Johann Most

 

Kapital und Arbeit

Die große Industrie

Während bei der Manufaktur die Umwälzung des Produktionsprozesses von der Arbeitskraft ausgeht, geht sie bei der großen Industrie vom Arbeitsmittel aus, an die Stelle der Werkzeuge zum Handgebrauch treten hier Maschinen.

Alle entwickelte Maschinerie besteht aus drei wesentlich verschiedenen Teilen: der Bewegungsmaschine, dem Übertragungsmechanismus und der Werkzeug- oder Arbeitsmaschine. Die Bewegungsmaschine wirkt als Triebkraft des ganzen Mechanismus. Sie erzeugt ihre eigene Bewegungskraft, wie die Dampfmaschine, kalorische Maschine [10], elektromagnetische etc. Maschine, oder sie empfängt den Anstoß von einer Naturkraft außer ihr, wie das Wasserrad vom Wassergefäll, der Windflügel vom Wind etc. Der Übertragungsmechanismus, zusammengesetzt aus Schwungrädern, Treibwellen, Zahnrädern, Kreiselrädern, Schäften, Schnüren, Riemen, Zwischengeschirr und Vorgelege der verschiedensten Art, regelt die Bewegung, verwandelt, wo es nötig, ihre Form, z. B. aus einer senkrechten in eine kreisförmige, verteilt und überträgt sie auf die Werkzeugmaschinerie. Beide Teile des Mechanismus sind nur vorhanden, um der Werkzeugmaschine die Bewegung mitzuteilen, wodurch sie den Arbeitsgegenstand packt und zweckgemäß verändert. Dieser Teil der Maschinerie, die Werkzeugmaschine, ist es, wovon die industrielle Revolution im 18. Jahrhundert ausgeht. Sie bildet noch jeden Tag von neuem den Ausgangspunkt, sooft Handwerksbetrieb oder Manufakturbetrieb in Maschinenbetrieb übergeht.

Bei der Werkzeugmaschine findet man im großen und ganzen die Werkzeuge des Handwerkers und Manufakturarbeiters wieder, der Unterschied besteht nur darin, daß bei letzteren die Anzahl und der Umfang der Werkzeuge durch die menschlichen Organe beschränkt sind, während bei ersterer diese Schranken nicht existieren. Schon die älteste Spinnmaschine setzte 12 bis 18 Spindeln in Bewegung, der Strumpfwirkerstuhl strickt mit vielen Tausenden von Nadeln auf einmal usw.

Zunächst wurden die Arbeitsmaschinen durch Menschen in Bewegung gesetzt, dann häufig durch Pferde etc., seltener durch den unsteten Wind, mehr und mehr nahm man aber das Wasser in Anspruch. Indes war auch der Gebrauch der Wasserkraft mit verschiedenen Übelständen verbunden, welche erst die Erfindung der Dampfmaschine beseitigte. Der Sitz der Fabrik blieb jetzt nicht länger an die Örtlichkeit, das lebendige Wassergefäll, gebunden. Der Grad der Triebkraft, bisher von vorhandnen Naturumständen abhängig, ward nunmehr ganz und gar menschlicher Regelung unterworfen, und man konnte fortan mit derselben Bewegungsmaschine den weitläufigsten Übertragungsapparat und die zahlreichsten Arbeitsmaschinen treiben.

Die Fabrik weist zwei Hauptarten auf. Entweder vereinigt sie viele gleichartige Arbeitsmaschinen, von denen jede das ganze Produkt erzeugt, oder sie umschließt ein Maschinensystem, verschiedene Maschinen, von denen jede einen Teil des Produkts fertigt, so daß dasselbe durch die verschiedenen Maschinen hindurchlaufen muß, bis es vollendet ist.

Als gegliedertes System automatischer Arbeitsmaschinen, die ihre Bewegung durch Übertragungsmaschinerie von einem zentralen Automaten empfangen, besitzt der Maschinenbetrieb seine entwickelte Gestalt. An die Stelle der einzelnen Maschine tritt hier ein mechanisches Ungeheuer, dessen Leib ganze Fabriksgebäude füllt und dessen dämonische Kraft, erst versteckt durch die fast feierlich gemessene Bewegung seiner Riesenglieder, in fieberhaft tollen Wirbeltanz seiner zahllosen eigentlichen Arbeitsorgane ausbricht.

Die Maschinen selbst wurden zunächst von Handwerkern und Manufakturarbeitern verfertigt, allein bald stellte sich eine solche Produktion als ungenügend heraus, und es wurden auch die Maschinen mittelst Maschinen erzeugt.

Die von der Großindustrie bewirkte Umgestaltung der Produktionsweise ergriff nach und nach auch das Kommunikations- und Transportwesen. Es entstanden Eisenbahnen, Dampfschiffe, Telegrafen etc.

Das Kapital eignet sich alle Entdeckungen und Erfindungen sozusagen rein umsonst an. Was der Kapitalist zur Ausbeutung der Wissenschaft anwenden muß, ist nur ein kostspieliger Apparat, der doch viel billiger ist als jene Menge von Werkzeugen etc., die sonst zur Erzeugung gleich großer Warenmassen erheischt wäre.

Der Wertteil, den die Maschinerie durch ihren Verschleiß verliert, geht aufs Produkt über. Dabei ist dieser Wertteil bei der maschinenmäßigen Produktion im Verhältnis zur handwerksmäßigen kleiner, weil er sich auf eine viel größere Produktenmasse verteilt, während zugleich die Arbeitsmittel ökonomischer angewendet werden und aus dauerhafterem Material bestehen.

Die Arbeit, welche durch Anwendung einer Maschine erspart wird, muß größer sein als die Arbeit, welche zu deren Herstellung nötig ist. Die Produktivität der Maschine mißt sich daher an dem Grad, worin sie menschliche Arbeit erspart. Mittelst einer Selbstspinnmaschine wird z. B. in 150 Arbeitsstunden (die Arbeitszeit der an der Maschine Beschäftigten zusammengerechnet) so viel Garn gesponnen wie mittelst des Handspinnrades in 27 000 Arbeitsstunden.

Sofern die Maschinerie Muskelkraft entbehrlich macht, wird sie zum Mittel, Arbeiter ohne Muskelkraft oder von unreifer Körperentwicklung, aber größerer Geschmeidigkeit der Glieder anzuwenden. Weiber- und Kinderarbeit war daher das erste Wort nach der kapitalistischen Anwendung der Maschinerie! Das gewaltigste Ersatzmittel von Arbeit und Arbeitern verwandelte sich damit sofort in ein Mittel, die Zahl der Lohnarbeiter zu vermehren durch Einrollierung aller Mitglieder der Arbeiterfamilie ohne Unterschied von Geschlecht und Alter unter die unmittelbare Botmäßigkeit des Kapitals. Die Zwangsarbeit für den Kapitalisten usurpierte nicht nur die Stelle des Kinderspiels, sondern auch der freien Arbeit im häuslichen Kreise innerhalb sittlicher Schranken für die Familie selbst. Der Wert der Arbeitskraft war bestimmt nicht nur durch die zur Erhaltung des individuellen erwachsenen Arbeiters, sondern durch die zur Erhaltung der Arbeiterfamilie nötige Arbeitszeit. Indem die Maschinerie alle Glieder der Arbeiterfamilie auf den Arbeitsmarkt wirft, verteilt sie den Wert der Arbeitskraft des Mannes über seine ganze Familie. Sie entwertet daher seine Arbeitskraft. Der Arbeiter verkaufte früher seine eigene Arbeitskraft, worüber er als formell freie Person verfügte. Er verkauft jetzt Weib und Kind; er wird Sklavenhändler.

Welchen Schaden die Weiberarbeit anrichtet, beweist der Umstand, daß von je 100 000 Kindern unter einem Jahre in den bestgelegenen Distrikten Englands 9000 und in den schlimmsten, d. h. industriellen, 24 000-26 000 sterben. Die Weiber können die Kinder nicht pflegen, müssen ihnen statt der Brust schlechte, schädliche Mixturen und behufs künstlicher Erzeugung von Schlaf Opiate geben. - -

Durch den überwiegenden Zusatz von Kindern und Weibern zum kombinierten Arbeitspersonal bricht die Maschinerie endlich den Widerstand, den der männliche Arbeiter in der Manufakturperiode der Despotie des Kapitals noch entgegensetzte. Die Arbeiter werden mehr und mehr verknechtet! -

Maschinen verschleißen nicht nur infolge ihrer Anwendung; elementare Einwirkungen verderben sie, wenn sie nicht angewendet werden. Jede verbesserte Maschine entwertet die minder vollkommenen je nach Umfang und Wirkung der Verbesserung. Der Kapitalist ist daher bestrebt, seine Maschinerie in möglichst kurzem Zeitraum auszunutzen, d. h., aus jedem gegebenen Zeitraum soviel Arbeitszeit als möglich auszuschneiden. Er schützt sich dadurch nicht nur vor Nachteilen, sondern erlangt auch wesentliche Vorteile.

Der verlängerte Arbeitstag, ob er nun ganz ohne weiteres oder unter dem Namen „Überstunden“ verlängert wird, hat den Vorteil für den Kapitalisten, daß er mehr Ware und also auch einen größeren Mehrwert erzeugen kann, ohne den in Gebäuden und Maschinerie angelegten Kapitalanteil erhöhen zu müssen.

Solange die Maschinerie in einem Produktionszweig nur noch von vereinzelten Kapitalisten angewandt wird, besitzen letztere ein Monopol und machen natürlich „sehr gute Geschäfte“; sobald sich aber der Maschinenbetrieb verallgemeinert hat, hängt die Größe des Mehrwerts nur von der Anzahl der gleichzeitig beschäftigten Arbeiter ab und von dem Grad ihrer Ausbeutung. Darum ungeheurer Trieb des Kapitals nach Verlängerung des Arbeitstages.

Indem die kapitalistische Anwendung der Maschinerie so einerseits den Arbeitstag verlängert und eine Menge neuer Arbeitskräfte (Frauen, Kinder) in den Dienst der Produktion preßt, während sie andererseits fortwährend Arbeiter „überflüssig“ macht, erzeugt sie eine sogenannte Übervölkerung, deren Konkurrenz den Preis der Arbeitskraft herunterdrückt.

Die Maschinerie, welche den Arbeiter befähigt, in weniger Zeit mehr zu produzieren, ward also in der Hand des Kapitals zum Mittel, den Arbeitstag maßlos zu verlängern. Sobald aber die so in ihrer Lebenswurzel bedrohte Gesellschaft einen Normalarbeitstag gesetzlich feststellte, bemühte sich das Kapital, die Arbeitskraft so intensiv als möglich auszubeuten, d. h., den Arbeiter zu zwingen, in kürzerer Arbeitszeit so sehr tätig zu sein, wie er es während einer längeren nicht imstande wäre.

Wie wird dies Ziel erreicht? Durch verschiedene Methoden, denen zugleich bestimmte Zahlungsweisen, z. B. der Stücklohn, als Hebel dienen.

Unter den Manufakturarbeitern Englands zeigte sich nach Verkürzung der Arbeitszeit allgemein eine größere Leistungsfähigkeit. In den Fabriken, wo die Tätigkeit der Arbeiter durch die Maschinerie bestimmt wird, glaubte man anfangs, es könne eine verkürzte Arbeitszeit unmöglich die Spannung der Arbeitskraft erhöhen, allein, die Folge lehrte, daß dies eine falsche Annahme war. Bei verkürztem Arbeitstage wird teils die Geschwindigkeit der Maschinerie vermehrt, teils den einzelnen Arbeitern ein größeres Überwachungsfeld zugewiesen. Beides erheischt Verbesserungen und Abänderungen der Maschinerie.

Marx weist ziffermäßig nach, daß in England seit der gesetzlichen Verkürzung des Arbeitstages die Arbeitskraft der einzelnen Arbeiter in so hohem Grade angestrengt wurde, daß nach Verlauf weniger Jahre die Zahl der beschäftigten Arbeiter im Verhältnis zu der kolossalen Vermehrung und Ausdehnung der Fabriken bedeutend abnahm. Es wurde also aus jedem Arbeiter weit mehr Arbeit ausgepreßt als früher, ja, die Presserei wurde nach und nach so unverschämt, daß die Arbeiter nur in weiterer Verkürzung der Arbeitszeit ein Rettungsmittel gegen ihren allzu raschen Verbrauch erblickten und nun schon da und dort einen 9- und 8stündigen Arbeitstag sich erkämpft haben.

 

 

Anmerkungen

[10] Nicht mehr gebräuchliche Bezeichnung für Wärmekraftmaschinen.

 


Zuletzt aktualisiert am 9.11.2008