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Die Kornilow-Revolte behandle ich eingehend in meinem demnächst erscheinenden Band Von Kornilow bis Brest-Litowsk. Daß Kerenski selbst es zu der Situation kommen ließ, in der das Losschlagen erst möglich wurde, ist heute einwandfrei festgestellt. Viele Anhänger Kerenskis behaupten, er habe von Kornilows Plänen gewußt, habe ihn aber durch einen Trick zum verfrühten Losschlagen bewegt und so seinen Anschlag zunichte gemacht. Sogar Mr. A.J. Sack sagt in seinem Buch Die Geburt der russischen Demokratie:
„So manches ... ist fast sicher. Erstens, daß Kerenski über die Bewegung verschiedener Truppenteile von der Front nach Petrograd Bescheid wußte, und es ist möglich, daß er sie als Ministerpräsident und Kriegsminister angesichts der wachsenden bolschewistischen Gefahr selbst herbeirief ...“
Das einzige, was bei dieser Argumentation wohl doch nicht ganz ins Schwarze trifft, ist die Tatsache, daß es zu der Zeit keine „bolschewistische Gefahr“ gab, denn die Bolschewiki waren noch eine kleine machtlose Minderheit in den Sowjets, und ihre Führer waren entweder eingekerkert oder illegal.
Als man Kerenski zum ersten Male die Abhaltung einer Demokratischen Beratung vorschlug, empfahl er eine Zusammenkunft aller Elemente im Rahmen der Nation – aller „lebendigen Kräfte“, wie er sie nannte, einschließlich Bankiers, Fabrikanten, Gutsbesitzer und Vertreter der Kadettenpartei. Der Sowjet lehnte das ab und schlug folgende Vertretung vor, der Kerenski zustimmte: 100 Delegierte vom Gesamtrussischen Sowjet der Arbeiter- und Soldatendeputierten,
Dieses Verhältnis wurde zwei- oder dreimal geändert. Die endgültige Zusammensetzung der Delegierten war:
Am 28. (15.) September 1917 veröffentlichte das Organ des Zentralexekutivkomitees Iswestija einen Artikel, in dem folgendes über das letzte Ministerium geschrieben wurde:
„Endlich ist doch eine wahrhaft demokratische Regierung geschaffen worden, geboren aus dem Willen aller Klassen des russischen Volkes – die erste, noch rohe Form eines künftigen freien parlamentarischen Regimes. Sie hat die Konstituierende Versammlung vor sich, die alle mit den Grundgesetzen zusammenhängenden Fragen lösen und diese Gesetze im maximal demokratischen Geiste abfassen wird. Die Mission der Sowjets geht zu Ende, und die Zeit rückt bereits heran, wo sie, mit den übrigen Organen des revolutionären Apparates, von der politischen Arena des freien und siegreichen Volkes abtreten müssen, das von nun an ausschließlich friedliche Mittel gebrauchen wird.“
Der Leitartikel der Iswestija vom 25. (12.) Oktober war überschrieben: Die Krise der Sowjetorganisation. Er begann mit der Mitteilung, daß alle, „die aus der Provinz, besonders aus den weit entfernten Gebieten, eintreffen ...“, von einem Nachlassen der Tätigkeit der Sowjets allerorts berichten.
„Das ist ganz natürlich“, fährt der Verfasser fort, „denn das Volk interessiert sich für gesetzgeberische Institutionen stabileren Charakters – für Stadtdumas und Semstwos.
Doch auch in den bedeutendsten Zentren, in Petrograd und Moskau, wo die Sowjets am besten organisiert sind, konzentrieren die Sowjets bei weitem nicht alle demokratischen Kräfte auf sich. Die zahlreiche Klasse der Intelligenz arbeitet in ihnen nicht mit, nicht einmal alle Arbeiter arbeiten in ihnen mit: die einen infolge ihrer politischen Rückständigkeit, die anderen, weil sie das Schwergewicht auf die reinen Gewerkschaftsorganisationen übertragen. Man kann nicht leugnen, daß diese Organisationen enger mit den Massen verbunden sind und zur Behebung ihrer Alltagsnöte stärker beitragen.
Von höchst wesentlicher Bedeutung ist der Umstand, daß sich ganz allmählich feste demokratische Formen der örtlichen Verwaltung durchsetzen. Die städtischen Selbstverwaltungen, die auf Grund des allgemeinen Wahlrechts gewählt worden sind, haben in rein lokalen Angelegenheiten eine größere Autorität als die Sowjets, und kein Demokrat wird in dieser Erscheinung etwas Unerwünschtes sehen, schon allein deshalb, weil die Wahlen in die Stadtdumas nach einem besseren, vollkommeneren und, was die Hauptsache ist, demokratischeren Wahlgesetz durchgeführt werden als die Wahlen in die Sowjets. In dem Maße, in dem sich die Organe der örtlichen Selbstverwaltung in ihr Aufgabengebiet einarbeiten werden und das Leben in den Gemeinden in Gang bringen, wird die Rolle der örtlichen Sowjets ganz naturgemäß geringer werden ...
An dem Verfall der Sowjetorganisation sind Erscheinungen von zweierlei Art schuld: zu den Erscheinungen der einen Art gehört das Absinken des politischen Interesses, zu der zweiten Art ist der ganze Staats- und Gesellschaftsaufbau des neuen, freien Rußlands zu rechnen.
Je rascher er vonstatten geht, desto rascher wird natürlich die Bedeutung der Sowjets zurückgehen ... Wir selbst sind Totengräber unserer Organisation. Wir sind aktive Teilnehmer am Aufbau einer neuen staatlichen Ordnung. Als die Selbstherrschaft fiel, und mit ihr das ganze bürokratische Regime, bauten wir die Deputiertensowjets als provisorische Baracken auf, in denen die gesamte Demokratie Unterkunft finden konnte. Nunmehr wird an Stelle der Baracken der ständige steinerne Bau der neuen Ordnung errichtet, und es ist natürlich, daß die Leute allmählich die Baracken verlassen und in dem Maße, wie ein Stockwerk nach dem anderen fertiggestellt wird, in die bequemeren Wohnungen einziehen.“
Die offiziell mitgeteilten Ziele der vom Zentralexekutivkomitee der Sowjets der Arbeiter- und Soldatendeputierten einberufenen Demokratischen Beratung bestanden in der Beseitigung des unverantwortlichen persönlichen Regimes, das den Kornilowputsch nährte, und in der Schaffung einer verantwortlichen Regierung, die imstande wäre, den Krieg zu liquidieren und die Einberufung der Konstituierenden Versammlung zur festgesetzten Frist zu garantieren.
Indessen führten die hinter dem Rücken der Demokratischen Beratung getroffenen Abmachungen des Herrn Kerenski, der Kadetten und der Führer der Sozialrevolutionäre und Menschewiki zu Ergebnissen, die den offiziell angegebenen Zielen direkt entgegengesetzt sind.
Es ist eine Regierung geschaffen worden, in der und um die herum die offenen und heimlichen Kornilowleute eine führende Rolle spielen. Die Unverantwortlichkeit dieser Regierung ist nunmehr formell verkündet und bekräftigt.
Der Rat der Russischen Republik ist zur beratenden Institution erklärt worden; im achten Monat der Revolution hat sich die unverantwortliche Regierung in einer neuen Ausgabe der Bulyginschen Duma eine Deckung geschaffen.
Die Zensuselemente sind in einer Zahl in den Provisorischen Rat eingezogen, zu der sie, wie alle Wahlen im Lande zeigen, keinerlei Berechtigung haben. Trotzdem bestand die Kadettenpartei auf der Unverantwortlichkeit der Regierung auch gegenüber diesem zugunsten der Zensusbourgeoisie verstümmelten Vorparlament und hat diese Unverantwortlichkeit auch durchgesetzt.
Dieselbe Kadettenpartei, die bis gestern auf der Abhängigkeit der Provisorischen Regierung von der Duma des Herrn Rodsjanko bestand, hat die Unabhängigkeit der Provisorischen, Regierung von dem Rat der Republik durchgesetzt.
In der Konstituierenden Versammlung werden die Zensuselemente in einer unvergleichlich weniger günstigen Lage sein als im Provisorischen Rat. Der Konstituierenden Versammlung muß die Regierung verantwortlich sein. Würden sich die Zensuselemente wirklich zum Zusammentritt der Konstituierenden Versammlung in anderthalb Monaten vorbereiten, so hätten sie keinen Anlaß, jetzt auf der Unverantwortlichkeit der Regierung» zu bestehen. Der Kern der Sache ist, daß die bürgerlichen Klassen, die der Politik der Provisorischen Regierung die Richtung geben, sich die Sprengung der Konstituierenden Versammlung zum Ziel gesetzt haben. Das ist jetzt die grundlegende Aufgabe der Zensuselemente, der sie ihre ganze Außen- und Innenpolitik unterordnen.
Die Industrie-, Agrar- und Lebensmittelpolitik der Regierung und der besitzenden Klassen vertieft die natürliche, aus dem Krieg geborene Zerrüttung. Die Zensusklassen, die den Bauernaufstand provoziert haben, schreiten jetzt zu dessen Niederwerfung und nehmen unverhüllt ihren Kurs auf die ‚knöcherne Hand des Hungers‘, die die Revolution und in erster Linie die Konstituierende Versammlung erdrosseln soll.
Nicht weniger verbrecherisch ist die Außenpolitik der Bourgeoisie und ihrer Regierung.
Nach vierzig Monaten Krieg droht der Hauptstadt eine tödliche Gefahr. Als Antwort darauf wird die Verlegung der Regierung nach Moskau geplant. Der Gedanke einer Auslieferung der revolutionären Hauptstadt an die deutschen Truppen ruft keinerlei Entrüstung der bürgerlichen Klassen hervor, sie nehmen das im Gegenteil auf als natürliches Kettenglied der Gesamtpolitik, die ihnen ihr konterrevolutionäres Komplott erleichtern soll.
Anstatt zu erkennen, daß die Rettung des Landes im Friedensschluß liegt, anstatt offen über die Köpfe aller imperialistischen Regierungen und Diplomatenkanzleien hinweg allen erschöpften Völkern ein sofortiges Friedensangebot zu machen und so die weitere Fortführung des Krieges praktisch unmöglich zu machen, zieht die Provisorische Regierung auf Befehl der Kadetten-Konterrevolutionäre und der verbündeten Imperialisten sinnlos, kraftlos und planlos den mörderischen Krieg hin, gibt damit immer neue Hunderttausende Soldaten und Matrosen dem zwecklosen Untergang preis und bereitet die Übergabe Petrograds und die Erdrosselung der Revolution vor. Während die bolschewistischen Soldaten und Matrosen und mit ihnen die anderen Matrosen und Soldaten als
Ergebnis fremder Fehler und Verbrechen sterben, setzt der sogenannte Oberste Befehlshaber seinen Zerstörungsfeldzug gegen die bolschewistische Presse fort ...
Die führenden Parteien des Provisorischen Rats dienen dieser ganzen Politik als freiwillige Deckung.
Wir, die Fraktion der Sozialdemokraten-Bolschewik!, erklären: Mit dieser Regierung des Volksverrats und mit diesem Rat der Untätigkeit [2] gegenüber der Konterrevolution haben wir nichts gemein. Wir wollen keinen einzigen Tag lang weder direkt noch indirekt jene für das Volk todbringende Arbeit decken, die hinter den offiziellen Kulissen vor sich geht.
Die Revolution ist in Gefahr! Während die Truppen Wilhelms Petrograd bedrohen, rüstet die Regierung Kerenski-Konowalow zur Flucht aus Petrograd, um Moskau zum Bollwerk der Konterrevolution zu machen.
Wir rufen die Moskauer Arbeiter und Soldaten auf, wachsam zu sein!
Wir verlassen den Provisorischen Rat und rufen die Arbeiter,
Soldaten und Bauern ganz Rußlands auf, wachsam und mutig zu sein.
Petrograd ist in Gefahr! Die Revolution ist in Gefahr! Das Volk ist in Gefahr!
Die Regierung vergrößert diese Gefahr. Die regierenden Parteien helfen ihr.
Nur das Volk selbst kann sich und das Land retten. Wir appellieren an das Volk.
Alle Macht den Sowjets!
Den ganzen Boden dem Volk!
Es lebe der sofortige, ehrliche, demokratische Frieden!
Es lebe die Konstituierende Versammlung!
Diese Direktiven wurden vom Zentralexekutivkomitee gebilligt und Skobelew, als dem Vertreter der russischen revolutionären Demokratie auf der Pariser Konferenz, übergeben.
Der neue Vertrag darf in der Frage der Kriegsziele nicht geheim sein. Der Vertrag muß sich auf das Prinzip gründen: „Frieden ohne Annexionen und Kontributionen auf der Grundlage des Rechts der Nationen auf Selbstbestimmung“.
1. Unerläßliche Voraussetzung für den Friedensschluß ist der Abzug der deutschen Truppen aus den besetzten Gebieten Rußlands. Rußland gewährt Polen, Litauen und Lettland volle Selbstbestimmung.
2. Türkisch-Armenien erhält volle Autonomie und, nachdem dort örtliche Behörden errichtet und internationale Garantien geschaffen sein werden, auch das Recht der Selbstbestimmung.
3. Die Frage Elsaß-Lothringen muß durch Referendum der elsaß-lothringischen Bevölkerung bei völliger Abstimmungsfreiheit gelöst werden. Die Volksbefragung ist von den örtlichen Selbstverwaltungsorganen nach Abzug der Streitkräfte beider Koalitionen aus der Provinz zu organisieren.
4. Belgien muß in seinen früheren Grenzen wiederhergestellt werden. Die Entschädigung für alle Verluste und Schäden hat aus einem internationalen Fonds zu erfolgen.
5. Serbien und Montenegro müssen wiederhergestellt werden und sollen aus einem internationalen Hilfsfonds materielle Hilfe erhalten. Serbien muß einen Zugang zum Adriatischen Meer besitzen. Bosnien und der Herzegowina ist die Autonomie zu gewähren.
6. Die umstrittenen Gebiete auf dem Balkan erhalten zeitweilige Autonomie mit nachfolgendem Plebiszit.
7. Rumänien ist in seinen früheren Grenzen wiederherzustellen, dabei ist der Dobrudscha, die unverzüglich zeitweilige Autonomie erhalten soll, volle Selbstbestimmung zu gewähren. Rumänien verpflichtet sich, den Beschluß des Berliner Abkommens über die Juden unverzüglich zu verwirklichen und ihnen die Gleichberechtigung gegenüber den rumänischen Bürgern zuzugestehen.
8. Den italienischen Gebieten Österreichs wird Autonomie gewährt mit nachfolgendem Plebiszit über die Frage der Staatsangehörigkeit.
9. Die deutschen Kolonien werden zurückgegeben.
10. Griechenland und Persien erhalten ihre Selbständigkeit wieder.
Alle Meerengen, die einen Zugang zu Binnenmeeren bilden, sowie der Sues- und der Panamakanal werden neutralisiert. Die Handelsschiffahrt wird für frei erklärt. Das Prisenrecht wird abgeschafft. Das Torpedieren von Handelsschiffen wird untersagt.
Alle kriegführenden Parteien verzichten auf die Forderung nach Entschädigung jeglicher Kosten in direkter oder indirekter Form (Unterhalt der Kriegsgefangenen). Alle während des Krieges erhobenen Kontributionen werden zurückgezahlt.
Handelsverträge sind kein Bestandteil der Friedensbedingungen. Jede Seite ist in ihrer Handelspolitik autonom, im Friedensvertrag darf ihr nicht die Verpflichtung auferlegt werden, einen bestimmten Handelsvertrag abzuschließen oder nicht abzuschließen. Jedoch sollen alle Staaten sich mit dem Friedensvertrag verpflichten, nach dem Kriege keinerlei wirtschaftliche Blockade zu betreiben, keine separaten Zollbünde einzugehen und allen Staaten ohne Unterschied das Recht der meistbegünstigsten Nation einzuräumen.
Der Friedensvertrag wird auf einem Friedenskongreß durch Bevollmächtigte abgeschlossen, die von den Volksvertretungsorganen gewählt wurden. Die Friedensbedingungen werden von den Parlamenten bestätigt.
Die Geheimdiplomatie wird abgeschafft: Alle verpflichten sich, keine Geheimverträge abzuschließen. Solche Verträge werden als zu dem Völkerrecht in Widerspruch stehend erklärt und für nicht gültig erkannt. Als nicht in Kraft getreten gelten auch alle Verträge vor der Bestätigung durch die Parlamente.
Allmähliche Abrüstung zu Wasser und zu Lande und Übergang zum Milizsystem.
Der von Wilson vorgeschlagene „Völkerbund“ kann nur eine wertvolle Errungenschaft des Völkerrechts werden
Wie konkret auch die Kriegsziele formuliert sein mögen, im Vertrag muß formuliert und publiziert sein, daß die Alliierten bereit sind, Friedensverhandlungen aufzunehmen, sobald die gegnerische Seite ihr Einverständnis erklärt, in Friedensverhandlungen einzutreten, bei Verzicht aller Seiten auf jedwede gewaltsame Eroberungen.
Die Alliierten verpflichten sich, keine Geheimverhandlungen über den Friedensvertrag zu pflegen und den Friedensvertrag nicht anders zu schließen als auf einem Kongreß mit Teilnahme aller neutralen Länder.
Dem Delegierten werden außerdem noch folgende Weisungen gegeben:
Alle Hindernisse, die der Einberufung des Stockholmer Sozialistenkongresses im Wege stehen, sind zu beseitigen, insbesondere sind den Delegierten aller Parteien und Fraktionen, die sich bereit erklärt haben, an dieser Konferenz teilzunehmen, unverzüglich Pässe auszuhändigen.
(Das Exekutivkomitee der Bauernsowjets hatte ebenfalls eine eigene Instruktion abgefaßt, die sich von der hier abgedruckten nur in geringen Details unterschied.)
Die Enthüllungen Ribots über ein Friedensangebot Österreichs an Frankreich; die sogenannte „Friedenskonferenz“ in Bern, Schweiz, im Sommer 1917, an der Delegierte aller kriegführenden Länder als Vertreter der großen Finanzinteressen all dieser Länder teilnahmen, und die beabsichtigten Verhandlungen eines englischen Agenten mit einem bulgarischen Kirchenwürdenträger; all dies deutet darauf hin, daß es auf beiden Seiten starke Strömungen gab, die einen Frieden auf Kosten Rußlands zusammenstöppeln wollten. In meinem nächsten Buch Von Kornilow bis Brest-Litowsk will ich diese Frage eingehender behandeln und einige Geheimdokumente dazu veröffentlichen, die im Außenministerium in Petrograd aufgefunden wurden.
Als die Nachricht von dem Ausbruch der Revolution in Paris eingetroffen war, entstanden eine ganze Anzahl russischer Zeitungen extremster Richtung. Die Zeitungen wie auch einzelne Personen, die freien Zugang zu den Soldatenmassen bekamen, entfalteten unter ihnen eine bolschewistische Propaganda, sie gaben zum Teil falsche Informationen, die sie den bruchstückhaften Telegrammen der französischen Zeitungen entnahmen. Da offizielle Nachrichten und Weisungen fehlten, rief all dies Gärung unter den Soldaten hervor. Das äußerte sich in dem Streben nach schleuniger Rückkehr nach Rußland und in schroffer Feindseligkeit gegenüber den Offizieren. Im Auftrag des Kriegsministers Kerenski reiste der Emigrant Rapp am 18. Mai zu den Truppen, wo er einzelne Truppenteile besuchte und die neuen Organisationsformen gemäß Befehl Nr. 213 bei ihnen einführte. Jedoch ließ die Gärung und Unruhe nicht nach. Diese Unruhe ging vom Exekutivkomitee des 1. Regiments aus, das ein Bulletin Leninscher Richtung herauszugeben begann. Am 18. Juni wurden die Truppen auf Forderung der Soldaten aus verschiedenen Dörfern in dem Lager La Courtine zusammengezogen. Hier begannen Kundgebungen, auf denen das 1. Regiment und seine Rädelsführer die führende Rolle an sich zu reißen versuchten. Das eben erst geschaffene Abteilungskomitee, das sich aus den am weitesten fortgeschrittenen und bewußtesten Soldaten zusammensetze, parierte, soweit es vermochte, die Zersetzungsarbeit des 1. Regiments, bemühte sich, Ruhe hineinzubringen, und rief die Soldaten dazu auf, auf der Grundlage der jetzt in der Armee eingeführten demokratischen Prinzipien zu normalen Verhältnissen zu kommen. Da die Führer des 1. Regiments den wachsenden Einfluß des Abteilungskomitees fürchteten, führten sie in der Nacht vom 23. zum 24. eine Versammlung durch, an der neben dem 1. Regiment fast das ganze 2. Regiment und kleinere Teile des 5. und 6. Regiments teilnahmen. Auf dieser Versammlung wurde das Abteilungskomitee für abgesetzt erklärt, obwohl es erst ganze zwei Wochen zuvor gewählt worden war. Zugleich wurden die Befehle des Divisionskommandeurs betreffs Dienstantritt von den Soldaten der 1. Brigade nicht ausgeführt. In dem Aufruf, der von ihnen erlassen wurde, hieß es, daß es keinen Sinn habe, weiter Dienst zu tun, weil man beschlossen habe, nicht mehr weiterzukämpfen. Zu gleicher Zeit drohten die feindlichen Beziehungen zwischen der 1. und der 2. Brigade zu einem scharfen Konflikt auszuarten. Die Soldaten der 2. Brigade forderten dringend, sie von der aufständischen 1. Brigade abzusondern, und sie drohten, widrigenfalls das Lager eigenmächtig zu verlassen.
Darum gab General Sankewitsch, der mit dem Bevollmächtigten des Kriegsministers, Rapp, in das Lager gekommen war, im Einverständnis mit diesem den Befehl, daß die Soldaten, die sich der Provisorischen Regierung bedingungslos unterordnen, das Lager La Courtine mit der gesamten Ausrüstung verlassen. Am 25. Juni wurde der Befehl ausgeführt. Im Lager blieben die Soldaten zurück, die sich der Provisorischen Regierung ‚nur bedingt‘ unterordneten. Die überaus feindselige Einstellung der Soldaten zu den Offizieren, die bis zu Gewalttätigkeiten gegen Offiziere führten, veranlaßte General Sankewitsch, die Offiziere aus La Courtine zu entfernen; nur einige blieben zurück, um die Versorgung zu gewährleisten. Auf Initiative des Bevollmächtigten des Kriegsministers, des Bürgers Rapp, fuhren mehrfach mit ihm zusammen politische Emigranten zu den Soldaten in das Lager La Courtine, um einen Einfluß auf sie zu erlangen, doch alle diese Versuche erwiesen sich als erfolglos. Der Bürger Rapp, zum Kommissar ernannt, erließ einen Befehl, in dem er auf der unverzüglichen, bedingungslosen Unterordnung unter die Provisorische Regierung bestand. Am 22. Juli fuhr Kommissar Rapp in Begleitung der über Paris gekommenen Delegierten des Exekutivkomitees des Sowjets der Arbeiter- und Soldatendeputierten Russanow, Goldenberg, Erlich und Smirnow wiederum nach La Courtine, um einen neuen Versuch zu unternehmen, Einfluß auf die Rebellen zu gewinnen. Doch auch dieser Versuch führte zu keinerlei Ergebnissen, im Gegenteil, die Delegierten des Sowjets der Arbeiter- und Soldatendeputierten wurden außerordentlich feindselig aufgenommen. Ebenso ergebnislos war die Reise des sich vorübergehend in Frankreich aufhaltenden Kommissars der Provisorischen Regierung, Swatikow, in das Lager La Courtine. Nachdem General Sankewitsch von der Provisorischen Regierung die Mitteilung erhalten hatte, daß nicht beabsichtigt sei, die russischen Truppen aus Frankreich nach Rußland zurückkehren zu lassen, und die Regierung kategorisch forderte, die meuternden Soldaten in Botmäßigkeit zu bringen, ohne vor der Anwendung von Waffengewalt zurückzuschrecken, verlangte er, nach mehrfachen ergebnislosen Versuchen des Kommissars und unserer politischen Emigranten, die Meuterer zur Unterordnung zu veranlassen, von den rebellierenden Soldaten Niederlegung der Waffen und, zum Zeichen des Gehorsams, Abmarsch in feldmarschmäßiger Ordnung nach dem Dorf Clairvaux. Jedoch wurde diese Forderung nicht vollständig ausgeführt: zunächst marschierten nur 500 Soldaten ab, von denen 22 verhaftet wurden. Nach vierundzwanzig Stunden folgten etwa 6.000 Mann, die übrigen – etwa 2.000 – waren mit Vorbedacht zur Bewachung der Waffen, die sie nicht abgeben wollten, zurückgeblieben.
Als der General darauf den Befehl erließ, die Waffen bei der Rückkehr ins Lager niederzulegen, erklärten die Meuterer, daß sie damit einverstanden seien. Doch sie führten den Befehl nicht aus. Die Waffen in den Händen eines solchen desorganisierten Haufens, unter dem sich zweifellos Provokateure befanden, bildeten eine große Gefahr. Die Niederlegung der Waffen war die Grundbedingung, um in diesen Haufen wieder Ordnung zu bringen. Unter diesen Umständen und angesichts einer gewissen Labilität in der Einstellung eines Teils der Truppen, die der Provisorischen Regierung treu geblieben waren – es entstanden infolgedessen Zweifel, daß es möglich sei, sie als bewaffnete Kräfte gegen die Meuterer einzusetzen -, griff man zu einem Druckmittel auf längere Sicht: die Versorgung der Meuterer wurde eingeschränkt, die Soldauszahlung eingestellt, der Weg vom Lager in die benachbarte Stadt wurde durch französische Posten abgesperrt. Diese Maßnahmen riefen in der Masse der Meuterer Niedergeschlagenheit hervor, doch zugleich erlangten die Rädelsführer, die sich hinter der Masse der Meuterer verstecken und ihre Verantwortlichkeit in der Masse aufzulösen suchten, größeren Einfluß auf sie. Zu dieser Zeit erlaubten sich auch die meuternden Soldaten Gewaltakte gegen Chargen der französischen Truppen. So verhafteten sie einen französischen Offizier und zwei Unteroffiziere, die auf Anordnung des französischen Kommandanten ein Telegramm des Oberbefehlshabers im Lager anklebten, und behielten sie sechs Stunden lang in Haft. Am 9. August fuhr General Sankewitsch in das Lager La Courtine, um noch ein letztes Mal die Meuterer dazu zu bewegen, die Waffen niederzulegen. Jedoch lehnte das Lagerkomitee seinen Befehl, Vertreter von den Kompaniekomitees heranzuholen, ab und kam seiner Forderung nicht nach. Als der General die Mitteilung von der Durchfahrt einer in ausgezeichneter Ordnung befindlichen Artilleriebrigade durch Frankreich erhielt, beschloß er im Einverständnis mit dem Kommissar Rapp, diesen Truppenteil zu benutzen, um die aufständischen Soldaten mit Waffengewalt in Botmäßigkeit zu bringen. Dem Kommandeur wurde befohlen, eine Kampfgruppe aus Teilen der oben erwähnten Artilleriebrigade und einer Infanteriedivision zu bilden und das Kommando über sie zu übernehmen.
Am 27. August wurde den Soldaten des Lagers La Courtine die Verfügung der Provisorischen Regierung über die Abberufung unserer Truppen aus Frankreich übermittelt, doch auch danach weigerten sich die Meuterer beharrlich, die Waffen niederzulegen. Auf Ersuchen der Artilleristen wurde eine von ihnen gewählte Soldatenabordnung zu den meuternden Soldaten entsandt, die nach einigen Tagen zurückkehrte, nachdem sie sich von der Fruchtlosigkeit weiterer Verhandlungen überzeugt hatte. Die gleichen negativen Resultate ergaben Unterredungen gewählter Vertreter der Infanteriedivision mit den Meuterern. Gegen Abend des 1. September wurde die Lieferung von Lebensmitteln in das rebellierende Lager eingestellt, doch konnte diese Maßnahme nur moralischen Charakter tragen, da die Rebellen bedeutende Vorräte an Nahrungsmitteln besaßen. Die Truppen nahmen die befohlenen Positionen ein. Am gleichen Tage war den Mitgliedern des Lagerkomitees und der Masse der meuternden Soldaten der ultimative Befehl des Generals Sankewitsch übermittelt worden, die Waffen niederzulegen, mit der Drohung, falls der Befehl bis zum 3. September, 10 Uhr morgens, nicht ausgeführt sein sollte, Artilleriefeuer auf das Lager zu eröffnen. Nach mehrfachen Warnungen wurde am 3. September um 10 Uhr morgens ein leichtes Artilleriefeuer gegen das Lager eröffnet. Insgesamt wurden achtzehn Granaten abgefeuert. Den Meuterern wurde bekanntgegeben, daß man das Feuer verstärken werde. Angesichts dessen, daß sich in der Nacht vom 3. zum 4. September etwa 160 Soldaten ergaben, wurde am 4. September die Beschießung des Lagers fortgesetzt. Um 11 Uhr vormittags zeigten die Meuterer, nachdem etwa dreißig Schuß abgefeuert worden waren, zwei weiße Flaggen und begannen ohne Waffen aus dem Lager herauszukommen. Gegen Abend zählte man etwa 8.300 Mann, die das Lager verlassen hatten. Sie wurden von französischen Truppen in Empfang genommen. An diesem Tage wurde die Artilleriebeschießung nicht weitergeführt. Die im Lager Verbliebenen — etwa 150 Mann – eröffneten am Abend ein starkes MG-Feuer. An diesem Abend wurde ein Arzt mit vier Feldscherern ins Lager geschickt, um den Verwundeten medizinische Hilfe angedeihen zu lassen. Um die ganze Sache zu Ende zu führen, wurde am 5. September ein intensives Feuer auf das Lager eröffnet, und unsere Truppen besetzten allmählich das ganze Lager. Die Meuterer verteidigten sich hartnäckig mit MG-Feuer. Gegen 9 Uhr morgens des 6. September war das Lager restlos genommen. Insgesamt registierte man 8.515 Soldaten, die aus dem Lager gekommen waren. Die Verluste unserer Truppen beliefen sich auf einen Toten und fünf Verwundete. Die Meuterer hatten acht Tote und vierundvierzig Verwundete. Unter den Franzosen gab es nur zwei zufällige Opfer: einen Toten und einen Verwundeten. Beide waren Briefträger, die, vom Weg abgekommen, in den Bereich der Geschosse der Meuterer geraten waren. Somit wurde die Meuterei von La Courtine ohne aktive Mitwirkung der französischen Truppen liquidiert. Nach der Entwaffnung wurden einundachtzig Meuterer verhaftet. Nach Aussonderung der Verhafteten wurden aus den übrigen Meuterern besondere Marschkompanien ohne Waffen gebildet, von denen zwei, aus den besonders unruhigen Elementen bestehend, abgesondert und ... abtransportiert wurden. Die übrigen blieben im Lager La Courtine, um die Schuldigen herauszufinden und den Grad ihrer Verantwortlichkeit festzustellen. Durch Verfügung des Vertreters der Provisorischen Regierung wurde vom Militärkommissar eine besondere Untersuchungskommission gebildet.
Hinterher erschossen die Sieger kaltblütig mehr als zweihundert aufständische Soldaten.
Soweit der Bericht. Aus den im Außenministerium aufgefundenen Dokumenten erfahren wir jedoch, daß dieser Bericht nicht ganz der Wahrheit entspricht. Die ersten Schwierigkeiten traten auf, als die Soldaten, ebenso wie ihre Kameraden in Rußland, Komitees bilden wollten. Sie verlangten, nach Rußland zurückgeschickt zu werden. Das wurde abgelehnt. Da man ihren Einfluß in Frankreich für gefährlich hielt, wurden sie nach Saloniki abkommandiert. Als sie sich weigerten, kam es zum Kampf ... Es wurde festgestellt, daß man sie etwa zwei Monate ohne Offiziere im Lager gehalten und schlecht behandelt hatte, bevor sie sich auflehnten. Alle Versuche, den Namen der „Russischen Artilleriebrigade“ festzustellen, die auf sie geschossen haben sollte, waren vergeblich. Die im Ministerium aufgefundenen Telegramme lassen durchblicken, daß französische Artillerie benutzt wurde ...
Nachdem sich die meuternden Soldaten ergeben hatten, wurden mehr als zweihundert von ihnen kaltblütig erschossen.
„... Die Fragen der Verteidigung und der Außenpolitik hängen eng miteinander zusammen ... Wenn Sie also für notwendig halten, die Fragen der nationalen Verteidigung hinter geschlossenen Türen zu erörtern, dann müssen wir mitunter die gleiche Geheimhaltung auch in Fragen der Außenpolitik wahren —
Die Arbeit der deutschen Diplomatie läuft ganz eindeutig darauf hinaus, die öffentliche Meinung zu beeinflussen ... Darum bilden die Erklärungen der Führer der großen demokratischen Organisationen, in denen von der Möglichkeit oder gar vom Bevorstehen eines revolutionären Konvents und der Unmöglichkeit eines Winterfeldzuges die Rede ist, eine sehr große Gefahr ... Alle Erklärungen dieser Art werden mit Menschenleben bezahlt.
Ich möchte ausschließlich vom Standpunkt der Zweckmäßigkeit für den Staat sprechen, das heißt, ich lasse alle Fragen der Ehre und Würde unseres Staates ganz und gar beiseite. Vom Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit muß sich die internationale Politik Rußlands von den richtig aufgefaßten Staatsinteressen Rußlands leiten lassen ... Diese Interessen besagen, daß unsere Heimat nicht allein bleiben darf und daß die Kräftegruppierung, die sich jetzt herausgebildet hat, für uns zweckmäßig ist... Die ganze Menschheit dürstet nach Frieden, doch in Rußland wird niemand einen Frieden zulassen, der für uns erniedrigend wäre und der gegen die Staatsinteressen unserer Heimat verstoßen würde ...“
Der Redner wies darauf hin, daß ein solcher Frieden auf lange Jahre, wenn nicht Jahrhunderte hinaus den Triumph der demokratischen Prinzipien in der ganzen Welt aufhalten und unvermeidlich neue Kriege hervorrufen würde.
„Alle erinnern wir uns an die Tage im April und Mai, als die Verbrüderung an unserer Front den Krieg durch einfache Einstellung aller Kampfhandlungen zu unterbrechen und das Land zu einem schändlichen Separatfrieden zu führen drohte ... Welche Anstrengungen waren damals vonnöten, um die Massen der Frontsoldaten dazu zu bringen, daß sie verstanden, daß nicht auf diesem Wege das Russische Reich den Krieg beenden und seine Interessen wahren kann ...“
Weiter sprach Tereschtschenko über die erstaunliche Wirkung der Juni-Offensive, sprach davon, welches Gewicht sie im Ausland jedem Wort der russischen Botschafter beigelegt habe, sprach davon, welche Verzweiflung die russischen Siege in Deutschland hervorgerufen haben. Dann erzählte er von der Enttäuschung, die die Niederlage der russischen Armee in den alliierten Ländern mit sich gebracht habe.
„Was die russische Regierung angeht, so hält sie fest an der im April geprägten Formel: ‚Frieden ohne Annexionen und Kontributionen‘. Wir halten es für notwendig, nicht nur das Prinzip der Selbstbestimmung der Völker zu proklamieren, sondern auch auf alle imperialistischen Ziele zu verzichten ...“
Deutschland mache ununterbrochen Versuche, Frieden zu schließen. In Deutschland spreche man nur vom Frieden. Die Deutschen wüßten, daß sie keinen Sieg erringen können.
„Ich weise alle Vorwürfe zurück, die der Regierung gemacht werden, die russische Außenpolitik spreche zu unklar von den Kriegszielen ...
Wenn sich die Frage erhebt, welche Ziele die Alliierten verfolgen, so ist vor allem zu fragen, hinsichtlich welcher Ziele die zentralen Mächte übereingekommen sind ...
Oft muß man die Forderung hören, wir sollten alle Einzelheiten der Verträge zwischen den Alliierten veröffentlichen; doch alle vergessen dabei, daß wir bis heute jene Verträge nicht kennen, durch die die zentralen Mächte verbunden sind ...“
Tereschtschenko behauptete, daß Deutschland offensichtlich danach strebe, Rußland vom Westen durch eine Reihe kleiner Pufferstaaten zu trennen.
„Wir müssen diese Tendenz sehr intensiv beobachten, sie geht darauf hinaus, den ureigensten Lebensinteressen Rußlands einen Schlag zu versetzen ...
Und sollte die russische Demokratie, die das Recht der Völker, ihr Schicksal selbst zu bestimmen, auf ihre Fahnen geschrieben hat, sollte sie die Unterdrückung alter Kulturvölker, wie sie Österreich-Ungarn ausübt, auch fernerhin zulassen?!
Wer befürchtet, die Alliierten könnten versuchen, unsere schwierige Lage dazu auszunutzen, uns zu zwingen, einen zu großen Teil der Kriegslasten auf uns zu nehmen und die Frage des Friedensschlusses auf unsere Kosten zu lösen, der befindet sich in einem tiefen Irrtum ... Unser Feind betrachtet Rußland als einen Absatzmarkt für seine Erzeugnisse. Mit der Einstellung des Krieges würden wir uns in einer sehr ungünstigen Lage befinden: unsere Grenzen wären offen gegenüber dem Zustrom deutscher Waren, die auf lange Jahre hinaus die Entwicklung unserer Industrie aufhalten würden. Gegen diese. Lage der Dinge gilt es, entschiedene Maßnahmen zu treffen ...
Ich erkläre geradeheraus: das Kräfteverhältnis, das uns mit den Alliierten verbindet, ist für die Interessen Rußlands günstig. Darum ist es sehr wichtig, daß sich unsere Auffassungen in den Fragen des Krieges und des Friedens in möglichst genauer und klarer Übereinstimmung befinden mit dem Standpunkt der Alliierten in den gleichen Fragen ... Um alle Mißverständnisse auszuschalten, muß ich direkt erklären, daß Rußland auf der Pariser Konferenz einen einheitlichen Standpunkt zum Ausdruck bringen muß ...“
Der Redner kommentierte die Direktiven für Skobelew nicht, doch dafür berief er sich auf das eben in Stockholm veröffentlichte Manifest des deutsch-skandinavischen Komitees. Dieses Manifest forderte die Autonomie für Litauen und Lettland.
„... Aber das ist ganz unmöglich“, erklärte Tereschtschenko, „denn Rußland kann nicht ohne die eisfreien Häfen an der Ostsee auskommen ...
In diesem Punkte hängen die Fragen der Außenpolitik eng mit den Fragen der Innenpolitik zusammen, denn wenn bei uns ein starkes Gefühl der Einheit im ganzen Lande existierte, dann wären wir nicht Zeugen dieser sich immer wiederholenden Manifestationen allerorts, die von dem Streben der verschiedenen Völker zeugen, sich von der Zentralregierung loszusagen ... Ein solcher Separatismus steht zu den Interessen Rußlands im Widerspruch, und die russischen Delegierten können ihn nicht unterstützen ...“
Zur Zeit der Seeschlacht in der Rigaer Bucht waren nicht nur die Bolschewik!, sondern auch die Provisorische Regierung der Meinung, die britische Flotte habe die Ostsee absichtlich verlassen und sich damit die so oft in der britischen Presse offiziell und von den britirischen Vertretern in Rußland halboffiziell geäußerte Auffassung zu eigen gemacht, daß es „mit Rußland ohnehin vorbei ist und es keinen Zweck mehr hat, sich um Rußland zu kümmern!“
Siehe auch Interview mit Kerenski (Beilage 13).
General Gurko war ein ehemaliger Stabschef der russischen Armee unter dem Zaren. Er spielte eine große Rolle am korrupten Zarenhof. Nach der Revolution war er einer der wenigen, die wegen ihrer politischen und persönlichen Vergangenheit des Landes verwiesen wurden. Die russische Flottenniederlage in der Rigaer Bucht ereignete sich an dem gleichen Tage, als König Georg in London General Gurko offiziell empfing. Gurko war ein Mann, den die Provisorische Regierung für gefährlich prodeutsch und reaktionär hielt!
„An alle Arbeiter und Soldaten Genossen! Finstere Kräfte arbeiten immer stärker daran, in den nächsten Tagen in Petrograd und in anderen Städten Unruhen und Pogrome hervorzurufen. Sie brauchen sie, um die ganze revolutionäre Bewegung im Blut ersticken zu können. Unter dem Vorwand, die zerstörte Ordnung wiederherzustellen und das Leben der Bewohner zu sichern, hoffen sie, dasselbe Kornilowregime wieder aufzurichten, das das revolutionäre Volk vor kurzem zu zerschmettern vermochte. Furchtbares wird über das Volk hereinbrechen, wenn diese Rechnungen aufgehen! Die triumphierende Konterrevolution wird die Sowjets und die Militärkomitees vernichten, wird die Konstituierende Versammlung vereiteln, wird die Übergabe des Bodens an die Bauern verhindern, wird mit allen Hoffnungen des Volkes auf einen baldigen Frieden Schluß machen und die Gefängnisse mit revolutionären Arbeitern und Soldaten füllen.
In ihren Berechnungen gehen die Konterrevolutionäre und Schwarzhunderter von der spontanen Unzufriedenheit des unaufgeklärten, unwissenden Teils des Volkes mit der Zerrüttung in der Lebensmittelversorgung, mit dem fortdauernden Krieg und der allgemeinen Lebensstimmung aus. Sie suchen jegliche Aktion der Arbeiter und Soldaten in einen Pogrom umzuwandeln, der die friedliche Bevölkerung in Schrecken versetzt und sie den Ordnungshütern in die Arme treibt.
Unter diesen Umständen wäre jeglicher Versuch, in diesen Tagen eine Aktion oder eine Demonstration, selbst mit den revolutionärsten Zielen, zu organisieren, ein verbrecherischer Leichtsinn. Die bewußten Arbeiter und Soldaten, die mit der Politik der Regierung unzufrieden sind, würden mit ihren Aktionen ausschließlich der eigenen Sache, der Sache der Revolution, schaden. Sie würden der Konterrevolution in die Hände spielen.
Darum fordert das Zentralexekutivkomitee von allen Arbeitern und Soldaten, Aufrufen zu Aktionen und Demonstrationen keine folge zu leisten.
Arbeiter und Soldaten! Laßt euch nicht provozieren! Seid eurer Pflicht vor dem Land und vor der Revolution eingedenk! Zerstört nicht die Einheit der revolutionären Front durch zum Mißerfolg verurteilte Aktionen!
Zentralexekutivkomitee der Sowjets
der Arbeiter- und Bauerndeputierten
Sozialdemokratische Arbeiterpartei Rußlands.
Die Gefahr ist nahe.
Genossen Arbeiter und Soldaten! Die Heimat ist in Gefahr. Für unsere Freiheit und unsere Revolution sind die schwersten Tage angebrochen. Der Feind steht vor Petrograd. Die Zerrüttung nimmt mit jedem Tag zu. Es wird immer schwieriger, für Petrograd Getreide zu erhalten. Alle, ob groß oder klein, müssen die Anstrengungen verdoppeln, müssen alles daransetzen, die Lage zu meistern ... Retten wir unsere Heimat, retten wir unsere Freiheit... Waffen und Proviant der Armee! Den Großstädten Brot! Ordnung und Organisation dem ganzen Lande!
Und in diesen furchtbaren, entscheidenden Tagen gehen Gerüchte um, daß irgendwo eine Aktion vorbereitet wird, daß irgend jemand die Arbeiter und Soldaten aufruft, den revolutionären Frieden, die revolutionäre Ordnung zu zerschlagen ... Die bolschewistische Zeitung Rabotschi Put gießt noch Öl in das Feuer; sie redet den finsteren Elementen, die kein Bewußtsein besitzen, nach dem Munde, sie schleicht sich in ihr Vertrauen ein, sie führt die Arbeiter und Soldaten irre, sie stachelt sie gegen die Regierung auf, indem sie ihnen goldene Berge verspricht ... Vertrauensselige, unwissende Menschen überlegen nicht, sondern glauben ... Und auf der anderen Seite gehen Gerüchte um, Gerüchte, daß finstere Kräfte, Handlanger des Zaren, deutsche Agenten, sich froh die Hände reiben. Sie gehen daran, sich mit den Bolschewiki zu vereinen und mit ihnen gemeinsam die Unruhen zum Bürgerkrieg auszuweiten.
Die Bolschewiki und die von ihnen irregeleiteten unwissenden Arbeiter und Soldaten schreien ganz unsinnig: „Nieder mit der Regierung! Alle Macht den Sowjets!“, und die im geheimen wühlenden zaristischen Handlanger und die Spione Wilhelms stimmen ein mit ihren Rufen: „Schlagt die Juden, schlagt die Händler, plündert die Märkte aus, zerschlagt die Fabriken und die Geschäfte, zerstört die Weinkeller! Schlagt, brandstiftet, plündert!“
Dann wird es einen fürchterlichen Aufruhr geben, einen Bürgerkrieg im Volk. Und die Zerrüttung wird immer noch größer werden, und vielleicht wird auf den Straßen der Hauptstadt erneut Blut fließen. Und dann – was dann?
Dann wird für Wilhelm die Straße nach Petrograd offen sein. Dann wird überhaupt kein Getreide mehr nach Petrograd gelangen, und die Kinder werden Hungers sterben. Dann wird die Armee an der Front ohne Unterstützung bleiben, und unsere Brüder in den Schützengräben werden den Deutschen zum Abschießen ausgeliefert sein. Dann wird Rußland bei den ausländischen Staaten jegliche Achtung einbüßen, unser Geld wird seinen Wert verlieren, alles wird so teuer werden, daß man nicht mehr leben kann. Dann wird die lang erwartete Konstituierende Versammlung aufgeschoben werden, denn es wird nicht mehr möglich sein, sie fristgemäß einzuberufen. Und dann – wird die Revolution, wird unsere Freiheit tot sein ...
Wollt ihr das, Arbeiter und Bauern? Nein! Wenn aber nicht, dann geht doch hin, geht zu diesen unwissenden Menschen, die von Betrügern in die Irre geführt worden sind, und sagt ihnen die ganze Wahrheit, die wir oben euch gesagt haben!
Mögen alle wissen, daß jeder, der euch in diesen furchtbaren Tagen dazu aufruft, auf die Straße zu gehen gegen die Regierung, entweder insgeheim ein Handlanger des Zarismus, ein Provokateur ist oder ein unbewußter Helfer der Volksfeinde oder aber ein gekaufter Spion Wilhelms.
Alle bewußten revolutionären Arbeiter, alle bewußten Bauern, alle revolutionären Soldaten, alle, die begreifen, in welches Unglück eine Aktion oder ein Putsch gegen die Regierung unser Volk stürzen kann, müssen sich zusammenschließen und dürfen den Feinden des Volkes nicht erlauben, unsere Freiheit zugrunde zu richten!
Petrograder Wahlkomitee
der Menschewiki und Vaterlandsverteidiger
Das sind mehrere Artikel, die aufeinanderfolgend im Rabotschi Put in der zweiten Hälfte des Oktobers 1917 veröffentlicht wurden. Ich führe nur Auszüge aus zwei Artikeln an.
„,... Wir haben nicht die Mehrheit im Volke, ohne diese Vorbedingung ist der Aufstand aussichtslos ...‘
Leute, die so etwas sagen können, entstellen entweder die Wahrheit oder es sind Pedanten, die unter allen Umständen, ohne die realen Bedingungen der Revolution auch nur im geringsten zu berücksichtigen, von vornherein die Gewähr haben möchten, daß die Partei der Bolschewiki im ganzen Lande haargenau die Hälfte der Stimmen plus eine Stimme erhalten würde ...
Die wichtigste Tatsache des gegenwärtigen Augenblicks in Rußland ist schließlich der Bauernaufstand ... Die Bauernbewegung im Gouvernement Tambow war sowohl im physischen als auch im politischen Sinne ein Aufstand, der solche glänzenden politischen Resultate gezeitigt hat, wie vor allem die Einwilligung, den Bauern den Boden zu übergeben. Nicht umsonst schreit jetzt das ganze sozialrevolutionäre Gesindel mit Einschluß des Delo Naroda, durch den Aufstand eingeschüchtert, von der Notwendigkeit, das Land den Bauern zu übergeben! ...
Ein anderes ausgezeichnetes politisches und revolutionäres Resultat des Bauernaufstandes ... ist die Getreidezufuhr nach den Eisenbahnstationen des Gouvernements Tambow ...
Und die ausgezeichneten Früchte einer solchen (einzig realen) Lösung der Getreidefrage mußte auch die bürgerliche Presse anerkennen, sogar Russkaja Wolja‘, die die Meldung brachte, daß sich auf den Eisenbahnstationen des Tambowschen Gouvernements große Mengen von Getreide angehäuft haben ... Und das, nachdem die Bauern sich erhoben haben!! ...
‚... Wir sind nicht stark genug, um die Macht zu ergreifen, und die Bourgeoisie ist nicht stark genug, um die Konstituierende Versammlung zu vereiteln ...‘
Der erste Teil dieses Arguments ist eine bloße Variante des vorhergehenden. Es gewinnt auch dann nicht an Überzeugungskraft, wenn die eigene Kopflosigkeit und Angst vor der Bourgeoisie ihren Ausdruck findet im Pessimismus in bezug auf die Arbeiter und im Optimismus in bezug auf die Bourgeoisie. Wenn die Offiziersschüler und die Kosaken sagen, sie würden bis zum letzten Blutstropfen gegen die Bolschewiki kämpfen, so verdiene das vollen Glauben; wenn aber die Arbeiter und Soldaten in Hunderten von Versammlungen ihr absolutes Vertrauen zu den Bolschewiki zum Ausdruck bringen und ihre Bereitwilligkeit erklären, Blut und Leben für den Übergang der Macht an die Sowjets einzusetzen – so hält man es für ‚angebracht‘, daran zu erinnern, daß es eine Sache sei, für etwas zu stimmen, eine andere Sache aber, sich dafür zu schlagen!
Natürlich, wenn man so argumentiert, ist der Aufstand ‚widerlegt‘. Es fragt sich nur, wodurch unterscheidet sich dieser merkwürdig tendenziöse und merkwürdig zweckdienliche ‚Pessimismus‘ von einem politischen überlaufen auf die Seite der Bourgeoisie? ...
Und was hat der Kornilowputsch bewiesen? Er hat bewiesen, daß die Sowjets eine wirkliche Macht sind ...
Wie kann man beweisen, daß die Bourgeoisie nicht stark genug ist, um die Konstituierende Versammlung zu vereiteln?
Wenn die Sowjets nicht die Kraft haben, die Bourgeoisie zu stürzen, so heißt das, daß die Bourgeoisie stark genug ist, die Konstituierende Versammlung zu vereiteln, denn dann kann dies ja niemand verhindern. Den Versprechungen Kerenskis und Konsorten vertrauen, an die Resolutionen des Lakaien-Vorparlaments glauben – ist dies eines Mitglieds der proletarischen Partei und eines Revolutionärs würdig?
Die Bourgeoisie hat nicht nur die Macht, die Konstituierende Versammlung zu vereiteln, wenn die jetzige Regierung nicht gestürzt wird, sondern sie kann dieses Resultat auch indirekt erreichen, indem sie Petrograd den Deutschen preisgibt, die Front öffnet, die Aussperrungen vermehrt und die Getreidezufuhr sabotiert ...
‚... Die Sowjets müssen die Pistole sein, die der Regierung auf die Brust gesetzt wird mit der Forderung, die Konstituierende Versammlung einzuberufen und auf Kornilowsche Anschläge zu verzichten ...‘
... der Verzicht auf den Aufstand ist der Verzicht auf die Losung ‚Alle Macht den Sowjets‘ ... Seit September wird in der Partei die Frage des Aufstandes diskutiert ...
Verzicht auf den Aufstand ist Verzicht auf die Übergabe der Macht an die Sowjets, und die ‚Übergabe‘ aller Hoffnungen und aller Zuverzicht an die gütige Bourgeoisie, die ‚versprochen‘ hat, die Konstituierende Versammlung einzuberufen ... Die Konstituierende Versammlung ist gesichert und ihr Erfolg gewährleistet, wenn die Macht in den Händen der Sowjets liegt ...
[Verzicht auf den Aufstand] – das bedeutet das direkte überlaufen zu den Liberdan ...
Entweder übertritt zu den Liberdan und offener Verzicht auf die Losung ‚Alle Macht den Sowjets‘ oder Aufstand. Einen Mittelweg gibt es nicht.
‚... Die Bourgeoisie kann Petrograd den Deutschen nicht preisgeben, obwohl Rodsjanko das will, denn es kämpfen ja nicht die Bourgeois, sondern unsere heldenmütigen Matrosen ...‘
... Das Hauptquartier ist nicht reformiert, das Offizierskorps kornilowfreundlich ...
Wenn die Kornilowleute (und Kerenski an der Spitze, denn er ist auch ein Kornilowmann) Petrograd preisgeben wollen, so können sie es auf zweierlei, ja sogar dreierlei Art tun.
Erstens können sie durch Verrat der kornilowschen Truppenführer die Nordfront von der Landseite her öffnen.
Zweitens können sie ‚Abmachungen‘ über die Aktionsfreiheit der ganzen deutschen Flotte treffen, die stärker ist als wir, sie können Abmachungen treffen sowohl mit den deutschen wie mit den englischen Imperialisten. Außerdem kennten die ‚verschwundenen Admirale‘ auch die Pläne an die Deutschen ausgeliefert haben.
Drittens können sie durch Absperrungen und durch Sabotage der Getreidelieferung unsere Armee zur völligen Verzweiflung und Ohnmacht treiben.
Keiner dieser drei Wege ist ausgeschlossen. Die Tatsachen haben bewiesen, daß die bürgerliche Partei der Kosaken Rußlands an alle diese drei Türen bereits gepocht und versucht hat, sie zu öffnen ... Wir dürfen nicht warten, bis die Bourgeoisie die Revolution erdrosselt ... Rodsjanko ist ein Mann der Tat ... Die Politik des Kapitals hat Rodsjanko treu und bieder jahrzehntelang durchgeführt.
Folglich? Folglich bedeutet ein Schwanken in der Frage des Aufstandes als des einzigen Mittels, die Revolution zu retten, teils in die liberdansche, Sozialrevolutionäre und menschewistische feige Vertrauensseligkeit gegenüber der Bourgeoisie, teils in die ‚bäuerlich‘-unaufgeklärte Vertrauensseligkeit zu verfallen, gegen die die Bolschewiki am meisten gekämpft haben.
‚... Wir werden mit jedem Tag stärker, wir können als starke Opposition in die Konstituierende Versammlung einziehen, wozu sollen wir alles aufs Spiel setzen ...‘
Das ist das Argument eines Philisters, der ‚gelesen‘ hat, daß die Konstituierende Versammlung einberufen wird, und sich vertrauensvoll mit dem höchst legalen, höchst loyalen konstitutionellen Weg zufriedengibt.
Schade nur, daß man weder die Frage der Hungersnot noch die Frage der Preisgabe Petrograds durch das Warten auf die Konstituierende Versammlung lösen kann. Diese ‚Kleinigkeit‘ vergessen die naiven oder verwirrten oder eingeschüchterten Leute.
Der Hunger wartet nicht. Der Bauernaufstand hat nicht gewartet. Der Krieg wartet nicht. Die Admirale, die sich aus dem Staube gemacht haben, haben nicht gewartet ...
Und diese Blinden wundern sich noch, daß das hungernde Volk und die von den Generalen und Admiralen verratenen Soldaten den Wahlen gleichgültig gegenüberstehen? Oh, die neunmal Weisen!
‚... Ja, wenn die Kornilowleute wieder anfingen, dann würden wir es ihnen zeigen! Aber selbst anfangen, wozu das riskieren? ...‘
... Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber wenn wir ihr den Rücken zukehren und in Betrachtung des ersten Kornilowputsches
wiederholen: ‚Ja, wenn die Kornilowleute anfingen‘; wenn wir das täten, was wäre das für eine prachtvolle revolutionäre Strategie! ... Welch ernste Begründung einer proletarischen Politik!
Wenn nun aber die Kornilowleute ... die Hungerkrawalle, den Durchbruch an der Front und die Preisgabe von Petrograd abwarten und bis dahin nicht anfangen? Was dann?
Man mutet uns zu, die Taktik der proletarischen Partei darauf zu bauen, daß die Kornilowleute möglicherweise einen ihrer früheren Fehler wiederholen werden.
Vergessen wir alles, was die Bolschewiki hundertmal aufgezeigt und bewiesen haben, was die halbjährige Geschichte unserer Revolution bewiesen hat, nämlich: daß es keine andere Alternative gibt, daß es sie objektiv nicht gibt, nicht geben kann, als die Diktatur der Kornilowleute oder die Diktatur des Proletariats. Vergessen wir das, sagen wir uns von allem los, und warten wir! Worauf? Auf ein Wunder ...“
„... Es scheint, man erkennt jetzt überall an, daß die Verteidigung des Staates die Hauptaufgabe des Augenblicks ist und daß es, um sie erfolgreich zu lösen, der Disziplin in der Armee und der Ordnung im Lande bedarf. Um diese Voraussetzungen zu scharfen, müssen wir eine Macht haben, die nicht nur zu überzeugen versucht, sondern auch mit Gewalt zu handeln vermag ... Die Grundlage all unseres Unglücks ist der originelle, rein russische Standpunkt in den Fragen der Außenpolitik, der gewöhnlich internationalistischer Standpunkt genannt wird.
Wenn Herr Lenin meint, in Rußland werde eine neue Welt geboren, durch die auch der alte Westen erneuert werde, daß diese neue Welt das alte Banner des doktrinären Sozialismus ablöse durch das neue unmittelbare Handeln der hungernden Massen, wenn er annimmt, daß die Menschheit auf solche Weise vorankommen wird und die Türen einschlägt, die uns vom sozialistischen Paradies trennen, dann ahmt er damit doch nur Kerenski nach ...
Diese Leute haben aufrichtig geglaubt, daß der Zerfall in Rußland zum Zerfall der ganzen bürgerlichen Welt führe. Von diesem Standpunkt ausgehend, sind sie imstande, unbewußt in der Kriegszeit Landesverrat zu begehen oder ganz kaltblütig den Soldaten einzuflüstern, daß sie die Schützengräben verlassen müssen und daß sie, anstatt gegen den Feind zu kämpfen, den Bürgerkrieg im Innern entfesseln und über die Gutsbesitzer und Kapitalisten herfallen sollen ...“
Hier wurde die Rede Miljukows durch wütendes Geschrei von links unterbrochen. Die Deputierten forderten, daß er sage, wer von den Sozialisten zu solchen Handlungen aufgerufen habe.
„Martow sagt, daß nur der revolutionäre Druck des Proletariats den bösen Willen der imperialistischen Cliquen unterdrücken und besiegen und ihre Diktatur vernichten kann ... Das kann nicht durch Abkommen zwischen den Regierungen über die Einschränkung der Rüstungen getan werden, sondern allein durch Entwaffnung dieser Regierungen und durch radikale Demokratisierung des ganzen Militäraufbaus ...“
Nach verschiedenen üblen und ungerechtfertigten Ausfällen gegen Martow ging Miljukow zu den Menschewiki und Sozialrevolutionären über und beschuldigte sie, nur darum in die Regierung eingetreten zu sein, um in ihr den Klassenkampf zu fuhren.
„Die Sozialisten Deutschlands und der alliierten Länder schauen auf diese Herren mit kaum verhüllter Verachtung; doch sie meinen, daß das Sache Rußlands sei, und haben uns einige Prediger des Weltbrandes geschickt.
Die Formel unserer revolutionären Demokratie ist höchst einfach: weder Außenpolitik noch diplomatische Kunst, sondern unverzüglicher demokratischer Frieden, Deklaration an die Alliierten: ‚Wir brauchen nichts, wir haben für nichts zu kämpfen‘. Dann werden unsere Gegner sofort eine gleiche Deklaration loslassen, und die Verbrüderung der Völker wird eine vollendete Tatsache.“
Miljukow verspottete das Zimmerwalder Manifest und erklärte, daß selbst Kerenski sich dem Einfluß „dieses unheilbringenden Dokuments, das für immer eine Anklageschrift gegen euch sein wird“, nicht entziehen konnte. Dann fiel er über Skobelew her und behauptete, daß dieser auf der Pariser Konferenz als ein Regierungsvertreter, der in Opposition zu der Außenpolitik seiner eigenen Regierung steht, unter den ausländischen Diplomaten in eine so seltsame Lage kommen wird, daß alle sagen werden: „Was will denn dieser Herr und worüber soll man eigentlich mit ihm sprechen?“ Was den „Nakas“ angehe, erklärte Miljukow, daß er selbst Pazifist sei, daß er ebenfalls an die Schaffung eines internationalen Schiedsbüros glaube, auch an die Notwendigkeit, die Rüstungen einzuschränken und über die Geheimdiplomatie eine parlamentarische Kontrolle auszuüben, woraus übrigens aber nicht folge, daß diese Geheimdiplomatie gänzlich abgeschafft werden müsse.
Zu den sozialistischen Ideen des „Nakas“ übergehend, zu den Ideen, die er „Stockholmer Ideen“ nannte (Frieden ohne Sieg, Selbstbestimmungsrecht der Völker, Einstellung des ökonomischen Krieges), erklärte Miljukow:
„Die Erfolge Deutschlands stehen in direktem proportionalem Verhältnis zu den Erfolgen jener Leute, die sich revolutionäre Demokratie nennen. Ich sage nicht, daß sie in direktem proportionalem Verhältnis zu den ‚Erfolgen der Revolution‘ stehen, denn ich nehme an, daß die Niederlagen der revolutionären Demokratie eben Siege der Revolution sind ...
Der Einfluß der Sowjetfunktionäre auf die Umwelt ist ganz und gar nicht so gering. Man braucht nur die Rede des Ministers für Auswärtige Angelegenheiten anzuhören, um sich davon zu überzeugen, daß in diesem Saale der Einfluß der revolutionären Demokratie auf die Außenpolitik so stark ist, daß der Minister, Aug‘ in Aug‘ mit dieser revolutionären Demokratie, darauf verzichtet, laut von der Ehre und Würde Rußlands zu sprechen.
Aus dem Nakas der Sowjets können wir ersehen, daß die Ideen des Stockholmer Manifestes in zwei Richtungen entwickelt werden: in Richtung des Utopismus und im Geiste der deutschen Interessen.“
Zornige Zwischenrufe von links unterbrachen den Redner, und der Vorsitzende erteilte ihm einen Ordnungsruf. Miljukow blieb dabei, daß ein Friedensvorschlag, der nicht von der Diplomatie, sondern von Volksversammlungen ausgearbeitet wird, ein Vorschlag, Friedensverhandlungen zu beginnen, sobald der Feind auf Annexionen verzichtet, den Deutschen in die Hände spiele. Vor kurzem hatte Kühlmann gesagt, daß eine persönliche Erklärung nur für den bindend sei, der sie abgegeben hat ... „Jedenfalls werden wir eher die Deutschen nachahmen als den Sowjet der Arbeiter- und Soldatendeputierten ...“
„Die Paragraphen, die von der Unabhängigkeit Litauens und Lettlands sprechen, sind Symptome nationalistischer Agitation, die in verschiedenen Teilen des Landes betrieben und“ – nach den Worten Miljukows – „mit deutschen Geldern unterstützt wird ...“
Trotz des wilden Geschreis und des Lärms auf den Bänken der linken Seite stellte der Redner die Artikel des „Nakas“, die Elsaß-Lothringen, Rumänien und Serbien betreffen, den Artikeln des gleichen „Nakas“ gegenüber, die von den Nationalitäten Deutschlands und Österreichs handeln. Der „Nakas“ vertrete den österreichisch-deutschen Standpunkt, behauptete Miljukow.
Hinsichtlich der Rede Tereschtschenkos beschuldigte der Redner diesen verächtlich, er habe nicht einmal offen zu sagen gewagt, was er denke, und er habe sogar nicht einmal in jenen Termini zu denken gewagt, die der Größe Rußlands entsprechen. Die Dardanellen müssen russisch sein ...
„Ihr redet ständig davon, daß der Soldat nicht weiß, wofür er kämpft, und daß er, wenn er es wüßte, kämpfen würde ... Es ist völlig richtig, daß der Soldat nicht weiß, wofür er kämpft, aber jetzt habt ihr ihm gesagt, daß er ganz umsonst kämpft, daß wir keinerlei nationale Interessen haben, daß wir für fremde Ziele kämpfen ...“
Miljukow schloß seine Rede, an die Alliierten gewandt, die, nach seinen Worten, unterstützt von Amerika, „jetzt die gemeinsame Sache der Menschheit retten“:
„Es lebe das Licht der Menschheit – die fortschrittlichen Demokratien des Westens, die schon längst einen bedeutenden Teil des Weges durchschritten haben, den wir eben erst noch mit zögernden, unsicheren Schritten betreten! Es leben unsere tapferen Verbündeten!“
Der Vertreter der Associated Press versuchte es als erster. „Mr. Kerenski“, begann er, „in England und Frankreich sind die Menschen von der Revolution enttäuscht ...“
„Ja, ich weiß“, unterbrach Kerenski spöttisch. „Heute ist die Revolution im Ausland nicht mehr die große Mode!“
„Wie erklären Sie sich, daß die Russen nicht mehr kämpfen?“
„Das ist eine sehr dumme Frage.“ Kerenski war ärgerlich. „Rußland war der erste alliierte Staat, der in den Krieg eingetreten ist, und es hat lange Zeit die Hauptlast zu tragen gehabt. Seine Verluste sind unvergleichlich größer gewesen als die aller anderen Nationen zusammengenommen. Rußland hat jetzt das Recht, von den Alliierten zu verlangen, daß sie eine größere Kampfkraft aufwenden.“ Er hielt einen Augenblick ein und starrte den Fragenden an. „Sie fragen, warum die Russen nicht mehr kämpfen, und die Russen fragen, wo ist die britische Flotte – angesichts der deutschen Kriegsschiffe in der Rigaer Bucht?“ Wieder verstummte er plötzlich und stieß dann ebenso unvermittelt hervor: „Die russische Revolution ist nicht gescheitert, und die revolutionäre Armee ist nicht gescheitert. Nicht die Revolution hat die Desorganisation der Armee herbeigeführt – die Desorganisation wurde schon viel früher bewerkstelligt, vom alten Regime. Warum kämpfen die Russen nicht? Ich will es Ihnen sagen. Weil die Volksmassen wirtschaftlich erschöpft sind -und weil die Alliierten sie enttäuscht haben!“
Das Interview, aus dem dieser Auszug stammt, ging auf telegrafischem Wege in die USA und wurde ein paar Tage später vom amerikanischen Außenministerium zurückgeschickt mit der Forderung, es „abzuändern“. Kerenski weigerte sich, aber sein Sekretär, Dr. David Soskis, nahm die Abänderungen vor, und so ging das Interview ohne jeden Angriff auf die Alliierten in alle Welt hinaus.
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1. Bei John Reed ist diese Deklaration überschrieben: Rede Trotzkis im Rat der Russischen Republik. Die Deklaration wurde am 20. (7.) Oktober 1917 von L.D. Trotzki verlesen.
2. Die in Kursiv gesetzten Worte fehlen bei John Reed.
3. Bei John Reed ist diese Mitteilung gekürzt und mit einigen Abweichungen vom Text angeführt.
Zuletzt aktualisiert am 15.7.2008