Der Kapitalismus ist so die Vorstufe des Sozialismus.

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Das Endziel der sozialistischen Bewegung ist also: Ueberführung der Produktionsmittel, nämlich des Grund und Bodens und der Fabriken und Werkstätten, wie auch der Verkehrsanstalten, aus dem Privatbesitz in den Gemeinbesitz, und Regelung der Produktion durch die Gesellschaft für alle Glieder der Gesellschaft. Die Produktion soll sozialisiert werden, die Bedingungen derselben will der Sozialismus vergesellschaften, sie einheitlich und planmäßig regeln, und zwar im Gegensatz zu den Trusts so, daß ihre Früchte auch allen zugute kommen, nicht bloß einzelnen wenigen.

Die Gesellschaft produziert alle Bedarfsartikel ihrer Glieder, den verschiedensten Neigungen und Geschmacksrichtungen entsprechend. Sie bewirtschaftet Felder, Wiesen, Weinberge, Wald und Garten, treibt jede Art von Viehzucht, baut gesunde, freundliche Wohnungen, erzeugt alle Arten von Nahrungsmitteln, fabriziert die mannigfaltigsten Kleider, errichtet höchst komfortable Hotels, Theater, Museen usw. Jeder Arbeitsfähige hat die Pflicht, sein Scherflein an der noch nötigen menschlichen Arbeit beizutragen. Jedem, der sich ausweist, sein Arbeitsquantum verrichtet zu haben, steht das unbeschränkte Recht auf alles zu, was der Kulturmensch bedarf, um angenehm und seinen Neigungen gemäß zu leben, und seine körperlichen und geistigen Kräfte und Anlagen zu entfalten.

Das kommt dem Leser phantastisch, märchenhaft, utopisch, schlaraffenlandmäßig vor, wie einem Bauern, der noch nie über die Markung seines Dorfes hinauskam, wenn er zum ersten Male in einem Salondampfer speist; und doch wäre das alles schon heute bei zweckentsprechender Einrichtung durch eine größere Körperschaft zu verwirklichen, beziehungsweise ist tatsächlich bereits verwirklicht, aber eben nur für Minderheiten. Man denke an unsere Hotels ersten Ranges, an die großen Warenläden, in welchen jeder seinen Bedarf den verschiedenen Geschmacksrichtungen entsprechend vorrätig findet, man denke an die Riesenbazare der Weltstädte, den „Kathedralen des Handels“, usf.

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In der sozialistischen Aera ist die Gesellschaft gleichsam eine große, wohlhabende Familie, in der alle Familienglieder tätig sind, jedes in seiner Weise, aber nicht um die Produkte ihrer Tätigkeit gegenseitig auszutauschen, sondern zum gemeinsamen Gebrauch sämtlicher Familienmitglieder. Während aber in einer Familie das patriarchalische Regiment herrscht, d.h. alle unter der Gewalt des Familienoberhauptes stehen, ist im sozialistischen Gemeinwesen das Volk selbst, die Gesamtheit, oberste Instanz.

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Der schwere Kampf ums Dasein, bei welchem „der Mensch dem Menschen ein Wolf ist“ (homo homini lupus), Und in dem der weitaus bessere Teil der meisten Menschen, Intelligenz, Gemüt, Moral und Geschmack, und vielfach auch Gesundheit und Leben zugrunde gerichtet wird, hört auf und mit ihm Not und Sorge und die meisten Verbrechen. Die glücklichen Menschen der Zukunft werden kaum eine Vorstellung davon haben, in welch elenden, erbärmlichen und jämmerlichen Verhältnissen die früheren Geschlechter sich durchs Leben gewunden haben, so wie wir die Lebensweise der Pfahlbauern kaum fassen können.

Die Zivilisation beginnt erst mit dem Anschluß der Menschen aneinander zu gemeinsamem Wirken für gemeinschaftliche Zwecke. Die ganze Kultur ist eine Frucht der Vergesellschaftung. Ein einziger Bissen Brot enthält eine kaum übersehbare Menge gesellschaftlicher Tätigkeit; denn in ihm stecken nicht allein viele landwirtschaftliche und gewerbliche Arbeiten, nicht nur die zur Herstellung der einschlägigen Werkzeuge (Pflug, Getreidemühle, Backofen,) erforderlichen Tätigkeiten, sondern auch die Erfindung und Verbesserung solcher, sogar der Bergbau zur Gewinnung des Eisens für die Pflugschar; und wie viele Jahrtausende währt es, bis die Menschen das Eisen, seine Gewinnung und seinen Gebrauch kennen lernten! (Bekanntlich ging der Eisenzeit die Bronze- und dieser die Steinzeit voraus, in welcher das Metall noch ganz unbekannt war.) Selbst die Beschaffung des Feuers war ein so wichtiges Stück Kulturarbeit, daß die Griechen den bekannten Prometheus-Mythus darüber dichteten, und wie lange hat es gedauert, bis die Menschen gelernt haben, auf leichte Weise Feuer zu erzeugen. Je weiter das Prinzip der Vergesellschaftung seine Kreise zog, desto mehr ist die Kultur fortgeschritten und sind ihre Schätze angewachsen. Der Sozialismus dehnt also ein uraltes von den Menschen unbewußt angewendetes Prinzip auf die Gesamtproduktion aus.

Einrichtungen, in denen der sozialistische Gedanke schon teilweise sich zu verwirklichen begonnen hat, haben wir schon heutigentags mancherlei. So die Schulen, welche teils vom Staate, teils von den Gemeinden errichtet und größtenteils unterhalten werden, sind sozialistische Einrichtungen. So das Verkehrswesen. Wenn unsere Eisenbahnen und Dampfschiffe ähnlich betrieben würden wie unsere Industrie, wie viele Zusammenstöße würden da täglich vorkommen, wie oft würde das größere und stärkere Fahrzeug das schwächere und kleinere über den Haufen rennen und in den Grund bohren, so wie tatsächlich der große Kapitalist den kleineren. Und wie mannigfaltig sind die korporativen Institutionen aller Art, wie viele neue Vereine und Vereinchen tauchen tagtäglich auf, welche alle laut und deutlich die Bedeutung des sozialistischen Prinzips dartun!


Zweite These.
Der Sozialismus ist wesentlich verschieden vom Staatsmonopol.

Manche nehmen Anstoß am sozialistischen Ideal, weil sie Sozialismus mit Staatsmonopol verwechseln. Aber beide sind sehr wesentlich verschieden. Erstens wird durch das Monopol nur ein gewisser Produktionszweig verstaatlicht, während der Sozialismus sämtliche Produktionszweige vergesellschaftlicht. Das ist für den wirtschaftlichen Effekt sehr erheblich. – Zweitens aber und hauptsächlich: Im Sozialismus produziert die Gesellschaft für die Gesellschaft, d.h. das Gesamtergebnis der Arbeit kommt sämtlichen Gliedern der produzierenden Gesellschaft zugute; beim Monopol dagegen produziert der Staat für die Besitzenden und für den Fiskus. Der Staat verkauft seine Fabrikate um Geld so gut wie ein Tabakfabrikant. Der Reiche und Wohlhabende kann bessere Zigarren rauchen, als der schlecht Bemittelte. Erträgnisse des Monopols aber werden je nach dem Gutdünken der Gesetzgeber und regierenden Organe zu Zwecken verwendet, welche sich keineswegs mit den Interessen des Gesamtvolks decken. Der moderne Staat vertritt ja als Klassenstaat hauptsächlich die Interessen der Besitzenden. Beim Monopol ist der Staat nichts anderes als eben auch ein kapitalistischer Arbeitgeber; denn den Mehrwert, d.h. die Früchte der Arbeit, welche den Arbeitslohn übersteigen, läßt der Staat so wenig wie der Privatkapitalist den Arbeitern selbst zugute kommen. Und das ist ja der springende Punkt des Sozialismus, daß alle säen, aber auch alle ernten, im Gegensatz zur kapitalistischen Gesellschaft, in welcher die Arbeit sät und das Kapital erntet. Das Monopol hat daher weit mehr Aehnlichkeit mit den Unternehmerkoalitionen (Aktiengesellschaften, Ringe, Kartelle, Syndikate, Trusts), als mit dem Sozialismus. (Von der politisch bedenklichen Seite der Staatsmonopole unter den dermaligen Verhältnissen ganz abzusehen.)


Dritte These.
Der Sozialismus will nicht das Eigentum abschaffen.

Die Vorstellung, der Sozialismus wolle „teilen“, ist blanker Unsinn. Nur die Produktionsmittel will er in den Kollektivbesitz überführen; dagegen die Produkte, die Konsumartikel, gehen selbstredend in den Besitz dessen über, der sie empfängt. Dein Haus gehört dein, so lange du darin wohnen willst, der Rock, die Uhr, die Busennadel usw., die du dir in den Magazinen auswählst, gehören dein, niemand darf sie dir nehmen. Freilich wird in der sozialistischen Gesellschaft niemand ein Interesse daran haben, dir diese Dinge zu nehmen, da jeder andere dieselben ebenso leicht bekommen kann wie du. Es wird auch niemand großes Interesse daran haben, daß just dieser Gebrauchsartikel sein Eigentum verbleibt, da ja sämtliche Bedarfsartikel in Fülle vorhanden sind und jede Lücke im Bedarf des einzelnen mit Leichtigkeit gedeckt werden kann. Indessen kann es doch Raritäten geben, auf deren Privatbesitz der Inhaber Wert legt, als da sind: Naturseltenheiten, Kunstwerke, (obgleich wahrscheinlich solche Dinge lieber in öffentlichen Museen – welche für jedermann zugänglich sind – untergebracht werden,) Andenken und dergleichen. Sicherlich wird auch die sozialistische Gesellschaft dafür sorgen, daß jeder in solchem Besitz geschützt wird.

Bei Licht besehen will gerade der Sozialismus das Eigentum schützen, während der Kapitalismus es aufs schreiendste verletzt. Das vernunftgemäße wie auch historische Prinzip des Privateigentums ist: was jemand erzeugt, soll ihm gehören, jeder sei berechtigt, die Frucht seines Fleißes zu pflücken. Durch den Kapitalismus aber ist es dahin gekommen, daß der größte und beste Teil der von den Arbeitern geschaffenen Werte in die Taschen und Kassen der Unternehmer fließt. Die Lohnarbeiter empfangen nur soviel, als eine dürftige Lebenshaltung erfordert, damit sie anderen Tages wiederum sich für den Unternehmer abrackern können. Sie gleichen den Bienen, denen der Imker den von ihnen erzeugten Honig wegnimmt und ihnen nur das wenige läßt, was sie zur ferneren Honigproduktion bedürfen. Sie gleichen hierin auch den Sklaven des Altertums und Mittelalters. Insofern besser daran als diese, weil sie frei sind und politische Rechte besitzen, sind sie wiederum schlimmer daran als die Sklaven, die vom Sklavenhalter ernährt wurden, auch wenn zeitweise keine Arbeit vorhanden war, weil sie später wieder gebraucht wurden resp. weil sie verkäuflich waren und also einen Tauschwert repräsentierten; wogegen die Lohnarbeiter in Perioden der Arbeitsstockung entlassen werden und nicht wissen, wovon sie leben sollen.

Auch als Konsumenten wird den Massen vom Handel und Zwischenhandel durch die Warenpreise in der Regel weit mehr abgenommen als die Produktion und die Vermittelung der Waren rechtfertigen.

Außerdem belastet bekanntlich der Staat, als kapitalistischer Klassenstaat, die Massen mit weit höheren Steuern als ihrem Einkommen im Verhältnis zum Einkommen der Besitzenden entspricht.

In der kapitalistischen Gesellschaft also ist das Eigentum der arbeitenden Massen ungeschützt und wird großenteils von den Besitzenden angeeignet, die Massen werden ausgebeutet. In der sozialistischen dagegen ist das vollständig ausgeschlossen, in ihr ist das Eigentum hinlänglich geschützt. „Das ist das Halljahr, da jedermann wieder in seinen rechtmäßigen Besitz eingesetzt werden soll“.


Vierte These.
Der Sozialismus will nicht alles gleichmachen.

Noch immer spukt in den Köpfen unserer Gegner die törichte Meinung, die Sozialisten wollten alles gleich machen, „uniformieren“, „nivellieren“, „schablonisieren“, die Menschen alle über einen Kamm scheren, jede persönliche Eigenart auslöschen, und mit wohlweiser Ueberlegenheit belehren sie uns (wie kürzlich die Kölnische Zeitung), „daß das Dogma der vollkommenen Gleichheit aller in allem ein Widerspruch der Natur, die nichts durchaus Gleiches kennt, kein Blatt dem anderen vollkommen gleich schafft usf.“ Als ob wir nicht selber die Binsenwahrheit wüßten, daß eine absolute Gleichheit weder möglich noch wünschenswert ist. Die Menschen sind verschieden an Körper und Geist, Geschick und Talent, Neigung und Charakter usf., und werden es wohl sein, so lange es überhaupt Menschen gibt.

Schon Fr. Engels verhöhnt in seinem Buche gegen Dühring jene lächerliche Vorstellung und führt aus, der Inhalt der proletarischen Gleichheitsforderung sei lediglich die soziale Gleichheit, die Abschaffung der Klassen, „jede Gleichheitsforderung, die darüber hinausgeht, verläuft notwendig ins Widersinnige“.

Was geht aber daraus hervor? Daß auch die soziale Ungleichheit nicht ausgeglichen werden kann und darf? Welch eine Logik! Das könnte man ja auch gegen gesundheitliche Vorkehrungen geltend machen, weil es bisher immer Gesunde und Kranke, Kräftige und Schwache gegeben hat. Wenn es Ungleichheiten gibt, die unschädlich sind, und solche, die sich nicht ausgleichen lassen, geht denn daraus auch hervor, daß höchst schädliche Ungleichheiten, deren Abstellung möglich und für alle vorteilhaft ist, dauernd erhalten werden müßten?!

Das alberne Argument wurde seinerzeit auch gegen die bürgerliche Rechtsgleichheit geltend gemacht.

Das sozialistische Gleichheitsideal ist ein vernünftiges, es will nicht Gleichheit der Mittel, sondern Gleichheit des Zwecks, der Wirkung; nicht die Gleichheit des sagenhaften Prokrustes, der alle Fremden in ein Bett legte, die kleinen strecken und den großen die Füße absägen ließ, bis sie genau in das Bett hineinpaßten.

Wenn man sich im Sommer leicht, im Winter warm, wenn man ein Kind anders nährt als Erwachsene, so ist das die vernünftige Gleichheit des Zwecks mit ungleichen Mitteln.

Dadurch, daß der Sozialismus allen Anlagen Zeit und Gelegenheit zur Entfaltung gibt, wird vielmehr er der individuellen Eigenart, der „Persönlichkeit“ den weitesten Spielraum bieten.


Fünfte These.
Der Sozialismus will nicht die Religion ausrotten.

Er hat nicht das mindeste Interesse daran, die Menschen in ihren religiösen Ansichten und Ueberzeugungen und in deren Betätigung zu behindern. Der Sozialismus ist lediglich eine Angelegenheit der Volkswirtschaft; was die Leute glauben und denken, und wie sie ihre Weltanschauung oder religiöse Gesinnungen äußern und betätigen wollen, überläßt er ganz und gar ihnen selbst. Ebensowenig steht die sozialistische Gesellschaftsform der Religion im Wege, so wenig wie die Einführung des elektrischen Lichts an Stelle des Gaslichts, der Eisenbahn an Stelle des Omnibus.

„Erklärung der Religion zur Privatsache“ fordert das sozialistische Programm. In der sozialistischen Gesellschaft werden die Anhänger verschiedener Glaubensbekenntnisse ihre Religion ungehindert bekennen und üben können, ebenso wie heutzutage in den Staaten, in denen absolute Religionsfreiheit herrscht. Der angeführte Programmsatz darf auch keineswegs als geringschätzige Aeußerung aufgefaßt werden; er besagt nur, einerseits, daß niemand in bezug auf Religion etwas in den Weg gelegt wird, anderseits, daß von Staats wegen keine Religionsgemeinschaft bevorzugt und unterhalten wird, vielmehr bleibt dies ganz den einzelnen anheimgegeben, sie können Religionsgemeinschaften gründen resp. fortführen, ganz wie es ihnen paßt; wie solches z.B. in Amerika der Fall ist, und wobei sich die Religion, wie bekannt, durchaus nicht schlecht befindet. Der Satz besagt also ein doppeltes: „Jeder kann nach seiner Fasson selig werden“, und „Trennung der Kirche vom Staat“ (bekanntlich eine sehr alte liberale Forderung). Der Sozialismus überläßt das religiöse Vereinswesen wie jedes andere ganz und gar den Individuen, um die religiösen Gesinnungen derselben kümmert sich das sozialistische Gemeinwesen so wenig als darum, ob jemand einen blauen oder grauen Rock tragen, sich allo- oder homöopathisch kurieren lassen will.

Der wissenschaftliche Sozialismus ist sogar gegen rückständige Weltanschauungen weit toleranter als das bürgerliche Freidenkertum, weil er auf der materialistischen Geschichtsauffassung beruht und darum solche Anschauungen aus den ökonomischen Zuständen begreift, wie Engels gegen Dühring so lichtvoll gezeigt hat.

Damit ist aber nicht gesagt, daß wir den Verdummungsumtrieben religiöser Finsterlinge gleichgültig und untätig gegenüberstehen. Die aufklärende Verbreitung gediegener Erkenntnis auf allen Gebieten erachten wir als eine unserer vornehmsten Aufgaben. Jeder soll mit den Ergebnissen der Wissenschaft, soweit sie von allgemeinem Interesse, bekannt gemacht werden; doch nicht um ihm eine Lehre aufzuzwingen, sondern um ihn in den Stand zu setzen, selber zu prüfen und anzunehmen, was ihm einleuchtet. Welcher Weltanschauung immer aber einer huldigen mag, seiner persönlichen Wertschätzung unserseits tut das keinen Abbruch und hindert nicht, ihn als vollbürtigen Genossen anzuerkennen, sofern er auf dem Boden unseres Programms steht.

Wohl begreiflich ist es indessen, daß sozialistisch gebildete Arbeiter auf eine Kirche nicht gut zu sprechen sind, welche von Liebe trieft und die schöne Devise, daß alle Menschen Brüder sind, auf ihr Banner schreibt, während das Verhalten ihrer kapitalistischen Bekenner gegen die Arbeiter zum großen Teil einen herz- und rücksichtslosen Egoismus bekundet, und ihre Wortführer, die Geistlichkeit, (mit rühmlichen Ausnahmen,) die willigen Helfershelfer kapitalistischer Profitmacherei auf Kosten der Arbeit sind, indem sie sich zu Handlangern und Treibern einer Wirtschaftspolitik hergeben, welche den Interessen des arbeitenden Volks schnurstraks entgegengesetzt ist; anstatt, wie es ihre Pflicht wäre, wenn sie vom Geist ihrer Religion sich beseelen ließen, ihren pastoralen Einfluß zugunsten der ökonomisch Schwachen und Bedrückten geltend zu machen; nach dem Vorbild des edlen Jesus und der biblischen Propheten, welche stets die Anwälte der Unterdrückten und Armen waren gegen die reichen und mächtigen Volksbedrücker und Volksaussauger ihrer Zeit, hochherzige Volkstribunen, die als echte Ritter des Geistes ohne Furcht und Tadel für die Hilflosen und Schwachen mannhaft in die Schranken traten. Wie sagt Uhland?

Ich ging zur Tempelhalle,
Zu hören christlich Recht:
Hier innen – Brüder alle,
Dort draußen – Herr und Knecht!

Der Festesrede Giebel
War: Duck dich, schweig dabei!
Als ob die ganze Bibel
Ein Buch der Könige sei.



Sechste These.
Der Sozialismus will nicht die Ehe abschaffen und die freie Liebe einführen.

Was ist die Ehe? Ein kompliziertes Verhältnis zwischen zwei Personen beider Geschlechter. Ein einfaches Verhältnis ist z.B. ein Mietvertrag. Mieter und Vermieter haben nichts weiter mit einander gemein, als daß der Vermieter den Mieter in seinem Hause wohnen läßt und dieser jenem eine Summe Geldes dafür zu zahlen hat. Das Eheverhältnis dagegen erstreckt sich auf mannigfaltige Seiten des Menschenlebens, und zwar auf ideale wie auf materielle. Die Ehe bezweckt 1. die gegenseitige physische Ergänzung zur Befriedigung des erotischen (Liebes-) Bedürfnisses. Sie ist 2. ein Verhältnis der Geselligkeit, Freundschaft, Liebe. Sie ist 3. ein Verhältnis der wirtschaftlichen Arbeitsteilung: der Mann erwirbt, die Frau versieht das Hauswesen. Sie ist 4. ein Verhältnis der Gütergemeinschaft. 5. ist sie ein Institut zur Erzielung von Nachkommen und zu deren Pflege und Erziehung.

Nach dieser Analyse (Zergliederung) des Ehebegriffs wird es nicht schwer sein, sich ein Bild von Ehe und Familie im sozialistischen Gemeinwesen zu machen. Es werden manche Seiten derselben sich von selbst reformieren, weil manche Bedürfnisse, denen in der kapitalistischen Aera die Ehe Befriedigung gewährt, in der sozialistischen entweder wegfallen oder anderweitig befriedigt werden.

Die Führung des Hauswesens z.B. durch die Frau wird sich ohne Zweifel bald überlebt haben. Werden wohl die Menschen den mühevollen, zeitraubenden Kleinbetrieb der Familienküche fortführen wollen, wenn alles viel besser, reichlicher, behaglicher, bequemer in öffentlichen Speiseanstalten, die ohne Zweifel unsere Hotels ersten Ranges noch weit hinter sich lassen werden, zu haben sein wird? Ziehen doch schon heutzutage viele Familien, welche die Mittel dazu haben, es vor, im Hotel zu speisen oder die Speisen von da zu beziehen, statt eigene Küche zu führen. Und wie viele andere Dinge, welche früher die Hausfrau eigenhändig herstellen und zubereiten mußte, werden schon jetzt allgemein gekauft, zufolge der modernen Großproduktion.

Auch hinsichtlich der Pflege der Neugeborenen und deren Auferziehung und Erziehung wird sich wohl von selbst manches ändern, natürlich zum Besseren. Schon heutzutage ließen sich Anstalten errichten und sind schon da und dort errichtet, in welchen viele Widerwärtigkeiten und Unzulänglichkeiten, die mit der Entbindung und Pflege der Wöchnerinnen und Neugeborenen und mit der Auferziehung der letzteren verbunden sind, wegfallen, indem durch angemessene Einrichtung, durch die Mitwirkung von Spezialärzten, gründlich ausgebildeten Wärterinnen und später von ausgebildeten Pädagogen (Erziehern) alles viel rationeller, angenehmer und zweckentsprechender von statten geht, als privatim. – „Findelhäuser!“ ruft da der Leser entsetzt. – Nein, sondern höchst komfortable und wissenschaftlich geleitete Gebär-, Pflege- und Erziehungsanstalten, die sich zu den Findelhäusern, welche mit den dürftigsten Mitteln für die unglücklichen Kinder der Armut errichtet werden, ebenso verhalten, wie zu den Armenspitälern vornehme Spitäler erster Klasse, wohin häufig selbst Wohlhabende sich verbringen lassen, weil sie da vieles finden, was sie zu Hause vermissen und sogar um große Summen sich kaum verschaffen können.

Was die Erziehung betrifft, so ist sie eine Kunst, welche die wenigsten Eltern verstehen, auch wenn sie die nötige Zeit und Muße dazu hätten, was ja in den oberen Schichten. kaum der Fall ist, geschweige bei den Arbeitern, die zwölf Stunden des Tages und darüber ins Joch gespannt sind und deren Frauen vielfach ebenfalls dem Erwerb nachgehen müssen, da der dürftige Lohn des Mannes nicht zum Unterhalt der Familie reicht. Die Kunst der Erziehung, der Menschenbildung, erfordert mehr Wissen und Uebung als jede andere Kunst, sie erfordert ein beträchtliches Maß psychologischen Wissens und Scharfblicks, verbunden mit Verstand und der richtigen Mischung von Zärtlichkeit, Strenge, Energie, wozu noch ganz besonders eine gehörige Portion Geduld gehört. Schulen sind ja vorzugsweise der Didaktik (Unterricht) gewidmet. Unser Erziehungswesen steckt praktisch tief im gröbsten Dilettantismus.

Von Zwang ist natürlich auch hier keine Rede. Die sozialistische Gesellschaft errichtet solche Anstalten und stellt es dem Belieben der Eltern vollständig anheim, davon Gebrauch zu machen, wie und wie weit es ihnen paßt; ebenso wie es heutzutage jedem frei steht, seine noch nicht schulpflichtigen Kinder in Kindergärten zu schicken.

Je mehr die Ehe aufhört, materiellen Zwecken zu dienen, desto besser wird sie ihre idealen Aufgaben erfüllen können. In der bürgerlichen Weltordnung werden bekanntlich die idealen Seiten der Ehe von den materiellen fast gänzlich erdrückt und verschlungen, Geld, Versorgung und Stellung spielen die Hauptrolle, Amor ist durch Mammon verdrängt, wenigstens ist er es selten, der die beiden zum Standesamt begleitet. Die Folge ist eine greuliche Zerrüttung der Ehen, wie sattsam bekannt. Die Reinheit der Ehe bleibt in der kapitalistischen Aera ein schönes Ideal, praktisch wird die „freie Liebe“ kultiviert nach allen Dimensionen, was nur die Unerfahrenheit oder der Pharisäismus bestreiten kann.

Der Sozialismus erst ist fähig, die Reinheit der Ehe zur Regel zu machen, wenn auch vielleicht nicht absolut durchzuführen, da die menschlichen Neigungen variabel, wandelbar sind und auch hierin der persönlichen Freiheit keine Fesseln angelegt werden sollen.

„Also die freie Liebe, nur verschämt zugestanden!“ ruft da mancher Gegner, „und doch wollen es die Sozialdemokraten nicht gelten lassen, wenn man ihnen nachsagt, sie wollen die freie Liebe einführen.“

Und mit Fug und Recht lassen wir es nicht gelten. Was wir wollen, ist die Aenderung der wirtschaftlichen Zustände. Auf das, was daraus für die Ehe praktisch folgt, richtet sich unser Wollen gar nicht. Ganz von selbst und ohne unser Wollen oder Zutun wird sich die Ehe, wie so ziemlich alles, mit der wirtschaftlichen Grundlage der Gesellschaft ändern, und uns genügt, zu wissen, daß dies keine Aenderung zum Schlimmen, wohl aber zum Besseren sein wird.

Wie sehr außerdem das Familienleben der Massen durch den Kapitalismus gestört und zerstört wird: durch die Ueberarbeit, welche den Vater seinen Angehörigen entfremdet; der die Mütter zwingt, die Pflege der Kinder zu vernachlässigen und ebenfalls dem Erwerb nachzugehen, weil, wie bereits bemerkt, die kargen Löhne zum Familienunterhalt nicht ausreichen; der die Kinder selbst im zarten Alter der Erwerbstätigkeit, der Industrie in die Arme treibt und wie der phönizische Moloch sie körperlich, geistig und moralisch vielfach dem Verderben entgegenführt, die Knospe knickt, bevor sie zur Blüte sich entfalten konnte – das wurde längst durch das furchtbare aber vollkommen zutreffende Urteil gebrandmarkt: „Der Herodianische Kindermord ist harmlos im Vergleich zu dem Kindermord durch lange Arbeitszeit, Frauen- und Kinderarbeit.“

Für Ehe-, Familienleben, Kinderpflege und Kindererziehung bedeutet also der Sozialismus eine gesunde, lachende Landschaft an Stelle eines pesthauchenden Sumpfes.


Siebente These.
Der Sozialismus wird nicht den Komfort (Annehmlichkeiten) vermindern, sondern im Gegenteil beträchtlich steigern und verallgemeinern.

In der Gespensterfurcht des vornehmen Philisters vor dem Sozialismus spielt die mehr oder weniger dunkle Vorstellung eine Hauptrolle, daß er allerlei Annehmlichkeiten und Liebhabereien, die er sich gestatten kann, weil er’s ja Gott sei Dank hat, im sozialistischen Gemeinwesen werde entbehren müssen. Es gilt ihm als ausgemacht, daß das Ziel des Sozialismus, die wirtschaftliche Gleichheit, nicht anders verwirklicht werden kann, als durch Schmälerung der Rationen der oberen Zehntausend an der Tafel des Lebens. Diese, denkt er, müßten zusammenrücken und sich mit weniger Schüsseln begnügen, damit alle übrigen an der Tafel Platz nehmen und mitessen können; den Massen soll geholfen werden auf Kosten der Bestsituierten. Denn unmöglich könne ja der Komfort, den sich heutzutage die Wohlhabenden und Reichen gönnen können, jemals verallgemeinert werden. Die Extensität (Ausdehnung) des Komforts, meint er, steht im umgekehrten Verhältnis zu dessen Intensität (innerliche Fülle), je größer der Umfang, nämlich die Zahl der Teilnehmer, desto geringer der Inhalt.

Diese Meinung fußt auf der Voraussetzung, daß die Erde ihre Gaben dem Menschengeschlecht nur sehr karg verabreicht, daß die sogenannte Mutter Natur eine recht geizige Dame ist, oder daß es in ihren Vorratskammern ungemein knapp hergeht, weshalb eine die allernotwendigsten Bedürfnisse übersteigende Lebenshaltung aller nicht anders denkbar ist, als durch Verkürzung des Komforts, mit dem Mehr hüben ein Weniger drüben Hand in Hand geht, die Atrophie (Säftemangel) auf der einen Seite nicht anders auszugleichen ist, als auf Rechnung der Hypertrophie (Säfteüberfüllung) auf der anderen.

Es ist dies wohl ein Hauptgrund, weshalb selbst viele einsichtige und wohlmeinende Personen, welche die mannigfaltigen Schäden des Kapitalismus keineswegs verkennen, dennoch vom Sozialismus nichts wissen wollen. Den Komfort der oberen Zehntausend wollen sie nicht missen, er liege ja auch im Interesse des Kulturfortschritts, und deshalb sei die Verkürzung der Massen ein zwar beklagenswertes aber notwendiges Uebel; wie ähnlich die ehemalige Sklaverei.

Dieser Aberglaube beruht auf gründlicher Unkenntnis der Wirtschaftsgeschichte, welche zeigt, daß die Ausbeute der Natur zu menschlichen Bedarfszwecken sich stetig steigert. Ursachen dieser Steigerung sind – neben der immer zunehmenden Ausbeute der Erde, dem wachsenden Zusammenschluß der Menschen, verbunden mit zweckentsprechender Arbeitsteilung, und noch manchen anderen Faktoren – hauptsächlich die Wissenschaft und die Technik. Je mehr der Mensch die Natur (sowie sich selbst und sein Verhältnis zu ihr) kennen lernt, und je mehr er geschickte Werkzeuge (Arbeitsmittel) erfindet, fertigt und vervollkommnet, welche die beschränkte Kraft des menschlichen Körpers erheblich steigern, desto reichere Schätze gewinnt er der Natur ab. Insbesondere aber wird- dies Ergiebigkeit der Natur ins Unermeßliche vervielfacht durch die Dienstbarmachung der riesigen Naturkräfte. Indem der Mensch die mächtigen Kräfte der Elemente in seine Dienste zwingt, das Wasser, das Feuer, den Wind, den Dampf, die Elektrizität, desto mehr schwingt er sich auf zum Herrn der Erde, er wächst und erhebt sich zu einem höheren Wesen, indem er diesen Riesensklaven die Arbeit aufbürdet, welche dem Boden viel reichere Schätze abgewinnen und diese weit zweckmäßiger verwerten, als er selbst mit seiner winzigen Kraft. Der Herakles der Mythe ist das treffende Symbol des Menschengeschlechtes: nachdem er zahlreiche Arbeiten unter schweren Mühen und Gefahren vollbracht hat, steigt er empor zum Olymp und wird zum Halbgott.

„Die Menschheit ist technisch seit 1750 weiter gekommen, als zuvor in vielen Jahrtausenden. Und darauf beruht die Hoffnung auf endliche Erhebung der ganzen Menschheit zur Freiheit, Bildung, Muße, Einheit.“ (Schäffle.)

Hiezu kommen weiter die großartigen Leistungen der Chemie, die selbst widrige Abfälle in appetitliche Lebensmittel und prächtige Gebrauchsartikel umzuwandeln versteht. Durch sie können mehr und mehr die verbrauchten Güter mit Leichtigkeit zu neuen Gebrauchsgütern verwandelt werden, wie in der Natur bekanntlich die von Mensch und Tier verbrauchten Gase zum Gebrauch der Pflanzen dienen und ebenso umgekehrt.

Als die Menschen noch wilde Horden, Troglodyten (Höhlenbewohner) waren und die Landwirtschaft nicht kannten, lebten sie von der Jagd auf wilde Tiere und auf einander. Die Menschenfresserei war damals sicherlich mehr eine wirtschaftliche als eine religiöse oder feinschmeckerische Gepflogenheit. Die Menschen fraßen einander auf, weil sie anderweitig nicht Nahrung genug fanden (denn was die Natur freiwillig wachsen ließ, war bald abgeweidet und auch der Wildstand konnte nicht überall und immer dem Nahrungsbedürfnis entsprechen) wie das noch jetzt bisweilen bei Schiffbrüchen vorkommt (vergleiche z.B. den 2. Gesang des Don Juan von Byron). Als sie den Landbau kennen lernten, (vergleiche das schöne Schillersche Gedicht Das Eleusische Fest) kann der Kannibalismus in Abgang, weil nunmehr der Boden das Nahrungsbedürfnis deckte, namentlich in Verbindung mit der Viehzucht. Mit der Erfindung des Pflugs, eine epochemachende Neuerung vielleicht von der Tragweite unserer Dampfmaschinen, wurde die Fruchtbarkeit des Bodens auf eine vordem nie geahnte Höhe gebracht. Immer reichlicher spendete die Natur ihre Gaben, je mehr der Mensch den Boden urbar machte und je mehr er sich auf Düngung, Bewässerung usw. verstand. Hiezu trat die Entwickelung des Bergbaus und der Schiffahrt, die Anlage von Straßen und Häfen. Weitere Werkzeuge werden erfunden, zur Gewinnung von Rohstoffen wie zur Verarbeitung derselben. Welche Erwartung an die Erfindung der Wassermühle zur Zeit des Cicero geknüpft wurde, hat der damalige Dichter Antiparos in begeisterten Versen zum Ausdruck gebracht. Einen großartigen Fortschritt bezeichnet die Konzentration der Arbeitskräfte bei zweckmäßiger Kooperation in der Manufaktur. Nicht minder erhöhte die Agrikulturchemie (Landwirtschafts-Chemie) die Ertragfähigkeit des Bodens. Als endlich der Mensch den Dämon Dampf sich zum Sklaven einfing und die Mechanik ihm einen Zyklopenkörper schuf, die Dampfmaschine, zu welchem sich bald noch die Fee und Tausendkünstlerin Elektrizität gesellte: welche Wunder vollbrachte seitdem der Mensch, welche Schätze wußte er der Mutter Erde abzutrotzen, wie mannigfaltig ihre Gaben zu verwerten! Was der Phantasie der Alten vorschwebte von Zauberern, welche Geister oder den Teufel in ihre Dienste genommen, ist weit überboten worden durch das, was bisher durch Dampf, Elektrizität, Mechanik und Chemie geleistet worden. Wie viele Dinge, die vordem höchst selten und kostbar waren, haben heutzutage einen sehr geringen Wert, weil sie die Maschine in ungeheuren Quantitäten produziert! Und doch stehen gegenwärtig die Natur- und technischen Wissenschaften noch in ihren Anfängen; was die Zukunft noch bringen wird, stellt zweifellos alles Bisherige in den Schatten.

Bedenkt man nun, daß im sozialistischen Gemeinwesen eine höchst zweckmäßige Organisation der Arbeit statthaben wird; daß die Riesensummen von Arbeitskräften, welche heute zu unproduktiven Zwecken vergeudet werden, für die Produktion nutzbar gemacht werden; daß die Schranken, welche der Maschinentätigkeit in der Privatwirtschaft noch gesetzt sind, fallen und die Gesellschaft dieselbe nach allen Richtungen ausdehnen und zahlreiche Arbeiten, welche heute noch von Menschenhand verrichtet werden, den Naturkräften aufbürden werden; erwägt man endlich, wie sehr der Forschungs- und Erfindungsgeist, durch den Kampf ums Dasein nicht mehr erstickt und gehemmt, alle Zweige der Produktion vorwärts bringen wird: so muß man wahrlich ein sehr beschränkter Kopf sein, wenn man die Behauptung, das sozialistische Gemeinwesen gewähre jedermann weitgehenden Komfort, als Utopie (unerreichbare Träumerei) bezeichnet. Man fasse doch zahlreiche, einst sehr rare Konsumartikel ins Auge, welche jetzt so reichlich produziert werden, daß sie zu allgemeinen Genuß- und Gebrauchsmitteln geworden sind.

Vom Kanossazug Heinrichs IV. und seines Gefolges berichtet die Weltgeschichte: „Kriechend auf Händen und Füßen oder die Schultern der Führer umklammernd, bald strauchelnd, bald weite Strecken hinabrollend, kamen die Männer endlich herunter (vom Alpenpaß). Die Königin und ihre Dienerinnen wurden auf Rindshäuten hinabgezogen“. Heutzutage fährt jedermann per Gotthardbahn denselben Weg, wenn er das nötige Kleingeld hat, sich ein Billett lösen zu können. – Noch im 15. Jahrhundert war das Hemd ein Luxusartikel. Die Gemahlin Karls XII. von Frankreich wurde allgemein beneidet, weil sie mehr als zwei Leinswandhemden besaß. – Mache sich jeder selbst einen Vers darauf!

Auf den Höhen der schwäbischen Alb haben zahlreiche Dörfer, die dereinst in trockenen Sommern schwer an Wassermangel litten, nunmehr das beste Wasser in Hülle und Fülle, dank der „Albwasserversorgung“. Als ich vor vielen Jahren einmal im Hochsommer da oben umherstreifte, bat ich ein Bauermädchen um einen frischen Trunk. Die Kleine antwortete betrübt, es gebe kein Wasser, es habe schon lange nicht geregnet und der liebe Gott hätte so wenig Wasser geschaffen. Ich belehrte sie, daß es im Tal ungeheure Mengen Wassers gebe und daß mittels eines Pumpwerks nebst Leitungsröhren auch ihr Dorf jahraus jahrein überreichlich mit erquickendem Wasser für Mensch und Vieh versehen werden könne. Die Kleine aber sah mich ungläubig an und lachte wie – die bürgerlichen Mitglieder des Deutschen Reichstags 1893 in der Zukunftsstaatsdebatte, als eine diesbezügliche Stelle aus der früheren Auflage dieser Schrift von einem Gegner verlesen wurde; sie hielten dergleichen für das Märchen vom Schlaraffenland.

Nicht bloß der Sozialist Engels, auch der große bürgerliche Nationalökonom Ricardo (1778-1823), der also die Gütervermehrungsmittel und -methoden von heute noch nicht kannte, führt im Eingang seiner berühmten Principles aus, daß sich bei weitem der größte Teil der Güter ohne bestimmbare Grenze für ihre Menge vervielfältigen lasse, wenn wir die dazu nötige Arbeit aufwenden.

Die Erde ist der sagenhafte Mehl- und Oelkrug der Witwe von Zarpath unerschöpflich, unversieglich.

Dem Philister freilich wird es ganz schwindlig bei dem Gedanken, daß jemals die Erinnyen (fabelhafte Schreckgestalten) Not, Entbehrung, Sorge, verbannt sein mögen von der Erde; ungefähr wie dem Kesselflicker im Vorspiel zu Shakespeares Der Widerspenstigen Zähmung, mit dem sich der Lord den Ulk machte, ihn im betrunkenen Zustand aufs Schloß bringen, als Lord ankleiden und in die üppigste Umgebung versetzen zu lassen. Der arme Teufel, als er seinen Rausch ausgeschlafen, hat keine Ahnung von der Veränderung seiner Lage und sagt: „Fragt mich doch nicht, was für einen Anzug ich wünsche, denn ich habe nicht mehr Röcke als Rücken, nicht mehr Strümpfe als Beine, nicht mehr Schuhe als Füße, ja manchmal mehr Füße als Schuhe, oder solche Schuhe, daß mir die Zehen durchs Oberleder gucken.“

Man gebe also die kindische Vorstellung auf, als ob der Sozialismus die Menschen zu spartanischen Suppen verurteilen und in „Phalansterien“ (enge gemeinschaftliche Häuser) zusammenpferchen wollte, überhaupt die Lebenshaltung auf ein niedriges Durchschnittsniveau herabdrücken würde. Umgekehrt wird er den Komfort in jeder Richtung mehr und mehr steigern. Wir unterschreiben, was Heinrich Heine den unklaren Sozialisten seinerzeit, den Saint Simonisten, zurief: „Wir wollen keine Sansculotten sein, keine frugalen Bürger; wir stiften eine Demokratie gleichherrlicher, gleichheiliger, gleichbeseligter Götter. Ihr verlangt einfache Trachten, enthaltsame Sitten und ungewürzte Genüsse; wir hingegen verlangen Nektar und Ambrosia, Purpurmäntel, kostbare Wohlgerüche, Wollust und Pracht, lachenden Nymphentanz, Musik und Komödien.“ Aber wir verlangen sie für Alle und gewähren sie Allen, nicht bloß Einzelnen, und sagen mit demselben Schriftsteller: „Ja, ich sage es bestimmt: unsere Nachkommen werden schöner und glücklicher sein als wir“.


Achte These.
Der Sozialismus ist kräftigster Förderer der schönen Künste.

Das noch beim erstmaligen Erscheinen dieser Schrift verbreitet gewesene Vorurteil, als hätten die Sozialisten nur Sinn für die Magenfrage und stünden den schönen Künsten banausisch gleichgültig wo nicht feindselig gegenüber, bedarf kaum mehr der Widerlegung, nachdem die Sozialdemokratie und das sozialistische Proletariat bei jeder Gelegenheit ihr lebhaftes Interesse für die Kunst wie für alle Zweige der idealen Kultur bekundet und ihre Vertreter in Parlamenten, Kommunalverwaltungen und Vereinen reichliche Mittel für Kunstzwecke bewilligen. Weit höher noch wird die Kunst von uns geschätzt als von der herrschenden Klasse, die sie meist nur als Amüsement und Spielzeug wertet und sie „von den Gletscherhöhen der Tragik und den Meerestiefen der Leidenschaft unter die niedlichen Terracotten und bronzenen Nippes der Salons einreiht“. Uns ist sie die hohe, himmlische Göttin, welche die edelsten Regungen und Impulse in der Seele auslöst und durch das Morgentor des Schönen, wie Schiller sang, die Menschen zur Gesittung und Kultur hinausführt.

Auch das bedarf keines längeren Nachweises, daß in der sozialistischen Aera die schönen Künste einen Blütenflor entfalten werden, wie niemals zuvor, selbst nicht in den künstlerisch günstigsten Epochen. Wenn die Menschen nicht mehr von Sorge und Not gedrückt werden, ihr Dasein nicht mehr im Kampf um die Existenz aufrichtiger untergeht, wenn sie Muße und Gelegenheit genug haben werden ihre Talente zu entfalten, wird der Genius der wahren Kunst die zahlreichen Begabten inspirieren können, statt daß heutzutage nur selten wahre Genies auftauchen, welche in der Regel schwer genug zu ringen haben, während bei den Dutzendkünstlern der Pegasus im Joch des Gelderwerbs ächzt und die edle Kunst im Dienste des vornehmen Ungeschmacks entweiht wird. Anderseits wird die Empfänglichkeit für das Kunstschöne, in den Schulen geweckt und ausgebildet, ein allgemeines werden.



Anmerkung des Verfassers

1. Das Wort „Sozialismus“ kommt vom lateinischen societas Genossenschaft oder Gesellschaft. – „Produktion“ heißt Gütererzeugung.


9.8.2008