Protokoll des Internationalen Arbeiter-Congresses in Paris (1889)

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Dinstag, den 16. Juli. Vormittags-Sitzung

Den Vorsitz führt der Bürger Deville, der um die größte Ruhe bittet. Er ist entschlossen, die vom Congreß selbst im Interesse Aller festgesetzten Ordnungsregeln voll zur Geltung zu bringen. Er wird deshalb keine Bitte ums Wort berücksichtigen weiche ihm nicht schriftlich zugestellt ist; dagegen kann jeder, der auf der Rednerliste steht, mit Sicherheit daran rechnen, an’s Wort zu kommen, wenn er an der Reihe ist. Zunächst bezieht sich die Debatte, welche sogleich beginnen wird, aus die Verschmelzung der Congresse, und nur auf diese Fragen.

Nach der Verlesung der Telegramme und Zustimmungsbriefe schlägt der Präsident vor, die Redezeit für jeden Redner aus 5 oder 10 Minuten zu beschränken. Der Congreß entscheidet sich für 5 Minuten, macht aber auf die Bitte des Bürgers Lafargue eine Ausnahme für die Referenten, deren Zeit nicht beschränkt sein soll.

Bürger Andrea Costa zeigt an, daß außer den bereits vertretenen socialistischen Arbeiter-Organisationen das Central Comitee der Italienischen Arbeiter-Partei, welches über 10,000 Mann hinter sich hat, und zwar zum großen Theile Landleute, als Delegirten den Bürger Croce sendet. Außerdem haben zwölf Arbeitergruppen in Rom 14 ein Telegramm gesandt, in welchem sie ihre Wünsche für die Wiederherstellung der Internationalen Arbeiterassociation ausdrücken. Bürger Costa schließt sich von ganzem Herzen zu Gunsten der Verschmelzung der beiden Congresse, dem Briefe der Belgischen Arbeiterpartei und der Adresse der Amerikanischen Föderation an. Er hofft, daß der andere Congreß darauf eingehen und daß eine herzliche Verständigung das Ergebniß sein wird.

Bürger Volders kommt aus die Art der Abstimmung zurück, da Bürger Vaillant ihn nicht überzeugt hat. Er unterstützt den Antrag der Belgischen Arbeiterpartei. Seiner Meinung nach hat der Congreß die Aufgabe, die Verschmelzung herbeizuführen Erreicht er nichts als dieses, so wird er schon eine große und wichtige Arbeit erledigt haben. Redner fordert die Verschmelzung im Namen der Belgier, die er vertritt, der Niederländer, der Italiener, kurz fast aller nichtfranzösischen Delegirten. Wir sind – sagt er – eine demokratische Partei, also den Entscheidungen der Majorität unterworfen. Nun, die Majorität will die Verschmelzung; die Verschmelzung muß also zu Stande kommen und persönliche Abneigungen müssen sich unterordnen. Für den Fall jedoch, daß das Verschmelzungsprojekt nicht durchdringt, fordert er für die Belgier die Ehre, auf 1890 oder 1891 nach Belgien den nächsten internationalen Congreß zu berufen, und zwar in einer Weise, welche die Spaltungen begräbt, die bei längerer Dauer mit Nothwendigkeit sich auf die anderen Länder ausdehnen müßten, so daß man überall ein getheiltes, mithin machtloses Proletariat bekäme.

Bürger Cipriani schließt sich den Worten des Bürgers Volders an. Ohne Einigkeit bleiben die Proletarier die Sklaven ihrer Lohnherren. Wir brauchen einen einzigen Congreß in welchem für persönliche Empfindlichkeiten und Führer-Eitelkeiten kein Platz ist. Die persönlichen Fehden müssen zum Frieden kommen. Die Einigkeit der großen Arbeiterfamilie ist unerläßlich für den Kampf gegen die Boulangisten, Bonapartisten und sonstigen Reaktionäre. Die Italiener haben den zwingenden Auftrag erhalten, für diese Einigung alle ihre Kräfte aufzubieten, um das Schauspiel einer Spaltung des Proletariats im Lande der Revolution zu vermeiden. Bürger Cipriani bittet den Congreß inständigst, sich dem Friedensvorschlage zuzuwenden, da der Possibilistencongreß ebenfalls eine Arbeiterpartei vertritt. Zum Schluß ruft er aus: „Die Einigung drängt sich auf!“

Bürger de Paepe ist verwundert darüber, daß das Verschmelzungsprojekt nicht glatt an’s Ziel kommt, wie ein Brief durch die Post. Er ist enttäuscht, weil er die Sache sich in die Länge ziehen sieht. Er ist überzeugt, daß die Einigung von den Veranstaltern beider Congresse gewünscht wird; aber er glaubt, daß es diesem Congresse, als dem socialistischeren und vorgeschritteneren zukommt, die Sache in die Hand zu nehmen und eben dadurch seinen consequenten Socialismus zu bethätigen. Da dieser Congreß überdies einen Tag früher als der anderere eröffnet ist, hätte er schon etwas für die Vereinigung thun können. Bürger de Paepe weiß wohl, daß die Rankünen (der Groll) nicht alsbald verschwinden, aber man könnte doch, ohne der persönlichen Würde etwas zu vergeben, Schulter an Schulter zusammentreten in einem einigen Congreß. Er hofft, daß die Franzosen in Gegenwart der Ausländer sich zur Einigung bequemen werden, in Befolgung des beim Gemeinderath der Stadt Paris von den Erwählten der verschiedenen socialistischen Richtungen gegebenen Beispiels guter Kameradschaft.

Bürger Duprès: Man spricht so viel von der Verschmelzung. Hat man aber auch untersucht, ob eine Verschmelzung möglich ist zwischen revolutionären Socialisten und Cadettisten [1] wie Joffrin? Unsere ausländischen 15 Freunde sind nach Paris gekommen, um sich mit dem arbeitenden und revolutionären Frankreich zu verständigen, nicht mit den Verbündeten des bürgerlichen Radikalismus und des Opportunismus. Was würden z. B. die so vorgeschrittenen deutschen Socialisten von uns denken, wenn sie sähen, wie wir uns vor den Bundesgenossen der Ranc und Clemenceau auf den Bauch werfen? Die Socialisten können nicht zu den Possibilisten kommen, weil die letzteren lediglich Bourgeois-Politiker sind, und weil die ausländischen Socialisten sich nicht auf eine Vereinigung mit Bourgeois einlassen würden. Daß es trotz alledem bei den Possibilisten überzeugte Socialisten gibt, bestreitet Niemand. Aber mögen dieselben doch zu uns kommen, und die Anderen mögen wegbleiben!

Bürger Liebknecht bemerkt, daß vor den Belgiern und Italienern, bereits in der Eröffnungs-Sitzung, die Delegirten von Berlin, als die Ersten, den Vorschlag der Verschmelzung der Sprache gebracht haben. Die Deutschen haben von jeher die Verschmelzung begünstigt und stehen auch noch auf diesem Standpunkt. Aber es handelt sich darum, eine angemessene Form zu finden, welche Niemanden kränkt und Niemanden herabwürdigt und kein Mißtrauen hervorruft; ohne eine solche Form würde man durch die Verschmelzung nur einen neuen Eris-Apfel unter die Socialisten werfen. Es ist ganz unmöglich, die Verschmelzung um jeden Preis zu verlangen. Eine solche Forderung hätte die Bedeutung eines Tadelsvotums gegen die Veranstalter des Congresses, welche ihre Pflicht vollständig erfüllt und alles Mögliche gethan haben, um die Einigung herbeizuführen. Die Einigung ist unzweifelhaft eine sehr schöne Sache; aber man wird sie nicht zu Gunsten Derer ausführen können, welche die Schuld dafür trifft, daß die Eintracht noch nicht vorhanden ist, und zum Schaden Derer, welche, wie die Haager Conferenz und die Pariser Organisations-Commission, Alles gethan haben, um die Eintracht herbeizuführen. Redner erzählt die Vorgeschichte des Internationalen Congresses von Paris. Er erinnert daran, daß zunächst die deutsche Socialdemokratie durch den Congreß von St. Gallen beauftragt war, einen Internationalen Congreß zu veranstalten. Dieser Congreß war in bester Vorbereitung, als man erfuhr, daß die englischen Trades Unions einen Internationalen Congreß nach London für 1888 zusammenberiefen. Die deutsche Socialdemokratie verzichtete sofort auf ihren Congreß, um sich dem Londoner anzuschließen, in der sicheren Annahme, daß das Parlamentarische Comitee der Trades Unions Bedingungen zulassen würde, welche annehmbar wären auch für die Länder, die in Folge einer abnormen Gestaltung der öffentlichen Zustände den Delegirten ihrer mächtigen Arbeiter-Organisationen kein reguläres Mandat mitgeben könnten. Statt dessen machte das Parlamentarische Comitee derartige Anforderungen, daß weder die Deutschen noch die Oesterreicher an einem solchen Congreß hätten Theil nehmen können. Hätte man unter den in London geforderten Bedingungen Mandate beigebracht, so hätte das in den beiden genannten Ländern die Auslösung aller Arbeiter-Organisationen und die Confiskation ihrer Kassen zur Folge gehabt. Vergeblich setzten sich die deutschen Socialisten mit dem Comitee der Trades Unions in Verbindung, um annehmbare Bedingungen zu erlangen. Dasselbe hielt seine Prätensionen aufrecht, was für die Praxis auf die systematische Ausschließung von Deutschland und Oesterreich hinauslief. Die Schweizer und Amerikaner hielten sich grundsätzlich und demonstrativ von einem solchen 16 Congreß zurück, indem sie gegen denselben protestirten. Der aus diese Weise constituirte Londoner Congreß und seine Beschlüsse können also für die deutschen Socialisten nicht den geringsten Werth haben. Die Deutschen hatten aber noch einen zweiten Grund, sich von dem Internationalen Pariser Congress zurückzuhalten, der in London beschlossen wurde, und mit dessen Organisation eine einzige Fraktion des französischen Proletariats beauftragt war: dieser neue Internationale Congreß wurde nämlich genau nach dem Muster des ersten einberufen. Indessen berief die andere Fraktion des französischen Proletariats ihrerseits einen Internationalen Congreß nach Paris ein mit den liberalsten Grundsätzen der Zulassung. Die Welt des Proletariats sollte also zwei internationale Congresse zu sehen bekommen. Da unternahmen die Deutschen einen Versuch, behufs eines einigen Congresses eine Verständigung herbeizuführen. Diese Verständigung sollte von einer Internationalen Conferenz ausgehen, die, ursprünglich für Nancy verabredet – das als der bequemste Begegnungsort für die Franzosen angesehen wurde –, schließlich im Haag zu Stande kam. Beide französische Fraktionen waren ohne Parteilichkeit dahin eingeladen. Aber die Possibilisten blieben weg: sie weigerten sich hinzukommen unter Angabe rein formeller Gründe. Trotz ihres ablehnenden Verhaltens beherrschte der Geist der Versöhnlichkeit die Conferenz, wie unsere belgischen Freunde und Genossen Anseele und Volders es bezeugen können. Man bewilligte die Anerkennung des vom Londoner Congreß den Possibilisten gegebenen Mandats, wie unvollkommen es auch war. Man stellte nur zwei Bedingungen: erstens, der Congreß soll souverän sein in der Bestimmung über seine Tagesordnung und in der Prüfung der Vollmachten seiner Mitglieder; zweitens, die Einberufung soll von allen Socialistenparteien ausgehen und zugleich von den Possibilisten und von den Bevollmächtigten der Congresse von Bordeaux und Troyes unterzeichnet sein. Die Possibilisten lehnten diese so vollkommen gerechten beiden Forderungen rundweg ab. Eine Congreß berufung von unserer Seite war also unvermeidlich. Trotz alledem sind wir heute noch für die Einigung; aber, wie ich schon erklärt habe; wir müssen eine Form finden, welche uns nicht Denen zu Füßen wirft, welche bisher jeden Ausgleich vereitelt haben. Liebknecht verliest daraus die nachfolgende Resolution und fügt mit Nachbruck hinzu: „So weit wie diese Resolution können wir gehen. Es ist sogar nöthig, daß wir bis dahin gehen; weiter aber zu gehen vermag ich für mein Theil nicht, ohne meine Freunde und meine Ehre preiszugeben.

Wortlaut der Resolution Liebknecht:

Der Congreß erkennt an, daß die Mitglieder der Haager Conferenz und des Pariser Organisationscomitee’s ihren aufrichtigen Wunsch bethätigt haben, eine Verständigung aller socialistischen Parteien und Arbeiter-Organisationen betreffs des Internationalen Congresses herbeizuführen, und bedauert, daß die behufs einer solchen Verständigung gethanen Schritte nicht zum Ziel geführt haben.

Wir sprechen aus, daß die Einigung die unerläßliche Vorbedingung für die Befreiung des Proletariats ist, und daß es demnach die Pflicht jedes Socialdemokraten ist, keinen Schritt zu unterlassen, welcher zur Unterdrückung der Zwietracht beitragen könnte.

Der Congreß erklärt sonach, daß er auch jetzt noch zur Verständigung und Einigung bereit ist, vorausgesetzt, daß die Gruppen des anderen Congresses eine Resolution in diesem Sinne annehmen, welche für alle Mitglieder unseres Congresses annehmbar ist.

Bürger Tressaud (Marseille) bekämpft jede Einigungs-Idee, auch die Resolution Liebknecht, und zwar aus verschiedenen Gesichtspunkten. Zunächst aus materiellen Gründen. Die ganze Arbeit der Constitution 17 des Congresses müßte wieder von vorne anfangen; man müßte ein neues Lokal aussuchen u. s. w.. Sodann und vornehmlich; wir können uns nicht mit unseren schlimmsten Feinden verbünden. So wenig sich die deutschen Socialisten mit den PseudoSocialisten à la Bismarck verbünden können, so wenig ist es uns möglich, uns den Helfershelfern von Ferry und Clemenceau anzuschließen. Man sagt uns immer, Boulanger ist der Feind; aber er ist nicht der einzige Feind. Neben ihm steht Ferry. Und wir können unsere Hand nicht in die Hand der Bourgeois legen, die uns beherrschen und unterdrücken. Tressaud legt demnach im Namen der 58 Gewerkschaften von Marseille, welche er vertritt, eine Resolution folgenden Wortlauts au den Tisch des Bureau’s:

In Anbetracht, daß der Internationale revolutionäre Socialistens-Congreß aus der Vereinigung der nationalen Congresse von Marseille, Havre etc. mit den in Lyon, Montluçon und Bordeaux abgehaltenen Congressen der Arbeiter-Gewerkschaften hervorgegangen ist, daß er demnach der ächte Congreß der socialistischen Arbeiterpartei ist, daß seine Thore auch jetzt noch allen socialistischen Gruppen und Zirkeln offen stehen, wie auch den Arbeiter-Gewerkschaften

daß ferner jedes Entgegenkommen zur Einigung den Veranstaltern des Dissidenten-Congresses dargeboten ist; daß eine Conferenz über diesen Gegenstand im Haag abgehalten ist und daß sie nur negative Resultate ergeben hat; daß die Dissidenten jede Versöhnung von sich gestoßen haben, aus politischen Motiven, welche sie nicht eingestehen können, und deren Sinn unseren Freunden aus der Fremde vielleicht nicht klar wird; welche aber von den französischen Socialisten vollkommen durchschaut werden aus diesen Gründen beschließt der Congreß, daß es nicht angebracht ist, Leuten auf’s Neue entgegenzukommen, welche schon seit langer Zeit Hand in Hand mit den schlimmsten Feinden der Arbeiter marschiren – mit den Opportunisten und Bourgeois-Radikalen, mit denen sie die schmachvolle Allianz der Rue Cadet geschlossen haben –

und geht zur Tagesordnung über.

Dem ungeachtet rufen wir allen Delegirten der Gruppen, Zirkel und Gewerkschaften auf’s Neue zu, daß sie mit der Herzlichkeit aufgenommen werden, welche in der Natur unabhängiger Socialisten liegt.

Zum Schluß bemerkt Bürger Tressaud: „Sie sehen also, daß wir Niemand ausschließen wollen. Alle Organisationen, welche sich uns nähern, sollen willkommen sein.“

Bürger Morris (England) ist ebenfalls für einen Congreß, der Allen offen steht, hält aber die Verschmelzung für nicht ausführbar. Die hier vertretenen Parteien haben diesen Congreß als einen wirklich socialistischen gewählt und werden nirgendwo sonst hingehen können. Was wir anstreben, das ist eine Umwandlung der Grundlagen der Gesellschaft, d. h. die Emancipation der Arbeit durch entsprechende Neugestaltung aller Verhältnisse, während man auf dem anderen Congreß sich begnügen will, das Schicksal der modernen Sclaven in Grenzen, die mit der heutigen Ordnung der Dinge verträglich sind, zu veranlassen. Die Possibilisten pflegen nur einen Wahl-Opportunismus, aber keinen Socialismus. Wenn wir zum anderen Congreß übergingen, würden wir nur einer Bourgeois-Versammlung die socialistische Marke aufdrücken. Unser Congreß steht allen Menschen offen, die guten Willens sind, aber die Verschmelzung ist eine vollkommene Unmöglichkeit Die beiden Congresse sind zu verschiedenartig um sich verschmelzen zu können. Hier erstrebt man die Abschaffung des Arbeitslohnes, dort nichts als schwächliche Reformen. Wir sind revolutionäre Socialisten und haben nichts zu schaffen mit Cadettisten.

18 Bürger Lafargue übersetzt die Rede von Morris ins Französische.

Bürger Costa (Italien) protestirt gegen die Uebersetzung des Bürgers Lafargue, und behauptet, daß dieselbe „zu frei“ sei.

Der Vorsitzende bemerkt dem Bürger Costa, daß Bürger Morris französisch versteht, da er sich als Uebersetzer aus dem Englischen in’s Französische hat einschreiben lassen, und daß er demnach selbst in der Lage wäre, gegen eine ungenaue Uebersetzung seiner Rede zu protestiren. Gleichwohl ist Bürger Morris zufrieden.

Bürger Lavigne (Bordeaux): „Wir haben immer die versöhnlichste Gesinnung bewiesen. Lafargue, unser Delegirter bei der Conferenz, hatte den Auftrag, sich allen auf der Haager Conferenz etwa hervortretenden Einigungs-Bestrebungen anzuschließen, und er hat seinen Austrag getreulich ausgeführt, wovon Anseele und Volders sich haben überzeugen können, ebenso wie sie es wissen – denn sie sind es, welche die Haager Vorschläge den Possibilisten übermittelt haben –, mit welcher Schroffheit die Letzteren diese Vorschläge verwarfen. Sollen Die, welche von Anfang an Alles gethan, um eine Einigung herbeizuführen, und welche außerdem stets der socialistischen Sache gut gedient haben, sollen Die sich dass Ansinnen gefallen lassen, vor Jenen sich zu beugen, welche stets die Verständigung schroff ablehnten, während sie gleichzeitig Verrath ans Verrath häuften?“ – Redner dankt den auswärtigen Freunden für ihre guten Absichten. Aber sie müssen wissen, daß man Alles gethan hat um die Doppelheit des Congresses zu vermeiden. Wolle man es den Possibilisten recht machen, so müsse man eine Delegation zu ihnen schicken, was ihnen zum Vorwand gereichen würde, der Welt zu verkünden, unser ohne sie zu Stande gekommene Congreß habe Schiffbruch gelitten, und wir hätten uns unterwerfen müssen. Lavigne legt eine von ihm, Baudin und Dormoy unter-zeichnete Resolution in diesem Sinne vor, zieht sie aber zu Gunsten der Resolution Tressaud zurück.

Bürger Keats (England) meint, daß es materiell unmöglich sei, die beiden Congresse zu verschmelzen. Es ist zu spät. Er meint, ein unter solchen Umständen geeinigter Congreß würde kein Versöhnungswerk zu Stande bringen, sondern sich in einen Debattirklub verwandeln, wenn nicht in ein Schlachtfeld. Man hat ja seiner Zeit die Einladungsschreiben beider Congresse kennen gelernt; ihr Charakter war ein so verschiedener, daß keine Verwechslung möglich war. Die Veranstalter unseres Congresses sind von der Bourgeois-Presse und von den Journalen, welche den Socialistennamen brandmarken, mit Beschimpfungen überhäuft worden. All’ die boshaften Antisocialisten Englands, welche nicht das Loos der Arbeiter, sondern ihre eigene Lage verbessern wollen, sind mit den ihnen ähnlichen possibilistischen Führern zum anderen Congreß gegangen. Sie würden überglücklich sein, nach Bewerkstelligung der Verschmelzung beider Congresse zu den englischen Bourgeois sagen zu können: Wir haben das von Euch uns gegebene Mandat treulich ausgeführt und den Internationalen Socialistencongreß zerstört.

Die Deutschen Delegirten bitten um Schluß der Debatte. Es sind noch 33 Redner eingezeichnet. Bürger Lafargue bittet, ihm zu erlauben, daß er den Commissionsbericht vorlese. Da derselbe bereits an die Delegirten vertheilt ist, wird dieser Antrag abgelehnt.

Bürger Sommer (Dresden) spricht für den Schluß, da seine Collegen und er über den Gegenstand genügend aufgeklärt seien. Die Trades Unions und die Gewerkschaften, welche sich dem Possibilisten-Congreß angeschlossen haben, sind nicht socialistisch, und so gut wie wir uns von den unsocialistischen Vereinen à la Schulze-Delitzsch haben trennen müssen, müssen wir auch den Anderen, den Franzosen, die Freiheit lassen, eine analoge Scheidung vorzunehmen.

Nach einigen Worten von Keir Hardie (England) und Morris England) gegen den Schluß und von Luß (Frankreich) für Uebergang zur Tagesordnung wird der Schluß mit großer Mehrheit angenommen.

19 Bürger de Paepe (Belgien) bittet, an die Abstimmung anknüpfend, um eine Ausnahme zu Gunsten der Nationalitäten, welche noch nicht zur Sache geredet haben und der englischen Delegirten von anderer Ansicht als Keats und Morris.

Dieser Antrag, welcher den Spaniern, Rumänen, Skandinaviern, Oesterreichern und Amerikanern Gehör verschaffen will, wird durch eine Abstimmung für absoluten Schluß verworfen.

Bürger de Paepe, an diese neue Abstimmung anknüpfend, verlangt, daß man die Abstimmung nach Nationalitäten entscheiden lasse.

Der Vorsitzende bemerkt, daß dies die Wiederaufnahme der Debatte unter einer anderen Form wäre.

Bürger Costa (Italien) ersucht den Bürger de Paepe, seinen Antrag zurückzuziehen was geschieht. Nachdem Bürger Mesa (Spanien) erklärt hat, die spanischen Delegirten beugten sich vor dem Willen der Majorität, entscheidet der Congreß über den Antrag des Bürgers Jaclard, es sei in Zukunft vor der Abstimmung zu entscheiden, ob man nach Köpfen oder nach Nationalitäten stimmen wolle. Ein Votum, nach dieser oder jener Art einmal zu Stande gekommen, ist absolut bindend.

Bürger Mesa (Spanien) bittet, in Zukunft möge nicht zur Abstimmung geschritten werden, bevor nicht wenigstens ein Vertreter jeder Nationalität Gehör erhalten habe.

Bürger Werner (Berlin) erklärt vor Verlesung der weiteren Anträge, wenn er in der Eröffnungssitzung Aufschlüsse über die vorbereitenden Schritte behufs der Verschmelzung verlangt habe, so habe er damit nicht den geringsten Tadel gegen die Veranstalter des Congresses aussprechen wollen. Liebknecht habe seitdem die gewünschten Aufschlüsse beigebracht. Redner zieht hieraus seinen Antrag aus der Eröffnungssitzung zurück: „denn wir haben dieselben Gesichtspunkte wie die französischen Marxisten; wir sind unbedingt gegen die Verschmelzung mit den Possibilisten.“

Antrag Vaillant.

Der Congreß erklärt, daß die Haager Conferenz und die Pariser Organisations-Commission alles Mögliche gethan haben, nicht nur, um den Congreß zu Stande zu bringen, sondern auch für die Einigung und Verständigung.

Der Kongreß appellirt an das Zugehörigkeitsgefühl der wenigen Gruppen und Gewerkschaften, welche bis jetzt bei Seite geblieben sind, und geht zur Tagesordnung über.

Bürger Vaillant fügt der Verlesung hinzu: Nach dem, was man gethan hat, kann man nichts mehr thun. Unser Congreß steht Allen offen, welche an demselben Theil nehmen wollen. Wir können keinen Schritt weiter gehen, weil wir ein socialistischer Congreß bleiben wollen.

Antrag Guesde-Deville-Jaclard-Longuet-Lafargue.

In Anbetracht, daß die auf dem von der Haager Conferenz ausgegangenen Congreẞ vertretenen Socialisten-Parteien sich an zahlreichen Versuchen zu einer Verschmelzung beider Congresse betheiligt und alle Anstrengungen gemacht haben, eben diese Einigung zu bewirken, zu deren Gunsten sie sich heute erklären sollen, und daß alle ihre Bemühungen gescheitert sind,

In Anbetracht, daß ein Versuch neuer Schritte nicht von Denen zu verlangen ist, welche sich stets bereit zur Einigung erklärt und welche dabei bis heute nur Abweisungen erfahren haben, fordert der Congreß die Fürsprecher dieser neuen Schritte auf, sich zunächst nicht an Die zu wenden, welche bereits in die Verschmelzung eingewilligt haben, sondern an Die, welche sie zurückgestoßen haben, verschiebt jede Entscheidung bis dahin, wo er einen förmlichen Antrag der Letzteren vor sich sehen wird, und geht zur Tagesordnung über mit der Bemerkung, daß er nach wie vor allen socialistischen Arbeitergruppen offen ist.

20 Bürger Jules Guesde bemerkt, diese Tagesordnung bezwecke eine Vertauschung der Rollen zu verhindern. Es gehört sich nicht, daß Diejenigen, welche immer nach der Verständigung gestrebt haben, so dargestellt werden, als hätten sie dieselbe vereitelt.

Antrag Domela-Nieuwenhuis.

Der Congreß

Mit Bedauern wahrnehmend, daß alle Bemühungen, sich zu einem einzigen Congreß zusammenzuschließen, resultatlos geblieben sind,

In Anbetracht, daß die Tagesordnung beider Congresse fast ganz dieselbe ist,

In Anbetracht, daß die Einigung der Arbeiter der ganzen Welt die Pflicht Aller ist,

Beschließt, daß die Verschmelzung beider Congresse angenommen ist, daß man die Giltigkeit der Mandate hüben und drüben anerkennt, und daß, sobald der andere Congreß eine gleiche Resolution angenommen hat, eine Commission gewählt werde, um sich über die Einigung zu verständigen.

„Ich muß von vornherein – sagt Bürger Domela-Nieuwenhuis – um Ihre Nachsicht bitten, denn ich kann nicht laut sprechen: das viele Hin- und Herreden hat mich beinahe meiner Stimme beraubt. Ich meine, daß unsere Resolution nicht vieler Worte bedarf, denn sie spricht für sich selbst. Wir Anderen, die wir nicht in Frankreich wohnen, wollen uns nicht in Streitigkeiten der französischen Socialisten einmischen, aber wir wollen auch nicht, daß diese verschiedenen Zwistigkeiten über ihr Gebiet hinausgreifen und international werden. Wir wollen eine internationale Verständigung, keine internationale Spaltung. Wir haben nicht zu untersuchen, wer an dieser bedauerlichen Differenz die Schuld trägt, aber uns alle berührt die Thatsache, daß es zwei Congresse gibt mit fast derselben Tagesordnung: Haben wir nicht die heilige Pflicht, alles Mögliche zu thun, um die zwei Congresse zu einem zu machen, wenn wir auch dabei unsere Eigenliche zum Opfer bringen müssen? Mich dünkt – Ja! Als ich in unsern Saal trat, war das Erste, was ich sah, das Wort unseres erlauchten Freundes und Meisters Karl Marx, das Testament, welches er uns hinterlassen hat: „Proletarier aller Länder, vereinigen wir uns!“ Marx hat nicht gesagt: Socialisten aller Länder!, sondern schlechthin: Proletarier aller Länder! Wohlan, wir verkündigen dies Evangelium! Wir dürfen diese Lehre nicht ein todtes Wort bleiben lassen, wir müssen sie in der Praxis bethätigen. Man sage nicht: „Es gibt nur Eine wirklich katholische Kirche und Alle Andern sind Ketzer und Dissidenten.“ Ich weiß es, die Possibilisten haben uns in ihrem Blatte „Le Parti Ouvrier“ („die Arbeiterpartei“) schon ebenso genannt. Aber das ist für uns kein Grund, ihnen auf diesem Wege zu folgen. Es wäre das auch, so zu sagen, eine Advokaten-Spitzfindigkeit, denn wer wird behaupten, das Programm der Possibilisten Frankreichs, das Programm der Social-democratic Federation [2] Englands sei nicht socialistisch? Wer wird sagen, man habe im Vorjahre in London nicht den Beschluß gefaßt, einen socialistischen Congreß abzuhalten? Nein, wir wollen nicht untersuchen, wer von beiden Recht hat, aber in diesem Moment, wo das Auge der ganzen Welt auf Paris und die Haltung der Socialisten gerichtet ist, wäre es zu beklagen, wenn die bürgerliche Welt das Vergnügen genösse, im socialistischen Lager eine Theilung zu erblicken. Die Theilung ist ihr Triumph und unsere Schande! Wenn die Delegirten von überall einstimmig sagen: „Wir feiern den Jahrestag der französischen Revolution! Wir halten es für eine vortreffliche Idee, daß sich auf diesem Feste die Socialisten der ganzen Welt zusammenschließen“, – 21 wohlan sohaben wir das Recht zu verlangen, daß die beiden Socialistenparteien Frankreichs für diesen Augenblick einen Waffenstillstand machen, damit wir, zu unserer Freude und zum Wohle des gesammten Proletariats, der ganzen Welt das Schauspiel zweier zur selben Zeit in derselben Stadt mit dem selben Zweck und mit fast derselben Tagesordnung versammelten Congresse ersparen. Ich hoffe, Jeder wird sich unserer Anschauung in der vorgeschlagenen Form anschließen, welche auf beiden Seiten Keinen verletzt, damit wir sagen können: Wir verwerfen die Einigung nicht! Im Gegentheil, wir liefern eine Probe, daß wir zu Opfern bereit sind. Es gibt hier zwei Strömungen, von denen die eine sagt, daß sie die Einigung überhaupt nicht will. Das sind die Franzosen und viele von den Engländern bei denen die Lage ebenso ist wie in Frankreich, in Folge der Differenzen zwischen der Socialist League und der Social-democratic Federation. Wenn diese so gesprochen haben, so frage ich sie, ob denn die Bemühungen, von welchen Liebknecht berichtete, eine Comödie gewesen sind? Ja oder nein? Will man die Einigung, so muß man Bedingungen suchen, welche sie möglich machen. Nicht was uns trennt, sondern was uns verbindet, bildet unsere Stärke gegen unsern gemeinsamen Feind – und wir haben einen gemeinsamen Feind, den wir alle bekämpfen, den Kapitalismus. Wohlein, meine Freunde, der Kapitalismus wird zittern, wenn er die vereinigten Socialisten gemeinsam gegen ihn marschiren sieht. Unser Kriegsruf lautet: „Nieder mit dem Kapitalismus! Hoch der revolutionäre Socialismus!“

Bürger Domela, der mit lang anhaltendem Beifall begrüßt wurde, endigt unter lebhaftem Beifall.

Bürger Deville entschuldigt sich, weil er seine Pflicht als Vorsitzender verletzt hat indem er dem Bürger Domela erstens eine mehrmals geschlossene Debatte wieder eröffnen und zweitens länger als 5 Minuten reden ließ. Er hat so gehandelt aus Achtung vor einem Mann, der für die Arbeitersache so Vieles geopfert und so Vieles gelitten hat.

Bürger Merlino (Italien) schließt sich dem Antrag Nieuwenhuis an.

Bürger Adler (Oesterreich) protestirt energisch im Namen der Oesterreicher gegen das Gerede einiger Personen, die österreichische Arbeiter-Partei sei auf dem Possibilisten-Congreß vertreten. Alle Delegirte dieser Partei sind hier, auf dem Socialisten-Congreß. wo sich die internationale Demokratie vereinigt findet. Wir sind für die Einigung, aber wenn man sie will, muß man es vermeiden, Sieger und Besiegte zu machen; anderenfalls wird man nur neue Gehässigkeiten und Theilungen hervorrufen. Nun würden nach dem Antrage Tressaud die Possibilisten die Besiegten sein; nach dem Antrage Nieuwenhuis wären es die Marxisten. Redner ist also für den Antrag Liebknecht. Die fremden Delegirten sollen sich nicht in die Streitigkeiten der Franzosen einmischen.

Erklärung der Rumänen.

Die rumänischen Delegirten behalten sich vor, ihren Antrag betreffend einen künftigen Congreß nochmals einzubringen, erklären sich aber zunächst einstimmig für den Anschluß an den Antrag Liebknecht, und bitten, man möge den nächsten Congreß in einer solchen Form einberufen, daß alle antikapitalistischen Kräfte im Hinblick auf den Klassenkampf und die Vergesellschaftung der Produktionsmittel zusammengeführt werden.

D. Beinow. C. Racowitz. A. Sculescu. Procopin. Many.

Bürger Bushe (Vereinigte Staaten von Amerika) hat ein Mandat für beide Congresse erhalten. Er ist zur Redaktion des Proletariat (Offizielles Organ der Possibilisten) gegangen, und hat die Herren dort nicht socialistisch genug gefunden, deshalb ist er hier. Er ist indessen für die Einigung. Wenn es auf dem anderen Congresse auch nur wenig Socialisten gäbe, so müßte man ihnen doch die Hand bieten.

22 Bürger Frohme (Deutschland) spricht gegen die bedingungslose Einigung. Man könne persönliche Ansichten der Einigung opfern, aber nicht die Ehre. Er billigt den Antrag Liebknecht, der die Ehre aufrecht hält, im Uebrigen aber so versöhnlich ist wie möglich.

Bürger Iglesias (Spanien) ist auch für die Einigung, aber sie muß mit ein Werk des Kopfes sein, nicht bloß ein Werk des Herzens. Er wundert sich, daß die Niederländer und Belgier in diesem Congreß auf der Einigung bestehen, obgleich sie doch besser, als es ihm möglich ist, über Alles unterrichtet sind, was versucht worden ist, um eine Verständigung herbeizuführen. Dem andern Congresse komme es zu, Einigung zu predigen, denn gerade er hat sie unaufhörlich von sich gestoßen. Iglesias schließt sich dem Antrage Liebknecht an und fügt hinzu, daß die spanischen Delegirten auf dem Possibilisten-Congreß keinen Theil der spanischen Arbeiter -partei vertreten.

Bürger Batisse (Troyes) erklärt sich für Anschluß an den Antrag Guesde.

Bürger Palmgreen im Namen der Delegirten von Schweden und Norwegen und Bürger Petersen (Dänemark) übergeben dem Congreß die nachfolgende Resolution, indem sie hinzufügen:

„Die Einigung mit den Possibilisten, welche sich mit den Bourgeois verbündet haben, ist unmöglich. Gibt es wirklich Gruppen unter ihnen, welche sich auf den Boden des Klassenkampfes stellen, so mögen sie doch zu uns kommen! Die Anderen, die Regierungsleute, mögen sie doch bleiben, wo sie sind!“

Resolution Palmgreen-Petersen.

In Anbetracht, daß die Einigung aller socialistischen und revolutionären Arbeiter sich von selbst aufdrängt, wünschen wir, die Socialisten von Norwegen und Schweden, auf’s Wärmste diese Einigung; aber in Anbetracht, daß diese Einigung sich nur unter Socialisten vollziehen kann, die auf dem revolutionären Klassenstandpunkt stehen, glauben wir nach den beigebrachten Erklärungen für den gegenwärtigen Fall diese Einigung nicht für möglich halten zu können.

Palmgreen, Allard, Delegirte von Schweden. A. Jeggesen, Delegirter von Norwegen.

Der Delegirte Keir Hardie (England) ist gegen den Antrag Liebknecht und für den Antrag Nieuwenhuis. Er will die Einigung deshalb, weil auf dem Possibilisten-Congreß socialistische Trades-Unionisten sind, mit denen man sich verständigen kann, da keine prinzipielle Differenz vorliegt, und da wir der Bourgeoisie eine einzige Stirn zeigen müssen.

Bürger Christensen (Dänemark): Die dänische Socialistenpartei hat alles Mögliche für die Einigung gethan, ohne daß man bisher das geringste Resultat erreicht hätte. Sie weist die Erwägungen des Antrages Liebknecht nicht zurück, schließt sich aber doch dem Antrage Nieuwenhuis an.

Bürger John Ritson (Manchester) setzt auseinander, wenn es auf dem andern Congreß Socialisten gäbe, so seien doch die Führer keine Socialisten; übrigens seien alle Einigungsversuche von unserer Seite ausgegangen und von jener zurückgewiesen worden, und schließlich fehle es jetzt thatsächlich an der Zeit, um die Einigung durchzuführen.

Bürger Wortelmans (Antwerpen) begreift nicht, daß man von den Possibilisten spricht, als ob sie keine Socialisten wären, da ihr Congreß doch dieselbe Tagesordnung hat wie der unsere.

Bürger Kuhnert (Berlin) unterstützt den Antrag Tressaud. Er findet, ein frischer, fröhlicher Krieg sei mehr werth als ein fauler Friede.

Bürger Cipriani (Italien) verlangt im Namen der italienischen Delegierten die Abstimmung nach Nationalitäten.

Drei Anträge kommen in Frage, da die Unterzeichner der Anträge Guesde und Vaillant sich dem von Liebknecht anschließen; es sind dies 23 außer dem eben genannten von Liebknecht die Anträge Nieuwenhuis und Tressaud. Letzterer erklärt, daß er nicht, wie de Paepe behauptet, gegen die Einigung ist, sondern nur dagegen, daß wir sie verlangen.

Die Abstimmung ergibt folgendes Resultat:

für den Antrag Liebknecht: Deutschland, Schweiz, Rumänien, Elsaß-Lothringen, Russland, Polen, Oesterreich, Ungarn, Spanien, Amerika, England, Frankreich – 12 Nationalitäten.

für den Antrag Tressaud: Schweden und Norwegen – 2 Nationalitäten;

für den Antrag Nieuwenhuis: Belgien, Niederlande, Italien, Dänemark – 4 Nationalitäten.

Der Antrag Liebknecht ist also angenommen.

Indem Vaillant das Votum Frankreichs mittheilt, macht er einen gewissen Vorbehalt. Alle Franzosen, sagte er, waren einstimmig für den Antrag Tressaud. Aber mit Rücksicht auf die Umstände und aus Willfährigkeit gegen die auswärtigen Delegirten, haben sie sich dem Antrag Liebknecht angeschlossen, da derselbe die Würde des Congresses genügend schützt und den Boden der Organisations-Commission und des Haager Congresses nicht verläßt. Die englischen Delegirten schließen sich diesem Vorbehalt an und bringen ihre volle Sympathie für den Antrag Tressaud zum Ausdruck.

Nach der Bekanntmachung des Abstimmungsresultats wird die Sitzung um 3 Uhr Nachmittags vertagt.

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Anmerkungen des Herausgebers

1. Als die Gefahr des Boulangismus in Frankreich auftauchte, gründeten die bürgerlichen Republikaner eine Gesellschaft der „Menschenrechte“, der alle Vertheidiger der Republik beitreten sollten. Die Possibilisten traten dem republikanischen Bourgeois-Mischmasch bei und wurden damit ofiziell Schleppträger der bürgerlichen Parteien und des RegierungsOpportunismus. Die „Gesellschaft der Menschenrechte“ wurde in der Rue Cadet gegründet – daher die Bezeichnung „Cadettisten“, „cadettistisch“ u. s. w. für die französischen Regierungsparteien.

2. Socialdemokratische Vereinigung – Name einer englischen Parteigruppe.

 

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Zuletzt aktualisiert am 26. Dezember 2022