August Thalheimer

 

Brief an das ZK der KPD

(12. Oktober 1928)


E. Reuter, W. Hedeler, H. Helas, K. Kinner (Hrg.): Luxemburg oder Stalin. Schaltjahr 1928 – Die KPD am Scheideweg, Karl Dietz Verlag, Berlin 2003, Dok.96.
Kopiert mit Dank von der jetzt verschwundenen Webseite der Marxistischen Bibliothek
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An das ZK der KPD

(Zur Kenntnisnahme der Bezirksleitungen und Redaktionen)

Werte Genossen!

Ihr teilt den Bezirksleitungen einen Beschluß dies Polbüros der KPD mit, wonach „dem Genossen Thalheimer durch Beschluß der Exekutive die politische Tätigkeit in Deutschland untersagt ist, solange er keine Erklärung abgegeben hat, die dem Beschluß der Exekutive entspricht.“

Ich stelle dazu fest, daß Ihr trotz zweimaliger mündlicher und schriftlicher Aufforderung meinerseits, den Wortlaut eines Beschlusses der Exekutive dieses Inhalts vorzulegen, nicht dazu imstande seid, aus dem guten Grunde, daß ein Beschluß, der meine Wiederzulassung zur Mitarbeit in der KPD und in der Komintern vom Jahre 1926 aufhebt, nicht existiert. Euer Verhalten zeigt, daß Ihr das wißt. Die Grundlage Eures Beschlusses ist also eine grobe und bewußte Lüge.

Ihr behauptet weiter, daß ich (von der Exekutive) die Erlaubnis erhielt, aus Familiengründen nach Deutschland zu kommen, aber keineswegs zur politischen Betätigung. Das ist eine glatte Fälschung. Der Beschluß der Exekutive, der mich aus Familiengründen nach Deutschland beurlaubte, enthielt den Zusatz, daß das ZK der KPD über meine weitere politische Arbeit in Deutschland zu entscheiden habe. Indem Ihr diesen Zusatz unterschlagt, fälscht ihr den Beschluß in sein Gegenteil um.

Ihr habt sogar die Stirn, mir einen Vorwurf daraus zu machen, daß ich mich auf die ausdrückliche mündliche und schriftliche Aufforderung des Leiters der Agitprop Berlin, des Genossen Horst Fröhlich, bereit erklärte, einen Kursus in Berlin zu übernehmen. Höher geht die Unverschämtheit nicht mehr.

Schließlich bemüht Ihr den vereinigten Vorstand des Politbüros, um zu „beweisen“, daß die „unkontrollierte Tätigkeit des Genossen Thalheimer in der Tat politisch schädlich ist“, indem Ihr aus meinen Artikeln zwei Stellen herausgreift und Kommentare daran knüpft, die nur das eine beweisen, daß es sehr notwendig ist, Euch selbst zu „kontrollieren“ und Euch die Anfangsgründe kommunistischer Politik im allgemeinen und des Kampfes gegen die Sozialdemokratie im besonderen beizubringen.

Die eine von Euch zitierte Stelle besagt, daß die sozialdemokratischen Arbeiter den Imperialismus und Militarismus im eigenen Lande bekämpfen müssen, wenn sie die militärischen Rüstungen Sowjetrußlands überflüssig machen wollen, die von der Sozialdemokratie fälschlich als „Roter Militarismus“ bezeichnet werden. Dies bezeichnet Ihr als eine „Defensive, dem Pazifismus nachgebende Stellung zur Verteidigung der Sowjetunion“, die Ihr für „absolut unzulässig haltet“.

In diesem Falle habt Ihr Euch in der Adresse geirrt. Wendet Euch gefälligst an das ZK der WKP und das Auswärtige Kommissariat der USSR, die in hunderten von Erklärungen und in den wiederholten Abrüstungsvorschlägen die (durchaus richtige) These vertreten, daß die Rüstungen Sowjetrußlands nur die notgedrungene Abwehr gegen die imperialistischen Rüstungen sind und daß Sowjetrußland bereit ist vollständig abzurüsten, wenn dieses die imperialistischen Staaten gleichzeitig tun. Ihr könnt Euch gleichzeitig an die Komintern wenden, damit sie nachträglich die einstige kindische These von Treint vom „Roten Imperialismus“ sanktioniert, die Ihr offenbar zu Eurer eigenen macht. Wenn Ihr Euch auf diesen Standpunkt stellt, der weder mit kommunistischen Grundsätzen noch mit kommunistischer Taktik, noch auch mit dem gesunden Menschenverstand irgend etwas gemein hat, so kann die Sozialdemokratie aller Länder Euch sehr dafür dankbar sein. Eine wirksamere Hilfe für ihre aktive imperialistische Rüstungspolitik könnte ihr nicht geleistet werden.

In ebenso hellem Glanze strahlt Euer politisches Urteilsvermögen in dem Kommentar zu einer Stelle aus einem meiner Artikel Über die sogenannte Wirtschaftsdemokratie.

Ich sage hier, die Tatsache, daß die Gewerkschaftsbürokratie die Wirtschaftsdemokratie als einen angeblichen Weg zum Sozialismus ins Auge fasse, zeige, daß die Frage des Wegs zum Sozialismus von Millionen von Arbeitern als dringlich aufgefaßt wird.

Ihr scheint hier auf den Dreh hinaus zu wollen, daß ich den Tarnow, Naphtali usw. unterstelle, daß sie wirklich einen Weg zum Sozialismus suchen. Lernt zuerst lesen, ehe Ihr mit solchen albernen Tricks kommt. Daß die Leipart, Naphtali usw. die „Wirtschaftsdemokratie“ als Weg zum Sozialismus ausgeben, könnt Ihr schwarz auf weiß in dem Referat Naphtali sowie in der Denkschrift des ADG[B] über Wirtschaftsdemokratie nachlesen. Meine Artikel haben eben den Zweck, im Einzelnen den Nachweis zu führen, daß die sogenannte Wirtschaftsdemokratie eine hohle bürgerliche Flause ist und daß die Voraussetzungen zum Sozialismus nur auf revolutionärem Weg geschaffen werden können.

Wie mir der Redaktion der Einheit mitteilte, sind ihr eine Reihe von Zuschriften von Arbeitern zugegangen, die besagen, daß sie in diesen Artikeln wirksame Argumente gegen die Leipart, Tarnow usw. gefunden haben.

Ihr macht es Euch leichter. Statt wirkliche Argumente, die den Gegner im Einzelnen widerlegen, eine Handvoll richtiger oder unrichtiger Redensarten, die keinen Hund vom Ofen locken.

Wenn Euch das interessiert, so könnt Ihr diese Eure so bequeme und gedankenlose Methode vortrefflich beschrieben finden in den Ausführungen eines gewissen Friedrich Engels über die Maulaufreißermethoden eines gewissen Grobianus Heinzen, die schon über 80 Jahre alt sind.

Ich bin mit Engels der Meinung, daß Gründe und nicht bloßes Geschrei nötig sind, um die sozialdemokratischen Arbeiter von der Falschheit des Reformismus und Sozialpatriotismus im Einzelnen zu überzeugen.

Euer Beschluß in meiner Sache ist ungültig und statutenwidrig.

Ungültig, denn der Exekutive-Beschluß vom Jahre 1926, der meine Wiederzulassung zur Mitarbeit in der Komintern und in der KPD zum Inhalt hat, ist noch in voller Kraft und daher für alle Sektionen der Komintern, also auch für die deutsche, verbindlich. Er kann nur durch einen Exekutive-Beschluß aufgehoben werden, aber nicht durch den Beschluß einer einzelnen Sektion. Euer Beschluß ist eine Durchbrechung dieses Exekutive-Beschlusses und daher von vornherein ungültig. Euer Beschluß ist statutenwidrig, denn Ihr habt wohl das formale Recht, einem Parteimitglied keine Funktionen zu geben, aber Ihr habt nicht das Recht, seine einfachen Mitgliedsrechte aufzuheben.

Euer Beschluß ist daher ein statuten- und disziplinwidriger Versuch, einen rechtsgültigen und statutenmäßigen Beschluß der Exekutive eigenmächtig aufzuheben, um ein Parteimitglied seiner statuarischen Rechte zu berauben. Dieser Beschluß ist demnach weder für die Parteiorganisationen noch für mich verbindlich, verbindlich ist in dieser Angelegenheit der Beschluß der internationalen Instanz vom Jahre 1926.

Euer Beschluß hat auch nicht einmal vorläufige Verbindlichkeit, da er dem bereits bestehenden Beschluß der übergeordneten Instanz widerspricht.

Ich werde demgemäß handeln und werde die Hilfe der Exekutive zur faktischen Durchführung des Beschlusses des Jahres 1926 gegen Euren statutenwidrigen Widerstand anrufen.

Die Tatsache, daß Euch die Exekutive erneut ihr volles politisch Vertrauen ausgesprochen hat, gibt Euch keine Vollmacht zur Durchbrechung von Beschlüssen eben derselben Exekutive und zur Außerkraftsetzung der Parteistatuten.

Die Parteistatuten außer Kraft zu setzen, habt weder ihr noch selbst die Exekutive das Recht. Selbst wenn jetzt die Exekutive einen Beschluß in Eurem Sinne fassen würde, daß ich mich in Deutschland ausschließlich meinen Familienangelegenheiten zu widmen habe, während die Partei sich in der tiefsten Krise befindet, so würde das dem Wortlaut und dem Sinne der Parteistatuten widersprechen, die von jedem Kommunisten, wo er sich auch befindet, die aktive Beteiligung an der Arbeit der Partei verlangen und keine Mitglieder ohne Mitgliederrechte und ohne Mitgliederpflichten kennt. Um dieses Prinzips willen hat Lenin, wie bekannt, seinerzeit die Partei gespalten und damit die Grundlagen zur bolschewistischen Partei gelegt.

Ein Beschluß der erwähnten Art wäre ungültig und unverbindlich.

Die Exekutive hat nach dem Volksbegehren eine freie Parteidiskussion angekündigt. Indem Ihr es unternehmt, mich als Wortführer einer bestimmten Auffassungen in der Partei zuvor mundtot zu machen, zeigt Ihr jedem Parteigenossen in der denkbar klarsten Weise, daß Ihr aus der „freien Diskussion“ eine Hanswurstiade zu machen beabsichtigt.

Es spricht nicht für die innere Stärke Eurer Position, daß Ihr zu solchen Maßregeln nackter Willkür greift.

 

Mit Parteigruß
Thalheimer

Berlin, den 12. Oktober 1928


Zuletzt aktualisiert am 18.7.2008