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Die weltpolitische Lage in ihrer Gesamtheit ist vor allem gekennzeichnet durch die historische Krise der Führung des Proletariats.
Die wirtschaftlichen Voraussetzungen der proletarischen Revolution ist schon seit langem am höchsten Punkt angelangt, der unter dem Kapitalismus erreicht werden kann. Die Produktivkräfte der Menschheit stagnieren. Die neuen Erfindungen und die technischen Fortschritte dienen nicht mehr dazu, das Niveau des materiellen Reichtums zu erhöhen. Unter den Bedingungen der sozialen Krise des ganzen kapitalistischen Systems laden die Konjunkturkrisen den Massen immer größere Entbehrungen und Leiden auf. Das Anwachsen der Arbeitslosigkeit vertieft wiederum die finanzielle Krise des Staates und unterhöhlt die erschütterten Geldsysteme. Die Regime – die demokratischen wie die faschistischen – taumeln von Bankrott zu Bankrott.
Die Bourgeoisie selbst sieht keinen Ausweg. In den Ländern, wo sie sich gezwungen fand, ihr letztes Spiel auf die Karte des Faschismus zu setzen, schlittert sie jetzt mit geschlossenen Augen der wirtschaftlichen und militärischen Katastrophe entgegen. In den historisch privilegierten Ländern, d. h. dort, wo sich die Bourgeoisie noch eine Zeitlang den Luxus der Demokratie leisten kann <Großbritannien, Frankreich, Vereinigte Staaten usw.), befinden sich alle traditionellen Parteien des Kapitals in einem Zustand der Verwirrung, der gelegentlich an Willenslähmung grenzt. Trotz seiner Entschlossenheit, die er in seiner ersten Phase vorgetäuscht hat, repräsentiert der New Deal nichts anderes als eine besondere Form der Verwirrung, wie sie nur in einem Land möglich ist, wo die Bourgeoisie Reichtümer ohne Zahl anhäufen konnte. Die gegenwärtige Krise, die noch lange nicht ihr letztes Wort gesprochen hat, konnte bereits zeigen, daß die Politik des „New Deal“ in den Vereinigten Staaten ebensowenig wie die Politik der Volksfront in Frankreich irgendeinen Ausweg aus der wirtschaftlichen Sackgasse eröffnet.
Die internationalen Beziehungen bieten kein besseres Bild. Unter dem wachsenden Druck des kapitalistischen Niedergangs haben die imperialistischen Widersprüche die Grenze erreicht, jenseits derer die einzelnen Konflikte und blutigen Explosionen (Äthiopien, Spanien, Ferner Osten, Mitteleuropa) unausweichlich in einem Weltbrand münden. Gewiß, die Bourgeoisie ist sich klar über die tödliche Gefahr, die ein neuer Krieg für ihre Herrschaft bedeutet. Aber diese Klasse ist augenblicklich noch tausendmal unfähiger, den Krieg zu verhindern, als am Vorabend von 1914.
Das ganze Gerede, wonach die geschichtlichen Bedingungen noch nicht „reif“ genug seien für den Sozialismus, ist nur das Produkt der Unwissenheit oder eines bewußten Betrugs. Die objektiven Voraussetzungen der proletarischen Revolution sind nicht nur schon „reif“, sie haben sogar bereits begonnen zu verfaulen. Ohne sozialistische Revolution, und zwar in der nächsten geschichtlichen Periode, droht die ganze menschliche Kultur in einer Katastrophe unterzugehen. Alles hängt ab vom Proletariat, d. h. in erster Linie von seiner revolutionären Vorhut. Die historische Krise der Menschheit ist zurückzuführen auf die Krise der revolutionären Führung.
Die Ökonomie, der Staat, die Politik der Bourgeoisie und ihre internationalen Beziehungen sind tiefgreifend von der sozialen Krise erfaßt, die die vorrevolutionäre Lage der Gesellschaft kennzeichnet. Das Haupthindernis auf dem Wege der Umwandlung der vorrevolutionären in eine revolutionäre Lage ist der opportunistische Charakter der proletarischen Führung, ihre kleinbürgerliche Feigheit gegenüber der großen Bourgeoisie und ihre verräterischen Verbindungen, die sie mit dieser selbst in deren Todeskampf noch aufrechterhält.
In allen Ländern ist das Proletariat von tiefer Angst erfaßt. Millionenmassen bewegen sich ohne Unterlaß in Richtung auf den Weg revolutionärer Ausbrüche. Aber jedesmal werden sie von ihren eigenen konservativen bürokratischen Apparaten abgeblockt.
Das Spanische Proletariat hat seit April 1931 eine Reihe heroischer Versuche unternommen, die Macht in seine Hände zu nehmen und die Geschicke der Gesellschaft zu fuhren. Jedoch seine eigenen Parteien – Sozialdemokraten, Stalinisten, Anarchisten und die POUM – haben jede auf ihre Weise die Rolle eines Bremsklotzes gespielt und damit den Triumph Francos vorbereitet.
In Frankreich hat die mächtige Streikwelle mit Fabrikbesetzungen – insbesondere Im Juni 1936 – die ernsthafte Entschlossenheit des Proletariats zum Ausdruck gebracht das kapitalistische System zu stürzen. Jedoch ist es den führenden Organisationen – Sozialisten, Stalinisten und Syndikalisten – gelungen, unter dem Etikett der Volksfrovt den revolutionären Strom zu kanalisieren und zumindest momentan aufzuhalten.
Die beispiellose Streikwelle mit Fabrikbesetzungen und das erstaunlich rasche Wachstum der Industriegewerkschaften in den Vereinigten Staaten (CIO) sind der deutlichste Ausdruck des instinktiven Strebens der amerikanischen Arbeiter, sich auf die Höhe der Aufgaben zu erheben, die Ihnen die Geschichte auferlegt hat. Jedoch mach hier tun die führenden Organisationen, einschließlich der neugeschaffenen CIO, alles, was in ihren Kräften steht, um die revolutionäre Offensive der Massen in Schach zu halten und zu lähmen.
Der endgültige Obergang der Kommunistischen Internationale auf die Seite der bürgerlichen Ordnung, ihre zynisch konterrevolutionäre Rolle in der ganzen Welt – insbesondere in Spanien, in Frankreich, in den Vereinigten Staaten und den anderen „demokratischen Ländern“ – hat dem Weltproletariat zusätzlich außerordentliche Schwierigkeiten auferlegt. Unter dem Banner der Oktoberrevolution verurteilt die versöhnlerische „Volksfront“-Politik die Arbeiterklasse zur Ohnmacht und bahnt dem Faschismus den Weg.
Die „Volksfronten“ auf der einen, der Faschismus auf der anderen Seite, dies sind die letzten politischen Reserven des Imperialismus im Kampf gegen die proletarische Revolution. Vom historischen Standpunkt aus sind diese beiden Hilfsquellen allerdings nichts anderes als Fiktionen. Die Fäulnis des Kapitalismus hält an, sowohl unter dem Zeichen der phrygischen Mütze in Frankreich wie unter dem Zeichen des Hakenkreuzes in Deutschland. Allein der Sturz der Bourgeoisie kann einen Ausweg eröffnen.
Die Orientierung der Massen ist einerseits durch die objektiven Bedingungen des verfallenden Kapitalismus, andererseits durch die Politik des Verrats der alten Arbeiterorganisationen bestimmt. Entscheidend von diesen beiden Faktoren ist selbstverständlich der erste: die Gesetze der Geschichte sind mächtiger als die bürokratischen Apparate. Wie verschieden auch die Methoden der Sozialverräter sein mögen – von der „Sozial“-Gesetzgebund Leons Blums ist zu den Justizfälschungen Stalins –, es wird ihnen niemals gelingen, den revolutionären Willen des Proletariats zu brechen. Je weiter die Zeit fortschreitet, desto klarer werden ihre verzweifelten Anstrengungen, das Rad der Geschichte aufzuhalten, den Massen demonstrieren, daß die Krise der proletarischen Führung, die zur Krise der menschlichen Kuh tur geworden ist, nur von der IV. Internationale gelöst werden kann.
Die strategische Aufgabe der nächsten Periode – der vorrevolutionären Periode der Agitation, Propaganda und Organisation – besteht darin, den Widerspruch zwischen der Reife der objektiven Bedingungen der Revolution und der Unreife des Proletariats und seiner Vorhut (Verwirrung und Entmutigung der alten Generation, mangelnde Erfahrung der Jungen) zu überwinden. Man muß der Masse im Verlauf ihres täglichen Kampfes helfen, die Brücke zu finden zwischen ihren aktuellen Forderungen und dem Programm der sozialistischen Revolution. Diese Brücke muß in einem System von Übergangsforderungen bestehen, die ausgehen von den augenblicklichen Voraussetzungen und dem heutigen Bewußtsein breiter Schichten der Arbeiterklasse und unabänderlich zu ein und demselben Schluß führen: der Eroberung der Macht durch das Proletariat.
Die klassische Sozialdemokratie, die ihre Tätigkeit in der Epoche des Kapitalismus entfaltete, als er noch progressiv war, teilte ihr Programm in zwei voneinander unabhängige Teile: das Minimalprogramm, das sich auf Reformen im Rahmen der bürgerlichen Gesellschaft beschränkte, und das Maximalprogramm, das für eine unbestimmte Zukunft die Ersetzung des Kapitalismus durch den Sozialismus versprach. Zwischen dem Minimalprogramm und dem Maximalprogramm gab es keine Brücke. Und in der Tat, die Sozialdemokratie brauchte keine solche Brücke, denn von Sozialismus sprach sie nur am Feiertag.
Die Kommunistische Internationale hat den Weg der Sozialdemokratie in der Epoche des faulenden Kapitalismus beschritten, wo nicht mehr die Rede sein kann von systematischen Sozialreformen noch von der Hebung des Lebensstandards der Massen; wo die Bourgeoisie sich jedesmal mit der rechten Hand das Doppelte von dem nimmt, was sie mit der linken Hand gegeben hat (Steuern, Zölle, Inflation, „Deflation“, Teuerung, Arbeitslosigkeit, Schlichtung des Streiks durch Polizei usw.); wo jede ernsthafte Forderung des Proletariats und sogar jede fortschrittliche Forderung des Kleinbürgertums unausweichlich über die Grenzen des kapitalistischen Eigentums und des bürgerlichen Staates hinausführt.
Die strategische Aufgabe der IV. Internationale besteht nicht darin den Kapitalismus zu reformieren, sondern darin, ihn zu stürzen. Ihr politisches Ziel ist die Eroberung der Macht durch das Proletariat, um die Enteignung der Bourgeoisie durchzuführen. Die Lösung dieser strategischen Aufgabe ist jedoch undenkbar ohne die sorgfältigste Aufmerksamkeit gegenüber allen Fragen der Taktik, selbst den geringfügigen und partiellen.
Alle Teile des Proletariats, alle seine Schichten, Berufe und Gruppen müssen in die revolutionäre Bewegung hineingezogen werden. Was die Besonderheit der gegenwärtigen Epoche ausmacht, ist nicht, daß sie die revolutionäre Partei von der prosaischen Arbeit des Alltags befreit, sondern daß sie erlaubt, diesen alltäglichen Kampf in unauflösbarer Verbindung mit den Aufgaben der Revolution zu führen.
Die IV. Internationale verwirft nicht die Forderungen des alten „Minimal“-Programms, soweit sie noch einige Lebenskraft bewahrt haben. Sie verteidigt unermüdlich die demokratischen Rechte der Arbeiter und ihre sozialen Errungenschaften. Aber sie führt diese Tagesarbeit aus im Rahmen einer richtigen, aktuellen, d. h. revolutionären Perspektive. In dem Maße wie die alten partiellen „Minimal“-Forderungen der Massen auf die zerstörerischen und erniedrigenden Tendenzen des verfallenden Kapitalismus stoßen – und das geschieht auf Schritt und Tritt – stellt die IV. Internationale eine System von Übergangsforderungen auf, dessen Sinn es ist, sich immer offener und entschlossener gegen die Grundlagen der bürgerlichen Herrschaft selbst zu richten. Das alte „Minimalprogramm“ wird ständig überholt vom Übergangsprogramm, dessen Aufgabe darin besteht, die Massen systematisch für die proletarische Revolution zu mobilisieren.
Unter den Bedingungen des sich zersetzenden Kapitalismus führen die Massen weiter das düstere Leben von Unterdrückten, die jetzt mehr denn je von der Gefahr bedroht sind, in den Abgrund des Pauperismus geworfen zu werden. Sie sind gezwungen, ihr Stück Brot zu verteidigen, wenn sie es schon nicht vergrößern oder verbessern können. Es besteht weder Möglichkeit noch Notwendigkeit, hier all die verschiedenen partiellen Forderungen aufzuzählen, die jeweils aus den konkreten nationalen, lokalen und beruflichen Bedingungen hervorgehen. Aber zwei wirtschaftliche Grundübel, in denen sich die wachsende Sinnlosigkeit des kapitalistischen Systems zusammenfaßt, nämlich die Arbeitslosigkeit und die Verteuerung des Lebens, erfordern verallgemeinerte Losungen und Kampfmethoden.
Die IV. Internationale erklärt die Politik der Kapitalisten einen unversöhnlichen Krieg, einer Politik, die zu einem beträchtlichen Teil – genauso wie die Politik ihrer Agenten, der Reformisten, – in dem Versuch besteht, auf die Arbeiterschaft die ganze Last des Militarismus, der Krise, der Zerrütung der Geldsysteme und andere Übel des kapitalistischen Niedergangs abzuwälzen. Sie fordert Arbeit und eine würdige Existenz für alle.
Weder Inflation der Währung noch Stabilisierung können dem Proletariat als Losungen dienen, denn das sind nur die zwei Gesichter ein und derselben Medaille. Gegen die Teuerung, die mit dem Herannahen des Krieges einen immer zügelloseren Charakter annehmen wird, kann man nur kämpfen mit der Losung der Gleitenden Lohnskala. Die Tarifverträge müssen die automatische Erhöhung der Löhne gleichlaufend mit den Preissteigerungen der Verbrauchsgüter garantieren.
Will es sich nicht selbst dem Untergang ausliefern, dann darf das Proletariat nicht dulden, daß ein wachsender Teil der Arbeiterschaft zu chronisch Arbeitslosen, zu Elenden gemacht wird, die von den Krümeln einer sich zersetzenden Gesellschaft leben. Das Recht auf Arbeit ist das einzig ernsthafte Recht, das der Arbeiter in einer auf Ausbeutung begründeten Gesellschaft besitzt. Ihm wird jedoch in jedem Augenblick dieses Recht genommen. Gegen die Arbeitslosigkeit – sowohl die strukturelle wie die konjunkturelle – ist es an der Zeit, neben der Parole der öffentlichen Arbeiten die Losung der Gleitenden Skala der Arbeitszeit auszugeben. Die Gewerkschaften und andere Massenorganisationen müssen diejenigen, die Arbeit haben, und diejenigen, die keine haben, durch die gegenseitige Verpflichtung zur Solidarität verbinden. Auf dieser Basis muß die verfügbare Arbeit unter alle vorhandenen Arbeitskräfte aufgeteilt und so die Dauer der Arbeitswoche bestimmt werden. Der Durchschnittslohn jedes Arbeiters bleibt der gleiche wie bei der bisherigen Arbeitswoche. Der Lohn, mit einem fest garantierten Minimum, folgt der Bewegung der Preise. Kein anderes Programm ist für die jetzige Periode der Katastrophen annehmbar.
Die Besitzenden und ihre Anwälte werden die „Unmöglichkeit der Verwirklichung“ dieser Forderungen darlegen. Die Kapitalisten von geringerer Statur, insbesondere diejenigen, die dem Ruin entgegengehen, werden außerdem auf ihre Buchführung verweisen. Die Arbeiter werden kategorisch diese Argumente und Empfehlungen abweisen. Es handelt sich nicht um den „normalen“ Zusammenstoß entgegengesetzter materieller Interessen. Es geht darum, das Proletariat vor Verfall, Demoralisierung und Ruin zu bewahren. Es geht um Leben und Tod der einzig schöpferischen und fortschrittlichen Klasse und damit um die Zukunft der Menschheit selbst. Wenn der Kapitalismus unfähig ist, die Forderungen zu befriedigen, die unausweichlich aus den Übeln hervorgehen, die er selbst erzeugt hat, dann soll er untergehen! Die „Möglichkeit“ oder „Unmöglichkeit“, diese Forderungen zu verwirklichen, ist hierbei eine Frage des Kräfteverhältnisses, die nur durch den Kampf gelöst werden kann. Auf der Grundlage dieses Kampfes werden die Arbeiter – was auch immer seine unmittelbaren praktischen Erfolge sein mögen – am besten die Notwendigkeit begreifen, die kapitalistische Sklaverei zu liquidieren.
Im Kampf für die Teil- und Übergangsforderungen benötigen die Arbeiter mehr denn je Massenorganisationen, vor allem Gewerkschaften. Der mächtige Anstieg der Gewerkschaften in Frankreich und den Vereinigten Staaten ist die beste Antwort an die ultralinken Doktrinäre der Passivität, die gepredigt haben, die Gewerkschaften seien „überholt“.
Die Bolschewiki-Leninisten stehen in der vordersten Reihe aller Kämpfe der verschiedensten Formen, selbst wenn es sich um die bescheidensten materiellen Interessen oder demokratischen Rechte der Arbeiterklasse handelt. Sie nehmen aktiv teil am Leben der Massengewerkschaften und bemühen sich, sie zu stärken und ihren Kampfgeist zu erhöhen. Sie kämpfen unversöhnlich gegen jeglichen Versuch, die Gewerkschaften dem bürgerlichen Staat zu unterwerfen und das Proletariat durch die „Zwangsschlichtung“ und alle anderen Formen polizeilicher Intervention zu binden, und zwar nicht nur der faschistischen, sondern auch „demokratischen“. Nur auf der Grundlage dieser Arbeit ist es möglich, innerhalb der Gewerkschaften mit Erfolg gegen die reformistische Bürokratie zu kämpfen, insbesondere gegen die stalinistische Bürokratie. Die sektiererischen Versuche, kleine „revolutionäre“ Gewerkschaften aufzubauen oder aufrechtzuerhalten als eine zweite Ausgabe der Partei, bedeutet in Wirklichkeit den Verzicht auf den Kampf um die Führung der Arbeiterklasse. Hier muß als unumstößlicher Grundsatz gelten: die kapitulierende Selbstisolierung außerhalb der Massengewerkschaften, gleichbedeutend mit dem Verrat der Revolution, ist unvereinbar mit der Zugehörigkeit zur IV. Internationale.
Zugleich verwirft und verurteilt die IV. Internationale entschieden jeglichen Gewerkschaftsfetischismus, wie er gleichermaßen Tradeunionisten und Syndikalisten eigen ist:
Deshalb müssen sich die Sektionen der IV. Internationale ständig bemühen, nicht nur den Gewerkschaftsapparat zu erneuern, in dem sie in kritischen Augenblicken anstelle der routinierten Funktionäre Karrieristen mutig und entschlossen neue kämpferische Führer vorschlagen, sonder auch überall da, wo es möglich ist, eigenständige Kampforganisationen zu schaffen, die besser den Aufgaben des Kampfes der Massen gegen die bürgerliche Gesellschaft entsprechen, sie dürfen notfalls auch nicht davor haltmachen, mit dem konservativen Gewerkschaftsapparat offen zu brechen. Wenn es verbrecherisch ist, den Massenorganisationen den Rücken zu kehren, um sich mit sektiererischen Fiktionen zu begnügen, so ist es nicht weniger verbrecherisch, passiv die Unterordnung der revolutionären Massenbewegung unter die Kontrolle der offen reaktionären oder verhüllt konservativen („progressiven“) bürokratischen Cliquen zu dulden. Die Gewerkschaft ist kein Ziel an sich, sondern nur eines der Mittel auf dem Weg zur proletarischen Revolution.
Die Arbeiterbewegung der Übergangsepoche hat keinen regelmäßigen und gleichförmigen, sondern einen fieberhaften und explosiven Charakter. Die Losungen sowie die Organisationsformen müssen diesem Charakter der Bewegung untergeordnet werden. Die Routine wie die Pest verabscheuend muß die Führung auf die Initiative der Massen mit höchster Sensibilität antworten.
Die Streiks mit Fabrikbesetzungen, eine der jüngsten Äußerungen dieser Initiative, sprengen die Grenzen der „normalen“ kapitalistischen Herrschaft. Unabhängig von den Forderungen der Streikenden versetzt die zeitweilige Besetzung der Unternehmen dem Götzenbild des kapitalistischen Eigentums einen schweren Schlag. Jeder Besetzungsstreik stellt praktisch die Frage, wer der Herr in der Fabrik ist: der Kapitalist oder die Arbeiter.
Wenn der Besetzungsstreik diese Frage vorübergehend stellt, so gibt das Fabrikkomitee derselben Frage einen organisierten Ausdruck. Von allen Arbeitern und Angestellten des Betriebes gewählt, schafft das Fabrikkomitee mit einem Schlag ein Gegengewicht gegen den Willen der Verwaltung.
Dem reformistischen Kritizismus an den Bossen alten Schlags wie Ford – jenen, die man die „Unternehmer von Gottes Gnaden“ nennt und denen sie die „guten demokratischen“ Ausbeuter entgegenhalten – stellen wir die Losung der Fabrikkomitees als Zentren des Kampfes gegen die eine wie die andere Sort entgegen.
Die Gewerkschaftsbürokraten werden sich in der Regel der Bildung von Fabrikkomitees widersetzen, ebenso wie sie sich jedem kühnen Schritt auf dem Weg zu Mobilisierung der Massen entgegenstellen werden. Es wird jedoch um so leichter sein, ihren Widerstand zu brechen, je weiter die Bewegung um sich greift. Dort, wo die Arbeiter des Betriebes bereits in den „ruhigen“ Zeiten vollständig in der Gewerkschaft organisiert sind (closed shop), wird das Komitee formal mit dem Gewerkschaftsorgan zusammenfallen, aber seine Zusammensetzung erneuern, und seinen Wirkungsbereich erweitern. Die zentrale Bedeutung des Komitees liegt jedoch darin, im Kampf einen Generalstab zu bilden für diejenigen Arbeiterschichten, die gewöhnlich von der Gewerkschaft nicht erfaßt werden. Es werden gerade aus diesen besonders ausgebeuteten Schichten die der Revolution ergebensten Truppen hervorgehen.
Sobald ein solches Komitee entsteht, ergibt sich in der Fabrik tatsächlich eine Situation der Doppelherrschaft. Ihrem Wesen nach ist diese Doppelherrschaft eine Übergangssituation, denn sie schließt zwei unversöhnliche Herrschaftsformen in sich ein: das kapitalistische und das proletarische Regime. Die grundsätzliche Bedeutung der Fabrikkomitees besteht genau darin, eine vorrevolutionäre wenn nicht gar revolutionäre Periode zwischen der bürgerlichen und der proletarischen Herrschaft zu eröffnen. Das die Propaganda für die Fabrikkomitees weder verfrüht noch künstlich ist, bezeugt am deutlichsten die Welle der Fabrikbesetzungen, die über eine Reihe von Ländern hinweggegangen ist. Weitere Wellen dieser Art sind in naher Zukunft unausweichlich. Es ist notwendig, rechtzeitig eine Kampagne für die Fabrikkomitees zu beginnen, um nicht von den Ereignissen unvorbereitet überrascht zu werden.
Der liberale Kapitalismus, der auf der freien Konkurrenz und der Handelsfreiheit beruhte, ist weit in der Vergangenheit versunken. Der monopolistische Kapitalismus, der an seine Stelle geraten ist, hat nicht nur die Anarchie des Marktes eingeschränkt, sondern ihr im Gegenteil sogar einen besonders krampfhaften Charakter verliehen. Die Notwendigkeit einer „Kontrolle“ über die Wirtschaft, einer staatlichen „Führung“, einer „Planung“ wird nunmehr – zumindest in Worten – von fast allen bürgerlichen und kleinbürgerlichen Denkrichtungen anerkannt, vom Faschismus bis hin zur Sozialdemokratie. Für die Faschisten handelt es sich vor allem um eine „geplante“ Plünderung des Volkes für militärische Zwecke. Die Sozialdemokraten versuchen, den Ozean der Anarchie mit dem Löffel einer bürokratischen „Planung“ auszuschöpfen. Ingenieure und Professoren schreiben Artikel über die „Technokratie“. Die demokratischen Regierungen stoßen bei ihren feigen Versuchen der „Regulierung“ auf die unüberwindliche Sabotage des Großkapitals.
Die wahre Beziehung zwischen Ausbeutern und demokratischen „Kontrolleuren“ enthüllt am deutlichsten die Tatsache, daß die Herren „Reformer“ – gepackt vom Schauer heiliger Ehrfurcht – vor der Schwelle der Trusts mit ihre industriellen und geschäftlichen „Geheimnissen“ haltmachen. Hier herrscht der Grundsatz der „Nichteinmischung“. Die Rechnungslegung zwischen dem einzelnen Kapitalisten und der Gesellschaft bleibt das Geheimnis des Kapitalisten: die Gesellschaft geht das nichts an. Das Geschäftsgeheimnis wird noch heute mit den Erfordernissen der „Konkurrenz“ gerechtfertigt – wie in der Epoche des liberalen Industriekapitalismus. In Wirklichkeit haben die Trusts keine Geheimnisse voreinander. In der gegenwärtigen Epoche ist das Geschäftsgeheimnis eine ständige Verschwörung des Monopolkapitals gegen die Gesellschaft. Die Pläne zur Beschränkung des Absolutismus der „Unternehmer von Gottes Gnaden“ bleiben klägliche Farcen, solange die Privateigentümer der gesellschaftlichen Produktionsmittel den Erzeugern und Verbrauchern die Mechanismen der Ausbeutung, der Plünderung und des Betrugs verbergen können. Die Aufhebung des „Geschäftsgeheimnisses“ ist der erste Schütt zu einer wirklichen Kontrolle über die Industrie.
Die Arbeiter sind nicht weniger berechtigt als die Kapitalisten, die „Geheimnisse“ des Betriebs, des Trusts, des Industriezweigs, der gesamten Volkswirtschaft zu kennen. Die Banken, die Schwerindustrie und das zentralisierte Transportwesen müssen als erstes unter die Lupe genommen werden.
Die ersten Aufgaben der Arbeiterkontrolle bestehen darin, das Einkommen und den Kostenaufwand der Gesellschaft aufzuhellen, angefangen beim einzelnen Unternehmer; den wirklichen Anteil des Einzelkapitalisten und aller Ausbeuter in ihrer Gesamtheit am Nationaleinkommen zu bestimmen; die Kulissenschiebereien und den Schwindel der Banken und Trusts bloßzustellen und schließlich, vor den Augen der Gesellschaft, die gewissenlose Vergeudung menschlicher Arbeitskraft zu enthüllen, die das Ergebnis kapitalistischer Anarchie und Profitjagd ist.
Kein Beamter des bürgerlichen Staates kann diese Aufgabe durchführen, welche Vollmachten man ihm auch geben mag. Die ganze Welt hat die Ohnmacht Präsident Roosevelts und des Ministerpräsidenten Leon Blum gegenüber der Verschwörung der „60“ oder der „200“ Familien miterlebt. Um den Widerstand der Ausbeuter zu brechen, bedarf es des Drucks von seiten des Proletariats. Die Fabrikkomitees, und nur sie, können eine wirkliche Kontrolle über die Produktion garantieren, indem sie die ehrlichen und dem Volk ergebenen Fachleute – als Berater und nicht als „Technokraten“ – heranziehen: Buchhalter, Statistiker, Ingenieure, Wissenschaftler usw.
Insbesondere ist der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit nicht denkbar ohne eine breite und kühne Organisierung großer öffentlicher Arbeiten. Aber die öffentlichen Arbeiten können nur dann eine dauerhafte und fortschrittliche Bedeutung haben, sowohl klar die Gesellschaft wie für die Arbeitslosen selbst, wenn sie Teil eines allgemeinen Plans sind, der für eine Reihe von Jahren entworfen ist. Im Rahmen eines solchen Plans werden die Arbeiter die Wiederaufnahme der Arbeit in den infolge der Krise geschlossenen privaten Betrieben auf Kosten der Gesellschaft fordern. In diesen Fällen wird die Arbeiterkontrolle einer unmittelbaren Verwaltung durch die Arbeiter Platz machen.
Die Ausarbeitung eines Wirtschaftsplans, selbst des elementarsten, – vom Standpunkt der Arbeiterinteressen und nicht der Ausbeuter – ist undenkbar ohne Arbeiterkontrolle, ohne die Einsichtnahme des Arbeiten in alle offenen und geheimen Branchen der kapitalistischen Ökonomie. Die Komitees der verschiedenen Unternehmen müssen auf entsprechenden Konferenzen neue Ausschüsse wählen, die jeweils die Trusts, die Industriezweige, die Wirtschaftsgebiete und schließlich die nationale Industrie in ihrer Gesamtheit umfassen. So wird die Arbeiterkontrolle zur Schule der Planwirtschaft. Durch die Erfahrung der Kontrolle bereitet sich das Proletariat darauf vor, unmittelbar die Führung der nationalisierten Industrie zu übernehmen, wenn die Stunde dafür geschlagen hat.
Den Kapitalisten, vor allem denen kleinerer und mittlerer Statur, die gelegentlich selbst anbieten, den Arbeitern ihre Buchführung darzulegen – vor allem, um ihnen die Notwendigkeit einer Lohnkürzung zu beweisen – werden die Arbeiter antworten, daß sie die Buchführung von einzelnen angehenden oder vollständigen Bankrottmachern nicht interessiert, sondern nur die Buchführung aller Ausbeuter. Die Arbeiter können und wollen ihren Lebensstandard nicht den Erfordernissen einzelner Kapitalisten anpassen, die ihrem eigenen System zum Opfer gefallen sind. Die. Aufgabe besteht darin, das ganze Produktions- und Verteilungssystem auf rationelleren und würdigeren Grundlagen zu reorganisieren. Wie die Aufhebung des Geschäftsgeheimnisse die notwendige Bedingung der Arbeiterkontrolle ist, so ist diese Kontrolle der erste Schritt auf dem Wege zu sozialistischen Lenkung der Wirtschaft.
Das sozialistische Programm der Enteignung – d. h. des politischen Sturzes der Bourgeoisie und der Beseitigung ihrer wirtschaftlichen Herrschaft – darf uns auf keinen Fall in der gegenwärtigen Übergangsperiode, wenn die Gelegenheit sich bietet, davon abhalten zu fordern, daß bestimmte Industriezweige, die für die nationale Existenz am wichtigsten sind, oder bestimmte Gruppen der Bourgeoisie, die am parasitärsten sind, enteignet werden.
So stellen wir den wimmernden Predigten der Herren Demokraten über die Diktatur der „60“ Familien in den Vereinigten Staaten oder der „200“ Familien in Frankreich die Forderung nach Enteignung dieser 60 oder 200 Feudalkapitalisten entgegen. Genauso fordern wir die Enteignung der monopolistischen Gesellschaften der Kriegsindustrie, der Eisenbahnen, der wichtigsten Rohstoffquellen usw.
Der Unterschied zwischen diesen Forderungen und der verwaschenen reformistischen Losung der „Nationalisierung“ besteht in folgendem:
Die Notwendigkeit, die Losung der Enteignung in der täglichen Agitation, und demzufolge bruchstückhaft, und nicht nur von einem propagandistischen Gesichtspunkt aus unter ihrer verallgemeinerten Form auszugeben, ergibt sich aus der Tatsache, daß die verschiedenen Industriezweige unterschiedliche Entwicklungsstufen erreicht haben, im Leben der Gesellschaft von unterschiedlicher Bedeutung sind und unterschiedliche Stadien im Klassenkampf durchlaufen. Nur der allgemeine revolutionäre Aufschwung des Proletariats kann die allgemeine Enteignung der Bourgeoisie auf die Tagesordnung setzen. Es ist Ziel der Übergangsforderungen, daß Proletariat auf die Lösung dieses Problems vorzubereiten.
Der Imperialismus bedeutet die Herrschaft des Finanzkapitals. Neben den Konzernen und Trusts, und oft über ihnen, konzentrieren die Banken in ihren Händen die wirkliche Befehlsgewalt über die Wirtschaft. In ihrer Struktur spiegeln die Banden in konzentrierter Form die ganze Struktur des heutigen Kapitalismus wider: sie verbinden die Tendenzen zur Monopolbildung mit den Tendenzen zur Anarchie. Sie organisieren technische Wunder, gigantische Unternehmen, mächtige Trusts, und sie organisieren auch die Teuerung, die Krisen und die Arbeitslosigkeit. Unmöglich, auch nur einen ernsthaften Schritt vorwärts zu tun im Kampf gegen die Despotie der Monopole und die kapitalistische Anarchie (die sich gegenseitig in ihrem Zerstörungswerk ergänzen), wenn man die Steuerhebel der Banken in den Händen raubgieriger Finanzmagnaten beläßt.
Um ein einheitliches Investitions- und Kreditsystem zu schaffen, das nach einem rationellen Plan arbeitet, der den Bedürfnissen des ganzen Volkes entspricht, muß man alle Banken in einer einzigen nationalen Institution zusammenfassen. Erst die Enteignung der Privatbanken und Vereinigung des Kreditsystems in Staatshand verschaffen dem Staat die notwendigen, wirksamen – und d. h. materiellen und nicht nur erdachten bürokratischen – Mittel für die wirtschaftliche Planung.
Die Enteignung der Banken bedeutet auf keinen Fall die Enteignung der kleinen Bankeinlagen. Im Gegenteil: für die kleinen Sparer kann die Vereinigte Staatsbank günstigere Bedingungen schaffen als die Privatbanken. Ebenso kann nur die Staatsbank den Bauern, den Handwerkern und kleinen Kaufleuten bevorzugten, d. h. billigen Kredit verschaffen.
Wichtiger aber ist noch, daß die ganze Wirtschaft, vor allem die Schwerindustrie und die Transporte, – von einem einzigen Finanzstab geführt – den grundlegenden Bedürfnissen der Arbeiter und aller anderen Werktätigen dienen wird.
Die Verstaatlichung der Banken bringt jedoch nur dann diese günstigen Ergebnisse, wenn die Staatsmacht selbst aus den Händen der Ausbeuter vollständig in die Hände der Arbeiter übergeht.
Die Streiks mit Fabrikbesetzungen sind eine sehr ernste Warnung der Massen an die Adresse nicht nur der Bourgeoisie, sonder auf der Arbeiterorganisationen, einschließlich der IV. Internationale. 1919-1920 besetzten die italienischen Arbeiter aus eigener Initiative die Betriebe und zeigten damit ihren eigenen „Führern“ die Ankunft der sozialen Revolution. Die „Führer“ beachteten das Zeichen nicht. Der Sieg des Faschismus war das Resultat.
Die Besetzungsstreik sind noch keine Inbesitznahme der Fabriken nach italienischer Art, aber sie stellen einen entscheidenden Schütt auf diesem Weg dar. Die aktuelle Krise kann den Rhythmus des Klassenkampfes bis zu einem Höhepunkt zuspitzen und die Entscheidung beschleunigen. Man darf jedoch nicht glauben, daß eine revolutionäre Situation auf einen Schlag entsteht. In Wirklichkeit wird ihr Heran- nahen durch eine Reihe von gewaltigen Unruhen gekennzeichnet sein. Die Streikwelle mit Fabrikbesetzungen ist eines dieser Vorzeichen. Es ist die Aufgabe der Sektionen der IV. Internationale, der proletarischen Vorhut zu helfen, den allgemeinen Charakter und die Bewegungsabläufe unserer Epoche zu verstehen und rechtzeitig den Kampf der Massen durch immer entschiedenere Losungen und organisatorische Kampfmaßnahmen zu befruchten.
Die Verschärfung des Kampfes des Proletariats bedeutet die Verschärfung der Methoden des Gegenangriffs von seiten des Kapitals. Die neuen Streikwellen mit Fabrikbesetzungen können und werden unausweichlich energische Gegenmaßnahmen der Bourgeoisie als Reaktion hervorrufen. Die Vorbereitungen dazu werden schon jetzt in den Generalstäben der Trusts getroffen. Wehe den revolutionären Organisationen, wehe dem Proletariat, wenn sie wieder unvorbereitet überrascht werden und sich auf Improvisationen verlassen!
Die Bourgeoisie gibt sich nirgendwo mit der offiziellen Polizei und Armee zufrieden. In den Vereinigten Staaten unterhält sie selbst in „ruhigen“ Zeiten paramilitärische gelbe Streikbrecher-Truppen und private bewaffnete Banden in den Fabriken. Hinzu kommen noch die Banden der amerikanischen Nazis. Die französische Bourgeoisie hat beim ersten Herannahen der Gefahr halblegale und illegale faschistische Abteilungen bis in die offizielle Armee hinein mobilisiert. So braucht nur der Druck der englischen Arbeiter wieder zuzunehmen, und schon verdoppeln, verdreifachen, verzehnfachen sich die Banden Mosleys und beginnen einen blutigen Kreuzzug gegen die Arbeiter. Die Bourgeoisie ist sich vollkommen klar darüber, daß der Klassenkampf in der gegenwärtigen Epoche unausweichlich in einen Bürgerkrieg umzuschlagen droht. Aus den Beispielen Italiens, Deutschlands; Österreichs, Spaniens und anderer Länder haben die Magnaten und Lakaien des Kapitals viel mehr gelernt als die offiziellen Führer des Proletariats.
Die Politiker der II. und III. Internationale, desgleichen die Gewerkschaftsbürokraten schließen mit vollem Bewußtsein die Augen vor der Privatarmee der Bourgeoisie; sonst könnten sie nicht einen Tag lang ihr Bündnis mit der Bourgeoisie aufrechterhalten. Die Reformisten hämmern den Arbeitern systematisch die Vorstellung ein, daß die hochheilige Demokratie dann am besten gesichert ist, wenn die Bourgeoisie bis an die Zähne bewaffnet ist und die Arbeiter entwaffnet.
Es ist die Pflicht der IV. Internationale, ein für allemal mit dieser unterwürfigen Politik Schluß zu machen. Die kleinbürgerlichen Demokraten – einschließlich der Sozialdemokraten, Stalinisten und Anarchisten – schreien um so lauter vom Kampf gegen den Faschismus, je feiger sie in Wirklichkeit vor ihm kapitulieren. Den Banden des Faschismus können erfolgreich nur bewaffnete Arbeiterabteilungen standhalten, die die Unterstützung von Millionen Werktätigen hinter ihrem Rücken fehlen. Der Kampf gegen den Faschismus beginnt nicht in der Redaktionsstube eines liberalen Blattes, sondern in der Fabrik und endet auf der Straße. Die Streikbrecher und die Privatgendarmen in den Fabriken sind die Grundzellen der Armee des Faschismus. Die Streikposten sind die Grundzellen der Armee des Proletariats. Hiervon muß man ausgehen. Bei jedem Streik und jeder Straßendemonstration muß man die Notwendigkeit propagieren, Arbeiterkommandos der Selbstverteidigung zu schaffen. Man muß diese Losung in das Programm des revolutionären Flügels der Gewerkschaften einbringen. Man muß überall, wo es möglich ist – angefangen bei den Jugendorganisationen – die Organisierung von Selbstverteidigungskommandos praktisch in die Hand nehmen und sie im Gebrauch von Waffen üben.
Der neue Aufschwung der Massenbewegung muß dazu dienen, nicht nur die Zahl dieser Einheiten zu vergrößern, sondern auch sie zu vereinheitlichen – nach Stadtvierteln, Städten und Regionen. Man muß dem berechtigten Haß der Arbeiter auf die Gelben, die Gangster- und Faschistenbanden einen organisierten Ausdruck geben. Man muß die Losung der Arbeitermiliz ausgeben als der einzig ernstzunehmenden Garantie für die Unverletzlichkeit der Arbeiterorganisationen, ihrer Versammlungen und der Arbeiterpresse.
Nur eine systematische, beharrliche, unermüdliche und mutige Arbeit in der Agitation und Propaganda, die immer in Verbindung stehen muß mit der Erfahrung der Massen selbst, kann aus ihrem Bewußtsein die Gewohnheiten der Fügsamkeit und Passivität vertreiben, heldenmütige Einheiten von Kämpfern erziehen, die fähig sind, allen Arbeitern ein Beispiel zu geben; den Banden der Konterrevolution eine Reihe von taktischen Niederlagen beibringen; das Selbstbewußtsein der Ausgebeuteten und Unterdrückten stärken; den Faschismus in den Augen des Kleinbürgertums zu diskreditieren und der Eroberung der Macht durch das Proletariat den Weg bahnen.
Engels definierte den Staat als „besondere Formation bewaffneter Menschen“. Die Bewaffnung des Proletariats ist ein unabdingbarer wesentlicher Teil seines Befreiungskampfes. Wenn das Proletariat es will, findet es Mittel und Wege, sich zu bewaffnen. Auch auf diesem Gebiet fällt die Führung natürlich den Sektionen der IV. Internationale zu.
Der Landarbeiter ist der Waffenbruder und Gefährte des Industriearbeiters auf dem Dorf. Sie bilden zwei Teile ein und derselben Klasse. Ihre Interessen sind nicht zu trennen. Das Programm der Übergangsforderungen der Industriearbeiter ist (mit) Modifikationen) auch das Programm des Landproletariats.
Die Bauern (Farmer) repräsentieren eine andere Klasse: das ist das Kleinbürgertum des Dorfes. Das Kleinbürgertum setzt sich aus verschiedenen Schichten zusammen, von den Halbproletariern bis hin zu den Ausbeutern. Deshalb besteht die politische Aufgabe des Industrieproletariats darin, den Klassenkampf in das Dorf zu tragen: nur so kann es seine Verbündeten von seinen Feinden trennen.
Die Besonderheiten der nationalen Entwicklung eines jeden Landes finden ihren schärfsten Ausdruck in der Lage der Bauern und teilweise in der des städtischen Kleinbürgertums (Handwerker und Kaufleute), denn diese Klassen – wie stark sie zahlenmäßig auch sein mögen – stellen im Grund Überbleibsel vorkapitalistischer Produktionsformen dar. Die Sektionen der IV. Internationale müssen so konkret wie möglich Programme von Übergangsforderungen für die Bauern und das städtische Kleinbürgertum ausarbeiten, die den Bedingungen des jeweiligen Landes entsprechen. Die fortgeschrittenen Arbeiter müssen es lernen, den Fragen ihrer künftigen Verbündeten klare und korrekte Antworten zu geben.
Solange der Bauer ein „unabhängiger“ Kleinproduzent bleibt, braucht er billige Kredite, erschwingliche Preise für Landmaschinen und Dänger, günstige Transportbedingungen, eine reelle Organisation für den Absatz landwirtschaftlicher Erzeugnisse. Doch die Banken, die Trusts und die Kaufleute plündern den Bauern von allen Seiten. Nur die Bauern selbst können mit Hilfe der Arbeiter diesem Raub Einhalt gebieten. Es ist notwendig, daß Ausschüsse der Kleinbauern gebildet werden, die gemeinsam mit den Arbeiterkomitees und den Ausschüssen der Bankangestellten die Kontrolle der Transport-, Kredit und Handelsoperationen in die Hand nehmen, die die Landwirtschaft betreffen.
In dem die Großbourgeoisie verlogen die „maßlosen Forderungen“ der Arbeiter hochspielt, benutzt sie die Frage der Warenpreise künstlich als Keil. den sie zwischen die Arbeiter und Bauern ebenso wie zwischen die Arbeiter und das Kleinbürgertum der Städte treibt. Der Bauer, der Handwerker, der kleine Händler können im Unterschied zum Arbeiter, zum Angestellten. zum kleinen Beamten keine Lohnerhöhungen parallel zum Ansteigen der Preise fordern. Der offizielle bürokratische Kampf gegen die Teuerung dient nur dazu, die Masse zu betrügen. Die Bauern, die Handwerker, die Kaufleute müssen sich jedoch in ihrer Eigenschaft als Verbraucher Hand in Hand mit den Arbeitern aktiv in die Preispolitik einschalten. Auf das Gejammer der Kapitalisten über die Produktions-, Transport- und Handels- kosten antworten die Verbraucher: „Zeigt uns eure Buchführung; wir verlangen die Kontrolle über die Preispolitik“. Die Organe dieser Kontrolle müssen die Preisüberwachungsausschüsse sein, gebildet aus Delegierten der Fabriken, der Gewerkschaften, der Genossenschaften, der Bauernorganisationen, der „kleinen Leute“ der Städte, der Hausfrauen usw. Auf diesem Wege werden die Arbeiter den Bauern zeigen können, daß die wahre Ursache für die überhöhten Preise nicht in den hohen Löhnen liegt, sondern in maßlosen Profiten der Kapitalisten und in den toten Kosten der kapitalistischen Anarchie.
Das Programm der Nationalisierung des Bodens und der Kollektivierung der Landwirtschaft muß so gefaßt sein, daß daraus der Gedanke der Enteignung der Kleinbauern oder ihrer zwangsweisen Kollektivierung absolut ausgeschlossen bleibt. Der Bauer bleibt der Besitzer seines Stückchen Landes, solange er es für notwendig und möglich hält. Um in den Augen der Bauern das sozialistische Programm wieder zu Ehren zu bringen, muß man unbarmherzig die stalinistischen Methoden der Kollektivierung brandmarken, die von den Interessen der Bürokratie diktiert sind und nicht von denen der Bauern oder Arbeiter.
Die Expropriation der Expropriateure bedeutet auch nicht die zwangsweise Enteignung der kleinen Handwerker und der kleinen Landbesitzer. Im Gegenteil, die Arbeiterkontrolle über die Banken und Trusts, erst recht die Nationalisierung dieser Unternehmen, können für das städtische Kleinbürgertum unvergleichlich günstigere Kredit-, Einkaufs- und Verkaufsbedingungen schaffen als unter der uneingeschränkten Herrschaft der Monopole. An die Stelle der Abhängigkeit vom Privatkapital wird die Abhängigkeit vom Staat treten, der seinen sozial schwachen Mitarbeitern und Vertretern gegenüber um so aufmerksamer sein wird, je fester die Werktätigen selbst den Staat in der Hand haben.
Die praktische Teilnahme der ausgebeuteten Bauern an der Kontrolle der verschiedenen Wirtschaftsbereiche wird es den Bauern erlauben, selbst zu entscheiden, ob sie es für günstiger halten oder nicht, zur kollektiven Bearbeitung des Bodens überzugehen – in welchen Fristen und in welchem Umfang. Die Industriearbeiter verpflichten sich, den Bauern auf diesem Wege ihre volle Unterstützung zu geben: über die Gewerkschaften, die Fabrikkomitees und vor allem die Arbeiter- und Bauernregierung.
Das Bündnis, welches das Proletariat nicht den „Mittelklassen“ im allgemeinen, sondern den ausgebeuteten Schichten in Stadt und Land gegen alle Ausbeuter – einschließlich denjenigen der „Mittelklassen“ – vorschlägt, kann sich nicht auf Zwang gründen, sondern nur auf eine freie Vereinbarung, die in einem besonderen „Pakt“ bekräftigt werden muß. Bei diesem „Pakt“ handelt es sich genau um das Programm der Übergangsforderungen, das beide Seiten freiwillig angenommen haben.
Die ganze Weltlage und demzufolge auch das innere politische Leben der einzelnen Länder stehen unter der Drohung des Weltkriegs. Die bevorstehende Katastrophe durchdringt schon die tiefsten Schichten der Menschheit mit Angst.
Die II. Internationale wiederholt ihre Politik des Verrats von 1914 mit umso größerer Zuversicht, als die „Kommunistische“ Internationale jetzt die erste Geige des Chauvinismus spielt. Kaum hatte die Kriegsgefahr eine konkrete Gestalt angenommen, machten sich die Stalinisten zu den eifrigsten Verfechtern der sogenannten „Nationalen Verteidigung“ und ließen dabei die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Pazifisten weit hinter sich. Von Politik nehmen sie nur die faschistischen Länder aus, d. h. diejenigen Ländern, wo sie selbst überhaupt keine Rolle spielen. Der revolutionäre Kampf gegen den Krieg ruht somit alleine auf den Schultern der IV. Internationale.
Die Politik der Bolschewiki-Leninisten in dieser Frage wurde in den programmatischen Thesen des Internationalen Sekretariats formuliert, die noch heute ihre volle Gültigkeit besitzen (Die IV. Internationale und der Krieg, 1. Mai 1934). Der Erfolg der revolutionären Partei wird in der nächsten Periode vor allem von ihrer Politik in der Kriegsfrage abhängen. Eine korrekte Politik umfaßt zwei Elemente: die Unerbittlichkeit gegenüber dem Imperialismus und seinen Kriegen und die Fähigkeit sich auf die Erfahrung der Massen selbst zu stützen.
In der Kriegsfrage wird das Volk schlimmer als in jeder anderen Frage von der Bourgeoisie und ihren Agenten mit Hilfe von Abstraktionen, Leerformeln und pathetischen Phrasen irregeführt. „Neutralität“, „Nationale Verteidigung“, „Kampf gegen den Faschismus“ usw. Alle diese Formeln enthalten letztlich nichts anderes, als die Entscheidung über Krieg und Frieden – d. h. das Schicksal der Völker – in den Händen der Imperialisten, ihrer Regierungen, ihrer Diplomatie, ihrer Generalstäbe mit all ihren Intrigen und Anschlägen gegen die Völker zu bleiben habe.
Die IV. Internationale weist empört all diese Abstraktionen zurück, die bei den Demokraten die gleiche Rolle spielen wie „Ehre“, „Blut“, „Rasse“ bei den Faschisten. Aber Empörung genügt nicht. Es ist notwendig, mit Hilfe eindeutiger Kriterien, geeigneter Parolen und Übergangsforderungen die Massen instand zu setzen, den konkreten Tatbestand hinter diesen trügerischen Abstraktionen zu erkennen.
„Abrüstung“? Aber alles dreht sich um die Frage, wer entwaffnet und wem die Waffen abgenommen werden. Die einzige Form der Abrüstung, die den Krieg verhindern oder aufhalten kann, ist die Entwaffnung der Bourgeoisie durch die Arbeiter. Aber um die Bourgeoisie zu entwaffnen, müssen die Arbeiter selbst bewaffnet sein.
„Neutralität“? Aber das Proletariat ist auf keinen Fall neutral in einem Krieg zwischen Japan und China oder zwischen Deutschland und der Sowjetunion. Bedeutet das die Verteidigung Chinas und der Sowjetunion? Selbstverständlich!, aber nicht durch die Vermittlung der Imperialisten, die China und die Sowjetunion erdrosseln würden.
„Verteidigung des Vaterlandes“? Aber unter dieser Abstraktion versteht die Bourgeoisie die Verteidigung ihrer Profite und Plünderungen. Wir sind dazu bereit, das Vaterland gegen die ausländischen Kapitalisten zu verteidigen, wenn wir zuvor unseren eigenen Kapitalisten die Hände gebunden haben und sie daran hindern, das Vaterland anderer anzugreifen; wenn die Arbeiter und Bauern unseres Landes seine wirklichen Herren werden; wenn die Reichtümer des Landes aus den Händen einer verschwindenden Minderheit in die Hände des Volkes übergehen; wenn die Armee aus dem Werkzeug der Ausbeuter zum Werkzeug der Ausgebeuteten wird.
Man muß diese Grundsätze in einzelne konkrete Gedanken zu übersetzen verstehen, die dem Verlauf der Ereignisse sowie der Orientierung und dem Bewußtseinsgrad der Massen entsprechen. Außerdem muß man streng unterscheiden zwischen dem Pazifismus des Diplomaten, des Professors, des Journalisten und dem Pazifismus des Zimmermanns, des Landarbeiters und der Wäscherin. Im ersten Fall ist der Pazifismus nichts anderes als der Deckmantel des Imperialismus; im zweiten der verworrene Ausdruck des Mißtrauens gegenüber dem Imperialismus.
Wenn ein Kleinbauer oder Arbeiter von der Verteidigung des Vaterlandes spricht, denkt er dabei an die Verteidigung seines Hauses, seiner Familie und der Familien anderer gegen Invasion, gegen Bomben, gegen Giftgase. Der Kapitalist und sein Journalist verstehen unter Verteidigung des Vaterlandes die Eroberung von Kolonien und Märkten, die Ausdehnung des „nationalen“ Anteils am Welteinkommen durch Plünderung. Der bürgerliche Pazifismus und Patriotismus sind reine Lüge. Im Pazifismus und selbst im Patriotismus der Unterdrückten sind Elemente enthalten, die einerseits den Haß gegen zerstörerischen Krieg und andererseits ihre Anhänglichkeit an das, was sie für ihre Habe halten, ausdrücken und die man erfassen muß, um daraus die notwendigen revolutionären Konsequenzen zu ziehen. Man muß diese beiden Formen des Pazifismus und des Patriotismus einander gegenüber stellen.
Ausgehend von diesen Überlegungen unterstützt die IV. Internationale jede selbst unzureichende Forderung, wenn sie geeignet ist, auch nur zu einem geringen Grad die Massen in die aktive Politik hineinzuziehen, ihre Kritik zu wecken und ihre Kontrolle über die Machenschaften der Bourgeoisie zu verstärken.
In diesem Sinne unterstützt unsere amerikanische Sektion zum Beispiel kritisch den Vorschlag, einen Volksentscheid über die Frage der Kriegserklärung durchzuführen. Keine demokratische Reform an sich kann selbstverständlich die Herrschenden daran hindern, einen Krieg vom Zaun zu brechen, wann immer sie wollen. Davor muß man offen warnen. Aber welche Illusionen auch die Massen bezüglich des Volksentscheids haben mögen, diese Forderung spiegelt das Mißtrauen der Arbeiter und der Bauern gegenüber der Regierung und dem Parlament wider. Ohne die Illusionen zu unterstützen, aber auch ohne sie links liegen zu lassen, muß man mit allen Kräften das fortschreitende Mißtrauen der Unterdrückten gegen die Unterdrücker stärken. Je mächtiger die Bewegung für den Volksentscheid um sich greift, um so schneller trennen sich von ihr die bürgerlichen Pazifisten, um so eindeutiger werden sich die Verräter der „Kommunistischen“ Internationale bloßgestellt sehen, umso kraftvoller äußert sich das Mißtrauen der Werktätigen gegen die Imperialisten.
Vom gleichen Gesichtspunkt aus muß die Forderung nach dem Wahlrecht für Männer und Frauen ab 18 Jahren vorgebracht werden. Wen man morgen dazu ruft, für das „Vaterland“ zu sterben, der muß das Recht haben, heute seine Stimme hören zu lassen. Der Kampf gegen den Krieg muß vor allem mit der revolutionären Mobilisierung der Jugend beginnen.
Man muß das Problem des Krieges von allen Seiten beleuchten, dabei aber immer den Aspekt herausstellen, unter dem die Massen jeweils mit dem Krieg konfrontiert sind.
Der Krieg ist ein gigantisches kommerzielles Unternehmen, vor allem für die Kriegsindustrie. Deshalb sind die „200 Familien“ die ersten Patrioten und die hauptsächlichen Kriegstreiber. Die Arbeiterkontrolle über die Kriegsindustrie ist der erste Schritt im Kampf gegen die Fabrikanten des Krieges.
Der Losung der Reformisten nach Besteuerung der Kriegsgewinne setzten wir die Losung entgegen: Beschlagnahme der Kriegsgewinne und Enteignung der für den Krieg arbeitenden Betriebe.
Wo – wie in Frankreich die Kriegsindustrie bereits „nationalisiert“ ist, behält die Losung der Arbeiterkontrolle ihre volle Geltung: das Proletariat vertraut dem Staat der Bourgeoisie ebensowenig wie dem einzelnen Bourgeois.
Es muß ein für allemal die freie Entscheidung über das Schicksal der Völker den Händen der raubgierigen und unerbittlichen imperialistischen Cliquen entrissen werden, die hinter dem Rücken der Völker handeln. In Übereinstimmung damit fordern wir:
Der imperialistische Krieg ist die Fortsetzung und Verschärfung der Raubpolitik der Bourgeoisie; der Kampf des Proletariats gegen den Krieg ist die Fortsetzung und Verschärfung seines Klassenkampfes. Der Ausbruch des Krieges verändert die Lage und zum Teil die Methoden des Klassenkampfes, nicht aber die Ziele noch die Grundrichtung desselben.
Deshalb wird der nächste Krieg wesentlich ein imperialistischer Krieg sein. Der fundamentale Inhalt der Politik des internationalen Proletariats wird demzufolge der Kampf gegen den Imperialismus und seinen Krieg dein. Der Grundsatz dieses Kampfes lautet: „Der Hauptfeind steht im eigenen Land“ oder „Die Niederlage unserer eigenen (imperialistischen) Regierungen ist das kleinere Übel“.
Aber nicht alle Länder der Welt sind imperialistisch. Im Gegenteil, die Mehrzahl der Länder sind Opfer des Imperialismus. Bestimmte koloniale oder halbkoloniale Länder werden ohne Zweifel versuchen, den Krieg auszunützen, um das Sklavenjoch abzuwerfen. Auf ihrer Seite wird der Krieg kein imperialistischer, sondern ein Befreiungskrieg sein. Es ist die Pflicht des internationalen Proletariats, unterdrückten Ländern im Krieg gegen die Unterdrücker zu helfen. Dieselbe Pflicht erstreckt sich auch auf die Sowjetunion oder jeden anderen Arbeiterstaat, der vor oder während des Krieges entstehen mag. Die Niederlage jeder imperialistischen Regierung im Kampf gegen einen Arbeiterstaat oder ein Kolonialland ist das kleinere Übel.
Die Arbeiter eines imperialistischen Landes können jedoch einem antiimperialistischen Land nicht über die Vermittlung ihrer eigenen Regierung helfen gleichgültig, welche diplomatischen und militärischen Beziehungen die beiden Länder gerade unterhalten. Wenn die Regierungen ein zeitweiliges und letztlich unsicheres Bündnis geschlossen haben, bleibt das Proletariat des imperialistischen Landes in Klassenopposition gegenüber seiner Regierung und unterstützt seinen nicht-imperialistischen „Verbündeten“ durch seine eigenen Methoden, d. h. durch die Methoden des internationalen Klassenkampfes (Agitation zugunsten des Arbeiterstaates und des Koloniallandes nicht nur gegenüber seinen Feinden, sondern auch gegenüber seinen falschen Verbündeten: Boykott und Streik in bestimmten Fällen, Verzicht auf Streik und Boykott in anderen usw.).
Wenn das Proletariat ein Kolonialland oder die Sowjetunion im Krieg unterstützt, solidarisiert es sich nicht im geringsten mit der bürgerlichen Regierung des Koloniallandes oder der thermidorischen Bürokratie in der Sowjetunion. Im Gegenteil, es wahrt seine völlige politische Unabhängigkeit sowohl der einen wie der anderen gegenüber. Indem das revolutionäre Proletariat einen gerechten und fortschrittlichen Krieg unterstützt, erobert es sich die Sympathien der Werktätigen der Kolonien und der Sowjetunion, festigt so die Autorität und den Einfluß der IV. Internationale und kann umso besser den Sturz der bürgerlichen Regierung im Kolonialland, der reaktionäre Bürokratie in der Sowjetunion fördern.
Am Anfang des Krieges werden sich die Sektionen der IV. Internationale unvermeidlich isoliert fühlen: jeder Krieg überrascht die Volksmassen und drängt sie an die Seite des Regierungsapparates. Die Internationalisten werden gegen den Strom schwimmen müssen. Doch werden die Verwüstungen und Leiden des neuen Krieges, die schon in den ersten Monaten die blutigen Schrecken von 1914–18 weit hinter sich lassen werden, die Massen bald ernüchtert haben. Die Unzufriedenheit der Massen und ihr Aufruhr wird sprunghaft wachsen. Die Sektionen der IV. Internationale werden sich an der Spitze der revolutionären Strömung befinden. Das Programm der Übergangsforderungen wird eine brennende Aktualität gewinnen. Das Problem der Machteroberung durch das Proletariat wird sich in seiner ganzen Schwere stellen.
Bevor er die Menschheit völlig auszehrt oder in Blut ertränkt, vergiftet der Kapitalismus die Weltatmosphäre mit dem verderblichen Dunst der Völker- und Rassenhasses. Der Antisemitismus ist heute eine der bösartigsten Zuckungen des kapitalistischen Todeskampfes.
Die unerbittliche Brandmarkung aller Rassenvorurteile und aller Schattierungen nationaler Anmassung und des Chauvinismus, insbesondere den Antisemitismus, muß in tägliche Arbeit aller Sektionen der IV. Internationale als grundlegende Erziehungstätigkeit im Kampf gegen Imperialismus und Krieg eingehen. Unsere Grundlosung ist und bleibt: „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“
Zuletzt aktualisiert am 11. November 2023