Adelheid Popp

Die erzieherische Bedeutung
der Konsumvereine

(Oktober 1907)


Der Kampf, Jahrgang 1 1. Heft, 1. Oktober 1907, S. 16–19.
Transkription u. HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.


Es währte ziemlich lange, bis es den ersten Freunden der Genossenschaftsbewegung in Oesterreich gelang, die Widerstände zu überwinden, welche sich gegen die Einfügung dieses dritten Gliedes in dem grossen Körper der Arbeiterbewegung immer wieder erhoben.

Heute besteht keine prinzipielle Abneigung mehr, doch haben die Konsumgenossenschaften um so schwerer unter der noch immer vorhandenen Gleichgültigkeit breiter Schichten der Arbeiterklasse zu leiden.

Auf dem Parteitag zu Wien 1897 wurde das erste Referat über Konsumvereine erstattet und vom Referenten eine scharf ablehnende Haltung eingenommen. Die ablehnende Resolution des Referenten wurde mit 40 gegen 34 Stimmen angenommen. Eine entgegenkommendere Resolution Viktor Adlers kam dadurch gar nicht zur Abstimmung. Die Diskussion über die Konsumgenossenschaften verschwand aber nicht mehr aus der Parteiöfientlichkeit und fast jeder Parteitag hatte sich nunmehr mit ihr zu befassen. Im Jahre 1903 nahm der Gewerkschaftskongress eine Resolution an, welche die Konsumvereine als eine Ergänzung der politischen und gewerkschaftlichen Organisation erklärte. Noch im selben Jahre beschloss der Parteitag, nunmehr auch die genossenschaftliche Organistion in den Dienst der Arbeiterbewegung zu stellen.

In zehn Jahren lernt man viel und so sind manche unter uns in diesem Zeitraum, wenn nicht gar aus prinzipiellen Gegnern, so doch aus gleichgültigen, gering-schätzenden, zu Freunden und begeisterten Anhängern der Konsumgenossenschaften geworden. Die anfängliche Meinung, dass die Konsumvereine als Bestand der Arbeiterbewegung viele Genossen der politischen und gewerkschaftlichen Bewegung entziehen werden, ist längst widerlegt durch die Tatsache, dass das aufstrebende Proletariat so viele mannigfache Kräfte auslöst, dass jede Form der Organisation die für sie geeignetsten aufnehmen kann. Viele Genossen, die nicht den Drang oder die Möglichkeit haben, politisch hervorzutreten, sind befähigt, in der Verwaltung eines Konsumvereines Hervorragendes zu leisten. Und wenn, so wie in Oesterreich, dank einer bewährten und erprobten Taktik, das Bestreben vorwaltet, keine Form der im Dienst des Proletariats stehenden Organisationen abzustossen, sondern ihre einzelnen Glieder mit dem Bewusstsein zu durchtränken, dass auch sie ein Stück des Ganzen sind, dann lässt sich auch ein Weg finden, die Interessengemeinschaft zwischen der Genossenschaftsbewegung und der Partei und deren Mitgliedern herzustellen. Wir sehen zahlreiche Parteigenossen und -Genossinnen für die Konsumvereine mit derselben Hingabe und Opferfreudigkeit arbeiten wie für die Partei- und die Gewerkschaftsbewegung. Anders steht es leider mit der Masse der bereits mit Klassenbewusstsein erfüllten Arbeiter. Wohl sind grosse Fortschritte gemacht worden, der Umsatz der Konsumvereine vergrössert sich von Jahr zu Jahr, dennoch ist der ganze bisher erzielte Fortschritt nur allzu gering. Bald eine halbe Million organisierte Arbeiter und Arbeiterinnen zählt die Gewerkschaftskommission, in Wien allem beträgt ihre Zahl schon 130.000, die beiden grössten Arbeiter-Konsumvereine Wiens aber mit ihren zahlreichen Filialen in den Arbeiterbezirken haben noch nicht viel über 50.000 Mitglieder. Das Verhältnis ist aber noch ungünstiger, weil nicht nur organisierte Arbeiter den Konsumvereinen angehören; viele Kleinbürger und Beamte, die sonst mit der Arbeiterbewegung nichts zu tun haben, nützen die Vorteile des genossenschaftlichen Einkaufes aus.

Es ist also der Gedanke von der Aufgabe der Konsumgenossenschaften für die Arbeiter von den Massen noch nicht genügend aufgenommen. Weiteste Kreise der organisierten Arbeiter stehen den Konsumvereinen noch vollständig fern, sie sind ihnen nicht mehr als irgend eine beliebige Greislerei. Sie sehen nicht die grossen Vorteile, sondern nur die Nachteile, welche das Einkäufen im Konsumverein mit sich bringt. Es ist nichts mehr als eine bequeme Ausrede, wenn organisierte Arbeiter einfach abwinken, wenn die Konsumvereinsfrage ah sie herantritt, wenn sie mit dem Hinweis: »Ach, darum kümmere ich mich nicht, das ist Sache der Frau«, der Diskussion entgehen wollen.

Die Frau ist das Hindernis! Warum vermag diese Frau aber so viele andere Dinge nicht zu hindern, die im Dienst der Arbeiterbewegung vollbracht werden und die der Familie tatsächlich augenblickliche Opfer auferlegen? Die Frau abonniert so oft für den Mann das Parteiblatt, sie zahlt für ihn die Parteisteuer, warum sollte diese Frau nicht auch zu bewegen sein, im Konsumverein einzukaufen, was sie doch keine materielle Opfer kostet, was ihr wahrhaftig unter allen Umständen Nutzen bringt: Denn erstens ist der Konsumverein keine Greislerei mehr. Er ist es vor allem nicht in der Grossstadt und wer nur vom Durchschnittsgreislerladen einen Blick in den Laden des Konsumvereines getan hat, muss davon überzeugt sein. Was noch vor zehn Jahren und vielfach noch vor fünf Jahren zutreffend war, gilt heute nicht mehr. Die Konsumvereine haben ihre ersten Gehversuche hinter sich. Die Zentralisation durch den Verband der Arbeiter-Konsumvereine macht es auch den kleinsten, mühseligst begonnenen Konsumvereinen möglich, den Greisler am Orte weit zu überflügeln. Nicht mehr tastend und hilflos beginnen die Konsumgenossenschaften ihr Dasein, sondern gut beraten und gestützt nehmen sie ihre Tätigkeit auf. Dass den höchsten Ansprüchen noch nicht genügt wird, liegt nicht in der Natur der Konsumvereine, sondern in ihrer Jugend. So kann man auf die grossen Konsumvereine Wiens und auf die hervorragendsten der Provinzstädte das Wort Greislerei überhaupt nicht anwenden: Es sind Warenhäuser für Lebensmittel, vielfach auch schon für Manufaktur, die sich da entwickeln. Was kann aus ihnen werden, wenn die organisierten Arbeiter, wenn die Parteigenossen sich ihrer bedienen! Ein gewaltiges Stück Emanzipation der Arbeiterklasse vom Zwischenhandel und damit von kapitlistischer Abhängigkeit wird durch sie verwirklicht. Die Genossenschaft besorgt den Einkauf im grossen, sie kann daher besser und in der Regel auch billiger einkaufen als der Krämer. Im Konsumverein gibt es kein persönliches, egoistisches Motiv. Die Leiter der Konsumgenossenschaften haben nicht ihr eigenes Interesse im Auge, sondern das der Mitglieder. Sie sind am Reinertrag nicht anders interessiert als irgend eine Frau, die dort ihre Einkäufe besorgt.

Das allein schon lehrt den grossen Unterschied zwischen Greislerei und Konsumgenossenschaft. Beim Privatunternehmen das Bestreben nach persönlichem Vorteil, bei der Genossenschaft der Ehrgeiz der Gesamtheit ein gutes Resultat zu erzielen.

Von welch erziehlichem Werte ist es aber weiter, wenn der überall gedrückte, seitwärts geschobene Arbeiter einen Ort hat, wo er kein Geringerer, sondern ein Gleicher unter Gleichen ist! Kein allmächtiger Kaufherr, der die Kunde Arbeiter, deren Geld er nimmt, hochmütig von oben herab behandelt und der Dame im Seidenrock den Vorrang einräumt! Wieviel Ingrimm würgt nicht im kapitalistischen Warenhaus, im kleinbürgerlichen Greislerladen der Arbeiter hinunter, ob der geringschätzenden Behandlung, die man sich gegen ihn erlaubt. Der Konsumverein dagegen weckt das Selbstbewusstsein des Proletariers, er erzieht vor allem auch die Frau zum Selbstbewusstsein. Die Frau, die auf allen Gebieten des Lebens eine Unterdrückte und Rechtlose ist, im Konsumverein ist sie gleichberechtigt. Sie kann auch teilnehmen an der Verwaltung. Wenn dies heute fast noch nirgends geschieht, so ist es nur dem Umstand zuzuschreiben, dass die Frauen gewohnt sind, alles, wozu denken, beraten und beschliessen gehört, den Männern zu überlassen.

So ist es auch in den Konsumgenossenschaften. Obwohl diese ohne die werktätige Hilfe der Frauen nicht bestehen können, üben letztere gegenwärtig dennoch gar keinen Einfluss auf die Verwaltung und auf den Einkauf der Waren aus. Die Ursache ist auch darin zu suchen, dass nicht immer die Frauen, die einkaufen, das Mitgliedsbuch besitzen, sondern die Männer. Die Frauen gehen nicht immer aus eigener Ueberzeugung in den Laden des Konsumvereines, sondern weil es der Mann wünscht.

Und doch wäre gerade im Konsumverein das natürlichste Gebiet für die Betätigung der Frauen gegeben. Ihre Verwaltungskunst, die sie jetzt im Kleinen, mit den knappen Mitteln des proletarischen Haushaltes betätigen, könnte dort zur Grosszügigkeit entwickelt werden. Ihre praktischen Erfahrungen könnten mit der Theorie der Genossen gepaart werden zu erspriesslichem Wirken.

Kein Zweifel, auch wir werden in jenes Stadium gelangen, wenn auch nur mit jener Langsamkeit, die dem Vordringen der Frauen zu Verwaltungsarbeiten in allen Organisationsformen eigentümlich ist. Die Frauen sind eben nirgends Bahnbrecherinnen, sie kommen erst leise und zögernd nach, wenn schon Bresche gelegt ist. Das ist aber kein Zeichen angeborener Rückständigkeit, sondern bedingt durch die jahrhundertelange svstematischeZurückdrängung ihrer geistigen Entwicklung, in der Gegenwart noch verschärft durch die doppelte Ueberbürdung mit Lohnarbeit und unentlohnter Arbeit im Haushalt. Da die Konsumgenossenschaften für den Einkauf des proletarischen Haushaltes so bedeutungsvoll sind, so ist hier wohl zweifellos der Weg vorgezeigt, auf dem die Frauen emporgehoben werden können zu höherem Selbstbewusstsein, um auf dem ihnen ureigensten Gebiet der Emanzipation der Arbeiterklasse zu dienen.

Freilich darf die Konsumgenossenschaft nicht nur nüchtern und geschäftsmässig geprüft werden. Der ideale Zweck muss im Vordergrund stehen. Die Liebe für die proletarische Sache muss auch hier Führerin sein. Nicht die Dividende, die Rückvergütung am Jahresschluss, darf den Ausschlag geben, massgebend muss die Erwägung sein, was die Konsumgenossenschaften für die Zwecke unserer proletarischen sozialdemokratischen Bewegung bedeuten. Hebung des Selbstbewusstseins ist eines der wichtigsten Momente und für die moderne Arbeiterbewegung unerlässlich. Materiell erreichen wir durch die Zugehörigkeit zu den Konsumgenossenschaften die Befreiung vom wucherischen Zwischenhandel. Nicht jeder Konsumverein kauft allein ein, vom Zufall geleitet, sondern die Grosseinkaufsgesellschaft kauft für alle Konsumvereine ein, versorgt diese mit Waren. Diese Grosseinkaufsgesellschaft kann, wenn sie sich auf starke, grosse Konsumvereine stützt, der Arbeiterklasse unschätzbare wirtschaftliche Vorteile erringen. Sie repräsentiert eine Macht, wenn sie von allen Arbeiter-Konsumgenossenschaften gefördert wird. Sie wird imstande sein, preisregulierend zu wirken und kann schliesslich zur Eigenproduktion übergehen. Gewiss ist dies ein langer und mühevoller Weg. Wann aber fragt die Arbeiterbewegung nach der Zahl der Jahre, wenn sie für ihre Ziele kämpft? Nicht Gegenwartsarbeit allein haben wir zu leisten, sondern auch Zukunftsarbeit. Alles, was wir jetzt vollbringen, was für die Arbeiterklasse an Verbesserungen erreicht wird, sind nur Mittel zum Zweck. Die Ueberführung der Produktion aus den Händen einzelner in die der Gesamtheit streben wir an. Da die Konsumvereine die Erreichung dieses Zieles vorbereiten, müssen sie von allen sozialistischen Arbeitern gefördert werden.

Ob die Dividende einen Heller mehr oder weniger beträgt, darf zur Beurteilung nicht massgebend sein; nicht Sparvereine sollen die Konsumgenossenschaften sein, sondern Erziehungsmittel. Wenn sie nebenbei imstande sind, den Mitgliedern materielle Vorteile zu bieten, so mag das den Arbeitern und ihren Frauen nur noch mehr die Augen öffnen, wie der Zusammenschluss des Proletariats auf allen Gebieten Früchte trägt.

Selbstverständlich handelt es sich immer nur um Genossenschaften, die vom sozialistischen Geist getragen sind. Dieses Ideal werden wir desto vollkommener verwirklichen, je zahlreicher und opferwilliger sich die Parteigenossen und -Genossinnen an den Konsumvereinen beteiligen. Der Geist der Arbeiterorganisation wird die Konsumvereine in jenem Masse beherrschen, als organisierte Arbeiter ihnen angehören. Die Konsumgenossenschaften müssen viele Feindseligkeiten ertragen. Ein Kreuzfeuer von Verdächtigungen und Angriffen ist auf sie gerichtet. Jene, die sich immer von Arbeiterkreuzern genährt haben, scheuen vor keiner Perfidie zurück, um die Entwicklung der Konsumgenossenschaften zu hemmen. Darf es da noch Gleichgültige im eigenen Lager geben?

Wenn man uns von den Existenzen spricht, die durch die Konsumgenossenschaften zugrunde gerichtet werden, so darf das nicht verfangen. Die kapitalistischen Grosswarenhäuser haben niemals Rücksichten auf Existenzen gekannt. Der Kleinbetrieb wird nach kapitalistischen Gesetzen vom Grossbetrieb verschlungen. Wenn die Arbeiter früh genug ans Werk gehen, um nicht anstatt vom Kleinen vom Grossen ausgewuchert zu werden, wenn sie ihre eigenen Lieferanten sein wollen, um sich so selber zu nützen, so ist daraus nur zu ersehen, dass die Arbeiterklasse über die Fähigkeiten verfügt, die sie braucht, um die kapitalistische Gesellschaft abzulösen. Dieses Ziel zu erreichen, soll jeder mithelfen, der zu den Kampfgenossen des Proletariats zählt. Partei, Gewerkschaft und Genossenschaft seien unsere Waffen im Kriege gegen die kapitalistische Gesellschaft.


Zuletzt aktualisiert am 6. April 2024