Ernst Thälmann

 

10 Jahre Sowjetmacht
und die internationale Arbeiterklasse

(4. November 1927)


Internationale Presse-Korrespondenz (Berlin), Nr.108 vom 4. November 1927, S.2342/2343.
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Das revolutionäre Proletariat der ganzen Welt blickt in diesen Tagen, da das siegreiche russische Proletariat das zehnjährige Bestehen des ersten Arbeiterstaates feiert, mit Stolz und Begeisterung nach dem einzigen Lande, in dem die Arbeiterschaft die Macht errungen und behauptet, alle Feinde geschlagen hat und von Erfolg zu Erfolg geschritten ist. Flammende Grüße senden die klassenbewußten Arbeiter und vor allem die Kommunisten aller Länder ihren russischen Genossen, die den Ausgebeuteten und Unterdrückten der ganzen Erde ein leuchtendes Beispiel gegeben haben, wie der Kampf um die Eroberung der Macht geführt, wie der Sieg errungen werden muß. Wir denken an die schicksalsschweren Tage, als die kleine tapfere Schar der Bolschewiki unter Führung Lenins die Arbeiter und Soldaten in Petrograd und Moskau in den Aufstand führte, als die Welle der Bauernaufstände die Macht der Gutsbesitzer auf dem Lande zerbrach, als auf dem ganzen weiten Territorium des russischen Reiches die Macht der Arbeiterräte triumphierte.

Seit damals sind zehn Jahre verstrichen. In diesen zehn Jahren blutiger Klassenkämpfe in allen Ländern hat das internationale Proletariat reiche Erfahrungen gesammelt und viele Lehren gezogen. Aber alle Erfahrungen konnten nur die Lehren des Marxismus bestätigen, von denen Lenin und die Bolschewiki sich leiten ließen, daß es keinen anderen Weg zur Befreiung der Arbeiterklasse, zur Verwirklichung des Sozialismus gibt, als den Weg der proletarischen Revolution unter Führung der Kommunistischen Partei, den Weg, der am 7. November [1917] zu dem ersten weltgeschichtlichen Sieg der Arbeiterklasse geführt hat.

Aber die russische Arbeiterklasse hat uns nicht nur gezeigt, wie das Proletariat die Macht erobert, sondern auch, wie es die Macht behauptet und im Interesse des Proletariats, des sozialistischen Aufbaues ausnutzt. Die Bourgeoisie und die Reformisten rneinten, daß die Bolschewiki nur durch irgendein »Mißverständnis« zur Macht gekommen seien. Und sie haben immer wieder den Untergang der proletarischen Macht prophezeit. Otto Bauer [1] hat Mitte Oktober 1917, unmittelbar vor dem Siege der Bolschewiki, unter dem Namen Heinrich Weber eine Broschüre Die russische Revolution und das europäische Proletariat geschrieben, in der er (S.26, 27) folgendes weissagte:

Die russische Revolution kann nicht mit der Diktatur des Proletariats enden, sie kann nicht eine sozialistische Gesellschaftsordnug aufrichten. Auch wenn die russische Revolution alle ihr drohenden Gefahren überwindet, wird ihr Ergebnis nichts anderes sein können als eine bürgerliche demokratische Republik.

Und er behauptete, nach der Agrarrevolution in Rußland werden »die Bauern sich auch dort mit der Bourgeoisie gegen die Arbeiter verbünden«.

Die Leuchten der USPD, Haase und Kautsky, erklärten im November 1918, man solle sich nicht an die Bolschewiken binden, denn man könne nicht wissen, ob sie noch 3 Tage an der Macht bleiben würden. Es kam anders. Die Scheinmacht sozialdemokratischer »Volksbeauftragter« ist in wenigen Monaten hinweggeschmolzen, die Proletarierdiktatur aber steht nach 10 Jahren des Kampfes gegen eine Welt von Feinden stärker und fester da als je zuvor.

Das müssen selbst die erbittertsten Feinde der Sowjetmacht, die reformistischen Arbeiterverräter, zugeben. Darum erfinden sie immer neue Märchen und Lügen, um die Arbeiter davon abzuschrecken, dem russischen Beispiel zu folgen. Sie schwindeln von der »Entartung« der Sowjetmacht, von der »Rechtlosigkeit« des Arbeiters, vom »Wachsen« der Kulaken und NÖP-Leute, von dem »Elend« des russischen Proletariers.

Mit tiefster Erbitterung sehen wir Kommunisten in den kapitalistischen Ländern, die wir in hartem, ausdauerndem Kampfe den Sozialimperialisten Boden abgewinnen, daß sich in den Reihen der bolschewistischen Partei selbst eine Oppositionsgruppe herausgebildet hat, die in der niederträchtigsten Weise das wirkliche Leben und die Entwicklung der Sowjetunion entstellt und die eigene Partei beschimpft und beschmutzt. Bessere Helfer der Agenten des Kapitalismus im Lager der Arbeiterschaft, der Sozialdemokraten gibt es nicht als die haßerfüllte Opposition die unter dem Deckmantel der Prinzipienfestigkeit den Kampf gegen die leninistische Partei und gegen die Grundlehren des Leninismus führt. Die Freunde von Trotzki und Sinowjew, die Renegaten Ruth Fischer und Maslow in Deutschland, die Souvarine in Frankreich usw., spielen bereits keine andere Rolle als die Zentristen innerhalb der Sozialdemokratischen Partei: Indem sie scheinheilig und verlogen für die Verteidigung der Sowjetunion sprechen, versuchen sie, in den Herzen der Arbeiter die Begeisterung und Liebe für das Land der proletarischen Diktatur und des sozialistischen Aufbaues zu ersticken. Indem sie die Kriegsgefahr verkleinern und von Übertreibung im Interesse des innerparteilichen Kampfes reden, versuchen sie, die Widerstandskraft der Arbeiter gegen den drohenden Krieg zu lähmen. Durch das politische und organisatorische Bündnis mit der konterrevolutionären Maslow-Gruppe fördern die Genossen Trotzki und Sinowjew direkt die antibolschewistische Propaganda in den kapitalistischen Ländern.

Wir sind fest überzeugt, daß unsere Bruderpartei der Handvoll verräterischer und abtrünniger Führer das weitere konterrevolutionäre Arbeiten unmöglich machen wird. Die Genossen Trotzki und Sinowjew mögen wissen, daß alle Kommunisten davon überzeugt sind, daß mit ihrer gewissenlosen Fraktionsarbeit Schluß gemacht werden muß. Trotz der Unterstützung durch Trotzki und Sinowjew findet der antibolschewistische Schwindel der Sozialpatrioten und Renegaten keinen Glauben bei den deutschen Arbeitern.

Die politisch denkenden Arbeiter verstehen sehr gut, daß nach der Zerrüttung der Wirtschaft durch Krieg und Bürgerkrieg Jahre schwerer Opfer, harter Arbeit, großer Entbehrungen notwendig waren, um die Wirtschaft wieder aufzubauen. Sie verstehn sehr gut, daß in diesen 6 Jahren des Aufbaues der Sozialismus nicht vollendet, allgemeiner Wohlstand nicht geschaffen werden konnte. Aber sie erkennen mit Bewunderung die ungeheure schöpferischen Leistungen der russischen Arbeiterklasse, die in diesen 6 Jahren ohne nennenswerte Hilfe des Auslandes die Industrie wieder aufgebaut, die Löhne über den Friedensstand erhöht, den Übergang zum Siebenstundentag für die nächste Zukunft ermöglicht, den vom Zarismus im tiefsten Elend gehaltenen Bauernmassen ein menschliches Dasein geschaffen und das kulturelle und politische Niveau der Hundertmillionenmasse der Werktätigen auf eine in keinem bürgerlichen Lande möglichen Höhe gebracht hat.

Das Beispiel des heroischen Kampfes, der grandiosen Siege und des erfolgreichen soialistischen Aufbaues in der Sowjetunion erweist sich immer mehr als der stärkste Hebel der revolutionären Bewegung in allen Ländern. Mögen die Imperialisten und Reaktionäre auch zeitweilige Triumphe feiern - das Erwachen der Millionenmassen im Osten, denen die Zerschmetterung des Zarenreiches, die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechtes der Völker im Lande der Arbeiter und Bauern den Weg zur Befreiung gezeigt haben, bedeutet einen gewaltigen Schlag gegen die Weltherrschaft des Imperialismus, der seinen endgültigen Untergang in die Nähe rückt.

In der Arbeiterbewegung aller Länder führte die russische Revolution zur Scheidung der Geister. Wer die Lehren dieser größten Umwälzung der Weltgeschichte nicht begriff, wer sich nicht vorbehaltlos und bedingungslos mit dem Proletarierstaate solidarisierte, der landete sehr rasch im Lager der Gegenrevolution, wie wir das bei der rechten USPD, bei der Levi-Gruppe, bei Högelund, Souvarine und zuletzt bei der Gruppe Maslow-Ruth Fischer sahen.

In der KPdSU, in der Partei Lenins, fanden die Vortrupps des Proletariats aller Länder, fanden die kommunistischen Parteien, Freunde, Berater und Führer, die der Arbeiterklasse den Weg zum Sieg, die ihr an jedem historischen Wendepunkt die nächsten notwendigen Schritte zeigten. Die Lehre von der Diktatur des Proletariats, vom Imperialismus als letzter Etappe des Kapitalismus, vom Bündnis des Proletariats mit allen Werktätigen, insbesondere den ärmeren Bauern, von der Weltrevolution als dem gemeinsamen Kampf des Industrieproletariats der fortgeschrittenen Länder und der unterdrückten Massen der rückständigen Kolonialländer - das alles verdanken wir der führenden Partei des russischen Proletariats, der Partei Lenins.

Im Kampf gegen den Opportunismus und gegen das scheinradikale, aber im Grunde gleichfalls opportunistische Sektierertum fanden die Kommunistischen Parteien Deutschlands, Frankreichs, Englands, Italiens usw. stets die Unterstützung der russischen Genossen. Sie haben uns gelehrt, wie die proletarische Partei bei schärfster theoretischer und politischer Abgrenzung gegen alle Formen und Schattierungen des Reformismus in engster Verbindung mit den proletarischen Massen bleiben, sie in den täglichen Kämpfen leiten, von reformistischen Illusionen befreien und auf den Weg des Machtkampfes führen muß.

Die Proletarierdiktatur, Mittelpunkt und Quelle der revolutionären Bewegung der ganzen Welt, ist darum Gegenstand der unversöhnlichen Feindschaft der Bourgeoisie und der Reformisten. Die klassenbewußten Arbeiter kann das Friedens-, Freundschafts- und Neutralitätsgerede der Bourgeoisie nicht täuschen. Wir vergessen nicht die Rolle, die der deutsche Imperialismus 1917 und 1918 mit dem Segen der Sozialdemokratie als Henker der Revolution im Baltikum, in Finnland, in der Ukraine spielte.

Wir wissen, daß die britischen Imperialisten, getrieben von den Diehards [2], nicht nur die Beziehungen zur Sowjetunion abgebrochen haben, sondern alles versuchen, um die kapitalistischen Staaten zu einem »Heiligen Krieg« der Bourgeoisie gegen den Proletarierstaat zu führen. Wir wissen, daß die britischen Petroleummagnaten durch ihren Druck auf die Poincaré, Briand und Co. bereits die Abberufung Rakowskis [3] erzwungen haben und daß die Kampage der bestochenen Bourgeoisiepresse in Frankreich gegen die Sowjetunion weitergeht. Wir wissen, daß auch in Italien, Österreich, Ungarn, der Tschechoslowakei, auf dem Balkan der gleiche Wind weht. Wir wissen, daß die Landsknechte des deutschen Imperialismus jederzeit bereit sind, gegen den »Feind der Kultur« im Osten zu marschieren, wenn der Organisator des antibolschewistischen Kreuzzuges Chamberlain entsprechende Bezahlung, sei es an der Grenze Polens, sei es im Rheinlande, sei es in Kamerun, in Aussicht stellt.

Das internationale Proletariat verläßt sich nicht auf die Friedensbeteuerungen der Bourgeoisie, die öffentlich und heimlich fieberhaft zum Kriege rüstet. Die Kommunistischen Parteien in allen Ländern werden alle Kräfte mobilisieren zum Sturze der Bürgerblockregierungen, zum Sturz jener Kräfte, die zum reaktionären Krieg rüsten, zum Kampf für Arbeiter-und-Bauern-Regierungen, die der Sowjetunion die Hand zum brüderlichen Bunde reichen werden.

Nicht durch Grüße und Wünsche allein wollen wir diesen größten Freundentag der internationalen Arbeiterklasse, das zehnjährige Bestehen eines Arbeiterstaates, feiern, sondern durch das feste Gelöbnis, eurem Beispiel, russische Brüder, zu folgen und alles einzusetzen für die Verwirklichung unserer Ziele.

Es lebe die Sowjetunion und ihre Führerin, die KPdSU!

Es lebe das Bündnis zwischen dem Weltproletariat und den Arbeitern der Sowjetunion!

Es lebe der Weltoktober!

 

Anmerkungen

1. Otto Bauer war einer der führenden Repräsentanten der österreichischen Sozialdemokratie, der II. Internationale und des Austromarxismus.

2. Diehards (abgeleitet von dem mililitärischen Zuruf »die hard«, »Stirb schwer«, d.h. im übertragenen Sinne »wehrt euch bis zum letzten Atemzuge«) nennt man seit Anfang des 20. Jahrhunderts den extrem rechten Flügel der britischen Konservativen Partei.

3. Christian Georgijewitsch Rakowski, damaliger Botschafter der UdSSR in Frankreich, wurde auf Verlangen der französischen Regierung im Oktober 1927 durch die Regierung der UdSSR abberufen.

 


Zuletzt aktualisiert am 9.11.2003