August Thalheimer

 

Wie schafft die Arbeiterklasse die Einheitsfront gegen den Faschismus?

III. Der Ausweg

B. Die Kommunistische Partei muß die proletarische Einheitsfront organisieren, indem sie den ultralinken Kurs offen, schnell und vollständig beseitigt.

1. Die taktischen Erfahrungen

Der offene Brief vom Januar 1921

Die Kommunistische Partei hat langjährige, reiche Erfahrungen in der Taktik der Einheitsfront. Aber diese Erfahrungen, deren wichtigste in die Jahre 1920 bis 1923 zurückreichen, sind durch die zwei Perioden des ultralinken Kurses unter Maslow, Ruth Fischer 1924-1926 und die, die 1928 begonnen hat und heute erst zögernd und teilweise aufgegeben wird, so gut wie verschüttet worden. Die junge Generation der Parteimitglieder hat sie überhaupt nicht kennen gelernt, die ältere hat sie zu einem großen Teil vergessen.

Es ist daher nützlich sie wieder in Erinnerung zu bringen. Das Fallen- lassen di5er Methoden hat die Partei und die Arbeiterklasse kampfunfähig gemacht. Sie müssen, abzüglich der dabei begangenen Fehler, wieder aufgenommen werden. Die Behauptungen, daß die Bedingungen für ihre Anwendung verschwunden seien, stützten sich nicht auf Tatsachen, sondern auf phantastische Verkennung der Lage und der Faktoren des Klassenkampfes der letzten 4 Jahre. Das Wort „Einheitsfront“ ist die ganze Zeit über gebraucht worden. Die Sache aber wurde aufgegeben. Auf sie aber kommt es an.

Die erste umfassende Einheitsfrontaktion der Partei begann im Januar 1921 in einer Zeit wachsender Teuerung und steigender Not der Arbeiterklasse. Es war dies nach der Verschmelzung der KPD (Spartakusbund) mit dem linken Flügel der USPD, die im Herbst 1920 stattgefunden hatte. Die Partei hieß für eine Übergangszeit „Vereinigte Kommunistische Partei Deutschlands“ (VKPD). Vorhergegangen waren bereits im Dezember 1920 die Vier Forderungen der Stuttgarter Metallarbeiter, für die eine breite Resolutionskampagne in Betrieben, Gewerkschafts- und Massenversammlungen geführt wurde.

Am 8. Januar 1921 wandte sich die VKPD mit einem Offenen Brief an den ADGB, die SPD und USP mit folgenden Forderungen:

  1. Einleitung von einheitlichen Lohnkämpfen, Erhöhung aller Renten und Pensionen von Kriegsopfern und Sozialrentnern., einheitliche Regelung der Arbeitslosenbezüge:
  2. Maßnahmen zur Verbilligung von Lebensmitteln.
  3. Maßnahmen zur Bereitstellung von Lebensmitteln u. Bedarfsgegenständen.
  4. Sofortige Entwaffnung und Auflösung der bürgerlichen Selbstschutzorganisationen. Schaffung proletarischer Selbstschutzorganisationen. Amnestie für alle politischen Delikte, Aufnahme der diplomatischen und Handelsbeziehungen mit Sowjet-Rußland.

ADGB, SPD und USP lehnten ein gemeinsames Vorgehen mit der VKPD ab. Darauf wandte sich die Partei am 16. Januar 1921 in einem Aufruf an die Mitglieder der genannten Organisationen und das gesamte Proletariat zur Bildung der geschlossenen Abwehrfront auch gegen den Willen der Führer. Zur Durchführung der Kampagne für diese Forderungen schlug die Partei vor: „Es gilt in jeder Fabrik Versammlungen der Gesamtbelegschaft einzuberufen und darüber zu beraten, was die einheitlichen Forderungen der Arbeiter sein sollen und die Betriebsräte zu verpflichten, für diese Forderungen einzutreten. Gewerkschaftsversammlungen sind einzuberufen und öffentliche Versammlungen zur allgemeinen Aufklärung für unsere Forderungen abzuhalten.“

In den ersten zwei Wochen nach Erlaß des Aufrufes wurden in ganz Deutschland Versammlungen gemeldet, die sich für die Forderungen des offenen Briefes und die proletarische Einheitsfront aussprachen. Die Kampagne hatte besonderen Erfolg in Berlin, Leipzig, Stuttgart, Thüringen, Ruhrgebiet. Eine große Anzahl kleinerer Versammlungen, 13 Belegschaftsversammlungen von Großbetrieben, 16 Zahl- bzw. Verwaltungsstellenversammlungen, vor allem des Metallarbeiterverbandes sprachen sich für den offenen Brief aus. In Berlin stellte sich die von 6000 Arbeitern besuchte Mitgliederversammlung des Eisenbahnerverbandes auf den Boden des offenen Briefes: Auf der Funktionärskonferenz des ADGB für den Bezirk Berlin vom 2. Januar erhielt ein Antrag im Sinne des offenen Briefes 327 gegen 555 Stimmen.

Die Wirkung. der Kampagne war unter den Gewerkschaftsmitgliedern so stark, daß die Gewerkschaftsbürokratie zur Gegenwehr griff. Die Bürokratie des Eisenbahnerverbandes, des Bauarbeiterverbandes, des Metallarbeiterverbandes griffen zu Ausschlüssen kommunistischer Gewerkschaftsfunktionäre und verweigerten die Anerkennung kommunistischer Ortsverwaltungen (Bauarbeiterverband Chemnitz, Eisenbahnerverband Berlin, Essen). Der Vorstand des ADGB drohte in einem Brief vom 7. Februar diejenigen auszuschließen, die für den offenen Brief der KPD eintraten (wegen Verletzung der statutenmäßigen Neutralität der Gewerkschaften). Die VKPD. antwortete mit der Forderung an die Mitglieder der Gewerkschaften, die Einheitsfrontkampagne zu verstärken. Sie trat scharf gegen die Spaltungsversuche der auf und mobilisierte die Mitglieder zum Kampf gegen die reformistischen Spalter und für die Erhaltung der Einheit der Gewerkschaften.

In. der zweiten Hälfte Februar ging das Kapital mit Betriebsstillegungen und anderen Maßregeln gegen die Kaliarbeiter Mitteldeutschlands vor. Eine Reichskonferenz der Kaliarbeiter, die über die Abwehrmaßnahmen beraten sollte, beschloß, „daß die geeignete Grundlage, auf welcher der Kampf der Bergarbeiter geführt werden muß, der offene Brief der VKPD ist.“

Die einzelnen Gewaltmaßregeln der Gewerkschaftsbürokratie fruchteten jedoch nichts gegenüber den wachsenden Sympathien, die die Kampagne für den offenen Brief der VKPD unter den Gewerkschaftsmitgliedern verschaffte. Der Druck von unten auf die Gewerkschaftsbürokratie wurde immer stärker.
 

Die „zehn Forderungen“ des ADGB

Da entschloß sich der Vorstand des ADGB zu einem Manöver, um der immer weiter um sich greifenden Offensive der KPD die Spitze abzubrechen. Er stellte selbst 10 Bedingungen zur Abhilfe der Arbeitslosennot auf – natürlich, nicht um die Gewerkschaften dafür in den Kampf zu führen, sondern um den Kampf zu sabotieren.

Die VKPD parierte sofort dieses Manöver, indem sie, nach einer Kritik der Unzulänglichkeit dieser Forderungen, erklärte, daß sie für die Durchführung dieser Forderungen eintreten werde. Sie führte die Einheitsfrontkampagne weiter in dem Sinne, daß die Arbeiterklasse sich für die Erkämpfung dieser Forderung einsetzen und sich nicht auf die Gewerkschaftsführer verlassen solle.

Bis Anfang März hatten sich für die Forderungen des offenen Briefes ausgesprochen: 32 wichtige Gewerkschaftszahlstellen und Ortsverwaltungen, 24 Belegschaftsversammlungen von Großbetrieben,.18 Versammlungen, die teils von der VKPD selbst, teils von örtlichen Gewerkschaftskartellen, einberufen waren.

Im Anschluß an die Konflikte mit Frankreich wegen der Reparationszahlungen und die Bedrohung der Ruhrarbeiter begann die Partei eine Kampagne für das Bündnis mit Sowjet-Rußland. In Berlin fand am 11. März eine Massenversammlung statt, an der sich USP-Arbeiter und eine Reihe großer Betriebe beteiligten (AEG, Osram, Knorrbremse).

Die Kampagne für den offenen Brief wurde unterbrochen durch die sogenannte Märzaktion, in der die Partei auf eine von Severing kühl angelegte Provokation hineinfiel und die Frage des Machtkampfes stellte, ohne sich die notwendige Massengrundlage, die Bereitschaft, der Mehrheit der Arbeiterklasse den Machtkampf zu unterstützen, gesichert zu haben.
 

Voraussetzungen, Kennzeichen und Ergebnisse der Einheitsfrontaktion

Was waren die Kennzeichen und Voraussetzungen dieser ersten von der Gesamtpartei eingeleiteten Einheitsfrontaktion? Die Voraussetzungen waren einerseits das Rückfluten der revolutionären Welle, das den unmittelbaren Kampf um die Macht zunächst von der Tagesordnung abgesetzt hatte, andererseits steigende Arbeitslosigkeit und steigende Not der Arbeiter. Die Spaltung der USP in Halle (1920) hatte den Drang der Arbeiterkasse nach Einheit der Aktion als Gegengewicht gegen die organisatorische Spaltung der Arbeiterklasse gesteigert. Die Kommunistische Partei war durch den Zutritt des linken Flügels der USP zahlenmäßig gestärkt, aber trotzdem war es erst eine Minderheit der Arbeiterklasse, die ihrer Führung folgte. Aus diesen Voraussetzungen heraus wurde die. Taktik der Einheitsfront geschaffen, deren erster Ausdruck der offene Brief vom 8. Januar und die sich daran anschließende Kampagne war.

Die Kennzeichen dieser ersten Einheitsfrontkampagne waren: als Einleitung die Wendung an die Spitze des ADGB, der SPD und USP zum gemeinsamen Kampf für ein Programm von unmittelbaren Forderungen. Nach Ablehnung durch die Spitzen die Wendung an die Mitglieder der Gewerkschaften, an die örtlichen Gewerkschaftsorganisationen, an die betriebe, an die Arbeiteröffentlichkeit im Ganzen. Das Gegenmanöver der Gewerkschaftsbürokratie mit Aufstellung ihrer 10 Forderungen wurde pariert, indem die Partei an die Masse der Gewerkschaftsmitglieder und die Betriebe appellierte, um den wirklichen Kampf für diese Forderungen zu organisieren.

Was war das Ergebnis der dreimonatlichen Kampagne? Ein sehr bedeutendes für die Partei und die Arbeiterbewegung, obwohl es in diesen drei Monaten noch nicht gelungen war, von der Propaganda und Agitation zur breiten Massenaktion überzugehen: die Eroberung neuen Bodens für den Kommunismus in den Gewerkschaften, in den Betrieben, das Zurückdrängen der Autorität und des Einflusses der refomistischen Gewerkschaftsbürokratie, die Vereitelung ihrer Spaltungsabsichten und Gewaltmaßregeln gegen Kommunisten durch die Eroberung der Sympathien der Mitglieder für die Kommunistische Partei.
 

Die Märzaktion und ihre Korrektur

Das Ansrutschen nach ultralinks in der Märzaktion begann die Partei sehr schnell selber zu korrigieren und in die Taktik des offenen Briefes, d.h. der Einheitsfront zurückzulenken.

Am 29. April bereits erließ die Reichsgewerkschaftszentrale der KPD einen Aufruf an die Gewerkschaftsmitglieder gegen Durchbrechung des 8-Stundentages gegen Lohnabbau, gegen jede Ausnahmejustiz, für die 10 Forderungen des ADGB.

Die Reparationskrise verschärfte sich, die Kämpfe in Oberschlesien nahmen groben Umfang an, die Arbeitslosigkeit stieg. Da griff die Partei in ihrem Aufruf vom 22. Mai die Forderungen des offenen Briefes wieder aufforderte die proletarische Einheitsfront gegen die nationalistische Aktion in Oberschlesien und gegen das Wüten der Justiz gegen die revolutionären Arbeiter. Die Partei veranstaltete im ganzen Reich Versammlungen, in denen sie zum Kampf aufrief. Gemeinsame Versammlungen der Arbeiterorganisationen fanden in Stuttgart und Danzig statt. Die Ortsverwaltung Berlin des Deutschen Eisenbahnerverbandes berief eine gemeinsame Sitzung der Parteien und Gewerkschaftsspitzen zur Verhinderung von Waffentransporten.

Am 10. Juni wurde der unabhängige Abgeordnete Gareis in München von Konterrevolutionären ermordet. In München selbst trat die Arbeiterschaft sofort in einen zweitägigen Generalstreik. Die KPD rief die gesamte Arbeiterschaft auf zum Kampf gegen die Regierung Kahr, für proletarischen Selbstschutz, gegen den Belagerungszustand, für die Freilassung der politischen Gefangenen. In Berlin fanden gemeinsame Demonstrationen von KPD und USP statt. Die SPD hielt getrennte Versammlungen ab. In der Provinz fanden gemeinsame Versammlungen auf dem Boden des KPD-Aufrufs statt in Halle, Königsberg, Ludwigshafen. In Speier führte die Kampagne zu einem 24stündigem Generalstreik für die Forderungen des KPD-Aufrufs. Die Kampagne für die 10 Forderungen des ADGB wurde weiter geführt. Am 20. Juni fand eine Demonstration der Berliner Arbeitslosen vor dem Gewerkschaftshaus für die 10 Forderungen statt. Die Partei unterstützte diese Aktion durch einen Aufruf.

Am 19. Juni trat eine Betriebsrätekonferenz für Nordwestdeutschland in Bremen zusammen, die als erste Einleitung zu einheitllichen Aktionen dienen sollte. Man beschränkte sich hier aber nicht mehr auf die 10 Forderungen des ADGB, sondern forderte die einheitliche Aktion für ein weitergehendes Kampfprogramm.
 

Der 3. Kongreß der Kommunistischen Internationale

Am 22. Juni trat in Moskau der III. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale zusammen, der bis 12. Juli dauerte. Unter der Führung Lenins korrigierte der Kongreß schnell, offen und vollständig die ultralinke Taktik, die der Märzaktion zugrunde lag. Die Taktik des offenen Briefes, der Einheitsfront, wurde vom Kongreß ausdrücklich als musterhaft erklärt und für die gesamte Internationale verallgemeinert. Den kommunistischen Parteien wurde für die Zeit, wo die Arbeiterklasse nicht mehr oder noch nicht unmittelbar um die Macht kämpfte, die Aufgabe gestellt, durch Kämpfe um Organisierung von Teilforderungen und revolutionäre Übergangslosungen (Arbeiterkontrolle der Produktion) auf Grund der Taktik der Einheitsfront die Mehrheit der Arbeiter für die Grundsätze und Ziele des Kommunismus zu erobern und die Sympathien der Massen der Werktätigen zu gewinnen, um so den Kampf um die Macht gründlich, und ausreichend vorzubereiten. Paul Levi, der bisherige Führer der Partei, der in einer Broschüre die Partei wegen der Märzaktion heftig angriff, ohne vorher versucht zu haben, innerhalb der Partei kritisch aufzutreten, wurde wegen Disziplinbruchs ausgeschlossen, ihm aber der Weg zur Rückkehr in die Partei offengehalten. Soweit seine Kritik berechtigt war, wurde sie offen anerkannt. Zwischen den Vertretern seiner Auffassung und der Mehrheit der Partei wurde ein Friedensvertrag abgeschlossen, der den Boden für die disziplinierte Zusammenarbeit in der Leitung schaffen sollte und auch für einen Teil derjenigen, die sich zeitweilig Paul Levi angeschlossen hatten, geschaffen hat. Durch diese von der Partei selbst unmittelbar eingeleitete, von der Kommunistischen Internationale vollständig und offen vor der gesamten Arbeiterklasse durchgeführte Korrektur der ultralinken Fehler der Märzaktion wurde der Rückschlag, den die Märzaktion der Partei gebracht hatte, binnen kurzem wieder wettgemacht, das verlorene Vertrauen wieder gewonnen, die Partei zusammengeschweißt, der Boden für neuen Vormarsch auf Grundlage der Taktik der Einheitsfront vorbereitet.

Der III. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale .kann als Muster dafür dienen, wie taktische Fehler schnell, offen, vollständig, ohne falsche Prestigerücksicht mitten im feindlichen Feuer korrigiert werden.
 

Die Weiterführung der Einheitsfrontkampagne

Die Weiterführung der Einheitsfrontkampagne der Partei steigerte den Druck der Massen auf die reformistischen Gewerkschaftsinstanzen. Unter diesem steigenden Druck mußte der Vorstand des ADGB in einem Aufruf vom 8. August erklären, daß er bereit sei, nicht nur mit parlamentarischen Mitteln, sondern auch mit denen des Gewerkschaftskampfes für die 10 Forderungen einzutreten. Die KPD verstärkte die Kampagne für die sofortige Bildung der proletarischen Einheitsfront und für die sofortige Aufnahme des Kämpf es für die 10 Forderungen des ADGB. Sie legte organisatorisch das Hauptgewicht auf die Einberufung von Betriebsrätevollversammlungen an allen Orten. Es ist klar, daß die Partei diese Kampagne nicht hätte durchführen können ohne starke Stützpunkte in den Gewerkschaften. Diese Kampagne selbst aber verbreiterte mächtig den Einfluß und die organisatorischen Stützpunkte der Partei in den Gewerkschaften. Die Gewerkschaftsfraktionen, die eroberten Gewerkschaftsfunktionen, Betriebsräte waren die entscheidenden Hebel in der Kampagne der Partei.

In Verbindung mit dieser Kampagne organisierte die Partei eine Bewegung zur Einberufung eines Betriebsräte-Kongresses. In Berlin nahm eine Betriebsrätevollversammlung, die von 1.000 Betriebsräten besucht war, Stellung für den Reichsbetriebsrätekongreß. Ebenso Betriebsrätevollversammlungen in Leipzig, Erfurt, Hamburg, im Ruhrgebiet, die Betriebsrätekonferenz von Thüringen, das Gewerkschaftskartell der Provinz Brandenburg, zahlreiche Betriebs- und öffentliche Versammlungen. Die offiziellen Gewerkschaftsinstanzen lehnten die Einberufung eines Reichsbetriebsrätekongresses ab. Die Partei verstärkte ihre Mobilisierungsarbeit.
 

Die Ermordung Erzbergers

Der Massenbewegung wurde neuer Antrieb gegeben durch die Ermordung Erzbergers. Die Partei rief die Arbeiterschaft auf zur Entwaffnung der reaktionären Formationen, zur Entfernung der Monarchisten aus dem Staatsapparat, aus der Reichswehr, der Schupo, der Richterschaft und zur Aufhebung des Ausnahmezustandes. In Kiel, Leipzig, Hamburg und sechs anderen wichtigen Industriestädten fanden gemeinsame Demonstrationen aller Arbeiter statt, in Berlin lehnten ADGB und SPD gemeinsame Demonstrationen ab. In einer Reihe von Fällen (Berlin, Jena Hamburg) wurde der Versuch gemacht, den Kampf aus den Betrieben heraus gemeinsam weiterzuführen und an den Kampf gegen die Reaktion den Kampf gegen die wirtschaftliche Not der Arbeiterschaft anzuschließen. Dem Kampf gegen die Reaktion gab die Partei konkrete Form in der Losung der Schaffung proletarischer Kontrollausschüsse. USP, wie SPD, lehnten diese Losung ab.

Die Reparationsfrage und die Entscheidung des Völkerbundes über Oberschlesien führten zu einer Regierungskrise. Die KPD riet die Arbeiterschaft auf, mit allen Mitteln, parlamentarischen wie außerparlamentarischen, das Zustandekommen einer Stinnesregierung zu verhindern und geschlossen zu kämpfen für die Erfassung der Sachwerte, für den Schutz des Achtstundentages, für die Entwaffnung. der Konterrevolution, für die Entfernung von monarchistischen Elementen aus der Verwaltung und erklärte: „Sofern die SPD und die USPD den Mut haben, für diese Forderungen einzutreten, wird ihnen die KPD kein Hindernis bereiten.“

Die Sozialdemokratie entschied sich für die grobe Koalition (die Wirthregierung). Die Partei steigerte, mit gutem Erfolge, ihre Aktion unter der reformistischen Arbeiterschaft. Die „Erfassung der Sachwerte“ war von ADGB und Afa als Forderung aufgestellt. Die KPD agitierte für den Kampf um ihre Verwirklichung.

Eine neue Form der Einheitsfront war die Unterstützung der sozialdemokratischen Regierung in Thüringen. Die KPD verpflichtete sich, die sozialdemokratische Regierung solange zu unterstützen, als sie das aufgestellte Minimalprogramm durchführte.

Wir müssen uns weiterhin nur noch mit einer kurzen Aufzählung und Kennzeichnung der wichtigsten Einheitsfrontkamnpagnen in den Jahren 1922 und 1923 begnügen:

1922

1. Am 1. Januar 1922 ein Aufruf der Exekutive der Kommunistischen Internationale und der Roten Gewerkschaftsinternationale an die Arbeiter und Arbeiterinnen aller Länder Für die Einheitsfront des Proletariats unter folgenden Hauptlosungen: Kampf um die Kontrolle der Produktion, Hände weg von Sowjet-Rußland, Brot und Maschinen für die russischen Proletarier.

2. Am 11. Januar 1922 Generalversammlung der Berliner Betriebsräte. Die im November 1921 gewählte „Sechserkommission“, gewählt von 2000 Berliner Betriebsräten, um die Amnestierung der pröletarischen Gefangenen zu erzwingen, erhielt trotz des Widerstandes der Bürokratie Zutritt. Einstimmig wurde eine von der Sechserkommission vorgelegte Entschließung angenommen für die Erfassung der Sachwerte, für die Auflösung des Reichstages und Neuwahlen bei Nichtannahme unter der Parole: alle Lasten auf die Besitzenden, für den Abbruch der Subventionsverhandlungen mit der Großindustrie, für die Ablehnung jeder Stinneskoalition, für die Kontrolle der Preisbildung durch die Betriebsräte.

Die Zulassung der Kommission, die Annahme der Resolution waren schwere Niederlagen für die Bürokratie und ein Sieg der Einheitsfront.

3. Im Februar Generalstreik der Eisenbahner, allein unterstützt von der KPD, durchgeführt gegen die Instanzen des ADGB, der SPD und USP wie gegen die brutalen Gewaltmaßregeln der Sozialdemokraten in der Koalitionsregierung. Der Streik umfaßte auf seinem Höhenpunkt 800.000 Teilnehmer. Die Wucht des Streiks erzwang Verhandlungen zwischen Reichsregierung, ADGB, Deutschem Eisenbahnerverband und den Beauftragten der Streikenden.

Der Streik brachte zum erstenmal die Eisenbahnerschaft in den schärfsten Klassengegensatz nicht nur zur bürgerlichen Regierung, sondern auch zu den Gewerkschaftsinstanzen.

4. Im April Konferenz der Exekutiven der III., der II. und der Wiener 2½. Internationale in Berlin. Der Zweck waren gemeinsame internationale Massenkundgebungen während der Konferenz in Jena am 20. April oder am 1. Mai unter den Losungen: Für den Achtstundentag, für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die durch die Reparationspolitik der kapitalistischen Mächte ins Maßlose gesteigert wird, für die einheitliche Aktion des Proletariats gegen die kapitalistische Offensive, für die russische Revolution, für das hungernde Rußland, für die Aufnahme der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen aller Staaten mit Sowjet-Rußland, für die Herstellung der proletarischen Einheitsfront in jedem Lande und in der Internationale. Eine Neunerkommission der III. Internationale wurde zur Einberufung eines „Weltarbeiterkongresses“ eingesetzt.

Trotz der Sabotage der SPD marschierten in Berlin am 20. April 150.000 Arbeiter auf, dabei viele geschlossene Belegschaften. Es war der stärkste Massenaufmarsch der Arbeiterschaft in Berlin seit der Ermordung Erzbergers. In Düsseldorf demonstrierten 40.000, in Leipzig 40.000, in Stuttgart 15.000 (trotz Ablehnung durch SPD und USP), in Chemnitz 15.000. in Halle 20.000. Unter der Wirkung der internationalen Konferenz kamen am 1. Mai in ganz Deutschland gemeinsame einheitliche Kundgebungen aller Arbeiterorganisationen und -Parteien zustande. In Berlin allein demonstrierten rund 600.000 Arbeiter.

Um sich diesem Druck zu entziehen, sprengte die II. Internationale am 23. Mai die Neunerkommission.

5. Die Rathenaukampagne. Am 24. Juni wurde Rathenau ermordet. Am gleichen Tag setzte die Partei Massenversammlungen in Berlin an. Für den nächsten Tag gemeinsame Massendemonstrationen der SPD, USP und KPD. Von der Berliner B.L. wurden in einem besonderen Aufruf die Parolen herausgegeben: Entfernung aller Monarchisten aus Heer, Polizei und Verwaltung, Verbot und Auflösung aller nationalistischen Organisationen, Durchführung des Bielefelder Abkommens, sofortige Verhaftung der Orgeschführer, Schaffung von Kontrollorganen zur Durchführung dieser Forderungen. In den Versammlungen wurde die Forderung des Generalstreiks und des Zusammentritts der Betriebsrätevollversammlung erhoben. Auf der Schlußsitzung des Leipziger Gewerkschaftskongresses unterbreitete Walcher als Vertreter der KPD eine Erklärung, durch die der Kongreß den Bundesvorstand aufforderte, unverzüglich alle notwendigen Maßnahmen zur Durchfuhrung des Bielefelder Abkommens zu treffen. Am 26. Juni Aufruf der Berliner Gewerkschaftskommission, des AFA-Bundes, der Bezirksorganisationen der SPD, USP, KPD zum befristeten Proteststreik gegen die Ermordung Rathenaus. Zahlreiche Betriebsdelegationen fordern sofortige Auflösung der Reichswehr, Verhaftung von Hindenburg und Ludendorf, unverzügliche Durchführung des Bielefelder Abkommens. In Hamburg forderte eine mächtige Kundgebung der SPD, USP, KPD den sofortigen Rücktritt der sozialdemokratischen Minister aus der Koalitionsregierung, die Bildung einer Arbeiterregierung, die Bewaffnung der Arbeiter. Gleichzeitig gewaltige Massenkundgebungen im ganzen Reich. ADGB, AFA, SPD, USP weigerten sich, in die von den Organisationen gemeinsam aufgestellte Plattform die Forderung der Sicherung des Achtstundentags, der Arbeiterwehren und der Arbeiterkontrollausschüsse aufzunehmen. Sie scheuten die selbständige Aktion der Arbeiter ohne und gegen die staatlichen Organe. Die Massen drängten nach Taten. Unter diesem Druck entschlossen sich ADGB und SPD erneut zu einem halbtägigen Proteststreik zum. 24. Juli aufzurufen. Die KPD erklärte, Demonstrationen genügen nicht mehr: es gilt zu handeln. In Sachsen hatte die Partei bereits die Organisierung proletarischer Hundertschaften in die Hand genommen. Die KPD forderte die Arbeiterschaft auf, des sächsische Beispiel nachzuahmen, die Beseitigung der konterrevolutionären Beamten selbst in die Hand zu nehmen und den Kampf aufzunehmen. In ganz Mitteldeutschland bilden sich Kontrollausschüsse aller Arbeiterorganisationen, einschließlich der Gewerkschaften und der SPD, die die Säuberung der Verwaltung von sich aus beginnen. Während unten die Arbeiterschaft, Gewerkschaftsmitglieder, SPD, USP-Arbeiter in ihren örtlichen und bezirklichen Organisationen sich um die Forderungen der KPD sammelten, brachen dagegen die zentralen Spitzen des ADGB, der SPD und USP offen aus der Einheitsfront ans und brachen die Verhandlungen mit der KPD ab. Der Grund war, daß die KPD darauf bestand; daß der Aufruf der Gewerkschaften den Massen sage, mit welchen Mitteln die Forderungen durchzusetzen seien, und daß die KPD auf der Auflösung des Reichstages bestand. Aber während so die Spitzen des ADGB, der SPD und USP nach rechts aus der Einheitsfront ausbrachen, um die Koalition mit den bürgerlichen Parteien zu retten (auch der Reichsausschuß der USP hatte sich bereit erklärt, in eine bürgerliche Koalition mit einzutreten), orientierten sich die sozialdemokratischen Massen nach links. Zahlreiche Ortsgruppen der SPD, noch mehr der USP, traten geschlossen an KPD über. Um dem Ansturm der Masse der Mitglieder zu begegnen, faßten am 14. Juli die Reichstagsfraktionen der SPD und der USPD den Beschluß, sich zu einer „Arbeitsgemeinschaft“ im Reichstag zusammenzuschließen.

Der Gang der Dinge läßt sich so zusammenfassen: Die Erregung der Massen und die Initiative der KPD zwingen zunächst ADGB, AFA, SPD, USP zur gemeinsamen Aktion – zu gemeinsamen Demonstrationen. Sie sind aber bestrebt die Bewegung im Rahmen der Hilfsstellung für die Staatsorgane, der großen Koalition. und der bloßen Demonstration zu halten. Die KPD drängt auf selbständige Aktionen der Arbeiterschaft. Große Teile der Arbeiterschaft, örtliche Parteiorganisationen, Gewerkschaftskartelle usw. gehen mit. Jetzt brechen die zentralen Spitzen aus. Aber die Massen bewegen sich zur Partei, handeln mit ihr gemeinsam, gehen vielfach zur Partei über. Die Autorität und der Aktionsradius der Partei hat sich durch die Aktion mächtig ausgebreitet, in die reformistische Front ist ein bedeutender Einbruch gelungen. Als Fehler in der Aktion der Partei kann nur bezeichnet werden, daß sie nicht sofort zentral die Losung der Kontrollausschüsse herausgab und der großen Koalition die unbestimmte und unklare Losung der „Arbeiterregierung“ gegenübergestellt wurde, statt Sozialdemokraten und Unabhängige in die Regierung zu drängen und selbst die Räte zu propagieren.

6. Der Reichsbetriebsrätekongreß. Die Inflation wächst, die Teuerung steigt. Von Bayern her breitet sich die faschistische Bewegung aus. Die Berliner Betriebsräte treten am 7. August zusammen, um zur Teuerungswelle und zur Lage in Bayern Stellung zu nehmen. Die Versammlung stellt sich geschlossen auf den Boden der kommunistischen Entschließung, die vom ADGB die Anwendung aller Mittel fordert zur Verwirklichung des Berliner Abkommens bei der Ermordung Rathenaus. Ziska und Krüger von der SPD lehnen unter faulen Vorwänden ab, der Versammlung weiter beizuwohnen, sie verlassen mit einem Teil ihrer Leute den Saal. Darauf konstituieren sich 15 Genossen, Vollzugsrat-, Zentralrat- und Gruppenmitglieder der Betriebsrätezentrale als 15er Ausschuß und berufen am 27. August selbständig die Vollversammlung der Betriebsräte ein, gegen den Zentralrat, der zur Sabotierung des 15er Ausschusses aufforderte. Die Betriebsräteversammlung tritt am 31. August vollzählig zusammen, richtet einen offenen Brief an die deutsche Arbeiterschaft, und wählt einen Kontrollausschuß zur Vorbereitung eines Reichsbetriebsrätekongresses. Die Versammlung bestätigt ausdrücklich den 15er Ausschuß als ihr gewähltes Organ. Am 2. September richtet der Kontrollausschuß eine Anzahl Forderungen an den Minister des Innern: Beschlagnahme von Lebensmitteln, Einsetzung einer Kommission aus Betriebsräten der Eisenbahn zur Kontrolle der Züge, sofortige Beschlagnahme aller Luxuswohnungen, sofortige Schließung aller Luxusgaststätten, Kontrolle aller Lebensmittelbetriebe. Der 15er Ausschuß kündigt an, daß die Arbeiter zur Selbsthilfe greifen, falls nichts geschieht. Der Schritt findet lautes Echo im Reich. Betriebsräte-Versammlungen und -Kongresse in Leipzig, in Rheinland-Westfalen (Gelsenkirchen), in Solingen, Remscheid. Bitterfeld. Halle usw. folgen dem Beispiel.

Der ADGB. ging jetzt zum Gegenangriff über. Er verkündete, der Reichsbetriebsrätekongreß müsse mit allen Mitteln verhindert werden – wer am Kongreß teilnehme; habe nichts mehr in den Gewerkschaften zu suchen ...

Aber in der Generalversammlung der Berliner Betriebsräte vom 15. September, die von der freigewerkschaftlichen Betriebsrätezentrale und dem ADGB selbst einberufen war, erlitten diese Instanzen eine schwere Niederlage. Der vorgelegte, scharfe Mißtrauensantrag gegen den 15er Ausschuß wurde abgelehnt. Ein Antrag, der sich auf dem Boden des 15er-Ausschusses stellte und die Einberufung des Reichsbetriebsrätekongresses forderte wurde angenommen. Die Gewerkschaftsbürokratie stieß mit frechen Provokationen gegen die Bewegung vor. Die Massenvorbereitungen zum Reichsbetriebsrätekongreß schritten über diese Provokationen hinweg. Die Regierung griff zu Massenverhaftungen von Kommunisten, die an der Bewegung führend beteiligt waren. Die KPD antwortete mit mächtigen Protestversammlungen.

Am 23. November trat der Reichsbetriebsrätekongreß, gestützt auf eine breite Massenbewegung in Berlin zusammen. Es nahmen teil 846 Delegierte darunter 657 KPD, 38 VSPD, 22 USP, 52 Parteilose, 17 KJ, 3 VSPD-Jugend. Im Mittelpunkt des Kongresses stand der Kampf um die Kontrolle der Produktion. Ein detailliertes Aktionsprogramm. enthielt. a) Maßregeln zur Sicherung der Existenz der arbeitenden Massen; b) zur Abwälzung der Lasten des finanziellen Bankrotts und des wirtschaftlichen Zusammenbruchs auf die Bourgeoisie; c) zur Annullierung des Versailler Vertrages und zum Wiederaufbau Europas; d) zur Bekämpfung der Konterrevolution und der Wirtschaftssabotage. Als Instrument zur Sicherung der Durchführung dieses Programms bezeichnete der Kongreß die Bildung einer Arbeiterregierung, die sich stützte auf Arbeiterwehren, Betriebsräte und Kontrollausschüsse.

Dies letztere ist ein schwacher Punkt. Entscheidend aber war, daß die von der Partei organisierte Betriebsrätebewegung den Aktionsradius der Partei gewaltig ausbreitete und die Bildung selbständiger Klassenorgane der Arbeiterklasse einleitete.

1923

1. Januar, die Ruhrbesetzung droht. Eine internationale Konferenz der Kommunistischen Parteien in Essen erläßt ein Manifest gegen die imperialistischen Pläne und für die internationale Einheitsfront des kämpfenden Proletariats.

2. Mit dem Einmarsch ins Ruhrgebiet wendet sich die KPD am 11. Januar mit einem offenen Brief an ADGB, AFA, ADB, VSPD zur Herstellung der geschlossenen Kampffront. Kampfforderungen: Rücktritt der Regierung Cuno, Bruch mit der Koalition, .Abwälzung der Reparationen auf die Bourgeoisie, Arbeiterkontrolle der Produktion, Kampf gegen Cuno an der Spree und Poincaré an der Ruhr, Arbeiterregierung.

3. Am 24. Januar Betriebsrätekonferenz im Ruhrgebiet. Sie stellt neun Forderungen auf.

4. Am 11. März, in Essen der zweite rheinisch-westfälische Betriebsrätekongreß geschützt durch 5 Hundertschaften der Essener Arbeiterschaft.

5. Am 17. März internationale Konferenz in Frankfurt a.M. einberufen von der KPD.

6. In Bayern wächst, die faschistisch-monarchistische Bewegung. Am 26. Januar verhängt Bayern den Ausnahmezustand. Der Landesausschuß der KPD in Sachsen fordert die Regierung Buck-Lipinski auf zur Errichtung von Arbeiterwehren, zur Auflösung aller gegenrevolutionären Organisationen, Verhaftung ihrer Führer, Bildung von Kontrollausschüssen zur Kontrolle der Durchführung dieser Forderungen. Die Einheitsfront gegen den Faschismus wird von der Partei propagiert. Die Losung der Bildung proletarischer Hundertschaften greift durch.

7. Im Mai nimmt die Hundertschafts- und Kontrollausschußbewegung einen gewaltigen Aufschwung.

In Sachsen versuchen die rechten sozialdemokratischen Führer das Zustandekommen gemeinsamer Hundertschaften zu verhindern. Es gelingt ihnen nicht. Am 12. Mai erläßt Severing ein Verbot der Bildung. proletarischer Hundertschaften in Preußen.

In einem Aufruf vom 13. Mai fordert der Landesausschuß der sächsischen Betriebsräte die Betriebsräte und Arbeiter auf, bis zum 10. Juni in allen größeren Betrieben Betriebshundertschaften zu bilden, die sich aus Arbeitern ohne Unterschied der Parteirichtung zusammensetzen. Bis zum gleichen Termin sollen proletarische Konlrollausschüsse, ebenfalls von überparteilicher Zusammensetzung gebildet werden.

Diese Bewegung greift auch auf Thüringen über. In Preußen gesellte sich zum Verbot der Hundertschaften noch das Verbot der dem 15er-Ausschuß angeschlossenen Betriebsräte und Kontrollausschüsse.

8. Am 12. Juli Aufruf der Partei zu Massendemonstrationen gegen den Faschismus für den 29. Juli (Antifaschistentag). Die Bourgeoisie antwortete mit der Ankündigung gewaltsamen Eingreifens gegen die Demonstrationen. Wenige Tage darauf wurde die Reichswehr für das Eingreifen gegen die Arbeiterklasse umgruppiert. Die Partei verzichtete am 29. Juli auf den bewaffneten Zusammenstoß, für den weder die Partei noch die Arbeiterklasse gerüstet war. Die Partei begriff; daß eine erweiterte Kräftesammlung und gründlichere Vorbereitung notwendig war. Der Gedanke der Bewaffnung faßte erst jetzt in der Breite der Partei und darüber hinaus in der Arbeiterschaft Fuß.

Aus dem Aufruf der Partei vom 11. Juli 1923 seien folgende Stellen hier zitiert:

Wir gehen schweren Kämpfen entgegen. Wir müssen die höchste Aktionsbereitschaft entfalten. Auf die Sozialdemokratie und die Gewerkschaftsbürokratie ist kein Verlaß. Wie in allen bisherigen Abwehrkämpfen des revolutionären Proletariats gegen die Konterrevolution, wird die Sozialdemokratie und die Gewerkschaftsbürokratie die Arbeiter auch jetzt im Stich lassen und verraten ... Wir Kommunisten können in dem Kampfe gegen die Konterrevolution nur siegen, wenn es uns gelingt, ohne und gegen die verräterische sozialdemokrrnische Partei- und Gewerkschaftsbürokratie die sozialdemokratischen und parteilosen Arbeitermassen mit uns gemeinsam in den Kampf zu führen.

Zu diesem Zweck müssen sofort alle Vorbereitungen für eine kampffähige Abwehraktion getroffen werden ...

Die gemeinsamen proletarischen Abwehr-Organisationen müssen, allen Widerständen zum Trotz, unverzüglich aus den Betrieben heraus organisiert werden ...

Die Partei muß ihre Organisationen so schlagkräftig machen, daß sie auch im offenen Bürgerkrieg in keinem Bezirk versagen ...

Der Faschistenaufstand kann nur niedergeworfen werden, wenn dem weißen Terror der rote Terror entgegengestellt wird ...

9. August: Cunostreik, unter dem Druck der Betriebsrätebewegung. DieCunoregierung stürzt.. Die Sozialdemokratie tritt als Retter der Bourgeoisie in die, Regierung. Stresemann leitet das Rückzugsmanöver der deutschen Bourgeoisie im Ruhrkampf und im Innern ein. Unter dem Druck der proletarischen Massenbewegung sowie des Zusammenbruchs des passiven Widerstandes ist die Regierung genötigt, sich von der von ihr selbst aufgezogenen schwarzen Reichswehr und den andern faschistischen Organisationen zu trennen.

10. Am 24. September offener Brief der KPD an VSPD, USP, ADGB, AFA, ADB mit der Aufforderung zur Mobilisierung der ganzen Arbeiterklasse und zur Ausrufung des Generalstreiks, „da vielleicht morgen oder übermorgen schon das Wort die faschistischen Gewehre und Maschinengewehre haben“. Gleichzeitig Alarmruf an die Parteimitgliedschaft.

Bereits am 26. September verhängte Kahr den Ausnahmezustand über Bayern. Die Reichsregierung antwortete mit dem Ausnahmezustand über des ganze Reich.

11. In Sachsen und Thüringen bildet die KPD gemeinsame Regierungen mit der linken SPD.

Reichsexekutive, Einmarsch der Reichswehr in Sachsen und Thüringen ohne erheblichen Widerstand, Absetzung der sozialdemokratisch-kommunistischen Regierungen.

Was ergibt sich aus diesen Tatsachen von 1923?

Daß es der Kommunistischen Partei auf Grund einer wirklichen Einheitsfronttaktik in Verbindung mit energischer kommunistischer Fraktionsarbeit in den Gewerkschaften, unter den Betriebsräten, in den Betrieben gelang, ihren Masseneinfluß, ihren Aktionsradius ungeheuer zu erweitern, in den Gewerkschaften vorzumarschieren, einen tiefen Einbruch in das reformistische Lager zu machen und die Abwehr des Faschismus erfolgreich durchzuführen. Der Druck der revolutionären Massenbewegung, der sich in die SPD und die Gewerkschaften fortpflanzte, zwang die Bourgeoisie, ihren faschistischen Verbündeten fallen zu lassen, eine abermalige Stütze in den Spitzen der SPD und des ADGB zu suchen und sich auf den Boden der parlamentarischen Republik zurückzubegeben.

Dagegen reichte die Taktik der Einheitsfront nicht aus, um den revolutionären Angriff auf die bürgerlich-demokratische Republik zu führen. Die Voraussetzung dazu hätte sein müssen, daß die KPD bereits die Mehrheit der Arbeiterklasse zum Sturmangriff auf den bürgerlichen Staat für sich gewonnen hatte. Das war nicht der Fall. Die Regierungsexperimente in Sachsen waren eine Überschreitung der Grenzen, die der Einheitsfronttaktik gezogen sind. Sie waren eine falsche Anwendung der Einheitsfronttaktik.

Bei der Anwendung der Einheitsfronttaktik wurden die Wendungen der Partei an die Spitzen, an die Mitglieder, an die örtlichen und bezirklichen Organisationen der reformistischen Parteien und der Gewerkschaften kombiniert und verstärkten sich gegenseitig. Zeitweilig wurden die Spitzen mitgerissen, dies eröffnete einen breiten Zugang unten, beim Anschwellen der Massenbewegung sabotierten die Spitzen regelmäßig und drehten nach rechts. Die Folge aber war die Linksdrehung der Massen, ihre engere Verbindung mit der Kommunistischen Partei,. die Hebung ihrer Autorität in den Massen, ihres Aktionsradius.

Die Parteizentrale, die die Taktik der Einheitsfront 1920-23 entwickelte und anwandte, stand unter der Führung von Brandler und Thalheimer usw., der gegenwärtigen Führung der kommunistischen Opposition. Diese Anwendung geschah nicht ohne ernste Fehler. Diese Fehler sind von der kommunistischen Opposition längst erkannt, offen ausgesprochen und theoretisch wie praktisch beseitigt worden.

Nach dem Oktober 1923 verhalf die Exekutive der Kommunistischen Internationale Ruth Fischer und Maslow zusammen mit Thälmann, Remmele, Neumann zur Führung der Partei. Der ultralinke Kurs erlebte seine erste Hochflut. Statt Richtiges und Falsches an der Taktik der Einheitsfront von 1920 bis 1923 zu scheiden, eine Aufgabe, die die jetzige kommunistische Opposition durchführte, wurde jetzt die Taktik der Einheitsfront in Bausch und Bogen über Bord geworfen. Die Folge war, daß die Partei binnen eineinhalb Jahren fast völlig ihren Masseneinfluß einbüßte und an den Rand des Zusammenbruchs geführt wurde.

Nach 1923

Im letzten Augenblick lenkte die Exekutive. der Kommunistischen Internationale ein, schloß nicht nur in Deutschland, sondern in der ganzen Kommunistischen Internationale für diesmal die ultralinke Ära ab und lenkte, wenn auch nicht offen und klar, so doch praktisch, in die verlassene Bahn der Einheitsfronttaktik zurück.

Diese Taktik wurde in großem Umfang wieder angewandt bei der Fürsten-Abfindungs-Kampagne 1926. Auch hierbei liefen Fehler unter, aber der richtige Grundzug genügte, um die Partei aus der Isolierung heraus und wieder aufwärts zu führen.

Die erneute Aufgabe der Taktik der Einheitsfront und einer richtigen Gewerkschaftstaktik von 1928 ab hat jetzt zu solchen Folgen für die Partei und die Arbeiterklasse geführt, daß sie diejenigen der ultralinken Periode von 1924 bis 26 noch als harmlos erscheinen lassen. Die Ursache ist klar genug: Das Zusammenfallen der ultralinken Taktik mit der kolossalen wirtschaftlichen und politischen Erschütterung des Kapitalismus in Deutschland. Da die ultralinke Taktik die Ausnützung der gewaltigen revolutionären Möglichkeiten verhinderte, so konnte die Konterrevolution die Lage für sich ausnützen. Bei richtiger Taktik könnte die Kommunistische Partei an der Spitze der Arbeiterklasse heute an der Schwelle der Macht stehen. So aber steht der Faschismus an der Schwelle der Macht, den eine im wesentlichen richtige, wenn auch nicht fehlerfreie, kommunistische Taktik 1923 mitten im Anlauf. unterbrach und auf Jahre zurückschleuderte.

 

 

2. Die Anwendung auf die Gegenwart

Was ergibt sich daraus an Lehren und Aufgaben für die Gegenwart, für den Kampf gegen die junkerlich-militaristisch-großkapitalistische Reaktion gegen den Faschismus und den Kapitalsangriff?

Die entscheidenden Lehren und Aufgaben für die Kommunistische Partei ergeben sich mühelos aus den Erfahrungen der Vergangenheit und der gegenwärtigen Lage. Es sind folgende:

I. Die bisherige ultralinke Taktik muß offen, ohne Verzug und vollständig aufgegeben werden.

II. Die Taktik der Einheitsfront muß in vollem Umfange aufgenommen werden.

Das Richtige an der erfolgreichen Praxis der Einheitsfront in der Vergangenheit muß voll ausgewertet, das Falsche rein ausgeschieden werden.

Das Richtige umfaßt:

1. Daß die Kommunistische Partei sich mit der Aufforderung zu gemeinsamen Aktionen nicht nur an die Mitglieder, sondern auch an die örtlichen, bezirklichen und zentralen Instanzen der reformistischen Arbeiter-Organisationen wendet. Über die höheren Instanzen gilt es, sich den Zugang zu den unteren Organisationen und den Mitgliedern zu bahnen. Durch die Mitglieder und unteren Organisationen gilt es immer wieder auf die höheren Instanzen zu drücken, um sie zur Stellungnahme zu nötigen. Die jeweils erfaßten Arbeiter und Organisationen gilt es, alsbald in geeigneten Formen (Kartellen, Ausschüssen, Aktions-Komitees usw.) zusammenzufassen.

2. Die Aktions-Losungen müssen der konkreten Lage, den Bedürfnissen der Arbeiterklasse, ihrem bereits erreichten Verständnis mit den vorhandenen Kräften entsprechend bestimmt werden. Mit den Aktionslosungen muß die Partei die Propaganda ihrer grundsätzlichen Ziele und revolutionären Übergangslosungen verbinden.

3. Durch geeignete Losungen und entsprechende Kampagnen müssen die kleinbürgerlichen Schichten, vor allen das städtische Kleinbürgertum, die unteren Beamten und die Kleinbauern mit der Arbeiterklasse verbunden werden.

Das Falsche, das vermieden Werden muß, ergibt sich daraus, daß

1. das Schwergewicht der Einheitsfront-Taktik in der außerparlamentarischen Massenaktion liegt. Die parlamentarische Aktion muß also der außer parlamentarischen untergeordnet werden. Die Einheitsfronttaktik hat nicht nur nichts mit Koalitionsmanövern mit bürgerlichen Parteien zu tun, sondern schließt sie aus, ist das gerade Gegenteil davon.

2. Die Einheitsfronttaktik gleichzeitig der Eroberung der nichtkommunistischen Arbeiter für den Kommunismus dient. Sie ist daher mit irgendwelchen Büröfriedens-Verträgen zwischen den beteiligten Organisationen nicht vereinbar. Die Einheitsfront-Aktion bedarf lediglich der Verpflichtung der beteiligten Organisationen zur Aktionsdisziplin unter voller Wahrung des Rechtes jeder der beteiligten Organisationen zur Vertretung ihrer grundsätzlichen Auffassungen und zur Kritik der Aktion.

3. Daß die Einheitsfronttaktik ausreicht für den Kampf um Tageslosungen, daß aber der unmittelbare Kampf um die Macht über die Taktik der Einheitsfront hinaus reicht und zur Voraussetzung hat., daß die Mehrheil der Arbeiterklasse bereits für den Kommunismus gewonnen ist, d.h. bereit ist für die proletarische Diktatur mit Einsatz des Lebens zu kämpfen;

III. Zur Durchführung von Massenaktionen auf Grund der Einheitsfronttaktik muß die ultralinke Taktik in den proletarischen Massenorganisationen, vor allem die RGO-Taktik in den Gewerkschaften, liquidiert werden.. Die Partei tnu8 um die Zurückführung der „Roten Verbände“ und der aus den Gewerkschaften ausgeschlossenen Mitglieder der RGO in die Gewerkschafter kämpfen und kommunistische Fraktionen zur Eroberung der Gewerkschaften für den revolutionären Klassenkampf und den Kommunismus neu aufbauen.

IV. Die falsche Theorie vom Sozialfaschismus muß beseitigt werden.

V. Alle grundsätzlichen Schwankungen gegenüber dem kleinbürgerlichen Nationalismus, dem Kernstück der faschistischen Ideologie, müssen beseitigt, die grundsätzliche Grenze zwischen Kommunismus und Faschismus mit voller Schärfe und Klarheit gezogen werden. Manöver zur Entlarvung des Faschismus, aber keine gemeinsamen Aktionen mit faschistischen Organisationen, d.h. keinerlei Einheitsfront mit dem Faschismus!

VII. Offene und eindeutige Preisgabe der ultralinken Taktik, Beteiligung der gesamten Mitgliedschaft an der Überwindung der falschen, und der Herausarbeitung und Durchführung der richtigen Taktik. Nicht bürokratische Hemmung, sondern freie Entfaltung der Initiative der Mitgliedschaft im Rahmen der Einheitsfront-Aktion.

Nachdem die Partei vier der kostbarsten, vielleicht für lange Zeit entscheidenden Jahre mit der ultralinken Taktik vergeudet hat, und da der Partei und der Arbeiterklasse das Wasser bereits am Halse steht, hat sie endlich unter dem harten Druck der Tatsachen, der Kritik und der Aktion der kommunistischen Opposition begonnen, den Weg der wirklichen Einheitsfront-Taktik zu betreten. Das bedeutet der Entschluß der Berliner Bezirksleitung der KPD, sich an die Bezirksleitungen der SPD, des ADGB usw. zu einer gemeinsamen Massendemonstration gegen den faschistischen Terror, gegen die Papen-Regierung, gegen den imperialistischen Krieg und zur Verteidigung der Sowjet-Union zu wenden (16. Juni). Dieser Schritt ist ein Anfang auf dein richtigen Wege, aber noch nicht mehr als ein Anfang. Es fehlt noch die Wendung an die zentralen Instanzen, die Beseitigung der RGO-Taktik, die volle Aufklärung über die taktische Wendung in der Partei.

Bei dem bloßen Anfang kann und darf nicht stehengeblieben werden. Die Lage der Arbeiterklasse und der Partei erfordert einen ganzen Schritt: „Kühnheit, Kühnheit und noch einmal Kühnheit!“ Dafür müssen die Parteimitglieder alle Kraft. einsetzen.

Die kommunistische Opposition hat sich sogleich beim ersten Schritt der Partei auf dem richtigen Wege bereit erklärt, sie rückhaltlos und diszipliniert dabei zu unterstützen. Wird dieser Weg mutig und folgerichtig weitergegangen, so werden damit gleichzeitig die Voraussetzungen geschaffen, um die Einheit der kommunistischen Bewegung wieder herzustellen und so die innere Kraft der Partei und ihre Schlagkraft nach außen zu verstärken.

Kostbarste Jahre sind verloren, darum darf jetzt kein Tag mehr verloren werden. Es gilt jetzt ein Wettlauf mit der Zeit um Tod und Leben. Unter der Bedingung, daß dies begriffen und dementsprechend gehandelt wird, ist noch alles zu gewinnen. Aber nur unter dieser Bedingung.

 


Zuletzt aktualisiert am 18.7.2008