Eduard Bernstein

 

An meine socialistischen Kritiker

Vorwort zur französischen Ausgabe des Buches:
Die Voraussetzungen des Socialismus

(Januar 1900)


Quelle: Socialistische Monatshefte, Jr. 1900, Nr.1, Januar 1900, S.3-14.
Transkription u. HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.


In einem an J.B. von Schweitzer gerichteten Briefe über Proudhon sagt Karl Marx von dessen Buche: Qu’est-ce que la propriété, dass es kaum verdiene, in einer wissenschaftlichen Geschichte der Nationalökonomie Erwähnung zu finden. „Doch,“ fügt er hinzu, „spielen ähnliche sensationelle Schriften ebensowohl in der Wissenschaft, wie in der Romanlitteratur eine Rolle.“

Wenn der Verfasser des vorliegenden Buches den Leser eines, versichern kann, so ist es dies, dass er es nicht geschrieben hat. um Sensation zu erregen. Nur auf die Bitte, ja man kaiin sagen, auf das Drängen meiner politischen Freunde hin habe ich mich entschlossen, die in einigen Revueartikeln veröffentlichten Gedanken, welche auf ganz unvorhergesehene Weise die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen begonnen hatten, in einem Buche zusammenzufassen.

Nicht ohne anfängliches ernstes Widerstreben bin ich an die Arbeit herangetreten. Ich hielt es in der That für sehr schwierig, den Eindruck, den die verstreuten Artikel gemacht hatten, nicht noch zu verstärken. Eine Zusammenfassung kritischer Betrachtungen muss notgedrungen viel mehr noch als Angriff gegen die Gesamtheit einer Theorie erscheinen, als diese Bemerkungen an sich. Und ich hatte nichts zu widerrufen. Im Gegenteil, – der Liste meiner schon veröffentlichten Ketzereien musste ich noch einige andere, noch nicht veröffentlichte, hinzufügen.

Alle meine Bemühungen, die mir schon zugewiesene Rolle zu vermeiden, sind vergeblich geblieben. Das Buch machte Aufsellen. Es hat ganze Schwärme von Zeitungs- und Revueartikeln nach sich gezogen, Bücher und Pamphlete zur Folge gehabt. Gegner wie Anhänger des Marxismus waren von neuem über seinen Charakter der Lehre gegenüber einig; für sie war es ein Zerstörungswerk. Allein während die einen von der wirkenden Kraft dieses kritischen Zerstörungswerkes sprachen, versicherten die anderen, dass es vollständig missglückt sei. Daher cornpromittierendes Lob auf der einen und bittere Angriffe auf der anderen Seite. Es muss indessen anerkannt werden, dass eine gute Anzahl von Leuten in beiden Lagern sich ein ruhigeres Urteil bewahrt und mein Buch für das genommen haben, was es in Wirklichkeit ist: für einen Versuch der Revision, der Sichtung und Klärung.

Es handelte sich für mich nicht darum, der sogenannten marxistischen Lehre eine andere Lehre oder sociologische Theorie gegenüberzustellen. Es handelt sich auch .nicht um eine Widerlegung des Marxismus. In dieser Hinsicht bin ich vielmehr der Meinung, dass Professor W. Sombart, der allgemein als einer der geistreichsten Sociologen des heutigen Deutschlands gilt, das entscheidende Wort gesprochen hat, als er schrieb, dass der Fortschritt der socialen Wissenschaft nicht in der Widerlegung, sondern in der Aufnahme und Entwickelung der Consequenzen des wissenschaftlichen Werkes von Marx zu finden ist, dass aber dieser Fortschritt nicht durchgeführt werden kann, wenn nicht vorerst die kritische Inventur der Theorie vorgenommen wird. So äusserte sich Sombart im Jahre 1895, und die Ereignisse haben bewiesen, dass er recht hatte.

Aber nirgends zeigt man sich weniger bereit, diese Inventurarbeit – ich sage nicht zu unternehmen, sondern auch nur zuzulassen, als bei einem grossen Teil derer, die speciell die marxistische Schule bilden, und das erklärt sich aus zwei Gründen.

Der eine ist wesentlich sentimentaler Art. Es hat für die Schüler eines Denkers immer etwas Peinliches, sein Werk zu kritisieren, und das umsomehr, als eine solche Kritik sehr leicht den Verdacht persönlicher Anmassung hervorruft.

Der andere Grund ist der, dass man unter dem Ausdrucke Marxismus nicht allein eine wissenschaftliche Theorie, sondern auch noch eine politische Lehre versteht. Es ist darum ganz natürlich, dass diejenigen, welche die beiden als absolut miteinander verknüpft ansehen und fest an der politischen Lehre halten, jede Kritik der wissenschaftlichen Theorie, und gehe sie auch nur auf einen Teil, für einen politischen Angriff, für einen Act der Feindseligkeit gegen diejenige Classe betrachten, die von der politischen Lehre des Marxismus als massgebender Factor hochgehalten wird, nämlich das Proletariat.

Es ist indessen klar, dass bei einer solchen Auffassung die Theorie schliesslich ihren wissenschaftlichen Charakter verlieren und zu einem sectirischen Glaubensbekenntnisse werden muss, das seinerseits im gegebenen Moment für die Entwickelung der politischen Idee verhängnisvoll werden, d.h. sich seiner Anpassung an die veränderten wirtschaftlichen und politischen Bedingungen widersetzen kann. Auf diese Weise wird die Theorie schliesslich unfruchtbar gemacht. Und – ich muss es, schon sagen – gerade dieser Geist der Unfruchtbarkeit ist es, welcher in der mir von meinen marxistischen Gesinnungsgenossen entgegengehaltenen Kritik überwiegt. Während Marx und Engels lebhaft die Idee von einer definitiven Wahrheit bekämpften (siehe z.B. den Anti-Dühring), haben jene Kritiker sogar ganz untergeordnete Bestandteile der marxistischen Theorie wie ewig-heilige Dogmen behandelt, an die man nicht rühren darf, ohne den ganzen Bau zu erschüttern. Hatte sie der ein wenig lärmende Beifall, mit dem die Gegner des Socialismus meine Kritik begrüsst haben, bestürzt gemacht? War es die Furcht, dacs die Arbeiter durch meine Darlegungen entmutigt oder stutzig gemacht werden würden? – Die Gruppe oder die Gemeinde derjenigen, welche die Theorie in ihren Grundlagen selbst bedroht glaubten, nahm die Haltung einer echten orthodoxen Kirche an.

Die Kritik und die Angriffe von dieser Seite werden widergespiegelt oder vereinigen sich in den Artikeln, die K. Kautsky mir im Vorwärts und in der Neuen Zeit entgegengestellt und in einem Buche gesammelt und vervollständigt hat. [1]

Dieses Buch ist von allen denen, die mich von marxistischer Seite aus bekämpfen, mit Beifall begrüsst worden und bildet die theoretische Grundlage der sechsstündigen Rede, die Bebel auf dem Parteitage zu Hannover gegen mein Buch gehalten hat. Es ist deshalb die Kritik dieses Buches gleichzeitig die Kritik von fast allem, was mir von jener Seite vorgeworfen wird.

Nun, schon der Titel des Kautskyschen Buches ist für die Tendenz seiner Kritik charakteristisch ... Bernstein und das socialdemokratische Programm. Das hier in Frage kommende socialdemokratische Programm ist das Erfurter Programm, welches zum grössten Teile von Kautsky verfasst worden ist, und bei dem der Verfasser dieser Zeilen, wie er gestehen muss, ein wenig den Geburtshelfer gemacht hat. Ich trage also einen Teil der Verantwortlichkeit mit. Das Programm zerfällt in zwei Teile: der eine enthält die theoretischen Gedanken und die Principien und Ziele der Partei, der andere die nächsten Forderungen. In Bezug auf die ersten fünf oder sechs Absätze des theoretischen Teiles bin ich beschuldigt (und habe ich auch zugegeben), jetzt Abtrünniger zu sein. Sie machen den abstractesten (am meisten verallgemeinernden) Teil des Programms aus.

Aber nicht gegen die abstracte Form lehne ich mich auf. Die Einleitungssätze des Minimum-Programms der französischen Arbeiterpartei sind noch viel abstracter [2], aber sie sind meiner Ansicht nach den in Frage stehenden Paragraphen des Erfurter Programms von allen Gesichtspunkten aus überlegen. Sie beschränken sich darauf, die allgemeinen Tendenzen der modernen Industrie, die allmähliche Beseitigung der individuellen Form durch die Collectivform zu kennzeichnen und mit grosser Vorsicht in möglichst knappen Worten das allgemeine Ziel der Partei und die für die Erreichung des Ziels notwendigen ökonomischen Bedingungen darzulegen.

Die theoretischen Sätze des Erfurter Programms sind ziemlich weitläufig gehalten. Sie bilden nicht mehr eine vorsichtig gehaltene Darlegung von Thatsachen und Tendenzen, sondern eine dramatische Schilderung von Resultaten. Die Sprache ist beinahe pathetisch: eine Anklageschrift voller Leben, ein Appell an das Gemüt, an die Leidenschaft. Ein ausgezeichnetes Stück für die Agitation, wo die Uebertreibung durch die Notwendigkeit .gerechtfertigt ist, die trägen Geister aufzurütteln. Aber es bleibt nicht mehr bei den Thatsachen, es ist nicht mehr Wissenschaft.

Ein Beispiel:

Während die Einleitungssätze des französischen Programms einfach darlegen, dass durch die Entwicklung der capitalistischen Gesellschaft selbst die Form des Privateigentums an den Productionsmitteln mehr und mehr eliminiert wird, und mehr und mehr die materiellen und intellectuellen Bedingungen für die gesellschaftliche Besitzform sich bilden, erklärt das Erfurter Programm, dass diese Entwickelung notgedrungen zu dem Untergange der Kleinindustrie führen muss, dass alle Vorteile dieser Umgestaltung von den Capitalisten und den Grossgrundbesitzern in Beschlag genommen werden, und dass dies für das Proletariat und die im Verschwinden begriffenen mittleren Schichten – Kleinbürger und Bauern – eine Verschärfung der „Unsicherheit“ ihrer Existenz, des Elends, des Druckes, der Knechtschaft, der Entartung und der Ausbeutung bedeutet.

Niemand wird leugnen, dass dies alles zum grossen Teile wahr ist, und jedenfalls muss zugegeben werden, dass die capitälistische Ordnung nach dieser Richtung hin wirkt. Aber wenn sie auch diese Tendenz hat, so entsprechen ihr doch nicht alle Thatsachen in der heutigen Gesellschaft. Weder die Kleinbürger, noch die Bauern sind im Verschwinden begriffen.

Auch lässt sich nicht behaupten, dass Elend. Knechtschaft und Verfall in den vorgeschrittenen Ländern thatsächlich zunehmen. Denn die sociale Gegenaction gegen die verderblichen Tendenzen des capitalistischen Systems hat schon eingesetzt und hindert die Verwirklichung seiner äussersten Folgen. Das kann man zugeben, ohne auch nur im geringsten die socialistische Idee in Frage zu stellen. Für mich wenigstens ist die Rechtfertigung und Verwirklichung des Socialismus nicht durch die äusserste Verwirklichung dieser Tendenzen bedingt. Es giebt andere Kräfte – ökonomischer und ideologischer Art – die nach der Richtung des Socialismus hintreiben. Wie ich dies in meinem Buche ausgesprochen habe, hängt meiner Ansicht nach der Sieg des Socialismus nicht von seiner immanenten ökonomischen Notwendigkeit ab. Ich sehe weder die Möglichkeit noch die Notwendigkeit ein, ihm eine rein materialistische Grundlage zu geben.

Alles dies steht nach Kautskys Ansicht in offenem Widerspruche mit den erwähnten Paragraphen des Erfurter Programms, und er bemüht sich, dies in seinem Buche zu beweisen.

Einerseits bestreitet er meine Interpretation des Programms und andererseits meine Interpretation der wirtschaftlichen Thatsachen, als unrichtig.

Was den ersten Beweis betrifft, so kann er nur geringes Interesse für den französischen Leser haben. Er dreht sich um den Sinn der Begriffe materiell, materialistisch, immanente Notwendigkeit u.s.w. Die Discussion hat bis dahin nur eins bewiesen: dass Kautsky diese Begriffe anders auffasst, wie ich.

So beruft er sich auf Seite 155 seines Buches auf einen Paragraphen des Erfurter Programms, wo die Notwendigkeit des Socialismus aus den Bedürfnissen der Arbeiterclasse hergeleitet wird, und sagt: Da sieht man, „was es mit Bernsteins Bemängelung der ökonomischen Notwendigkeit aufsich hat“. Aber wenn man mein Buch vergleicht, so wird man finden, dass meine Opposition sich nur gegen den Gedanken richtet, den Socialismus ausschliesslich auf seine objective historische Notwendigkeit begründen zu wollen.

Das Verlangen nach Verbesserung der Lage einer besonderen Gruppe der Gesellschaft ist niemals etwas Objectives. Man könnte vielleicht sagen, dass es überhaupt nicht zulässig sei, bei der Erklärung ökonomischer Umwandlungen das Wort objectiv zu gebrauchen, weil dieselben niemals ohne die Vermittlung menschlicher Thatkraft vor sich gehen. Aber wenn man einmal zwischen objectiven und subjectiven Kräften unterscheidet, so muss man sich auch an das charakteristische Kennzeichen dieser Unterscheidung halten.

Dieses Kennzeichen nun finden wir in der bewussten, gewollten, beabsichtigten Seite des menschlichen Handelns. Das allgemeine Nahrungsbedürfnis ist eine objective Macht, aber der Wunsch nach einer Veränderung der Nahrung ist ein subjectiver Factor. Was über die laufenden Lebensgewohnheiten hinaus für die Verwirklichung einer Idee oder eines vorgefassten Ziels notwendig ist, ist nicht objectiv notwendig, ist nicht auf objective Notwendigkeit begründet.

Wo der menschliche Wille die Richtung nicht anzeigt – wie beispielsweise in der Concurrenz – kann man wohl von einer objectiven Kraft reden. Aber wo derselbe das bestimmte Element bildet, haben wir subjective Kräfte vor uns. Dies trifft von den Bedürfnissen der Arbeiterclasse zu, von denen der in Frage stehende Paragraph des Erfurter Programms spricht.

Man kann die Frage auch so formulieren: Wo es sich um collectiv gewollte Ziele handelt, liegen in den historischen oder socialen Bewegungen subjective. Kräfte vor. Aber wo es sich um sociale Ergebnisse handelt, die nur das unbeabsichtigte Product der Handlungen von Individuen oder selbst von Gemeinschaften sind, haben wir objective Kräfte vor uns. In der wirtschaftlichen Concurrenz hat jedes Individuum vorgefasste Ziele vor Augen, aber das allgemeine Resultat ist immer verschieden von dem, was die betreffenden Individuen gewollt haben. Hier ist also das Wort objectiv gerechtfertigt. [3]

Man begreift aber, dass es bei solcher Unterscheidung – und ich sehe keine andere, wenn die Begriffe objectiv und subjectiv hier einen bestimmten Sinn haben sollen – unmöglich ist, den Socialismus auf eine rein objective Notwendigkeit zu begründen. Ist der Socialismus eine objectiv historische Notwendigkeit, so sind die Anstrengungen der socialistischen Parteien das Ueberflüssigste, was man sich denken kann, eine wahrhafte Kraftvergeudung. Aber wer kann diese objective Notwendigkeit beweisen? Niemand!

Es verstellt sich von selbst, dass der menschliche Wille niemals etwas rein Individuelles oder Objectives ist, sondern dass er von vielen physiologischen, historischen oder socialen Bedingungen abhängt. Der Einfluss der Umwelt ist von allen vernünftig denkenden Menschen anerkannt. Die Umwelt, die socialen und Naturverhältnisse bilden die objective Basis des subjectiven Willens. Aber schon diese objective Basis ist nicht rein materieller Art. Moral- und Rechtsanschauungen, religiöse Bekenntnisse und wissenschaftliche Theorieen spielen eine grosse Rolle dabei. Und was auch immer ihre Genealogie und ihre Beziehung zu den ökonomischen Factoren sein mögen, so sind sie doch stets ideologische Kräfte, welche ihrerseits die ökonomischen Factoren beeinflussen, und zwar häufig auf sehr energische Weise und mit wichtigen Resultaten.

Dieser Einfluss der ideologischen Momente wird in den ersten Schriften von Marx und Engels verkannt; wenigstens wird er nicht klar genug definiert. Engels giebt dies in seinem Briefe, von 1890 selbst zu. Ich habe dies constatiert und hinzugefügt, dass jeder, der heute den historischen Materialismus von Marx und Engels anwenden will, sich an die gereifte und ausgearbeitete Form halten muss, die ihm Engels in seinen letzten Schriften gegeben hat. In einer Polemik, die ich hier umsoweniger qualificieren möchte, als sie sich mehr auf Auslegungen und Vermutungen, als auf Anführungen leicht zu beglaubigenderStellen stützt, beschliesst Kautsky das Capitel über diesen Gegenstand mit der Erklärung, dass meine Correctur der marxistischen Lehre in einem inconsequenten Materialismus besteht!

Auf diesen Vorwurf habe ich erstens zu erwidern, dass ich in meinem Buche keine andere Correctur der marxistischen Methode entdecken kann, als wie sie von Engels selbst angezeigt worden ist, und dass ich zweitens meine ernsten Zweifel habe, ob es in dieser unvollkommenen Welt einen consequenten Materialismus überhaupt giebt. Ich habe ihn bisher noch nicht entdecken können.

Kautsky erhebt ferner Widerspruch gegen meine Erklärung, dass in dem Masse, wie die Menschen durch die Erforschung der natürlichen und socialen Gesetze ihrer Existenz und vermittelst entsprechender Organisationen dahin gelangen, die Natur zu beherrschen und die wirtschaftliche Entwickelung zu lenken, der Begriff der ehernen Notwendigkeit der Geschichte Einschränkungen erleidet. Diese Darlegung ist seiner Meinung nach ein sträflicher Versuch, die historische Notwendigkeit mit der Freiheit des Utopismus zu vereinen.

Zum Unglück für meinen so strengen Kritiker war es Engels selbst, der in Uebereinstimmung mit Marx in seinem Anti-Dühring die Verwirklichung des Socialismus als den „Sprung aus dem Reich der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit“ bezeichnete. Man wird mir zugeben, dass diese Gegenüberstellung viel absoluter, als die meine, ist. Ich habe Kautsky gefragt, wie er die Verurteilung meiner These mit der Aufrechterhaltung derjenigen von Engels vereinigen will, und ich warte noch immer auf seine Antwort.

Je nachdem man den Socialismus als objective Notwendigkeit – d. h. unabhängig vom menschlichen Willen – oder als Notwendigkeit im Hinblick auf gewisse Ziele auffasst, gewinnen die Fragen der ökonomischen Concentration an Bedeutung. Das ist der Grund, weshalb die Anhänger der ersteren Auffassung mit leidenschaftlicher Aengstlichkeil darauf beharren, überall nur Concentration zu sehen und diese nur in der Form, in der sie von Marx und Engels zur Zeit der Ausarbeitung des communistischen Manifestes gesehen wurde. Daher auch die fieberhafte Polemik gegen die Ziffern, die ich zum Beweise angeführt habe, dass sich die Concentration in Industrie und Handel, wo sie eine unbestrittene Thatsache ist, noch nicht so weit vorgeschritten findet, wie es die Lehre annimmt; dass wir in der Landwirtschaft in verschiedenen Ländern sogar einen Process der Decentralisation wahrnehmen, und dass inBezug auf dieVermögensverteilung die Wirklichkeit stark von der vorgestellten ununterbrochenen Concentration der Capitalien in den Händen einer allmählich immer weniger zahlreichen Classe von Grosscapitalisten abweicht. Was mir meine Gegner hierauf entgegenhalten, ist gänzlich unwesentlich und voller Widersprüche. Nachdem man sich in vergeblichen Anstrengungen erschöpft hat, um zu beweisen, dass jene Zahlen den Thatsachen nicht entsprechen, hat man mir schliesslich entgegengehalten, dass Marx selbst schon die Zunahme der Zahl der Capitalisten erkannt habe. Das ist richtig, ich habe das selbst festgestellt. Aber es handelt sich nicht um das, was Marx hier oder da gesagt hat, sondern um die auf die Idee der Verminderung der Zahl der Besitzenden gegründete Theorie.

Sehr viel vernünftiger sind die Einwände, welche sich auf die zunehmende Bedeutung der Industrie gegenüber der Landwirtschaft in den modernen Staaten und auf die überwiegende Rolle beziehen, welche die Grossindustrie der Mittel- und Kleinindustrie gegenüber spielt, – Thatsachen, die ich übrigens häufig selbst festgestellt habe. Aber auch hier stossen wir auf viel Uebertreibung. Allerdings zeigt die Analyse der Productivität der grossindustriellen Unternehmungen,. dags diese, wenn sie auch in Bezug auf die Anzahl der beschäftigten Personen noch die Minderheit ausmachen, doch eine relativ weit grössere Productenmasse darstellen, und nicht weniger richtig ist es, dass eine grosse Zahl kleiner und mittlerer Betriebe nur Filialen von Grossbetrieben oder capitalistischen Compagnieen sind. Richtig ist auch, was Kautsky in seinem Buche über die Agrarfrage hervorhebt, dass viele landwirtschaftliche Unternehmungen nur Dependancen von industriellen Betrieben sind. Indessen muss man sich auch hier sehr vor Uebertreibungen hüten. In vielen Fällen sind wiederum industrielle Betriebe Dependancen landwirtschaftlicher Associationen, und die Thatsache, dass die Grossindustrie eine grössere Productionsmenge vertritt, als die Mittel- oder Kleinindustrie, beweist noch nicht deren Entbehrlichkeit. Bebel hat auf dem Parteitage zu Hannover, wo er die Kautskyschen Argumente ausgespielt hat, als einen Beweis für die Scheinexistenz der Kleinindustrie darauf hingewiesen, dass der moderne Schlossermeister die Schlösser nicht selbst anfertigt, sondern sie aus der Fabrik bezieht. Das ist ein wenig übertrieben; aber selbst wenn es eine absolute Wahrheit wäre, so würde es noch nicht die sociale Entbehrlichkeit des besagten Schlossermeisters

beweisen. Seine Berufsaufgabe beschränkt sich nicht auf die Fabrikation von Schlössern; er kann als Mittelglied zwischen der grossen Fabrik und den Consumenten noch sehr wohl unentbehrlich – um nicht zu sagen „objectiv notwendig“ sein. Uebrigens habe ich selbst festgestellt, dass die Kleinindustrie sichtbar ihren Charakter verändert.

Abgesehen von der Uebertreibung der erzielten Concentration, giebt man sich noch nicht genügend Rechenschaft von dem administrativen Problem, um das es sich hier handelt. Es ist dies eine Frage, die sich nicht irn voraus lösen lässt. Wir wissen nur, dass das Verwaltungsgebiet des Staates und der Communen nicht mit einem Schlage in dem Masse ausgedehnt werden kann, wie dies die Socialisierung der ganzen Production und Verteilung der Güter erforderte, und das Gleiche gilt von den Productionsgenossenschaften. Nichts ist in dieser Beziehung lehrreicher, als das Zögern – um mich nicht eines stärkeren Ausdruckes zu bedienen – der Grosseinkaufsgenossenschaft der englischen Consumvereine, die über ein fast unbeschränktes Capital und eine ungeheure Kundschaft verfügt, sobald es sich um die Uebernahme eines neuen Productionszweiges. handelt.

Es ist allgemein bekannt, dass die Ursache dieses Zögerns zum grossen Teile in der wachsenden Schwierigkeit beruht, so viele Productionszweige zu leiten und zu beaufsichtigen. Und dennoch, welch geringen Teil der nationalen Production stellt die Grosseinkaufsgenossenschaft erst dar! Im Jahre 1897 beschäftigte sie im Ganzen 5.663 Arbeiter.

Andererseits, wenn der Staat oder die Communen Industrieen oder öffentliche Dienste socialisieren, so machen sie ihre Entscheidungen nicht von dem Grade der Centralisation der in Frage stehenden Industrieen oder Dienste abhängig, sondern von Gründen des Nutzens für das Gemeinwesen.

Kautsky erblickt in dieser Auffassungsart den Beweis meiner eklektischen Denkweise, welche Denkweise für ihn ein wahres Schreckgespenst ist. Ueberall da, wo ich es ablehne, die Fragen nur von einer Seite her anzusehen, constatiert er die verhängnisvollen Folgen dieses verwünschten Eklekticismus. So ist er denn auch aufs höchste darüber entsetzt, dass ich die englisch-österreichische Werttheorie (Jevons-Boehm) neben der von Ricardo-Marx zulasse. Zwei sich widersprechende Werttheorieen gelten zu lassen und trotzdem von der Notwendigkeit zu sprechen, Einheit in die marxistische Theorie zu bringen, erscheint ihm als der Gipfel der Verworrenheit. Er sieht nicht, dass die marxistische Werttheorie, wie wir sie kennen, nur dem Anscheine nach einheitlich ist. Sie ist auf der Verschmelzung zweier durchaus incommensurabler Principien aufgebaut, der zur Production notwendigen Arbeitszeit und des socialen Nutzens. Um die Gesetze des Mehrwerts zu untersuchen, abstrahiert Marx von der Frage der Nützlichkeit (Bedarf), d.h. er nimmt für den Verlauf gewisser Perioden eine durchschnittliche Ausgleichung von Angebbt und Nachfrage an. Aber er giebt zu oder hebt selbst zu verschiedenen Malen im III. Bande des Capital hervor, dass eine tiefere Analyse des socialen Nutzens geboten ist. Wenn nun die Analyse des Arbeitswerts nicht ohne Äbstraction von Angebot und Nachfrage oder vom socialen Nutzen erfolgen kann, so erfordert augenscheinlich die Analyse von Angebot und Nachfrage die Voraussetzung, der Productionskosten, d.h. der in den Waren krystallisierten Arbeit, woraus

sich ergiebt, dass im Princip die eine dieser Abstractionen nicht richtiger oder falscher ist, als die andere. Ihre Berechtigung hängt von dem Zwecke ab, zu welchem die Analyse unternommen wird, und ich bin von diesem Gesichtspunkte aus mehr als je der Meinung, dass, wenn auch für die Untersuchungen von Marx seine Abstraction vollständig gerechtfertigt war, sie nicht mehr statthaft ist, sobald es sich darum handelt, den Wert als preisbestimmenden Factor zu analysieren.

Bedeutet diese Feststellung die Preisgabe der Einheitlichkeit des Gedankens? Ich glaube es nicht. Vielmehr meine ich, dass sie dieselbe wiederherstellt. Von Eklekticismus kann hier nicht die Rede sein. Der Fortschritt der Wissenschaft beruht auf der Unterscheidung des von Natur Verschiedenen. Kautsky giebt selbst zu, dass in der Werttheorie von Marx Lücken vorhanden sind. Er wirft mir vor, dass ich sie durch Einführung von Ideen ausfüllen will, die der marxistischen Theorie fremd und feindlich, die zum Zwecke der Widerlegung des Marxismus ausgearbeitet worden seien. Und wenn dem nun so ist? Der Marxismus ist kein definitives System; er macht Anspruch auf Wissenschaftlichkeit, und für die Wissenschaft handelt es sich nicht um die Frage, zu welchem politischen Zwecke oder mit welcher politischen Absicht eine Theorie ausgearbeitet worden ist, sondern darum, ob sie richtig ist, oder nicht. Der absolute Widerspruch zwischen der Theorie vom Arbeitswert und der Theorie vom Nutzwert konnte sehr wohl in der Vorstellung der Oekonomen bestehen, welche die letztere ausgearbeitet haben, um die erstera zu widerlegen, aber er braucht darum noch nicht notgedrungen in der Wirklichkeit zu existieren. Es ist in der Geschichte der Wissenschafter) häufig vorgekommen, dass ein ursprünglich zum Zwecke der Widerlegung eines ändern aufgestellter Satz schliesslich als dessen Ergänzung anerkannt wurde.

Dem Leser wird der Unterschied zwischen meiner Art und Weise der Untersuchung der socialistischen Probleme und derjenigen der mir von Kautsky entgegengebrachten Kritik klar sein. Es liegt mir nicht ob, diese letztere zu qualificieren; mir genügt es, zu zeigen, welches der Unterschied ist, damit der französische Leser versteht, wie Kautsky dahin gelangen konnte, mein Buch als einen vollständigen Bruch mit dem Marxismus zu bezeichnen.

Was die von mir besprochenen praktischen Fragen betrifft, so bitte ich den Leser, nicht aus den Augen zu verlieren, dass ich nur einen flüchtigen Blick auf die gegenwärtigen Aufgaben der deutschen Socialdemokratie werfen wollte. Und was die taktischen Fragen angeht, so wird er nicht vergessen, dass meine Ausführungen sich auf die jetzige politische Lage Deutschlands, insbesondere Preussens, beziehen.

Es ist bekannt, dass Engels einige Monate vor seinem Tode erklärt hat, dass es im Interesse der deutschen Socialdemokratie liege, Zusammenstösse zwischen ihren Kräften und der bewaffneten Macht des Staates möglichst zu vermeiden. Wohlan, wenn man diesem Satz zustimmt, so muss man auch die Consequenzen daraus ziehen. Deshalb habe ich es für nützlich gehalten, mich gegen den Gebrauch einer Phraseologie Einzusprechen, welche die Vermutung entstehen lässt, dass die Partei im Gegenteil solche Conflicte herbeizuziehen wünscht. Die betreffenden, an einige Collegen der deutschen socialistischen Presse gerichteten beiläufigen Bemerkungen sind als eine allgemeine Kritik der Partei aufgefasst worden und haben mir vielleicht mehr Angriffe zugezogen, als alle meine Sünden an der Lehre selbst.

Dasselbe war der Fall mit meinen Bemerkungen über den Liberalismus. Obwohl ich sehr bestimmt zwischen der allgemeinen historischen Bewegung und den Parteien, die sich heute liberal nennen, unterschieden habe, bin ich mit Angriffen überhäuft worden, dass ich die Liberalen verteidigt und aus der socialistischen Partei einfach ein Anhängsel der bürgerlichen Parteien habe machen wollen. Ich bedaure dies Missverständnis, aber ich kann von dem, was ich über diesen Gegenstand geschrieben habe, nichts zurücknehmen. Und wenn man in den erwähnten Bemerkungen eine Art Concession an den Anarchismus entdeckt hat, so kann ich nur darauf antworten, dass ich zwar entschiedener Gegner desjenigen Anarchismus bin, der Raub und Mord predigt, und dass ich Gegner desjenigen Anarchismus bin, welcher die Bedeutung der politischen Action der Arbeiterklasse und der Anwendung der Gesetzgebung verkennt, dass ich aber schon seit langem in dem freiheitlichen Anarchismus eine natürliche und heilsame Reaktion gegen den übertriebenen Staatsgedanken erblicke. Vor mehr als vier Jahren schrieb ich in der Neuen Zeit, dass es meiner Ansicht nach nicht die Mission der Socialdemokratie sei, eine Generation heranzubilden, welche auf den Staat als den grossen Spender aller Dinge emporblickt. Man findet ferner in dem Abschnitt III. des 4. Capitels meines Buches einen Satz, der vom Jahre 1890 datiert und in demselben Sinne gehalten ist. Ich bin fest davon überzeugt, dass die ökonomischen Schöpfungen der Arbeiterclasse eine grössere Bedeutung haben, als nur ihrer politischen Action Stüze zu leihen.

Ich wiederhole, dass ich meine Gedanken nicht als ihrem Wesen nach neu hinstelle. Andererseits würde es übertriebene Bescheidenheit sein, auf jedes Verdienst verzichten zu wollen. Ich glaube, dass ich mich durch die Art und Weise der Problemstellung verdient gemacht, und auch, dass ich über die eine oder andere theoretische Frage etwas Neues vorgebracht habe. Doch weiss ich sehr wohl, dass ich mit den meisten meiner Bemerkungen nur wiederhole, was andere schon vor mir ausgesprochen haben. Ich hätte gern die Schriftsteller aufgezählt, die mir in der Richtung, der ich folge, vorangegangen sind, aber ich verzichte darauf, weil die Liste zu lang werden würde. Man würde Socialisten aller Länder und Schulen, zeitgenössische Socialisten und Socialisten früherer Generationen darauf finden. Wenn man die meisten meiner Bemerkungen als Gemeinplätze hinstellt, so werde ich mich nur darüber freuen. Klagt man mich des Eklekticismus an, so werde ich mich nur sehr sanft verteidigen. Ich erkenne durchaus die Wichtigkeit methodischer Forschung und systematischer Classifikation der Thatsachen an, und in meinen Augen beruht ein grosser Fehler des Marxismus, so wie derselbe von seinen Gründern aufgestellt worden ist, in dem Mangel an systematischen Darlegungen. Aber ich behaupte auch, dass das Leben der modernen Völker zu compliciert ist, um sozusagen in den engen Raum eines einzigen Princips zusammengefasst werden zu können. Wenn die deductiven oder speculativen Methoden für specielle Forschungen grosse Dienste leisten können, so sind sie doch für eine erschöpfende Erfassung des Ganzen durchaus ungenügend.

Ich habe es an anderer Stelle ausgesprochen: Einheit ist für mich nicht Einförmigkeit. Selbst wenn es uns gelingen sollte, auf unanfechtbare Weise das letzte Gesetz und die einfachste Form dessen, was wir Weltsubstanz nennen, festzustellen, und wenn wir in unsern Laboratorien alle ändern Elemente in diese letzte Form auflösen könnten, so würden wir deswegen doch nicht der Notwendigkeit überhoben sein, die entwickelten Formen dieser Substanz und die entwickelten Formen ihrer Eigenschaften für unser praktisches Handeln in Rechnung zu ziehen. – In ihrem bestimmten Gebiete bleiben sie für mich unterschiedene Causalitäten. Geradeso ist es mit den Elementen unseres socialen Lebens. [4] Um dieses Leben in allen seinen vielfältigen Formen zu erfassen, muss man die synkretische oder eklektische Methode zu Hilfe nehmen.

Im praktischen Leben thun wir es alle. In der Theorie wird es oft durch die Notwendigkeit unmöglich gemacht, den Einfluss eines Princips, oder einer Kraft klar und deutlich zur Erkenntnis zu bringen. Deshalb stehen die Theorieen so häufig mehr dem Anscheine nach als in der Wirklichkeit mit einander im Widerspruch. Auf dieselben Thatsachen gegründet, sie aber unter anderen Gesichtspunkten beleuchtend, sind die einen nicht falscher oder nicht richtiger, wie die anderen. Sie schliessen sich nicht aus, sondern sie ergänzen sich.

Aber gerade dies wollen die doctrinären Gemüter nie zugeben: daher der entsetzte Ausruf einiger Marxisten hinsichtlich meiner: Er lässt Proudhon wieder aufleben. Ich habe ihnen erwidert, dass nicht ich, sondern die Wirklichkeit der Dinge den Verfasser der Capacités politiques de la classe ouvrière wieder zum Leben bringt. Die Kritik, die Marx an Proudhon geübt hat, wird darum nicht ungiltig erklärt: nur trifft sie diesen Denker nicht in allem, was er gesagt hat. Ebenso ist es mit andern Socialisten, die man für veraltet oder sogar für vollständig vergessen gehalten hat. Die grosse socialistische Bewegung von heute lässt bie in der teilweisen Verwirklichung ihrer Ideen wieder auferstehen.

„Es ist sehr leicht, in der Polemik einen Schriftsteller niederzuschmettern. Aber es kann doch höchstens gelingen, seine Marotten und Schwächen zu vernichten. Was er an lebensfähigen Ideen geliefert hat, wird selbst durch die geistreichste Polemik nicht aus der Welt geschafft.“

So äusserte ich mich vor fünf Monaten über diesen Gegenstand, und was seither geschehen ist, ist nicht der Art, mich an der Richtigkeit dieser Worte zweifeln zu machen.

Während ich dieses Vorwort schrieb, hat der Congress der deutscher, socialdemokratischen Partei in Hannover seine Sitzungen abgehalten. Einebeträchtliche Zeit ist daoei dem vorliegenden Buche gewidmet worden. Leidenschaftliche Gemüter hatten ihm ein vernichtendes Verdikt prophezeit, und an Reden, die auf die Erzielung eines solchen hinzielten, hat es nicht gefehlt. Aber der gesunde Verstand und die praktische Erfahrung der Partei haben den Sieg über den Kirchengeist, davongetragen, und .das Endergebnis war eine Resolution, deren eine Teil höchstens die Form trifft, welche der Verfasser seinen Ideen gegeben hat, während der andere Teil ihrem Inhalte bedeutende Zugeständnisse macht. Es bezieht sich dies auf die Zulassung von Wahlbündnissen, auf die Anerkennung der Nützlichkeit der Wirtschaftsgenossenschaften für das Werk der Emancipation der Arbeiter, sowie auf die Preisgabe der Idee, dass das gegenwärtige Parteiprogramm über die Verkündigung der Principien und der fundamentalen Forderungen hinaus bindend sein soll. Der Ketzerei an den fünf ersten Absätzen des Erfurter Programms beschuldigt, habe ich anzuerkennen, dass der Parteitag vernünftig genug gewesen ist, in der besagten Resolution garnicht darauf einzugehen.

Es würde weder von gutem Geschmack zeugen, noch der Wirklichkeit entsprechen, wenn ich mich des Sieges rühmen wollte.

Dennoch wird man dem Verfasser das Recht zugestehen, es zum Schlüsse auszusprechen, dass er sich in den im vorliegenden Buche niedergelegten Ueberzeugungen in keiner Weise erschüttert fühlt.

Fußnoten

1. Karl Kautsky: Bernstein und das socialdemokratische Programm, Stuttgart 1899; Verlag von J.H.W. Dietz Nachf.

2. Es sei hier darauf hingewiesen, dass dieselben von Marx herrühren.

3. Dass diese Auseinandersetzung nicht überflüssig ist, geht deutlich aus einigen Stellen der Bebelschen Rede hervor, wo objective Notwendigkeit und Notwendigkeit im Hinblick auf vorgefasste Ziele wiederholt mit einander verwechselt werden. So wirft mir Bebel vor, dass ich reactionärer sei als der bürgerliche Professor Sombart, der sich in einem zu Breslau gehaltenen Vortrage gegen die künstliche Erhaltung der kleinen Handelsbetriebe ausgesprochen habe. Doch wird man in meinem Buche nicht eine einzige Zeile finden, wo ich eine solche künstliche Erhaltung empfehle. Ich sage nur, was Sombart auch bestätigt, dass diese Betriebe nicht auf automatische Weise, durch objective ökonomische Notwendigkeit verschwinden.

Ein anderer Irrtum, der sich übrigens auch bei Kautsky findet, ist der, dass Bebel das, was ich von der factischen Verteilung des socialen Mehrproducts constatiert habe, mit einer Verteidigung der Verteilung des Ertrags der Gesamtproduction verwechselt. Wenigstens dreiviertel der Bebelschen Rsdc beruhen auf ähnlichen Irrtümern.

4. Die Neue Zeit 1898-99, Bd.II., pag.851.


Zuletzt aktualisiert am 16.10.2008