Karl Retzlaw

SPARTACUS
Aufstieg und Niedergang

* * *

17. Der rote Frontkämpferbund


Der Beschluß des Parteitages von Frankfurt am Main, im März 1924, weiterhin „Proletarische Hundertschaften“ zu bilden, blieb auf dem Papier. Zahlreiche Mitglieder der noch bestehenden „Proletarischen Hundertschaften“ in verschiedenen Teilen Deutschlands kamen zwar weiterhin zwanglos zusammen, aber da sie keine konkreten Aufgaben hatten, wurde daraus eine Vereinsmeierei. In Halle an der Saale erfanden die Mitglieder der dortigen restlichen „Proletarischen Hundertschaften“ einen neuen Namen für ihre Organisation: „Roter Frontkämpferbund, RFB“. Das war vor der zentralen Gründung dieser Organisation.

Das Zentralkomitee (wie es ab 1924 hieß) der Kommunistischen Partei wollte dem Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold folgen und ebenfalls eine legale Wehrorganisation haben. Es wurde eine Sitzung nach Berlin einberufen, an der einige Mitglieder des Zentralkomitees, ich habe nur Ernst Thälmann und Ernst Schneller in Erinnerung, zwei mir unbekannte Männer, die mit Thälmann gekommen waren und die Thälmann als seine Berater vorstellte, Wolfgang von Wiskow und ich teilnahmen. Thälmann begann seine Rede mit der Bemerkung, daß seine beiden Begleiter erfahrene Offiziere seien und daß der in Halle geprägte Name „Roter Frontkämpferbund“ genau der richtige sei, um die noch existierenden „Proletarischen Hundertschaften“ als Kern für eine neue Wehrorganisation zusammenfassen. Der „Rote Frontkämpferbund“ solle in ganz Deutschland geschaffen werden und zu Ehren der Genossen von Halle soll die offizielle Gründung des Roten Frontkämpferbundes in Halle stattfinden. Um das Selbstbewußtsein der Mitglieder zu erhöhen, soll der Bund wie das „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ uniformiert auftreten; Windjacken, Sturmmützen und Koppel sollen getragen werden und Musikzüge sollen allen Aufmärschen voranmarschieren. Thälmann betonte, daß die Gründung des Bundes eine vom Zentralkomitee beschlossene Sache sei und daß jetzt nur über technische Fragen und über die Besetzung der leitenden Funktionen gesprochen werden solle.

Ich widersprach sehr heftig der Gründung des Roten Frontkämpferbundes und sagte, daß die Gründung den bisherigen Beschlüssen und dem Brief des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale an den Parteitag in Frankfurt am Main widerspreche. Daß jetzt alle politischen Parteien ihre Wehrorganisationen haben, dürfe für uns kein Grund sein das militärische Treiben nachzuahmen. Ich sagte, daß die Wehrverbände der Rechtsparteien: „Stahlhelm“, „Jungdeutscher Orden“, „Kyffhäuserbund“ und auch das „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ ihren kapitalistischen Staat verteidigen zu wollen vorgeben, daß aber alle diese Wehrverbände ideologisch und materiell für einen Revanchekrieg rüsten und daß dem nur die Kommunistische Partei als revolutionäre Organisation entgegenstehe, Revolutionäre aber dürfen sich nicht uniformieren, sie müssen alles vermeiden, was nach Nachahmung des Militarismus aussehen könnte. Jedes militärähnliche Brimborium mit Kriegsvereinsgeschmack müsse vermieden werden. Daß auch in der Arbeiterschaft Tendenzen zum Militarismus vorhanden sind, ist ja aus der Tatsache zu ersehen, daß in den Wehrorganisationen der Rechtsparteien zahlreiche dem Arbeiterstand angehörende Mitglieder sind. Zudem sei auch bei der großen Arbeitslosigkeit unter Kommunisten die Anschaffung der Uniformstücke eine zu starke Belastung für die Genossen, und wenn bei Aufmärschen Teile uniformiert sind, andere aber nicht, so würden sich diese geniert fühlen. Das könnte psychologisch unerwünschte Folgen haben. Wir müssen im Sinne Liebknechts den Kampf gegen jede Art von Militarismus weiterführen.

Die folgende längere Debatte wurde ziemlich gehässig. Besonders die beiden Berater Thälmanns betonten, daß gerade die Uniformierung in Verbindung mit dem neuen Namen günstigen Einfluß auf die Disziplin der Mitglieder haben würde. Überhaupt wurde der Begriff „Disziplin“ in der Debatte sehr strapaziert. Ich blieb dabei, daß ich eben diesen Hang zur militärischen Disziplin fürchte, daß der ganze Plan die wirkliche Organisierung der Revolution unmöglich mache und daß ich keinerlei Militärspielerei mitmachen werde.

Mit mir stimmte Wiskow gegen die Neugründung. Thälmann erklärte abschließend, daß er auf unsere Mitarbeit verzichte, daß ich sowieso als „Levit“ bekannt sei und daß er Frontsoldaten zur Mitarbeit heranziehen werde.

Einige Tage darauf gab das Zentralkomitee den Beschluß zur Gründungsfeier des „Roten Frontkämpferbundes“ in Halle bekannt. Im Beschluß hieß es, daß der RFB die Arbeiter davon abhalten werde, zum „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ zu gehen. Dann hieß es:

»Und gerade, was manche Unken als Militärspielerei ansehen, die Aufmärsche und ähnliches, birgt einen ungeheuren moralischen Wert, indem es uns fernstehenden Proletarierschichten Selbstbewußtsein, Stolz auf die Kraft der Arbeiterklasse, Glauben an den Sieg der Revolution gibt.«

So war ich zu einer Unke befördert worden. Ich erhielt den Bescheid, daß ich aus der Parteiarbeit entlassen sei. Thälmann holte sich als seinen Stellvertreter den Portier des „Karl Liebknecht-Hauses“, Willi Leow (meinen Genossen aus der Moabiter Spartakusgruppe während des Krieges), als weitere Berater Ernst Schneller und Heinz Neumann. Die meisten „O-D“-Leiter und auch der Redakteur der Hefte Vom Bürgerkrieg übernahmen leitende Funktionen im „Roten Frontkämpferbund“.

Die Leitung des „illegalen Apparates“, der vom RFB getrennt blieb, übernahm als Vertreter des Zentralkomitees Ernst Schneller; tatsächlicher Leiter wurde Hans Kippenberger, der mittlerweile Reichstagsabgeordneter geworden war und nach Deutschland zurückgekehrt war. Um nicht mehr vom RFB berichten zu müssen, nehme ich seine Entwicklung vorweg. Meine Befürchtungen sollten sich mit den Jahren bewahrheiten. Die neue Organisation entwickelte sich zuerst rapide; Ortsvereine schossen wie Pilze nach einem warmen Sommerregen aus dem Boden. In verhältnismäßig kurzer Zeit zählte der Rote Frontkämpferbund über hunderttausend Mitglieder. Aufmärsche mit Schalmeienkapellen fanden in fast allen deutschen Großstädten statt. Ernst Thälmann nahm im Auto stehend Paraden ab.

Der Zustrom zum RFB brachte jedoch der Kommunistischen Partei keinen entsprechenden Kräftezuwachs. Die meisten Mitglieder waren gleichzeitig Mitglieder der KPD. Das verursachte mit der Zeit eine nicht vorhergesehene Begleiterscheinung. Tausende von RFB-Mitgliedern hielten ihre Organisation für die „eigentliche“ Kampforganisation, sie hielten diese für radikaler als die Kommunistische Partei und leisteten keine politische Parteiarbeit mehr.

Der RFB lieferte bald den Wehrverbänden der Rechtsparteien und der SA Hitlers, die mittlerweile alle anderen Verbände überflügelte, heftige Strassenschlachten. Die Entrüstung verschiedener Historiker der Weimarer Republik über diese Straßenschlachten halte ich für unlogisch, man kann nicht einerseits die Berechtigung ja die Pflicht zum Widerstand gegen die aufsteigende Diktatur Hitlers betonen und gleichzeitig die Personen und Organisationen verurteilen, die den Widerstand leisteten. Noch war es möglich, die Hitlerdiktatur zu verhindern. Die Führer des „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ aber redeten oft nicht anders als die Führer des Stahlhelms und der anderen Wehrorganisationen. Bei einem Reichsbanneraufmarsch in Breslau sagte das Vorstandsmitglied Polizeioberst Lange unter anderem:

“Wenn das Vaterland uns ruft so werden wir da sein und wenn wir einig sind, dann werden wir die nächste Marneschlacht nicht verlieren. Mit den Kommunisten werden wir fertig. Ein paar Hundertschaften unserer Schupo genügen, um diesem Spuk ein Ende zu machen.“

Als später der General Schleicher Reichswehrminister unter der Bezeichnung „Wehrsport“ die militärische Vorbereitung der Jugend einführte, beteiligte sich das Reichsbanner gemeinsam mit den rechtsstehenden Wehrverbänden daran.

Kurz vor seinem Ende – der „Rote Frontkämpferbund“ wurde im Mai 1929 von der sozialdemokratischen Regierung Preußens verboten und aufgelöst – beging eine Ortsgruppe eine schamlose Niederträchtigkeit. In der Sowjet-Union hatte ein Schauprozeß gegen Ingenieure stattgefunden, denen Sabotage vorgeworfen wurde. Mehrere der Angeklagten wurden zum Tode verurteilt. Die Ortsgruppe Zoppot-Danzig des RFB telegrafierte an Stalin: „Wir bitten das Urteil ehrenhalber vollstrecken zu dürfen. RFB, Zoppot.“ Das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei billigte das Telegramm und ließ es im Parteiorgan Die Rote Fahne als Beweis revolutionärer Gesinnung veröffentlichen. Da den Leuten das Zeug zu wirklichen Revolutionären fehlte, wollten sie wenigstens Henker sein. Versuche, den „Roten Frontkämpferbund“ nach dem Verbot „illegal“ weiterzuführen, schlugen fehl. Die SA, der Stahlhelm und die anderen Verbände hatten in den entscheidenden Stunden des Jahres 1933 die Straßen frei. Die Führer des RFB und des „illegalen Apparates“ erlitten das Schicksal vieler deutscher führender Kommunisten. Thälmann und Schneller wurden von den Nazis ermordet, Leow und Kippenberger von den Stalinisten.

Der im Mai 1924 gewählte Reichstag war bereits nach einigen Monaten aufgelöst worden. Die Neuwahlen im Dezember des gleichen Jahres brachten der KPD eine schwere Niederlage. Obwohl bei den Wahlen im Dezember rund eine Million mehr Wähler ihre Stimme abgaben als im Mai, verlor die Kommunistische Partei eine Million Stimmen und siebzehn Mandate. Es war zu erkennen, daß sie von der Jugend, den Neuwählern, und von den Frauen abgelehnt wurde.

Das Zentralkomitee der KPD erklärte nun, die Parlamentswahlen seien keine Barometer für die wahre Stimmung im Volke; auf die in den Produktionsstätten stehenden Menschen komme es an. Aber die Addition der in den Betrieben stehenden Männer und Frauen ergab, daß auch von den Betriebsarbeitern nur eine Minderheit kommunistisch gewählt hatte. Ruth Fischer, die noch nie in ihrem Leben einen Betrieb von innen gesehen hatte, hatte Ende 1924 über die „Betriebszellen“ der Kommunistischen Partei geschrieben:

»Die Organisation muß wirklich auf Betriebszellen aufgebaut sein ... Jede Zelle muß eine eiserne Organisation sein, welche Politik treibt, nicht nur Betriebsknatsch. Sie muß den Betrieb in der Strippe haben. Sie muß ihn bolschewisieren. Jawohl. Bolschewisierung der Partei, das heißt auch Bolschewisierung des Betriebes.«

„Betriebsknatsch“ war die tägliche Kleinarbeit um Beachtung der Sicherheits- und hygienischen Einrichtungen, auf die zu achten heute Pflicht jedes Betriebsrates ist. Lenin hatte ja Jahrzehnte vorher, in der Zeit der Illegalität unter dem Zarismus, Waschmöglichkeiten und Handtücher für die Arbeiter in den Betrieben gefordert.

Maslow und Ruth Fischer, die nun führenden Köpfe der KPD, waren hochgebildete und gut informierte Vollblutpolitiker. Ich habe sie jedoch niemals über wirtschaftliche oder gewerkschaftliche Fragen sprechen gehört. Die Tagesnöte der arbeitenden Massen, das tägliche Ringen um die Verbesserung ihrer Lebenslage interessierten sie nur als Grundlage der politischen Propaganda. Die Massen aber verlangen gerade eine wirksame Vertretung ihrer Interessen. Nicht nur eine Regierung, sondern auch eine Parteiführung wird nach dem Nutzen beurteilt, den sie ihren Anhängern bringt. Es war nicht nur die Wahlniederlage, die die Kommunistische Partei erlitt. Die Partei selbst verlor in den Jahren 1924/25/26 durch Austritte und Ausschlüsse über 150.000 Mitglieder. Die Parteidisziplin wurde überspannt. Die Mitglieder, die als Kommunisten Opfer brachten und Nachteile ertrugen, litten stark unter dem unfreundlichen inneren Parteileben und den in gehässigen Formen geführten Diskussionen. Im neuen Parteistatut, für das die Mitglieder des Zentralkomitees Werner Scholem und Ernst Schneller verantwortlich waren, hieß es unter anderem:

»Die strenge Parteidisziplin ist die höchste Pflicht aller Parteimitglieder und aller Parteiorganisationen ... Ein Verstoß gegen die Parteidisziplin zieht Strafmaßnahmen seitens der entsprechenden Parteiorgane nach sich.«

Eine derartige Sprache und Disziplin verjagte die Mitglieder. Werner Scholem wurde später ebenfalls in einem deutschen Konzentrationslager ermordet.

Die Rechtsparteien erhöhten nach ihrem Wahlerfolg vom Dezember 1924 sofort den Wehretat. Der Wehretat des Hunderttausend-Mann-Heeres von 1925 war in Goldmark fast so hoch, wie der des 650.000-Mann-Heeres von 1914.

Mit Ausnahme der KPD stimmten alle Parteien im Reichstag für die beschleunigte Wiederaufrüstung. Da aber die Reichswehr laut Versailler Vertrag nach außen hin auf 100.000 Mann beschränkt bleiben mußte, wurde die Polizei militarisiert. Die preußische Polizei unter der sozialdemokratischen Regierung Braun-Severing wurde zahlenmäßig und nach ihrer Bewaffnung die stärkste Polizei aller europäischen Staaten, mit Ausnahme der Sowjetunion. Im Herbst 1924 hatten auch die ersten größeren Manöver der Reichswehr stattgefunden, an denen außer Fliegern alle Waffengattungen, auch Panzer, teilnahmen. Die Generäle der Reichswehr hatten mittlerweile die Vorteile eines Berufsheeres entdeckt. Ein General Bernhard formulierte die Stellung der Reichswehr in der Weimarer Republik folgendermaßen: „Die Armee muß in gewissen Sinne von der Heimat losgelöst werden, sie muß sich als etwas Konträres Fühlen.“ Damit straft der General Bernhard diejenigen Leute Lügen, die noch heute behaupten, es sei ein Verhängnis der Weimarer Republik gewesen, daß sich nur wenige Arbeiter zur Reichswehr gemeldet hatten. Arbeiter meldeten sich nicht, weil in der Reichswehr sehr rauhe Sitten herrschten, wie sie unter berufsmäßigen Landsknechten immer üblich waren, mit Bespitzelung und Gesinnungsschnüffelei, die demokratisch gesinnte Soldaten entweder zum Austritt zwangen oder zur Anpassung. Die Zugehörigkeit zu dieser Reichswehr änderte den Charakter der Soldaten, nicht den des Heeres.

Einige Monate später ertranken bei einem weiteren Manöver 80 Reichswehrsoldaten in der Weser. Die Berichterstattung über das Unglück wurde zensiert, nicht nur wegen der Umstände des Unglücks und der Zahl der Opfer, sondern besonders, um zu verhindern, daß bekannt wurde, daß sich unter den Ertrunkenen Zeitfreiwillige befanden, die nach dem „Krümpersystem“ Dienst getan hatten. Das Krümpersystem, vom preußischen General Schamhorst bereits 1808–1812 zur Aufrüstung erdacht, gehörte zu den geheimen Einrichtungen des Berufsheeres. Die Aufklärung dieses „Unfalles in der Weser“ verdankten wir dem Journalisten Berthold Jacob.

Seit meiner Rückkehr aus Moskau wohnte ich wieder im Stadtteil Berlin-Schöneberg, blieb aber weiterhin Funktionär meiner früheren Gruppe in Moabit, die ihre Zusammenkünfte nach wie vor im Lokal Pilz in der Rostocker Straße abhielt. Ich besuchte aber auch Versammlungen der Schöneberger Mitglieder. Die Diskussionen über die Ursachen der Niederlage bei den Dezemberwahlen waren noch nicht beendet. Das Zentralkomitee verbreitete neben der Behauptung, die Propaganda der Partei sei nicht national genug gegen den Versailler Vertrag gewesen, weiterhin, daß die „Rechten“, die „Brandleristen“, in der Partei die eigentlich Schuldigen seien.

Die gehässige Art der Diskussionen bekam ich auch persönlich in einer Funktionärsversammlung in Schöneberg zu spüren, in der der damalige Privatdozent für Geschichte an der Berliner Universität Arthur Rosenberg referierte. Ich saß vorn vor dem niedrigen Podium. Rosenberg sah mich, unterbrach seine Rede und rief mit von Entrüstung bebender Stimme in den Saal hinein: „So etwas von Frechheit habe ich noch nie erlebt, direkt vor mich hat sich so ein Levit gesetzt und lacht mir ins Gesicht; er will mich provozieren!“ Einige Funktionäre tiefen:

„Raus mit ihm, der gehört gar nicht in unseren Bezirk!“ Ich wehrte mich energisch, und andere Funktionäre unterstützten mich, die Attacke Rosenbergs abzuweisen.

Arthur Rosenberg war einer der typischen intellektuellen, die damals massenhaft zur KPD kamen. Noch nicht lange Mitglied der Partei, wurde er schon ins Zentralkomitee aufgenommen. 1925 wurde er als einer der Führer der „Ultralinken“, denen der politische Kurs Maslows, Ruth Fischers, Thälmanns nicht radikal genug war, wieder aus dem Zentralkomitee entfernt und trat kurz danach ganz aus der Partei aus. In seiner kurzen Laufbahn als kommunistischer Politiker hat Rosenberg viel zur Verhetzung und Zersetzung der Parteimitglieder beigetragen.

Wie für Arthur Rosenberg, war die KPD in dieser Zeit eine Durchgangssituation für junge Intellektuelle, die alle „Außenpolitik“ machen wollten. Da das ideelle Interesse bald einschlief, materielles Interesse nicht befriedigt werden konnte, dabei die Bürde der Parteimitgliedschaft schwer war, verließen diesen Leute die Partei bald wieder. Oft gingen sie in den Spießer- und Versorgungsstall Sozialdemokratische Partei und prahlten mit ihrer Vergangenheit. Rosenberg wurde ordentlicher Professor an der Berliner Universität, und in seinen lesenswerten Büchern über die Weimarer Republik gab er gute Ratschläge, an die er selber nicht dachte, als er noch aktiv war. Er starb in der Emigration.

Maslow, der begabteste Politiker des Zentralkomitees, war im Frühjahr 1924 verhaftet worden und saß im Berlin-Moabiter Untersuchungsgefängnis. Er verstand es, durch seinen Rechtsanwalt und andere Besucher wöchentlich mehrmals Briefe mit Weisungen an Ruth Fischer zu schicken und so die Politik des Zentralkomitees zu lenken. Maslows Briefwechsel mit Stalin ist erhalten geblieben. Nach fünfzehn Monaten Untersuchungshaft wurde er zu vier Jahren Gefängnis verurteilt.

Unter der Führung Ruth Fischer-Thälmann-Rosenberg erlitt die deutsche Kommunistische Partei ohne offenen Kampf die schwersten politischen Niederlagen ihrer Geschichte. Thälmann nannte die Partei die „Eiserne Kohorte“ der Revolution, und Heinz Neumann redete nur von ihrer „Bolschewisierung“; dennoch war sie eine ohnmächtige Zeugin bei der Wahl Hindenburgs zum Reichspräsidenten und bei dem Abschluß des antirussischen Locarno-Vertrages, der den Rapallo-Vertrag aufhob.

Die Wahl des im Kriege geschlagenen Feldmarschalls Hindenburg zum Nachfolger Eberts war nach der Entwicklung der Weimarer Republik durchaus folgerichtig. Hindenburg, der während des Weltkrieges bekannt hatte:

„Der Krieg bekommt mir wie eine Badekur“, der zur Kapitulation drängte, als er einsah, daß der Krieg verloren war, der seinen Kaiser ins Ausland flüchten ließ, gleichzeitig aber kein Hehl daraus machte, daß er untertäniger Monarchist sei, der niemals die Worte „demokratische Republik“ aussprach, nur das Wort „Reich“ gebrauchte, dieser Hindenburg, von dem sein ehemaliger Generalstabschef, General Ludendorff, gesagte hatte, er sei „falsch wie Galgenholz“, leistete nun den Eid auf die Republik.

Thälmann hatte als kommunistischer Präsidentschaftskandidat weniger Stimmen erhalten, als die KPD bei den Wahlen zum Reichstag im Dezember 1924 erreicht hatte.

Der Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjet-Union, Stalin, hatte sich, solange Lenin lebte, nicht in die internationalen Angelegenheiten eingemischt. Daß Stalin bereits im Sommer 1923 in einem Brief an die Exekutive der Kommunistischen Internationale diese gewarnt hatten, einen Aufstand in Deutschland zu veranlassen, erfuhr ich erst später durch Wiskow. Beraten von dem Wirtschaftswissenschaftler Eugen Varga, dem früheren Minister unter Bela Kun in der ungarischen Räteregierung kam Stalin Ende 1924 zu der Auffassung, daß der Kapitalismus in Westeuropa wieder fest im Sattel saß und daß es unsinnig sei auf die deutsche sozialistische Revolution zu hoffen. Stalin begann die These vom „Sozialismus in einem Land“ zur Debatte zu stellen. Insofern war der „Stalinismus“ eine Auswirkung des Versagens der revolutionären Bewegungen in den kapitalistischen Ländern, insbesondere in Deutschland. Es war nicht nur ein Versagen der kommunistischen Parteien sondern darüber hinaus der Arbeiterbewegung im großen und ganzen.

Ich hatte mittlerweile eine kleine Gruppe gebildet. Wir waren nur sechs bis zehn Genossen, die sich mehrmals in der Woche trafen, um über deutsche und russische Parteiangelegenheiten zu sprechen. Hier diskutierten wir schon 1925 über Stalin: wer ist dieser Mann, was will er?

Wiskow hatte von Steinbrück der öfter mit Stalin zu tun gehabt hatte einiges über die Persönlichkeit und die Laufbahn Stalins erfahren. Seine Vergangenheit und seine Stellung in der Bolschewistischen Partei kannten wir wohl, aber wenig Persönliches. Steinbrück beurteilte ihn positiv. „Ein sehr energischer und erfahrener Organisator mit außerordentlichen Personenkenntnissen.“ Das hatte mir schon Alexander Dworin in Moskau erzählt. Nach Dworin hatte Stalin die Schlüsselstellungen in der Sowjet-Union mit Funktionären zu besetzen. Stalin hatte eine Kartei in der sämtliche Mitglieder der Kommunistischen Partei der Sowjet-Union nach Beruf und Eignung registriert waren. Auf jeder Karte war vermerkt wer zum Beispiel als Parteisekretär, Betriebsmanager für die Verwaltung oder Polizei und so fort geeignet war. Die Armeestellen waren ausgenommen, über die disponierte Trotzki. Stalin konnte Funktionäre aus irgendeiner Gegend der Sowjet-Union zu sich bestellen und mit ihnen über die Besetzung einer verantwortlichen Stelle verhandeln. Noch verhandelte er, später wurde abkommandiert.

Wolfgang von Wiskow hatte, wenn auch nur ungewiß, von einem Testament Lenins gehört und seiner negativen Einschätzung Stalins. Aber wir wußten nichts Genaues. In unseren Diskussionen bejahten wir weiterhin Trotzkis Theorie der „Permanenten Revolution“. So entstand eigentlich die erste „Trotzkigruppe“ in Deutschland. Jedoch von einem „Trotzkismus“ war noch keine Rede. Verbindung mit Trotzki hatten wir nicht; wir suchten sie nicht, Trotzki auch nicht. Wir erfuhren nicht einmal, daß Trotzki im Sommer 1925 mehrere Wochen in Berlin war.

Die bedeutendsten kaltgestellten Mitglieder der Kommunistischen Partei Deutschlands, wie August Thalheimer, Paul Frölich, Karl Becker, August Enderle, Alexander Ludwig und andere, bildeten eigene Diskussionsgruppen, an deren Zusammenkünften ich ebenfalls ziemlich regelmäßig teilnahm. Hier wurde fast nur über deutsche Fragen diskutiert; über die Bildung einer Opposition gegen das deutsche Zentralkomitee. Diese Gruppen waren die Anfänge der „KPO“ (Kommunistische Partei Opposition) und der „SAP“ (Sozialistische Arbeiter Partei).

In diesen Wochen, ich kann den genauen Zeitpunkt nicht mehr angeben, verunglückte ein Teil meines früheren „Apparates“, den ich vor drei Jahren abgegeben hatte. Als ich wie an jedem Morgen zu einem Kiosk nach Zeitungen ging, lag obenauf ein Boulevardblatt mit der Balkenüberschrift: „Kommunistische Paßfälscherzentrale ausgehoben! Hunderte falsche Stempel, Pässe und Formulare beschlagnahmt!“ Ich kaufte das Blatt und las eine phantastische Geschichte über die Tätigkeit der Berliner Kriminalpolizei, die nach „monatelanger, sorgfältiger Überwachung in Neukölln zu einem vernichtenden Schlag ausgeholt hat.“ Der Mann, der beim Fälschen ertappt worden war, konnte jedoch entkommen.

Dieser Verlust interessierte mich natürlich sehr, und ich ging zu einem Freund, der mit dem nicht gefaßten Paßfälscher eine Zusammenkunft vereinbarte. Wir trafen uns und er erzählte mir, wie das Unglück geschehen war. Der Zeitungsbericht war maßlos übertrieben; die Polizei hatte die Tintenfässer, Stempelkissen, Federhalter etc. mitgezählt. Der Verlust war aber schlimm genug.

Mein Nachfolger, der den gleichen Vornamen wie ich trug, Karl W., war für diese Spezialarbeit technisch besser geschult als ich. Er war gelernter Photograph und Chemigraph und machte alles „handwerksmäßig“. Aber er hatte Gewohnheiten, die ein „Illegaler“ nicht annehmen darf. Er war laut und unhöflich, er rannte pfeifend, mehrere Stufen auf einmal nehmend, die Treppe rauf oder runter, schlug die Türen knallend zu, und wenn er anderen Mietern auf der Treppe begegnete, grüßte er nicht. Sein „Büro“ war im zweiten Stockwerk und ging zur Straße hinaus.

Eine Nachbarin ärgerte sich über den jungen Mann und ging zum Hauswirt, Beschwerde zu führen. Der Hauswirt sagte, daß im zweiten Stockwerk kein Untermieter gemeldet sei. Die Frau ging daraufhin zum Polizeirevier. Ein Beamter versprach ihr, in den nächsten Tagen vorbeizukommen, um den jungen Mann zur Rede zu stellen. Als der Beamte kam, öffnete die Vermieterin die Tür und antwortete auf die Fragen der Beamten wahrheitsgetreu, daß bei ihr kein junger Mann wohne, wohl aber bereite sich ein Student seit einigen Monaten stundenweise auf sein Examen vor. Er habe auch nur einen Koffer im Schrank zu stehen. Karl W. war gerade auf der Toilette. Der Kriminalbeamte ging ins Zimmer und sah auf dem Tisch Formulare und Stempel liegen. In diesem Augenblick kam Karl W. zur offenen Tür und erblickte den Beamten, der einen Stempel in der Hand hielt. Blitzschnell warf er die Zimmertür zu, dann die Außentür und sprang in mehreren Sätzen die Treppe hinunter, aus dem Haus raus und verschwand um die nächste Straßenecke. Kleidungsstücke oder einen Hinweis auf seine Person hatte er nicht zurückgelassen. Der Name, den er der Vermieterin angegeben hatte, stimmte nicht. Die Presse hatte noch für einige Tage immer kleiner werdende Schlagzeilen über die Affäre und hoffte vergeblich auf die Verhaftung des Paßfälschers. Karl W. ging auf meinen Rat hin für einige Monate von Berlin fort.

Die Rechtsparteien, Fememörder und Nazis hatten derartige Probleme nicht. Sie erhielten ihre Papiere, sofern sie überhaupt welche nötig hatten, von ihren Gesinnungsgenossen in den Ämtern. Sie unterlagen keinen Reisebeschränkungen. Sie hatten sonst keine Verfolgten. Wir aber hatten neben Tausenden innerdeutsche Flüchtlinge noch Hunderte politischer Flüchtlinge aus den faschistischen Ländern Italien, Ungarn und Bulgarien zu versorgen.

Trotz meiner asketischen Bedürfnislosigkeit war ich mittlerweile in schwere Not gekommen. Arbeitslosenunterstützung konnte ich nicht in Anspruch nehmen. Eines Tages gab mit ein Bekannter eine Empfehlung an einen der Inhaber des Ladyschnikow-Verlages der neue Gesamtausgaben der Werke Tolstois und Gorkis in allgemein gerühmter deutscher Übersetzung und Austattung herausgab. Ich wurde ein ziemlich erfolgreicher Kolporteur. Doch nur in meinem Bekanntenkreis. Dann erfuhr ich, daß Willi Budich Direktor einer russischen Handelsmission in Wien geworden war, die Werkzeugmaschinen einkaufte und die kürzlich eine Filiale in Berlin errichtet hatte. Die Filiale beschäftigte ungefähr zehn Angestellte. Der Filialleiter rief auf meinen Wunsch Budich in Wien an, und er veranlaßte eine Anstellung als Buchhalter. Aber auch mit dieser Stellung war es bald wieder aus. Als ich kaum zwei Wochen in der Stellung war, brannte der Kassierer, der gerade einen größeren Betrag zu Gehalts und laufenden Zahlungen von der Bank geholt hatte mit dem Geld durch. Der Filialleiter benachrichtigte die Kriminalpolizei. Es kamen zwei Beamte ins Büro, die nach Feststellung der Personalien alle Angestellten zum Polizeipräsidium bestellten. Diese Vorladung konnte ich nicht gut befolgen. Die Sache hatte zwar nicht mit der politischen Abteilung zu tun, aber im Polizeipräsidium hätte ich doch einem dieser Leute in die Arme laufen können. Absolut sicher waren meine Paniere bei genauer Prüfung durch die Berliner Polizei wiederum nicht. Ich verließ die Stellung. Meinen wirklichen Namen und Adresse wußte man dort nicht.

Das Ende meiner Freiheit kam plötzlich. Ich hatte Anfang Februar 1926 eine Einladung von der Bezirksleitung der Kommunistischen Partei Berlins erhalten, zu einem besonderen Vortrag zu kommen, der in meinem bekannten Parteilokal Pilz in der Rostäcker Straße stattfinden sollte. Dort traf ich im Vereinszimmer ungefähr 30 leitende Funktionäre an, darunter Mitglieder des Zentralkomitees und der Bezirksleitung. Vortragende war Helene Stassowa, die Vorgängerin Stalins im Sekretariat des Zentralkomitees der Bolschewiki. Sie war wieder einmal nach Berlin gekommen und sprach über den Inhalt und die Methoden der Agitation und Propaganda der Kommunistischen Partei unter den verschiedenen Völkerschaften der Sowjet-Union.

Nach Schluß der Versammlung gegen 23 Uhr, ging ich durch den Schankraum des Lokals zur Straße. Ich achtete nicht darauf, daß zwei Männer, die an der Theke gestanden hatten mir folgten. Ich ging zur nächsten Haltestelle der Straßenbahn. Dort kamen die beiden Männer auf mich zu, der eine hielt eine Pistole in der Hand und sprach mich mit meinem richtigen Namen an. Beide zeigten mir ihre Kriminalbeamtenmarken. Damit war meine politische Aktivität für die nächsten Jahre beendet.

 


Zuletzt aktualiziert am 11. Januar 2023