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Wir haben unsere Darstellung im 5. Kapitel bis zum Bukarester Vertrag geführt und gesehen, daß Wien nach diesem Frieden entschlossen war, seine Revision bei der ersten günstigen Gelegenheit mit Hilfe Deutschlands durchzuführen.
Die Zentralmächte zeigten damals stete Unruhe und großen Talendrang. Deutschland setzte es bei der Türkei durch, daß ein deutscher General, Liman v. Sanders, im Dezember 1913 an der Spitze einer deutschen Militärmission nach Konstantinopel kam und dort das Oberkommando des ersten Armeekorps übernahm, Rußland protestierte heftig, erreichte aber nur, daß Limans Titel in den eines Generalinspektors der türkischen Armee (mit dem Grade eines Marschalls) geändert wurde.
Kurz darauf, März 1914, hatten die Zentralmächte die Genugtuung, einen der ihrigen, den Fürsten von Wied, auf den Thron des neugeschaffenen Königreiches Albanien zu bringen, allerdings ein Erfolg sehr zweifelhafter Art, da der deutsche Landesvater schon im Mai vor seinen heftig drängenden Landeskindern ausriß und sich und seine Schutzherren vor ganz Europa lächerlich machte.
Gleichzeitig häuften sich die Zusammenkünfte Kaiser Wilhelms mit dem Thronfolger Franz Ferdinand. Im April trafen sie sich in Miramare, am 12. Juni wieder in Konopischt in Böhmen.
„Die Neugier des Publikums und das Interesse der Diplomaten wurden erregt durch diese Bekundungen einer Freundschaft, die zu lebhaft war, um nicht zu beunruhigen. Während des Ausfluges nach Konopischt hatte der deutsche Gesandte in London den Auftrag, das dortige Auswärtige Amt über die Anwesenheit des Admirals von Tirpitz im Gefolge des Kaisers zu beruhigen. Wer sich entschuldigt, klagt sich an. Der Admiral hatte offenbar die Luftveränderung nur vorgenommen, um den Duft der Rosen in Böhmen einzuatmen.“
So höhnt über die Harmlosigkeit jener Zusammenkunft ein belgischer Diplomat, Baron Beyens in seinem Buche: L’Allemagne avant la guerre, les causes et les responsabilités (Paris 1915, S.265). Beyens war bei Kriegsbeginn belgischer Gesandter in Berlin und schrieb von dort Berichte, die Deutschland so sympathisch waren, daß die deutsche Regierung, die sie nach dem Einmarsch in Brüssel vorfand, eine Reihe von ihnen veröffentlichte in dem Band Belgische Aktenstücke 1905–1914. Indes änderte Beyens seine günstige Meinung von der deutschen Politik vollständig nach dem österreichischen Ultimatum, Die Berichte, die er von da an schrieb, hat das Berliner Auswärtige Amt nicht veröffentlicht. Man findet sie in der Correspondance diplomatique relative à la guerre de 1914–15 (Paris 1915).
Trotz Beyens erzählt noch Herr v. Jagow in seinem Buche über Ursachen und Ausbruch des Weltkrieges (Berlin 1919, S.101):
„Der Thronfolger wünschte seinem kaiserlichen Freunde die Rosenblüte auf der von ihm besonders geliebten böhmischen Besitzung zu zeigen.“
Was in Konopischt ausgeheckt wurde, darüber könnte nur Wilhelm selbst authentische Auskunft geben. Daß die Zusammenkunft nicht bloß dem Rosenduft galt, bezeugt ein Bericht, den Tschirschky, der deutsche Botschafter in Wien, am 17. Juni 1914 an den Reichskanzler sandte. Dieser Bericht beginnt mit folgender Mitteilung;
„Graf Berchtold war nach der Abreise S.M. des Kaisers von S. Hoheit dem Erzherzog Franz Ferdinand nach Konopischt geladen worden. Der Minister erzählte mir heute, S.K.u.K. Hoheit habe sich ihm gegenüber in höchstem Maße befriedigt über den Besuch S.M. ausgesprochen. Er habe über alle möglichen Fragen eingehend mit S.M. gesprochen und durchweg völlige Übereinstimmung der Ansichten konstatieren können.“
Leider teilt der Bericht nicht mit, welche Ansichten das waren. Aus dem Folgenden erfahren wir nur, daß viel von der Politik die Rede war, die gegenüber den Rumänen zu befolgen sei. Franz Ferdinand sei mit Tiszas Rumänenpolitik nicht einverstanden, da Tisza größere Konzessionen an die Rumänen im ungarischen Staate ablehne, wozu Wilhelm in einer Randnote bemerkt:
„Er darf durch seine innere Politik, die bei der Rumänenfrage auf die äußere des Dreibundes Einfluß hat, die letztere nicht in Frage stellen.“
Sicher machte die ungarische Rumänenpolitik es der rumänischen Regierung unmöglich, sich von Serbien und Rußland loszusagen, damit sie im Fahrwasser Österreichs gegen diese Staaten Front mache.
Unmittelbar nach der Zusammenkunft von Konopischt machte sich das Ministerium des Auswärtigen in Wien daran, eine Denkschrift auszuarbeiten, die zeigen sollte, daß der gegenwärtige Zustand auf dem Balkan unerträglich und Österreich gezwungen sei, Rußland entgegenzutreten, das einen Balkanbund gegen die habsburgische Monarchie plane.
Zu diesem Zwecke suche es Rumänien zu gewinnen. Dessen Verhältnis zu Österreich habe sich sehr verschlechtert
„Die Monarchie hat sich bisher darauf beschränkt, die Schwenkung der rumänischen Politik in Bukarest in freundschaftlicher Weise zur Sprache zu bringen, sich im übrigen aber nicht veranlaßt gesehen, aus dieser immer deutlicheren Kursänderung Rumäniens ernste Konsequenzen zu ziehen. Das Wiener Kabinett hat sich hierzu in erster Linie dadurch bestimmen lassen, daß die deutsche Regierung die Auffassung vertrat, es handle sich um vorübergehende Schwankungen, Folgeerscheinungen gewisser Mißverständnisse aus der Zeit der Krise, die sich automatisch zurückbilden würden, wenn man ihnen gegenüber Rahe und Geduld bewahrt. Es hat sich aber gezeigt, daß diese Taktik ruhigen Abwartens und freundschaftlicher Vorstellungen nicht die gewünschte Wirkung hatte, daß sich der Prozeß der Entfremdung zwischen Österreich-Ungarn und Rumänien nicht zurückgebildet, sondern im Gegenteil beschleunigt hat.“
Auch „für die Zukunft» erwartet die Denkschrift keine „Wendung im günstigen Sinne.“
Wie in dem Bericht über Konopischt steht auch in dem Promemoria die rumänische Frage im Vordergrunde. Die serbische wird kaum berührt. Nicht etwa deswegen, weil die Feindseligkeit Österreichs gegen Serbien geringer wäre, sondern sicher deshalb, weil sie auf kein Hindernis in Berlin stößt, während die deutsche Regierung auf ein gütliches Einvernehmen mit Rumänien hindrängt. Österreich dagegen will Serbien und Rumänien gegenüber die Taktik des „ruhigen Abwartens und freundschaftlicher Vorstellungen“ aufgeben, ebenso aber auch Rußland gegenüber.
Dieser Staat, führt die Denkschrift aus, bedeute eine Gefahr nicht bloß für die österreichische Monarchie, sondern auch für Deutschland. Rußland und sein Verbündeter Frankreich strebten danach, „die militärische Superiorität der beiden Kaisermächte durch Hilfstruppen vom Balkan her zu brechen und seine Ausdehnungspolitik im Gegensatz zu den deutschen Interessen durchzusetzen.
„Aus diesen Gründen ist die Leitung der auswärtigen Politik Österreich-Ungarns auch davon überzeugt, daß es ein gemeinsames Interesse der Monarchie und nicht minder Deutschlands ist, im jetzigen Stadium der Balkankrise rechtzeitig und energisch einer von Rußland planmäßig angestrebten und geförderten Entwicklung entgegenzutreten, die später vielleicht nicht mehr rückgängig zu machen wäre.“ (Abgedruckt in dem Weißbuch betr. die Verantwortlichkeit der Urheber des Krieges, vom Juni 1919, S.68.)
Dieses Memorandum ist kaum anders aufzufassen, als daß es in der Sprache der Diplomatie den Präventivkrieg gegen das Zarenreich fordert.
Das gefährliche Dokument war eben fertig, als die Katastrophe von Serajewo eintrat.
Von Konopisoht hatte sich der Thronfolger zu den Manövern nach Bosnien begeben. Ausgerechnet auf diesem kürzlich erst für annektiert erklärten heißen Boden mußten damals Manöver im Beisein Franz Ferdinands abgehalten werden und an sie anschließend mußte er einen triumphierenden Einzug, gleich einem Eroberer, in die Hauptstadt des Landes halten. Als wollte man das nationale Empfinden besonders stark herausfordern, hatte man den 28, Juni zum Tage des Einzugs in Serajewo gewählt, den „Widow dan“, den St. Veitstag, einen nationalen Trauertag für die Serben. An diesem Tage hatten sie im Jahre 1389 auf dem Amselfelde im Kampfe gegen die sie unterjochenden Türken eine furchtbare und entscheidende Niederlage erlitten, deren Andenken bis heute in den Volksliedern fortlebt. Gerade an diesem Tage mußte der fremde Herrscher von Norden einziehen.
Und echt altösterreichisch gesellte man zur Provokation noch gedankenlosen Leichtsinn.
Wenn man in einem Lande, in dem die Herrenklasse furchtbarsten Terrorismus übte und dadurch eine Atmosphäre von Attentaten schuf, schon den Thronfolger paradieren ließ, mußte man wenigstens Sorge tragen, ihn zu schützen.
Aber nicht das mindeste war vorgesorgt. So groß war die Kopflosigkeit und Leichtfertigkeit, daß man nach dem ersten Attentat, das mißlang, den Thronfolger mit seiner Frau nochmals durch die Straßen fahren ließ, um sie zu bequemen Zielscheiben für einen zweiten Anschlag zu machen.
In einer Depesche vom 3. Juli erhob der gemeinsame Finanzminister imd oberste Verwalter Bosniens Dr. v. Bilinski schwere Anklagen gegen die Leichtfertigkeit der leitenden Kreise in Bosnien und namentlich der Militärs:
„Auch die sonstigen Gebiete der Verwaltung (außer der Justiz) hätten Blößen aufgedeckt, deren Kenntnis wohl von vornherein gegen eine Reise Erzherzog Franz Ferdinands hätte sprechen müssen. Es sei ja dem Landeschef (Feldzeugmeister Potiorek) am besten bekannt, daß das Zustandekommen und die Durchführung der Reise ausschließlich vom militärischen Gesichtspunkte zwischen dem Erzherzog und ausschließlich dem Landeschef ins Werk gesetzt wurde ...
„Am allerwenigsten hätte Dr. v. Bilinski annehmen können, daß dem militärischen Programm ein nicht militärischer Besuch Serajewos eingefügt werden sollte. Hätte Dr. v. Bilinski aus den Berichten des Landeschefs Kenntnis davon gehabt, daß die Polizeiverwaltung ihrer Aufgabe durchaus nicht gewachsen sei, so wäre es offenbar ihrer beider Pflicht gewesen, die Reise unter allen Umständen zu hintertreiben.“ (Gooß, Wiener Kabinett, S.46, 47.)
Bald darauf, am 13. Juli, telegraphierte der Sektionsrat von Wiesner, der nach Serajewo abgesandt war, um Einsicht in die Untersuchungsakten des Prozesses gegen die Attentäter zu nehmen:
„Mitwisserschaft serbischer Regierung an der Leitung des Attentates oder dessen Vorbereitung und Beistellung der Waffen durch nichts erwiesen oder auch nur zu vermuten. Es bestehen vielmehr Anhaltspunkte, dies als ausgeschlossen anzusehen.“
Also nicht bei der serbischen Regierung hatte man die Schuldigen an der blutigen Tat zu suchen, wohl aber waren für sie verantwortlich die Unwissenheit, der Leichtsinn, die frechen Provokationsmethoden des österreichischen Gewaltregrments.
Die Faktoren, die das Attentat auf den Thronfolger heraufbeschworen, waren dieselben, die ihm folgend das weit furchtbarere Attentat auf den Weltfrieden direkt begingen.
Zwölf Troer schlachtete Achilles bei der Leichenfeier seines Freundes Patroklus. Zur Leichenfeier Franz Ferdinands wurden vier Jahre lang viele Millionen Menschen aus allen fünf Weltteilen geschlachtet.
Für die Regenten Österreichs hätte die Tötung des aktivsten Trägers des bestehenden Regimes ein warnendes Menetekel sein müssen, das zur Umkehr drängte. Es zeigte deutlich, welche Früchte die Gewaltpolitik trug und mahnte auf das eindringlichste, diese Politik durch eine der Freiheit und der Versöhnung zu ersetzen als die einzige, die dem in allen Fugen krachenden Staatswesen noch einige Lebensfähigkeit geben konnte.
Aber wann hätte je ein Gewaltregiment ein derartiges Menetekel beachtet! Es fühlte sich vielmehr getrieben, den Terrorismus zu verstärken und der Gewalt gegenüber seinen kroatischen und bosnischen Untertanen auch noch Gewalt gegen das benachbarte serbische Staatswesen hinzuzugesellen, <iem man nun vollends den Garaus zu machen beschloß. Ehe noch Wiesners Bericht über die Urheberschaft am Attentat angelangt war, hatten die Wiener Machthaber bereits die Überzeugung formuliert, die serbische Regierung sei für die Tat verantwortlich zu machen nach dem Prinzip: Tut nichts, der Jude wird verbrannt.
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Zuletzt aktualisiert am: 25.11.2008