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Der Kampf, Jg. 2 Heft 9, 1. Juni 1909, S. 385–389.
Transkription u. HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.
Es haben die Erdenkinder voreinst die Erde zum Mittelpunkt der Schöpfung gemacht und doch ist sie nur ein Tropfen am Eimer des Alls. Es hat jeder einzelne in seinem naiven Glauben an sich die Neigung, in seiner Persönlichkeit die Achse seiner Umgebung zu sehen, und doch sind wir, die lumpigen Individuen Engels’, nur Körner des Formsandes, aus dem die nimmermüde Arbeiterin Geschichte die toten Formen schafft, um den glühenden Gussstrom des Massengeschehens durchzuleiten. Das Miniaturspiegelchen unseres Ameisengehirns redet sich gar gern ein, da es ein Weltbild gibt, die Welt darzustellen. Wie erst, wenn sich ein halbes Tausend von buchstäblich Auserkorenen, von Volksvertretern beisammen findet, um eines Volkes Leiden und Wünsche darzustellen, um auf den Pulten, die die parlamentarische Welt bedeuten, die Rollen zu spielen, welche die launische Wählerschaft in ihre Programme geschrieben. Wie nahe liegt die Versuchung für den Schauspieler, welcher sein Fach nachspielt, sich für den Schöpfer des Stückes zu halten. Sie, die der leiseste Windhauch der Volksgunst bewegt, bilden sich am Ende ein, dass sie den Sturm machen, und nehmen ihre Einbildungen für wirkliche Geschichte. Diese Krankheit ist so alt wie das parlamentarische Tribünenspiel selbst, sie ward von Marx diagnostisch bestimmt und parlamentarischer Kretinismus genannt. Natürlich ist eine solche Krankheit nicht geheilt, da sie erkannt ist. Doch uns Sozialdemokraten nützt die Erkenntnis, da sie uns vor der Infektion schützt. Wir wissen ganz genau, dass die parlamentarische Vertretung des Proletariats nur eines der Ausdrucksmittel seiner realen Massenbewegung sein kann. Wir erwarten von ihr nicht mehr, wir erhoffen von ihr keine Wunder und befürchten von ihr nicht den Sündenfall des Proletariats. Wir sind nicht die Nurparlamentarier, als welche die anarchosozialistischen Schreihälse uns denunzieren; wir sind nicht die Nurpolitiker, die wir sein müssten, um jenen exaltierten Belletristen der Politik Genüge zu tun, die da meinen, das Proletariat durch das blosse Hebelwerk parlamentarischer Abstimmungen zur Macht bringen zu können. Im Kopfe wohnen die Gedanken leicht beieinander und leicht fliessen sie durch die geduldige Feder auf das Papier. Aber wie der Proletarier, den heute noch jeder Polizist schurigelt, der in der Werkstatt die Launen der letzten Gehilfen der Unternehmerschaft tragen muss, der draussen in Fabriken und Schächten dient, als Staatspartei im Parlament herrschen könnte, wie die tatsächliche ökonomische Hörigkeit politisch sich ausdrücken könnte in einer halbwegs dauernden Herrschaft über die faktischen Herren oder in einer Mitherrschaft mit ihnen, diesen Widerspruch parlamentarisch aufzuheben, mühen wir uns nicht, weil es vergeblich ist. Wir sehen in uns nur die Mimen, die der stummen Tragödie des Menschengeschehens Worte leihen, auf dass sie gemeinverständlich werde, wir, die vor den anderen vielleicht nur das eine voraus haben, dass uns ein Gott gegeben hat, zu sagen, was sie leiden.
Ganz anders die bürgerlichen Parteien. Der Bourgeois ist sein eigener Herr, jeder für sich ist es und keiner will seinesgleichen kennen. Der einzige, der seinesgleichen wäre, ist sein Konkurrent, und der ist wert, dass er zugrunde geht. Er denkt sich selbst und alle Welt und auch seinen Vertreter als Person, er wählt ihn gern als Person und also ist er nicht sein dienstbares Werkzeug, sondern sein Abgott. Wir haben die Abgötter leiblich im Parlament vor Augen: da ist Lueger, der Abgott der Wiener Spiesser, der Schöpfer seiner Geschöpfe, die alle ihre Karriere als Vizeabgötter begonnen haben, als da sind Abgötter der Staatsdiener, der Hausbesorger u. s. w.; da hatten wir Schönerer und Wolf und ihre Geschöpfe, jeder ein sonderbarer Heroentypus für sich und keiner gewillt, sich dem andern unterzuordnen. Endlich die lange Reihe der Lokalheiligen, als da sind Derschatta von Graz, Sylvester von Salzburg, Ebenhoch von Linz etc., und die Bauern alle, die Oelgötzen der Bezirkskasinos. Wie bei den Deutschen, so bei allen Nationen. Die Herren fühlen sich nicht als politisches Werkzeug ihrer Klasse, sie meinen, sie machen die Politik, und halten die Rollen, die sie aufsagen, für die Geschichte selbst. Einmal gewohnt an ihre verteilten Rollen, spielen sie das alte Stück fort, obschon die Welt draussen langst anders geworden und von ihren heroischen Deklamationen nicht mehr Notiz nimmt. Und wenn auch die Regierung, die von Amts wegen mit den realen Tatsachen des Lebens zu tun bekommt, in den Souffleurkasten kriecht und anders einsagt – das geht eine Weile, dann aber fallen sie in die eingelernte Partie zurück und händeringend stehen die Minister da und können sich vor dem Spuk nicht retten, als indem sie den Vorhang rasch herunterlassen: Vertagung, Schliessung der Session!
Aber ab und zu wird da draussen in der wirklichen Welt der Strom der lebendigen Geschichte so mächtig, dass er den ganzen Hokuspokus hinwegwäscht, dann verfliegen mit einemmal die Einbildungen, die Kronen aus Pappe, die angeschminkten Masken fallen ab, das hohle Pathos schweigt – die Tatsachen haben das Wort und die vertrackte Gesellschaft nimmt sich auf einige Zeit ganz vernünftig aus.
Ein solcher Moment ist jetzt gegeben. Muss es nicht auffallen, welch ein ganz unbegreiflich rascher Szenenwechsel im Parlament vor sich gegangen? Pultdeckeldonner und Trompetenschall! Sprachenkrieg und Ministerschlachten! Gerichtseingaben und Posterlässe! Richterrevolten und Staatsautorität! Nationaler Kampf bis ans Messer! Tod und ... der Vorhang fällt und hebt sich wieder. Träumen wir? Alles, alles anders. Nicht ein Nachklang mehr. Man redet trocken, doch ernst von Steuern und Staatsschulden, von Schatzschein und Rente, von Bierhellern und Branntweinprämien, vom Zinsfuss der bosnischen Bank und von den Sorgen der Kmeten. Der Galeriebesucher fasst sich an der Stirn und meint verzaubert zu sein, er wollte in die Reprise einer dröhnenden Völkerschlacht und nun spielt man die langweilige, alte Haupt- und Staatsaktion: „Steuern und Staatsschulden!“ Ist das nicht über alle Massen verblüffend?
Und ist es jenseits der Leitha nicht ebenso? Wenn sonst der Kaiser von Oesterreich sich im Sonderzug nach Budapest zwischen Marchegg und Pressburg in den König von Ungarn verwandelte, mochte er wohl manchmal seufzen und mit ihm seufzte wohl ganz Oesterreich: Was wird das wieder kosten! In Pest aber thronte der stolze Areopag von magyarischen Grundherren und Advokaten. Ein Fremdling beschrieb die Sitzung der Häupter der römischen Bürgerschaft als einen „Senat von Königen“, das Pester Parlament hätte man einen Konvent von Rakoczys nennen können. Zwar im Privatleben waren sie jede Faser eine Geschäftsprovision, als Repräsentanten der Nation aber jeder Zoll ein Staatsmann, ein Rhetor, ein glühender Patriot, unbeugsam auf die Rechte der Nation pochend, und wenn sie nach Debreczin gehen müssten, wo man Dynastien absetzt und neue Könige macht. Welch ein stolzes Bild! – Aber ist heute das Parlament dasselbe? Ja, es sind dieselben Köpfe, dieselben Trachten, dieselben Räume, es gilt die alte avitische Verfassung, auf dauerhaftestem Papier vorzüglich im neuen Corpus iuris Hungarici abgedruckt, für die Ewigkeit abgedruckt. Dieselbe Bühne, noch stehen die Kulissen, der Vorhang ist oben, die Kostüme sind bereit – aber, du armer Zuschauer, das Heldenstück wird nicht gespielt, in Szene geht das abgedroschene Schäferspiel: drei gefallsüchtige Schäkerinnen entfalten ihre Reize, auf dass der Hirt Paris wähle und einer den Reichsapfel zuwerfe. Welche komische Vermummung! Die adelsstolze Verfassungspartei, die kanzeleifernde Volkspartei, die an Verschwörung und Revolten gewohnte Unabhängigkeitspartei dienstbeflissen wie Bajaderen!
Was geht denn vor? Wir sind doch nicht in einem Fastnachtsspiel? Oder sind wir in die Antike zurückversetzt, allwo es vorgekommen sein soll, dass Helden plötzlich durch Zauberwort in – Schweine verwandelt wurden? Sind doch auch sonst die Menschen wie verhext!
Wer in den Wandelgängen des griechischen Hauses schon daheim gewesen, ehevor die Kurienkammer verschieden, und nun zwischen den Marmorwänden der Gänge und den erhabenen korinthischen Säulen des Atriums dahinschreitet, begegnet des öfteren Männer, bei deren Vorbeigehen er verwirrt zurückschaut: Ist er es – oder ist es der Schatten seines Wesens von ehedem? Man blickt ihm nach: Seine Leiblichkeit ist wohl dieselbe, vielleicht nur, dass die tückischen Jahre über das dunkle Haupthaar kaum merkbar den mahnenden Staub des Lebensherbstes gehaucht und die wiegende Federung der Sehnen beim Schreiten ein wenig versteift haben. Aber dennoch – er ist der gleiche nicht. Da geht Gross, der Rotbärtige, voreinst ein gewaltiger Mann – jetzt wohl nur eine täuschende Nachbildung, denn wer spricht von ihm? Und dort Karl Hermann Wolf, der ehedem Minister beflegelt, sich mit einem österreichischen Premier duelliert hat, der Obstruktionist, der Ausräucherer der Pfaffheit, der Romstürmer, der Hochverräter und – in den Mussestunden das Entzücken der Bräute und das Grauen ihrer Gesponsen. Kann Natur so grausam äffen? Sie hat hier offenbar dasselbe sterbliche Gefäss nachgemacht, um statt eines unbeugsamen Volkshelden den Anwalt einer klerikalen Regierung, einen platten Plauderer, einen steifleinernen Möchtegern-Staatsmann gegossen, der nach den mageren Disteln der Sachlichkeit begehrt. Oder Hermann Bielohlawek, der mit dem saftigen Mutterwitz des Wiener Hauswarts Darwin, Dreyfus und die Ex’lenzen in der Luft zerriss zum ehrlichen Gaudium seiner Wählerschaft – derselbe Mann, derselbe Witz steht bereit, im Namen der grössten Partei des Hauses die Autorität der jeweils regierenden Ex’lenz und der allezeit triumphierenden Soldateska zu verteidigen. Und so Mann um Mann – in allen Nationen – mit seinem grossen Widerspruch: Sie gehen um – und wissen es selber nicht. Ihre alten Seelen sind gestorben und werden nun als tote von ihren Leibern herumgeschleppt.
Aber von Zeit zu Zeit kommt wieder die Stunde, wo „die Toten erwachen“, dann setzen sie wieder mit verteilten Rollen ein und furchtbar dröhnt das Pathos durch den säulengetragenen Saal. Der Angstschweiss tritt dem soufflierenden Minister auf die Stirne, er ruft zur Ordnung, zur Besinnung – umsonst, das heulende Unheil ist im Gang. Wie von Erinnyen gepeitscht fahren die kämpfenden Scharen durcheinander und todblickend starrt auf die entsetzte Regierungsbank nieder die erstarrungsendende Medusa – der Kreisrichter von Eger oder sonstwo!
Was geht denn vor? Gegenwart und Ueberlieferungen, Tatsache und Einbildungen, politische Realität und parlamentarischer Kretinismus liegen miteinander im Krieg. Und zweifach sind die Ursprungsquellen dieses sinnebenebelnden Hauches, der diese pythischen Räusche erzeugt.
Die erste liegt in unseren überlieferten Parlamentseinrichtungen, in Oesterreich wie in Ungarn. Wir hatten hier und haben in Ungarn ein Parlament, das die alten Klassen isolierte und konservierte, jene Klassen, welche 1848, 1866 und 1870 den Höhepunkt ihrer politischen Geschichte mitmachten: die Nationalstaatsbildung, die Emanzipation von der Weltkaiseridee, von der damals noch international geltenden Feuda-lität, von der alles beherrschenden Kirchlichkeit. Während draussen die Welt wirtschaftlich, sozial und weltpolitisch fortschritt, wirkten in den von allen neuen Klassen isolierten Parlamenten die alten Gegensätze fort. In Pest spielten sie unablässig das alte Spiel: Achtundvierzig oder siebenundsechzig? König oder Nation? Habsburg oder Kossuth? – Inzwischen schrieb man draussen längst 1900, schrie man draussen längst: Politische Gleichheit, Selbstherrlichkeit aller Nationen, Sozialgesetzgebung, Achtstundentag. Inzwischen rief der Kapitalismus selbst: Auswanderung oder Imperialismus, Bankerott oder Balkaneroberung. Aber das focht die Deklamatoren im Saale nicht an, sie perorierten fort: 48 oder 67? 48 oder 67? Da kam die erste Ernüchterung: Auf der Estrade des Sitzungssaales erschien der gespornte Stiebe! des Obersten Fabrizius, eine sehr deutliche Realität, und die Komöden stoben auseinander. Vom ersten Schreck erholt, kamen sie dann nach Wien, in das Hotel Bristol, und baten: „Herr! Nimm uns nicht ernst, es ist nur ein Spiel, wir wollen es nunmehr einträchtig, wenn auch mit verteilten Rollen, weiterspielen.“ Und also hub das gespreizte Getue in Pest wieder an, für die Ruhepausen der Geschichte eine sehr mässige Kurzweil. Aber da poltert auf einmal das waffenstarrende Europa an alle Tore des Reiches und die entsetzten Komöden verstummen knieschlotternd. Sofort erkennt jedermann, dass ihr historisches Gebaren mit den lebendigen Realitäten der Geschichte nichts zu tun hat. Und wenn nun der König von Ungarn unter sie tritt, so sehen sie nicht so sehr die Arpadenkrone auf seinem Haupt als die Reiterstiebeln, die an den Obersten Fabrizius gemahnen, nicht so sehr die avitische Verfassung als den Kristoffyschen Wahlrechtsentwurf in seinen Händen und auf seinem Antlitz ein liebenswürdiges Lächeln, ein Lächeln, aus dem ihnen die Spitzen von einer halben Million Bajonetten entgegenstarren. Vor solchen Realitäten verstummt die parlamentarische Grosssprecherei. Das ist es, was drüben vorgeht.
Und ist es hier nicht das Gleiche? In unserem Kurienparlament hat man auch Historie gespielt.
Die Deutschen à la Schönerer spielten beharrlich 66 und 70, Königgrätz und Sedan, zuweilen auch das Frankfurt von 63 oder gar 48. Gross- oder Kleindeutschland? Hohenzollern oder Habsburg? Die Tschechen wieder tragierten bald 1871 oder „die Fundamentalartikel!“, bald 1628 oder die „vernewerte Landesordnung von Böheimb“, in Stunden der höchsten Erhebung sogar 1444 oder Johann Huss! Andere wieder drückte anderes Leid. Die Herren aus den Alpenländern, welche 1870 und das Ende des Kirchenstaates nicht verwinden mochten, beschworen die Geister das Konkordats, beschworen Ignaz von Loyola herauf, zeterten als eifernde Streiter Roms wider Juden und Freimaurer – worauf andere mit Martin Luther das Echo nicht schuldig blieben. Nichts herrlicher als das historische Kostüm in dem Prunkstück: Loyola oder Luther? Wie melodramatisch wirkte es, wenn zwischen die hassvoll Hadernden ein Wrabetz trat und mahnte: „Gedenken Sie doch 1789 und der Menschenrechte!“ Welche plumpe Störung war es da, als das lebendige Proletariat auf die Tribüne trat. Es wirkte hier fast so real wie in Ungarn drüben der Oberst Fabrizius. Seitdem ist bei uns endgültig diese Quelle des parlamentarischen Kretinismus verschüttet. Dieses Spiel ist aus, aber zurückbleibt ein Anblick, der das Zwerchfell erschüttert. Noch tragen die Herren die Charaktermasken von anno dazumal und wer trüge es nun ohne schmerzvollen Krampf der Lachmuskeln: Loyola – Gessmann Arm in Arm mit Luther – Wolf! Der Judenfresser Bielohlawek mit Professor Redlich – Gaya! Der Vertreter der Menschenrechte Dr. Gross mit dem Kirchenanwalt Baron Fuchs! Der Schulverteidiger Pergelt mit dem Schulstürmer Ebenhoch! Der Staatskirchenmann Sommer mit dem Kirchenstaatsmann Pattai! Es wäre zum Totschiessen, wenn’s nicht am Ende selbstverständlich wäre. Der historische Mummenschanz ist zu Ende und die reale Tatsache sind die Klassenkämpfe. Und ebenso wahr ist, dass die nationalen Staatsrechte, das deutsche wie das tschechische, tot sind und nur die reale Tatsache bleibt, die staatliche Rechtlosigkeit aller Nationen – in Oesterreich wie in Ungarn. Viele, viele Tote haben wir unter uns, die noch unbestattet sind, die noch zuweilen als Gespenster umgehen. Langsam, zu langsam vollzieht sich der Heimgang der Toten, aber er ist unausbleiblich.
Die andere Quelle des parlamentarischen Kretinismus fliesst immer, bei jedem Wahlsystem, sie wird uns immer fliessen und allezeit erheitern: Es ist der naive Irrtum der bürgerlichen Parlamentarier, mit ihrer Gescheitheit oder auch mit ihrer Redlichkeit die Notwendigkeiten der feindlichen Klassen zu überlisten oder zu beschwatzen und so mit ihrem Gerede und Gestimme Geschichte zu machen. Da haben wir die gesamte Kleinbürgerei unter Luegers geistiger Führung. Das Zeug ist mit klingendem Spiel ausgezogen, um die wahre Freiheit und die wahre Demokratie und den wahren Sozialismus und das wahre Christentum zu verwirklichen. Und nun treibt die tiefe Logik ihrer Unlogik sie dazu, allenthalben wie besessen nach Staatsautorität, § 14, Hausknechts-Geschäftsordnung, Polizei zu rufen, den Volkswillen mit Wahllisten zu fälschen, den Kapitalismus geradezu als ihr Prinzip zu erklären und mit Jude und Freimaurer zusammen gegen das Volk selbst zu verteidigen. Welch ein Prophetenwort sprach Marx 1848: Die Erhebung der Kleinbürgerei geht allemal aus in einen feigen Katzenjammer. Knapp davor hält der christliche wie der nationale Sozialismus heute, unsere ganze sogenannte bürgerliche Demokratie, bei Deutschen wie bei Tschechen. Alle ihre Illusionen einer antistaatlichen, antimilitaristischen, antikapitalistischen Nationalpolitik sind in dem Augenblick zerstoben, als die Gegensätze des europäischen Imperialismus Oesterreich ergriffen. Der Imperialismus fordert ja immer vorerst: Soldaten, Kolonien, Steuern! Und da sind sie mit einem Schlage alle Militaristen und Marinisten geworden, Staatspatrioten und Verteidiger Bosniens und zu guterletzt natürlich auch Anhänger der indirekten Steuern. Mit einem Schlage sind sie von einem neuen Geiste besessen und tief unter ihnen liegen nun die Ideale von gestern! ’s ist der neue Rausch, der mutige Rausch vor dem feigen Katzenjammer.
Uns Sozialdemokraten bewahrt die gute Schulung unserer alten Meister vor jeder Selbsttäuschung, vor allem vor der Gefahr, in dem wechselvollen parlamentarischen Schauspiel mitgerissen zu werden. Uns hat der nationale Furor vor einigen Wochen nicht verwirrt, noch trügt uns heute die scheinbare nationale Stille, uns hat die Scheindemokratie der bürgerlichen Parteien vordem nicht gelockt, noch ihr heutiger Autoritätsfanatismus erschreckt. Wir halten uns nicht an das, was sie von sich deklamieren, sondern an das, was sie als kapitalistische Parteien müssen und vermögen. Unser Tun aber leitet der schlichte Wille, zu tun, was die fortschreitende Arbeiterbewegung draussen von uns erwartet und fordert.
Zuletzt aktualisiert am 6. April 2024