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Mao Tse-tung: Ausgewählte Werke, Band I, Peking 1968, S.133-146.
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Was die Einschätzung der gegenwärtigen Lage und die sich daraus ergebende Frage unseres Vorgehens betrifft, fehlt es manchen Genossen in unserer Partei noch an einem richtigen Verständnis. Sie glauben zwar daran, daß ein revolutionärer Aufschwung unvermeidlich kommen wird, aber sie glauben nicht an die Möglichkeit, daß er bald kommen wird. Deshalb billigen sie nicht den Plan, die Provinz Kiangsi einzunehmen, sondern sind nur mit beweglichen Partisanenaktionen in den drei Gebieten an den Grenzen der Provinzen Fukien, Kuangtung und Kiangsi einverstanden. Gleichzeitig zeigen sie kein tiefgehendes Verständnis dafür, daß man in den Partisanengebieten die rote Macht errichten muß. Daher sind sie auch nicht von der Idee durchdrungen, daß durch die Festigung und Erweiterung der roten Macht der revolutionäre Aufschwung im ganzen Land gefördert werden muß. Sie sind anscheinend der Meinung, daß in einer Periode, da der revolutionäre Aufschwung noch in weiter Ferne liege, diese harte Arbeit zur Errichtung der politischen Macht vergeblich wäre. Anstatt dessen hoffen sie, unseren politischen Einfluß mit der leichteren Methode beweglicher Partisanenaktionen zu erweitern, und erst wenn die Massen im ganzen Land gewonnen oder bis zu einem gewissen Grad gewonnen sein würden, in ganz China zum bewaffneten Aufstand zu schreiten und obendrein zugleich die Kräfte der Roten Armee einzusetzen, wodurch eine große Revolution im ganzen Land zustande käme. Diese ihre Theorie, daß man zunächst die Massen im ganzen Land und in all den einzelnen Landesteilen gewinnen und erst dann die politische Macht errichten soll, entspricht nicht der Sachlage der chinesischen Revolution. Der Ursprung dieser Theorie liegt hauptsächlich im mangelnden Verständnis für die Tatsache, daß China ein halbkoloniales Land ist, um das mehrere imperialistische Staaten miteinander streiten. Hat man dies jedoch begriffen, dann wird erstens klar, warum es unter allen Ländern der Welt nur China ist, wo solch merkwürdige Dinge wie die andauernden Kriegswirren unter den herrschenden Klassen bestehen, warum diese Kriegswirren sich von Tag zu Tag verschärfen und ausdehnen, warum es in China bisher nicht gelungen ist, eine einheitliche Staatsmacht zu errichten. Zweitens wird klar, wie ernst die Bauernfrage ist, und man kann folglich verstehen, warum jetzt die Bauernaufstände ein solches Ausmaß angenommen haben, daß sie sich über das ganze Land ausbreiten. Drittens wird die Richtigkeit der Losung von der demokratischen Staatsmacht der Arbeiter und Bauern klar. Viertens wird auch ein weiteres merkwürdiges Phänomen verständlich, das aus der merkwürdigen Erscheinung der andauernden Kriegswirren unter den herrschenden Klassen, die es nirgends in der Welt außer in China gibt, hervorgeht, nämlich die Existenz und Entwicklung der Roten Armee und der Partisanenabteilungen sowie die damit verbundene Existenz und Entwicklung kleiner roter Gebiete inmitten des weißen Regimes (eine merkwürdige Erscheinung, wie sie nur in China zu beobachten ist). Fünftens wird ebenfalls klar, daß im halbkolonialen China die Schaffung und das Wachstum der Roten Armee, der Partisanenabteilungen und der roten Gebiete die höchste Form des Kampfes der Bauernschaft unter Führung des Proletariats darstellen und das unvermeidliche Ergebnis der Entwicklung des Kampfes der Bauernschaft in einem halbkolonialen Land sind; und daß dies zweifellos der wichtigste Faktor ist, der den revolutionären Aufschwung im ganzen Land beschleunigt. Sechstens wird schließlich klar, daß die Politik der beweglichen Partisanenaktionen allein die Aufgabe der Beschleunigung des revolutionären Aufschwungs im ganzen Land nicht erfüllen kann; daß hingegen die von Tschu Teh und Mao Tse-tung beziehungsweise von Fang Dschi-min [1] verfolgte politische Linie zweifellos richtig ist, jene Linie, die darauf abzielt, Stützpunktgebiete zu schaffen, systematisch die politische Macht zu errichten, die Agrarrevolution zu vertiefen, in einem umfassenden Prozeß – angefangen mit der Aufstellung von Gemeinde-, dann Distrikts- und hierauf Kreisabteilungen der Roten Garde über die Bildung von örtlichen Truppen der Roten Armee bis zur Schaffung der regulären Roten Armee – die bewaffneten Kräfte des Volkes zu entwickeln, die politische Macht wellenförmig voranzutreiben usw. Nur so kann man den revolutionären Massen des ganzen Landes Vertrauen einflößen, wie es die Sowjetunion in der ganzen Welt getan hat. Nur so kann man die reaktionären herrschenden Klassen vor gewaltige Schwierigkeiten stellen, den Boden unter ihren Füßen ins Wanken bringen und ihren inneren Zerfall beschleunigen. Nur so kann man wirklich eine Rote Armee schaffen, die zum Hauptwerkzeug der künftigen großen Revolution werden wird. Kurz gesagt: Nur so kann man den revolutionären Aufschwung beschleunigen.
Die Genossen, die an revolutionärer Fiebrigkeit leiden, überschätzen die subjektiven Kräfte der Revolution [2] und unterschätzen die Kräfte der Konterrevolution. Eine derartige Einschätzung entstammt meistens einer subjektivistischen Denkweise. In der Folge wird sie zweifellos zum Putschismus führen. Wenn man andererseits die subjektiven Kräfte der Revolution unterschätzt und die Kräfte der Konterrevolution überschätzt, ist das ebenfalls eine falsche Einschätzung, die ebenso zwangsläufig zu negativen Ergebnissen, wenn auch anderer Art, führen würde. Deshalb müssen bei der Beurteilung der politischen Lage in China folgende Hauptmomente berücksichtigt werden:
Die Grundgedanken des oben Gesagten waren bereits im Brief des Frontkomitees an das Zentralkomitee vom 5. April des Vorjahrs enthalten. Darin hieß es u.a.:
In seinem Brief (vom 9. Februar 1929) hat das Zentralkomitee eine zu pessimistische Einschätzung der objektiven Lage und der subjektiven Kräfte gegeben. Der dritte „Ausrottungsfeldzug“ der Kuomintang gegen das Djinggang-Gebirge markierte den höchsten Pegelstand der konterrevolutionären Hochflut. Aber das war die Grenze, nach der das allmähliche Abebben der Konterrevolution und der allmähliche Aufschwung der Revolution begann. Die Kampfkraft und die organisatorische Stärke der Partei sind zwar so gering geworden, wie es vom Zentralkomitee festgestellt wurde, aber unter den Verhältnissen des allmählichen Abebbens der Konterrevolution werden sie sicher rasch wiederhergestellt, und die Passivität der Parteikader kann ebenfalls schnell überwunden werden. Die Massen werden sicherlich zu uns kommen. Die Massakerpolitik [7] bedeutet allerdings nichts anderes als „die Fische dorthin treiben, wo das Wasser tiefer ist“ [1*] der Reformismus kann ebenfalls die Massen nicht mehr anziehen. Die Illusionen der Massen über die Kuomintang werden bestimmt sehr schnell verfliegen. Unter den künftigen Bedingungen wird keine einzige Partei imstande sein, es mit der Kommunistischen Partei im Kampf um die Massen aufzunehmen. Die vom 6. Parteitag [8] festgelegte politische und organisatorische Linie ist richtig: Im gegenwärtigen Zeitabschnitt ist die Revolution eine demokratische und keine sozialistische; die gegenwärtige Aufgabe der Partei (man sollte hinzufügen: „in den großen Städten“ der Verfasser) besteht darin, die Massen zu gewinnen, nicht aber in der unverzüglichen Auslösung von Aufständen. Doch die Revolution wird sich rasch entwickeln, und bei der Propaganda sowie bei den Vorbereitungen für den bewaffneten Aufstand muß man eine aktive Haltung einnehmen. In der gegenwärtigen chaotischen Situation können wir die Massen nur mit anfeuernden Losungen, bei einer aktiven Haltung, führen. Die Wiederherstellung der Kampfkraft der Partei ist ebenfalls nur bei einer solchen aktiven Haltung möglich ... Der Schlüssel zum Sieg der Revolution ist einzig und allein die proletarische Führung. Die Schaffung einer proletarischen Basis der Partei, die Gründung von Zellen in Industriebetrieben in zentralen Gebieten – das ist augenblicklich eine wichtige organisatorische Aufgabe der Partei; aber gleichzeitig sind besonders die Entfaltung des Kampfes auf dem Lande, die Errichtung der roten Macht in kleinen Gebieten, die Aufstellung und Erweiterung der Roten Armee jene Hauptvoraussetzungen, die den Kampf in den Städten fördern und den Aufschwung der Revolution beschleunigen. Deshalb ist der Verzicht auf den Kampf in den Städten ein Fehler; aber die Entwicklung der Kräfte der Bauern zu fürchten und zu glauben, es würde für die Revolution von Nachteil sein, wenn die Kräfte der Bauern die der Arbeiter übertreffen werden, halten wir, falls es solche Ansichten unter den Parteimitgliedern gibt, ebenfalls für falsch. Denn die Revolution im halbkolonialen China muß stets eine Niederlage erleiden, wenn den Bauern in ihrem Kampf die Führung durch die Arbeiterklasse fehlt, aber es kann niemals ungünstig für die Revolution selbst sein, wenn im Laufe des Kampfes die Kräfte der Bauern die der Arbeiter übertreffen.
Auf die Frage nach der Operationstaktik der Roten Armee gab dieser Brief folgende Antwort:
Um die Rote Armee zu erhalten und die Massen zu mobilisieren, fordert das Zentralkomitee von uns, die Truppen in recht kleine Einheiten zu gliedern und über die ländlichen Gebiete zu verteilen, wobei Tschu Teh und Mao Tse-tung die Armee verlassen sollen, so daß dem Feind keine großen Angriffsobjekte geboten würden. Das ist eine wirklichkeitsfremde Vorstellung. Die Truppen nach Kompanien oder Bataillonen auflockern, wobei jede Einheit selbständig operiert, sie über die ländlichen Gebiete verteilen und die Massen durch Partisanentaktik aufrütteln, um dem Feind keine Angriffsziele zu bieten – all das haben wir seit dem Winter 1927 geplant und viele Male auch durchgeführt, aber jedesmal eine Niederlage erlitten. Die Gründe dafür sind: 1. Die reguläre Rote Armee besteht in ihrer Mehrheit nicht aus Einheimischen und unterscheidet sich darin von der örtlichen Roten Garde; 2. infolge der Auflockerung der Einheiten wird ihre Führung geschwächt, finden sie sich in schwierigen Situationen nicht zurecht und erleiden leicht Niederlagen; 3. es wird dem Gegner leicht gemacht, uns einzeln zu schlagen; 4. je schwieriger die Lage, desto mehr muß man die Truppen konzentrieren, desto energischer müssen die Führer im Kampf handeln, denn nur so kann man die innere Einheit erreichen und mit dem Gegner fertig werden. Nur in einer günstigen Lage darf man die Truppen für Partisanenaktionen auflockern, und auch die Führer sind dann nicht so gebunden wie in einer schwierigen Lage, in der sie die Truppen nicht für einen Augenblick verlassen dürfen.
Die eben angeführte Stelle weist folgenden Mangel auf: Alle gegen die Auflockerung vorgebrachten Argumente haben einen negativen Charakter, und das ist durchaus unzureichend. Das positive Argument für die Konzentration der Truppen ist: Erst nachdem man die Truppen konzentriert hat, kann man größere Kräfte des Gegners vernichten und Städte einnehmen. Erst nachdem man größere Kräfte des Gegners vernichtet und Städte erobert hat, kann man die Klassen in großem Umfang in Bewegung setzen und die politische Macht in einem mehrere anstoßende Kreise umfassenden Gebiet errichten. Nur so kann man in breitem Ausmaß Aufsehen erregen (das heißt, den politischen Einfluß erweitern) und wirksam zur Beschleunigung des Aufschwungs der Revolution beitragen. So war beispielsweise die von uns im Jahr 1928 im Grenzgebiet Hunan-Kiangsi und im Vorjahr in Westfukien errichtete politische Macht [9] Ergebnis dieser Politik der Truppenkonzentration. Das ist ein allgemeines Prinzip. Gibt es aber Fälle, in denen wir unsere Truppen auflockern müssen? Ja, es gibt solche. Im Brief des Frontkomitees an das Zentralkomitee wird von der Taktik des Partisanenkampfes der Roten Armee gesprochen, einschließlich der Dekonzentration der Truppen in einem kleinen Umkreis:
Die Taktik, die wir auf Grund der Kämpfe der letzten drei Jahre ausgearbeitet haben, unterscheidet sich tatsächlich von der Taktik aller Zeiten in China und im Ausland. Dank unserer Taktik werden die Massen in einem immer größeren Umfang zum Kampf mobilisiert, und kein Feind, wie stark er auch sei, kann mit uns fertig werden. Unsere Taktik ist die des Partisanenkriegs. Im wesentlichen besteht sie in folgendem: „Die Truppen auflockern, um die Massen aufzurütteln; die Truppen konzentrieren, um dem Feind zu begegnen.“ „Rückt der Feind vor, ziehen wir uns zurück; macht er halt, umschwärmen wir ihn; ist er ermattet, schlagen wir zu; weicht er, verfolgen wir ihn.“ „Bei der Schaffung stabiler Gebiete der selbständigen Macht [10] wendet man die Taktik des Vorrückens in Wellenlinien an; wird man von einem starken Gegner verfolgt, wendet man die Taktik des spiralförmigen Kreiseziehens an.“ „Mit geringstem Zeitaufwand unter Anwendung bester Methoden breiteste Massen aufrütteln.“ Diese Taktik gleicht dem Auswerfen eines Netzes – man muß imstande sein, es in jedem Moment auszuwerfen und in jedem Moment wieder einzuziehen. Man wirft es aus, um die Massen für sich zu gewinnen; man zieht es ein, um dem Feind zu begegnen. In den letzten drei Jahren haben wir durchweg eine solche Taktik angewandt.
Hier heißt „Netz auswerfen“ die Truppen in einem kleinen Umkreis auflockern. Als wir beispielsweise Yunghsin im Hunan-Kiangsi-Grenzgebiet zum ersten Mal eingenommen hatten, wurden die Kräfte des 29. und des 31. Regiments innerhalb des Kreises Yunghsin aufgelockert. Ferner, als wir Yunghsin zum dritten Mal erobert hatten, wurde das 28. Regiment an die Grenze des Kreises Anfu, das 29. Regiment nach Liänhua und das 31. Regiment an die Grenze des Kreises Dji-an verlegt. Als Beispiel könnte man auch die Aufteilung der Truppen auf die Kreise in Südkiangsi im April/Mai des Vorjahrs oder auf die Kreise in Westfukien im Juli anführen. Die Truppen in einem weiten Umkreis aufzulockern, ist nur unter zwei Bedingungen möglich: Wenn die Lage einigermaßen günstig ist und wenn verhältnismäßig gesunde Führungsorgane vorhanden sind. Denn die Auflockerung der Truppen soll uns größere Möglichkeiten verschaffen, die Massen für uns zu gewinnen, die Agrarrevolution zu vertiefen und die politische Macht zu errichten sowie die Reihen der Roten Armee und der örtlichen bewaffneten Kräfte zu erweitern. Wenn dieses Ziel nicht zu erreichen ist oder wenn die Auflockerung der Truppen Niederlagen und eine Schwächung der Roten Armee verursacht, wie das beispielsweise im August 1928 der Fall war, als unsere Truppen im Hunan-Kiangsi-Grenzgebiet für einen Vorstoß gegen die Stadt Tschendschou dekonzentriert wurden, ist es besser, die Truppen nicht aufzulockern. Wenn aber die obenerwähnten zwei Bedingungen gegeben sind, soll man zweifellos die Truppen auflockern, da unter diesen beiden Bedingungen die Auflockerung vorteilhafter ist als die Konzentration.
Der Februarbrief des Zentralkomitees war seinem Geist nach nicht gut. Er hatte einen ungünstigen Einfluß auf einen Teil der Genossen der Parteiorganisation des 4. Korps. Außerdem behauptete damals das Zentralkomitee in einem Rundschreiben, daß es nicht unbedingt zum Krieg zwischen Tschiang Kai-schek und der Kuangsi-Clique kommen würde. Von da an jedoch waren die Einschätzungen des Zentralkomitees und seine Weisungen im großen und ganzen richtig. Um die in dem erwähnten Rundschreiben gegebene unrichtige Einschätzung zu korrigieren, hat das Zentralkomitee bereits ein anderes Rundschreiben verschickt. Und wenn auch der Brief an die Rote Armee nicht berichtigt wurde, verklangen jedoch in den späteren Weisungen des Zentralkomitees jene pessimistischen Töne, und auch seine Ansichten über die Operationen der Roten Armee stimmten dann mit den unsrigen überein. Dennoch bleibt nach wie vor der ungünstige Einfluß, den jener Brief des Zentralkomitees auf einen Teil unserer Genossen ausgeübt hat. Deshalb bin ich der Meinung, daß es auch heute noch notwendig ist, diese Frage klarzustellen.
Der Plan, die Provinz Kiangsi innerhalb eines Jahres in Besitz zu nehmen, wurde ebenfalls im April des Vorjahrs vom Frontkomitee dem Zentralkomitee vorgelegt, worauf dann in Yüdu ein Beschluß dazu gefaßt wurde. Die damals vorgebrachten Argumente wurden in dem betreffenden Brief an das Zentralkomitee wie folgt dargelegt:
Die Truppen Tschiang Kai-scheks und der Kuangsi-Clique nähern sich einander im Gebiet von Djiudjiang, eine große Schlacht steht unmittelbar bevor. Dadurch, daß die Volksmassen den Kampf wiederaufgenommen haben und sich außerdem die Widersprüche innerhalb des herrschenden reaktionären Lagers vertiefen, wird es wahrscheinlich, daß bald ein Aufschwung der Revolution eintritt. Wenn wir unter diesen Umständen unsere Pläne ausarbeiten, gehen wir davon aus, daß in zwei der südlichen Provinzen – in Kuangtung und in Hunan – die bewaffneten Kräfte der Kompradoren und der Grundherren zu stark sind, wobei in Hunan infolge der putschistischen Fehler der Partei unsere Massenbasis sowohl innerhalb wie außerhalb der Partei fast ganz verlorengegangen ist. Anders ist die Lage in den Provinzen Fukien, Kiangsi und Tschekiang. Erstens sind die bewaffneten Kräfte des Feindes in diesen drei Provinzen am schwächsten. In Tschekiang gibt es nur die zahlenmäßig schwachen Garnisonstruppen der Provinz unter Djiang Bo-tscheng [11]. In Fukien gibt es zwar 5 Verbände mit 14 Regimentern, jedoch ist die Brigade Guo Feng-mings [12] bereits zerschlagen; die Einheiten Tschen Guo-huis und Lu Hsing-bangs [13] bestehen aus Banditen, und ihre Kampfkraft ist sehr gering; die zwei Brigaden der Marineinfanterie an der Küste haben nie an Gefechten teilgenommen, und ihre Kampfkraft kann nicht groß sein; nur die Truppen Dschang Dschens [14] Schlagkraft, doch nach einer Analyse des Provinzparteikomitees von Fukien haben auch unter ihnen nur zwei Regimenter eine verhältnismäßig hohe Kampfkraft. Dazu kommt, daß in Fukien gegenwärtig völliges Chaos, Verwirrung und Zwietracht herrschen. In Kiangsi zählen die Truppen Dschu Pe-dös [15] und Hsiung Schi-huis [16] alles in allem 16 Regimenter, die zwar die militärischen Kräfte von Fukien und Tschekiang überragen, aber gegenüber den in Hunan stehenden beträchtlich schwächer sind. Zweitens wurden in diesen drei Provinzen verhältnismäßig wenig putschistische Fehler gemacht. Abgesehen von Tschekiang, wo die Lage für uns nicht ganz klar ist, hat die Partei in den Provinzen Kiangsi und Fukien eine etwas festere organisatorische und Massenbasis als in Hunan. Nehmen wir Kiangsi als Beispiel, so haben wir im Nordteil – in Dö-an, Hsiuschui und Tunggu – noch eine ziemlich feste Basis; im Westteil dieser Provinz – in Ninggang, Yunghsin, Liänhua und Suitschuan besitzen die Partei und die Rote Garde immer noch eine gewisse Stärke; im Südteil sind die Aussichten noch besser: Es gibt Anzeichen, daß das 2. und das 4. Regiment der Roten Armee in den Kreisen Dji-an, Yungfeng und Hsingguo von Tag zu Tag stärker werden; die Einheiten der Roten Armee unter Fang Dschi-min sind keineswegs vernichtet. So ergibt sich die Situation, daß wir Nantschang einkreisen. Wir unterbreiten dem Zentralkomitee den Vorschlag, während der andauernden Kriege der Kuomintang-Militärmachthaber untereinander den Kampf gegen Tschiang Kai-schek und die Kuangsi-Clique um Kiangsi und daneben auch um den Westteil der Provinzen Fukien und Tschekiang aufzunehmen. Ferner sollen wir den zahlenmäßigen Bestand der Roten Armee in diesen drei Provinzen vergrößern und die selbständige Macht der Massen schaffen. Die Frist für die Durchführung dieses Planes soll mit einem Jahr bemessen sein.
Der einzige Fehler in dem oben zitierten Passus über die Einnahme von Kiangsi lag darin, eine Frist von einem Jahr anzusetzen. Die Einnahme von Kiangsi hätte, außer den Bedingungen in Kiangsi selbst, auch zur Voraussetzung, daß bald im ganzen Land ein Aufschwung der Revolution eintreten würde. Denn ohne die Überzeugung, daß der Aufschwung der Revolution bald beginnen würde, hätten wir doch auf keinen Fall zur Schlußfolgerung kommen können, Kiangsi innerhalb eines Jahres in Besitz zu nehmen. Die Schwäche unseres Vorschlags lag nur darin, daß wir die Frist von einem Jahr festgesetzt haben, denn dadurch wurde unvermeidlich dem Wörtchen „bald“ in der Formulierung „. . . daß bald ein Aufschwung der Revolution eintritt“ eine Nuance von Ungeduld verliehen. Was die subjektiven und objektiven Bedingungen in Kiangsi anbelangt, so verdienen sie ernste Beachtung. Neben den subjektiven Bedingungen, wie sie im Brief ans Zentralkomitee erwähnt wurden, sind heute drei objektive Bedingungen hervorzuheben: 1. Die Wirtschaft von Kiangsi hat im wesentlichen einen feudalen Charakter, der Einfluß des Handelskapitals ist hier verhältnismäßig gering, und die bewaffneten Kräfte der Grundherren sind in Kiangsi schwächer als in jeder anderen südlichen Provinz; 2. Kiangsi hat keine eigenen Provinztruppen, dort sind stets Truppen aus anderen Provinzen stationiert; diese Truppen aber, die zur „Ausrottung der Kommunisten“ und „Ausrottung der Banditen“ eingesetzt werden, sind mit den örtlichen Verhältnissen nicht vertraut und an diesen Operationen bei weitem nicht so interessiert, wie es Truppen der eigenen Provinz wären; sie zeigen häufig keine besondere Begeisterung; 3. der Einfluß des Imperialismus ist hier schwächer als in der Hongkong benachbarten Provinz Kuangtung, die fast in jeder Hinsicht unter britischer Kontrolle steht. Verstehen wir diese drei Punkte, dann können wir erklären, warum in Kiangsi Bauernaufstände verbreiteter und die Rote Armee sowie die Partisanentruppen zahlenmäßig stärker sind als in jeder anderen Provinz.
Viele Genossen bewegt dieselbe Frage, wie denn nun das Wörtchen „bald“ in der Formulierung „. . . daß bald ein Aufschwung der Revolution eintritt“ zu verstehen sei. Marxisten sind keine Wahrsager. Sie sollen und können nur die allgemeine Richtung der künftigen Entwicklung und Veränderungen aufzeigen, aber sie dürfen nicht und können auch nicht mechanisch Tag und Stunde festlegen. Wenn ich jedoch sage, daß bald ein Aufschwung der chinesischen Revolution eintreten wird, so spreche ich keineswegs davon, daß er, wie manche Leute sagen, „möglicherweise eintreten könnte“, als von etwas Illusorischem, Unerreichbarem, für das praktische Tun völlig Bedeutungslosem. Der Aufschwung der Revolution gleicht einem Schiff, dessen Mastspitzen bereits vom Meeresufer aus am fernen Horizont zu sehen sind; er gleicht der Morgensonne, deren leuchtende Strahlen bereits die Finsternis im Osten durchbrechen und vom Gipfel eines hohen Berges aus zu sehen sind; er gleicht einem Kind, das sich im Schoß der Mutter unruhig bewegt und bald geboren werden wird.
* Die vorliegende Arbeit ist ein Brief, den Genosse Mao Tse-tung als Kritik schrieb an den pessimistischen Ansichten, die es damals in der Partei gab.
1. Genosse Fang Dschi-min – geboren im Kreis Yiyang, Provinz Kiangsi – war Mitglied des 6. Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas und Begründer des roten Gebiets im Nordostteil der Provinz Kiangsi und des 10. Korps der Roten Armee. Im Jahre 1934 führte er die Antijapanischen Vorausabteilungen der Roten Armee nach Nordchina. Im Januar 1935 wurde er in einem Gefecht mit konterrevolutionären Kuomintang-Truppen gefangengenommen. Im Juli desselben Jahrs erlitt er in Nantschang den Heldentod.
2. Mit den „subjektiven Kräften der Revolution“ meint hier Genosse Mao Tse-tung die organisierten Kräfte der Revolution.
3. Lu Di-ping, Militärmachthaber der Kuomintang, war 1928 Gouverneur der Provinzregierung der Kuomintang in Hunan.
4. Gemeint ist der Krieg von März bis April 1929 zwischen Tschiang Kai-schek, dem Militärmachthaber der Kuomintang in Nanking, und Li Dsung-jen und Bai Tschung-hsi, den Militärmachthabern der Kuomintang in der Provinz Kuangsi.
5. Gemeint ist die dritte Offensive der Hunan- und Kiangsi-Militärmachthaber der Kuomintang gegen das Djinggang-Gebirge, das Stützpunktgebiet der Roten Armee, Ende 1928 und Anfang 1929.
6. Es handelt sich um den Brief des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas vom 9. Februar 1929 an das Frontkomitee der Partei. Der Brief des Frontkomitees an das Zentralkomitee vom 5. April 1929, von dem Auszüge in der vorliegenden Arbeit zitiert wurden, gibt in allgemeinen Zügen den Inhalt des erwähnten Briefs des Zentralkomitees wieder, vor allem den mit der Einschätzung der damaligen Lage und der Frage der Taktik bei den Operationen der Roten Armee im Zusammenhang stehenden Teil. Da die im Februarbrief dargelegte Meinung des Zentralkomitees unzutreffend war, wurden im Brief des Frontkomitees an das Zentralkomitee andere Ansichten vorgetragen.
7. Gemeint sind die Massakermethoden, die von der konterrevolutionären Macht zur Unterdrückung der revolutionären Kräfte des Volkes angewandt wurden.
8. Gemeint ist der 6. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas im Juli 1928. Der Parteitag wies darauf hin, daß die chinesische Revolution nach der Niederlage der Revolution im Jahre 1927 ihrem Charakter nach auch weiterhin eine antiimperialistische und antifeudale bürgerlich-demokratische Revolution bleibe und daß ein neuer Aufschwung der Revolution unvermeidlich sei; da aber dieser neue Aufschwung noch nicht begonnen habe, bestehe zu dieser Zeit die Generallinie der Revolution darin, die Massen zu gewinnen. Der 6. Parteitag machte Schluß mit dem rechtsopportunistischen Kapitulantentum Tschen Du-hsius vom Jahre 1927 und verwarf auch den „linken“ Putschismus, der in der Partei Ende 1927 und Anfang 1928, nach der Niederlage der Revolution im Jahr 1927, in Erscheinung trat.
9. Um neue revolutionäre Stützpunktgebiete zu schaffen, unternahm die Rote Armee im Jahr 1929 vom Djinggang-Gebirge aus einen Feldzug ostwärts nach der Provinz Fukien, wo sie in den Kreisen Lungyän, Yungding und Schanghang in Westfukien die revolutionäre Macht des Volkes errichtete.
10. Gemeint sind die von der Roten Armee der Arbeiter und Bauern geschaffenen relativ stabilen revolutionären Stützpunktgebiete.
11. Djiang Bo-tscheng – damaliger Befehlshaber der Sicherheitstruppen der Kuomintang in der Provinz Tschekiang.
12. Gemeint ist die Brigade der Kuomintang-Truppen unter Guo Feng-ming, die in der Provinz Fukien stand.
13. Tschen Guo-hui und Lu Hsing-bang – berüchtigte Banditen in der Provinz Fukien, deren Truppen in Einheiten der Kuomintang eingegliedert waren.
14. Dschang Dschen – Kommandeur einer Division der Kuomintang-Truppen.
15. Dschu Pe-dö, Kuomintang-Militärmachthaber, war damals Gouverneur der Provinzregierung der Kuomintang in Kiangsi.
16. Hsiung Schi-hui war zu jener Zeit Kommandeur einer Division der KuomintangTruppen in der Provinz Kiangsi.
1*. Dieser Satz stammt von Menzius. Mit dem Otter, der „die Fische dorthin treibt, wo das Wasser tiefer ist“, vergleicht er einen Tyrannen, der das Volk dazu treibt, einen milden Herrscher zu suchen.
Zuletzt aktualisiert am 11.8.2008