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21.Februar 1940
Liebe Genossen!
Die Führer der Minderheit haben bis jetzt noch keines unserer theoretischen und politischen Argumente beantwortet. Die Inkonsequenz ihrer eigenen Argumente wurde in den Schriften der Mehrheit entlarvt. Nun scheinen die Führer der Opposition zum Guerillakrieg übergegangen zu sein: Dies ist dasselbe Schicksal, das schon viele geschlagene Heere erlitten haben. Genosse A. Goldman charakterisierte angemessen die neuen Methoden der Opposition in seinem Rundschreiben vom 12. Februar. Eins der merkwürdigsten Beispiele dieser neuen Kriegführung ist der eher heroische als vernünftige Angriff des Genossen MacDonald auf meinen Artikel in der Liberty wohlgemerkt, er fand in diesem Artikel keine Analyse des widersprüchlichen Charakters des Sowjetstaates und der „fortschrittlichen Rolle“ der Roten Armee. Mit der gleicher, Logik, die er als Herausgeber der Partisan Review wie in seiner Analyse des Kronstadt-Aufstandes an den Tag legt, deckt er auf, daß ich „in Wirklichkeit“ ein Anhänger der Minderheit, ein Anhänger Shachtmans oder ein MacDonaldianer sei, wenigstens wenn ich in der bürgerlichen Presse schreibe, und daß meine entgegengesetzten Erklärungen vor dem Stalinismus kapitulieren und nur in den internen Bulletins abgegeben werden, um Cannon zu helfen. Um MacDonalds Entdeckung deutlich auszudrücken: Da Trotzki sich selbst der bürgerlichen öffentlichen Meinung anpassen will, um sich bei den Lesern der Liberty beliebt zu machen, schreibt er wie Shachtman, und geradezu wie MacDonald; aber wenn er mit der Partei spricht, stellt er sich fürchterlich gegen die Minderheit. Die Partisan Review interessiert sich sehr für Psychoanalyse, und ich erlaube mir zu sagen, daß der Herausgeber dieser Zeitschrift, wenn er sich selbst ein bißchen analysierte, erkennen würde, daß er sein eigenes Unterbewußtsein bloßgelegt hat.
Niemand bittet die Minderheit, in jedem Artikel und in jeder Rede die widersprüchliche Natur des Sowjetstaates und die widersprüchliche Rolle der Roten Armee zu untersuchen. Worum wir sie bitten, ist, diese Natur und diese Rolle zu verstehen und dieses Verständnis bei jeder Gelegenheit angemessen anzuwenden. Mein Artikel befaßte sich mit Stalins Politik und nicht mit der Natur des Sowjetstaates. In der mexikanischen bürgerlichen Presse wurde eine anonyme Erklärung veröffentlicht, die sich auf „Trotzki nahestehende Kreise“ beruft und behauptet, daß ich Stalins internationale Politik gutheiße und daß ich eine Aussöhnung mit Stalin suche. Ich weiß nicht, ob derartige Erklärungen auch in der Presse der Vereinigten Staaten erschienen sind. Es ist klar, daß die mexikanische Presse nur die fürchterlich ernsthaften Anschuldigungen MacDonalds & Co. über meine Kapitulation vor dem Stalinismus auf ihre eigene Weise wiedergibt. Um einen solchen Mißbrauch der internen Diskussion durch die bürgerliche Weltpresse zu verhindern, befaßte ich mich in meinem Artikel in der Liberty damit, Stalins Rolle in der internationalen Politik zu enthüllen und keineswegs mit der soziologischen Analyse der Natur des Sowjetstaates. Ich schrieb, was ich in diesem Augenblick für dringlicher hielt. Politik besteht nicht darin, bei jeder Gelegenheit alles zu sagen, was man weiß, sondern im gegebenen Augenblick genau das zu sagen, was notwendig ist. Möglicherweise stimme ich hierbei mit einigen Behauptungen der Opposition überein, aber sicherlich waren die entsprechenden Behauptungen der Opposition nur Wiederholungen von Gedanken, die wir tausendmal ausdrückten, bevor MacDonald in unseren Gesichtskreis kam.
Aber wir wollen jetzt zu ernsteren Dingen übergehen. Der Brief des Genossen Abern an mich drückt absolut klar aus, daß er spalten will. Die Rechtfertigung, die er gibt, ist zugleich kläglich und skandalös: Dies sind die beiden mildesten Worte, die ich finde. Wenn „Cannons Clique“ die Mehrheit auf dem Parteitag haben sollte, so würde dies Abern und seine Bundesgenossen zu Bürgern „zweiter Klasse“ machen. Das ist der Grund, warum er, Abern, lieber seinen eigenen Staat hätte, wo er wie Weisbord, Field und Oehler der erste der Bürger erster Klasse sein wird. Wer kann über die Placierung verschiedener „Bürger“ innerhalb der Partei entscheiden? Die Partei selbst. Und wie kann die Partei zu einer Entscheidung kommen? Durch freie Diskussion. Wer tat die ersten Schritte in dieser Diskussion? Abern und seine Bundesgenossen. Wird ihnen bei Gebrauch ihrer Federn oder ihrer Zungen nicht völlige Freiheit gelassen? Doch, durchaus. Nach Aberns Brief scheint es, daß sie die Partei nicht überzeugen konnten. Noch schlimmer: Sie brachten sich selbst in den Augen der Partei und der Internationale etwas in schlechten Ruf. Das ist sehr bedauerlich, denn sie waren nützliche Leute. Sie könnten ihre Autorität jetzt nur durch ausdauernde und ernsthafte Arbeit in der Partei wiederherstellen. Das braucht Zeit, Geduld und Entschlossenheit. Aber wie es scheint, hat Abern die Hoffnung verloren, jemals die Partei zu überzeugen, die auf der Grundlage der Prinzipien der Vierten Internationale steht. Diese Spaltungstendenz ist eine Art Desertion. Deswegen ist sie so kläglich.
Aber sie ist auch skandalös! Die zugrundeliegende Haltung ist die Verachtung der kleinbürgerlichen Elemente für die proletarische Mehrheit: Wir sind so ausgezeichnete Schriftsteller, Redner, Organisatoren und sie, die ungebildeten Leute, sind nicht in der Lage, unseren Wert richtig einzuschätzen. Lieber unseren eigenen Verband erhabener Seelen aufbauen!
Wir beharrten in der Dritten Internationale mit all unserer Kraft darauf, eine Tendenz oder Fraktion zu bleiben. Man verfolgte uns, beraubte uns aller Mittel, uns legal zu äußern, erfand die schlimmsten Anschuldigungen, in der UdSSR sperrte man unsere Genossen ein und erschoß sie trotz allem wollten wir uns nicht von den Arbeitern trennen. Wir betrachteten uns bis zu allerletzten Möglichkeit als Fraktion. Und all das – trotz der korrupten totalitären Bürokratie der Dritten Internationale. Die Vierte Internationale ist die einzige aufrichtige revolutionäre Organisation auf der Welt. Wir haben keine berufsmäßige Bürokratie. Unser „Apparat“ hat keine Zwangsmittel. Jede Frage wird durch die Methoden der möglichst vollkommenen Parteidemokratie entschieden, und jeder Genosse Wird durch sie gewürdigt. Wenn die Mehrheit der Parteimitglieder sich irrt, kann die Minderheit sie nach und nach aufklären. Wenn nicht vor dem nächsten Parteitag, dann danach. Die Minderheit kann neue Mitglieder in die Partei ziehen und selbst die Mehrheit werden. Man muß nur etwas Vertrauen in die Arbeiter haben und etwas Hoffnung, daß die Arbeiter Vertrauen in die Führer der Opposition bekommen können. Aber diese Führer schufen in ihrer eigenen Umgebung eine Atmosphäre hysterischer Ungeduld. Sie paßten sich selbst der bürgerlichen öffentlichen Meinung an, wollten sich aber nicht dem Entwicklungsrhythmus der Vierten Internationale unterwerfen. Ihre Ungeduld hat Klassencharakter, sie ist die Kehrseite der Verachtung der kleinbürgerlichen Intellektuellen für die Arbeiter. Deswegen ist die Spaltungsabsicht, die Abern ausgedrückt hat, so skandalös!
Genosse Abern wird in seinen Einschätzungen und seiner Perspektive von Haß bewegt. Und persönlicher Haß ist ein scheußliches Gefühl in der Politik. Ich bin sicher, daß Aberns Verhalten und seine Spaltungsziele jedes vernünftige Mitglied der Opposition nur abstoßen können. Zurück zur Partei, Genossen! Aberns Weg ist eine Sackgasse. Es gibt keinen anderen Weg als den der Vierten Internationale!
Leo Trotzki
Coyoacan, D.F.
Zuletzt aktualisiert am 15.10.2003