Dieser Beitrag erschien erstmals im November 2017 – unklar, wo.
Auch unter demm Titel: Billigfliegerei: ihr Zustandekommen – ihre Lobby – ihr Preis erschienen.
Kopiert mit Dank aus der Lunapark21-Webseite.
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Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.
Allseits wird die Pleite von Air Berlin bedauert. Die Umstände der Insolvenz werden angeprangert. Ein „drohendes Monopol“ wird beklagt. Ist es aber nicht so, dass der wirkliche Skandal die noch bestehenden Billigairlines und die gesamte Branche der Billigfliegerei sind? Dass es eine enge, korrumpierende Vernetzung des Flugverkehrs mit der Politik gibt? |
Die Flugbranche ist der am schnellsten wachsende Zweig im gesamten Bereich des motorisierten Personenverkehrs. Rund alle 15 Jahre kommt es zur Verdopplung des Weltflugverkehrs. Es handelt sich zugleich um diejenige Verkehrsart, die am stärksten zur Klimaerwärmung beiträgt. Der stärkste Treiber im Weltflugverkehr sind die Billigairlines. Und es ist eine Weltverkehrspolitik im Allgemeinen und eine deutsche Verkehrspolitik im Besonderen, die die Förderung dieser Verkehrsart mit Milliarden Euro an Steuergeldern im Jahr betreibt. Air Berlin spielte eine wichtige Rolle bei dieser Politik.
Es sind vor allem fünf Faktoren, die den jüngeren Erfolg des Flugverkehrs im Allgemeinen und den der Billigairlines im Besonderen bewirkten:
Der – inzwischen weltweit führende – Flugzeugbauer Airbus, ehemals EADS-Airbus, ist faktisch ein Unternehmen, das sich unter der staatlichen Kontrolle der Regierungen in Berlin und Paris befindet und zu einem Drittel von Rüstungsaufträgen und zu zwei Dritteln von Aufträgen für zivile Flugzeuge lebt. Dabei sind Rüstung und Zivilbusiness oft eng miteinander verwoben. Aktuell untersucht die Justiz in Frankreich und in Österreich einen spannenden Vorgang: Um vor mehr als einem Jahrzehnt 13 Eurofighter-Kampfflugzeuge, gebaut von EADS/Airbus, damals noch in Verbindung mit dem britischen Rüstungskonzern BAE, an Österreich zu verkaufen, hatte die österreichische Seite gefordert, EADS müsse ergänzende Wirtschaftsaufträge im Wert von vier Milliarden Euro (!) beschaffen, um die damals schwächelnde österreichische Wirtschaft anzukurbeln. Zu diesem Zweck hatte EADS/Airbus, unter Führung des damaligen EADS-Deutschlandchefs Tom Enders, heute Chef des Gesamtkonzerns Airbus, Tarnfirmen in Zypern und London, von Ex-EADS-Managern geführt, gegründet – und auf diese Weise offensichtlich den Auftrag ergattert. [3]
Bei einem solchen Großgeschäft bleibt die individuelle Bestechung von Politikern nicht aus. Dass dies auch im großen, gewissermaßen flächendeckenden Maßstab erfolgen kann, dafür legt Air Berlin beredtes Zeugnis ab. Aktuell wird „entdeckt“, dass der Air Berlin-Gründer, zugleich langjähriger Air Berlin-Chef, Joachim Hunold, persönlich und auf Firmenkosten „häufig die Airline nutzte“. Es sollen auch – höchst pikant – bis zu 60.000 Euro Air Berlin-Gelder an den Aachener Karnevalsverein geflossen sein. Auch wird enthüllt, Hunold habe sich von der eigenen Airline „einen Pay-TV-Anschluss im Wert von 32,90 Euro im Monat“ bezahlen lassen, was „den Tatbestand der Untreue“ rechtfertige. Wegen all diesen Vorgängen habe Hartmut Mehdorn als der Nachfolger im Amt an der Air Berlin-Spitze die „US-Kanzlei Price Waterhouse Coopers Legal monatelang insgesamt 17 Sachverhaltskomplexe“, die den Untreue-Verdacht rechtfertigten, untersuchen lassen. Soweit die investigative Recherche des Blattes Bild am Sonntag (vom 22. Oktober 2017).
Komisch ist dabei, dass die Liste mit den 100 Polit-Promis, die in der Hunold-Ära rund ein jahrzehntlang gratis die Airline benutzen durften, nicht erwähnt wird. Hartmut Mehdorn hatte am Beginn seiner Amtszeit als Air Berlin-Boss die Existenz einer solchen Liste bekannt gemacht – damals jedoch ausdrücklich erklärt, die konkreten Namen derjenigen, die in diese spezifische Hunold’sche Gunst gekommen waren, würden nicht veröffentlicht. Doch warum werden diese Namen nicht jetzt, nach der Air-Berlin-Pleite und im Rahmen des Insolvenzverfahrens öffentlich gemacht? Warum wird aufgedeckt, wie der Luftverkehr im Allgemeinen und die Billigfliegerei im Besonderen mit einer umfassende Korruptionsmaschine verknüpft ist, die auch das Politikbusiness im Griff hält? [4]
Am 28. Mai 2010 sandte Joachim Hunold an Horst Köhler ein in einem rotzigen Ton gehaltenes Fax, in dem er Bezug nahm auf eine wenige Tage zuvor gehaltene Rede des damaligen Bundespräsidenten auf dem Weltverkehrsforum in Leipzig. Der „Chief Executive Officer“ der Billig-Fluggesellschaft Air Berlin schrieb:
„Sie hinterfragen kritisch die Sinnhaftigkeit von Personen- und Güterverkehr und schlagen vor, von unserer mobilen Lebensweise nur noch das zu behalten, was ‚gefällt‘ und nicht bloß ‚Zeit und Nerven‘ kostet. Ich teile ausdrücklich Ihre Auffassung nicht. [...] Verkehr ist nichts anderes als der Ausdruck unseres auf globalen Handel angelegten Wirtschaftssystems [...] Die von Ihnen vorgeschlagene Einführung der Kerosinsteuer [...] trägt nicht im Sinne von Nachhaltigkeit zu mehr Kostenwahrheit bei, sondern im Gegenteil zu einer noch stärkeren Fehlallokation [von Kosten; W.W.] zu Lasten des Luftverkehrs. Lassen Sie mich zu Ihrer Polemik gegen die Werbung meines Unternehmens für Flüge ab 29 Euro Stellung nehmen. Warum sollten wir unterbinden, dass einer Familie [...] eine von langer Hand geplante Urlaubsreise in das fernere Ausland ermöglicht wird? Das brächte in ökologischer Hinsicht keinerlei Mehrwert. Aber es würde Menschen mit weniger Wohlstand vom Luftverkehr ausschließen.″
Drei Tage nach Eingang des – auch zeitgleich als offener Brief an alle Bundestagsabgeordneten versandten – Fax-Schreibens quittierte Horst Köhler den Job als Bundespräsident. [5] Wurde er von Hunold aus dem Amt gefaxt? Das wäre sicher eine Übertreibung – das Hunold-Schreiben dokumentiert eher im Allgemeinen die Entfremdung, die sich damals zwischen Horst Köhler als Bundespräsidenten und der „politischen Klasse“ entwickelt hatte. Immerhin war Köhler zuvor Chef des Internationalen Währungsfonds. Er hatte in dieser Funktion die Globalisierung mit ihren Kernbestandteilen Welthandel und weltweite Transporte vorangetrieben. Er wurde in früheren Zeiten insbesondere von konservativen Kreisen ob seiner neoliberalen Positionen gefeiert. In seinen letzten Monaten als Bundespräsident kritisierte er allerdings die Finanzmärkte als „Monster“, präsentierte sich als Bedenkenträger angesichts der Globalisierung und kritisierte „Auswüchse“ des modernen Kapitalismus, so die Billigstfliegerei. Das war dann eine Moralpredigt und eine Auswüchse-Kritik zu viel.
Horst Köhler ist heute Unperson. Hunold allerdings saß auf Platz 1c beim Abschiedsflug in der letzten Air Berlin-Maschine, als diese am 27. Oktober 2017 in Berlin Tegel landete. Er wird als „Mister Air Berlin“ gefeiert.
1. Rudi Hechler, Von der Startbahn West zur Landebahn Nordwest, in: Globalisierung. Flugverkehr. Gegenwehr, Sonderheft der Zeitschrift Lunapark21 vom September 2010 (Extra03), herausgegeben von BBI-Bündnis der Bürgerinitiativen Kein Flughafenausbau – Für ein Nachtflugverbot von 22 bis 06 Uhr; Bündnis 90/Die Grünen Hessen, Sabine Leidig (MdB) und Herbert Behrens (MdB), DIE LINKE, S. 29.
2. In einer wissenschaftlichen Studie, verfasst von Prof. Hans Behrbohm, heißt es: So werden „je nach Flugzeugtyp- und -gruppe in Abhängigkeit von verschiedenen Faktoren [...] im Take-off & Landing-Zyklus z. B. bei einer Boeing 737 1.250 Liter Kerosin verbrannt.“ Das entspricht also 25 Tankfüllungen eines Mittelklasse-Pkw.
„Besonders die Feinstäube mit kleinsten Partikelgrößen, die mit organischen Substanzen kontaminiert sind, werden durch die Düsenstrahltriebwerke in Höhen unter 1.500 Metern direkt in die, für die Lungenatmung relevanten Luftschichten der Menschen ausgestoßen und können bis in die Alveolen (Lungenbläschen) gelangen, was besonders gefährlich ist. Die Abgaswolke enthält unter anderem Benzole, Ethylbenzole, Naphtalin, Phenol, Mesithylen, Xylole und andere Stoffe. Die Substanzen sind kanzerogen, führen zu Erkrankungen der Atemwege und Lunge und können Chromosomenveränderungen und Leber- und Nierenschäden auslösen.“ Hans Behrbohm, Flugverkehr und Gesundheit. Gesundheitsschäden durch Fluglärm, Schadstoffe und Feinstaub, Einfluss auf Stadtklima und Ökosysteme, in: face, 4/2011.
3. Siehe: Im Sumpf, in: Der Spiegel 43/2017 vom 21. Oktober 2017.
4. 1998 sandte der damalige Bundestagspräsident Thierse an alle damaligen Bundestagsabgeordneten eine Lufthansa-Senator-Karte. Ab diesem Zeitpunkt wurde allen MdBs die Meilen, die sie (Business- und Erste Klasse) mit Lufthansa flogen, ihrem privaten miles-and-more-Konto gutgeschrieben. Im Bundestagswahlkampf 2002 veröffentliche das Blatt Bild dann die Bilanz einzelner, herausgepickter Bundestagsabgeordneter, die auf diese Weise privat und in der Ersten Klasse sich auf Kosten der Steuerzahler Flüge gegönnt hatten.
5. Als Begründung für seinen Rücktritt nannte Köhler „Respektlosigkeit vor dem Amt″. In der Öffentlichkeit wurden vor allem Köhlers Äußerungen zur Rechtfertigung des Afghanistan-Kriegs wahrgenommen. Maßgebliche bürgerliche Kreise hoben jedoch Köhlers Kritik an den Finanzmärkten negativ hervor. Nach seinem Rücktritt gingen sie zur Tagesordnung über. Hunold-Brief in: Handelsblatt vom 1.Juni 2010. Kritik an Köhler wegen Bankenkritik u. a. in Börsen-Zeitung vom 1. Juni 2010 und in Der Spiegel 22/2010.
Winfried Wolf ist Chefredakteur von Lunapark21. Im gerade erschienenen Heft 39 ist ein Beitrag von ihm zum Schwerpunktthema 100 Jahre Oktoberrevolution erschienen
Zuletzt aktualisiert am 28. Juni 2023