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Ludwig XIV., derselbe, der aus Furcht vor den Parisern Versailles zu seiner Residenz wählte, vermochte die letzten Selbständigkeitsgelüste des Adels zu brechen und wurde stark genug, im Kampfe gegen alle seine Nachbarn sein Königreich zum größten und stärksten Staate Europas zu machen. Doch erreichte er das nur durch eine Reihe von Kriegen, die Frankreich völlig erschöpften und an den Rand des Abgrundes brachten.
Sein letzter Krieg, der spanische Erbfolgekrieg, der von 1701 bis 1714 dauerte, und ohne Erfolg für Frankreich endete, hätte schon eine Revolution herbeigeführt, wenn eine starke revolutionäre Klasse vorhanden gewesen wäre. Die Erbitterung gegen den Monarchen war ungeheuer. Das zeigte sich bei seinem Tode, 1715.
„Sein Leichenbegängnis wird auf das einfachste veranstaltet, um ‚die Kosten und die Zeit zu sparen‘; das Volk von Paris, das sich von unerträglichem Joche befreit glaubt, verfolgt den Sarg des ‚großen Königs‘ bei der Fahrt durch die Straßen nicht allein mit Schimpfreden und Flüchen, sondern mit Schmutz- und Steinwürfen. Rings, in der Provinz erhob sich ein mit Verwünschungen gegen den Verstorbenen gemischter Freudenschrei, überall wurden Dankgebete gehalten, das Glück, von diesem Despoten erlöst zu sein, zeigte sich offen und ohne Scheu. Frieden, freie Bewegung, Verminderung der Steuern erhoffte man von dem Regenten.“ (M. Philippson, Das Zeitalter Ludwigs XIV., S. 518)
Das Volk von Frankreich mußte noch bittere Erfahrungen mit den Nachfolgern des „Königs Sonne“ machen, ehe es daran ging, in der großen Revolution seine Geschicke in die eigene Hand zu nehmen.
Kaum begann das Land sich einigermaßen zu erholen, so wurde es in neue Kriege gestürzt. 1733–35 hatte es Krieg mit Österreich um Polens und Lothringens willen zu führen, von 1740–48 nahm es am österreichischen Erbfolgekrieg an der Seite Preußens gegen Maria Theresia und England teil, 1756–63, im Siebenjährigen Kriege, kämpfte es an der Seite Maria Theresias gegen Preußen und England, 1778–83 führte es Krieg gegen England zur Unterstützung des Unabhängigkeitskampfes der Vereinigten Staaten.
Diese Kriege ruinieren nicht bloß das Land, sie werden zumeist elend geführt, schaffen ihm nicht einmal Kriegsruhm (Roßbach!).
Der Absolutismus hatte mit Hilfe der aufstrebenden Bourgeoisie den Feudaladel niedergeworfen, aber nicht, um ihn zu beseitigen, sondern um ihn unumschränkt zu beherrschen. Der Monarch fühlte sich als seine Spitze, der Adel war ihm unentbehrlich, er wählte mit Vorliebe aus den Kreisen des ihm ergebenen Hofadels die Leiter der Staatspolitik und der Armeen, während er denselben Adel gleichzeitig seiner Selbständigkeit beraubte, ihn zu bloßem Genußleben degradierte, daher moralisch wie geistig verkommen ließ und seinem ökonomischen Ruin entgegenführte.
Je offenkundiger der moralische, intellektuelle, ökonomische Bankerott des Adels, desto höher seine Ansprüche an seine Bauern, desto maßloser deren Bedrückung und Auspowerung, desto mehr verkam ihre Landwirtschaft, die ökonomische Grundlage des Staates. Gleichzeitig wuchsen aber auch dessen Ansprüche an die unglücklichen Bauern als die Hauptsteuerträger, denn die Adligen, nicht zufrieden, den Staat durch ihre Diplomatie und Kriegführung zu ruinieren, suchten auch durch dessen Plünderung sich für den ökonomischen Niedergang ihrer Besitzungen schadlos zu halten. Sie fanden dabei die Unterstützung der Monarchie und der Kirche, die den größten Grundbesitzer im Staate darstellte.
Diesen verzweifelten Zuständen stand Paris gegenüber mit einer starken, rasch emporstrebenden Bourgeoisie, mit einer zahlreichen Intelligenz, die schärfer die Übel der Staats- und Gesellschaftsordnung erkannte, sie schonungsloser brandmarkte, vernichtender geißelte, als es die Intellektuellen einer anderen Großstadt Europas vermochten. Und unter ihnen ein Kleinbürgertum, das kraftvollste und selbstbewußteste Europas, und ein Proletariat, wie es massenhafter, konzentrierter, verzweifelter nirgends zu finden war.
Ein furchtbarer Konflikt wurde unvermeidlich, sobald diese Gegensätze einmal aufeinanderprallten.
Er brach aus, als schließlich das Königtum nicht mehr weiter konnte, als seine Verschuldung so angewachsen war, daß ihm der finanzielle Zusammenbruch drohte, kein Finanzmann mehr ihm Kredit schenken wollte.
Die feudalen Reichsstände, die seit 1614 nicht zusammengetreten waren, eine ständische Vertretung des Adels, der Geistlichkeit, der bürgerlichen Menge, sollten helfen, sollten neue Steuern und Anleihen bewilligen und damit den Kredit des bankerotten Absolutismus heben, ihm seine Existenz weiterfristen. Die Wahlen für die einzelnen Stände wurden 1789 ausgeschrieben und die Erwählten an den Sitz des Königs, nach Versailles, einberufen.
Doch außer den Höflingen waren alle Klassen zu erbittert gegen das herrschende System. Die Stände machten sich nach ihrem Zusammentritt, 5. Mai 1789, sofort daran, ihm nicht neue Steuern und Anleihen zu bewilligen, sondern es zu reformieren. Darunter verstanden freilich Adel und Geistlichkeit etwas anderes als die Bourgeoisie. Diese siegte im feindlichen Zusammenstoß der Stände. Die Generalstände wurden zu einer konstituierenden Nationalversammlung, die Frankreich eine neue Verfassung gab.
Die Macht der Nationalversammlung war zunächst nur eine moralische: sie beruhte in dem Bewußtsein, daß die ungeheure Mehrheit der Nation hinter ihr stand. Doch das schützte sie noch nicht gegen einen Staatsstreich physischer Gewalt. Noch verfügte die Monarchie über eine solche, über das Heer, und sie war willens, sie zu gebrauchen.
Aber sie mußte sich der Fronde erinnern, der physischen Gewalt, über die Paris verfügte. Nur wenn man mit Paris fertig wurde, durfte man hoffen, die Nationalversammlung auseinanderjagen oder beugen zu können. Daher wurden zahlreiche Truppen in Paris zusammengezogen, und als man dadurch gesichert zu sein glaubte, erfolgte der Staatsstreich, die Entlassung des Ministers Necker, den die Nationalversammlung dem König aufgedrängt hatte (12. Juli 1789).
Nahm Paris das ruhig hin oder wurde es im Kampfe mit den Truppen geschlagen, dann war einstweilen das Schicksal der Revolution besiegelt. Aber Paris erhob sich, die Truppen des Königs versagten, die proletarischen und kleinbürgerlichen Massen erbrachen das Invalidenhaus, entnahmen ihm 30.000 Gewehre, und erstürmten die Zwingburg, die vor den revolutionären Vorstädten lag, die Bastille (14. Juli 1789).
Nun knickten der König und seine Höflinge zusammen, nun aber empörte sich auch die Bauernschaft im ganzen Lande. Schon vorher hatte es vereinzelte bäuerliche Unruhen gegeben, die leicht niedergeschlagen wurden. Dem allgemeinen Sturm, der sich jetzt erhob, vermochte keine Macht zu widerstehen. Paris hat damals die Revolution gerettet und zu einer allgemeinen gemacht.
Doch allmählich schien sich der Sturm wieder zu legen. Der König und sein feudaler Anhang faßten wieder Mut, er begann, sich gegen Beschlüsse der Nationalversammlung ablehnend zu verhalten und von neuem Truppen zusammenzuziehen. Da kamen die Pariser zur Überzeugung, sie seien nicht sicher, so lange die Häupter des Staates, König und Nationalversammlung, in Versailles weilten. Sie wollten sie direkt unter ihre Aufsicht und ihren Einfluß bringen. Am 5. Oktober 1789 zogen große Volksmassen aus der Hauptstadt nach Versailles und holten den König zu sich.
Nun hoffte das Volk, Ruhe zu haben, sich ungestört dem Ausbau der Verfassung und praktischer Arbeit hingeben zu können, von der es unter den neuen Verhältnissen gesicherten Wohlstand erwartete. Am 14. Juli 1790 schwor Ludwig XVI. der neuen Verfassung Treue. Aber sehr mit innerem Widerstreben. Er fühlte sich in den Tuilerien gefangen, alle Akte seiner Regierung waren ihm in der Seele zuwider.
Noch war kein Jahr seit seinem Schwur auf die Verfassung vorüber, da entfloh er heimlich (21. Juni 1791), und er war unvorsichtig genug, ehe er sich in Sicherheit befand, die Volksmasse über sich aufzuklären. Er hinterließ eine Schrift, in der er alle seine Erlasse seit dem Oktober 1789 für erpreßt und ungültig erklärte. Das war sehr voreilig von ihm, denn er wurde auf der Flucht erkannt, festgenommen und wieder nach Paris zurückgebracht.
Bereits damals forderte ein großer Teil der erbitterten Masse der Pariser die Absetzung des Königs, doch saß die monarchistische Tradition noch zu tief in der Gesamtmasse des Volkes, als daß dieser Schritt schon gelungen wäre. Er hätte Ludwig zum Heile gereicht. Damals drohte ihm nur Absetzung.
Schlimmer gestaltete sich sein Los, als Frankreich unter seinem Königtum in Krieg mit den verbündeten Monarchen Europas geriet (April 1792). Das war kein Krieg nach Art der bisherigen, um mehr oder weniger Land. Es war ein Krieg des Feudaladels und des Absolutismus Europas gegen ein Volk, das sich befreit hatte, und das nun wieder unterjocht werden sollte, ein wahrer Bürgerkrieg, mit all der Grausamkeit, die Bürgerkriege kennzeichnet. Der Landesfeind drohte dem revolutionären Volke völlige Vernichtung an, und der Verbündete des Landesfeindes war der eigene König.
In dieser Situation verlor der monarchische Gedanke rasch seine Kraft, trotzdem konnte sich die Nationalversammlung noch nicht entschließen, ihn preiszugeben. Wieder waren es die Pariser, die es erzwangen, daß Ludwig gefangengenommen und eine neue Nationalversammlung einberufen wurde, der Konvent genannt, die Frankreich eine neue, republikanische Verfassung geben sollte (10. August 1792). In seiner ersten Sitzung beschloß der Konvent mit Einstimmigkeit die Abschaffung des Königtums (21. September 1792).
Doch die Pariser glaubten die Republik nicht gesichert, so lange Ludwig XVI. noch lebte. Sie verlangten, daß ihm der Prozeß wegen Landesverrats gemacht wurde. Davor schreckte die Mehrheit des Konvents zurück. Doch wurde die Wut der Pariser unwiderstehlich, als sie erfuhren, daß ein Geheimschrank in den Tuilerien entdeckt worden sei, in dem Ludwig eine Reihe von Dokumenten versteckt hatte. Diese Dokumente bezeugten, daß der König eine Reihe von Parlamentariern, darunter Mirabeau, gekauft hatte, daß er mit dem Landesfeind Verbindungen unterhielt, daß ein Teil seiner Garden, die in den Reihen der Österreicher gegen Frankreich fochten, auch während des Krieges noch von ihm ihren Sold bezogen hatten.
Trotzdem suchte eine Fraktion des Konvents den König zu retten. Sie wollte an das Volk von Frankreich appellieren; durch eine Volksabstimmung sollte Ludwigs Schicksal entschieden werden.
Dieser Versuch, die Provinz gegen Paris auszuspielen, begegnete dem energischsten Widerstand der Pariser. Die Furcht vor ihnen überwog schließlich im Konvent. Die Befragung des Volkes wurde mit 423 gegen 276 Stimmen abgelehnt. Damit war Ludwigs Schicksal entschieden, am 21. Januar 1793 bestieg er das Schafott.
Diejenige Partei der Republikaner, die sich am meisten für den König einsetzte, waren die sogenannten Girondisten, die ihren Namen daher hatten, daß diejenigen Abgeordneten; die den ersten Kern der Partei bildeten, im Departement der Gironde (Südfrankreich) gewählt worden waren. Sie wurden die wütendsten Hasser von Paris, dessen Vormachtstellung sie aufheben wollten. Frankreich sollte ein Föderativstaat werden.
„Vier Tage nach der Eröffnung des Konvents wiederholt der Girondist Lasource unter dem Beifall seiner Parteigenossen die Worte: Ich will nicht, daß Paris, von Intriganten geleitet, das für Frankreich werde, was Rom einst für das römische Reich gewesen ist. Der Einfluß von Paris muß auf den 83. Teil reduziert werden, auf den Anteil, den jedes andere Departement auch hat.“ (Cunow, Die Parteien der großen französischen Revolution, S. 349)
Der Gegensatz zwischen den Girondisten und Paris nahm schließlich die wildesten Formen an. In den Aufständen vom 31. Mai bis 2. Juni 1793 setzten die Pariser beim Konvent die Ausstoßung und Verhaftung von 34 Girondisten durch. Die Antwort bildete die Ermordung Marats durch die Girondistin Charlotte Corday aus der Normandie (13. Juli) und bald der Versuch der Girondisten, die Normandie, die Bretagne und Südfrankreich zur Empörung gegen den Konvent aufzurufen – mitten im Kriege. Daraufhin blieben wieder die Pariser die Antwort nicht schuldig und setzten die Hinrichtung der in Paris befindlichen Girondisten durch (31. Oktober).
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Zuletzt aktualisiert am 7.1.2012