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Prüfen wir jetzt Liebknechts Haltung nach dem Baseler Kongress. In demselben Briefe an die Redaktion des Réveil, aus dem Guillaume und Nettlau die märchenhafte Geschichte mit dem sogenannten Ehrengericht entnahmen, schreibt Bakunin – im Oktober 1869 –, dass Liebknecht nach der Versöhnung ihm versprach, seine Artikel zu veröffentlichen.
Und was machte Liebknecht? „Ich konnte nicht im Volksstaat danach suchen,“ erzählt uns Nettlau, „aber die Antwort gibt das Memoire (das heißt Guillaume. David Riazanov)“:„Was machte Liebknecht? Er veröffentlichte Bakunins Artikel nicht, und stattdessen ließ er Korrespondenzen aus Paris von M. Heß drucken, worin dieselben Beschuldigungen, die das Baseler Ehrengericht als infam und verleumderisch erklärte, wiederholt wurden.“
Also, die Zukunft hat Nettlau nie gesehen, den Volksstaat hatte er noch im Jahre 1898 nie in seinen Händen gehabt, aber ... wäre es nicht wahr, wie konnte es Guillaume so kategorisch behaupten!
Die Tatsache aber ist die, dass die ganze Geschichte keine Tatsache ist!
Wir wissen schon, dass auch im Réveil kein „infames“ Wort über Bakunin zu finden ist. Ebenso wird man in Heß Korrespondenzen im Volksstaat keine Spur der „gleichen Verleumdungen“ entdecken. Es ist sogar Nettlau nicht gelungen. Noch mehr. Da die erste Nummer des Volksstaats erst am 2. Oktober 1869 erschien, war die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass Liebknecht noch im Demokratischen Wochenblatt, seinem früheren Organ, einen Artikel von Hetz über die „gleichen Verleumdungen“ veröffentlichte. Wir fanden aber nichts Derartiges, und das, was wir fanden, beweist nur, dass Liebknecht wirklich nobel Bakunin gegenüber handelte.
Die erste Korrespondenz erschien im Demokratischen Wochenblatt am 26. September 1869; sie enthielt aber nichts, was uns jetzt interessieren könnte. Erst in der zweiten, die in der letzten Nummer erschien, macht Heß den Versuch, die „gleiche Geschichte“ des Baseler Kongresses zu erzählen. Er beruft sich dabei auf Eccarius, der später ein großer Freund Guillaumes wurde und auch Mitglied des Ehrengerichts war. Unter anderem teilt er mit, dass auf dem Kongress in der Majorität, die für die bekannte Resolution gestimmt habe, auch eine kleine Minorität, die Bakuninsche, enthalten war, die man als „kommunistische im rohen Sinne des Wortes“ bezeichnen kann. Es blieb aber bei dieser „Verleumdung“. über alles das, was Heß in seinem Artikel im Réveil erzählte, führte Liebknechts Redaktionsbleistift einen dicken Strich. Die Lücke wird von folgenden Worten der Redaktion – in runden Klammern – ausgefüllt:
„Unser Korrespondent gibt hier einige Details, deren Veröffentlichung wir aus Parteirücksichten unterlassen.“.
Wir haben aber keinen besseren Zeugen wie Bakunin selbst. So schreibt er in dem von uns schon zitierten Brief am 1. April 1870:
Herr Liebknecht fährt fort, in ganz perfider Weise gegen mich, und im Allgemeinen gegen alle russischen Revolutionäre vorzugehen. Zwar ist es wahr, dass er meinen Aufruf an die russische Jugend und den Brief von Netschajeff abdruckte. aber zu gleicher Zeit veröffentlicht er gegen mich einen Artikel, der ebenso blöd wie infam ist. Einen Artikel, der von einem Kauz geschrieben ist, der sich Borkheim nennt, ein kleiner Jude, ein Werkzeug von Marx. Ich habe eine Reihe von Briefen zur Antwort an alle diese jüdischen und deutschen Kläffer begonnen. Ich will mit ihnen bald Schluss machen, der erste Brief ist schon fertig und wird, ins Deutsche übersetzt. Er wird dein Volksstaat zugesandt werden, dem Organ der Sozialdemokratie der deutschen Arbeiter, das Liebknecht redigiert.
Der Leser wird sich vielleicht Wundern, wie Bakunin, nachdem er selbst die ganze Perfidie Liebknechts den russischen Revolutionären gegenüber festgestellt hat, sich noch an die Redaktion des Volksstaat wenden konnte.
Uber das Unmögliche – hier wird’s Ereignis! Wir nehmen den Volksstaat und finden – man rate – einen in großen Lettern gedruckten Artikel von Michael Bakunin: Briefe über die revolutionäre Bewegung in Russland. An die Redaktion des Volksstaats. Datiert Genf, 8. April 1870. [1]
Und was schreibt der „harmlose“ Bakunin dem „perfiden“ Liebknecht? Er beklagt sich gewiss über das ihm neu zugetane bittere Unrecht und über das Begeifern der russischen revolutionären Bewegung?
Nein. Bakunin schreibt jetzt nicht mit Galle, sondern mit Honig:
Bürger Redakteur! Vor allem meinen Dank für den Abdruck meines Aufrufs an die russische Jugend und des Briefes meines Landsmannes Netschajeff und noch mehr für Ihre teilnahmsvolle Würdigung der sich gegenwärtig in Russland vollziehenden revolutionären Bewegung. Diese aus Deutschland kommende Anerkennung ist für uns ein neues Ereignis./p>
Es ist derselbe Brief, über den Engels, an Marx am 29. April 1870 schreibt, dass er „wirklich sehr naiv sei“, und Engels tadelt die Tatsache der Veröffentlichung nicht.
Lesen wir jetzt Borkheims Artikel. Er ist betitelt Der Brief Netschajeffs und ist gegen diesen gerichtet, über Bakunin finden wir nur folgende Zeilen:
Herzen ist tot. [2] Bakunin ist für Deutschland in der Berliner Zukunft abgetan worden und damit sein Einfluss in Frankreich und England auf nichts herabgedrückt. Seine Wühlereien in Italien und Spanien sind bedeutungslos.
Und was schreibt weiter Borkheim? Er stellt Netschajeff einige Fragen, in denen er ihn höflichst bittet, Manche dunkle Punkte in seinem Briefe aufzuklären. Er schließt mit folgendem Protest, den wir wörtlich zitieren, weil hier auch Bakunin erwähnt wird.
Endlich protestieren wir gegen Herrn. Netschajeffs Bezeichnung der russischen Regierung als „tatarisch-deutsch“. Diese Bezeichnung ist eine trügerische, und wir wiederholen für Herrn Netschajeff, was wir in der Zukunft vom 13. August 1869 Herrn Bakunin gesagt haben: „Durch die Verfahrungsweise, das russische Hundeleben gegen die Deutschen in Rechnung zu bringen, wird nicht nur die ‚Rassenliebe‘ der Slawen warmgehalten, sondern auch die Eigenliebe anderen westlichen Nationen gekitzelt.“
Die Regierung zu Petersburg ist weder tatarisch, noch deutsch, noch tatarisch-deutsch – sie ist russisch./p>
Wir wiederholen, der kleine deutsche Jud war gar nicht so „blöd“, wie es Bakunin „selbst angibt“. [3]
Warum aber war Bakunin so empört, warum sagt auch Nettlau – diesen Artikel von Borkheim hat er anscheinend gelesen –, dass in diesem Artikel Bakunin in niederträchtigster Weise verleumdet wird?
Der Grund ist sehr einfach. Vielleicht wusste es auch der schlaue Borkheim. Im März 1870 waren Bakunin und Netschajeff wenn nicht ein Körper, so gewiss eine Seele. Der sogenannte Brief Netschajeffs war in Wirklichkeit Bakunins Brief, und jeder Angriff gegen Netschajeff war ein Angriff gegen Bakunin.
Wer Netschajeff war, werden wir gleich erfahren. Dass Liebknecht aber Borkheim, auch sechs Monate nach der „Lektion“, gar nicht „freies Spiel“ ließ, sieht man schon daraus, dass er allen Gegnern Borkheims und Bakunin-Netschajeffs Freunden den Raum des Volksstaats zur Verfügung stellte.
Nun einige Proben aus Netschajeffs Antwort, und die ist, auch Bakunins Antwort:
Ich kann es nicht verhehlen, Bürger Redakteur, dass ich peinlich berührt davon war, in Ihrem geschätzten Blatte und in ihrer Partei einen Toren oder Sophisten dieser Art zu finden. Ich habe mir die Mühe gegeben, diese Russischen Briefe zu lesen, und alles, was ich darüber sagen kann, ist, dass sie ebenso abgeschmackt wie gehässig sind, voll von Verleumdungen, Lügen, Abgeschmacktheiten, und in jeder Zeile eine große Unwissenheit und ohnmächtige Bosheit bekunden.
So schrieb im Vorwärts Netschajeff gegen Borkheim. Das nennt Nettlau „Borkheim freies Spiel lassen“!
Ja, wird vielleicht Nettlau sagen, aber in der Nummer vom 16. Juli 1870 nimmt Liebknecht offen Partei für Borkheim. Schreibt er doch, dass alles, was Borkheim über Neschtajeff erzählt, ihm „von kompetentester und zuverlässigster Seite bestätigt werde, und dass Borkheim sich durch Aufdeckung dieses skandalösen Schwindels um die Demokratie wohlverdient gemacht habe“.
Wer war jedoch diesmal der kompetenteste und zuverlässigste Bestätiger? Vielleicht wieder ein Jude, ein deutscher oder russischer, kleiner oder großer, wie Borkheim oder Utin? Nein, und obendrein nicht ein Kaufmann oder Sohn eines Schnapshändlers, sondern wie Bakunin auch ein Adliger. [4]
Diesmal war es Lopatin, der mit einem Empfehlungsbrief von Lafargue zu Marx kam und gleich nachher Mitglied des Generalrats wurde. Dieser Zeuge ist für uns umso wichtiger, weil alle – Marx, Engels, Lafargue, Guillaume, Bernstein – von ihm mit größter Hochachtung sprechen. [5]
Der Leser wird es uns gewiss nicht verübeln, wenn wir Lopatins Aussage etwas ausführlicher zitieren. Am 5. Juli 1870 teilte Marx seinem Freunde Engels folgendes mit:
Lafargue hatte mir angezeigt, dass ein junger Russe Lopatin von ihm ein Empfehlungsschreiben bringen würde ...
Er ist noch sehr jung, war. zwei Jahre im Karzer, nachher acht Monate Festungsgefängnis im Kaukasus, von wo er entfloh. Er ist Sohn armen Adligens und hatte sich sein Brot auf der Universität von St. Petersburg durch Stundengeben zu verdienen. Lebt jetzt sehr dürftig von Übersetzungen für Russland ...
Ein sehr aufgeweckter, kritischer Kopf, heiterer Charakter, stoisch wie ein russischer Bauer, der mit allem vorliebnimmt, was er findet. Schwacher Punkt: Polen. Hier spricht er ganz wie ein Engländer – sage ein englischer Chartist der alten Schule – von Irland.
Er erzählte mir, dass die ganze Geschichte von Netschajeff (28 Jahre) erstunken und erlogen. Netschajeff hat nie in einem russischen Gefängnis gesessen, die russische Regierung hat nie ein Assassinat [Ermordung] auf ihn unternommen usw.
Die Sache ist die: Netschajeff (einer der wenigen Agenten Bakunins in Russland) gehörte einer geheimen Gesellschaft an. Ein anderer junger Mann X, reich und enthusiastisch, unterstützte diese Gesellschaft via Netschajeff mit Geld. Eines schönen Tages erklärte X dem Netschajeff, er werde keinen Kopeken mehr geben, da er nicht wisse, was mit dem Gelde geschehe. Herr Netschajesf schlug darauf (vielleicht weil er keine Rechenschaft über das Geld ablegen konnte) seinen Geheimbündlern vor, den X zu ermorden, weil er künftig einmal seine Ansichten wechseln und Verräter werden könne. Er hat ihn wirklich ermordet. Er ist also von der Regierung einfach als gemeiner Mörder verfolgt.
Lopatin in Genf stellte zunächst den Netschajeff persönlich zur Rede (wegen feiner Lügen), der sich mit der politischen Sensationsnützlichkeit für die sogenannte Sache entschuldigte. Lopatin erzählte dann die “Geschichte dem Bakunin, der ihm sagte, als „gutmütiger Alter“ habe er alles geglaubt. Bakunin forderte dann den Lopatin auf, dieses in Gegenwart des Netschajeff zu wiederholen. Lopatin ging sofort mit Bakunin zu Netschajeff, wo sich die Szene wiederholte. Netschajeff schwieg. Solange Lüpatin in Genf war, hielt sich Netschajeff sehr bescheiden, muckste nicht Mehr. Kanin war Lopatin nach Paris abgereist, als die Affenkomödie von neuem begann. Kurz nachher erhielt Lopatin einen insultierenden Brief Bakunins über diese Affäre. Er antwortete ihm noch insultierender. Resultat: Bakunin schrieb einen Pater pecavi Brief (in Lopatins Besitz hier), aber – it est un bon vieillard crédule (er ist ein leichtgläubiger, gutmütiger Alter).
Hören wir jetzt einen anderen Zeugen. Im Mai begab sich Netschajeff nach London mit einem warmen Empfehlungsbrief an Talandier, von Bakunin geschrieben. Derselbe Bakunin schrieb am 24. Juli an denselben Talandier:
Er (Netschajeff) kam nach und nach zur Überzeugung, dass es notwendig fei, um eine ernste und unzerstörbare Gesellschaft zu gründen, die Politik des Machiavelli zur Grundlage zu nehmen und das System der Jesuiten uneingeschränkt anzunehmen: gegen die Körper ausschließlich der Gewalt, gegen die Seele die Lüge ... Wenn Sie ihn einem Freunde vorgestellt haben, wird er sich sofort bemühen, gegen Sie Zwietracht, Klatsch und Intrigen zu säen, mit einem Worte, Sie zu entzweien. Ihr Freund hat eine Frau, eine Tochter, sein erstes Bemühen wird sein, sie zu verführen, ihnen ein Kind zu machen, um sie aus der offiziellen Moral herauszureißen und um sie zu einem revolutionären Protest gegen die Gesellschaft zu zwingen ... Sein letzter Versuch bezweckte nichts Geringeres als die Bildung einer Bande von Dieben und Räubern in der Schweiz, natürlich zu dem Zwecke, uni sich Kapital für revolutionäre Zwecke zu verschaffen.
So schreibt Bakunin über denselben Menschen, mit dem er mehr als ein Jahr lang durch dick und dünn gegangen war, trotz aller Warnungen von verschiedenen Seiten, und für den er noch einige Monate vorher, wie es auch Guillaume nicht mit Unrecht glaubt, den oben zitierten Brief vom 8. April voll von Lügen, die Netschajeff mit der politischen Sensationsnützlichkeit für die Sache entschuldigte, redigierte und an Liebknecht schickte.
Nebenbei bemerkt: Netschajeff war nicht ein Auswurf der Menschheit. Seinen unbeugsamen Trotz und seine Überzeugungstreue hat er reichlich während eines Prozesses und seiner Haft bewiesen.
Wir werden jetzt nicht die Frage untersuchen, inwieweit Bakunin für das „Netschajefftum“ verantwortlich war. Es genügt zu-konstatieren, dass der junge Netschajeff, trotz seiner übermenschlichen Energie, nie eine solche Rolle hätte spielen können, wenn nicht Bakunin hinter ihm gestanden wäre, als dessen Agent er handelte. Intellektuell war er keineswegs bedeutend.
Bakunin brach mit Netschajeff nicht wegen prinzipieller Differenzen, nicht wegen der von Netschajeff projektierten revolutionären Expropriation [6], sondern weil er sich überzeugte, dass der „Junge“ – so nannte et Netschajeff – nicht als sein Werkzeug dienen, sondern, umgekehrt, ihn als Werkzeug ausnützen wollte. Den Anlass gab der sogenannte Bachmetjeffsche Revolutionsfonds, der damals in der russischen revolutionären Bewegung eine ähnliche Rolle spielte wie der von Ladendorf verwaltete Kinkelsche Revolutionsfonds. Bakunin setzte es mit allen Mitteln durch, dass Ogareff, der mit Herzens Sohn diesen Fonds verwaltete, das Geld Netschajeff übergab. Ein paar Tage nachher erfolgte der Bruch zwischen Bakunin und Netschajeff.
Es war aber Bakunin schwer, nachdem er sich mit Netschajeff so stark öffentlich identifiziert hatte, mit ihm auch öffentlich zu brechen. In demselben Briefe an Talandier, in dem er diesen vor Netschajeff warnt, bittet er ihn dringend, nichts davon Netschajeff merken zu lassen. [7] Bakunin zog es vor, auch weiter darüber zu schweigen. Die von Netschajeff „gestohlenen“ Papiere bekamen er und seine Freunde erst, nachdem Netschajeff der russischen Regierung ausgeliefert worden war.
Man bewundere jetzt den guten Nettlau – und alle die ebenso guten Leute, die sich auf ihn in erster und letzter Linie stützen –, der mit dem ganzen Pathos der tiefsten moralischen Entrüstung über den armen Liebknecht herfällt, weil dieser angeblich Borkheim „freies Spiel“ ließ, um alle (?!) russischen Revolutionäre zu „begeifern“, darunter auch Netschajeff!
Umgekehrt liegt der Fall. Wenn Liebknecht den russischen Revolutionären der folgenden Generation leicht mit Misstrauen entgegenkam und in jeden! einen kleinen Netschajeff witterte, so war das bei ihm nur eine ganz natürliche – mitunter sehr starke – Reaktion gegen das zu großes Vertrauen, das er früher Bakunin und Netschajeff geschenkt hatte. Diese beiden haben das Liebknechtsche Misstrauen gegen die Russen nicht vorgefunden, sondern selbst erst erzeugt.
So sehen im Lichte der historischen Kritik die „gleichen Verleumdungen“ aus, die Liebknecht „kurz“ nach dem Baseler Kongress „aufs Neue publizierte“.
Nur damit „Genosse“ Brupbacher nicht sagen kann, ich hätte den „exaktesten“ seiner Beweise für die Niederträchtigkeit von Marx und Liebknecht „unterschlagen“, teile ich dem Leser aus seinem „verdienstlichen und nützlichen Werk“ den Schluss der Erzählung mit, in der „Genosse“ Brupbacher uns über alle „unschönen“ und „unliebsamen Machenschaften“ von Bebel, Liebknecht und Marx informiert.
Sie (es sind die uns jetzt bekannten „gleichen Verleumdungen“) erschienen auch in einem amerikanischen Blatte. Als Freunde Bakunins dagegen protestierten, erklärte der Redakteur: „Ich habe diese Information von meinem Freunde Karl Marx, der sie mir von London geschrieben hat“; er versprach eine Richtigstellung, sie erschien aber nie.
Kann man noch „exakter“ schreiben? In „irgendeinem“ Blatte, „irgendwelche“ Freunde, „irgendwelcher“ Redakteur, „irgendwelche“ Verleumdungen!
„Cacatum est, non pictum.“ [“It is shit, not painted,“] sagte aus „irgendwelchem“ Anlass auf dem Gothaer Kongress von 1896 der alte lutherisch-derbe „Soldat der Revolution“. Cacatum est, non scriptum – würde er sagen, hätte er auch dieses „Muster ruhiger und sachlicher Darstellung“ gelesen.
Unsere großen Toten wurden oft von verschiedenen Stiebers und Vogts mit Kot beworfen. Sie haben nie darüber gejammert. „Wer auf historischen Wegen wandelt,“ wiederholte einmal Marx die Worte Tschernyschewskys, der auch genug mit russischen Stiebers und russischen Vogts zu tun hatte, „darf sich vor Beschmutzung nicht scheuen.“
Aber dass jeder „sentimentale Esel“, wie Bakunin sagen
würde, durch die sozialdemokratische Flagge geschützt, ihre
Gräber ruhig besudeln darf, haben sie wirklich nicht verdient.
1. Der Volksstäat, 1870, Nr. 31 vom 16. und Nr. 32 vom 20. April.
2. Gestorben kurz vorher, am 21. Januar 1870.
3. Dass Borkheims Artikel nicht nur gegen Bakunin-Russland, sondern auch gegen Marx-England geschrieben sind, davon kann sich sofort jeder überzeugen, der Marx’ Forschungen auf dem Gebiet der russischen Geschichte lesen will. Ich habe diese Forschungen schon im Jahre 1908 einer Kritik unterzogen. Vergleiche Karl Marx über den Ursprung der Vorherrschaft Russlands in Europa, Kap. 5: Das Tatarenjoch und der Absolutismus in Russland. Ergänzungshefte zur Neuen Zeit, Nr. 6. Dass Marx noch in den sechziger Jahren den tatarischen Einfluss stark überschätzte, sieht man jetzt aus seinen Briefen an Engels im Jahre 1867.
4. Der Leser hat schon das feine Anstandsgefühl der Guillaume, Nettlau und des „Gegossen“ Brupbacher kennen gelernt. Sie sind aber auch sehr aristokratisch. So vergessen sie nie, wenn sie von Utin sprechen, hinzuzufügen: Sohn eistes jüdischen Schnapshändlers. Genosse Mehring „unterschlägt“ das Wort „jüdischen“, legt aber Wert darauf, dass Utin so schlecht war, sich einen Schnapshändler zum Vater zu wählen. Glaubt er vielleicht, dass es von erhabener Gesinnung zeugt, wenn man wie Bakunin Sohn eines russischen Sklavenhalters ist, der seine Bauern in unbarmherzigster Weise ausbeutet und martert?
5. Siehe über ihn: P. L. Lawroff, Hermann Alexandrowitsch Lopatin: Eine biographische Skizze, Die neue Zeit, 7. Jg. (1889), H. 7, S. 298–308 The Die russische Revolution befreite ihn nach einer mehr als 20jährigen Haft.
6. So antwortet Bakunin auf den Vorwurf eines Mitglieds seiner geheimen Alliance, dass er im Widerspruch zu sich selbst gehandelt habe, als er Netschajeff hinderte, seine Tat zu vollbringen, folgendes: „Was sein letztes Unternehmen in der Schweiz betrifft, so irrst, Du Dich, mein lieber Druck, wenn Du glaubst, dass ich in Widerspruch zu Prinzipien und Plänen geraten bin, die ich einst selbst befürwortet. Ich habe gab nicht darauf verzichtet und werde es bald ausgiebig beweisen. Wichtig ist es aber, dass alles das gemacht wird erstens in strengster Solidarität, zweitens mit Kenntnis des Ortes, der Umstände, der Menschen und mit höchster Klugheit. Netschajeff wollte es aber hinter unserem Rücken ausführen, wobei er unsere Leute ausnützte wie Henry und so dumm vorging, dass die ganze Sache uns alle mit Schande bedeckt und ruiniert hätte. Eben deshalb hinderte ich seinen Plan.“ So geschrieben am 19. August 1870.
7. „Aus vielen Gründen wünschen wir nicht, dass sie (Netschajeff und sein Freund) jetzt erfahren, da wir gegen sie der Krieg auf allen Punkten führen. Es ist notwendig, dass sie glauben, diese Warnungen gegen sie kämen aus dem Lager meiner Gegner, was übrigens mit der Wahrheit stimmen wird, denn ich weiß, dass man über sie sehr energisch an den Generalrat in London geschrieben hat. Demaskieren Sie uns nicht vorzeitig vor ihren Augen. Sie haben uns. die Papiere gestohlen, und diese müssen wir zuerst zurückbekommen!“ Ja ja, Bakunin war „ein Mensch ohne Hintergedanken“.
Zuletzt aktualisiert am 11. Januar 2025