John Reed

Zehn Tage, die die Welt erschütterten


Beilagen zu Kapitel V

1.
Aufrufe und Proklamationen

Vom Revolutionären Militärkomitee, 8. November

An alle Armeekomitees! An alle Sowjets der Soldatendeputierten!

Die Petrograder Garnison und das Proletariat haben die Regierung Kerenskis, die sich gegen die Revolution des Volkes erhoben hatte, niedergerungen ... Indem das Revolutionäre Militärkomitee hiervon die Armee an der Front und im Hinterland verständigt, ruft es die revolutionären Soldaten auf, wachsam das Verhalten des Kommandostabes zu verfolgen. Die Offiziere, die sich direkt und offen der vollzogenen Revolution nicht angeschlossen haben, müssen sofort als Feinde verhaftet werden. Das Programm der neuen Macht erblickt der Petrograder Sowjet in dem sofortigen Vorschlag eines demokratischen Friedens, in der sofortigen Übergabe des Bodens der Gutsbesitzer an die Bauern, in der Übergabe aller Macht an die Sowjets und in der ehrlichen Einberufung der Konstituierenden Versammlung.

Die Revolutionäre Volksarmee darf keine Transporte unverläßlicher Truppenteile von der Front nach Petrograd zulassen. Greift durch Wort und Überredung ein; wo dies aber nicht hilft, verhindert die Transporte durch erbarmungslose Gewaltanwendung. Der gegenwärtige Befehl ist sofort vor den Truppenabteilungen aller Waffenarten zu verlautbaren. Die Verheimlichung dieses Befehls, vor den Soldatenmassen durch die Armeeorganisationen kommt dem schwersten Verbrechen an der Revolution gleich und wird mit aller Strenge des revolutionären Gesetzes bestraft.

Soldaten! Für Frieden! Für Brot! Für Boden und die Macht des Volkes!

Das Revolutionäre Militärkomitee

* * *

An alle Armee-, Korps-, Divisions-, Regiments- und Kompaniekomitees an der Front und im Hinterland, an die Sowjets der Arbeiter-, Soldaten- und Bauerndeputierten!

Soldaten und revolutionäre Offiziere!

Das Revolutionäre Militärkomitee hat in Übereinstimmung mit der allgemeinen Meinung der Soldaten, Arbeiter und Bauern verfügt, General Kornilow und alle überführten Teilnehmer seiner Verschwörung als Feinde des Volkes und der Revolution unverzüglich nach Petrograd überzuführen und auf der Peter-Pauls-Festung in Haft zu setzen und unverzüglich einem revolutionären Kriegsgericht zur Aburteilung zu übergeben. Alle, die sich gegen diesen Beschluß wenden, erklärt das Komitee für Verräter an der Revolution; ihre Befehle werden für ungültig erklärt und unterliegen nicht der Durchführung.

Das Revolutionäre Militärkomitee
des Petrograder Sowjets
der Arbeiter- und Soldatendeputierten

* * *

An alle Gouvernements- und Kreissowjets der Arbeiter-, Soldaten- und Bauerndeputierten!

Durch Beschluß des Gesamtrussischen Sowjetkongresses sind alle verhafteten Mitglieder der Bodenkomitees unverzüglich freizulassen. Die Kommissare, die die Verhaftungen veranlaßt haben, sind in Haft zu nehmen. Alle Macht gehört von nun an den Sowjets. Die Kommissare der Regierung sind abgesetzt. Die Vorsitzenden der Sowjets treten unmittelbar mit der revolutionären Regierung in Verbindung.


2.
Protest der Stadtduma

Auf der Sitzung vom 8. November (26. Oktober) beschloß die Stadtduma folgenden Aufruf zu veröffentlichen:

„Die auf den demokratischen Grundlagen gewählte Zentrale Petrograder Stadtduma hat zu einem Zeitpunkt schwerster wirtschaftlicher Zerrüttung die ganze Last der Führung der kommunalen Wirtschaft und der Lebensmittelversorgung der Bevölkerung auf sich genommen. Jetzt unternimmt die Partei der Bolschewiki drei Wochen vor den Wahlen für die Konstituierende Versammlung und im Angesicht des äußeren Feindes, nachdem sie mit Waffengewalt die einzig legitime, revolutionäre Macht beseitigt hat, einen Anschlag auf die Vollmachten und die Selbständigkeit der städtischen Selbstverwaltung, indem sie Unterwerfung unter von ihr eingesetzte Kommissare und unter die neue ungesetzliche Macht verlangt.

In diesem gefahrvollen und tragischen Augenblick erklärt die Petrograder Stadtduma vor ihren Wählern und vor ganz Rußland laut und vernehmlich, daß sie sich keinerlei Anschlägen auf ihre Rechte und ihre Unabhängigkeit unterwerfen wird, daß sie auf ihrem verantwortungsvollen Posten bleiben wird, auf den sie durch den Willen der Bevölkerung der Hauptstadt gestellt ist.

Die Petrograder Zentrale Stadtduma wendet sich an alle städtischen Selbstverwaltungen und Semstwos der Russischen Republik mit dem Aufruf, sich ihr anzuschließen und entschieden eine der größten Errungenschaften der russischen Revolution, nämlich die Freiheit und Unabhängigkeit der öffentlichen Selbstverwaltung, zu verteidigen.“


3.
Bauernanweisung zur Landfrage

Die Landfrage kann in ihrem ganzen Umfang nur durch eine vom ganzen Volk gewählte Konstituierende Versammlung gelöst werden.

Die gerechteste Lösung der Landfrage ist folgende:

  1. Das Recht des Privateigentums an Grund und Boden wird für immer aufgehoben; Grund und Boden darf weder verkauft noch gekauft, weder in Pacht gegeben noch verpfändet, noch auf irgendeine andere Weise veräußert werden.

    Der gesamte Boden, mag er dem Staate, dem Apanagenressort, der Domänenverwaltung, Klöstern, Kirchen, Possessionsgütern, Majoraten, privaten Besitzern, Gemeinden, den Bauern gehören, wird entschädigungslos enteignet, zum Eigentum des ganzen Volkes erklärt und allen, die ihn bearbeiten, zur Nutzung übergeben.

    Wer durch die Umwälzung der Besitzverhältnisse geschädigt worden ist, hat lediglich das Recht, eine öffentliche Unterstützung zu beziehen für die Zeit, die zur Anpassung an die neuen Existenzbedingungen erforderlich ist.
     
  2. Alle Bodenschätze, Erze, Naphtha, Kohle, Salz usw., ebenso alle Waldungen und Gewässer von allgemein staatlicher Bedeutung gehen in die ausschließliche Nutzung des Staates über. Alle kleinen Flüsse, Seen, Wälder u. a. gehen in die Nutzung der Gemeinden über, unter der Voraussetzung, daß sie von den örtlichen Selbstverwaltungsorganen verwaltet werden.
     
  3. Ländereien mit hochentwickelten Wirtschaften: Gärten, Plantagen, Pflanzschulen, Baumschulen, Treibhäuser usw., unterliegen nicht der Aufteilung, sondern werden in Musterwirtschaften verwandelt und je nach ihrem Umfang und ihrer Bedeutung dem Staat oder den Gemeinden zur ausschließlichen Nutzung übergeben.

    Hof-, Stadt- und Dorfländereien mit Haus- und Gemüsegärten verbleiben in der Nutzung der jetzigen Besitzer; der Umfang dieser Ländereien und die Höhe der Steuer für deren Nutzung wird durch das Gesetz festgelegt.
     
  4. Gestüte, staatliche und private Vieh- und Geflügelzüchtereien werden beschlagnahmt, in Eigentum des ganzen Volkes umgewandelt und gehen, je nach ihrer Größe und Bedeutung, entweder in die ausschließliche Nutzung des Staates oder der Gemeinde über.

    Die Frage der Entschädigung unterliegt der Prüfung durch die Konstituierende Versammlung.
     
  5. Das gesamte tote und lebende Inventar der beschlagnahmten Ländereien geht ohne jede Entschädigung in die ausschließliche Nutzung des Staates oder der Gemeinden über, je nach seiner Größe und Bedeutung.

    Die Bestimmung über die Beschlagnahme des Inventars erstreckt sich nicht auf die landarmen Bauern.
     
  6. Das Recht der Nutzung von Land erhalten alle Bürger des russischen Staates (ohne Unterschied des Geschlechts), die es selbst, mit Unterstützung ihrer Familie oder in Gemeinschaft mit anderen bearbeiten wollen, und nur solange, als sie imstande sind, es zu bearbeiten. Lohnarbeit ist nicht gestattet.

    Ist irgendein Mitglied einer Landgemeinde zwei Jahre lang arbeitsunfähig, so ist die Gemeinde verpflichtet, ihm innerhalb dieser Zeit, bis zur Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit, durch kollektive Bearbeitung seines Bodens zu helfen.

    Bauern, die infolge Alters oder Invalidität überhaupt nicht mehr imstande sind, selbst den Boden zu bearbeiten, verlieren das Nutzungsrecht an Land, erhalten aber dafür vom Staat eine Pension.
     
  7. Die Nutzung des Landes muß eine gleichmäßige sein, das heißt, das Land muß je nach den örtlichen Verhältnissen, je nach der Arbeits- oder Verbrauchsnorm unter den Werktätigen aufgeteilt werden.

    Die Formen der Bewirtschaftung des Landes sind vollständig freigestellt; es können Einzelwirtschaften, Gehöfte, Gemeinde- und Artelwirtschaften gebildet werden, je nachdem, wie die einzelnen Dörfer und Siedlungen beschließen.
     
  8. Der gesamte Boden geht nach seiner Enteignung in den Bodenfonds über, der Eigentum des ganzen Volkes ist. Die Verteilung des Bodens unter die Werktätigen wird von den lokalen und zentralen Selbstverwaltungen geleitet, von den demokratisch organisierten, nicht nach Ständen gegliederten ländlichen und städtischen Gemeinden bis zu den zentralen Gebietsbehörden.

    Der Bodenfonds wird periodisch neu aufgeteilt, je nach der Zunahme der Bevölkerung und der Hebung der Produktivität und Kultivierung der Landwirtschaft.

    Bei der Änderung der Grenzen der Anteile muß der ursprüngliche Kern des Anteils unangetastet bleiben.

    Das Land der ausscheidenden Mitglieder geht wieder in den Bodenfonds über, und zwar erhalten die nächsten Verwandten und die von ihnen bezeichneten Personen das Vorzugsrecht bei der Zuweisung dieser Anteile.

    Wird ein Anteil an den Bodenfonds zurückgegeben, so müssen die Ausgaben für Düngung und Melioration (Bodenverbesserung) zurückerstattet werden, soweit sie nicht ausgenutzt worden sind.

    Erweist sich in den einzelnen Gegenden der vorhandene Bodenfonds als ungenügend für die Befriedigung der gesamten örtlichen Bevölkerung, so muß der Überschuß der Bevölkerung umgesiedelt werden.

    Die Organisierung der Umsiedlung sowie die Unkosten für die Umsiedlung und Versorgung mit Inventar usw. muß der Staat übernehmen.

    Die Umsiedlung geht folgendermaßen vor sich: landlose Bauern, die eine Umsiedlung wünschen, dann bescholtene Gemeindemitglieder, Deserteure und andere und schließlich nach dem Los nach Übereinkunft.

Der gesamte Inhalt dieser Anweisung als Ausdruck des unbedingten Willens der gewaltigen Mehrheit der zielbewußten Bauern ganz Rußlands wird zum provisorischen Gesetz erklärt, das bis zum Zusammentritt der Konstituierenden Versammlung nach Möglichkeit sofort, in bestimmten Teilen aber in der Reihenfolge durchzuführen ist, die von den Kreisbauernsowjets festgelegt wird.“


4.
Der Boden und die Deserteure

Die Regierung brauchte keine Entscheidung über das Anrecht der Deserteure auf den Boden zu treffen. Das Ende des Krieges und die Demobilisierung der Armee erledigte diese Frage automatisch ...


5.
Der Rat der Volkskommissare

Der Rat der Volkskommissare setzte sich ursprünglich nur aus Bolschewiki zusammen. Daran tragen aber nicht allein die Bolschewiki die Schuld. Am 8. November boten sie Mitgliedern der linken Sozialrevolutionäre Sitze im Rat an, die diese jedoch ablehnten. Siehe Kapitel XI.



Zuletzt aktualisiert am 15.7.2008