MIA > Deutsch > Marxisten > Marx/Engels
Der Kampf, Jg. 5 1. Heft, 1. Oktober 1911, S. 5–12.
HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.
Der Artikel von Karl Marx, der hier in deutscher Uebersetzung zum erstenmal erscheint, ist in der englisch-amerikanischen Zeitung New York Tribüne am 9. Jänner und 4. August 1857 veröffentlicht worden. Er gehört zu jenen Artikeln über wichtige politische und ökonomische Ereignisse in England und auf dem europäischen Kontinent, die in der zweiten Periode der Mitarbeiterschaft Marxens an der New York Tribüne, in der er sich nur ausnahmsweise mit eigentlichen Zeitungskorrespondenzen befasste, den bedeutendsten Teil dieser Beiträge bildeten. Der Artikel ist anonym erschienen, wie alle Artikel von Marx in der New York Tribüne seit 1856, aber es unterliegt keinem Zweifel, dass er Marx gehört. Das beweist, äusser seinem Inhalt, auch ein Brief des Redakteurs der New York Tribüne, Charles Dana an Marx, datiert vom 5. März 1857, in dem er ihm mitteilt, dass der zweite Artikel über den österreichischen Seehandel schon im Satz sich befinde und nächstens gedruckt werde. Es ist sehr wahrscheinlich, dass der zweite Artikel mit Engels’ Hilfe geschrieben ist oder fast ganz aus seiner Feder stammt, wie die meisten Artikel, wo kriegshistorische und kriegswissenschaftliche Fragen erörtert werden.
Obwohl die Artikel, die unten folgen, für sich selbst sprechen, glauben wir, dass einige Erläuterungen notwendig sind, um die Zeitumstände, unter denen sie geschrieben sind, dem Gedächtnis der Leser näher zu bringen.
Es ist bekannt, dass die Frage, was für eine Rolle Oesterreich während des Krimkrieöges spielte, den Ausgangspunkt für wichtige Kontroversen bildete, nicht nur innerhalb der deutschen Demokratie im allgemeinen, sondern auch in ihrem linken Flügel, in der proletarischen Demokratie. „Ich weiss nicht,“ schrieb Lassalle an Marx, „ob man behaupten kann, dass Oesterreich schon jetzt damit umgeht, die Westmächte zu verraten. Meine Quelle versichert: nein. Mag sein. Aber so viel weiss ich, dass Oesterreich, im letzten entscheidenden Augenblick, die Westmächte an Russland verraten wird, dass es dies tun wird selbst gegen seinen Willen und von den Ereignissen dazu gezwungen.“ Glaubten doch noch später, nach dem Krimkrieg, Vogt und Konsorten, dass der „Dank, den Oesterreich dem Zaren auf Kosten Deutschlands während des Warschauer Kongresses von 1850 und durch den Zug nach Schleswig abstattete“, nicht genügend sei für einen „Dienst“, den Nikolaus Oesterreich zu erweisen in seinem eigenen Interesse gezwungen war.
Wahr ist, dass Oesterreich lange gezögert hat, bevor es eine entschiedene Stellung gegen Russland eingenommen hat. Wie wichtig für den Gang des Krieges die Stellung Oesterreichs war, beweist die Tatsache, dass schon die jämmerliche Halbheit, mit der Oesterreich am Anfang des Krieges zwischen Russland und den Westmächten schwankte, den russischen Vormarsch auf der Balkanhalbinsel vollständig lahmgelegt hat. Aber am Ende hat Oesterreich, trotz aller Sympathien des Wiener Kabinetts für den russischen Absolutismus, nicht die Westmächte an Russland, sondern Russland an die Westmächte „verraten“. So hat der Krimkrieg einen neuen Beweis geliefert, dass die staatliche Existenz Oesterreichs eine Notwendigkeit ist, bis die europäische Revolution die Kraft findet, zugleich die deutsche und die orientalische Frage zu lösen, dass folglich die Zertrümmerung Oesterreichs nur im Interesse des gefährlichsten Feindes der europäischen Revolution liegt.
Aber wie war dieser „Verrat“ Oesterreichs zu erklären? War er nur eine neue Extratour in der widerspruchsvollen Politik des Wiener Kabinetts? Oder hatte er tiefere Ursachen? Warum hat der Panslawismus in dem halbslawischen Land vollständig versagt? Inwieweit gehen die Gegensätze Oesterreichs und Russlands in den Donaufürstentümern? Existieren noch andere ökonomische Interessen, die Oesterreich zwingen – Oesterreich nicht nur als eine Domäne der Habsburger, sondern auch als eine ökonomische Macht – gegen Russland auf der Balkanhalbinsel vorzugehen?
Und da Marx und Engels schon damals nach einem gemeinsamen Plan und nach vorheriger Verabredung arbeiteten, teilten sie die Arbeit der Erforschung dieser Probleme so, dass Engels die neue Prüfung der Frage des Panslawismus übernahm, Marx an die Erforschung der Donaufürstentümer und der ökonomischen Entwicklung Oesterreichs ging. Die Frucht dieser Arbeit waren zwei Serien von Artikeln für die New York Tribüne: eine – nicht weniger als fünfzehn Artikel – über Panslawismus, und die andere über die Donaufürstentümer und Oesterreich. Aber nach langem Zögern hat C. Dana, der zu dieser Zeit, wie ich an einem anderen Ort beweisen werde, unter dem ausschliesslichen Einflüsse des jetzt vollständig vergessenen, aber in den Vierzigerjahren sehr bekannten polnischen Renegaten und Panslawisten Grafen Adam Gurowski eine Schwenkung in der orientalischen Frage durchgemacht hatte, die ihn aus einem Feind der russischen Vorherrschaft auf der Balkanhalbinsel in einen Freund des russischen aufgeklärten Despotismus und des „Bauernbefreiers“ Alexander II. verwandelt hat, beinahe alle Artikel abgelehnt, und aus dieser ganzen Serie wurden nur die Artikel über den Seehandel Oesterreichs – und zwar mit einer langen Unterbrechung – abgedruckt.
Beide Artikel bilden zugleich den Uebergang zu den zahlreichen Artikeln, in denen Marx und Engels ihre Stellung zu der italienischen Frage begründeten. Das Problem war: Muss die weitere ökonomische Entwicklung Oesterreichs sich auch weiter auf Kosten der italienischen Nation vollziehen, ist wirklich der Besitz der Lombardei und Venedigs dazu notwendig?
Die Vertreter der bürgerlichen grossdeutschen Politik waren überzeugt, dass Oesterreich und Deutschland in Italien ein dauerndes zweifaches Interesse haben: ein kommerzielles und ein politisch-militärisches. Norditalien, mit seinen Mittelmeerhäfen bildete ihrer Ansicht nach eine natürliche Ergänzung, ein südliches Vorland vor Deutschland. Ohne Venedig könne Oesterreich, wollte es seinem geographischen Berufe treu bleiben, den atlantischen Handel auf der einen, den mittelländischen und den Donauhandel auf der anderen Seite nicht fördern. In Venedig sah man den Schlüssel zum Handel nach dem westlichen Teil Oesterreichs, den Schlüssel zum Brennerpass, über den es seine Waren nach Deutschland sandte, den in Oesterreich liegenden Schlüssel nach Deutschland von der Adria aus. Die ganze österreichische Eisenbahnpolitik wurde von diesem Standpunkt geleitet und Triest wurde deshalb sehr stiefmütterlich behandelt.
Aber auch in der bürgerlichen Demokratie wurden Stimmen laut, die Venedig als deutsches Gebiet betrachteten. Den prägnantesten Ausdruck fand diese Ansicht in einer späteren Proklamation von Bucher und Rodbertus: „Wollt ihr euch von dem Adriatischen Meer verdrängen lassen? Das Zivilrecht gibt dem Grundbesitzer einen Weg über des Nachbarn Aecker, um an die Heerstrasse zu gelangen, und die Staatsgewalt schützt ihn darin. Meere sind die Heerstrassen der Völker, und Völker haben sieh selbst zu schützen. Ihr wolltet euch verdrängen lassen in dem Augenblick, da die alten Handelswege nach dem Morgenlande wieder betreten werden, da vielleicht in einigen Jahren der Kanal der Pharaonen und Kalifen wieder Schiffe trägt? Gewiss fand der deutsche Handel seinen Weg über Triest, solange Triest die schwache neutrale Republik Venedig und ein österreichisches Kroatien zu Nachbarn hatte. Aber ebenso gewiss würde der Weg nicht lange sicher sein zwischen einem ‚starken‘ Italien und einem von Deutschland losgerissenen Ungarn.“
Anders dachte der linke Flügel der deutschen Demokratie mit Blind und Kinkel. In einem die ganze Denkweise der bürgerlichen Demokratie charakterisierenden Artikel Wem gehört Triest? führt Blind aus, dass Venedig den Italienern gehört, Fiume den Ungarn, aber Triest müsse deutsch sein. „Jeder Deutsche soll sich lieber einen Finger der rechten Hand abhacken lassen, ehe er Danzig den Polen gibt, und einen Finger der linken Hand, ehe er Triest den Italienern gibt!“ [1]
So fern der ganzen Weltanschauung Marx’ und Engels’ diese bombastische Phraseologie der vulgären Demokratie lag, waren sie auch der Meinung, dass Triest ein unbestrittenes deutsches Besitztum sei. Entschiedene Gegner der mitteleuropäischen Grossmachtstheorie, sahen sie in der Fortdauer der österreichischen Gewaltherrschaft in Italien ein Hindernis der europäischen Revolution. Und so wie später Engels bewiesen hat. dass Deutschland kein Stück von Italien zu seiner Verteidigung brauche, so beweist Marx (und Engels) in den vorliegenden Artikeln, dass nicht Venedig, sondern Triest das Hauptemporium des österreichischen Handels ist, dass der Seehandel Oesterreichs, trotz aller Begünstigung Venedigs, seinen natürlichen Weg schon längst in Triest gefunden hat, dass auch vom militärischen Standpunkt aus Oesterreich genug Mittel hat, um Triest gegen die Franzosen zu verteidigen, wenn es militärisch Pola nicht so vernachlässigen werde, wie es mit Triest geschah.
Freilich hat sich Marx geirrt, als er glaubte, das nach der Eröffnung des Kanals von Suez die privilegierte Stellung, die Venedig durch die Verlegung des Schwerpunktes des europäischen Handels seit der Umsegelung des Kaps der Guten Hoffnung verloren hat, von Triest erobert werden und dass Triest Marseille überflügeln wird. Die industrielle Suprematie war entscheidend. In den ersten fünf Jahren nach Eröffnung des Kanals von Suez passierten ihm 4.317 englische Schiffe mit 8.612.156 Tonnen, während der Verkehr unter österreichisch-ungarischer Flagge kaum vier Prozent desselben ausmachte, nämlich 345 Schiffe mit 335.307 Tonnen. Dazu kamen noch die Konkurrenz Fiumes seit 1867 und die nachteiligen Wirkungen der Gotthard- und der Brennerbahn. Aber noch bis jetzt nimmt Triest im Schiffsverkehr unter den europäischen Häfen den achten Platz ein. Und obwohl der Triester Holzhandel noch immer einen Hauptfaktor der Triester Ausfuhr bildet, ist er gegen früher stark zurückgegangeit infolge der Konkurrenz Bosniens und der Erschöpfung der Waldungen in Krain und Kärnten.
In allen anderen Punkten hat Marx recht behalten. Der Französisch-Italienische Krieg hat Oesterreich gezwungen, mit seinen Traditionen zu brechen, aber nur zum Teil. Le mort saisit le vif. Und bis jetzt noch bilden die alten Traditionen Oesterreichs das Haupthindernis seiner sozialen Entwicklung. Aber jetzt kann man sagen, dass nur, wenn diese Traditionen über den Haufen geworfen werden, Oesterreich im Laufe der Geschichte nicht über den Haufen geworfen werden wird.
N. Rjasanoff
Man kann sagen, dass der Seehandel Oesterreichs mit der Einverleibung Venedigs und seiner Besitzungen an den aariatischen Meeresküsten in das Reich beginnt; dies geschah zuerst im Frieden von Campo-Formio und der Frieden von Luneville bestätigte Oesterreich in seinem Besitz. Napoleon wäre also der eigentliche Begründer des österreichischen Seehandels. Wahr ist, dass er, als er der Vorteile gewahr wurde, die Oesterreich daraus erwuchsen, diese Konzessionen im Vertrag von Pressburg und dann im Wiener Frieden 1809 allerdings aufgehoben hat. Aber Oesterreich war einmal auf die richtige Fährte gelenkt und 1815 benützte es die günstige Gelegenheit, um seine Herrschaft über das Adriatische Meer wiederzugewinnen.
Der Mittelpunkt dieses Seehandels ist Triest; wie sehr es allen anderen österreichischen Häfen, und zwar schon seit längerer Zeit, überlegen ist, geht aus folgender Tabelle hervor:
|
Fiume |
Triest |
Venedig |
Andere |
|
1838 |
Import (in Gulden) |
200.000 |
32.200.000 |
9.000.000 |
3.000.000 |
|
Export (in Gulden) |
1.700.000 |
14.400.000 |
5.300.000 |
2.000.000 |
1841 |
Import (in Gulden) |
200.000 |
22.300.000 |
3.500.000 |
5.300.000 |
|
Export (in Gulden) |
1.600.000 |
11.200.000 |
3.100.000 |
1.900.000 |
1842 |
Import (in Gulden) |
200.000 |
24.900.000 |
11.500.000 |
5.100.000 |
|
Export (in Gulden) |
1.300.000 |
11.900.000 |
3.400.000 |
2.600.000 |
1839 war das Verhältnis der Einfuhr in Venedig zu der in Triest wie 1 : 2,84, der Ausfuhr beider wie 1 : 3,8. Im gleichen Jahre landeten viermal soviel Schiffe in Triest wie in Venedig. Gegenwärtig ist das Uebergewicht Triests so bedeutend, dass alle übrigen Häfen Oesterreichs, Venedig eingeschlossen, dagegen weit in den Hintergrund rücken. Aber wenn Triest Venedig im Adriatischen Meer verdrängt hat, so wird diese Tatsache weder durch die besondere Gunst der österreichischen Regierung noch durch die unausgesetzte Arbeit des Oesterreichischen Lloyd erklärt. Zu Beginn des XVIII. Jahrhunderts ein kleiner Schlupfhafen an felsiger Küste, von wenigen Fischern bewohnt, war Triest 1814, als die französischen Streitkräfte Istrien räumten, zu einem Handelshafen mit 23.000 Seelen emporgewachsen, dessen Handel dreimal so gross war als der Venedigs im Jahre 1815. 1835, ein Jahr vor der Gründung des Oesterreichischen Lloyd, betrug seine Bevölkerung über 50.000 und zu einer Zeit, als der Lloyd noch keinen irgendwie ins Gewicht fallenden Einfluss entfaltet haben konnte, stand Triest im türkischen Handel an zweiter Stelle, nach England, im Verkehr mit Aegypten nahm es den ersten Platz ein. Das beweisen die folgenden Ziffern für den Import und Export von Smyrna 1835 bis 1839:
|
Import |
Export |
England |
126313146 |
44.613.032 |
Triest |
93.500.456 |
52.477.756 |
Vereinigte Staaten |
57.329.165 |
46.603.320 |
Die Ein- und Ausfuhr Aegyptens weist für das Jahr 1837 folgende, gleichfalls instruktive Ziffern auf:
|
Import |
Export |
Triest |
13.358.000 |
14.532.000 |
Türkei |
12.661.000 |
12.150.000 |
Frankreich |
10.702.000 |
11.703.000 |
England und Malta |
15.158.000 |
5.404.000 |
Wie kam es nun, dass Triest und nicht Venedig, der Ausgangspunkt der neu aufblühenden adriatischen Schiffahrt wurde? Venedig war eine Stadt der Erinnerungen; Triest hatte gleich den Vereinigten Staaten den Vorzug, überhaupt keine Vergangenheit zu besitzen. Aus italienischen, deutschen, englischen, französischen, griechischen, armenischen und jüdischen Handelsleuten und Spekulanten in buntem Durcheinander zusammengesetzt, war es nicht mit Traditionen belastet gleich der Lagunenstadt. Während beispielsweise der venetianische Getreidehandel noch während des XVIII. Jahrhunderts an seinen alten Verbindungen festhielt, verknüpfte Triest sein Geschick mit dem aufsteigenden Stern Odessas, weshalb es ihm gelang, zu Beginn des XIX. Jahrhunderts seinen Rivalen gänzlich aus dem Getreidehandel des Mittelländischen Meeres auszuschalten. Der Unglücksschlag, der die alten Handelsrepubliken Italiens am Ende des XV. Jahrhunderts getroffen hatte, als die Umsegelung Afrikas gelungen war, wiederholte sich in kleinerem Massstab in Gestalt der Kontinentalsperre Napoleons. Die letzten Reste venetianischen Handels wurden vernichtet. An der Möglichkeit, in diesem untergehenden Seehandel noch etwas zu gewinnen, verzweifelnd, übertrugen die Kapitalisten Venedigs naturgemäss ihr Kapital auf die gegenüberliegende Küste des Adriatischen Meeres, wo der Triester Landhandel zur gleichen Zeit eine Steigerung aufs Doppelte in Aussicht stellte. So förderte Venedig selbst das Wachstum Triests – ein Schicksal, das allen Seedespoten gemeinsam ist. Holland legte den Grund zu der Grösse Englands; England errichtete den machtvollen Bau der Vereinigten Staaten.
Einmal mit Oesterreich vereint, hatte Triest eine ganz andere natürliche Position inne als jemals Venedig. Triest bildete den natürlichen Ausläufer eines weiten und unerschöpflichen Hinterlandes, während Venedig niemals etwas anderes gewesen war als ein isolierter, entfernt liegender Hafen des Adriatischen Meeres, der sich des Güterverkehrs der Welt bemächtigte und diese Usurpation auf der Unwissenheit einer mit ihren Hilfsquellen unbekannten Gesellschaft aufbaute. Das Gedeihen Triests ist daher nur von der Entwicklung der Produktivkräfte und Verkehrsmittel in jenem ungeheuren Komplex von Ländern abhängig, die jetzt unter österreichischer Herrschaft stehen. Ein anderer Vorteil Triests ist seine Nähe zur Ostküste des Adriatischen Meeres, die gleichzeitig die Grundlage für einen den Venetianern fast gänzlich unbekannten Küstenhandel bildet; hier ist auch die Pflanzschule für jene kühne Rasse von Seeleuten, die Venedig niemals ganz für sich zu verwerten imstande war. Wie der Niedergang Venedigs gleichen Schritt hielt mit dem Erstarken des Ottomanenreichs, so besserte sich die Lage Triests mit der zunehmenden Ueberlegenheit Oesterreichs über die Türkei. Auch in seinen besten Zeiten war der Handel Venedigs durch die Teilung des Orienthandels beeinträchtigt, die auf politischen Ursachen beruhte. Einerseits hatte der Handelsweg über die Donau mit der venetianischen Schiffahrt kaum etwas zu tun; anderseits beherrschten die Genuesen unter dem Schutz der griechischen Herrscher den Handel mit Konstantinopel und dem Schwarzen Meer, während Venedig, von den katholischen Königen gefördert, den Handel Moreas, Cyperns, Aegyptens, Kleinasiens etc. etc. monopolisierte. Erst Triest hat diese beiden grossen Teile des Levantehandels mit dem Donauhandel vereinigt. Zu Ende des XV. Jahrhunderts fand sich Venedig sozusagen geographisch beiseite geschoben. Sein Privileg, die Nachbarschaft zu Konstantinopol und Alexandrien, damals den Zentren des Adriatischen Handels, wurde durch die Umsegelung des Kaps der Guten Hoffnung gebrochen, die den Schwerpunkt dieses Handels zuerst nach Lissabon, dann nach Holland, endlich nach England verlegte. Die privilegierte Stellung, die Venedig verloren, wird in der Gegenwart wahrscheinlich von Triest wiedererobert werden, infolge der Erbauung des Suezkanals. Die Triester Handelskammer hat sich nicht nur mit der Französischen Gesellschaft für den Suezkanal verbunden, sie hat auch Agenten zur Erforschung des Roten Meeres und der Küsten des Indischen Ozeans ausgesandt, um die in jenen Gegenden beabsichtigten Handelsoperationen zu fördern. Ist die Landenge einmal durchbrochen, dann wird Triest notwendig ganz Osteuropa mit indischen Waren versorgen; es wird dem Wendekreis des Krebses wie Gibraltar gleich nahe sein und eine Fahrt von 5.000 Meilen wird seine Schiffe zu den Sundastrassen bringen.
Haben wir nun die Grundlage und Aussichten des Triester Handels erörtert, so soll noch eine Tabelle folgen, die die Handelsbewegung dieses Hafens während der letzten zehn Jahre darstellt:
|
Schiffe |
Tonnengehalt |
|
Schiffe |
Tonnengehalt |
1846 |
16.782 |
985.514 |
1851 |
24.101 |
1.408.802 |
1847 |
17.821 |
1,007.330 |
1852 |
27.981 |
1.556.652 |
1848 |
17.812 |
926.815 |
1853 |
29.317 |
1.675.885 |
1849 |
20.553 |
1.269.258 |
1854 |
26.556 |
1.730.910 |
1850 |
21.124 |
1.323.796 |
1855 |
21.081 |
1.489.197 |
Der Durchschnitt der ersten drei Jahre dieser Periode betrug 973.220 Tonnen, der der letzten drei Jahre 1.631.664 Tonnen [2], die Zunahme innerhalb eines so kurzen Zeitraumes ist also enorm, 68 : 100. [3] Marseille weist bei weitem nicht die gleicheSchnelligkeit des Wachstums auf. Die Prosperität Triests ruht ausserdem auf um so festerer Grundlage, als sie von dem vermehrten Handelsverkehr sowohl mit österreichischen wie mit ausländischen Häfen stammt. Der Gesamthandel stieg zum Beispiel von 1846 bis 1848 durchschnittlich auf 416.709 Tonnen im Jahr, von 1853 bis 1855 auf 854.753 Tonnen im Jahresdurchschnitt, auf mehr als das Doppelte. Während der Jahre 1850 und 1855 betrug der Tonnengehalt der österreichischen Schiffe, die Triest aufsuchten, 6.206.316, der der ausländischen 2.984.928. Der Handel mit Griechenland, Aegypten, der Levante und dem Schwarzen Meer stieg während der gleichen Periode von 257.741 auf 496.394 Tonnen.
Trotz alledern ist der heutige Handel und die heutige Schiffahrt Triests noch weit von dem Punkt entfernt, wo der Handel eine Sache gewöhnlicher Routine und ganz selbstverständliche Wirkung voll entfalteter Produktivkräfte ist. Man denke nur an die ökonomische Lage Oesterreichs, an die unvollkommene Ausgestaltung seiner Verkehrsmittel, an den grossen Teil seiner Bevölkerung, der sich noch in Schafpelze kleidet und aller höheren Bedürfnisse bar ist. In demselben Mass, in dem Oesterreich seine Verkehrsmittel ausbaut, und wenn es sie bloss auf die gleiche Stufe mit Deutschlands Bahnen bringt, wird auch der Handel von Triest rasch und kraftvoll ins Innere des Reiches vordringen. Die Vollendung der Eisenbahn von Triest nach Wien mit einer Zweiglinie von Cilli nach Pest wird eine Revolution im österreichischen Handel einleiten, aus der niemand grösseren Vorteil ziehen wird als Triest. Diese Bahn wird sicherlich mit einem Warenumschlag beginnen, welcher grösser ist als der von Marseille; aber den Umfang, welchen er annehmen kann, vermag man sich erst zu vergegenwärtigen, wenn man bedenkt, dass die Länder, für deren Seehandel das Adriatische Meer der einzige Ausgangspunkt ist, eine Bevölkerung von 30.966.000 Einwohner besitzen, soviel wie Frankreich im Jahre 1821, und das Hinterland des Triester Hafens 60.398.000 Hektar umfasst, also um sieben Millionen Hektar mehr als Frankreich. Es ist also Triests Bestimmung, in der nächsten Zeit die Bedeutung zu erlangen, die Marseille, Bordeaux, Nantes und Flavre zusammengenommen für Frankreich besitzen.
In einem früheren Artikel haben wir die natürlichen Bedingungen dargetan, die die Wiederbelebung des Adriahandels in Triest herbeigeführt haben. Die Entwicklung dieses Handels ist grösstenteils den Bemühungen des Oesterreichischen Lloyd geschuldet, einer Gesellschaft, die von Engländern gegründet wurde, aber seit 1836 in der Hand Triestiner Kapitalisten ist. Im Anfang hatte der Lloyd nur einen Dampfer, der einmal wöchentlich zwischen Venedig und Triest fuhr. Diese Verbindung wurde bald zu einer täglichen ausgestaltet. Allmählich vermehrten die Dampfer des Lloyd den Handel von Rovigno, Fiume, Pirano, Zara und Ragusa an der istrischen und der dalmatinischen Küste. Als nächstes kam die Romagna, dann Albanien, Epirus, Griechenland an die Reihe. Die Dampfer hatten das Adriatische Meer noch nicht verlassen, als der Archipel, Saloniki, Smyrna, Beyrut, Ptolemais und Alexandrien sich um Aufnahme in das Verkehrsnetz bewarben, das der Lloyd plante. Endlich drangen seine Schiffe ins Schwarze Meer und eroberten unmittelbar vor den Augen Russlands und der Türkei die Linien, welche Konstantinopel mit Sinope, Trapezunt, Varna, Braila und Galatz verbanden. So rückt die Gesellschaft, die nur für die österreichische Küstenschiffahrt im Adriatischen Meer gegründet worden war, immer weiter ins Mittelländische Meer und wartet, nachdem sie sich das Schwarze Meer gesichert, augenscheinlich nur auf die Eröffnung des Suezkanals, um in das Rote Meer und den Indischen Ozean vorzudringen.
Das Kapital des Lloyd, das ursprünglich auf 1.000.000 fl. festgesetzt war, ist durch wiederholte Emission von neuen Anteilscheinen und durch Anleihen auf 13.000.000 fl. gestiegen. Seine Leistungen seit dem Jahre 1836 zeigt der letzte Direktorenbericht:
|
1836/37 |
1853/54 |
Kapital |
1.000.000 fl. |
8.000.000 fl. |
Zahl der Dampfer |
7 |
47 |
Pferdekräfte |
63 |
7.990 |
Tonnengehalt |
1.944 |
23.665 |
Wert der Schiffe |
798.824 fl. |
3.010.000 fl. |
Zahl der Fahrten |
87 |
1.465 |
Zur%uuml;ckgelegte Meilen |
43.652 |
776.415 |
Passagiere |
7.967 |
331.688 |
Umsatz [4] |
3.934.269 fl. |
59.523.125 fl. |
Briefe und Depeschen |
35.205 |
748.930 |
Stückgüter |
5.752 |
565.508 |
Gesamtausgaben |
232.267 fl. |
3.611.156 fl. |
In siebzehn Jahren betrugen der Gesellschaft
Totalausgaben (inklusive Dividenden) |
25.147.403 fl. |
Totaleinnahmen |
26.032.452 fl. |
Die daraus resultierende Reserve beträgt |
885.049 fl. |
Der Lloyd, wie aus den angeführten Zahlen hervorgeht, selbst eine Handelsunternehmung von grosser Bedeutung, hat überall dort, wo seine Schiffe landeten, das Wachstum von Industrie und Handel ausserordentlich gefördert. Indem man den Wert des österreichischen Zentners auf 300 fl. und das Gepäck eines jeden Passagiers auf 10 fl. anschlug, hat man berechnet, das der Lloyd von 1836 bis 1853 transportierte:
In Waren |
1.255.219.200 fl. |
An Gepäck |
84.847.930 fl. |
An Barren und Münzgeld. |
461.113.767 fl. |
Zusammen |
1.801.180.897 fl. |
„Es ist gewiss,“ sagt ein französischer Autor, „dass die stillen, aber ausdauernden Bemühungen dieser Handelsgesellschaft für das Schicksal der Levante auf Jahre hinaus mindestens ebenso bedeutsam und um vieles ehrenhafter waren als die der österreichischen Diplomaten.“
Die Wiederbelebung des Handels und die Entwicklung der Dampfschiffahrt im Adriatischen Meer muss über kurz oder lang eine adriatische Flotte ins Leben rufen, die seit dem Rückgang Venedigs nicht mehr existierte. Napoleon wollte, ganz aus dem ihm eigentümlichen Geiste heraus, eine Flotte erschaffen, ohne erst auf die Wiederherstellung des Seehandels zu warten – ein Experiment, das er gleichzeitig in Antwerpen und in Venedig machte. War es ihm gelungen, Armeen zu sammeln, ohne dass ein Volk hinter ihnen stand, so zweifelte er auch nicht an seiner Macht, Flotten zu bauen ohne eine Marine, an die sie sich anlehnen konnten. Aber von den Unmöglichkeiten, die einem solchen Plan notwendigerweise anhaften, abgesehen, stiess Napoleon auf völlig unerwartete Schwierigkeiten lokalen Charakters. Nachdem er seine fähigsten Ingenieure nach Venedig gesandt, die Befestigungen der Stadt ergänzt, das schwimmende Material instand gesetzt, die Werften wieder in volle Tätigkeit gebracht hatte, stellte es sich heraus, dass der technische Fortschritt in Seekrieg und Schiffahrt Venedigs Hafen zu der gleichen Bedeutungslosigkeit verurteilt hatten, die das Schicksal von Venedigs Handel infolge der neuen Handelswege geworden war. Man fand, dass der Hafen sich zwar für die alten Galeeren trefflich eignete, aber der Tiefe entbehrte, die moderne Linienschiffe, brauchen und dass sogar Fregatten nur dann einfahren konnten, ohne ihre Geschütze auszuladen, wenn gleichzeitig Südwind und Flut eintrat. Nun ist es für moderne Kriegshäfen eine Lebensfrage, dass sie jederzeit Schiffen Einfahrt gewähren und tief und geräumig genug sind, eine ganze Flotte aufzunehmen, sei es zum Angriff oder zur Verteidigung. Bonaparte sah ein, dass er ausserdem noch einen anderen Fehler begangen hatte. In den Verträgen von Campo Formio und Luneville hatte er Venedig von der Ostküste des Adriatischen Meeres abgetrennt und sich dadurch selbst der Mannschaft beraubt, die er für seine Schiffe brauchte. Von der Mündung des Isonzo bis Ravenna suchte er vergebens nach einer seetüchtigen Bevölkerung, da die Gondoliere Venedigs und die Fischer der Lagunen, ein furchtsamer und dürftiger Menschenschlag, zu irgendeiner Verwendung auf dem Meere gänzlich untauglich waren. Napoleon sah jetzt, was die Venezianer schon im X. Jahrhundert entdeckt hatten, dass die Herrschaft über das Adriatische Meer dem Besitzer seiner Ostküste anheimfällt. Er begriff, dass die Verträge von Campo Formio und Luneville ungeheure Missgriffe waren, da sie Oesterreich die seetüchtige Bevölkerung des Adriatischen Meeres auslieferten, ihm selbst aber nur den Namen eines verfallenen Hafens, magni nominis umbram (den Schatten eines grossen Namen), übrig liessen. Um seine früheren Schnitzer gutzumachen, ergriff er in den folgenden Verträgen von Pressburg und Wien Besitz von Istrien und Dalmatien.
Schon Strabo hat vor langer Zeit bemerkt, dass, während an der adriatischen Küste Italiens Buchten und Häfen völlig fehlen, die gegenüberliegende Küste Illyriens an ausgezeichneten Häfen überreich ist; und wahrend Roms Bürgerkriegen sehen wir, wie Pompejus an den Küsten von Epirus und Illyrien ganz leicht grosse Flotten aufstellen kann, während es Cäsar auf der italienischen Seite nur nach beispielloser Anstrengung gelingt, eine kleine Zahl von Booten zusammenzubringen, um seine Truppen in Abteilungen überzusetzen. Mit ihren tiefen Einschnitten, ihren wilden Felseninseln, ihren sich überall hinstreckenden Sandbänken, ihren trefflichen Schlupfhäfen ist die Küste Illyriens und Dalmatiens eine erstklassige Pflanzschule für tüchtige Seeleute – Burschen mit starken Gliedern und unerschrockenen Herzen, in den Stürmen festgeworden, die fast täglich das Adriatische Meer durchbrausen. Die Bora, der grosse Störe-fried dieses Meeres, erhebt sich stets ohne das kleinste Warnungszeichen; mit der Gewalt eines Tornado überfällt sie die Seeleute und gestattet nur dem Kühnsten, auf dem Deck zu bleiben. Manchmal rast sie wochenlang, am heftigsten zwischen der Bocche di Cattaro und dem Südende von Istrien. Der Dalmatiner aber ist von Kindheit auf gewöhnt, ihr Trotz zu bieten; er wird hart unter ihrem Atem und verlacht die armseligen Winde anderer Meere. So tun sich Luft, Land und See zusammen, um den robusten und nüchternen Seefahrer dieser Küste zu zeugen.
Sismondi hat bemerkt, dass die Seidenmanufaktur so zu den lombardischen Bauern gehört wie das Seidenspinnen zum Seidenwurm. So gehört das Leben auf dem Meer ebenso zum Dalmatiner wie zum Seevogel. Piraterie ist das Thema ihrer Volkslieder wie der Landraub das Thema der alten teutonischen Dichtung. Der Dalmatiner pflegt noch immer das Andenken an die wilden Heldentaten der Uskoken, die vor anderthalb Jahrhunderten die regulären Truppen Venedigs und der Türkei in Schach hielten und deren Siegeszug erst durch den Vertrag zwischen Oesterreich und der Türkei vom Jahre 1617 gehemmt wurde, während sie sich bis dahin reichlicher Protektion des Kaisers erfreut hatten. Die Geschichte der Uskoken hat keine Parallele äusser in den Schicksalen der Kosaken vom Dnjepr; die einen aus der Türkei, die anderen aus Polen vertrieben; jene über das Adriatische, diese über das Schwarze Meer Schrecken verbreitend; die ersteren zu Beginn heimlich unterstützt und dann vernichtet von Oesterreich, die letzteren von Russland. Die dalmatinischen Matrosen in dem Mittelmeergeschwader des Admirals Emerian fanden die Bewunderung Napoleons. Zweifellos besitzt die Ostküste des Adriatischen Meeres das Material, eine Flotte höchsten Ranges zu bemannen. Das einzige, was ihm fehlt, ist Disziplin. Durch eine Zählung im Jahre 1813 stellte Napoleon die Existenz von 43.500 Seeleuten an diesen Ufern fest:
Triest |
12.000 |
Spalato |
5.000 |
Fiume |
6.000 |
Ragusa |
8.500 |
Zara |
9.500 |
Cattaro |
2.500 |
Ihre Zahl muss heute mindestens 55.000 betragen.
Nachdem die Mannschaft gefunden war, forschte Napoleon nach Häfen für die Adriatische Flotte. Die illyrischen Provinzen waren durch den Wiener Frieden 1809 definitiv erworben worden, aber französische Truppen hielten sie schon seit der Schlacht bei Austerlitz besetzt und Napoleon benützte die Vorteile, die der Kriegszustand ihm bot, um die grossen Arbeiten vorzubereiten, die im Frieden ausgeführt werden sollten. 1806 entschied sich Herr Beautemps-Beaupré, von mehreren Ingenieuren unterstützt, endgültig für den Hafen von Pola, an der Südspitze der Halbinsel von Istrien. Die Venezianer, die abgeneigt waren, ihre Seemacht anderwärts als in Venedig zu stationieren, hatten Pola nicht nur vernachlässigt, sondern auch aus Angst die Meinung verbreitet, dass eine angebliche Sandbank Pola für Kriegsschiffe unzugänglich mache. Herr Beaupré stellte fest, dass eine solche Sandbank nicht existiere und Pola alle Bedingungen eines modernen Kriegshafens erfülle. Zu verschiedenen Zeiten -war es der Sitz von adriatischen Seemächten gewesen. Es war der Mittelpunkt der Operationen der Römer während ihrer illyrischen und pannonischen Kriegszüge und wurde unter dem römischen Reich dauernd Kriegshafen. Tief und geräumig in jeder Richtung, wird der Hafen von Pola auf der Front von Inseln gedeckt, im Hintergrund durch Felsen, die die Stellung beherrschen. Sein einziger Nachteil besteht in seiner Ungesundheit und den Fiebern, die es heimsuchen, die aber, wie Herr Beautemps-Beaupré versichert, einer systematischen Entwässerung weichen werden; bisher ist diese noch nicht durchgeführt worden.
Die Oesterreicher haben sich mit dem Gedanken, dass sie eine Seemacht werden, nur sehr langsam vertraut gemacht. Bis vor ganz kurzer Zeit war in ihren eigenen Augen ihre Marine nur eine Unterabteilung des Heeres. Ein Oberst in der Armee kam an Rang einem Linienkapitän gleich, ein Oberstleutnant einem Fregattenkapitän, ein Major einem Korvettenkapitän; und die gleiche Stellung in der Rangliste schien den Oesterreichern auch auf die gleiche Bedeutung der verschiedenen Funktionen hinzudeuten. Galt es einen Seekadetten zu ernennen, so hielten sie es für das Ratsamste, ihn zuvor zu einem Husarenkorvett auszubilden. Die Rekruten wurden für die Flotte auf dieselbe Weise ausgehoben wie für das Heer, mit dem einzigen Unterschied, dass Istrien und Dalmatien ausschliesslich für den Seedienst bestimmt waren. Die Dienstzeit war gleich: acht Jahre zu Land wie zu Wasser.
Die Trennung der Marine vom Heer ist, gleich allem modernen Fortschritt in Oesterreich, das Resultat der Revolution vom Jahre 1848. Trotz der Erfahrungen, die Napoleon gemacht hatte, blieb Venedig bis 1848 der einzige Kriegshafen Oesterreichs. Seine Mängel berührten Oesterreich nicht, weil es faktisch überhaupt keine moderne Flotte hatte. Seine Seemacht bestand aus nur 6 Fregatten, 5 Korvetten, 7 Briggs, 6 Schaluppen, 16 Dampfern und 36 armierten Booten – insgesamt 850 Geschütze. Um die italienische Revolution zu bestrafen, verlegte Oesterreich die Schiffsschule, das Observatorium, das hydrographische Institut, das schwimmende Material und den Artilleriepark von Venedig nach Triest; und so wurde die Marine aus Bureaukraten-rache in zwei Teile geschnitten. Statt dass Venedig bestraft wurde, wurde die Leistungsfähigkeit beider Teile herabgesetzt. Allmählich entdeckte die österreichische Regierung, dass, so glänzend Triest sich auch als Handelshafen bewähre, es doch für Marinezwecke ungeeignet sei. Sie musste sich endlich der Lehre erinnern, die Napoleon im Adriatischen Meer empfangen hatte, und Pola zum Zentrum der Marineverwaltung machen. Ganz nach österreichischer Gewohnheit wurden die ersten Jahre nach der Verlegung der Admiralität nach Pola dazu verwendet, statt Werften Kasernen zu bauen. Das Verteidigungssystem besteht in dem Kreuzfeuer, das von den Inseln auf den Hafeneingang gerichtet wird, und in der Verwendung von Maximilianstürmen, die die Schiffe verhindern sollen, Bomben in den Hafen zu werfen. Äusser seinen strategischen Vorteilen besitzt Pola auch die für einen guten Hafen unentbehrlichen Qualitäten, da es wohl imstande ist, eine starke Flotte auszurüsten. Istrien hat Eichen gleich Neapel; Krain, Kärnten und Steiermark sind unerschöpflich reich an Fichten, die schon den Hauptartikel der Triester Ausfuhr bilden; Steiermark besitzt grosse Eisenlager; für den Hanf von Ancona ist Pola der bequemste Markt; Kohle wird bis jetzt noch von England geliefert, aber in den dalmatinischen Gruben bei Sebenico beginnt man bessere Sorten zu fördern und wenn die Bahn zwischen Triest und Wien eröffnet ist, kann vom Semmering her beste Qualität kommen. Die Produkte Istriens, auf kalkigem Boden wachsend, vertragen sämtlich lange Transporte. Oel ist reichlich vorhanden, ungarischer Weizen ganz in der Nähe, Schweine liefert das Donautal in ungeheuren Massen. Diese Schweine werden jetzt nach Galatz und Hamburg befördert, aber die Eisenbahn wird sie nach Triest und Pola bringen.
Gegenüber all diesen ausgezeichneten Bedingungen für die Erneuerung einer adriatischen Seemacht gibt es nur ein Hindernis – Oesterreich selbst. Könnte Oesterreich bei seiner jetzigen Organisation und unter seiner gegenwärtigen Regierung eine starke Handels- und Seemacht im Adriatischen Meer entwickeln, so würde es allen .raditionen der Geschichte ins Gesicht schlagen, die von jeher Macht zur See an Freiheit geknüpft. Anderseits die Traditionen über den Haufen zu werfen, hiesse Oesterreich selbst über den Haufen werfen.
1. Hermann, herausgegeben von G. Kinkel in London, 28. März 1859.
2. Richtig: 1,631.997 Tonnen. Der Herausgeber.
3. Richtig: 69 : 100. Der Herausgeber.
4. im Original: Bullion.
Zuletzt aktualisiert am 21. Dezember 2023