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Selbst ein Optimist muss gestehen, dass für die nächste Zukunft die Aussichten der Arbeiterbewegung und des Sozialismus sehr trübe sind. In der schon zitierten Stelle aus der Schrift über den Aufstand der österreichischen Arbeiter erklärt Otto Bauer, dieser Aufstand habe „der faschistischen Reaktion der ganzen Welt eine drohende Warnung entgegengestellt“.
Ich wünschte, es wäre so. Doch fürchte ich, es sei eher das Gegenteil der Fall. Seit langem wissen die Reaktionäre, dass die Ausfechtung eines Konflikts mit Waffengewalt diejenige Form der Auseinandersetzung mit dem Proletariat ist, die ihnen am ehesten den Sieg, und zwar den vollen Sieg verspricht. Die Reaktion ging stets darauf aus, die Kräfte der Demokratie zu bewaffneten Erhebungen zu provozieren; sie sah in der Möglichkeit solcher Erhebungen nie eine „drohende Warnung“, die sie schreckte, sondern eine frohe Verheißung, die sie lockte. Bestände wirklich die Aussicht, dass sich die Wiener Vorkommnisse überall dort wiederholen werden, wo es noch eine freie Arbeiterbewegung gibt, so flößte das der Reaktion kein anderes Gefühl ein als das froher Siegeszuversicht.
Doch dahin wird es nicht kommen. Die Reaktion mag noch so sehr zu allen möglichen Teufeleien greifen, die Wiener Tage werden insofern eine ganz eigenartige Erscheinung bleiben, als der Schutzbund etwas ganz Einzigartiges war, das sich schwerlich irgendwo wiederholen wird und kann.
Natürlich können Versuche gemacht werden, im Geheimen von neuem eine bewaffnete Macht des Proletariats zu organisieren. Aber ein Geheimbund wird nie eine Massenorganisation sein; je mehr Mitglieder er zählt, desto größer die Gefahr des Einschleichens von Verrätern. Und an eine Bewaffnung, die es mit den technischen Mitteln der staatlichen Exekutive auch nur einigermaßen aufnehmen könnte, ist bei einem Geheimbund nicht zu denken.
Alle Versuche, etwas dem Schutzbund Ähnliches im Geheimen aufzustellen, können nichts anderes sein als eine Wiederbelebung des alten Blanquismus. Dessen Verschwörungspolitik haben Marx und Engels seit jeher abgelehnt, obwohl ihnen der Blanquismus sonst näher stand als die andern sozialistischen Richtungen, die vor dem Marxismus bestanden. Wo eine öffentliche Arbeiterbewegung nicht möglich war, mussten auch Marx und Engels die Notwendigkeit geheimer Organisationen anerkennen, aber nur zu Zwecken der Informierung der Arbeiter, der Aufklärung über den wirklichen Gang der Welt, den die erlaubte Presse gefälscht darstellt, und zur Herbeiführung eines engeren Zusammenhangs der Gleichgesinnten. Dieser Zusammenhalt sollte sie befähigen, einheitlich und zweckmäßig in jede politische Regung im Staate einzugreifen, jeder Regung des Widerstandes der unteren Klassen mehr Kraft und Dauer zu verleihen, als sie sonst erlangen würde. Dass solche Regungen kommen würden, dafür bürgte ihnen die Macht der ökonomischen Bedingungen und Interessen, und ihre Erwartung trog sie nicht.
Dabei aber blieben sie sich dessen wohl bewusst, welche Bedeutung im Staatsleben die Verfügung über eine bewaffnete Macht dort erlangt, wo diese einer waffenlosen oder schlecht bewaffneten Menge gegenübersteht.
Auch wenn diese die Mehrheit im Staat gewann und damit nach den Bedingungen der Demokratie zur politischen Herrschaft gelangen sollte, drohte ihr die Gefahr, dass die bisherigen herrschenden Klassen an das Heer appellierten, über das sie verfügten, und das Volk niederschlugen, das nach seinem Recht verlangte. Wie sollten sich die waffenlosen oder doch unzureichend bewaffneten Proletarier der Armee erwehren?
Manche suchten die Lösung des Problems auf technischem Wege. Die moderne Sprengtechnik sollte helfen. Unter dem Sozialistengesetz glaubte mancher deutsche Revolutionär, das kurz vorher erfundene Dynamit könne die bewaffnete Macht der Gegner lahm legen. Und jüngst wieder erklärt E. Franzel in seinem schon zitierten Schriftchen, eine „proletarische Avantgarde, die im Besitz von Spezialwaffen sei“, vermöge den „Kampf gegen eine reguläre Armee aufzunehmen“. (S. 30)
Aber alles, was auf dem Gebiete der Vernichtungsmittel geleistet werden kann, ist den militärischen Fachleuten der Staatsgewalt sicher ebenso gut bekannt, wenn nicht besser als den Kriegsdilettanten im Volke. Jede neue Erfindung auf diesem Gebiet wird von jenen Fachleuten eingehend geprüft, und, wenn bewährt, eingeführt. Der Staat verfügt zu diesem Zwecke über ganz andere Mittel und Möglichkeiten als geheime Organisationen armer Proletarier. Noch jedes mal, wenn uns Techniker des Bürgerkrieges eine neue große Erfindung anpriesen, die Unerhörtes an Vernichtungskraft leiste und bei den Gegnern nicht eingeführt sei, hat sie sich bei näherer Betrachtung als etwas erwiesen, das entweder dem Militär wohl bekannt war, von ihm selbst angewandt wurde; oder aber, und das war die Regel, als Phantasterei, die bei der ersten Anwendung versagte. Auf dem Gebiete der Kriegstechnik werden die regulären Heere stets dem Zivil überlegen bleiben. Und ihre Überlegenheit auf diesem Gebiete wächst von Tag zu Tag.
Marx und Engels suchten die Lösung des Problems nicht auf dem Gebiete der Technik, sondern auf dem der sozialen Psychologie.
Der Geist der Truppe ist in jedem Krieg das Entscheidende. Die beste Bewaffnung verhilft dem Krieger nicht zum Siege, wenn er unwillig oder unschlüssig ist. Derartiges wird sich selten ereignen einem auswärtigen Gegner gegenüber, es kann aber eintreten dann, wenn die Kriegsleute aufgefordert werden, die eigenen Volksgenossen zu töten, „auf Vater und Mutter zu schießen!“
Nun sahen Marx und Engels nicht nur, dass sich im Laufe der sozialen Entwicklung die Klassengegensätze immer mehr verschärften und das Proletariat im Verhältnis zu den andern Klassen immer zahlreicher wurde – die unteren Angestellten als Proletarier betrachtet – und an Selbständigkeit des Denkens und Kraftgefühl zunahm; sie sahen auch, dass im Militärwesen gleichzeitig eine Entwicklung vor sich ging, die den Einfluss des proletarischen Denkens im Heer immer mehr steigerte.
Die Militärmächte wiesen alle das Milizsystem ab, sie brauchten ein stehendes Heer, nicht dem äußeren Feind gegenüber, den die Miliz ebenso gut abwehren konnte, wohl aber dem inneren Feind gegenüber; da war die Miliz nicht zu brauchen, wenn es sich nicht um kleine, lokale Unruhen handelte, sondern um eine große, machtvolle Volksbewegung. Da musste man über Soldaten verfügen, die, vom Volke getrennt, so lange in den Kasernen lebten, dass sie ein eigenes Standesbewusstsein erhielten und der Kadavergehorsam ihnen zur zweiten Natur wurde. Dazu brauchte man eine längere Dienstzeit, die wieder, schon aus ökonomischen Gründen, bewirkte, dass die Heere eine gewisse Größe nicht überschreiten konnten. Die allgemeine Wehrpflicht kam bis in die sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts in keinem der Militärstaaten zum Durchbruch. Auch in Preußen, wo sie eingeführt worden, stand sie bloß auf dem Papier.
Seitdem beginnt aus Gründen, die näher darzulegen zu weit führen würde, eine Ära des Wettrüstens, die nicht nur zu beständiger Verbesserung der Waffen führte, sondern auch zu steter Vergrößerung der Heereszahlen, was wieder, schon aus ökonomischen Gründen, eine erhebliche Verringerung der Dienstzeit notwendig machte. Dazu kam, dass die physische Überlegenheit der Bauern über die Industriearbeiter immer mehr abnahm und gleichzeitig die städtische Bevölkerung auf Kosten der ländlichen immer mehr wuchs.
Alles das bewirkte, dass das proletarische Element in der Armee immer mehr zunahm und gleichzeitig das proletarische Bewusstsein in immer mehr Soldaten lebendig blieb. Darauf bauten unsere Meister.
In jedem Staat Europas, mit Ausnahme Russlands, hatte die industrielle Entwicklung, mitunter auch ein Krieg die Gewährung eines gewissen Ausmaßes von Demokratie herbeigeführt. Gleichzeitig wuchs überall die Partei des Proletariats. Engels, der Marxum ein Dutzend Jahre überlebte, bekam diese Zeit noch ganz gut zu sehen. Er war sich jedoch dessen wohl bewusst, dass die herrschenden Klassen nicht ruhig zusehen würden, bis ihnen das Wasser an die Kehle ging. Sie würden vorher schon bewaffnete Auseinandersetzungen mit dem Proletariat herbeizuführen suchen, um dieses blutig niederzuwerfen. Die Aufgabe der Führer des Proletariats sahen Marx und Engels und mit ihnen Bebel und Liebknecht darin, diesen Zeitpunkt für so lange hinauszuschieben, bis das Heer durch die unvermeidliche soziale Entwicklung so unzuverlässig geworden war, dass es sich gegen das Volk nicht mehr aufbieten ließ.
Die Zeit arbeitete für die Sozialdemokratie. Von Tag zu Tag dehnte sich ihr Werbungsgebiet mehr aus, wuchs die Zahl der Proletarier, wuchsen deren Organisationen, wuchs die Disziplin und die Schulung der Arbeiter. Die Sozialdemokratie hatte also alle Ursache, die Entscheidungsschlacht um die politische Macht möglichst weit hinauszuschieben.
Die Gegner hatten, gerade weil die Zeit gegen sie arbeitete, alle Ursache, die Entscheidungsschlacht raschest herbeizuführen, solange sie uns noch überlegen waren, und das größte Interesse, sie gerade auf jenem Gebiet herbeizuführen, auf dem ihre Überlegenheit am offenkundigsten: auf dem Gebiet des bewaffneten Zusammenstoßes.
Deutschland war der Staat, in dem vor dem Weltkrieg die Sozialdemokratie am stärksten war, wo sie am auffallendsten wuchs. In Deutschland trachteten die Regierungskreise und die rabiatesten Ausbeuter, Agrarier und Schwerindustrielle, am meisten, die Arbeiter zu einer bewaffneten Erhebung zu provozieren. In Deutschland war die Sozialdemokratie am eifrigsten bemüht, dieses Ereignis möglichst hinauszuschieben, mochten auch viele Genossen das nicht verstehen und diese Politik als ein Zeichen von Feigheit betrachten. Namentlich seit der russischen Revolution von 1905 wendeten sich viele ungeduldige Sozialisten gegen die Politik des Hinausschiebens. Dennoch ist sie im Großen und Ganzen den Sozialdemokraten, die in Deutschland vor dem Weltkrieg zur Partei kamen, in Fleisch und Blut übergegangen.
Sichtlich aber rückte der Tag immer näher, an dem das Proletariat als die stärkste Kraft der Demokratie in den Entscheidungskampf mit der Militärmonarchie geraten musste, in Deutschland, Russland, Österreich. Es ist ein Unglück für die Entwicklung Europas, dass vorzeitig, ehe es so weit kam, der Weltkrieg ausbrach und diese Monarchien zum Zusammenbrechen führte, nicht durch die Kraft der Revolution, sondern durch die Übermacht fremder Armeen.
Der Weltkrieg hatte den organisatorischen und intellektuellen Aufstieg der Sozialdemokratie in Deutschland unterbrochen. Sein Ende sah sie an der Spitze des Staates, aber schwächer, als sie beim Ausbruch des Kriegs gewesen. Denn während seines Verlaufs hatte sie sich gespalten, und der größte Teil der Jugend, die inzwischen herangewachsen war, hatte in sozialen Dingen nichts gelernt und sich einem wüsten Kultus roher Gewalt ergeben. Die Verwüstungen des Krieges hatten das Reich in einen grauenhaften Trümmerhaufen verwandelt und den Beginn des sozialistischen Regimes zusammenfallen lassen mit einer Unsumme von Elend.
Gleichzeitig hatte die Beschränktheit der Führer der Demokratien des Westens, die über die deutsche Militärmonarchie gesiegt, nicht in der Militärmonarchie, sondern im deutschen Volke den Feind gesehen, der niederzuhalten war und daher den Besiegten eine der Grundlagen der Demokratie verboten, die allgemeine Wehrpflicht einer Miliz. Den Besiegten wurden nur kleine Heere von Berufssoldaten gestattet, deren Offizierskorps den Geist der alten Armee fortsetzte, deren Mannschaften, losgelöst vom Volke, gegen dieses verwendbar wurden. Als Ergänzung dieses Heeres bildeten sich aber jetzt Privatarmeen, die in Deutschland zumeist von der offiziellen Reichswehr gefördert wurden. Diese Armeen stellten auch eine Art Miliz dar, aber eine, die nicht das ganze Volk umfasste, sondern, soweit sie militärisch bewaffnet und geführt war, ausschließlich aus den wildesten Nationalisten und Kriegsschreiern bestand.
Wie ganz anders hätte eine wirkliche Miliz gewirkt, in der das ganze Volk vertreten war, dessen Mehrheit Frieden und Freundschaft mit aller Welt, auch den ehemaligen Kriegsgegnern, wollte und will!
Im Deutschen Reich kam die 1924 gegründete Wehrorganisation der Republikaner, das „Reichsbanner“, gegen die Privatarmeen der Reaktion ernstlich nicht in Frage, so bald diese sich auf die bewaffnete Macht der Reichsregierung stützen konnten. In Österreich haben wir jetzt gesehen, dass auch der weit besser bewaffnete Schutzbund trotz seines unerhörten Heroismus nicht vermochte, die bedrohte Demokratie zu retten.
Der Schutzbund bildete ein Mittelding zwischen Blanquismus und Miliz. Er war nicht so allumfassend wie diese, jedoch schloss er weit größere Massen in sich als eine blanquistische Verschwörung, die sich notwendigerweise nicht über einige hundert Mitglieder hinaus erstrecken konnte. Der Schutzbund unterschied sich auch durch seine Aufgaben von den blanquistischen Verschwörungen. Diese entstanden in Zeiten, in denen den arbeitenden Klassen alle Rechte fehlten. Der Blanquismus wollte ihnen durch Umsturz der bestehenden monarchistisch-oligarchischen Staatsverfassung die demokratische Republik erobern. Seine Aufgaben waren offensive. Die des Schutzbundes waren defensive: die Erhaltung der gewonnenen demokratischen Republik.
In seinen Anfängen unterschied sich der Schutzbund auch dadurch von einer blanquistischen Verschwörung, dass er legal, offen arbeiten konnte. Erst das Fortschreiten der Reaktion schränkte diese offene Tätigkeit immer mehr ein und machte ihr schließlich ein Ende. Aber stets blieb er, wegen seines legalen Ausgangspunktes, im Gegensatze zu den blanquistischen Verschwörungen, eine Organisation größerer Massen. Trotz dieser bedeutenden Unterschiede waren dem Schutzbund keine besseren Ergebnisse beschieden als den blanquistischen Erhebungen des Vormarxismus.
Bei den Bedingungen, die in den letzten Februartagen gegeben waren, konnte die bewaffnete Erhebung eines Teils der österreichischen Schutzbündler nicht zu einem militärischen Erfolg führen. Sie musste mit einer vernichtenden Niederlage der Aufständischen enden.
Schon im Jahre 1927 war es allen besonnenen Sozialdemokraten in Österreich klar, dass ein Aufstand verhängnisvoll ausgehen müsse. Damals, in den Julitagen, als die Polizei unter dem demonstrierenden Wiener Proletariat ein furchtbares Blutbad angerichtet hatte, erscholl unter den Arbeitern Wiens ein allgemeiner Schrei nach Waffen. Stürmisch verlangten sie danach, loszuschlagen. Die Eisenbahner und Postler stellten sofort die Arbeit ein und legten den Verkehr lahm, die gesamte Arbeiterschaft Wiens trat für einen Tag in einen Proteststreik ein, der lückenlos durchgeführt wurde. Der Parteivorstand lehnte es jedoch entschieden ab, weiter zu gehen und eine bewaffnete Erhebung heraufzubeschwören.
In einer Schrift über die Wiener Julitage 1927 legte Julius Braunthal die Gründe dar, die damals den leitenden Genossen die Verhinderung des Aufstandes zur Pflicht machten. Er hielt es nicht für ausgeschlossen, dass wir zunächst in Wien siegten. Trotzdem sei der schließliche Zusammenbruch der Erhebung unvermeidlich:
„Der Bewaffnung- des Schutzbundes, der Niederwerfung der Regierungsgewalt hätte die Diktatur der Arbeiterklasse unentrinnbar folgen müssen. Aber die Kommune, die sich auf dem Schlachtfeld des Bürgerkrieges erhoben hätte, sie wäre von der ersten Stunde ihres Bestandes umzingelt gewesen von den reaktionären Provinzen Österreichs, von den faschistischen Staatsmächten im Osten und Süden der Republik, die die Getreidezufuhr, das Wasser und den elektrischen Strom abgeschnitten, das ausländische Kapital aus der Wiener Industrie zurückgezogen, mit fremden Truppen die Kommune unterworfen hätten. Schon stand die ungarische Theißdivision konzentriert vor unserer burgenländischen Grenze. Hungersnot, Zusammenbruch der Industrie, Völkerkrieg wären wie die apokalyptischen Reiter nach dem Bürgerkrieg einhergeritten. Die Wiener Kommune hätte daher unweigerlich das furchtbare Schicksal der Pariser, der Budapester Kommune erfahren. Den wenigen Tagen der Diktatur des Proletariats wäre jahrelange entsetzensvolle Knechtschaft gefolgt. Darum widersetzte sich der Parteivorstand unbeugsam dem leidenschaftlichen Verlangen der Massen nach Waffen.“ (S. 41)
Seitdem sind freilich sieben Jahre verflossen, die Situation hat sich sehr geändert, aber nicht zugunsten des bewaffneten Widerstandes. Damals konnte eine Insurrektion noch mit der Möglichkeit rechnen, wenigstens Wien militärisch zu erobern. Bloß die Situation außerhalb Wiens schloss ein Gelingen des Aufstandes aus. Im Jahre 1934 dagegen war sogar in Wien selbst ein auch nur vorübergehender Erfolg ausgeschlossen. Im Juli 1927 funktionierte der Generalstreik lückenlos, dagegen war jüngst im Februar von einem solchen nichts zu spüren und man hörte auch nichts von einem „leidenschaftlichen Verlangen der Massen nach Waffen“. Im Jahre 1927 waren die Arbeiter noch besser beschäftigt und voll Zuversicht zur eigenen Kraft. Seitdem war die Krise eingetreten, die 1934 schon eine Dauer von fünf Jahren erreichte. Dieser Wandel der ökonomischen Bedingungen veränderte grundlegend auch die psychischen Bedingungen der Arbeiterschaft, unter denen ein Aufstand vor sich gehen konnte. Ihre Kampffähigkeit wurde von Jahr zu Jahr geringer. Gleichzeitig hatten sich aber auch die Bedingungen auf der andern Seite gewandelt, in einem uns ungünstigen Sinne. Aus der Armee, der Gendarmerie, der Polizei waren die letzten Reste jener Elemente entfernt oder unterdrückt worden, auf deren Zuzug im Falle einer Erhebung wir hätten rechnen können, die Ausrüstung der Heimwehren hat sich verbessert, den Geist der Gewaltsamkeit hatten in den regierenden Kreisen Österreichs die phänomenalen Erfolge Hitlers in Deutschland angestachelt. Durch alles das war die Kraft und Angriffslust unserer Gegner gewaltig gestiegen. Ihre Provokationen wuchsen von Tag zu Tag.
Diese wirkten auf eine Reihe der streitbaren Elemente des Schutzbundes so stark, dass es im Februar 1934 zu jener Erhebung kam, die von unseren leitenden Genossen noch sieben Jahre vorher mit guten Gründen abgelehnt worden war. Es kam zu der Erhebung gerade deshalb, weil die Gegner uns jetzt viel weniger fürchteten wie damals, die Situation für uns weit verzweifelter geworden war.
Kein Zweifel, dass die große Mehrheit derjenigen Schutzbündler, die im Februar zu den Waffen griffen, sich über die Situation insofern täuschte, als sie immer noch an die Möglichkeit eines Sieges glaubten und für den Sieg ihr Leben in die Schanze schlugen, Sie mochten meinen, 1927 sei der Parteivorstand zu zaghaft gewesen, sie wollten jetzt durch Wagemut und Entschlossenheit gut machen, was die „Bremser“ von damals versäumt.
Doch nicht alle täuschten sich über die Erfolgsaussichten. Es gab auch welche, die bloß aus Verzweiflung in den Tod gingen, weil sie sich entehrt gefühlt hätten, wenn sie sich zu einer „kampflosen Kapitulation“ entschlossen, wie Otto Bauer sagte. Sie wollten lieber kämpfend sterben als kampflos verderben. Gab es aber wirklich keine andere Alternative?
Man täte der großen Mehrheit der österreichischen Arbeiter unrecht, die sich am Aufstand nicht beteiligten, wenn man meint, sie hätten sich von ihm ferngehalten, um kampflos zu kapitulieren. Das war durchaus nicht ihre Absicht. Sie sahen nur die Dinge anders als die Aufständischen; nicht nur anders als jene Illusionäre, die mit einem Sieg rechneten, sondern auch als jene, die vermeinten, sich in einer Zwangslage zu befinden, die ihnen keine Wahl lasse, als ehrlose Unterwerfung oder bewaffnete Erhebung. Sie waren und sind entschlossen, den proletarischen Emanzipationskampf weiterzuführen, auch unter den schwierigsten Umständen. Sie waren nicht der Meinung, dass die Reaktion und das neue „autoritäre“ Regime, welche Formen sie immer annehmen mochten, imstande seien, der proletarischen Bewegung ein Ende zu bereiten, wohl aber fürchteten sie, dass die Niederlage eines bewaffneten Aufstandes die Bedingungen für den Fortgang der Bewegung nicht erleichtern, sondern vielmehr gewaltig erschweren müsste.
Sicher haben die Arbeiter, wie jede Klasse, das moralische Recht, drohender Unterjochung durch rohe Gewalt ihrerseits Gewalt entgegenzusetzen. Aber die moralische Pflicht dazu haben sie nur dort, wo die Gewaltanwendung Erfolg zu haben verspricht. Es kann geradezu Pflicht werden, auf die Gewaltanwendung zu verzichten, wenn ihr Misserfolg von vornherein feststeht und wenn die Niederlage die bereits verkümmerten Bewegungsmöglichkeiten der Arbeiterbewegung vollständig zu verschütten droht.
Was heißt: Kapitulation? Doch nur Auslieferung der Waffen und Ergebung in die Gefangennahme durch den Sieger, Verzicht auf jede von ihm nicht gestattete Betätigung.
Vor einer derartigen Kapitulation stand in Österreich im Februar wohl der Schutzbund, nicht aber die Arbeiterbewegung. Der Schutzbund war als solcher fertig, wenn er auf den Besitz von Waffen und auf die Übung in Waffen verzichtete. Die Arbeiterbewegung dagegen stand damit keineswegs am Ende ihres Lateins, auch dann nicht, wenn Gewerkschaften und Partei aufgelöst, ihre legalen Organe verboten wurden.
Als dies das Schicksal der deutschen Sozialdemokratie 1878 durch das Sozialistengesetz wurde, hat sie deswegen, weil sie auf gewaltsamen Widerstand verzichtete, noch lange nicht kapituliert. Sie hat den Kampf gegen Bismarck fortgeführt mit den der neuen Situation angepassten Mitteln und schließlich über ihren Widersacher gesiegt. Niemand hat die Haltung der deutschen Sozialdemokratie unter dem Sozialistengesetz als „beschämend“ empfunden. Wenn der Verzicht der Sozialdemokraten Deutschlands auf bewaffneten Widerstand gegen Papen-Hitler in der Internationale scharfe Verurteilung fand, so geschah es deswegen, weil man einen derartigen Widerstand keineswegs für aussichtslos hielt. Ob diese Auffassung bei den gegebenen Machtverhältnissen berechtigt war, können wir hier nicht untersuchen. Aber sicher hätte das Urteil der Internationale über das Verhalten der deutschen Arbeiter weniger absprechend gelautet, wenn sie 1932 jedes Gelingen einer Erhebung gegen Papen-Hitler für ausgeschlossen hielt.
Manche Verfechter des bewaffneten Aufstands unter Verhältnissen, wo seine Niederlage gewiss ist, haben sich eine Art Abschreckungstheorie zurechtgelegt. Sie erklärten vor dem Aufstand: Wohl müssen wir unterliegen, aber wir werden uns so hartnäckig wehren, dass der Sieger nur ein Trümmerfeld vorfindet. Das wird für ihn eine heilsame Warnung sein, es noch einmal mit der gewaltsamen Niederhaltung der Arbeiterschaft zu versuchen.
Derartiges hätte vielleicht aus der jetzigen Niederlage der Arbeiterschaft in Österreich hervorgehen können, wenn sie in ihrem Sturz den Sieger mit sich gerissen, wenn sie dabei alle jene Positionen in Trümmer gelegt hätte, die den Gegnern Macht und Reichtum verschaffen. Aber davon war keine Rede. Keine dieser Positionen wurde im Geringsten durch den Aufstand geschädigt, geschweige denn zerstört, viele wurden direkt gekräftigt. Soweit der Aufstand einen Trümmerhaufen hinterließ, waren es nur die umstrittenen Positionen des Proletariats. Alles, was die österreichische Arbeiterschaft in sieben Jahrzehnten mühevoller und opferreicher Tätigkeit an Errungenschaften für die Massen der Enterbten geschaffen hat, ist seitdem in Trümmer gelegt oder zu einem Besitz der Gegner umgewandelt worden.
Alles das und noch mehr, ja selbst kostbare Menschenleben, durfte und unter Umständen musste man einsetzen, wenn Großes auf dem Spiele stand und die Möglichkeit des Erfolgs winkte. Diejenigen Schutzbündler, die auf Sieg rechneten, handelten in den Februartagen von ihrem Standpunkt aus ganz richtig, nicht richtig aber hätten jene gehandelt, die in diesen Tagen in den Aufstand eintraten, obwohl sie die Niederlage für unabwendbar hielten.
Das gilt allerdings nicht von jenen, die, obwohl sie vom Aufstand abrieten, sich doch an ihm beteiligten, nachdem er einmal ausgebrochen, nur aus Solidarität mit den kämpfenden Genossen. Zu diesen gehörte z. B. Koloman Wallisch. Über den „Hochverratsprozess“ seiner Frau, der in Leoben Ende April stattfand, berichtet der Belgier Marc Somerhausen im Brüssler Peuple. Dem Bericht entnehmen wir ein Gespräch, das nach der Aussage der Angeklagten Pauline Wallisch ihr Mann eine Woche vor Beginn der Unruhen mit einem Arbeitslosen hatte. Dieser fragte:
Arbeitsloser: „Wann fangen wir an?“
Wallisch: „Anfangen ist leicht, aber dann?“
Arbeitsloser: „Ja, du hast deine Parlamentsdiäten, du hast es nicht so eilig. Aber wir, die wir seit Jahren vor Hunger krepieren, wir haben genug. Übrigens werden die Nazis gegen die Regierung mit uns marschieren.“
Wallisch: „Glaube nur das nicht. Die Nazis werden sich nicht rühren und die Eisenbahner machen den Generalstreik nicht mit.“
Dieses kleine Gespräch beleuchtet aufs beste den ganzen Aufstand: einerseits die Verzweiflung der Arbeitslosen als seine stärkste Triebkraft; anderseits die Erkenntnis seiner Aussichtslosigkeit. Wallisch zeigt sich dabei als „Bremser“, wie wohl alle führenden Genossen mit Verantwortungsgefühl, nicht als „Hetzer“.
Aber als trotz alles Bremsens auf die Nachricht von der Linzer Schießerei hin allenthalben sich Schutzbündler erhoben, da hielt es Wallisch für seine Pflicht, seine Kameraden nicht im Stich zu lassen, obwohl er wusste, dass er für eine verlorene Sache eintrat. Er wollte wenigstens dafür sorgen, dass die Bewegung einheitlich und würdevoll verlief, und dies zu erreichen ist ihm auch gelungen.
Sich bloß aus Solidaritätsgefühl opfern und bei einer Erhebung mittun, deren Aussichtslosigkeit man erkennt, von der man abgeraten hat, das bedeutet sicher den höchsten Grad moralischer Größe, der erreichbar ist. Selbst Wallischs Gegner konnten sich ihrem gewaltigen Eindruck nicht entziehen und in den Herzen der sozialistischen Arbeiter wird ihm eine leidenschaftliche Verehrung bewahrt.
Aber der Schmerz über dieses große und edle Opfer wird noch erhöht durch das Bewusstsein, dass es vermieden werden konnte, wenn Wallischs Warnungen genügend Gehör gefunden hätten.
Es ist selbstverständlich ein höchst beglückendes erhebendes und anfeuerndes Gefühl, zu wissen, dass die Verfechter der eigenen Sache Helden sind, bereit, in den Tod zu gehen für ihre Überzeugung. Anderseits wirkt es aber höchst niederdrückend und entmutigend, wenn sich der Gegner, sei es an Zahl oder an Waffen oder in anderer Beziehung in einer Weise überlegen zeigt, die ihn unwiderstehlich macht. So weist eine kriegerische Aktion, in der heldenmütiger Kampf mit völliger Niederlage endet, stets zwei einander ganz entgegengesetzte Seiten auf: eine erhebende und eine niederdrückende.
Im Bürgerkrieg noch mehr als im auswärtigen Krieg ist es aber in der Regel die letztere Seite, die überwiegt. Denn der Bürgerkrieg ist die entsetzlichste Art des Krieges. Im auswärtigen Krieg kämpfen beide Seiten um ein wenig mehr oder weniger an Gebiet oder Macht. Im Bürgerkrieg glaubt jede der beiden Parteien um ihre Existenz zu kämpfen. Der Bürgerkrieg ist die grausamste Form des Krieges, namentlich sind die Vertreter der Staatsgewalt gegenüber den Revolutionären stets aufs äußerste erbittert und völlig rücksichtslos, sowohl während des Kampfes wie auch nachher, wenn sie siegen.
Ist der Zusammenstoß vorüber, so existiert das Heldentum, das in ihm zu Tage trat, nur in der Erinnerung weiter. Die Folgen der Niederlage dagegen dauern in der Wirklichkeit fort, es spürt sie jeder der überlebenden Anhänger der besiegten Sache tagtäglich höchst fühlbar am eigenen Leibe.
Man meint, das erzeuge immer wieder neuen, vermehrten Hass gegen den Sieger. Das tritt in der Tat oft ein. Doch ist dieser Hass zunächst ganz ohnmächtiger Natur. Im Aufstand sind gerade die energischsten Verfechter der Erhebung gefallen, andere gefangen oder nach der Niederlage ins Ausland geflohen. Je größer der Heroismus der Kämpfenden, desto größer die Wut der Sieger über diese, desto größer auch die Furcht vor ihnen. Diese Furcht treibt zu den stärksten Mitteln der Niederdrückung gegen die Schichten, aus denen der Aufstand hervorging. Und diese Mittel können nach dessen Niederwerfung ganz rücksichtslos in Anwendung gebracht werden, da die Sieger nun durch keinerlei Schranken mehr beengt werden.
Jede große Niederlage des Proletariats in einem Bürgerkrieg hat es bisher in dem betreffenden Lande für lange hinaus völlig kampfunfähig gemacht. Das galt nicht zum wenigsten dann, wenn die Kämpfenden wahrhaft übermenschlichen Heroismus an den Tag gelegt hatten. Nach der Pariser Junischlacht von 1848 war die Arbeiterbewegung Frankreichs für mehr als ein Jahrzehnt lang völlig tot.
Nicht minder lähmend wirkte die Niederlage der Pariser Kommune von 1871, obwohl auch deren Kämpfer in der blutigen Maiwoche, die ihr Ende besiegelte, sich mit größtem Heldenmut geschlagen hatten. Noch im Jahre 1884, in einem Brief vom 29. Oktober, schrieb Engels an Bebel über Frankreich:
„Dort laborieren die Leute noch immer an den Nachwehen der Kommune. So sehr diese auf Europa gewirkt, so sehr hat sie das französische Proletariat zurückgeworfen.“
Anders als auf das Land des Bürgerkrieges ist natürlich dessen Wirkung auf diejenigen, die bloß von außen zusehen und nicht die Kriegsfolgen auf den eigenen Schultern zu tragen haben. Auf die Arbeiterschaft außerhalb Frankreichs hat die Pariser Kommune durch den Heroismus ihrer Kämpfer höchst erhebend gewirkt, jedoch nicht überall. Und die Junischlacht hatte fast nirgends eine derartige Folge. Der Heroismus der Aufständischen hatte weniger die Wirkung gehabt, die Arbeiter anzufeuern, als die Wut der gesamten bürgerlichen Klassen in der ganzen Welt wild auflodern zu lassen. Bei diesen Gelegenheiten kam es tatsächlich vorübergehend zur Bildung der „einen reaktionären Masse“, die nicht bloß physisch, sondern auch geistig eine solche Stoßkraft entwickelte, dass sie selbst viele Schichten der arbeitenden Klassen mit sich gegen die Sozialisten fortriss, mit Ausnahme der gefestigten Anhänger des Sozialismus – und deren Zahl war damals so gering!
Von der Junischlacht 1848 datiert nicht ein neuer Aufschwung des Sozialismus, sondern vielmehr der Niedergang der revolutionären Bewegung überhaupt in ganz Europa. Selbst England blieb davon nicht verschont. Von der Junischlacht an datiert der Rückgang des Chartismus, der ersten großen englischen Arbeiterpartei, die seitdem nie wieder in die Höhe gekommen ist. Die englischen Arbeiter verfielen für Jahrzehnte dem Liberalismus.
Und nicht viel anders wirkte die Niederlage der Pariser Kommune, die auch ein Kesseltreiben gegen die Sozialisten der ganzen Welt entfesselte, das in den meisten Staaten die sozialistische Bewegung aufs schwerste traf. Von der Pariser Kommune an setzt der Niedergang der ersten Arbeiter-Internationale ein, der bald zu ihrer völligen Auflösung führte. Ein Jahr nach dem Zusammenbruch der Pariser Kommune fand der letzte Kongress von Bedeutung der ersten Internationale statt, der im Haag (September 1872). Wohl gab es noch einen weiteren Kongress dieser Internationale, 1873 in Genf, aber der war schon ganz belanglos. Von da an existierte die Internationale nicht mehr. Nur eine einzige Arbeiterpartei gab es, die nach der Niederlage der Pariser Kommune einen Aufschwung zeigte: die deutsche Sozialdemokratie. Mit der Pariser Kommune endete die führende Rolle, die in der internationalen Arbeiterbewegung die französischen Sozialisten inne gehabt hatten. Neben dem deutschfranzösischen Krieg bezeichnet Engels „die Niederlage der Kommune“ als den Grund, warum seither „der Schwerpunkt der europäischen Arbeiterbewegung einstweilen von Frankreich nach Deutschland verlegt wurde“. (Einleitung zu Marx’ Klassenkämpfe in Frankreich) Die deutsche Sozialdemokratie stand auf einer ganz anderen theoretischen und taktischen Grundlage als die Kämpfer der Kommune. Diese ernteten allgemeine Bewunderung für ihren Heldenmut, doch ihren politischen Spuren folgte niemand.
Diese Beispiele zeigen zur Genüge, dass die Sozialdemokratie keine Ursache hat, sich auf Zusammenstöße mit der bewaffneten Macht des modernen Staates unter Umständen einzulassen, die ihren militärischen Zusammenbruch unvermeidlich machen. Dieser mag durch den Heldenmut der Kämpfer der unterliegenden Partei zu einem moralischen Siege für sie werden. Für die Arbeiterbewegung bedeutet er auf jeden Fall eine schwere Lähmung.
Wir gehören nicht zu jenen, die einen missglückten Aufstand als einen Fehler bezeichnen. Von Fehlern kann man nur bei der Beurteilung des Handelns von Einzelpersonen sprechen. Spontane Massenbewegungen dagegen sind wie Elementarereignisse zu betrachten. Man mag sie bedauern, wenn sie Schaden anrichten, aber man kann sie nicht verurteilen. Und ist das Elementarereignis ein Vorgang, der von der eigenen Klasse oder Partei ausgeht, dann wird man unter allen Umständen trachten müssen, das Endergebnis des Ereignisses für Partei oder Klasse so günstig als möglich zu gestalten, auch wenn man gewünscht hätte, es wäre zu dem Ausbruch gar nicht gekommen. Wir rechnen die Wiener Februarereignisse ebenfalls zu den spontanen Massenaktionen, die man zu begreifen, jedoch nicht zu verurteilen hat, auch wenn man wünscht, es wäre nicht zu ihnen gekommen. Wogegen wir uns wenden, ist nur die Auffassung, die eine Niederlage in einen Erfolg umzudeuten sucht und die dazu verführen kann, unter Umständen von neuem irgendwo einen Kampf auf Tod und Leben zu entfesseln, auch wenn die Niederlage von vornherein feststeht. Die Zwangslage, mit der solches Handeln begründet wird, besteht für die Arbeiterbewegung nirgends. Das Proletariat lässt sich nie vernichten, denn auf seiner Arbeit beruht die ganze Gesellschaft. Und es wird unter einer kapitalistischen Produktionsweise stets in Verhältnissen leben, die es als unerträglich empfindet, gegen die es sich aufbäumt. Von den jeweiligen Umständen hängt es ab, ob dies offen geschieht oder heimlich, vorsichtig oder herausfordernd. Auf die Dauer ist die Arbeiterbewegung nie und nirgends zu unterdrücken. Vorübergehend kann sie gelähmt werden. Das tritt aber am ehesten nach dem Zusammenbruch einer bewaffneten Erhebung ein. Wo dieser Zusammenbruch von vornherein feststeht, begeht der einzelne, der sich dessen bewusst ist, einen groben Fehler, wenn er sich bemüht, trotzdem eine bewaffnete Erhebung herbeizuführen. Auch durch die schlimmsten Provokationen der Gegner darf er sich dazu nicht verführen lassen.
Anders haben wir, wie gesagt, eine spontane Massenerhebung zu beurteilen. Eine solche geht jedoch fast stets aus der Erwartung hervor, sie vermöge zu siegen. Außerdem aber durfte man bisher jede Schuld an einem großen Bürgerkrieg auf das Konto einer Reaktion buchen, die ihn herbeigeführt. Alle die proletarischen Erhebungen, von denen wir hier reden, die misslangen, sie haben nicht die Reaktion herbeigeführt, sondern wurden vielmehr durch diese erst hervorgerufen. Sie alle waren Defensivaktionen gegen die erstarkende Reaktion, die immer drohendere Gestalt annahm. Die Niederlage im Bürgerkrieg hat das Fortschreiten der Reaktion bloß beschleunigt und ihre Formen verschärft, die Widerstandskraft der Arbeiterklasse geschmälert. Aber gänzlich verhindern ließ sich das Kommen und die zunehmende Verstärkung der Reaktion in jedem der erwähnten Fälle unter keinen Umständen, durch keine noch so feinen Winkelzüge. Wer von den Aufständischen behauptet, sie hätten die Reaktion erst herbeigeführt, tut ihnen sicher unrecht. Ihre Niederlage hat bloß die Allmacht der Reaktion und ihre Grausamkeit vergrößert und die Kräfte der Abwehr geschwächt. Auch das ist schlimm genug. Aber die eigentliche Triebkraft der heutigen Reaktion in Österreich liegt nicht in lokalen, sondern allgemeinen Umständen begründet, die die ganze kapitalistische Welt in ihren Bann ziehen und die augenblicklich in ganz Europa östlich des Rheins die Demokratie und das Proletariat schwächen.
Es sind allgemeine Umstände, die der Reaktion ihre Kraft verleihen, doch sind es keine Umstände von ewiger Dauer. Ja, es scheint, als gingen diese Umstände bereits ihrem Ende entgegen.
Wir haben gesehen, dass nach der Junischlacht über ein Jahrzehnt verging, bis sich die Demokratie und das Pariser Proletariat wieder mit Macht regten. Fast ebenso lange dauerte es nach dem Zusammenbruch der Pariser Kommune von 1871. Das Daniederliegen der österreichischen Arbeiterbewegung als Folge des jüngsten Februaraufstands dagegen dürfte weit rascher überwunden werden. Namentlich fehlt hier ein Moment, das nach der Junischlacht und der Pariser Kommune eine entscheidende Bedeutung für die Lähmung der Pariser Arbeiter gewann: der Fanatismus einer feindseligen öffentlichen Meinung.
Man darf deren Bedeutung nicht unterschätzen. So sehr jede Klasse ihre besondere öffentliche Meinung hat, gibt es daneben doch eine allgemeine, die auf alle Klassen Einfluss übt, namentlich im Krieg. Jeder Krieg bringt naturgemäß scheußliche Verwüstungen und Leiden mit sich. Merkwürdigerweise sieht jeder der Kämpfenden nur alles das Schmerzhafte, das ihm von der Gegenseite auferlegt wird, nicht aber jenes, das er ihr antut. Nicht der Krieg selbst, sondern der Feind erscheint da als der Missetäter, dessen Schlechtigkeit alle Kriegsübel hervorruft. Dies ist eine der wichtigsten Wurzeln des nationalen Hasses.
Dasselbe vollzieht sich im Bürgerkrieg zwischen den beiden kämpfenden Parteien und verschärft den Hass zwischen ihnen, womöglich noch in höherem Grade als den nationalen Hass im Kriege. Denn der Bürgerkrieg wird nicht an einer fernen Grenze ausgefochten, sondern im Zentrum des Landes, und die Aufständischen verfügen, wenn sie aus den unteren Klassen kommen, zumeist nicht über eine Presse. Die Berichterstattung über die Kriegsereignisse ist da also eine ganz einseitige und darf sich jede Lüge gestatten. Jedes Vorkommnis, das gegen die Insurgenten ausgebeutet werden kann, wird maßlos übertrieben, dagegen alle Gräueltaten verschwiegen, die von den Militärs der Staatsgewalt verübt werden. Und leider hat bisher ein Bürgerkrieg meist auch auf Seite der Insurgenten wirkliche Vernichtungstaten mit sich gebracht, die man besser vermieden hätte. So z. B. in der Junischlacht 1848 die Tötung des Generals Bréa und des Erzbischofs Affre, die bei Versuchen fielen, eine Verständigung zwischen der Regierung und den Insurgenten herbeizuführen. Oder am Ende der Pariser Kommune die Erschießung von Geiseln und das Anzünden von Palästen, allerdings nicht durch Organe der Kommune, sondern durch vereinzelte Wahnwitzige, denen sich die Internationalisten, wo sie vermochten, entschieden widersetzten. Alles wurde auf das Konto der Kommune geschrieben und namentlich die Brände in Paris erregten maßlose Wut in der ganzen zivilisierten Welt gegen die Kämpfer der Kommune, sogar in Kreisen, denen die Tendenzen der Kommunards sehr sympathisch waren.
Eine der Hauptaufgaben der Sozialisten aller Länder bestand damals darin, die Lügen und Verleumdungen der Gegner zu widerlegen, was bekanntlich meisterhaft Marx in seiner Schrift: „Der Bürgerkrieg in Frankreich“ besorgt hat. Leider halfen alle diese Darlegungen nicht viel. In der ganzen Welt galt lange Zeit hindurch jeder Kämpfer der Kommune als Mordbrenner und Scheusal.
Die Kämpfer der Wiener Kommune von 1934 sind in dieser Beziehung weit besser dran. Von ihrer Seite sind so sehr keine Zerstörungen von Kulturgütern, keine Tötungen am Kampf Unbeteiligter vorgekommen, dass nicht einmal die gegnerische Presse ihnen derartiges vorwerfen konnte. Dies neben dem erstaunlichen Heroismus der Aufständischen hat große Sympathien für sie erweckt.
Während bisher nach jeder Niederlage des Proletariats das gesamte Kleinbürgertum und die von diesem beeinflussten Arbeiterkreise mit der Bourgeoisie zusammen von moralischer Entrüstung über die Insurgenten überschäumten, findet diesmal derartiges nur in den borniertesten Schichten der Bevölkerung Österreichs statt und außerhalb Österreichs gar nicht. In Wien sind es nicht nur Nationalsozialisten, die ihre Hochachtung vor den Kämpfern äußern, sogar in Regierungskreisen machen sich derartige Stimmen vernehmbar.
Unter diesen Umständen findet die Wiederaufnahme der sozialistischen Propaganda weit weniger geistige Widerstände in der Bevölkerung, als es sonst nach einer großen proletarischen Niederlage der Fall war. Das lässt erwarten, dass die Zeit des Daniederliegens der Bewegung diesmal weit kürzer sein wird als nach der Junischlacht im Jahre 1848 und nach der Kommune von 1871 in Frankreich.
Natürlich hängt die Kraft des Proletariats eines Landes nicht bloß von dessen besonderen Verhältnissen ab, am allerwenigsten in einem so kleinen Lande wie Österreich. Aber auch jene allgemeinen Verhältnisse, die bisher die Reaktionen und Diktaturen förderten, scheinen bereits ihrem Ende entgegenzugehen.
Gar mancher unter uns rechnet auf einen Krieg. Ein Versagen im Krieg würde der Diktatur rasch ein Ende bereiten, in Deutschland wie in Italien – auch in Russland. Die Möglichkeit, dass es so kommt, ist sicher gegeben. Der Faschismus kann sich überall nur behaupten durch Ausdehnung seines Herrschaftsbereichs, denn nur dadurch kann er auf die Dauer seine unersättlichen Anhänger befriedigen, deren Stellenhunger seine vornehmste Triebkraft ist. Erst kürzlich hat in einem Anfall von Offenheit Mussolini selbst die Notwendigkeit steter Expansion im Osten verkündet. Und Hitlerdeutschland hat es, wenigstens früher, an ähnlichen Äußerungen nicht fehlen lassen.
Dies Streben bedeutet die Gefahr eines Krieges, aber auch die Möglichkeit eines Sturzes der Diktaturen. Das eröffnet uns jedoch keineswegs eine lachende Aussicht.
Der kommende Krieg müsste alle bisherigen an Grauenhaftigkeit überbieten, er könnte auf Jahrzehnte hinaus alles Leben in weiten Gebieten Europas ganz unmöglich machen, in den andern Ländern mindestens jedem Kulturleben für lange Zeit hinaus ein Ende bereiten. Wenn dieser Krieg die Diktaturen stürzte und die Sozialisten an deren Stelle setzte, so geschähe das unter Verhältnissen, die jeden Sozialismus, ja jedes gesellschaftliche Gedeihen überhaupt unmöglich machten. Diese Art, der Hitlerei ein Ende zu bereiten, hieße den Teufel durch Beelzebub austreiben.
Zum Glück muss es nicht so schlimm werden. Noch fühlt sich keiner der Diktatoren stark genug loszuschlagen. Aber ihr Streben, militärisch stärker zu werden, kann schon genügen, sie zu verderben. Die Diktaturen kommen in Ländern auf, deren ökonomische Lage ganz verzweifelt ist. Jeder Versuch einer Aufrüstung muss diese Lage verschlimmern. Einzelne Industrien, die der Herstellung von Kriegsbedarf dienen, gewinnen dabei, aber der Gesamtstaat und seine Ökonomie werden bankerott.
Anderseits drängt die Aufrüstung zu steter Vermehrung der unter Waffen stehenden, mit den Waffen vertrauten Männer, aber auch zur Verkürzung der Dienstzeit in der Kaserne. Das bedeutet in den Ländern mit nur kleinem regulären Berufsheer und starken Privatarmeen der herrschenden Partei, dass jenes wie diese zurückgedrängt werden durch eine fortschreitende Volksbewaffnung. Das führt zu einer zunehmenden Untergrabung der Macht der Diktatoren, wenn sich diese nur auf Bajonette und Maschinengewehre, nicht auf das Vertrauen der Bevölkerung stützen.
Mehr noch als seine bewaffneten Scharen, war es das Vertrauen weiter Kreise nicht allein der Besitzenden, sondern auch der Besitzlosen, was Hitler und seinen Kollegen zur Macht verholfen hat. Da es keine Wahlen und keine freie Presse in den Ländern der Diktatur gibt, kann man nicht verfolgen, wie groß dort noch die Anhängerschaft des bestehenden Regimes ist. Aber die Tatsache ist klar, dass die Diktatur nirgends den Erwartungen entspricht, die sie rege gemacht hat, dass es unter ihr vielmehr ökonomisch noch schlimmer geworden ist, als es vor ihr der Fall war, indes gleichzeitig das Fehlen jeglicher Bewegungsfreiheit und Rechtssicherheit ganz qualvolle Zustände geschaffen hat. Da muss immer mehr die Zahl jener wachsen, die ein Ende dieser Zustände herbeisehnen und jede Volksbewegung zur Gewinnung von Freiheit und Rechtssicherheit unterstützen, die Aussicht auf Erfolg zu bieten scheint.
Jedes absolutistische Regime, das im Gegensatz zu den Bedürfnissen seiner Volksmassen steht, bedarf politischer und sozialer Ruhe. Jede Unruhe, jede Bewegung gefährdet es. Eine solche Ruhe fanden im Allgemeinen die absoluten Monarchen Europas nach den napoleonischen Kriegen bis 1848. Ihr Regime war konservativ, beruhte auf starken Traditionen und Gewohnheiten im Volke.
Der Faschismus dagegen ist politisch revolutionär, ökonomisch allerdings reaktionär, jedoch keineswegs einheitlich. Kein Staat kann mehr bestehen ohne entwickelte Großindustrie, die nur möglich ist in kapitalistischen oder sozialistischen Formen. Der „Ständestaat“, der den Faschismus maskieren soll, sucht Gespenster des Mittelalters, des agrarischen und zünftlerischen Feudalismus, wieder zu beleben und zu vermählen mit den lebendigen Herren von heute, den Finanzmagnaten und den Gebietern der kartellierten Industrien, die in ihrer Art auch eine Art Feudalismus aufrichten. Aber die modernen und die mittelalterlichen Formen sind so unvereinbar miteinander, dass sie nichts anderes ergeben können, als ein stetes unsicheres Suchen und Tasten ohne greifbares, dauerndes Resultat. Die ökonomische Unsicherheit wird durch dieses widerspruchsvolle Streben auf die Spitze getrieben, indes gleichzeitig auch die Rechtsunsicherheit durch das Gewaltregime aufs höchste gesteigert wird und die internationale Situation immer mehr Formen annimmt, die den internationalen Verkehr stören und hemmen, dieses Lebenselement jeglicher modernen Wirtschaft.
Aus einem Zustand der größten Unruhe geboren, muss der Faschismus immer wieder neue Unruhe hervorrufen, ohne irgendetwas Dauerndes, Befriedigendes schaffen zu können. Über Versprechungen, Experimente und Ansätze kommt er nicht hinaus, die schwere Opfer kosten, große Erwartungen wachrufen und im besten Falle ohne Resultate, zumeist aber mit schweren Verlusten enden.
In Ländern mit einer Arbeiterschaft, die in früheren Jahrzehnten bereits große Erfolge erzielt und ihre Kraft erprobt hatte, kann nichts verkehrter sein als der Wahn, inmitten dieser ständigen quälenden und aufreizenden Unruhe würden die unteren Klassen dauernd stillhalten und kritiklos denjenigen folgen, die sich als ihre „Führer“ aufgetan haben.
Die fortschreitende moralische und ökonomische Abwirtschaftung der Diktaturen ist nur die eine Seite des Prozesses, der zu ihrer schließlichen politischen Überwindung führen wird. Auf der anderen Seite ist die unerlässliche Vorbedingung eine wesentliche Steigerung der Kräfte der Demokratie und des Proletariats. Vor allem die Steigerung ihrer moralischen Kraft, das heißt ihres Selbstbewusstseins, ihrer Einigkeit und Geschlossenheit, aber auch ihres Wissens. Manche unter uns glauben, heute sei nichts wichtiger, als die paar militärischen Gewaltmittel, über die manche Sozialisten noch verfügen mögen, zu vermehren und auf sie gestützt, eine neue Erhebung zu beginnen. Aber selbst für die Könige sind Gewehre und Kanonen nur die ultimo ratio, das heißt das letzte Argument, das sie in Anwendung bringen, wenn alle andern erschöpft sind. Gilt das schon für auswärtige, so noch weit mehr für innere Konflikte.
Wir müssen uns dessen bewusst bleiben, dass unsere Niederlagen gegenüber den Diktaturen eingeleitet wurden durch ein rapides Wachsen ihres Einflusses über die Gemüter breiter Massen, wie sich das namentlich in den Ziffern der letzten Reichstagswahlen in Deutschland zeigte. Jener Einfluss reicht jedoch noch viel weiter, als diese Ziffern erkennen lassen. Ist doch die Missachtung der Demokratie, die Verehrung der Diktatur bis in unsere Reihen eingedrungen! Nur wünschen die sozialdemokratischen Diktaturschwärmer andere Personen als Diktatoren, und wieder andere werden von den Kommunisten gewünscht. Aber in der Verachtung der Demokratie sind sie einig.
Sie fühlen gar nicht, dass diese Verachtung gleichbedeutend ist mit der Verachtung des Proletariats, mit der Überzeugung, dass das Proletariat viel zu tief stehe, als dass es imstande sei, sich selbst zu befreien; dass dies nur gottbegnadeten oder sonst wie auserwählten Führern gelingen könne, denen es willenlos zu folgen hat.
Wie die Kommunisten nennen sich die sozialdemokratischen Diktaturschwärmer Marxisten, sie haben aber vergessen, dass der grundlegende Satz des Marxismus für den Aufbau des Sozialismus erklärt: die Befreiung der Arbeiterklasse kann nur das Werk der Arbeiter selbst sein. Nur aus ihrer selbständigen, bewussten Tätigkeit kann der Sozialismus hervorgehen. Wo das Proletariat in seiner Masse noch nicht die Fähigkeit zu solchem Tun erlangt hat, ist eine sozialistische Gesellschaft unmöglich.
Das Proletariat ist heute allenthalben die stärkste Kraft der Demokratie geworden. Wer behauptet, die Demokratie habe versagt, der erklärt, das Proletariat sei noch nicht imstande, sich selbst zu befreien. Wer trotzdem heute schon den Sozialismus aufbauen will, muss zu den Methoden des vormarxistischen Sozialismus greifen, des Utopismus oder Blanquismus, die durch eine Avantgarde auserlesener Vormünder des Proletariats diesem die Erlösung bringen wollten.
Leider ist das Misstrauen gegen die Masse des Proletariats von heute nicht ganz unbegründet. Worauf beruht es? Bis zum Weltkrieg bildete das Proletariat in fast allen Staaten des kapitalistischen Europa, soweit es am Klassenkampf teilnahm, eine geschlossene, in sozialdemokratischen Parteien, Gewerkschaften, Genossenschaften wohl organisierte Masse, einig in ihrem Durst nach Erkenntnis, in ihrer Theorie. Es wurde aber auch in seinen weniger aufgeklärten Teilen in den letzten Jahrzehnten vor dem Weltkrieg zusammengehalten durch starke Erinnerungen, durch ein festes Vertrauen zu den Führern einer Bewegung, die seit dem Aufbau der zweiten Internationale keine Niederlage gekannt hatte, von Sieg zu Sieg vorwärtsgeschritten war in fast allen Ländern, weil sie sich in jedem Moment nur solche praktische Aufgaben stellte, die unter den gegebenen Bedingungen lösbar waren.
Das Proletariat, in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts eine unwissende, verkommene, hilflose Masse, wurde im letzten Menschenalter vor dem Weltkrieg zur geistig höchststehenden, kraftvollsten und selbständigsten der arbeitenden Klassen. Es zeigte sich den Bauern und Kleinbürgern immer mehr überlegen, obwohl auch diese an Wissen und Erfahrung zunahmen, dank den demokratischen Rechten, die sie gewonnen. Unter den Intellektuellen selbst wuchs das Zutrauen zum Proletariat, dessen Sache viele von ihnen zu der ihren machten. Dabei erreichte der Großbetrieb in der Industrie, im Verkehr, im Geldwesen solche Dimensionen, dass seine Beherrschung durch private Kapitalisten immer unerträglicher wurde für die ganze Gesellschaft. Aber Bauern und Kleinbürger sowie Intellektuelle, die auf deren Standpunkt stehen, begreifen die durch den Großbetrieb und den Weltverkehr geschaffenen sozialen Bedürfnisse nicht, nur das Proletariat ist imstande, Eigentums- und Produktionsverhältnisse zu schaffen, die den neuen Bedingungen entsprechend eine höhere, alle arbeitenden Menschen befriedigende Ordnung bilden.
So reiften die sozialen Verhältnisse vor dem Weltkrieg rasch einem Zustand entgegen, in dem die Ergreifung der politischen Macht durch das Proletariat auf Grundlage der Demokratie und seine befreiende und erhebende Ausübung dieser Macht nicht nur möglich, sondern unausweichlich wurde. Dieser Machtausübung gab man gelegentlich die nicht sehr glückliche Bezeichnung einer Diktatur des Proletariats.
Da kam der Weltkrieg mit seinen Folgen. Er brachte nicht bloß den ganzen Produktionsprozess auf kapitalistischer Grundlage in grauenhafte Unordnung, sondern setzte auch in den bürgerlichen Kreisen an Stelle der Beachtung wissenschaftlich anerkannter ökonomischer Gesetze eine Politik kurzsichtigster Augenblicks- und Sonderinteressen, die auf die Plünderung der Gesamtheit durch einzelne Gewalthaber und machtvolle Cliquen ausgeht und den ökonomischen Wirrwarr immer mehr steigert. Der Krieg mit seinen Konsequenzen hat gleichzeitig auch große Kreise des Proletariats in hohem Maße geistig heruntergebracht – wenigstens östlich des Rheins.
Schon der Beginn des Weltkriegs stachelte die nationalen Leidenschaften an und zerriss dadurch die Internationale. Das Kriegsende erlaubte es, sie wieder zu vereinigen. Aber inzwischen war die tiefe Spaltung in einen demokratischen und einen diktatorischen Teil, den kommunistischen, eingetreten, dem dann noch eine andere diktatorische Richtung, die der Nationalsozialisten, folgte, die tatsächlich vom Kapital besoldet wurde, aber in den arbeitenden Massen zusehends Boden fasste.
Diese Entwicklung konnte dadurch zu einer tiefgehenden und verhängnisvollen werden, weil in das Proletariat immer mehr Elemente eindrangen, die es demoralisierten. Die Jugend wurde seit dem Ausbruch des Weltkriegs immer mehr von dem Streben nach Wissen abgelenkt, darauf eingestellt, nur den Leidenschaften zu gehorchen und ihnen mit roher Gewalt Befriedigung zu schaffen. Dazu kam, dass der Krieg mit seinen Konsequenzen zahlreiche bis dahin wohlhabende Elemente an den Bettelstab brachte. Sie stürzten ins Proletariat ohne proletarisches Empfinden, ohne jegliches Klassenbewusstsein; sie wurden deklassierte, haltlose Elemente. In den letzten Jahren gesellten sich zu ihnen noch Millionen dauernd Arbeitsloser, die wohl zu kurzen Verzweiflungsausbrüchen aller Art geneigt, zu ausdauernden ökonomischen Kämpfen aber gänzlich außerstande waren.
Alles das hat das Proletariat Europas östlich vom Rhein von der stolzen Höhe heruntergebracht, die es, namentlich in Deutschland, aber auch in dessen Nachbarländern, in der letzten Zeit vor dem Weltkrieg erreicht hatte. Und gleichzeitig wuchs die Aufgabe, die es zu lösen hatte, ins Ungeheuerliche.
Die Schwächung des Proletariats wurde in manchen Ländern zeitweise dadurch verdeckt, dass deren herrschende Klassen durch die Niederlage im Weltkrieg völlig zusammenbrachen. Das hat in Deutschland die Sozialdemokratie, in Russland die Bolschewiken zur Macht geführt. Doch konnten sich die deutschen Sozialdemokraten nicht dauernd in der Regierung behaupten, und die Bolschewiken behielten ihre Macht durch die Armee und die Bürokratie, die sie organisierten, nicht durch das Walten freier Organisationen des Proletariats. Wir haben in Russland die Aufhebung des Privateigentums an den Produktionsmitteln und Staatswirtschaft, aber der russische Staat befindet sich nicht in den Händen eines freien Proletariats, sondern ist das Privateigentum eines kleinen Klüngels von Diktatoren geworden.
Die erste Vorbedingung der Überwindung der neuen Diktaturen ist die Überwindung jener Faktoren, die weite Kreise des Proletariats so sehr moralisch und intellektuell heruntergebracht haben.
Das hängt zum größten Teil nicht von uns ab, so z. B. die Aufhebung der Weltkrise. Auf andere Umstände wieder kann das Proletariat wohl mehr oder minder einwirken, aber nur in den Ländern der Demokratie, nicht in denen der Diktatur. Jedoch, wenn in den demokratischen Staaten die Arbeiter und ihre Parteien an Kraft gewinnen, muss dies zurückwirken auf die Proletarier der Länder, die unter einer Diktatur seufzen.
Diese selbst sind unter dem Gewaltregime augenblicklich nicht imstande, Entscheidendes zu vollbringen. Aber eines müssen wir überall und unter allen Umständen vermögen: uns selbst treu zu bleiben. Wir dürfen nicht Anbeter des Augenblickserfolges werden, dürfen nicht jene Ideale, für die die Proletarier und Sozialisten aller Länder seit einem Jahrhundert Freiheit und Leben eingesetzt haben, jetzt über Nacht bloß deswegen aufgeben, weil unsere Gegner seit ein paar Jahren mit entgegengesetzten Methoden und Zielen unter besonderen Umständen bessere politische Geschäfte machen. Man spricht heute so viel von einer dem Sozialismus drohenden Kapitulation, die zu verhindern wir alles aufs Spiel setzen müssen, selbst wenn die Niederlage sicher ist. Man übersieht dabei, dass es keine schlimmere Kapitulation vor dem Feinde geben kann als die, sich vor ihm geistig zu beugen, sich zum Gefangenen seiner Ideologie zu machen.
Das tut ein Sozialdemokrat, wenn er als das nächste Ziel unseres politischen Kampfes nicht wie bisher die Demokratie, sondern deren direkten Gegensatz, die Diktatur proklamiert. Die Sache wird nicht besser dadurch, dass man nicht die Diktatur einer Person verlangt – eine dazu geeignete Persönlichkeit ist in unsern Reihen augenblicklich auch gar nicht vorhanden – , sondern die Diktatur des Proletariats. Dieses Wort, das Marx vor 60 Jahren prägte, hat heute jeden Sinn verloren angesichts der hochgradigen Zerklüftung des Proletariats seit dem Weltkrieg.
Die Einigung des Proletariats ist die erste Bedingung seines Wiederaufstiegs. Sie ist nur unter der Losung der Demokratie möglich, denn eine proletarische Diktatur kann heute nur die Gewaltherrschaft eines Teils des Proletariats, vielfach einer Minderheit, über den andern Teil sein. Die Diktatur und schon das bloße Anstreben der Diktatur spaltet es. Ehe die Arbeiter das nicht klar erkennen, haben sie keine Aussicht, sich aus ihrer Ohnmacht zu erheben.
Die Verfechter der Diktatur gehen aus von der Idee einer Avantgarde des Proletariats. Dieses sei viel zu dumm, um sich selbst befreien zu können, nur eine Elite an seiner Spitze vermöge das, die sich erhebe und das Proletariat nach sich ziehe. Das ist keine neue Idee, sie wurde schon vor vier Menschenaltern geboren. Bereits Babeuf prägte sie (1796), nachdem die große französische Revolution in schlimmer Reaktion geendet hatte. Diese Idee fand dann im Blanquismus ihre energischste Verkörperung. Sie führte zu nichts als zu einer ununterbrochenen Kette von Niederlagen. Jedes Mal, so oft die „Avantgarde“ in Bewegung gesetzt wurde, erwies es sich, dass ihr nichts nachfolgte, dass sie nicht imstande sei, auch nur einen Bruchteil des Volkes mit sich zu reißen. Sie war die Vorhut einer Armee, die bloß in der Phantasie der Verschworenen existierte. Diese freilich wähnten stets, das Volk dürste nach Revolution und warte nur auf ein Signal, um loszuschlagen.
Auch wo solches der Fall, bedarf es eines gewaltigen Ereignisses, das die Massen weit tiefer erregt als der Putsch einiger hundert Verschworenen. Das gilt auch heute. Selbst der Aufstand des am meisten kampfbereiten Teils der Schutzbündler in den Februartagen in Wien, der sicher ein aufrüttelndes Ereignis war, vermochte die große Mehrheit der Wiener Arbeiter nicht zu einer Aktion fortzureißen. Einen Aufstand von gleicher Intensität im jetzigen Österreich zu wiederholen, ist aber nicht mehr möglich. Ein neuer Aufstandsversuch würde weder über so viel Waffen noch auch über so viel Menschen verfügen als der des Schutzbundes, der als legale Organisation gegründet worden. Eine neue Verschwörung würde von der Polizei entdeckt werden, lange ehe sie mehrere tausend Mitglieder gewonnen hätte. Avantgarden dieser Art könnten nur die Zahl der nutzlosen Menschenopfer vermehren, die im Freiheitskampfe fallen – sicher wieder neue Helden. Aber Helden sind nicht dazu da, dass man sie in sinnlosen Experimenten verschwendet.
Die Avantgarde, die wir brauchen, ist ganz anderer Art. Ihre Aufgaben sind jene, die schon das „kommunistische Manifest“ als die des Bundes der Kommunisten bezeichnete, dem Marx und Engels 1847 beitraten. Sie sollen sein „der praktisch entschiedenste, immer weiter treibende Teil“ der Arbeiterschaft und sollen streben, „theoretisch vor der übrigen Masse des Proletariats die Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung vorauszuhaben.“
Also diese Avantgarde soll aus den entschlossensten Sozialisten bestehen, aber auch den weitsichtigsten, am besten unterrichteten. Sie sollen dem Proletariat Zuversicht zu seiner Sache einflößen, aber auch vermehrtes Wissen. Sie sollen durch hohe Entschlossenheit und Einsicht imstande sein, das Vertrauen des arbeitenden Volkes zu gewinnen und imstande sein, jede seiner Regungen zweckmäßig zu organisieren und zu gestalten.
Ohne geistige Überlegenheit über die Gegner ist für die Sozialisten kein Sieg möglich. Je mehr die „Gleichschaltung“ alle geistige Selbständigkeit unterdrückt, jede Mitteilung der Wahrheit unter bindet, desto notwendiger wird die Informierung der Massen über den wirklichen Stand der Welt und über die „allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung“. Je klarer die Einsicht darüber, desto großer wird die Einheitlichkeit der proletarischen Bewegung werden, die so unerlässlich ist für ihren Sieg. Ihre geistige Einheit muss ihrer organisatorischen vorangehen. Die geistige Überlegenheit proletarischer Massen über ihre Gegner herbeizuführen, wird die wichtigste Aufgabe der Avantgarde, die wir brauchen. Wer zu ihr gehören will, muss trachten, diese Überlegenheit durch eifriges Studium zuerst selbst zu gewinnen und dann durch Informierung seiner Umgebung auch dieser beizubringen. Bis zum Weltkrieg verstand sich das für jeden Sozialdemokraten von selbst als Grundlage jedes praktischen Wirkens in den Organisationen, zu denen er gehörte. Heute leben wir in einem Zeitalter des Kultus der rohen Gewalt und der Verachtung alles „Buchwissens“, an dessen Stelle der bloße Instinkt gesetzt wird, etwa der „Rasseninstinkt“. Heute ist es leider notwendig, die Notwendigkeit der Erwerbung und Verbreitung höheren Wissens für das Proletariat erst besonders zu betonen und darzulegen, früher war das eine Selbstverständlichkeit.
Noch in einem andern Sinne brauchen wir eine Avantgarde für das Heer des Proletariats. Eine Avantgarde in der Internationale.
Die Demokratie ist heute vielfach deshalb in Verruf geraten, weil sie die großen Aufgaben nicht zu lösen vermochte, die ihr die Zeit nach dem Weltkrieg stellte. Das rührte daher, dass keine der sozialistischen Parteien die absolute Mehrheit im Staate erlangte, die bürgerlichen Parteien aber kein umfassendes Programm sozialer Weiterentwicklung mehr haben. Sie lösen sich auf in kurzsichtige Interessenklüngel, die sich untereinander um die Ausplünderung des Staates, das heißt, seiner Arbeiter, raufen. Dieser Zustand, der aus den gegebenen sozialen Machtverhältnissen hervorgeht, wird der Demokratie in die Schuhe geschoben. Die Diktatur, die in manchen Staaten an Stelle der Demokratie tritt, bringt freilich keine Verbesserung dieses Zustandes, sondern eine arge Verschlechterung, weil sie dem Proletariat alle Selbständigkeit und Widerstandskraft nimmt und dadurch gerade jenes Element lähmt, das angesichts der allgemeinen Auflösung in beschränkte Interessenvertretungen der Ausbeuter das Interesse der Allgemeinheit und des arbeitenden Volkes noch einigermaßen zur Geltung brachte.
Jeder demokratische Staat hat ökonomisch schwer zu kämpfen, solange er nicht eine sozialistische Mehrheit aufweist, aber die Diktaturen müssen ökonomisch verfallen.
Am besten gedeihen heute jene Gemeinwesen, in denen die Demokratie besteht und gleichzeitig ihre sozialdemokratischen Parteien stark genug sind, die Richtung der Politik zu bestimmen. Je mehr das offenkundig wird, desto mehr muss die Anziehungskraft des demokratischen Sozialismus und damit der Demokratie überall wieder wachsen. Jeder Erfolg der Sozialdemokratie in einem demokratischen Staat wird zu einem Erfolg für sie auch außerhalb seiner Grenzen in der ganzen Welt.
Diese zerfällt jetzt immer mehr in eine demokratische und eine „autoritäre“ Hälfte. Die autoritäre Hälfte kann sich dauernd nicht behaupten, da sie in zu unversöhnlichem Widerspruch zu dem Freiheitsstreben des modernen Menschen steht, das sich nicht für immer unterdrücken lässt. Aber zu einem raschen und baldigen Sieg der demokratischen Hälfte im Wettbewerb gehört eine höhere ökonomische Leistungsfähigkeit der Demokratie. Die Menschen fordern nicht bloß Freiheit allein, sondern auch Wohlstand und Sicherheit der Existenz.
Der Staat, dem es gelingt, diesen drei Forderungen zuerst ausreichend zu entsprechen, der muss, wenn er nur einigermaßen ausgedehnt ist, die Führung der Welt im Lauf der sozialen Höherentwicklung gewinnen. Das wird aber jener Staat sein, in dem zuerst eine sozialistische Partei mit demokratischen Mitteln die absolute Mehrheit im Volke und seiner Vertretung erlangt. Am nächsten unter den Großstaaten steht heute England diesem Ziele. Vielleicht ist es den englischen Arbeitern beschieden, zur Avantgarde der sozialistischen Bewegung in der Welt zu werden.
Seit dem Weltkrieg bewegt sich die moderne Gesellschaft in einem verhängnisvollen Zirkel. Der Krieg mit seinen Folgen hat einen großen Teil des Proletariats demoralisiert und zerklüftet. Er hat dadurch die Demokratie untergraben und den Diktaturen den Weg gebahnt. Diese drücken das Proletariat noch tiefer herab. Woher soll da die Kraft kommen, die diesen Zirkel durchbricht? Das kann nur geschehen durch das Proletariat eines Staates, in dem noch die Demokratie gilt, die Arbeiterklasse noch am geschlossensten und selbständigsten dasteht und diese auf Grund der Demokratie zu politischer Allmacht gelangt.
Sie muss dann so Gewaltiges und Beglückendes leisten, dass die Werbekraft der Demokratie und des demokratischen Sozialismus überall dort unwiderstehlich wird, wo die historische Entwicklung bereits vor dem Aufkommen der Diktaturen ein starkes und selbstbewusstes Proletariat geschaffen hatte.
Gewiss, die Bedingungen einer Diktatur – einer jeden, auch einer arbeiterfreundlichen – lassen die arbeitenden Massen intellektuell und moralisch verkommen, fördern ihre Unwissenheit, ihre Unselbständigkeit, ihre Knechtseligkeit und Heuchelei. Aber das Proletariat ist in den Klassenkämpfen der letzten hundert Jahr aus der am tiefsten stehenden zu der höchstentwickelten Schicht der arbeitenden Klassen geworden. Es hat in diesen hundert Jahren so gewaltige moralische und intellektuelle Gewinne in den Hirnen der Angehörigen dieser Schicht angehäuft, dass sie nicht so schnell wieder verloren gehen, wenn sie auch zeitweise durch brutale Unterdrückungsmaßregeln verhindert werden, offen zutage zu treten.
Große Volksbewegungen bleiben in unserer Zeit allgemeiner Unsicherheit nirgends aus. Wo es zu einer solchen Bewegung in einer Diktatur kommt, werden rasch alle die degradierenden Einflüsse der Unterdrückung überwunden, wird das Proletariat sofort wieder nicht nur zu seiner früheren Kraft und Intelligenz aufsteigen, sondern es wird in seinen Freiheitskämpfen erhöhte Kräfte und Einsichten gewinnen.
Noch nie wurde eine Periode der Reaktion in der Weise überwunden, dass die revolutionäre Klasse dort wieder anknüpfte, wo die Reaktion sie niedergeworfen hatte. Stets stellte sich's heraus, dass das Proletariat und die Volksmasse überhaupt am Ende der Reaktionsperiode höher stand, als es bei ihrem Beginn gewesen. Wie viel reifer als 1848 zeigten sich in den Staaten kapitalistischer Industrie die Proletarier in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts! Die Reaktion nach 1849 brachte in ihren ersten Jahren höchste Verwirrung in die Reihen der geschlagenen Revolutionäre. Aber sobald das Proletariat sich nur einigermaßen wieder zu orientieren und zu regen begann, lernte es rapid aus den Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit und der Gegenwart.
So wird das Proletariat auch diesmal wieder aus der Zeit seiner Prüfungen geläutert und gekräftigt hervorgehen, besser als bisher befähigt, seine große historische Mission erfolgreich durchzuführen, allen Mühseligen und Beladenen Freiheit, Frieden, Wohlstand, Sicherheit zu bringen.
Zuletzt aktualisiert am: 7.1.2012