Franz Mehring

 

Zur Richtigstellung einer Richtigstellung

(13. Mai 1912)


Bremer Bürger-Zeitung, Nr. 111, 13. Mai 1912 und Leipziger Volkszeitung, 13. Mai 1912.
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Von den langen Erklärungen, die Bebel und Kautsky gegen mich erlassen haben, kann ich die eine mit einigen Worten erledigen. Genosse Bebel behauptet, dass selbst der geistig schwächste Leser über die Gründe seiner Polemik nicht eine Sekunde hätte im Zweifel sein können. Dann muss ich die für mich betrübende Tatsache feststellen, dass der geistig schwächste Leser mir geistig noch immer bedeutend überlegen ist. Denn ich verstehe schon seit Wochen nicht, weshalb dieser nutz- und zwecklose Spektakel vom Zaun gebrochen worden ist. Inzwischen geht aus Kautsky Erklärung hervor, dass Genosse Bebel, als er seine ehrverletzenden Angriffe auf mich an die Neue Zeit entsandte, den „Anspruch“ erhob, dass meine Verteidigung erst acht Tage später aufgenommen werden dürfe. Danach verzichte ich auf jede Diskussion mit dem Genossen Bebel.

Bei Kautskys Erklärung muss ich länger verweilen. Nicht aus persönlichen Gründen, denn aus seine Kritik meiner moralischen Eigenschaften lasse ich mich nicht ein. Die „Reizbarkeit des Mannes“ wird dadurch am schlagendsten beleuchtet, dass „der Mann“ 21 Jahre lang mit Kautsky ausgekommen ist, eine ungleich längere Zeit als irgend einer sonst aus der langen Pilgerschar, die vom Genossen Bernstein bis zur Genossin Luxemburg den gastlichen Hallen der Neuen Zeit den Rücken gekehrt hat.

Kautsky behauptet, es sei bei solchen Polemiken in der Neuen Zeit üblich, dass die Erwiderung erst nach acht Tagen erfolge. Aus den Dutzenden von Gegenbeweisen, die mir urkundlich vorliegen, hebe ich nur einen heraus, der ein gewisses historisches Interesse hat, die Erwiderung Kautskys, die den Genossen Bernstein zum Austritt aus dem Verbande der Neuen Zeit veranlasste und unmittelbar an den von Kautsky bekämpften Artikel angehängt war.

Kautsky erzählt, dass ich ihm am 21 November 1910 mitgeteilt hätte, ich werde die Redaktionskonferenzen nicht mehr besuchen und bäte, meine Spitzartikel als Beträge eines einfachen Mitarbeiters zu betrachten. Die Redaktionskonferenzen waren, Kautsky weiß von wem, eingerichtet, weil man glaubte, meine Redaktionserfahrung würde günstig auf Kautsky wirken. Da ich bald sah, dass hier aller Liebe Müh‘ umsonst war, empfand ich es als willkommenen Fußtritt, dass Kautsky, ohne vorher mit mir darüber zu sprechen, einen Hilfsredakteur einstellte, der m. E. bei allen sonstigen von mir in keiner Weise angefochtenen Vortrefflichkeit der Neuen Zeit doch nicht das geben konnte, dessen Mangel an meisten von ihren Lesern beklagt wird. Zur Zeit, wo ich Chefredakteur der Leipziger Volkszeitung war, habe ich trotz meines formellen Rechtes nie einen neuen Redakteur eingestellt, ohne vorher das Urteil meiner Kollegen einzuholen. So verzichtete ich auf die Redaktionskonferenzen, aber schon als Redakteur des Feuilletons blieb ich Mitglied der Redaktion, und kein anderer als Kautsky schrieb mir vor vier Wochen von unserer Redaktion und von mir als Redaktionskollegen.

Kautsky behauptet, er habe nicht die Verpflichtung gehabt, mir als einem Mitarbeiter die Erklärung Bebels vorzulegen. Derselbe Kautsky schrieb mir am 16. November 1911:

„Sie fühlen sich verletzt dadurch, dass wir zwei Artikel gegen Sie in Nr. 46 veröffentlichten, ohne Sie davon in Kenntnis zu setzen Ich stimme Ihnen vollkommen bei, dass es in solchen Fällen kollegiale Pflicht ist, den Angegriffenen von einem Angriff Mitteilung zu machen. Wird das absichtlich unterlassen, so ist das unanständig. Wird es im Drange der Geschäfte übersehen, so ist es jedenfalls bedauerlich, und der Schuldtragende hat alle Ursache, sich zu entschuldigen.“

Im Falle der Bebelschen Erklärung wurde es absichtlich unterlassen.

An diesen Stichproben, die aufs Geratewohl herausgegriffen sind, muss ich es genügen lassen. Wollte ich das ganze Gewebe von Entstellungen, Unrichtigkeiten, Verdrehungen und Wortklaubereien auflösen, durch das Kautsky den wirklichen Sachverhalt zu verschleiern sucht, so würde die Sache in den kläglichsten Kleinigkeiten ersticken. Das mag den Zwecken Kautskys entsprechen, aber es entspricht nicht den meinigen. Wenn sich jedermann seines Fleißes rühmen darf, so darf ich auf meine mehr als 20-jährige Arbeit für die Neue Zeit verweisen, um mich von dem Verdachte zu reinigen, als sei ich die traurige Karikatur, die Kautsky jetzt aus mir machen will, nachdem er mich erst vor wenigen Wochen auf „20-jährige Waffenbrüderschaft“ angesprochen hat.

Der wirkliche Streit dreht sich um die Spitzartikel der Neuen Zeit, die in den Nummern 7, 24 und 27 des laufenden Jahrganges erschienen sind. Der erste dieser Artikel (Kronprinzliche Fronde) tadelte die Komplimente, die ein sozialdemokratischer Reichstagsabgeordneter dem gegenwärtigen Reichskanzler gemacht hatte, und ließ von weitem durchblicken, dass die Verleugnung des Genossen Däumig durch einen Fraktionsredner, gegenüber einem fortschrittlichen und einem ultramontanen Schwätzer, nicht allzu imponierend gewesen sei. Aus Gründen, die ich gleich erwähnen werde, sandte ich den Artikel unmittelbar in die Druckerei nach Stuttgart, und trotz der „Ausnahmestellung“, die ich damit beanspruchte, „trotz des unbeschränkten Verfügungsrechts“ über das Blatt „mit völliger Umgehung der Redaktion“ war Kautsky über den Artikel entzückt. Aber der hinkende Bote kam nach; ein paar Tage darauf erhält Kautsky einen offiziellen Tadel des Parteivorstandes, weil er den Artikel unverändert aufgenommen habe.

Nun begann es zu kriseln. Das erste Rundschreiben des Parteivorstandes in Sachen des fortschrittlich-sozialdemokratischen Stichwahlabkommens, das dessen einzelne Bestimmungen enthielt, wurde mir vorenthalten, obgleich es an die gesamte Parteipresse gerichtet war; ebenso verschwieg mir Kautsky, dass er die Artikel geschrieben hatte, die im Vorwärts zur Rechtfertigung des Abkommens erschienen. Durch Krankheit ans Zimmer gefesselt, erfuhr ich von Kautsky nur brieflich, dass er das Abkommen im allgemeine billige, aber nicht in den Einzelheiten, so dass ich annahm, wir wären etwa derselben Ansicht. In Nr. 24 der Neuen Zeit (Präsidial- und andre Fragen) verteidigte ich das Abkommen als solches gegen die Genossin Luxemburg und unterwarf nur die Einzelheit der Dämpfung einer übrigens sehr schonenden Kritik. Gleich darauf erfuhr ich von zuverlässiger Seite, dass Kautsky, der zu seiner Erholung an den Genfer See gegangen war, sich durch meinen Artikel gekränkt fühlte, da er die Aufsätze des „Vorwärts“ verfasst habe. Ich schrieb ihm nun in der freundschaftlichsten Weise, erklärte ihm, dass es mir ganz fern gelegen habe, ihn zu verletzen, fügte freilich auch hinzu, dass ich, wenn er die offiziöse, ihm sonst so unähnliche Richtung seiner Vorwärts-Artikel in die Neue Zeit übertrüge, nicht mehr mitmachen könne. Ich würde dann seine älteren Rechte achten und gehen, doch hoffte ich, wir würden noch eine gute Weile zusammenarbeiten.

Kautsky antwortete mir, wir wollten mündlich eingehend über die Sache sprechen. Bei seiner Heimkehr fand er jedoch die Erklärung Bebels, die meinen in Nr. 27 der Neuen Zeit erschienenen Spitzartikel (Einiges von Marx und Liebknecht), der in der sachlichsten Weise das Übermaß der parlamentarischen Beredsamkeit kritisierte, nicht sachlich bekämpfte, sondern durch Unterstellung gehässiger Motive zu diskreditieren suchte. Kautsky meint, das sei geringfügig, doch muss er mir schon erlauben, darüber anderer Ansicht zu sein. Immerhin enthüllt Kautsky das redaktionelle Elend der Neuen Zeit, wenn er schreibt: „Ich wusste, Bebel betrachte es als eine arge Unfreundlichkeit, wenn bei einer Polemik dem einen Teil gestattet wird, dem anderen in unmittelbarem Anschluss zu antworten. Ich glaube, keine Redaktion hat das Recht, es zu missachten, wenn einer seiner Mitarbeiter diesen Anspruch erhebt.“ Das sind ja merkwürdige Grundsätze. Schon jede bürgerliche Redaktion würde als ungebührlichen Anspruch zurückweisen, was der Redakteur unserer wissenschaftlichen Wochenschrift als normalen Zustand betrachtet. Selbst in der bürgerlichen Presse hat der Angegriffene zu entscheiden, wann er sich wehren will. Nach Kautsky aber hat der Angreifer das Recht zu entscheiden, wann der Angegriffene sich wehren darf. Und dann die Ehrfurcht der „nachgeordneten“ Stelle! Ich habe wirklich nicht nach dem Empfinden des Genossen Bebel gefragt, als Kautsky vor ein paar Jahren sein schriftstellerisches Recht gegen Eingriffe des Parteivorstandes zu wahren hatte und ich ihm die erbetene Hilfe gewährte.

Dass es formell ungehörig war, meine ganz zahme Erwiderung auf Bebels schwere Angriffe unmittelbar in die Druckerei zuschicken, habe ich nie bestritten, aber es geschah in der Absicht, den drohenden Zwist noch im Keime zu erticken. Kautsky, der jetzt ein so furchtbares Lamento darüber erhebt, schrieb mir am 18. April: „Die Entfernung des Druckorts vom Sitze der Redaktion, sowie die Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit entschuldigen Ihre Übergehung der Redaktion in diesem Falle.“ Die anderen Fälle, die „Kette meiner rücksichtslosen Eigenmächtigkeiten“, definiert Kautsky dahin, dass ich die Spitzartikel in den letzten Monaten regelmäßig in die Druckerei gesandt hätte. Regelmäßig ist das nun nicht geschehen; bei irgendwie heiklen Thematen wie der Besprechung von Bebels Denkwürdigkeiten [1], habe ich das Manuskript an Kautsky gesandt und eine von ihm gewünschte Änderung gern vorgenommen. Aber im allgemeinen hat er recht. Er vergisst nur, hinzuzufügen, dass ich in den letzten Monten schwer krank darniederlag, zwei Operationen durchmachen musste, nur unter den schwierigsten Umständen arbeiten konnte, meist erst in letzter Stunde fertig wurde, und er vergisst namentlich zu sagen, dass er nie eine Silbe dagegen eingewandt hat, sondern froh war, dass ich überhaupt schrieb, statt mich einfach krank zu melden, was ich für den größten Teil des Herbstes und Winters durch die Atteste dreier Ärzte hätte begründen können. Sobald Kautsky nach Bebels Erklärung sein formales Recht geltend machte, habe ich es sofort aufs bereitwilligste anerkannt.

Aber Kautsky vergisst ferner zu erzählen, dass er nicht nur ein ihm zustehendes Recht verlangte, sondern auch ein mir zustehendes Recht zu eskamotieren versuchte. Seit 21 Jahren habe ich, wenn er in den Ferien war, meine Artikel direkt in die Druckerei geschickt, im allseitigen Einverständnis, und ohne dass sich je der geringste Übelstand daraus ergeben hätte. Nun verlangte Kautsky, ich solle sie, wenn er von Berlin abwesend wäre, seinen „Stellvertretern“ zur Kontrolle vorlegen. Dass ich in dem Augenblick, wo ich einige dem Parteivorstand missfällige Artikel veröffentlicht habe, mir das seit 21 Jahren gewohnte Maß meiner publizistischen Bewegungsfreiheit nicht einschränken lassen durfte, brauche ich niemandem auseinanderzusetzen, der Ehre im Leibe hat.

Ich erklärte also, diese Forderung sei für mich absolut und unter allen Umständen unannehmbar. Nun soll ich nach Kautsky gesagt haben, weitere Schritte würden bei den zuständigen Parteiinstanzen erfolgen. Das klingt wie eine Drohung. Tatsächlich merkte ich jetzt, was die Glocke geschlagen hatte; ich sagte einfach, ich wolle die Spitzartikel nicht mehr fortführen und wolle mich mit den zuständigen Parteiinstanzen über eine anderweitige Regelung meiner Beziehungen zur Neuen Zeit verständigen. Mein Brief an den Parteivorstand lautete wörtlich:

„Steglitz, den 19. April 1912.

Geehrte Genossen!

Hiermit ersuche ich Sie, mich von den politischen Spitzartikeln der Neuen Zeit zu entbinden und mir zu gestatten, das gleiche Maß von Arbeit in wissenschaftlichen Aufsätzen, die der Tagespolitik fern stehen, für die Neue Zeit zu leisten. Was mich veranlasst, dies Ersuchen an Sie zu richten, ist die Tatsache dass die Beziehungen, die seit 20 Jahren zwischen dem Genossen Kautsky und mir bestanden haben, nicht mehr bestehen. Über die Einzelheiten kann und will ich mich, zumal hinter dem Rücken des Genossen Kautsky, um so weniger verbreiten, als es auf sie in keiner Weise ankommt. Die objektive Ursache sind Meinungsverschiedenheiten über die Parteitaktik, die bei einer Fortdauer des bisherigen Verhältnisses immer neue Reibereien hervorrufen und endlich Zustände herbeiführen müssen, wie sie ehedem einmal im Vorwärts bestanden und der Partei zu großem Schaden gereicht haben. Dieser Gefahr würde die von mir vorgeschlagene Neuordnung meiner Beziehungen zur Neuen Zeit vorbeugen.

Schließlich will ich noch bemerken, dass ein ähnlicher Modus bereits früher allerdings vor einer längeren Reihe von Jahren, als Genosse Dietz noch die Neue Zeit verlegte – geplant worden ist.

Mit Parteigruß!
Ihr ergebener F. Mehring.“

Gleichzeitig mit diesem Briefe sandte ich eine Abschrift an Kautsky. In durchaus kollegialem Tone wies ich darauf hin, dass ich weder gegen ihn noch gegen sonst jemanden ein kränkendes Wort geäußert hätte; aber wir wollten uns nicht darüber täuschen, dass zwischen uns politische Meinungsverschiedenheiten beständen. Ich hielte es für einen großen Fehler, wenn das wissenschaftliche Zentralorgan sich völlig abhängig vom Parteivorstande machte. Es wäre für mich kein Leben mehr, wenn ich bei jeder Zeile, die ich schriebe, erwägen solle, ob sie den Beifall des Genossen Bebel und des Parteivorstandes fände.

Kautsky antwortete am 21. April, ich möge mir die Sache noch einmal überlegen; er empfinde es als eine „schmerzliche Kränkung“ seiner Kollegen, wenn ich in den Zeiten seiner Abwesenheit meine Spitzartikel nicht an sie senden wolle. Ich solle mich auch ja nicht ihrer Zensur unterwerfen, sondern sie sollten nur entscheiden, ob die Spitzartikel als redaktionelle Artikel erscheinen sollten oder nicht. Da meine Spitzartikel niemals als redaktionelle Artikel, sondern stets mit meinem Korrespondenzzeichen erschienen sind, so weiß ich nicht, welche sakramentalen Prozeduren der seit anderthalb Jahren angestellte Hilfsredakteur mit ihnen vornehmen sollte, um ihnen den „redaktionellen“ Charakter zu nehmen, falls sie seinen „redaktionellen“ Anschauungen nicht entsprächen. In jedem Falle beseitigte die völlige Nichtigkeit dieses Vorwandes meine letzten Zweifel und ich ersuchte Kautsky am 21. April, mich mit Vorschlägen zu verschonen, die ich nur als eine schimpfliche Demütigung auffassen könnte.

Am 26. April erhielt ich folgende Antwort des Parteivorstandes:

„Berlin, den 26. April 1912.

Geehrter Genosse Mehring!

Sie haben in Ihrem Briefe vom 19. d. M. den Wunsch geäußert, von den politischen Spitzartikeln der Neuen Zeit entbunden zu werden, Ihnen aber zu gestatten, das gleiche Maß von Arbeit in wissenschaftlichen Aufsätzen, die der Tagespolitik fern stehen, für die Neue Zeit zu leisten. Der Parteivorstand will Ihren Vorschlag nicht widersprechen, erklärt sich vielmehr einverstanden mit Ihren Wünschen; er bittet Sie aber, sich mit der Redaktion der Neuen Zeit wegen der Neuregelung zu verständigen.

Mit Parteigruß!
A. Bebel. Scheidemann.“

So verlief die wirkliche Krise in der Redaktion der Neuen Zeit. Ich ersuche diejenigen Parteigenossen, denen im ein unbefangenes Urteil zu tun ist, die Spitzartikel in den Nummern 7, 24 und 27 der Neuen Zeit daraufhin zu prüfen, ob sie die ungeheuerlichen Attentate auf eine „geordnete Redaktionsführung“ enthalten, die Kautsky ihnen nachsagt, und ob sie in Form und Inhalt das Maß der Selbstkritik überschreiten, das bisher ebenso zum innersten Leben der Partei gehört hat wie die straffe Disziplin.

Die erfahrenen Parteifreunde, die mir vorwarfen, meine Position allzu nachgiebig aufgegeben zu haben, sucht Kautsky mit der Bemerkung zu verhöhnen, sie seien wohl erfahren im Verhetzen. Nein, Genosse Kautsky, sie sind nur erfahren in den Gesetzen der Ehre. Wenn ich mich dennoch zum freiwilligen Verzicht auf die Spitzartikel der Neuen Zeit entschloss, so geschah es, weil andere, nicht minder erfahrene Parteifreunde, die m. E. richtige Ansicht vertraten, dass der Selbstbesinnungsprozess der Parteimassen gegen gewisse Auswüchse bereits im vollen Gange sei, wie die Berliner, Bremer und Hamburger Resolutionen in der Dämpfungssache zeigten. Und dass diese gesunde Entwicklung nur gestört werden könnte durch einen Zwischenfall, der sofort als „Literatengezänk“ verdächtigt werden würde.

Deshalb trollte ich mich schweigend, und es ist nicht meine Schuld, sondern die Schuld der Genossen Bebel und Kautsky, wenn es dennoch zu einem öffentlichen, hoffentlich vorübergehenden Lärm gekommen ist.

F. Mehring

* * *

Anmerkung

1. Franz Mehring, Bebels Denkwürdigkeiten, 20. Oktober 1911, Die Neue Zeit, 30. Jahrgang 1911/12, Erster Band, S. 5–12 und 72–76. Der Artikel behandelt den Zweiten Band von Bebels Memoiren. Bei der Einschätzung der Differenzen zwischen August Bebel und Wilhelm Liebknecht auf der einen Seite und Ferdinand Lassalle und Johann Baptist von Schweitzer auf der anderen Seite in den 1860er Jahren gab es scharfe Kontroversen zwischen Bebel und Mehring. Anders als bei den aktuellen Fragen lag bei dieser historischen Kontroverse Bebel richtig.


Zuletzt aktualisiert am 12. Juni 2024