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Aus dem Arbeiterkalender 1929, S.204.
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Joseph Dietzgen wurde von Karl Marx dem Haager Kongreß der 1. Internationale (1872) als „unser Philosoph“ vorgestellt. Im Briefwechsel zwischen Marx und Engels findet man neben manchen anerkennenden Stellen auch kritische, in denen sich die beiden in ihrer derben Art über Schwächen und Mängel in der philosophischen Schriftstellerei Dietzgens ausließen. Nur wenn man diese beiden Seiten zusammen nimmt, kommt man zu einer richtigen Würdigung des „Arbeiterphilosophen“. Das bahnbrechende Verdienst Joseph Dietzgens, eines Handarbeiters (Lohgerbers) rheinischer Abstammung besteht darin, dass er die Dialektik, die von Hegel in idealistischer Form aufgebaut, von Marx und Engels materialistisch umgestülpt und in ihren historischen und ökonomischen Arbeiten sowie in ihrer praktischen Politik glänzend und vielseitig verwandt worden war – dass er die Dialektik selbständig wiederentdeckte. Wenn Marx von Dietzgen sagte, dass er sich in ökonomischen Fragen den bürgerlichen Kritikern des Kapitals gegenüber als „überlegener Kämpe“ erwies, so gilt das in noch höherem Grade für die Auseinandersetzungen Dietzgens mit den Jürgen Bona Meyer, den Albert Lange, den neukantianischen Philosophieprofessoren seiner Zeit. Dietzgen schildert selbst einmal, welche Umstände ihn zum Nachdenken über die Fragen der Philosophie brachten. Es waren die politischen Kämpfe der Zeit, die den genialen Lohgerber veranlaßten, den allgemeinsten Gründen für die entgegengesetzten Urteile und Standpunkte der kämpfenden Parteien nachzuforschen. Er fand diese Gründe in den Widersprüchen der materiellen Bedingungen der Klassen und kam, auf diesem Wege weiter forschend, selbständig zu einer Orientierung über die Grundzüge der materialistischen Dialektik. Die größte Förderung erfuhr der Rheinländer durch die ersten Arbeiten von Marx, vor allem durch dessen Schrift Zur Kritik der politischen Oekonomie. Auch ist anzunehmen, dass die Neue Rheinische Zeitung in der oder jener Form auf ihn einwirkte, obwohl er selbst nichts davon sagt.
Marx und Engels werteten die selbständigen philosophischen Errungenschaften J. Dietzgens mit der größten Befriedigung als Beweise der hohen geistigen Reife und des großen theoretischen Interesses der deutschen Arbeiterklasse, ihrer Überlegenheit über die Bourgeoisie.
Der Umstand, dass Joseph Dietzgen kein ausgebildeter Gelehrter war und sich seinen Weg zur Wissenschaft selbständig bahnen mußte, brachte bestimmte Vorzüge, aber auch Nachteile mit sich.
Die Vorzüge sind, dass die Schreibart Dietzgens frei ist von der ledernen Schulsprache der Philosophieprofessoren, dass sie höchst lebendig und anschaulich ist, und dass er das Belegmaterial mit Vorliebe aus dem täglichen Leben wählt, ohne dabei in der Regel platt zu werden. Die Darstellungsweise Dietzgens erinnert manchmal an die Art des Sokrates.
Es fehlen aber auch nicht die Nachteile. Diese sind der Mangel einer festen Bezeichnungsweise der Begriffe, viele Wiederholungen, manche Schwankungen und Unklarheiten des Gedankens, vor allem aber der Mangel einer Entwicklung der Elemente der Dialektik zu einem ausgebauten System.
Deshalb muss man sich der Empfehlung Plechanows anschließen, „J. Dietzgen erst nach einem eingehenden Studium von Marx oder mindestens in Verbindung mit dem Studium von Marx und Engels zu lesen. Bei alledem bleibt J. Dietzgen ein schöpferischer philosophischer Kopf, der auf dem Boden der Arbeiterklasse und des Marxismus steht, und dem zur vollen Entfaltung seiner großen Fähigkeiten nur eben der volle Zugang zu den Resultaten der Philosophie, Geschichte und Naturwissenschaft fehlt. Was er, der Zeit seines Lebens mit der Not zu kämpfen hatte, aus dem Wenigen, das ihm zugänglich war, zu machen wusste, ist bewundernswert. Dabei war J. Dietzgen kein bloßer spintisierender Stubenhocker. Er war ein tapferer proletarischer Kämpfer, ein weltfreudiger, lebendiger Mensch und ein proletarischer Lebensweiser, wovon die Briefe an seinen Sohn Zeugnis ablegen. Eine Gesamtausgabe seiner Schriften ist in drei Bänden erschienen. (Dietz-Verlag.)
Zuletzt aktualisiert am 18.7.2008