MIA > Deutsch > Marxisten > Kautsky > Soz. d. Landwirtschaft
Betrachten wir die heutigen Bedingungen einer Weiterentwicklung der Landwirtschaft, so kommen wir zu sehr verschiedenen Ergebnissen, je nachdem wir ihre Technik oder ihre Oekonomie ins Auge fassen: Die Technik, das heißt, wie schon erwähnt, das Maß der Beherrschung der Naturkräfte durch den Menschen, und die Oekonomie, das heißt die Verhältnisse, welche die beim Prozeß der Produktion – das Wort im weitesten Sinne genommen – beteiligten Menschen untereinander zu dessen Betreibung eingehen. Wir bekommen hier wieder ein Beispiel davon, wie unerläßlich die Unterscheidung zwischen Technik und Oekonomie ist.
Die Technik der Landwirtschaft ist in raschestem Fortschreiten begriffen. Nicht nur das Maschinenwesen sowie die Technik der landwirtschaftlichen Bauten und Meliorationen, sondern auch die wissenschaftliche Erkenntnis der Lebensbedingungen der Organismen. Jedes Jahr bringt große und erstaunliche Fortschritte, deren Anwendung die Produktivität der landwirtschaftlichen Arbeit enorm steigern muß.
Aber diese Anwendung hält keineswegs gleichen Schritt mit dem raschen Fortgang der Erfindungen und Entdeckungen. Ganz anders als in der Industrie finden wir in der Landwirtschaft, daß die fortgeschrittene Technik sich des Produktionsprozesses nur langsam, zögernd und unvollständig bemächtigt. Der Unterschied zwischen der möglichen und der wirklichen Produktivität der Arbeit wird in der Landwirtschaft immer gewaltiger. In diesem Sinne wird sie, trotz aller Fortschritte, immer rückständiger. Nicht absolut, aber relativ, im Verhältnis zum Stand von Naturwissenschaft und Technik.
Das liegt nicht, wie manche glauben, an der Natur der landwirtschaftlichen Arbeit an sich, sondern an den ökonomischen Verhältnissen, die der Kapitalismus in der Landwirtschaft hervorbringt. Kein Gesetz der Natur liegt hier vor, sondern eines der Gesellschaft. Es ist das Privateigentum am Boden und die Lohnarbeit, was die zunehmende technische Rückständigkeit der Landwirtschaft verschuldet.
Wir wissen bereits, wie im Laufe der Entwicklung der Bauernschaft eine Aristokratie aufkommt. Mit ihr ersteht die Staatsgewalt. Beide reißen von den Ueberschüssen der arbeitenden Bevölkerung auf dem Lande möglichst viel an sich, wodurch sie die technische Vervollkommnung der Landwirtschaft hemmen, zeitweise in einen Rückschritt verwandeln.
Auch die letzte Periode des Feudalismus führte einen derartigen Niedergang herbei. Seine Ueberwindung, die in Frankreich durch die große Revolution erfolgte, brachte einen raschen Aufschwung der Landwirtschaft. Aber bald setzte eine neue Aera der Ausbeutung der ländlichen Arbeit ein. Jetzt, unter der Aera der kapitalistischen Warenproduktion, ist es das mit ihr unzertrennlich verbundene Privateigentum an den Produktionsmitteln, also auch am Boden, was diese Ausbeutung begründet. Nicht mehr Fronden und Naturalabgaben hat der Landmann zu leisten, wohl aber eine Grundrente in Geld. Das tritt offen zutage beim Pachtsystem. Der Pächter muß dem Grundbesitzer für die Erlaubnis, seinen Boden zu bebauen, eine Pachtsumme entrichten, die den ganzen Ueberschuß umfaßt, den die Arbeit des Pächters oder seiner Lohnarbeiter über die Löhne sowie die Erstattung des herkömmlichen Profits vom angewandten Kapital hinaus abwirft. Diese Pachtsumme ist höher bei fruchtbarem oder günstig gelegenem Boden als bei unfruchtbarem oder ungünstigem. Sie wächst, wenn bei gleichbleibenden Produktionskosten die Preise der Bodenprodukte wachsen.
Es sind kolossale Summen, die auf diese Weise die Pächter eines Landes jahraus, jahrein den Grundbesitzern abliefern, von denen sie vielfach entweder vergeudet oder in Industriepapieren angelegt, statt zur Verbesserung der Landwirtschaft angewendet werdenAber das Pachtsystem raubt der Landwirtschaft nicht nur reiche Mittel, die der Vermehrung ihrer produktiven Kräfte dienen könnten, es lähmt auch den Antrieb zur Vermehrung dieser Kräfte.
Den Hauptantrieb in der kapitalistischen Industrie zur Entwicklung der Produktivkräfte bietet der Extraprofit, den ein Unternehmer dadurch macht, daß er die Technik seines Betriebs über das durchschnittliche Maß hinaus verbessert. In der Landwirtschaft wird beim Abschluß eines Pachtvertrages jeder Extraprofit, den der Betrieb über die durchschnittliche Profitrate hinaus zu liefern vermag, als Grundrente betrachtet, die dem Grundbesitzer zufällt. Der Pächter hat also gar keine Ursache, mit großen Unkosten Verbesserungen vorzunehmen, deren Vorteile bei der Erneuerung des Pachtvertrags nicht ihm, sondern dem Grundbesitzer zufallen.
Man sollte meinen, die Sache liege günstiger bei jenen Grundbesitzern, die selbst Landwirtschaft betreiben. Da verbleibt ja die Grundrente dem Landwirt und ebenso alle eventuellen Extraprofite. Tatsächlich wirkt aber hier das Privateigentum am Boden ebenso hemmend auf die technische Entwicklung, wenn auch in anderen Formen und mehr versteckt. Es ist richtig, die Grundrente bleibt hier zunächst dem Landwirt. Aber nur bis zum nächsten Besitzwechsel, und der muß spätestens mit dem Ableben des bisherigen Besitzers eintreten. Im preußischen Staate wechseln im Jahre über 6 Prozent (im letzten Jahrzehnt fast regelmäßig 6,6 Prozent) der Grundstücke den Besitzer, also im Durchschnitt jedes Grundstück alle 15 Jahre. Der neue Landwirt hat beim Besitzantritt entweder den Erbanteil der Miterben oder den gesamten „Wert“ des gekauften Gutes zu bezahlen. Dieser sogenannte Wert ist aber nichts als die kapitalisierte Grundrente; je mehr die Grundrente steigt, desto höher bei gleichem Zinsfuß die Geldsumme, die der neue Landwirt für die Erwerbung seines Betriebs zu zahlen hat. Er kann sie auf zweierlei Art erlegen. Entweder besitzt er das nötige Bargeld und gibt es dem bisherigen Besitzer hin; dann verkürzt er um denselben Betrag die Kapitalmenge, die zur Ausstattung und Verbesserung des Betriebs aufzuwenden wäre. Das ist aber ein Ausnahmefall. Meist besitzt er nicht genügende Mittel, er nimmt eine Hypothek auf und zahlt nun die Grundrente jahraus, jahrein in der Form von Hypothekenzinsen an den Wucherer oder die Bank, die jetzt die wahren Grundbesitzer sind und der Landwirtschaft um so mehr Geld im Jahre abpressen, je mehr die Grundrente steigt. Ein Steigen der Preise der Bodenprodukte, das die Grundrente erhöht, bedeutet stets nur eine vorübergehende Besserstellung der Landwirte. Beim ersten Besitzwechsel schlägt sie in ihr Gegenteil um.
Steigende Grundrenten wirken um so belastender auf die Landwirtschaft beim Eigenbetrieb des Grundbesitzers, da bei einem Besitzwechsel als „Wert“ des Gutes nicht bloß die augenblickliche, sondern auch die noch zu erwartende Grundrente in Rechnung gestellt wird. Alle etwa in Aussicht stehenden Extraprofite werden bei dieser Berechnung schon vorweggenommen. So erfordert die Verzinsung der Kaufsumme oft mehr, als die Grundrente wirklich ausmacht, der Käufer kann in eine wirkliche Notlage kommen, wenn die erwarteten Preissteigerungen sich nicht bald einstellen. Die Extraprofite, die einen so starken Ansporn der technischen Entwicklung in der Industrie bilden, haben also in der Landwirtschaft nicht bloß beim Pachtsystem, sondern auch beim Eigenbetrieb wegen ihres Zusammenwerfens mit der Grundrente die Tendenz, die Betriebe zu schädigen und ihre technische Entwicklung zu hemmen.
Noch auf andere Weise lähmt in der Landwirtschaft das Privateigentum den technischen Aufschwung. Wir haben gesehen, wie sich bei jeder Betriebsweise eine bestimmte Größe des einzelnen Betriebs als die produktivste herausstellt. Auch hier tritt der Unterschied zwischen Technik und Oekonomte zutage. Die Ausdehnung des Kapitals, das heißt des durch das Privateigentum an den Produktionsmitteln bewirkten Ausbeutungsverhältnisses der Lohnarbeit, kann ins Endlose fortgehen, und stets wird dabei das größere Kapital dem kleineren überlegen sein. Dagegen gibt es für jeden einzelnen Betrieb ein Maximum seiner Größe, über das hinaus man ihn nicht ausdehnen kann, ohne seine Produktivität zu verringern. Diese Größe ist für die verschiedenen Produktionszweige und zu verschiedenen Zeiten sehr verschieden, sie hat überall die Tendenz, mit dem Fortschritt der Technik zu wachsen, wenigstens in bezug auf die Menge der von dem einzelnen Betrieb erzeugten Produkte und die Menge des von ihm angewandten konstanten Kapitals (Rohstoffe, Maschinen usw.) ; dagegen nicht immer in bezug auf die Anzahl der beschäftigten Arbeiter und noch weniger in bezug auf die eingenommene Bodenfläche.
Soll eine Gesellschaft das Maximum der mit den gegebenen Produktionsmitteln erreichbaren Produktivität erreichen, dann muß sie dafür sorgen, daß alle Betriebe die durch die jeweilige Höhe der Technik ihres Produktionszweigs als zweckmäßig gegebene Maximalgröße erlangen.
Das ist in der kapitalistischen Produktionsweise, die auf der Grundlage des Privateigentums an den Produktionsmitteln beruht, nirgends allgemein durchzusetzen. Wohl wird dauernd über die Maximalgröße nirgends hinausgegangen, wo die Unzweckmäßigkeit ihrer Ueberschreitung zutage tritt. Dagegen nutzt es einem Unternehmer nicht das geringste, zu erkennen, daß sein Betrieb zu klein ist, um die größte Produktivität entwickeln zu können. Wenn es ihm an Kapital fehlt, kann er ihn doch nicht erweitern.
Das ist einer der Gründe, warum in der kapitalistischen Produktionsweise die theoretisch jeweilig erreichbare größte Produktivität der Arbeit nie wirklich erreicht wird, warum eine große Zahl, ja die überwiegende Zahl der Betriebe unter der Grenze dieser Produktivität bleiben, nicht wenige ganz unzureichend sind. So energisch die kapitalistische Produktionsweise den Fortschritt der Technik anstachelt, sie kann ihn nie vollständig zur Geltung bringen.
Aber weit mehr noch als in der Industrie gilt das in der Landwirtschaft. Nicht nur, weil in ihr die Akkumulation von Kapital langsamer vor sich geht als in der Industrie, indes gleichzeitig der Antrieb zu Verbesserungen geringer ist, sondern auch, weil das Privateigentum an Boden jeder Erweiterung des einzelnen Betriebs ganz andere Schranken entgegenstellt wie in der Industrie. Der Boden ist in der Landwirtschaft das hauptsächlichste Produktionsmittel, die Größe des Betriebs hängt wohl nicht einzig, aber in hohem Grade von der Bodenfläche ab. Nun ist es sicher sehr leicht, dort, wo eine Betriebsfläche sich beim Uebergang zu einer höheren Betriebsform als zu groß herausstellt, sie zu verkleinern. Schwerer ist aber der umgekehrte Fall, und er ist derjenige, der häufiger notwendig wird. Nur die größten Betriebe haben mitunter die Tendenz, einige Außengrundstücke abzugeben. Bei den meisten Betrieben sind die Praktiker ganz anderer Ansicht als jene Doktoren, die sich als die praktischsten der praktischen Landwirte gebärden und das Lob des kleinsten Betriebs singen. Die wirklichen Praktiker entwickeln einen wahren Hunger nach Land, um ihren Betrieb möglichst groß zu gestalten. Aber der Boden ist nicht, wie etwa Maschinen, beliebig' vermehrbar. Die Bodenfläche des eigenen Betriebs kann der Landmann nur erweitern auf Kosten der Nachbarn, die alle die gleiche Tendenz nach Vergrößerung ihres Grundbesitzes haben, die alle dank dem Privateigentum fest auf ihrer Scholle sitzen und von ihr nicht zu weichen brauchen, solange sie nicht bankrott sind.
Eine Verbesserung des Betriebs durch Ausdehnung seiner Bodenfläche findet da meist unübersteigliche Hindernisse. Selbst die bloße zweckmäßigere Gestaltung der Betriebsfläche, die doch weniger schwierig sein sollte, findet noch oft an der historisch überlieferten Zersplitterung der Bodenparzellen und an der durch Besitzwechsel immer wieder erneuten Mengung solcher Parzellen in verschiedenster Lage ein schweres Hindernis.
Zu allen diesen Hemmungen, die aus dem Privateigentum hervorgehen, gesellen sich noch jene, die der Lohnarbeit entspringen.
Die ursprünglichste Art der Arbeit ist die genossenschaftliche. Der isolierte Urmensch, der Robinson, der am Beginn des Aufstiegs der Menschheit stehen soll, ist eine Erfindung moderner bürgerlicher Auffassung. Nur durch gesellschaftliche Arbeit, durch Zusammenarbeiten mit anderen konnte sich der Urmensch behaupten und entwickeln.
Je weniger furchtbar die Waffen der ersten Menschen waren, desto mehr mußten sie sich zusammentun, um der großen Raubtiere und Huftiere Herr zu werden und durch Anlegung von Gruben, in denen sie sie fingen, oder durch offenen Kampf, den sie gegen den Bären und den Büffel nur bestehen konnten, wenn einige von vorne ihm standhielten und andere ihn von rückwärts angriffen; endlich durch Treibjagden, bei denen man auch des flüchtigen Wildes habhaft wurde, indem die einen es versteckt erwarteten und andere es den Lauernden zujagten.
Und ebenso wie die Jagd war auch der Haushalt ursprünglich gesellschaftlichDie Frauen konnten ihren mannigfachen Aufgaben nur gerecht werden, wenn sie sich gegenseitig dabei unterstützten.
Auch im nomadischen Stadium finden wir noch den Haushalt wie die Arbeit der Männer gesellschaftlich. Einer allein konnte unmöglich die Herden zusammenhalten und gegen ihre mannigfaltigen Feinde verteidigen.
Nicht minder finden wir im Beginn des Ackerbaus genossenschaftlichen Haushalt und genossenschaftliche Männerarbeit. Wenn es heute Agrartheoretiker gibt, die behaupten, die Landwirtschaft vertrage ihrer ganzen Natur nach nicht genossenschaftlichen Betrieb, so beweisen sie damit nur, daß sie mit ihrem Empfinden wie ihrem Denken und Wissen über die Gesellschaft der Warenproduktion nicht hinaussehen. Selbst in manchen Teilen Europas herrschte, zum Beispiel bei den südslawischen Völkern, im neunzehnten Jahrhundert noch die Hausgenossenschaft als Form des landwirtschaftlichen Betriebs. Eine Reihe von Brüdern, unter der Leitung des ältesten, bildeten da mit Kindern und Kindeskindern eine Genossenschaft mit gemeinsamem Haushalt und gemeinsamer Landwirtschaft.
Wenn man von einer Form der Arbeit behaupten könnte, daß sie die der menschlichen Natur entsprechendste sei, dann wäre es die genossenschaftliche, die bis zum Aufkommen einer höher entwickelten Warenproduktion allgemein herrscht und deren Bestehen wir auf Hunderttausende von Jahren ansetzen dürfen.
Mit der Warenproduktion aber und dem damit zusammenhängenden Privateigentum an den Produktionsmitteln verliert die genossenschaftliche Arbeit ihren Boden. Nur noch zwei Formen der Arbeit können da dauernd bestehen: entweder arbeiten die Besitzer der Produktionsmittel selbst. Dies können sie unter der Herrschaft des Privateigentums bloß als isolierte Arbeiter im kleinsten Beirieb tun. Ein größerer Betrieb ist unter dieser Eigentumsform nur in der Weise möglich, daß neben dem Besitzer der Produktionsmittel oder, wenn die Betriebsgröße es erlaubt, ohne seine Mitarbeit, Arbeiter durch irgendeine Art des Zwanges getrieben werden, für ihn zu arbeiten. Diese Arbeit der Zwangsarbeiter ist für den Besitzer natürlich nur dann von Vorteil, wenn sie einen Ueberschuß von Produkten über ihre eigenen Erhaltungskosten hinaus für ihn produzieren. Den sucht er also mit allen Mitteln zu erpressen. In der kapitalistischen Produktionsweise ersteht ihm die nötige Zwangsgewalt aus der Notlage der besitzlosen Arbeiter, die keine andere Ware auf den Markt zu bringen haben als ihre eigene Arbeitskraft.
Wo immer sich im Rahmen dieser Produktionsweise Produktionsgenossenschaften bilden oder von früher her erhalten, können sie keinen dauernden Bestand haben. Das Privateigentum einzelner an ihren Produktionsmitteln setzt sich immer wieder durch, und nach kurzer Zeit tritt unfehlbar innerhalb der Genossenschaft die Teilung zwischen Besitzern der Produktionsmittel und besitzlosen Arbeitern ein.
Die Ursachen dieser Teilung mögen mannigfache sein: Glück der einen und Unglück der anderen; Verschiedenheit der Charaktere: hier filzige Asketen, dort leichtlebige Genußmenschen; hier rücksichtslose Egoisten, dort gutmütige und vertrauenselige Altruisten; Verschiedenheiten der geistigen oder körperlichen Kräfte usw. Die Teilung selbst tritt unvermeidlich ein. Nicht als Naturgesetz aller Gesellschaft, wie das bürgerliche Denken meint, wohl aber als unerbittliches Gesetz der entwickelten Warenproduktion. Nicht die Unmöglichkeit sozialistischer Produktion überhaupt wird dadurch erwiesen, wohl aber die Unmöglichkeit sozialistischer Produktion auf Grundlage der Warenproduktion.
Je mehr die Warenproduktion in die Landwirtschaft eindringt, desto mehr löst sie die ursprüngliche genossenschaftliche Produktion auf. Die Industrieprodukte, die ursprünglich die landwirtschaftliche Genossenschaft selbst lieferte, werden jetzt vom städtischen Handwerk weit vollkommener mit geringerem Arbeitsaufwand geliefert. Damit werden Arbeitskräfte in der landwirtschaftlichen Genossenschaft überflüssig. Andererseits bietet das städtische Handwerk das Bild von Betrieben, in denen jeder erwachsene Mann sein eigener Herr ist. Das lockt die jüngeren Brüder in der landwirtschaftlichen Genossenschaft, sich der Oberherrschaft des älteren Bruders zu entziehen, in der Stadt ihr Fortkommen zu suchen.
Die Warenproduktion macht es notwendig, daß der Produzent frei über Produkte und Produktionsmittel verfügt. Zunächst im städtischen Handwerk, Je mehr der Bauer für den Markt produziert, je inniger seine Berührung mit dem städtischen Handwerk, je weniger von seinen Produkten im eigenen Haushalt verbraucht werden, je mehr sie die Form von Geld annehmen, das vom Haupte der Genossenschaft besessen und verwaltet wird, desto mehr fühlt sich dies Haupt als Eigentümer, nicht bloß Verwalter des Familienguts, desto mehr drückt er seine jüngeren Geschwister, soweit sie noch auf dem Hofe bleiben, zu Lohnarbeitern herab, denen am Familiengut kein Anrecht zusteht. Jetzt dürfen seine jüngeren Geschwister, die er in seinem Betrieb behält, auch nicht mehr heiraten. Die Erzeugung legitimer Erben wird sein Monopol.
Die bäuerlichen Großbetriebe werden nun ähnlich jenen der Aristokraten, die ihre Betriebe von vornherein mit Zwangsarbeitern, Sklaven oder Leibeigenen im Gange hielten. An Stelle von Zwangsarbeit dieser Art tritt auch bei den Betrieben der feudalen Aristokraten früher oder später Lohnarbeit, sobald die Besitzlosigkeit von Arbeitskräften eine Massenerscheinung geworden ist.
Der bäuerliche Großbetrieb erhält sich am leichtesten dort, wo Viehzucht vorherrscht, die mehr Arbeit erfordert, als der Bauer und seine Frau allein leisten können; in Gebirgstälern, in denen die Menschen fern auseinanderwohnen, ein Bauernhof oft stundenweit vom anderen getrennt, fast ganz auf sich angewiesen ist.
In fruchtbaren Ebenen, in denen der Getreidebau große Ueberschüsse erzielt, eine dichtere Bevölkerung möglich ist, die sich leicht in Dörfern zusammenschließt, wo einer dem anderen helfen kann, muß die Auflösung der ländlichen Genossenschaft nicht zum Großbetrieb mit Lohnarbeit führen. Zum Betrieb des Ackerbaus reicht zur Not ein Mann aus, namentlich in Gegenden und zu Zeiten, wo nur oberflächlich gepflügt wird, der Pflug keine großen Spannkräfte erheischt. Schlecht und recht kann da auch eine Kuh den Pflug ziehenEine Züchtung von Großvieh ist in einer Wirtschaft mit nur einer erwachsenen männlichen und weiblichen Arbeitskraft schwer möglich. Aber das ist auch bei entwickelter Warenproduktion nicht nötig. Die viehzüchtenden Großbauern können mit den Kleinbauern ihren Ueberschuß an Vieh gegen deren Ueberschuß an Getreide austauschen. Der Kleinbauer muß natürlich dabei den Besitz seines Großviehs auf ein oder zwei Stück beschränken, die er zum Zuge oder zur Milchbeschaffung braucht. Seine Fleischnahrung wird möglichst reduziert.
Das sind die beiden einzigen Formen des Betriebs, die in der kapitalistischen Gesellschaft für die Landwirtschaft weiteste Verbreitung finden: entweder der größere Betrieb mit Lohnarbeitern oder der Zwergbetrieb, den der einzelne Bauer mit den Kräften seiner Person, seiner Frau und seiner Kinder betreibt. Der genossenschaftliche Betrieb bleibt auf Ausnahmen beschränkt.
Es ist von vornherein ausgeschlossen, daß ein bäuerlicher Zwergbetrieb sich aller Mittel der modernen Wissenschaft und Technik bemächtigt. Von Wissenschaft kann bei den Kleinbauern gar keine Rede sein, kaum von guter Schulbildung. Der Betrieb des Kleinbauern stellt die größten Anforderungen an die Arbeitskraft seines Besitzers. Dieser muß unermüdlich tätig sein, soll nicht das Räderwerk ins Stocken kommen. War der Bauer der Hausgenossenschaft ein genußfroher Mensch, der sich nicht gern übermäßig plagte, so wird jetzt der Kleinbauer zum rastlosesten aller Arbeitstiere. Gerade wegen der Arbeitswut, die er bei seinen Besitzern und deren Nachkommen erzwingt und schließlich zur zweiten Natur macht, ist der bäuerliche Kleinbetrieb stets ein Liebling der bürgerlichen Oekonomie gewesen; nicht minder allerdings wegen der politisch reaktionären Gesinnung, die er leicht überall entwickelt, wo die feudale Ausbeutungsweise überwunden ist.
Der Kleinbauer bedarf seiner Kinder dringend irn Beirieb. Sie verfügen nicht über die Zeit und schon gar nicht über das Geld, höhere Schulen zu besuchen – und wenn eines trotz alldem Glück und Energie genug hat, auf eine solche zu kommen und etwas zu lernen, dann geht es erst recht der kleinbäuerlichen Wirtschaft verloren, in der es nicht die geringste Gelegenheit findet, sein höheres Wissen zu betätigen und eine Lebenshaltung zu erlangen, die auf gleicher Stufe mit der der Masse der Gebildeten steht.
Selbst die primitivste Arbeitsleistung ist in einem Betrieb mit nur einem Mann und einer Frau unmöglich. Auch für das Vieh ist eine solche ausgeschlossen, wenn nur ein Stück Großvieh im Hause ist.
Maschinen anzuschaffen, fehlt meist das Geld. Der Bauer wählt ja die Kleinheit seines Betriebs nicht deswegen, weil er darin die rationellste Betriebsgröße sieht, sondern sie ist Folge seiner Armut. Gelingt es ihm einmal, Geld zu sparen, dann ist sein erstes, mehr Land zu kaufen. Die Ausdehnung seines Betriebs, nicht seine Verbesserung auf der gegebenen Bodenfläche, ist seine erste Sorge. Er weiß eben, daß auf der Grundlage des Zwergbetriebs kein rationelles Wirtschaften möglich ist. Die meisten und besten Maschinen sind im Rahmen des Kleinbetriebs unverwendbar. Es gibt kaum eine, die in diesem Rahmen voll ausgenutzt werden und ihre ganze Wirksamkeit entfalten könnte.
Der bäuerliche Kleinbetrieb erweist sich als das mächtigste Hindernis jedes technischen Fortschritts in der Landwirtschaft. Je länger diese Betriebsweise besteht und je schneller der Fortschritt der Technik und Wissenschaft in der Gesellschaft vor sich geht, desto größer muß der Unterschied zwischen der möglichen und der wirklichen Höhe der Produktivität in der Landwirtschaft werden.
Aber die andere Alternative, die Lohnarbeit, ist in der Landwirtschaft dem technischen Fortschritt nicht viel günstiger.
In dem Maße, wie die Arbeit monotoner wird, wirkt sie auch abstoßender. Gehörten in den Anfängen der Kultur viele Arbeiten zu den Genüssen des Daseins, so verringert sich die Zahl und Ausdehnung solcher Arbeiten auf dem Gebiet der materiellen Produktion zusehends mit dem gesellschaftlichen Fortschritt. Immer mehr wird auf diesem Gebiet der wirksamste Ansporn zur Arbeit deren Produkt. Das bleibt dem Arbeiter aber nur dort, wo er Besitzer des Produktionsmittels ist, also nur im Kleinbetrieb, wenn sich genossenschaftlicher Betrieb nicht behaupten kann. Der Kleinbetrieb besitzt damit einen Antrieb zur Arbeit, aber auch zur Sparsamkeit, zur Schonung der Werkzeuge und Nutztiere, zu sparsamer Verwendung von Rohstoffen und Hilfsmaterialien, der der Arbeit im fremden Betrieb, also im Großbetrieb fehlt (wenn genossenschaftliche Arbeit unmöglich), am meisten bei der Zwangsarbeit, zum Beispiel Arbeit von Sklaven und Leibeigenen, aber auch der von Lohnarbeitern. Technische Fortschritte werden aber vom Kapitalisten heute nicht dort eingeführt, wo sie Arbeit ersparen – der Kapitalist arbeitet selbst nicht, und die Arbeitszeit seiner Ausgebeuteten ist ihm gleichgültig –, sondern nur dort, wo sie Profit bringen. Die Arbeit im eigenen Betrieb pumpt aus dem Arbeiter mehr und bessere Arbeit heraus als die im fremden. Soll letztere die erstere verdrängen, dann muß sie technisch nicht nur etwas, sondern sehr viel Vollkommeneres zu leisten vermögen. Technische Ueberlegenheit bedeutet da noch nicht ökonomische Ueberlegenheit. Die Einführung technischer Neuerungen wird dadurch sehr verlangsamt; auch dies ist einer der Gründe, warum in der kapitalistischen Produktionsweise die wirkliche Produktivität der gesamten gesellschaftlichen Arbeit immer hinter ihrer technisch möglichen zurückbleibt und zurückbleiben muß.
Dies Hindernis wirkt in der Industrie wie in der Landwirtschaft, aber in letzterer in weit höherem Grade. In einem industriellen Betrieb sind die Arbeiten auf einem engen Räume zusammengedrängt; der Arbeiter bleibt in der Regel ständig bei einer Hantierung, an einem Orte. Alles das erleichtert seine Ueberwachung. Andererseits tritt vielfach der Erfolg einer bestimmten Arbeit sofort genau meßbar in Erscheinung – soundsoviel Meter Garn, soundsoviel Tonnen Kohlen usw.
Man kann da durch das Akkordsystem zu rascher Arbeit anspornen, fehlerhafte Arbeit bestimmter Arbeiter oder Arbeitergruppen leicht herausfinden, was dem Kapitalisten Anlaß zu den profitabelsten Strafsystemen gibt.
In der Landwirtschaft sind die Arbeiten über eine große Fläche ausgedehnt, der Arbeiter wechselt häufig die Arbeit und den Arbeitsplatz. Seine Ueberwachung wird dadurch schwierig und kostspielig. Nur selten, wie etwa beim Mähen oder Dreschen, tritt der Erfolg bestimmter Arbeiten genau meßbar in Erscheinung; Akkordlohn und ähnliche Mittel des Antriebs zu schneller Arbeit oder der Verhinderung fehlerhafter Arbeit finden daher in der Landwirtschaft weit weniger Anwendung als in der Industrie.
Dazu gesellt sich noch ein anderes hemmendes Moment. Der technische Fortschritt, namentlich die Anwendung von Maschinen, hat wohl die Tendenz, die Arbeit zu vereinfachen, dies gilt jedoch nur für die Masse der angewandten Arbeiter. Neben diesen braucht er eine Reihe intelligenter und geschulter Arbeitskräfte. In der Industriestadt sind solche Elemente massenhaft zu finden. Sie fehlen auf dem flachen Lande und fehlen dort immer mehr.
In Stadt und Land wächst mit der kapitalistischen Produktionsweise die Arbeitswut der Besitzer der Kleinbetriebe sowie die Anpeilschung der Arbeiter durch die Besitzer der Großbetriebe. In Stadt und Land wächst das Streben nach Verlängerung der Arbeitszeit oder, wo dies nicht möglich, nach vermehrter Intensität der Arbeit. In den Städten schließen sich jedoch die Arbeiter zusammen, gewinnen sie am ehesten Kraft, dieses Drängen des Kapitals zurückzuweisen und die Arbeitszeit zu verkürzen, Zeit zum Genießen des Lebens zu gewinnen.
Die Stadt bietet auch die mannigfachsten Mittel dazu – höhere Genüsse, wie die des politischen Kampfes, wissenschaftlicher oder künstlerischer Vorführungen, freilich auch gröbere aller Art.
Dem Landarbeiter, isoliert und leicht zu überwachen, ist es weit schwerer, seine Arbeitszeit zu verkürzen, und noch schwerer, seine freie Zeit zur Abwechslung seines einförmigen Lebens zu benützen. Außer der Kirche und Kneipe unterbricht kaum etwas die Trübseligkeit seines Daseins; politische Versammlungen sind fast unmöglich, die zugängliche Literatur höchst dürftig, künstlerische Darstellungen gibt es gar keine oder im besten Falle alle paar Jahre einmal eine Schmiere für einige Tage. Wohl steht ihm die Natur nahe, aber alles will gelernt sein, auch das Genießen. Nicht etwa, daß nur der Städter für die Schönheiten der Natur Sinn hätte. Sie entzückt jeden, der Gelegenheit hat, ihre Mannigfaltigkeit zu studieren, nicht nur Künstler und städtische Naturenthusiasten, sondern auch Jäger, Aelpler, Seeleute, deren Beruf ein stetes und aufmerksames Studium der freien Natur bedingt. Beim Ackerbauer ist das nur wenig der Fall. Bei Tage absorbiert ihn die Arbeit, und bei Nacht sieht man nichts von der Natur. Ein sentimentaler Mondscheinschwärmer ist der Landmann nicht.
Die Nähe der freien Natur entschädigt ihn also nicht für das Fehlen fast aller gesellschaftlichen Genüsse oder doch Erregungen und Abwechslungen, die die Stadt in so reichem Maße entfaltet.
Kein Wunder, daß die Sehnsucht nach der Stadt wächst und mit der Verbesserung der Verkehrsmittel die Abwanderung zur Stadt zunimmt, die schon im Mittelalter begann.
Sie bietet nicht bloß größere Aussichten zum Fortkommen, größere Freiheit der Bewegung, sondern auch größere Abwechslung, nicht bei der Arbeit, aber außer der Arbeit.
Gerade die Besten, die Energischsten und Intelligentesien unter den ärmeren Bewohnern des flachen Landes wandern in die Städte, am ehesten natürlich jene, die ihr Besitz am wenigsten beschwert. Das ist ein großes Hindernis der sozialistischen Propaganda auf dem Lande, aber auch ein großes Hindernis der Einführung neuer technischer Fortschritte. Was nützen die Erfindungen, wenn die gebildeten Arbeiter fehlen, die erheischt sind, ihre Anwendung möglich zu machen!
Um das Abwandern ihrer Lohnarbeiter zu hindern, trachten die großen Landwirte, ihre Arbeiter künstlich an die Scholle zu fesseln durch kleine Gütchen, die man ihnen käuflich oder pachtweise überläßt. So werden vom Großbetrieb in der Landwirtschaft selbst Zwergbetriebe geschaffen, die technisch völlig unzureichend sind, aber auch nicht dem Zwecke dienen, Ueberschüsse an Lebensmitteln zu produzieren, sondern Ueberschüsse an Arbeitskräften, die dem Großbetrieb zur Verfügung stehen.
Die Lohnarbeiter selbst, die auf dem Lande bleiben, verlangen nach einem Gütchen. Die schlimmsten Geißeln des Arbeiters sind die Schwankungen des Marktes. Die des Nahrungsmittelmarktes, die ihm Teuerung bringen, und noch mehr die des Arbeitsmarktes, die ihn mit dem ärgsten Uebel für den Lohnarbeiter bedrohen, mit Arbeitslosigkeit. Besitzt der Arbeiter ein Gütchen, das ihm die wichtigsten Nahrungsmittel sichert, etwa Kartoffeln und die Milch einer Ziege, so fühlt er sich vor diesen Schwankungen gesichert; er kann die Teuerung wie die Arbeitslosigkeit leichter überdauern. Er verlangt nach einem solchen Gütchen nicht um der Grundrente willen, nicht einmal auf den Profit macht er Anspruch, ja selbst nicht darauf, daß ihm dessen Ertrag den Lohn für die darauf verwendete Arbeit ersetze. Seine Arbeitskräfte sind Frau und Kinder, denen er nichts zahlt, und seine ökonomische Sicherstellung und größere Unabhängigkeit scheinen ihm ein Opfer wert. So ist er bereit, für sein Gütchen Summen zu zahlen, die der Kapitalist für die gleiche Bodenfläche nie bewilligen würde, der Arbeitslöhne zu zahlen hat und einen tüchtigen Profit machen will.
Der Großgrundbesitzer, der von seinem Gute einzelne Gütchen abtrennt, um sie an Lohnarbeiter zu verkaufen oder zu verpachten, macht also ein doppeltes Geschäft; er fesselt nicht nur Arbeiter an seine Scholle, sondern erhält auch von diesen weit höhere Preise als den Betrag der kapitalisierten Grundrente.
So erstehen noch heute gerade in den Bezirken des Großbetriebs und zu dessen Förderung und Stützung immer wieder neue Zwergbetriebe, die technisch miserabel ausgestattet sind und niemals imstande sein werden, auch nur einigermaßen eine höhere Produktivität zu entfalten, indes gleichzeitig in den Gegenden vorwiegenden Kleinbetriebs dieser sich durch die Hemmungen, die das Privateigentum übt, gleichfalls erhält und oft durch Erbteilungen noch weiter parzelliert wird.
Alle diese der technischen Entwicklung feindlichen Einwirkungen des Privateigentums am Boden und der Lohnarbeit werden noch verstärkt durch die wachsenden Kriegsrüstungen, die heute in letzter Linie dem kapitalistischen Konkurrenzkampf entspringen.
Der Krieg und die Rüstung zum Kriege bildete stets ein Hindernis für die Entwicklung der Produktivkräfte. Dies Hindernis wächst mit dem modernen Verkehrswesen und der Herrschaft des Menschen über die Naturkräfle. Mit den Motiven und Mitteln der Massenproduktion wachsen auch die des Massenmordes und wächst die Verschwendung von Kräften, die sonst Mittel des Konsums oder Mittel der Produktion schaffen könnten. Die Produktion in ihrer Gesamtheit betrachtet, wird die Vermehrung der Produktivkräfte durch Militarismus und Marinismus in wachsendem Maße behindert. Aber nicht alle Produktionszweige leiden darunter in gleicher Weise. Manche, die als Lieferanten für Armee und Marine fungieren, namentlich die Eisenindustrie, können ihre Produktivkräfte dadurch steigern. Aber nur auf Kosten der anderen Produktionszweige, die um so mehr darunter leiden. Keiner mehr als die Landwirtschaft. Die Industrie leidet nicht Mangel an Arbeitskräften, wohl aber die Landwirtschaft. Der Militarismus steigert diesen Mangel. Und die Akkumulation von Kapital bei den Landwirten wird nicht dadurch gefördert, wenn zu den wachsenden Lasten der Grundrente noch die der Kriegsrüstungen kommen, alle Ersparnisse nicht nur für steigende Bodenpreise, Pachtund Hypothekenzinsen, sondern auch für steigende Steuern hinzugeben sind.
Die Sache wird nicht besser dadurch, daß die herrschenden Klassen im Bauern und Grundbesitz überhaupt ein Gegengewicht gegen die steigende Flut des revolutionären Proletariats der Städte erblicken und ihn daher durch alle möglichen Begünstigungen und Privilegien auf Kosten der Städte zu stützen suchen. Der Grundbesitz, das heißt der wirkliche Nutznießer der Grundrente, sei er Pachtherr oder Hypothekengläubiger, kann dabei dick und fett werden, die landwirtschaftliche Technik gewinnt höchsten vorübergehend dadurch. Auch hier tritt wieder der Unterschied zwischen Technik und Oekonomie zutage.
Was als ökonomische Förderung des Grundbesitzes gedacht ist, wird schließlich immer wieder ein Hemmnis der technischen Entwicklung der Landwirtschaft. Alle jene Privilegien haben ja keinen anderen Zweck, als gerade solche Verhältnisse künstlich zu stützen, die den technischen Fortschritt in der Landwirtschaft hemmen. Sie bedeuten entweder eine Erhaltung und Belebung des technisch rückständigen Kleinbetriebs in Gegenden, wo er sonst unhaltbar wäre, oder eine Erhöhung der Grundrente, die nur vorübergehend den Landwirten und der Verbesserung ihres Betriebs dient, früher oder später ihren Ausbeutern höhere Einnahmen verschafft, Pachtherren und Hypothekengläubigern.
Immerhin, die Landwirte sind eine für die herrschenden Klassen zu wichtige Klasse in den Industriestaaten, als daß die Ausbeuter ihre ökonomische Uebermacht jenen gegenüber völlig ausnützten. Andererseits sind die Fortschritte der Naturwissenschaften und der Technik in den alten Kulturstaaten zu gewaltige, als daß sie einer Bevölkerung völlig vorenthalten bleiben könnten, die dicht an den Stätten der Produzierung dieser Wissenschaft und Technik wohnt.
Der technische Fortschritt der Landwirtschaft wird durch die eben erwähnten Faktoren gehemmt, die Differenz zwischen möglicher und wirklicher Produktivität stetig vergrößert, aber in den kapitalistischen Industriestaaten wird der Fortschritt dadurch in der Regel nicht aufgehoben, sondern nur verlangsamt.
Anders als in den Industriestaaten steht es in den agrarischen Staaten. Diese kann man in zwei große Gruppen scheiden, von denen die einen am besten durch die überseeischen angelsächsischen Gemeinwesen, Vereinigte Staaten, Kanada, Australien, die anderen durch die Staaten des orientalischen Despotismus – Rußland, Türkei, Persien, Indien, China – repräsentiert werden, die eben im Begriffe sind, sich dem überkommenen Despotismus zu entwinden.
Die Staaten des ersteren Typus sind Kolonien, gegründet auf einem Boden, der zur Zeit seiner Entdeckung und Erschließung eine Bevölkerung trug, die über Jagd und primitivste Bodenkultur noch nicht hinausgekommen war. Die Einführung der Pflugkultur auf der Grundlage der modernen Technik bedeutet da einen enormen technischen Fortschritt. Die Landwirtschaft kann sich um so rascher entfalten und die modernen Werkzeuge ausnutzen, als sie zunächst durch Privateigentum am Boden und Lohnarbeit nicht gehemmt wird. Die ursprünglichen Besitzer des Bodens, die Eingeborenen, werden als rechtlos betrachtet und expropriiert, so hat der Boden der neuen Staaten zunächst keine Besitzer, und er ist in solcher Fülle vorhanden, daß die Besitznahme einzelner Stücke durch einwandernde Landwirte noch kein Monopol begründet. Es gibt keine Grundrente, keinen Bodenpreis von Belang, sein ganzes Geld kann der Landwirt auf die Ausstattung seines Betriebs verwenden.
Lohnarbeit in der Landwirtschaft ist unter diesen Bedingungen kaum möglich, da jeder gesunde Mensch mit geringen Mitteln leicht einen eigenen Betrieb beginnen kann. Also ist auch Großbetrieb unmöglich, da Warenproduktion herrscht. Aber gerade auf ihrer Grundlage kann der Kleinbetrieb in der Kolonie eine höhere technische Grundlage erreichen als im Mutterland, wo die bäuerliche Wirtschaft noch in den Traditionen der Produktion für den Selbstbedarf steckt und daher höchst vielseitig sein muß. In der Kolonie kann der Landmann sofort für den Verkauf produzieren, kann seinen Betrieb einseitig auf eine bestimmte Spezialität, etwa Weizen, einrichten, wodurch er an Produktionsmitteln spart und seine Arbeitskräfte besser ausnutzen kann.
Indes ist die Vielseitigkeit der bäuerlichen Wirtschaft in Europa nur zum Teil dem Umstand geschuldet, daß sie ursprünglich darauf angelegt war, im wesentlichen alles selbst zu produzieren, was die Familie ihres Besitzers konsumierte. Zum Teil wird diese Vielseitigkeit durch die Notwendigkeit erzeugt, die Bedingungen der dauernden Fortführung des Betriebs zu schaffen, die Aussaugung des Bodens zu vermeiden durch Fruchtwechsel, Produktion von Stallmist und dergleichen.
Das hat die bäuerliche Wirtschaft in den Kolonien zunächst nicht notwendig, da ja so reichlicher Boden vorhanden ist. Liefert er an der einen Stelle keinen Ertrag mehr, dann sucht der Bauer eben eine andere Stelle auf, die er urbar macht. Er ist also noch ein halber Nomade.
Damit wird aber diese Wirtschaft zum reinen Raubbau, der rasch den Boden erschöpft.
Die Bodenerschöpfung wird um so verderblicher, da sie mit schonungsloser Waldverwüstung Hand in Hand geht. Man hat berechnet, daß in den Vereinigten Staaten im Jahre durchschnittlich 110.000 Quadratkilometer Wald vernichtet werden – das macht mehr als ein Hundertstel der ganzen Bodenfläche des Landes aus (Oppel, Natur und Arbeit, 1904, II, S. 82).
Kein Wunder, daß die schlimmsten Befürchtungen wegen dieser wahnsinnigen Waldwirtschaft laut werden. Aber was vermögen theoretische Befürchtungen gegenüber kapitalistischer Profitgier!
Natürlich muß eine derartige Raubwirtschaft das Land rasch erschöpfen und ihre eigene Fortsetzung in dem Maße unmöglicher machen, in dem die Reserven noch nicht in Besitz genommenen Bodens verschwinden. In den Vereinigten Staaten ist schon der Anbau mancher Körnerfrüchte, vor allem des Weizens, ins Stocken gekommen.
Eine stete rasche Zunahme der Weizenproduktion im ersten Vierteljahrhundert nach dem Bürgerkrieg, von 1866 bis 1891; im nächsten Jahrzehnt eine Verlangsamung der Zunahme, von gelegentlichem Rückgang unterbrochen; seit 1901 Stillstand. Die letzte Ernte von 1909 war eine außergewöhnlich gute, erzielte 80 Millionen Bushel mehr als die von 1908, blieb aber immer noch um 24 Millionen hinter der von 1901 zurück.
Die gleiche Erscheinung zeigt in den letzten Jahren das Rindvieh mit Ausnahme der Milchkühe.
Also seit 1907 nicht nur keine Zunahme, sondern sogar Abnahme der Zahl der Rinder.
Man sieht, der Raubbau fängt bereits an, seine Wirkungen geltend zu machen.
Die amerikanische Landwirtschaft kann auf die bisherige Weise nicht mehr weiter wirtschaften, sie kann den extensiven nomadischen Raubbau, wo er noch besteht, nicht mehr aufrecht halten und muß eine intensive bodenständige Kultur allgemein durchführen, die auf Erhaltung und Mehrung der Bodenkräfte bedacht ist. Vielfach ist der Anfang dazu gemacht. Damit gerät sie aber in ähnliche Bedingungen wie in Europa. Und gleichzeitig beginnen nun auch die hemmenden Einflüsse des Privateigentums am Boden, der Grundrente und der Alternative zwischen Großbetrieb mit unwilliger Lohnarbeit oder Zwergbetrieb ohne Wissen und ohne höhere Technik sich geltend zu machen.
Wie das auf die Bauern wirkt, zeigt die rasche Zunahme des Pachtsystems. Von den Farmen der Vereinigten Staaten wurden bewirtschaftet
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1880 |
1890 |
1900 |
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vom Besitzer |
74,5 Prozent |
71,6 Prozent |
64,7 Prozent |
von Pächtern |
25,5 Prozent |
28,4 Prozent |
35,3 Prozent |
Die Erschließung der Länder, die von Wilden bewohnt werden, durch europäische Ansiedlungen und dann Eisenbahnen, bedeutet also zunächst eine enorme Erweiterung des Nahrungsspielraums, die aber unter der Herrschaft kapitalistischer Warenproduktion die Formen rücksichtslosesten Raubbaus annimmt, der die urwüchsige Fruchtbarkeit dieser Länder rasch erschöpft und nach einem kurzen Uebergangsstadium für ihre Landwirtschaft die gleiche, ja infolge von Raubbau und Waldverwüstung leicht eine noch ungünstigere Position schafft wie in Europa.
Noch schlimmer ergeht es der Landwirtschaft in den Agrarländern des zweiten, des orientalischen Typus. Sie haben beleits eine bäuerliche Wirtschaft entwickelt, jedoch eine rückständige, die oft noch das dörfliche Gemeineigentum am Boden bewahrt.
In diesen Ländern tritt der Kapitalismus zunächst als der Vernichter der bäuerlichen Industrie und der bäuerlichen Produktion für den Selbstgebrauch auf. Er zwingt sie, einseitig bloß Bodenprodukte zu produzieren und auf die häusliche Industrie zu verzichten. Er zwingt sie, ihre Produkte auf dem Markte zu verkaufen und Industrieprodukte dort zu kaufen. Er gebraucht dabei die mannigfachsten Mittel, vor allem aber wirkt er durch Geldsteuern, die er in Kolonialländern deren Bewohnern direkt auferlegt, in „selbständigen“ Staaten nach Auferlegung von Staatsschulden durch deren nominelle Beherrscher für sich erpressen läßt, mögen sie Zar, Sultan, Sohn des Himmels oder sonstwie heißen.
Die Ausdehnung und damit die Lebensfähigkeit des industriellen Kapitalismus hängt davon ab, daß die Ueberschüsse an Nahrungsmitteln und Rohstoffen stets wachsen, die ihm die agrarischen Länder im Austausch gegen seine Industrieprodukte zuführen. Es gibt zwei Methoden, diese Ueberschüsse zu vermehren, so wie es zwei Methoden der Vergrößerung des Mehrwertes unter dem System der Lohnarbeit gibt, die des absoluten und des relativen Mehrwertes.
Man kann den Mehrwert und das Mehrprodukt dadurch steigern, daß man die Produktivität der Arbeit durch Einführung technischer Verbesserungen erhöht. Der gewaltige technische Fortschritt der Industrie beruht auf dieser Methode. Aber schon in der Landwirtschaft der Industrieländer ist sie viel weniger wirksam als in der Industrie, wie wir gesehen haben. Noch weniger wirksam in den rein oder überwiegend agrarischen, vom Kapital unterjochten Ländern. Wohl wird sie nicht völlig außer acht gelassen – wir erinnern zum Beispiel an die gewaltigen Bewässerungsbauten der Engländer in Aegypten – , aber im allgemeinen wird die andere Methode vorgezogen, das Mehrprodukt oder den Mehrwert nicht dadurch zu steigern, daß dieselbe Arbeit mehr Produkt liefert, sondern dadurch, daß aus den Arbeitern mehr unbezahlte Arbeit herausgeschunden wird, was in den Ländern der Lohnarbeit durch Ausdehnung der Intensivierung der Arbeitszeit und Herabdrückung des Reallohns – nicht immer des Geldlohns – erreicht wird. In den agrarischen Ländern kommen daneben noch andere Methoden in Betracht, namentlich Erhöhung von Steuern und zunehmende Verschuldung des Landwirtes und damit Vermehrung seiner Schuldenzinsen.
Alle diese Methoden der Erhöhung des absoluten Mehrproduktes sind weitaus bequemer, billiger und rascher wirksam wie die der Vermehrung des relativen Mehrproduktes. Freilich führen jene zu vorzeitiger Erschöpfung und schließlich völliger Ruinierung der Kräfte der Arbeiter und des Bodens – der beiden Quellen aller Produktivkraft. Aber die kapitalistische Produktionsweise gehört nicht zu jenen, in denen die Menschen glauben, für die Ewigkeit zu schaffen, noch auch zu jenen, in denen die einzelnen das Gefühl haben, für die Gesamtheit zu schaffen. Da ist jeder für sich im allgemeinen Konkurrenzkampf, jeder nur darauf bedacht, so viel für sich aus der gemeinsamen Beute herauszuschlagen als möglich, und zwar so rasch als möglich, denn alle technischen und gesellschaftlichen Verhältnisse sind in steter Umwälzung begriffen und nur das Heute sicher. Das ist die richtige Produktionsweise des allgemeinen und ständigen Raubbaus.
Der Empörung des Proletariats in den Industrieländern ist es zu danken, daß diese Tendenz zur Ruinierung von Land und Leuten sich dort nicht völlig durchsetzt und immer stärkeren Widerstand findet. Ohne den Klassenkampf des Proletariats hätte das industrielle Kapital die modernen Industrieländer bereits völlig erschöpft und ruiniert. Je kraftvoller der Widerstand des Proletariats, desto mehr werden aber nicht bloß die zerstörenden Raubbautendenzen des Kapitalismus eingeengt, desto mehr wird er auch gedrängt, die andere Methode der Erhöhung des Mehrwertes anzuwenden, die Vermehrung der Produktivkraft der menschlichen Arbeit durch den technischen Fortschritt. Die so hervorgerufene technische Revolution ist die glänzendste Seite in der Geschichte des Kapitalismus. Aber ihren mächtigsten Antrieb bildet der Klassenkampf des Proletariats.
Man wirft uns Sozialdemokraten vor, wir wüßten nur den Klassenhaß zu schüren und keine positive Politik zu treiben. In Wirklichkeit treibt niemand mehr und erfolgreicher positive Politik wie jene, die den Klassenkampf des Proletariats einheitlicher, kraftvoller, erfolgreicher zu gestalten suchen. Ohne diesen Klassenkampf wäre heute schon keine Kultur mehr möglich.
In den agrarischen Ländern des orientalischen Typus fehlt bisher ein industrielles Proletariat, das stark genug wäre, durch seinen Klassenkampf der kapitalistischen Ausbeutung im ganzen Lande Beschränkung aufzulegen, und es fehlt damit das stärkste Hindernis für den Kapitalismus, seine Politik des Raubbaus frei zu entwickeln, sowie der stärkste Antrieb, die Produktivität der Arbeit durch kostspielige und langwierige technische Verbesserungen zu vermehren. Da überwiegt die erstere Methode, die des absoluten Mehrwertes, weit über die letztere, die des relativen Mehrwertes; da führt der Kapitalismus zu unaufhaltsamer nicht bloß relativer, sondern absoluter Verelendung des Bodens und vielfach auch der Bevölkerung.
Zuletzt aktualisiert am 17. April 2021