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Inprekorr, Nr.180/181, 17.12.1923, S.1523, 1524
Abgedruckt in Theo Pirker (Hrsg.): Utopie und Mythos der Weltrevolution. Zur Geschichte der Komintern 1920 - 1940, München 1964, S.78-84.
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Die Diktatur Seeckts erobert mit denselben trockenen Methoden, mit denen sie zur Macht gelangt ist, Schritt um Schritt neue Positionen. Sie legt noch Wert darauf, das Parlament und den übrigen demokratischen Plunder als Kulisse beizubehalten, unter der Bedingung aber, daß sowohl Parlament wie die sogenannten demokratischen Institutionen sich der Militärdiktatur gehorsam unterwerfen. Das Kabinett Marx, das an die Stelle des Kabinetts Stresemann getreten ist, bezeichnet einen weiteren Fortschritt in der Degradierung des Parlaments und der parlamentarischen Kabinette. Es ist nicht nur, daß Marx vor der Kabinettbildung die Erlaubnis des weißen Generals einholte – die Zusammensetzung des Kabinetts selber geschah nach den wohlüberlegten Wünschen des Generals. Die Sozialdemokratie wurde ausgeschifft. Jedoch wurde das Drängen der Junker nach Besetzung der preußischen Verwaltung im Gefolge der Auflösung der Großen Koalition in Preußen vom General verhindert. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Die Rücksichten auf das Kabinett Poincare wie auf das englische Kabinett erlauben noch nicht, die Itzenplitze und Zitzewitze als Aushängeschild am Reichstagsgebäude anzubringen. Für diese Schonung bekam der General den gebührenden Gegenwert: Zentrum, Demokraten und Sozialdemokraten, die in Preußen soundsoviel Verwaltungsposten gegen die Junker und die alte wilhelminische Bürokratie zu verteidigen haben, erweisen sich jetzt als um so gefügigere Lakaien der Militärdiktatur. Severing und Brauns überkugeln sich in Verleumdung und Verfolgung der Kommunistischen Partei. Im Zentrum und bei den Demokraten haben die Rechten (großkapitalistischer und großagrarischer Flügel) die Oberhand gewonnen.
Die Auswirkung zeigte sich besonders deutlich im Reiche bei der Beratung des Ermächtigungsgesetzes. Nicht nur die Regierungsparteien, sondern auch die sozialdemokratische sogenannte Opposition beeilte sich, dem Kabinett Marx das Ermächtigungsgesetz zu apportieren. Die bloße Drohung mit der Reichstagsauflösung, die der Sozialdemokratie nach ihrer eigenen Berechnung etwa zwei Drittel ihrer Sitze kosten würde und die die alten parlamentarischen Führer zugunsten von sogenannten „Linken“ wegschwemmen würde – diese Drohung genügte, um die Sozialdemokratie trotz tausend Eidschwüren gegen den Belagerungszustand über den Stock springen und gehorsam das Ermächtigungsgesetz apportieren zu lassen. Das ist die glatte Unterwerfung der Sozialdemokratie unter die Militärdiktatur. Das ist die Unterwerfung unter den siegreichen Faschismus. Das Bezeichnende dabei ist, daß die sogenannte sozialdemokratische Linke sich durch die Drohung des Hinausschmisses aus der Partei hat bewegen lassen, ihrerseits sich der Fraktionsmehrheit der Rechten und damit auch der Militärdiktatur zu unterwerfen.
Auch der kleinbürgerliche Faschismus wird von dem siegreichen großkapitalistischen Faschismus des Generals Seeckt unschädlich gemacht. Ein Teil dieses Flügels hat sich nach der Erledigung des Hitler-Ludendorff-Putsches glatt der Diktatur Seeckts unterworfen. Ein anderer Teil wird durch die Repressalien, die mit dem Verbot der Deutschvölkischen Partei verbunden sind, kirre gemacht. Die Organisationen um den bayrischen Diktator Kahr hat Seeckt an sich gebunden durch die Hereinnahme von Vertretern der partikularistischen bayrischen Reaktion in das Kabinett Marx.
Inzwischen ist General Seeckt eifrig bemüht, sich seinen eigenen politischen Apparat aufzubauen. Er hat die alten Etappenoffiziere von Belgien, Nordfrankreich, Rumänien usw. zusammengeholt und benutzt sie, um die zivile Verwaltung zu kontrollieren und die Elemente einer selbständigen militärischen Verwaltung aufzubauen. Auch das Verbot der Kommunistischen Partei wird von der Militärdiktatur benutzt, um den eigenen politischen Apparat noch weiter zu vervollständigen.
Die Militärdiktatur, die von der Seite der ehemaligen bürgerlichen Demokratie keinerlei Widerstand mehr zu gewärtigen hat, macht sich nun ans Werk, das faschistische Programm des Großkapitals durchzuführen.
Welches ist dieses Programm? Die allgemeinen Grundzüge ergeben sich aus der Lage der deutschen Bourgeoisie. Es gilt, ein, wenn auch nur vorübergehend, wirtschaftliches Gleichgewicht herzustellen. Um diesen Zweck zu erreichen, müßte von einer großkapitalistischen Diktatur nach zwei Seiten gewirkt werden: Erstens Einschränkung der Ausgaben durch Abbau der kulturellen Leistungen des Staates und der sozialpolitischen Leistungen, zweitens Erhöhung der kapitalistischen Profite und der Einnahmen des Staates unter verschärfter Ausbeutung der Arbeiterschaft und der Mittelschichten, durch Steigerung des Exports – und durch Erhöhung der Steuerleistungen der Besitzenden. Was das erstere anbelangt, so ist der Abbau der Beamten und die Verlängerung ihrer Arbeitszeit im vollen Zuge. Diese Maßregel wird zugleich dazu benutzt, um die demokratisch und sozialistisch gesinnten jüngeren Schichten der Beamtenschaft auszuschalten und für die alte reaktionäre Bürokratie sowie für die faschistischen Neubekehrten neue Plätze zu schaffen. Was das zweite anbelangt, so haben die Unternehmer durch rücksichtslose Aussperrung und Betriebsstillegung den Achtstundentag praktisch bereits zerbrochen und den Neun- und Zehnstundentag eingeführt. Die Gewerkschaften haben weder den Willen, noch waren sie in der Lage, ernstlichen Widerstand zu leisten. Die Arbeitslosenunterstützung wird abgebaut; dasselbe geschieht mit den sonstigen sozialpolitischen Leistungen. Aber all diese Maßregeln sind vergebens, wenn es der Bourgeoisie nicht gelingt, das Maß von Steuern aufzubringen, um ein, wenn auch vorübergehendes Gleichgewicht im Staatshaushalt und in der Zahlungsbilanz des Landes herzustellen. Weder aus der Arbeiterschaft noch aus den Mittelschichten lassen sich die dazu erforderlichen Summen herausziehen. Die Staatsausgaben sind immer noch nur zu nicht ganz 1 % durch Steuereinnahmen gedeckt. Es ist aber nicht wahrscheinlich, daß die Bourgeoisie sich als faschistische Diktatur konstituiert, um sich selber zum Steuerzahlen zu zwingen. Bleiben noch auswärtige Kredite. Aber woher sollen sie kommen? Die Vereinigten Staaten sind vielleicht geneigt, Kredite für Beschaffung von Getreide zu geben, für die sie sich wohl bestimmte Teile des Staatseigentums (Bergwerke) verpfänden lassen. Aber diese Kredite können keinesfalls in dem Ausmaße gegeben werden, um ein wirtschaftliches Gleichgewicht in Deutschland wiederherzustellen. Auch England, das noch in Betracht käme, scheint keine Neigung zu zeigen, größere Kredite zu geben. In negativer Weise ist das Verhalten der Industriellen des Rhein- und Ruhrgebietes ein Beweis dafür, wie gering hier die Aussichten eingeschätzt werden, die deutsche Wirtschaft und Finanzen zu balancieren. Die Abschlüsse der Schwerindustriellen des Rhein- und Ruhrgebietes mit der Micum (der belgischen und französischen Schwerindustrie) und die verschleierte Konstituierung eines von Frankreich abhängigen Rheinstaates - alles das beweist, daß die Schwerindustrie sich in die Unterwerfung unter den französischen Imperialismus fügt und das übrige Deutschland nur noch als Hinterland betrachtet.
Die Kommunistische Partei ist durch den General Seeckt verboten, ihre Presse unterdrückt, ihre Druckereien sind beschlagnahmt usw. Aber sie lebt weiter. Die Partei des Proletariats erweist sich als die einzige Macht, die fähig und willens ist, der weißen Diktatur Widerstand zu leisten. In Berlin und einer Reihe anderer Städte hat sie sich in mehr oder minder großen Demonstrationen das Recht auf die Straße erobert. Sie beginnt, der bewaffneten Macht der Militärdiktatur in militärischen Teilaktionen Widerstand entgegenzusetzen und so die proletarische Vorhut für den entscheidenden Kampf zu schulen, die geschaffenen militärischen Kaders aus losen Papiereinheiten in wirkliche Kampfeinheiten zu verwandeln.
Die zentrale Aufgabe der Kommunistischen Partei in der gegenwärtigen Lage ergibt sich folgerichtig aus den Lehren der Oktoberniederlage. Die Oktoberniederlage des deutschen Proletariats beruht nicht auf „Fehlern“ der Kommunistischen Partei, sie beruht auf den im gegebenen Augenblick vorhandenen Kräfteverhältnissen in der Arbeiterklasse. Sie geht letzten Endes auf die Tatsache zurück, daß ein großer Teil der Arbeiterschaft unter dem lähmenden Einfluß der rechten und der linken Sozialdemokratie nicht mehr bereit war, die Novemberdemokratie gegen den Faschismus zu verteidigen, daß sie noch nicht bereit ist, für die proletarische Diktatur zu kämpfen. Die Sozialdemokratie, längst tot als aktive Kraft im Sinne der Arbeiterklasse, erwies sich noch als eine enorm hemmende Kraft, oder mit anderen Worten, der Kommunismus hatte noch nicht vermocht, die Mehrheit der Arbeiterklasse dem Einfluß der Sozialdemokratie zu entreißen. Wenn Fehler von der Kommunistischen Partei begangen worden sind, so ist es gerade die Unterschätzung der Sozialdemokratie als eine hemmende Kraft.
Die zentrale Aufgabe der Kommunistischen Partei ist demgemäß die vollständige politische, organisatorische Liquidation der Sozialdemokratie als politische Organisation und die Entreißung der Gewerkschaften aus den Händen der sozialdemokratischen Führer. Auf diese Aufgaben wird die Kommunistische Partei ihre ganze Kraft konzentrieren, und erst, wenn diese Aufgabe gelöst ist, sind die Bedingungen zur Erzwingung der Entscheidung wirklich reif. Dabei ist jetzt schon klar, daß der Hauptangriff gegen die sogenannten linken sozialdemokratischen Führer gerichtet werden muß. Mit ihrer radikalen Phraseologie, mit ihrer Opposition gegen den Faschismus in Worten und ihrer tatsächlichen Unterwerfung unter ihn, mit ihrem Sich-Anklammern an die Illusionen der bürgerlichen Demokratie und des Parlamentarismus sind sie die Helfer der faschistischen Diktatur.
Der Kampf gegen die Sozialdemokratie und gegen den Faschismus wird propagandistisch geführt durch die Propaganda der proletarischen Diktatur und des Sozialismus gegenüber der faschistischen Diktatur. Die Partei wird fortfahren, mit der größten Hartnäckigkeit den Gedanken des bewaffneten Aufstandes in den Massen zu propagieren und ihn technisch und organisatorisch vorzubereiten. Die Partei hat jetzt nach dem Sieg des Faschismus über die Novemberrepublik die Propaganda der Forderungen, die, anknüpfend an die demokratischen Institutionen, zur proletarischen Diktatur überleiten sollten, die Losung der Arbeiter- und Bauernregierung, der Sachwerterfassung und der Produktionskontrolle aus ihrem Tagesprogramm gestrichen. Diese Forderungen sind gegenstandslos geworden, denn die demokratischen Institutionen existieren nicht mehr, es ist da nichts anzuknüpfen.
Die Aktionen der Partei müssen naturgemäß an die Tagesnöte der Arbeiterschaft anknüpfen, um sie mit der Endlösung zu verbinden. Streiks kommen bei der massenhaften Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit gegenwärtig wenig in Betracht, eine um so größere Rolle spielen Massendemonstrationen, teils friedliche, teils bewaffnete. Diese sind neben den betreffenden Teilkämpfern das nächste Kettenglied, an das die Partei anknüpft.
Unter der strengen Illegalität ist die Partei genötigt, das organisatorische Schwergewicht in die Betriebe zu verlegen. Sie muß außerdem die engste Verbindung herstellen zwischen den noch in den Betrieben Befindlichen und den Arbeitslosen. Unter den Schlägen der weißen Konterrevolution wird die Partei die eiserne Kohorte der Revolution, die sie in den Zeiten der Legalität nicht werden konnte.
Die proletarische Revolution in Deutschland ist nicht den raschen Siegeszug gegangen, den manche erwartet haben. Statt aus den Trümmern dieser bürgerlichen Demokratie sich zu erheben, wie die russische Oktoberrevolution, ist sie in die Lage versetzt, ihren Sieg unter den Fesseln der faschistischen Diktatur zu organisieren. Ihr Sieg, wenn er langsamer kommt, wird darum um so gründlicher sein. Die großkapitalistische Diktatur ist sozusagen das letzte Aufgebot der kapitalistischen Macht, die bürgerliche Gesellschaft im verschanzten Lager. In Rußland war der Oktobersieg sozusagen eine Überrumpelung. Die russische Bourgeoisie mobilisierte ihre Reserven erst nach ihrer Oktoberniederlage. Die deutsche Bourgeoisie, die weit besser organisiert ist, mobilisiert ihre Reserven vor der Niederlage. Was jetzt vor sich geht in Deutschland, ist letzten Endes das Ringen der Bourgeoisie und der Kommunistischen Partei um die Reserve, um die indifferente und sozialdemokratische Arbeiterschaft, um die Mittelschichten. Dieses Ringen um die Reserven ist der eigentliche Inhalt der politischen Vorbereitung der proletarischen Revolution.
Die auswärtigen kommunistischen Parteien dürfen sich durch den Oktoberrückzug, der unvermeidlich und in der Gesamtsituation begründet war, nicht entmutigen lassen. Die Kommunistische Partei Deutschlands hat nach kurzer Pause die Neuordnung ihrer Reihen vorgenommen und neuen Kampf vorbereitet. Die proletarische Revolution in Deutschland ist auf dem Marsche. Keine der grundlegenden Aufgaben des Landes kann von der Militärdiktatur gelöst werden. Unsere auswärtigen Bruderparteien müssen sich gründlich klarmachen, daß, wenn die russische Revolution im Jahre 1917 ganz unerwartete Züge hatte, die sich von allen vorhergegangenen bürgerlichen Revolutionen unterschieden, auch die proletarische Revolution in Deutschland ihre eigenen Züge, ihr eigenes Tempo und ihre eigenen Methoden hat.
Zuletzt aktualisiert am 18.7.2008