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Bremer Bürger-Zeitung, Nr. 103, 3. Mai 1912 und Leipziger Volkszeitung, 3. Mai 1912.
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Die Bremer Bürger-Zeitung und die Leipziger Volkzeitung veröffentlichen in ihrer Nummer vom 25. [tatsächlich: 26.] April eine Erklärung des Genossen Bebel, auf die ich – soweit sie ehrverletzende und tatsächlich unrichtige Angriffe auf mich enthält – so kurz wie möglich erwidern muss.
Der Genosse Bebel beschuldigt mich, Äußerungen von Marx und Liebknecht verstümmelt wiedergegeben zu haben, um die Parteidiskussion zu verschärfen. Er unterstellt mir hier wieder gehässige Beweggründe, von denen er sich mit leichtester Mühe hätte überzeugen können, dass sie nicht vorhanden sind. Nur ein Beispiel! Marx schrieb im Jahre 1879 über die damaligen Führer der deutschen Sozialdemokratie: “Sie sind schon so weit von parlamentarischem Idiotismus angegriffen, dass sie glauben, über der Kritik zu stehen”. In meinem Zitat ersetzte ich die Worte parlamentarischer Idiotismus durch Punkte. Das soll ich nach der Behauptung des Genossen Bebel getan haben, um meinen Angriff tendenziös zu verschärfen, und er verspricht, diese Methode zu bekämpfen, wo immer er ihr begegne. Dazu kann ich aus Achtung vor dem Genossen Bebel nur schweigen.
Dann überschüttet er mich mit neuen Angriffen, indem er schreibt:
„Nach journalistischem Brauch konnte man erwarten, dass dieser Streit in dem Blatte ausgetragen werde, in dem er zum Ausbruch kam. In der Tat hatte auch Genosse Mehring auf meinen Artikel in der Nr. 29 der Neuen Zeit der Redaktion eine Entgegnung eingesandt, die in der Nr. 30 zum Abdruck kommen sollte. Aber plötzlich fiel es dem Genossen Mehring ein, seinen Artikel, der bereits gesetzt war, von der Redaktion der Neuen Zeit unter der Vorgabe zurückzuverlangen: er erscheine hier zu spät, er werde ihn der Bremer Bürger-Zeitung zur Veröffentlichung übersenden. So geschah es. Welcher Wert dieser Angabe beizumessen ist, geht daraus hervor, dass die Bremer Bürger-Zeitung mit dem Artikel Mehrings nur einen Tag vor der Neuen Zeit erschien. Doch war der Artikel, den er in der Bremer Bürger-Zeitung veröffentlichte, ein anderer wie jener, den er der Redaktion der Neuen Zeit übersandt hatte.”
Hier stellt mich Genosse Bebel als geradezu läppischen Parteizänker vor, wiederum ohne jede Prüfung der Umstände.
Der “journalistische Brauch”, auf den sich der Genosse Bebel bezieht, gebietet vor allem, jedem Mitglied einer Redaktion alle Erklärungen, die gegen seine redaktionelle Tätigkeit einlaufen, zur Kenntnisnahme und erforderlichenfalls zur Rückäußerung vorzulegen. Genosse Kautsky hat mir erst vor wenigen Monaten, als mir gegenüber bei einem hier gleichgültigen Anlass dieser “Brauch” verletzt worden war, bestimmt versprochen, dass ein gleicher Verstoß nicht wieder vorkommen solle. Gleichwohl wurde die gegen mich gerichtete Erklärung des Genossen Bebel hinter meinem Rücken in die Druckerei nach Stuttgart gesandt, obgleich überreichliche Zeit vorhanden war, sie mir vorzulegen. Als ich davon erfuhr, ließ ich mir telegraphisch einen Abzug aus Stuttgart kommen und ersah daraus, dass Genosse Bebel mir ebenso ehrenrührige wie unrichtige Vorwürfe machte, die ich auch nur acht Tage auf mir sitzen zu lassen weder geneigt noch verpflichtet war. Es gelang mir noch knapp vor Toresschluss, eine Erwiderung nach Stuttgart zu expedieren, die, ummittelbar an Bebels Erklärung anknüpfend, das von diesem entfachte Feuer in glimpflicher Form dämpfte.
Nun ergab sich die kleine Unstimmigkeit, dass Genosse Bebel beim Korrekturlesen einen Ausdruck, auf den sich meine Erwiderung bezog, ein wenig geändert hatte. So gelangte von Stuttgart der telegraphische Vorschlag an Kautsky, beide Erklärungen auf acht Tage zu verschieben. Das war in der Tat der einzig vernünftige Ausweg aus der von Kautsky angestifteten Verwirrung. Genosse Kautsky antwortete jedoch – ich weiß es von ihm selbst – in einem kategorischen Telegramm, Bebels Erklärung müsse sofort erscheinen, dagegen nicht die meinige, deren Manuskript ihm nach Friedenau zu senden sei. Kautsky hat dies Verfahren dadurch zu begründen gesucht, dass er den Genossen Bebel nicht habe erreichen können, um dessen Zustimmung zu dem Stuttgarter Vorschlage einzuholen. An der Tatsache zweifle ich keinen Augenblick, aber als Erklärungsgrund macht sie die traurige Affäre noch viel trauriger. Wenn auch in keiner anderen Beziehung – denn die Unabhängigkeit der Parteipresse innerhalb des Parteirahmens ist hoffentlich noch kein leerer Wahn – , so mochte Bebels Zustimmung insofern nötig sein, als ihm vermutlich versprochen worden war, seine Erklärung in der nächsten Nummer zu bringen. Aber es heißt, den Genossen Bebel allzu niedrig einzuschätzen, wenn man unterstellt, er könne auf seinem Schein bestanden haben, selbst wenn dadurch die Rechte eines von ihm heftig angegriffenen Parteigenossen beeinträchtigt würden. Da habe ich wirklich einen ungleich größeren Respekt vor dem Genossen Bebel als Kautsky. Zur Zeit, wo ich die Leipziger Volkszeitung redigierte, sandte mir Bebel eine vom Vorwärts zurückgewiesene Erklärung mit dem Ersuchen um wörtlichen Abdruck ein. Ich fand darin einige Sätze, die irrig waren und unangenehme Auseinandersetzungen verursacht haben würden, wenn sie veröffentlicht worden wären. Da Bebel damals für mich so unerreichbar war, wie neulich für Kautsky, strich ich die anfechtbaren Sätze kurzerhand, und diese formelle Ungehörigkeit allergrößter Art hat Genosse Bebel mir nicht nur nicht nachgetragen, sondern sich auch dafür bedankt, als ich ihm den Sachverhalt auseinander setzte. Genosse Bebel ist sicherlich der letzte Mann, einem Parteigenossen den er angegriffen hat, die Verteidigung zu erschweren. Im Übrigen weiß ich wirklich nicht, weshalb Genosse Kautsky meine Erwiderung auf Bebel, deren rechtzeitiges Erscheinen er telegraphisch verhindert hatte, nachträglich hat absetzen lassen; ich habe ihn mit keiner Silbe darum gebeten. Sobald ich davon hörte, teilte ich ihm vielmehr mit, dass die nachträgliche Veröffentlichung für mich keinen Wert habe; ich würde mich in einem anderen Parteiblatte zur Sache äußern. Wenn ich mich recht erinnere, fügte ich hinzu: soweit sich in dem Vorgehen des Genossen Bebel gegen mich ein allgemeiner Übelstand verkörpere; jedenfalls habe ich mir, wie mein “Protest” zeigt, freiwillig diese Schranke gezogen. Gleichfalls aus freien Stücken versprach ich dem Genossen Kautsky, meiner beabsichtigten Veröffentlichung eine Form zu geben, die nach außen hin jeden Verdacht ausschlösse, als ob eine Krise in der Redaktion der Neuen Zeit bestände. Auch das habe ich redlich erfüllt, und ich kann nur lebhaft bedauern, dass der Genosse Bebel meine loyale Absicht durchkreuzt und interne Parteisachen, über die ich mir – nicht in meinem persönlichen Interesse, sondern im Interesse der Partei – vollkommenes Schweigen auferlegt hatte, ohne Not und in total falscher Darstellung in die Öffentlichkeit gezogen hat.
Daran knüpfe ich jedoch die Hoffnung, dass Genosse Bebel nun endlich aufhören wird, den durch ihn vom Zaune gebrochenen Streit weiter zu spinnen, dessen Gründe mir völlig unverständlich sind und dessen Wirkungen darin bestehen, die gegnerische Presse zu amüsieren. In der Krise der Neuen Zeit habe ich um des äußeren Parteifriedens willen eine Nachgiebigkeit bewiesen, die nach Ansicht erfahrener Parteifreunde wichtigere Interessen verletzt, aber wie dem immer sei, umsonst möchte ich dies Opfer nicht gebracht haben.
Zuletzt aktualisiert am 12. Juni 2024