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Wir haben gesehen, daß der preußische Wahlrechtskampf schon einmal, im Jahre des Mannheimer Parteitages, zu einer starken Meinungsverschiedenheit wegen der Anwendung des Massenstreiks zwischen Stampfer und mir geführt hatte. Seitdem war der Kampf gegen das Dreiklassensystem mit steigender Energie fortgeführt worden, so daß er 1908 zu einer Konzession führte, zu dem königlichen Versprechen einer Wahlreform. Im Februar 1910 kam dann endlich die versprochene Vorlage einer Wahlreform. Diese war jedoch ein so elender Wechselbalg, daß im klassenbewußten Proletariat flammende Entrüstung aufloderte und der Kampf ums Wahlrecht Formen von einer in Preußen unerhörten Schärfe annahm. Die Beratungen des Landtags über das Wahlrecht stachelten diese Empörung noch weiter an.
Da lag es nahe, zu erwägen, ob jetzt nicht der Zeitpunkt gegeben sei, die Straßenkundgebungen durch einen Massenstreik, wenn auch zunächst nur einen Demonstrationsstreik, zu verschärfen. Es gab jedoch niemand an verantwortlicher Stelle, der meinte, die Zeit für ihn sei schon gekommen. In diesem Sinne schrieb auch Mehring in der Neuen Zeit am 19. März 1910:
„Die Dinge sind in revolutionärem Fluß und werden in revolutionärem Fluß bleiben, ohne daß man nach künstlichen Mitteln zu suchen braucht, um die Wellen noch höher aufzupeitschen. Wir haben allen Anlaß, unser Pulver trocken zu halten bis zu den Reichstagswahlen des nächsten Jahres; gelingt es dann, so viele sozialdemokratische Mandate zu erobern, daß die Reichsbarke nicht ohne den Willen der Arbeiterklasse gesteuert werden kann, so ist das historische Rhodus gegeben, auf dem getanzt werden kann und sicherlich auch getanzt werden wird. Dafür wird nicht nur die revolutionäre Einsicht des Proletariats, sondern ebenso die reaktionäre Verblendung der Gegner sorgen. Am Vorabend einer großen Schlacht, für die es alle Kräfte anzuspannen gilt, hat es keinen Zweck, einzelne Treffen zu liefern, die im Falle des Gelingens noch nichts entscheiden, aber im Falle des Mißlingens auf den entscheidenden Kampf verhängnisvoll einwirken können.“ (Neue Zeit, XXVIII, 1, S. 914)
Im entgegengesetzten Sinne sprachen sich ein Mitarbeiter der Bremer Bürgerzeitung und Rosa Luxemburg aus. Sie glaubten offenbar, eine revolutionäre Periode der Massenstreiks nach russischem Muster sei gekommen.
Da erschien es mir notwendig, die Mehringsche Auffassung der Situation, die ich vollständig teilte, und die von mir seit fast zwanzig Jahren verfochtene Idee der in Deutschland möglichen Form des Massenstreiks gegenüber jener Auffassung der Situation und des Massenstreiks zu verteidigen. Es geschah dies in einer Artikelserie, die unter dem Titel Was nun? im April 1910 in der Neuen Zeit erschien. (XXVIII, 2)
Zuletzt aktualisiert am: 10.9.2011