MIA > Deutsch > Referenz > Thälmann
Die Rote Fahne (Berlin), Nr.258 vom 7. November 1925.
Heruntergeladen mit Dank von der Marxistischen Bibliothek.
HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.
Der 7. November 1917 ist der Beginn des größten Umschwungs in der Geschichte der Menschheit. Der entscheidende Sieg der russischen Arbeiter, Bauern und Soldaten über die verbündeten Gutsbesitzer und Kapitalisten hat das Gesicht der Erde verändert. Heute gibt es keine bedeutsam politische Erscheinung in der Welt, die nicht durch die Existenz der Sowjetunion beeinflußt wird. Eine neue Epoche in der Geschichte der Klassenkämpfe hat begonnen.
Betrachten wir die Bewegungen aller unterdrückten Klassen im Weltmaßstab, so sehen wir, daß sie seit der Errichtung der proletarischen Diktatur in Rußland einen anderen Charakter tragen als früher.
Kolonialaufstände gab es auch vor dem 7. November 1917. Bereits vor dem Weltkrieg gärte es in Marokko. In der Türkei und in China vollzogen sich nationale Revolutionen. Zweifellos wäre es auch ohne die Existenz Sowjetrußlands zu einer großen Umwälzung in China, zu gewaltigen Befreiungskämpfen in allen afrikanischen und asiatischen Kolonien gekommen. Aber die Macht der imperialistischen Unterdrücker ist zehnmal schwächer, die Kraft der revolutionären Kolonialvölker ist zehnmal stärker, seitdem in Sowjetrußland das Proletariat herrscht.
Es gab auch vor dem Weltkrieg eine nationale Frage. In ganz Europa kämpften unterdrückte Minderheiten um ihr Selbstbestimmungsrecht. Die Existenz der Sowjetunion verleiht heute den Bewegungen der unterdrückten Nationalitäten auf dem Balkan, in der Tschechoslowakei, in Polen einen neuen Inhalt. Durch ihr bloßes Bestehen verstärkt und verschärft die Sowjetmacht den Widerstand aller unterdrückten Nationen.
Große Schichten der Bauernschaft in Europa und auf der ganzen Welt waren schon vor 1914 mit ihrer Lage unzufrieden. Die Existenz der Sowjetunion liefert den werktätigen Bauern aller Länder ein lebendiges Bild dafür, daß ihre Interessen an der Seite des Proletariats tausendmal besser befriedigt werden als unter dem Joch der Bourgeoisie. Das Bündnis des Proletariats mit dem Bauerntum gewinnt zum ersten Male für die Volksmassen nicht nur der rückständigen, sondern auch der kapitalistischen Länder einen konkreten Sinn, seitdem Hammer und Sichel das Wappen für ein Sechstel der Erdoberfläche geworden sind.
Vor allem aber beginnt mit dem 7. November 1917 eine neue Epoche für den Klassenkampf des Proletariats in den fortgeschrittensten Industrieländern. Die internationale Arbeiterklasse beginnt immer mehr zu begreifen, daß in dieser Epoche nicht mehr Teilreformen, nicht mehr geringfügige Veränderungen innerhalb des Kapitalismus das Ziel des Klassenkampfes sind, sondern die Eroberung der politischen Macht, die Errichtung der Sowjetrepublik. Die Ziele des proletarischen Klassenkampfes, sein Charakter, seine Methoden und seine Aussichten sind seit dem 7. November 1917 aufs tiefste verändert. Das ist die größte Bedeutung des russischen Oktoberumsturzes.
Zwischen dem Erscheinen des Kommunistischen Manifestes und dem russischen Oktoberumsturz liegen fast siebzig Jahre des proletarischen Klassenkampfes. Eine Reihe proletarischer Revolutionen fand in den verschiedensten Ländern statt. Bis zum 7. November 1917 endeten alle diese Revolutionen nach einem längeren oder kürzeren Kampf mit einer entscheidenden Niederlage. Die Pariser Kommune ging in Blut und Feuer unter. Die russische Revolution von 1905 endete in den Orgien des weißen Terrors. Die russische Februarrevolution von 1917 drohte ergebnislos im Sande zu verlaufen. Zum ersten Male hat das Proletariat am 7. November 1917 nicht nur eine weltgeschichtliche Sekunde lang, sondern für die Dauer die Macht ergriffen. Zum ersten Male hat das Proletariat nicht nur eine Schlacht, sondern einen ganzen Krieg, den schwersten, grausamsten, opferreichsten Krieg gegen die Ausbeuter der ganzen Welt gewonnen.
Diese Lehre muß unauslöschlich vor den Augen jedes Kommunisten stehen. Diese Lehre müssen wir unaufhörlich der ganzen Arbeiterklasse einprägen. Diese Lehre ziehen, angstvoll und wuterfüllt, alle Ausbeuter. Wodurch erklärt sich der wütende Haß aller Kapitalisten gegen die Sowjetunion? Er erklärt sich daraus, daß die Arbeiterklasse, die man verachtete, deren Klassenkampf man verspottete, deren Sieg man für unmöglich hielt, zum ersten Male die Macht in die Hände nahm und rücksichtslos gegen ihre Feinde anwandte.
Das russische Proletariat hat gesiegt, weil es sich in jahrzehntelangen Kämpfen den unerschütterlichen Willen zur Macht erworben hat. Eine Reihe proletarischer Revolutionen nach dem Weltkrieg ging zugrunde, weil die Arbeiterklasse in Westeuropa diesen Willen zur Macht noch nicht besitzt. Darum wurden die proletarischen Erhebungen in Finnland, Ungarn, Deutschland« Bulgarien und Italien niedergeschlagen. Die Erweckung des Willens zur Macht ist die wichtigste Aufgabe der Kommunisten in der kommenden Ära der proletarischen Revolutionen in Westeuropa.
Als die Spartakisten nach dem 9. November 1918 von den deutschen Volksbeauftragten die sofortige Aufnahme der Beziehungen mit Sowjetrußland verlangten, antwortete Kautsky, diese Forderung sei sinnlos , da die Sowjetmacht »nach ganz zuverlässigen Informationen« in spätestens sechs Wochen gestürzt sein werde. Inzwischen sind nicht nur sechs Wochen, sondern sieben Jahre vergangen. Gestürzt wurden die sozialdemokratischen Volksbeauftragten, und an der Spitze der deutschen Novemberrepublik steht heute der Feldmarschall Hindenburg. Kautsky hingegen sitzt in Wien und schreibt dort, ganz wie vor acht Jahren, Hetzbroschüren gegen Sowjetrußland, die niemand mehr ernst nimmt.
Die russischen Arbeiter und Bauern aber warfen die Konterrevolution mit der Waffe in der Hand nieder, wehrten die Intervention der ausländischen Imperialisten ab, beendeten siegreich den Bürgerkrieg, überwanden unter Anspannung aller Kräfte die Hungersnot und arbeiten heute mit größter Kraft am Aufbau des Sozialismus.
Vier Jahre sind vergangen, seitdem unter Führung Lenins die neue Wirtschaftspolitik begonnen wurde. Die Politik der russischen Kommunisten führte nicht zum Sturz der Sowjetmacht, sondern zu ihrem Aufstieg, der sich viel rascher entwickelt, als die Bolschewiki selbst glaubten.
Die Großindustrie produzierte im Jahre 1920 17 Prozent des Vorkriegsniveaus, heute produziert, sie 70 Prozent. Die landwirtschaftliche Produktion fiel im Jahre 1921 auf 50 Prozent der Vorkriegsnorm, heute beträgt sie 80 Prozent. Die Inflation ist vollständig liquidiert. Das Sowjetgeld ist heute stabiler als das englische Pfund.
Aber nicht nur der wirtschaftliche Vormarsch an sich ist von Wichtigkeit, sondern die Richtung dieses Vormarsches zum Sozialismus. Innerhalb des allgemeinen Aufstiegs wachsen die sozialistischen Elemente der Wirtschaft stärker als die kapitalistischen. Die Genossenschaften vereinigen jetzt über 30 Millionen Mitglieder. Der Handel, der zu Beginn der neuen Wirtschaftspolitik vom Privatkapital beherrscht wurde, ist jetzt vom Sowjetstaat und von den Genossenschaften bis zu drei Vierteln erobert. Das Bank und Kreditsystem, der Transport sind fast bis zu 100 Prozent in den Händen des Staates konzentriert. Der Lohn der Arbeiter, der noch vor drei Jahren auf 42 Prozent der Vorkriegsnorm gefallen war, hat bereits jetzt eine Durchschnittshöhe von 80 Prozent überflügelt. 62 Prozent sämtlicher Produktionsmittel, in der Großindustrie sogar bis zu 99 Prozent, sind in den Händen des proletarischen Staates konzentriert.
Hunderttausende klassenbewußte Arbeiter und Bauern leiten den Staat. Allein in die Sowjets werden alljährlich über eine Million Arbeiterund Bauern gewählt.
Eine neue Generation der Arbeiter- und Bauernschaft wächst unter Führung des Kommunistischen Jugendverbandes mit seinen 12 Millionen Mitgliedern heran.
Sogar die Feinde Sowjetrußlands müssen die ungeheuren Erfolge der proletarischen Diktatur auf kulturellem Gebiete anerkennen.
Zweifellos bestehen noch Schwierigkeiten auf dem Wege des sozialistischen Aufbaues der Sowjetunion. Der Sozialismus kann nicht in einem einzigen Lande restlos verwirklicht werden, sein Aufbau kann nur begonnen werden, solange nicht das Proletariat in mehreren fortgeschrittenen Ländern die Macht ergriffen hat. Die Russische Kommunistische Partei sieht klar die Quellen möglicher Gefahren: Intervention ausländischer Kapitalisten, bestimmte Gegensätze zwischen Proletariat und einzelnen Schichten der Bauernschaft, Gefahr einer Lockerung der Verbindungen zwischen dem russischen Zentrum und den nationalen Grenzgebieten, Gefahr einer Loslösung des Staatsapparates von der Kontrolle der Kommunistischen Partei, Gefahr einer vorübergehenden Entfernung zwischen der Partei und den Bedürfnissen der breiten Massen.
Gerade weil die KPR diese Gefahren klar sieht, findet sie in jeder gegebenen Etappe der Entwicklung die notwendigen Maßnahmen und Mittel, um ihnen entgegenzutreten. Auf diese Weise wendet sie den Leninismus an als Lenkerin des Sowjetstaates, als Führerin der russischen Arbeiterklasse, als die siegreiche Vorhut des internationalen Proletariats.
Trotz der furchtbarsten Schwierigkeiten sind die Erfolge der Sowjetmacht nach acht Jahren proletarischer Diktatur so gewaltig, daß sogar die internationale Sozialdemokratie gezwungen wird, die Losungen ihrer Antisowjetkampagne zu ändern. Sie führt ihren antibolschewistischen Kampf bereits nicht mehr mit der Berufung auf »den Sturz der Sowjetmacht nach sechs Wochen«, sondern unter der Flagge der Verteidigung gegen den »Roten Imperialismus«. Die Sozialverräter erblicken die Hauptgefahr nicht mehr in der Schwäche, sondern in der Stärke der Sowjetunion.
Damit dienen die sozialdemokratischen Führer den Interessen des internationalen Kapitals, das in Locarno eine imperialistische Weltfront gegen die Sowjetunion geschaffen hat.
Während sich in Locarno die Herrscher von Versailles mit den Kapitalisten des besiegten Deutschlands zur Vorbereitung des Angriffskrieges gegen Sowjetrußland vereinigt haben, während die sozialdemokratischen Führer ihre antibolschewistische Kampagne verstärken, vollzieht sich in den Reihen der westeuropäischen Arbeiterschaft eine tiefgehende Wandlung. Die Resultate von acht Jahren der proletarischen Diktatur üben ihre Wirkung auf das Klassenbewußtsein aller Arbeiter der Welt aus. Der Wiederaufstieg der russischen Wirtschaft, ihre Entwicklung zum Sozialismus zeigt der internationalen Arbeiterklasse, daß die sozialdemokratischen Führer sie über Sowjetrußland belogen haben. Hunderttausende und Millionen von Arbeitern, die dem Sowjetstaat noch vor zwei Jahren mit Mißtrauen oder Gleichgültigkeit gegenüberstanden, beginnen, sich für seine Erfolge zu interessieren. Innerhalb der sozialdemokratischen Parteien selbst erwacht die Aufmerksamkeit für Sowjetrußland. Die Entsendung von Arbeiterdelegationen aus England, Deutschland, Schweden, der Tschechoslowakei, Österreich und Belgien ist der Beginn einer Neuorientierung des internationalen Proletariats gegenüber Sowjetrußland.
Die Idee der Arbeiterdelegationen, die Sympathie für Sowjetrußland ergreifen immer breitere Massen. Das ist eine Erscheinung von größter Bedeutung für die Zukunft des proletarischen Klassenkampfes. Der Anschauungsunterricht der proletarischen Diktatur wirkt stärker für den Sozialismus, als es 70 Jahre geduldiger Agitationsarbeit bis zum November 1917 vermochten.
Die Frage Sowjetrußlands wird zur Trennungslinie zwischen den reaktionären Führern und den sozialdemokratischen Arbeitern im Betrieb. Sie ist der Anfang einer Klassendifferenzierung von größtem Umfang innerhalb der sozialdemokratischen Parteien. In England, der Hochburg des europäischen Kapitalismus, erwiesen sich die neuen, sowjetfreundlichen Strömungen der Arbeiterschaft bereits jetzt als stärker als die opportunistischen Traditionen der Sozialdemokratie. Der englische Gewerkschaftskongreß hat sich mit überwältigender Mehrheit für das Bündnis mit dem russischen Proletariat ausgesprochen. In Deutschland sehen wir nur ersten Keime einer ähnlichen Bewegung. Es ist die Aufgabe unserer Partei, diese Entwicklung mit allen Kräften zu beschleunigen. Das ist der eigentliche Sinn jener großen politischen Umstellung, die wir mit der letzten Parteikonferenz abgeschlossen haben. Beginnende Sympathie für Sowjetrußland, Herstellung der internationalen Einheitsfront des Proletariats, Zerschlagung der Koalition mit der Bourgeoisie, Kampf um die Errichtung der proletarischen Diktatur - das sind die vier großen Etappen, vor denen das internationale Proletariat steht. Die Internationalisierung der russischen Revolution vom 7. November 1917 - das ist der Inhalt der gegenwärtigen Geschichtsepoche.
Wie kommt es, daß die proletarische Revolution nicht in einem der modernsten Industrieländer wie Amerika, England oder Deutschland zum ersten Mal siegte, sondern in dem rückständigen, bäuerlichen Rußland? Lenin hat uns gelehrt, daß die proletarische Revolution nicht ausschließlich das Resultat der inneren Entwicklung dieses oder jenes einzelnen Landes ist, sondern daß sie das Resultat der Gegensätze im Weltsystem des Imperialismus ist. Die proletarische Revolution siegt nicht dort zuerst, wo die Industrie, die Kultur, die Demokratie am höchsten entwickelt sind, sondern dort, wo die Kette des Weltimperialismus am schwächsten ist, wo sie am leichtesten gesprengt werden kann. Im Jahre 1917 war die Kette des Weltimperialismus in Rußland schwächer als in den anderen Ländern. Sie riß, weil sich in Rußland die gewaltigste Volksrevolution entfaltete, an deren Spitze ein revolutionäres Proletariat marschierte, das mit 120 Millionen ausgebeuteten und unterdrückten Bauern verbündet war. Der Zusammenbruch des Zarismus, der verlorene Krieg, die Erhebung der Bauernmassen, die Rebellion der aus Bauern und Arbeitern zusammengesetzten zaristischen Armee, die Empörung der unterdrückten Nationen, schließlich der heroische Kampf des klassenbewußten Industrieproletariats schufen eine unmittelbar revolutionäre Situation von einzigartiger Schärfe. Im gleichen Augenblick waren die Feinde des Proletariats aufs äußerste geschwächt. Die zaristischen Gutsbesitzer waren durch die Februarrevolution gestürzt, die kapitalistische Demokratie hatte noch keine Zeit gefunden, ihre Macht zu befestigen, die ausländischen Imperialisten waren durch ihre eigenen Gegensätze gespalten, durch den Weltkrieg gelähmt.
Die günstigsten Bedingungen waren für den Sieg des Proletariats geschaffen. Und dennoch kann man heute mit Bestimmtheit sagen, daß die Arbeiterklasse am 7. November 1917 nicht die Macht erobert hätte, wenn nicht noch ein letzter Faktor vorhanden gewesen wäre, dessen Eingriff die Entscheidung herbeiführte und damit der Weltgeschichte eine neue Richtung verlieh. Dieser Faktor war die Russische Kommunistische Partei, die Partei der Bolschewiki, unter Führung Lenins.
Nur die Bolschewiki waren imstande, in den acht Monaten vom Februar bis zum Oktober, Schritt für Schritt die Massen gegen die kapitalistische Kerenski-Demokratie zu mobilisieren, strategische Manöver der Arbeiterklasse gegen die Konterrevolution zu leiten, alle Kräfte der Revolution zusammenzufassen auf das eine Ziel der proletarischen Machtergreifung zu konzentrieren und in den entscheidenden Stunden des Oktobers den Aufstand zu organisieren. Ohne die Partei der Bolschewiki hätten die Menschewisten die Oberhand in den Sowjets behalten. Die russische Bourgeoisie hätte sich mit den deutschen Generälen, die bereits in Riga standen, vereinigt; der Aufstand und die elementaren Erhebungen der Bauernschaft wären in einem Meer von Blut erstickt worden.
Der 7. November 1917 ist die gewaltigste Verkörperung der Leninschen Lehre von der führenden Rolle der bolschewistischen Partei in der proletarischen Revolution. Diese Lehre des Oktoberumsturzes bildet das genaue Gegenstück zur Hauptlehre der deutschen Novemberrevolution. Die erste deutsche Revolution ging nach fünf Jahren verzweifelter Massenkämpfe von den Noske-Tagen über den Kapp-Putsch bis zur sächsischen Oktoberniederlage und zum Hamburger Aufstand von 1923 zugrunde, weil dem deutschen Proletariat die Führung, die Partei von Bolschewisten, fehlte, die imstande gewesen wäre, den Kampf der Massen zu leiten und zu organisieren.
Den 7. November 1917 begreifen heißt nicht nur seine Früchte, sondern auch seine Wurzeln erkennen. Diese Wurzeln liegen in dem jahrzehntelangen Kampf, den Lenin und die alte Garde des Bolschewismus für die Herausbildung einer revolutionären Partei führten. Die Voraussetzungen für den Oktobersieg wurden in den Jahren von 1907 bis 1914, in der Periode zwischen der Niederlage der ersten Revolution und dem Beginn des Weltkrieges, geschaffen.
Wir feiern heute zugleich mit dem achten Jahrestag des Oktoberumsturzes die zwanzigste Wiederkehr der ersten russischen Revolution von 1905. Das Jahr 1905 war nach Lenins Wort die »Generalprobe« für den Oktoberumsturz. Auf Grund der ungeheuren Erfahrungen dieser Generalprobe schufen die Bolschewiki ihre revolutionäre Theorie, arbeiteten sie die allseitige leninistische Taktik zur Eroberung und Führung der Massen heraus, sammelten und erzogen sie die eisernen Arbeiterkader, die späteren Leiter des Umsturzes.
Vom historischen Standpunkt betrachtet, war der gesamte bisherige Verlauf der deutschen Revolution vom November 1918 bis zum Oktober 1925 nur eine »Generalprobe« für die kommende zweite deutsche Revolution. Wir haben unser 1905 bereits hinter uns, aber unser 1917 steht noch vor uns.
Unsere Partei arbeitet jetzt an der Schaffung der Voraussetzungen für den deutschen Oktober. Auf Grund der Erfahrungen unserer ersten Revolution müssen wir eine Partei herausbilden, die imstande ist, das deutsche Proletariat zum Kampf um die Macht zu führen. Wir befinden uns in einer ähnlichen Periode, wie sie der russische Bolschewismus zwischen 1907 und 1914 durchmachte.
Allerdings bestehen grundlegende Unterschiede zwischen der deutschen und der russischen Revolution. Der Kapitalismus ist im industriellen Deutschland unendlich viel stärker als im rückständigen Rußland. Seine Stärke spiegelt sich in dem großen Einfluß wider, den die sozialdemokratischen Führer auf das Proletariat noch ausüben. Die Politik der deutschen Sozialdemokratie ist noch viel gefährlicher, viel reaktionärer, als es die des russischen Menschewismus war.
Darum besteht die Hauptaufgabe der Kommunisten in Deutschland in der Zerschlagung des Einflusses der sozialdemokratischen Führer auf das deutsche Proletariat, insbesondere auf die Gewerkschaftsbewegung.
Der Unterschied zwischen der deutschen und der russischen Revolution ist nicht einseitig in der stärkeren Macht des deutschen Kapitalismus zu suchen. Auch das Proletariat ist in Deutschland stärker, als es in dem kleinbürgerlichen Rußland war. Beide Fronten, sowohl die der Revolution als die der Gegenrevolution, sind in Deutschland breiter und fester. Darum ist die Revolution in Deutschland langwieriger, komplizierter und mühevoller als in Rußland.
Das deutsche Proletariat ist vor allem deshalb stärker, weil es bereits die Erfahrungen der drei russischen Revolutionen und der achtjährigen Praxis der proletarischen Diktatur in der Sowjetunion besitzt. Das deutsche Proletariat hat zwei Weltmächte zu Verbündeten, die zur Zeit des russischen Oktoberumsturzes noch nicht bestanden. Sein erster Verbündeter ist die Sowjetunion selbst.
Die zweite Weltmacht, die an unserer Seite steht, ist die Kommunistische Internationale. Die Komintern, deren erste Anfänge von Lenin mitten im imperialistischen Weltkrieg geschaffen wurden, ist das revolutionäre Kind des Sieges vom 7. November 1917. Sie vereinigt die Lehren des revolutionären Marxismus mit den Erfahrungen des russischen Bolschewismus, die Lehren des Sieges der Sowjetrevolution mit den Ergebnissen des Kampfes der internationalen Arbeiterklasse. Sie ist unser größter Führer.
Mehr denn je muß der achte Gedenktag des 7. November allen Kommunisten, allen revolutionären Arbeitern die prophetischen Worte ins Gedächtnis rufen, die Lenin im Jahre 1919 schrieb: Die Komintern ist der Keim für die Weltunion Sozialistischer Sowjetrepubliken!
Zuletzt aktualisiert am 9.11.2003