Karl Kautsky

Serbien und Belgien in der Geschichte
Österreich und Serbien


3. Die Beschützung der Niederlande durch England


Diese Zeit des Niederganges der spanischen Niederlande im besonderen und des spanischen Gesamtstaats im allgemeinen wußte der aufstrebende Absolutismus Ludwigs XI. wohl zu nutzen. Ein Stück nach dem anderen riß er von dem niederländischen Besitz der Spanier ab, und er hätte ihn wohl ganz an sich gezogen, wenn nicht England das verhinderte.

Gerade zur Zeit Ludwigs XIV. bildeten sich die Grundlagen, auf denen bis heute die äußere Politik Englands ruhte.

Die Dynastie der Stuarts, die von 1603 bis 1688 mit einer Unterbrechung (1649 bis 1660) England regierte, kannte wie jede andere Dynastie damals kein anderes Streben als das, ihre absolute Macht fest zu begründen. jedoch begann England zu ihrem Unglück in jener Zeit seine militärische Kraft auf See zu entwickeln. Seine Landmacht verlor demgegenüber an Bedeutung. Die Hauptwaffe des Absolutismus war aber eine starke Armee, die jeden Widerstand des Volkes niederwarf und dem Kriegsherrn willenlos gehorchte.

In ihrem Hauptland, England, fanden die Stuarts keine Stütze, außer in einem großen Teil des Landadels. Sie suchten ihre Macht zu befestigen durch Faktoren, die außerhalb Englands waren, die Bergschotten, die katholischen Irländer und die Geldmittel des katholischen Königs von Frankreich. So erschienen die Könige Englands verbündet mit den Feinden der Reichseinheit und dem Landesfeind.

Als solcher galt Frankreich damals den bürgerlichen Klassen Englands, unter denen das Kaufmanns- und Bankkapital noch das Industriekapital überwog. Die Ausdehnung der Kolonien, die Beherrschung der Meere war für diese Klassen in jenen Zeiten die wichtigste Quelle der Bereicherung, und dabei fanden sie keinen gefährlicheren Gegner und Konkurrenten als Frankreich. Ehedem war für sie der „Erbfeind“ Spanien gewesen, das über eine furchtbare Seemacht und die stärkste Landmacht in Europa gebot. Der Kampf gegen Spanien hatte damals das ganze aufstrebende bürgerliche England erfüllt, hatte den Kampf gegen den Katholizismus, die Reformation und das Regime Heinrichs VIII. und seiner Tochter Elisabeth populär gemacht.

Nun war durch die vereinten Anstrengungen Englands und der rebellischen Niederlande Spaniens Seemacht niedergerungen, und sein ökonomischer Verfall war auch von dem seiner Landmacht begleitet.

Da trat an Stelle Spaniens eine andere Macht mit den gleichen Ansprüchen und der gleichen Gefährlichkeit, Frankreich ebenfalls eine katholische Macht. Aber diesmal erwiesen sich die Könige Englands nicht als Führer im Kampfe gegen den Katholizismus und den Landesfeind, sondern als seine geheimen Verbündeten.

Das stieß dem Fasse den Boden aus und wurbe für die bürgerlichen Klassen zum stärksten antrieb, der Herrschaft der Dynastie der Stuarts ein Ende zu machen.

Zwei Revolutionen haben sich über die Stuarts entladen. In der ersten, die 1642 begann und 1660 endete, ging die Bourgeoisie Hand in Hand mit arbeitenden Klassen. Dabei aber gewannen diese weit mehr Einfluß, als ihr lieb war, sie wendete sich daher bald von dieser Revolution ab und verriet sie schließlich.

Das zweite Mal war sie vorsichtiger. Um Jakob II. zu verjagen, rief sie nicht mehr die arbeitenden Klassen auf. Sie verband sich vielmehr mit einem Teil des hohen Adels, Das wurde ihr erleichtert dadurch, daß an diesem die erste Revolution auch nicht spurlos vorübergegangen war und er gesehen hatte, welche Gefahr er lief, wenn er den Absolutismus stützte.

So kam es zur zweiten Revolution, 1688, von der Bourgeoisie die „glorreiche“ genannt, weil das Volk nichts mit ihr zu tun hatte.

Von da an kam der mit dem Kaufmanns- und Bankkapital verbündete Teil des hohen Adels, die Whigs, zur Herrschaft. Der König war Wilhelm von Oranien, den sie sich aus Holland holten, dessen Erbstatthalter er war.

Wilhelm und die Whigs stellten damals die wichtigsten Grunddsätze auf, die seitdem die auswärtige Politik Englands geleitet haben.

England verzichtete seit jener Zeit, im Gegensatz zu den übrigen großen Mächten, vollständig und für immer darauf, eine Vergrößerung auf dem Festland Europas zu suchen. Seine ganze Kraft wendet es auf die Ausbreitung seines überseeischen Besitzes. Es steht anscheinend im Widerspruch dazu, daß, als Wilhelm und seine Schwägerin und Nachfolgerin Anna kinderlos gestorben waren, der Kurfürst von Hannover, der Welfe Georg, König von England wurde (1714), so daß die englischen Könige seitdem auch ein deutsches Land besaßen. Aber dies wurde stets nur als der persönliche Besitz der englischen Könige, nie als ein Bestandteil des englischen Reiches betrachtet. Da für Hannover eine andere Thronfolgeordnung galt als für England, so trennten sich beide Staaten 1837. In England kam Viktoria zur Regierung, den Hannoveranern war ein weiblicher Regent versagt, sie bekamen Ernst August zum König. Diese Trennung vollzog sich für beide Seiten gleich schmerzlos, ein Zeichen, wie wenig sie miteinander zusammengehangen hatten.

Sonst hat England seit der „glorreichen“ Revolution nur noch eine Erwerbung auf dem Festland Europas vollzogen, die Gibraltars, das fast eine Insel ist. Diese Eroberung fällt fast noch ins siebzehnte Jahrhundert (1704).

Seit zwei Jahrhunderten hat England kein Stück europäischen Festlandes erworben. Calais, das es 1347 eroberte, hat es schon 1558 verloren.

Unter Cromwell gewann es Dünkirchen 1658, das aber schon 1662 vom geldbedürftigen Karl II. um ein Trinkgelb von 4 Millionen Livres an Frankreich verkauft wurde.

Seit dem Wiener Kongreß, 1815, hat England auch keine europäischen Inseln mehr erworben, wohl aber solche freiwillig aufgegeben, so die Ionischen Inseln, die für den Besitz des Adriatischen Meeres so wichtig sind, an Griechenland (1863), das die Nordsee beherrschende Helgoland an Deutschland (1890).

Englands Interesse an den Kontinentalverhältnissen bestand darin, zu hindern, daß in Europa eine Macht aufkomme, die als stärkste Landmacht auch sich anschicken könne, zur stärksten Seemacht zu werden, und damit nicht nur Englands Machtstellung, sondern auch seine Unabhängigkeit zu bedrohen. Dies Streben, das nach Erhaltung des „europäischen Gleichgewichts“, ist heute noch der Kompaß der europäischen Politik Englands.

Dazu gesellte sich ein zweites Interesse: zu hindern, daß eine starke Macht das Gebiet besetze, daß der verwundbarsten Stelle Englands gegenüberliegt, der Themsemündung, an der die Reichshauptstadt erwachsen ist. Wer Belgien besitzt, der kann sich in einem unbewachten Moment eine Handstreich vollziehen, der ein Stoß ins Herz Englands wäre. So betrachteten wenigstens die Engländer bisher die Sache, und daher wachten sie eifersüchtig darüber, daß keine starke Kriegsmacht sich dort festsetze.

Seit der „glorreichen Revolution“ haben sie blutige Kriege geführt, um Frankreich von den spanischen Niederlanden fernzuhalten. Sie suchten diese aber noch in anderer Weise zu schützen. Schon im Jahre 1697 vereinbarte Wilhelm mit der spanischen Regierung, die nicht mehr imstande war, ihren Besitz selbst zu behaupten, daß sieben belgischen Festungen an der französischen Grenze von holländischen besetzt würden. Dieser eigenartige Vertrag, der „Barrierevertrag“, der wiederholt erneuert wurde, war der Vorläufer der späteren Neutralisierung Belgiens.

Österreich übernahm den Vertrag 1714. Nach dem Aussterben der spanischen Linie der Habsburger (1700) war es zum Krieg um das spanische Erbe zwischen Frankreich und Österreich gekommen. Sein Abschluß 1714 brachte den österreichischen Habsburgern den bis dahin spanischen Besitz in Italien und in den Niederlanden.


Zuletzt aktualisiert am 3. Mai 2019