Quelle: Lunapark21, Heft 22, Juni 2013.
Kopiert mit Dank aus der Lunapark21-Webseite.
Transkription & HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.
Am 25. Juni 2013 debattierte der Deutsche Bundestag zum Thema Hochwasser. Für die Kanzlerin Angela Merkel erlebte das Land eine „Katastrophe gewaltigen Ausmaßes“. Es habe sich, so die Medien, um ein „Jahrhunderthochwasser“ gehandelt, was wiederum, so der Deutsche Wetterdienst, durch „Jahrhundertniederschläge“ ausgelöst worden sei.
Mit solchen Superlativen wird das beschrieben, was es an Flutungen im Juni in Österreich, Tschechien, Ungarn und Deutschland gab. Sicher: Riesige Flächen wurden überschwemmt, einige Dämme brachen, ganze Orte und einzelne Städte standen unter Wasser. Einige Tausend Menschen mussten evakuiert werden. Und die obersten Pegelstände lagen nochmals über denen, die es 2002 bei der letzten Flut gab. Insgesamt dürften sich die Schäden in den drei genannten Ländern auf mehr als 20 Milliarden Euro belaufen; in Deutschland wird mit einer Schadenshöhe von mehr als 15 Milliarden Euro gerechnet.
Hier laufen bereits einige Begrifflichkeiten förmlich aus dem Ruder. Immerhin erlebten wir nun im recht jungen 21. Jahrhundert bereits zwei „Jahrhunderthochwasser“. Die Superlative werden für Ereignisse verwandt, die deutlich steigerbar sein dürften. Dies zeigt auch ein Blick ins Ausland. Zur gleichen Zeit, wie es in unseren Regionen die beschriebenen Überschwemmungen gab, kam es in Indien zu einem nicht enden wollendem Monsunregen, der mehr als 1.000 Todesopfer forderte. Im Jahr 2010 gab es in Pakistan eine Hochwasser-Katastrophe, bei der sogar 20 Prozent des riesigen Landes unter Wasser stand und 2.000 Menschen ihr Leben verloren.
Es spricht sehr viel dafür, dass die „Katastrophen gewaltigen Ausmaßes“ zunehmen. Die großen Versicherungsunternehmen jedenfalls gehen fest von einer solchen Entwicklung aus – durchaus mit der Zielsetzung Gewinnmaximierung. In den letzten Wochen hieß es immer wieder: „Das Wetter spielt verrückt.“ Eine höchst irreführende Formulierung. Es geht nicht um Verrücktheiten, sondern um Logik und Konsequenz – um die Folgen menschlichen Handelns. Die Katastrophen sind nach Auffassung der überwältigenden Mehrheit der Klimaforscher ein Ergebnis des Klimawandels, dessen Ursachen wiederum im Wesentlichen die hohen Kohlendioxid-Emissionen sind. Im Widerspruch zu all den Sonntagsreden über Klimaschutz werden diese Emissionen weiter ansteigen. Weltweit befinden sich derzeit rund 1000 neue Kohlekraftwerke im Bau, ein großer Teil davon in China und Indien. In Deutschland nehmen allein in den Jahren 2013 bis 2015 sieben neue Kohlekraftwerke den Betrieb auf. [1] Die Umweltorganisation BUND kommentiert: „Es gibt keine schädlichere Art der Stromerzeugung als die Verbrennung von Kohle. Zum Vergleich: Kohlekraftwerke sind doppelt so klimaschädlich wie moderne Gaskraftwerke.“
Der Verweis auf Gaskraftwerke ist ambivalent. Die USA sind als Folge der massiv erhöhten Gasförderung durch Fracking derzeit dabei, Kohlekraftwerke durch Gaskraftwerke zu ersetzen. Ende Juni stellte US-Präsident Obama seine neue Umwelt- und Klimaschutz-Agenda vor. Der Boss des US-Konzerns GE, Jeffrey Immelt, brachte jüngst in einem Gespräch mit dem Handelsblatt die damit verbundene Problematik wie folgt auf den Nenner: „Der Wechsel von Kohle zu Gas (in den USA) hat dazu geführt, dass (...) wir uns den Zielen von Kyoto nähern. Die schmutzige Kohle, die vorher in den USA eingesetzt wurde – raten Sie mal, wo die jetzt landet? In Ihrem Land!“ [2] Im übrigen wird der Anstieg der Kohledioxidemissionen auf globaler Ebene in erheblichem Umfang durch den Verkehrssektor bestimmt: Die Zahl der Pkw wird sich in den nächsten 15 Jahren von 700 Millionen auf 1,5 Milliarden verdoppeln (und es handelt sich zu 99 Prozent um Pkw mit konventionellem Antrieb); der Flugverkehr soll im gleichen Zeitraum ebenfalls um 100 Prozent gesteigert werden.
Bei all diesen Entwicklungen handelt es sich nicht um naturwüchsig verlaufende Prozesse. Es sind auch nicht primär „menschlichen Bedürfnisse“, die damit befriedigt werden. Es geht einerseits immer um konkrete Beschlüsse, die in den Zentralen der Autokonzerne, der Flugzeugbauer, der Energieunternehmen und der spezifischen Regierungen, die diese Projekte genehmigen und vielfach subventionieren, gefällt werden. Andererseits handelt es sich immer um Entscheidungen, zu denen es Alternativen gibt. Wenn diese nicht ergriffen, wenn beispielsweise nicht in erster Linie in die Einsparung von Energie und in die Vermeidung von Verkehr investiert wird, dann allein deshalb, weil damit kein oder geringerer Profit verbunden ist. Das treibende Prinzip dieser selbstzerstörerischen Entwicklung ist und bleibt der Grundsatz kapitalistischer Ökonomie – die kurzfristige Orientierung auf Profitmaximierung. Friedrich Engels hat den Zusammenhang zwischen diesem zerstörerischem Prinzip und der Umweltzerstörung an einem anderen Beispiel beschrieben: „Die spanischen Pflanzer in Kuba, die die Wälder an den Abhängen niederbrannten und in der Asche Dünger genug vorfanden – was lag ihnen daran, dass nachher die tropischen Regengüsse die nun schutzlose Dammerde herabschwemmten und nur nackten Fels zurückließen? Gegenüber der Natur wie der Gesellschaft kommt bei der heutigen Produktionsweise vorwiegend nur der erste handgreifliche Erfolg in Betracht; und dann wundert man sich, dass die entfernten Nachwirkungen der hierauf gerichteten Handlungen andere, meist ganz entgegengesetzte sind. So werden wir bei jedem Schritt daran erinnert, dass wir keineswegs die Natur beherrschen wie ein Eroberer ein fremdes Volk beherrscht.“ [3]
In der eingangs erwähnten Bundestagsdebatte war viel die Rede davon, dass eine andere Philosophie beim Umgang mit Hochwasser erforderlich sei. Die deutsche Kanzlerin blubberte, Deichbau sei zwar wichtig, doch es müsse auch andere Maßnahmen geben: „Das Wasser muss ja irgendwo hin.“ [4] Tatsache ist, dass es solche Aussagen auch nach der letzten sogenannten Jahrhundertflut gab. Damals wurden zwei Dutzend Deichrückverlegungen an der Elbe diskutiert. Doch in dem gesamten Jahrzehnt seit 2002 wurden gerade mal drei solche Deichrückverlegungen realisiert. Anstelle der damals geplanten 35000 Hektar mit Rückhalteflächen wurden ganze 1200 Hektar geschaffen. Mehr noch: In Hamburg hat der CDU-geführte Magistrat jahrelang die neuerliche Vertiefung der Elbe gefordert. Schließlich sollen in der Hansestadt auch die weltweit größten Containerschiffe ihre Aufwartung machen. Die Grün-Alternative Liste (GAL) vor Ort protestierte zusammen mit der Linken und mit allen Umweltverbänden jahrelang gegen das Vorhaben. Eine der ersten Amtshandlungen der 2008 neu gebildeten schwarz-grünen Landesregierung war dann die Zusage zur „Elbvertiefung in vollem Umfang“. Daran hat sich auch mit der Bildung einer SPD-GAL-Landesregierung im Jahr 2011 nichts geändert. [5] Das Land Niedersachsen hatte jahrelang das Vorhaben Fahrrinnenvertiefung der Elbe mit der zutreffenden Begründung abgelehnt, dass sich damit die Flussgeschwindigkeit erhöht, die Deichsicherheit untergraben und die Gefahren bei Hochwasser gesteigert werden. Schließlich stimmte die damalige schwarz-gelbe Landesregierung in Hannover der Elbvertiefung jedoch zu; die seit Anfang 2013 neu gebildete, von SPD und Bündnis90/Die Grünen getragene Landesregierung setzte das Thema nicht neu auf die Agenda. Schließlich soll in Niedersachsen auch noch die Weser vertieft werden – was mit vergleichbaren Gefahren hinsichtlich der Deichsicherung verbunden ist. Allein für die Vertiefung von Elbe und Weser sollen 750 Millionen Euro ausgegeben werden – das ist bereits ein Zehntel dessen, was jetzt nach der Flut an „Aufbauhilfe“ beschlossen wurde. Wobei als Folge der Vertiefung von Elbe und Weser neues Geld zur Dammsicherung und für die Erhöhung von Dämmen ausgegeben werden muss – dann eben bis zur nächsten „Jahrhundertflut“ und einer Philosophie folgend, wie sie von Bertolt Brecht bereits formuliert wurde [6]:
In den Jahrzehnten vor der Sintflut |
Der Autor ist Chefredakteur von Lunapark21
1. Es handelt sich um Kraftwerke in Duisburg, Karlsruhe, Hamm/Westfalen, Wilhelmshaven, Hamburg-Moorburg, Lünen-Stummhafen und Mannheim.
2. Handelsblatt vom 21. Juni 2013.
3. Friedrich Engels, Dialektik der Natur, MEW 20, S.6nbsp;455.
4. Nach: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26. Juni 2013.
5. 1914 konnten Schiffe mit einem Tiefgang von 9 Metern die Elbe bis zum Hamburger Hafen befahren. 1950 waren es 10 m, 1978 13,5 m. Mit der neuen Fahrrinnenvertiefung sollen es 14,5 m werden, was bei Containerschiffen bedeutet, dass solche mit 13,5 m Tiefgang eine tideunabhängige Fahrt vornehmen können. Aufgrund von anhängigen Klagen seitens BUND und Nabu ist das Projekt Elbvertiefung derzeit noch gestoppt. Wenige Wochen vor der neuen Flut forderte Bundesverkehrsminister Ramsauer die Umweltverbände eindringlich auf, ihre Klagen zurückzuziehen.
6. Bertolt Brecht, Gesammelte Werke, Band 10, Frankfurt/M. 1967, S. 844.
Zuletzt aktualisiert am 26. Juni 2023