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Die erste kommunistische Messiasgemeinde bildete sich in Jerusalem. An dieser Angabe der Apostelgeschichte zu zweifeln, liegt nicht der mindeste Grund vor. Aber bald erstanden Gemeinden in anderen Städten mit jüdischem Proletariat. Zwischen Jerusalem und den übrigen Teilen des Reiches, namentlich seiner östlichen Hälfte, bestand ja ein starker Verkehr, schon durch die vielen Hunderttausende, vielleicht Millionen von Pilgern, die jahraus jahrein dorthin wallfahrteten. Und zahlreiche besitzlose Schnorrer ohne Familie und Heim wanderten ununterbrochen von Ort zu Ort, wie sie es in Osteuropa noch heute tun, überall so lange verweilend, bis die Mildherzigkeit erschöpft war. Dem entsprechen die Vorschriften, die Jesus seinen Aposteln gab:
„Traget keinen Beutel, keine Tasche, keine Schuhe; grüßet niemand unterwegs. Wo ihr aber in ein Haus eintretet, saget zuerst: Friede diesem Hause. Und ist daselbst ein Sohn des Friedens, so wird euer Friede auf ihm ruhen; wo aber nicht, wird er auf euch zurückgehen.,In demselben Hause aber bleibet und nehmet Essen und Trinken von ihnen, denn dem Arbeiter (!) gebührt sein Lohn. Geht nicht von einem Haus zum anderen über. Und wo ihr in eine Stadt eintretet und man euch aufnimmt, da esset, was man euch vorsetzt, und heilt die Kranken daselbst und sagt ihnen: Das Reich Gottes ist zu euch gekommen. Wo ihr aber in eine Stadt eintretet und man nimmt euch nicht auf, da geht hinaus in ihre Gassen und sagt: Selbst den Staub, der uns von eurer Stadt an den Füßen hängt, wischen wir für euch ab; wisset aber, daß das Reich Gottes bei euch gewesen ist. Ich sage euch aber, es wird Sodoma an jenem Tage besser ergehen als dieser Stadt.“ (Lukas 10, 4 bis 13.)
Die Schlußdrohung, die der Evangelist Jesus in den Mund legt, ist bezeichnend für die Rachsucht des Bettlers, der sich in seinen Erwartungen auf ein Almosen betrogen sieht. Er möchte am liebsten dafür die ganze Stadt in Flammen aufgehen sehen. Bloß soll die Brandstiftung der Messias für ihn besorgen.
Als Apostel galten alle besitzlos umherwandernden Agitatoren der neuen Organisation, nicht bloß die zwölf, deren Namen als die der von Jesus eingesetzten Verkünder seines Wortes überliefert wurden. Die schon erwähnte Didache (Lehre der zwölf Apostel) spricht noch in der Mitte des zweiten Jahrhunderts von Aposteln, die in den Gemeinden wirken.
Solche wandernde „Schnorrer und Verschwörer“, die sich voll des heiligen Geistes dünkten, waren es, die die Grundsätze der neuen proletarischen Organisation, die „erfreuliche Botschaft“, das Evangelium [1] von Jerusalem zunächst in die benachbarten Judengemeinden und dann immer weiter, bis nach Rom brachten. Aber sobald das Evangelium den Boden Palästinas verließ, kam es in ein ganz verändertes soziales Milieu, das ihm einen veränderten Charakter aufprägte.
Neben den Mitgliedern der Judengemeinde fanden die Apostel da im engsten Verkehr mit diesen die jüdischen Mitläufer, die „gottesfürchtigen“ Heiden (σεβόμενοι) die den jüdischen Gott verehrten, die Synagogen besuchten, aber sich nicht entschließen konnten, alle jüdischen Gebräuche mitzumachen. Wenn es gut ging, unterwarfen sie sich der Zeremonie des Tauchbades, der Taufe; aber von der Beschneidung wollten sie nichts wissen und ebensowenig von den Speisegesetzen, der Sabbatruhe und sonstigen Äußerlichkeiten, die sie von ihrer „heidnischen“ Umgebung völlig losgelöst hätten.
Der soziale Inhalt des Evangeliums muß in den proletarischen Kreisen solcher „gottesfürchtigen Heiden“ willige Aufnahme gefunden haben. Durch sie wurde es in andere nichtjüdische Proletarierkreise getragen, in denen ein guter Boden für die Lehre vom gekreuzigten Messias vorhanden war, soweit sie eine soziale Umwälzung in Aussicht stellte und sofortige Unterstützungseinrichtungen organisierte. Dagegen standen diese Kreise allem spezifisch Jüdischen verständnislos, ja mit Abneigung und Hohn gegenüber.
Je weiter sich die neue Lehre in den Judengemeinden außerhalb Palästinas verbreitete, desto offenbarer muß es werden, daß sie an propagandistischer Kraft unendlich gewinnen würde, wenn sie auf ihre jüdischen Besonderheiten verzichtete, aufhörte, national zu sein, und ausschließlich sozial würde.
Als derjenige, der das zuerst erkannte und kraftvoll dafür eintrat, wird Saulus genannt, ein Jude, der nach der Überlieferung nicht aus Palästina stammte, sondern aus der Judengemeinde einer griechischen Stadt, Tarsus in Cilicien. Ein Feuergeist, warf er sich zuerst mit vollster Energie auf die Verfechtung des Pharisäertums, bekämpfte als Pharisäer die dem Zelotismus so verwandte Christengemeinde, bis er angeblich durch eine Vision ohne weiteres eines Besseren belehrt werde und ins entgegengesetzte Extrem umschlug. Er schloß sich der Christengemeinde an, trat aber in ihr sofort als Umstürzler der überkommenen Auffassung auf, indem er die Propaganda der neuen Lehre unter den Nichtjuden und den Verzicht auf deren Übertritt zum Judentum forderte.
Daß er seinen hebräischen Namen Saulus in den lateinischen Paulus verwandelte, ist charakteristisch für seine Tendenzen. Solche Namensänderungen wurden gern von Juden vollzogen, die in außerjüdischen Kreisen zur Geltung kommen wollten. Wenn sich ein Manasse Menelaus nannte, warum sollte sich nicht Saulus Paulus nennen.
Was an der Erzählung von Paulus historisch begründet ist, dürfte heute kaum mehr mit Sicherheit erkannt werden können. Wie in allem, was persönliche Vorgänge anbelangt, erweist sich das Neue Testament auch hier als eine ganz unzuverlässige Quelle, voll von Widersprüchen und unmöglichen Wundergeschichten. Aber die persönlichen Taten Pauli sind ja auch Nebensache. Entscheidend ist der sachliche Gegensatz zu der früheren Anschauung der Christengemeinde, den er verkörpert. Dieser Gegensatz entsprang aus der Natur der Sache, er war unvermeidlich und, wie viel immer die Apostelgeschichte über einzelne Vorkommnisse schwindeln mag, die Tatsache des Kampfes zwischen den beiden Richtungen innerhalb der Gemeinde läßt sie uns doch erkennen. Sie selbst ist eine Tendenzschrift, die diesem Kampfe entsprungen ist, um für die paulinische Richtung Propaganda zu machen, zugleich aber auch den Gegensatz beider Richtungen zu vertuschen.
Anfangs wird die neue Richtung noch schüchtern aufgetreten sein, nur Toleranz in einigen Punkten verlangt haben, über die die Muttergemeinde nachsichtig hinwegsehen mochte.
So sieht es wenigstens nach dem Bericht der Apostelgeschichte aus, die freilich rosig färbte und Frieden zeichnete, wo tatsächlich erbitterter Kampf tobte. [2]
So erzählt sie zum Beispiel aus der Zeit der Agitation Pauli in Syrien:
„Und einige, die von Judäa herunter kamen (nach Syrien), lehrten die Brüder: Wenn ihr euch nicht beschneiden laßt nach der Sitte Moses, so könnt ihr nicht gerettet werden. Da nun aber Paulus und Barnabas viel mit ihnen zu kämpfen und zu streiten bekamen, beschloß man, daß Paulus und Barnabas und einige andere aus ihrer Mitte zu den Aposteln und Ältesten nach Jerusalem hinaufgehen sollten wegen dieser Streitfrage. So bekamen sie denn das Geleite der Gemeinde, zogen durch Phönizien und Samaria, wo sie von der Bekehrung der Heiden erzählten, und bereiteten den Brüdern insgesamt große Freude. Bei ihrer Ankunft in Jerusalem aber wurden sie von der Gemeinde und den Aposteln und den Ältesten empfangen und berichteten, wie große Dinge Gott mit ihnen getan. Aber einige von der Sekte der Pharisäer, die gläubig geworden waren, standen auf und erklärten: Man muß sie beschneiden und anhalten, das Gesetz Moses zu beobachten.“ (Apostelgeschichte 15, 1 bis 5)
Es versammeln sich nun die Apostel und Ältesten, also gewissermaßen der Parteivorstand, Petrus wie Jakobus halten versöhnliche Reden, und schließlich wird beschlossen, Judas Barsabas und Silas, die gleichfalls dem Vorstand angehörten, nach Syrien zu entsenden, die den Brüdern dort verkünden sollen:
„Es ist des heiligen Geistes und unser Beschluß, euch keine weitere Last aufzuerlegen als die folgenden unerläßlichen Dinge: euch zu enthalten des Götzenopfers und des Blutes und des Erstickten und der Unzucht.“
Auf die Beschneidung der heidnischen Proselyten verzichtete der Vorstand. Aber das Unterstützungswesen dürfe nicht vernachlässigt werden: „Nur sollten wir der Armen gedenken, was ich mich auch bemüht habe, so zu halten“, berichtet Paulus darüber in seinem Brief an die Galater (2, 10).
Das Unterstützungswesen, das lag den Judenchristen wie den Heidenchristen in gleicher Weise am Herzen. Es bildete keinen Streitpunkt unter ihnen. Deshalb wird es auch in ihrer Literatur, die fast ausschließlich polemischen Zwecken dient, so wenig berührt. Es ist falsch, wenn man aus diesen seltenen Erwähnungen schließt, es habe im Urchristentum keine Rolle gespielt. Es spielte bloß keine Rolle in dessen inneren Zwistigkeiten.
Diese gingen weiter trotz aller Vermittlungsversuche.
In dem eben zitierten Briefe Pauli an die Galater wird bereits gegen die Verteidiger der Beschneidung der Vorwurf erhoben, sie handelten aus opportunistischen Rücksichten:
„Diejenigen, die im Fleische gutes Ansehen genießen wollen, zwingen euch zur Beschneidung, nur damit sie nicht wegen des Kreuzes des Messias verfolgt werden“ (6, 12).
Nach dem erwähnten Kongreß von Jerusalem läßt die Apostelgeschichte Paulus eine Agitationsreise durch Griechenland unternehmen, die wieder der Heidenpropaganda dient. Nach Jerusalem zurückgekehrt, berichtet er den Genossen über den Erfolg seiner Agitation.
„Sie aber, die das hörten, priesen Gott und sprachen zu ihm: Du siehst, Bruder, wie viele Zehntausende von Gläubigen unter den Juden sind, und alle sind Eiferer für das Gesetz. Sie haben sich aber über dich berichten lassen, daß du überall die Juden in der Heidenwelt den Abfall von Moses lehrst und anweisest, ihre Kinder nicht zu beschneiden und ihre Sitten nicht zu beobachten.“ (Apostelgesch., 21, 20 ff.)
Es wird ihm nun aufgetragen, sich von dieser Anklage zu reinigen und darzutun, daß er noch ein frommer Jude sei. Er zeigt sich bereit dazu, wird aber daran durch einen Aufruhr der Juden gegen ihn gehindert, die ihn als Verräter an ihrer Nation töten möchten. Die römische Obrigkeit nimmt ihn in eine Art Schutzhaft und sendet ihn schließlich nach Rom, wo er seine Agitation, ganz anders als in Jerusalem, ungehindert betreiben darf: „Er verkündete dort das Reich Gottes und lehrte von dem Herrn Jesus ganz offen und ungehindert.“ (Apostelgesch., 28, 31)
Es liegt in der Natur der Sache, daß die Heidenchristen ihren Standpunkt um so entschiedener vertraten, je mehr sie an Zahl zunahmen. So mußte sich der Gegensatz immer mehr verschärfen.
Je länger der Gegensatz dauerte, je zahlreicher die Reibungsflächen, desto feindseliger mußten die beiden Richtungen einander gegenübertreten. Das wurde noch verstärkt durch die Zuspitzung des Gegensatzes zwischen dem Judentum und den Völkern, in deren Mitte es wohnte, in den letzten Jahrzehnten vor der Zerstörung Jerusalems. Gerade die proletarischen Elemente im Judentum, namentlich Jerusalems, traten den nichtjüdischen Völkern, vor allem den Römern, mit immer fanatischerem Hasse entgegen. Der Römer, das war der ärgste der Bedrücker und Ausbeuter, der schlimmste Feind. Der Hellene aber war sein Bundesgenosse. Alles, was den Juden von ihnen unterschied, wurde jetzt mehr als je hervorgehoben. Da mußten alle jene, die auf die Propaganda im Judentum das Hauptgewicht legten, schon aus agitatorischen Rücksichten zur schärferen Betonung der jüdischen Eigenart, zum Festhalten an allen jüdischen Satzungen getrieben werden, wozu sie von vornherein unter dem Einfluß ihrer Umgebung neigten.
Aber im gleichen Maße, wie der fanatische Haß der Juden gegen die Nationen ihrer Unterdrücker wuchs, stieg in diesen die Abneigung und Mißachtung, welche die Massen gegenüber dem Judentum empfanden: Das führte hier wieder unter den Heidenchristen und ihren Agitatoren dazu, daß sie nicht bloß Befreiung von den jüdischen Satzungen für sich verlangten, sondern an diesen Satzungen immer schärfere Kritik übten. Der Gegensatz zwischen Judenchristen und Heidenchristen wurde bei den letzteren immer mehr ein Gegensatz zum Judentum selbst. Dabei aber war der Glauben an den Messias, auch an den gekreuzigten Messias, viel zu tief mit dem Judentum verwachsen, als daß die Heidenchristen dieses ganz einfach hätten verlengnen können. Sie übernahmen vom Judentum alle messianischen Weissagungen und sonstigen Stützen der Messiaserwartung und traten doch gleichzeitig demselben Judentum immer feindseliger gegenüber. Das gesellte einen neuen Widerspruch zu den vielen, die wir im Christentum bereits aufgezeigt.
Wir haben schon gesehen, welchen Wert die Evangelien der Abstammung Jesu von David beilegen, wie sie die sonderbarsten Annahmen vorbringen, um den Galiläer in Bethlehem geboren werden zu lassen. Immer und immer wieder zitieren sie Stellen aus den heiligen Büchern der Juden, um dadurch die messianische Mission Jesu zu beweisen. Sie lassen aber auch Jesus dagegen protestieren, daß er das jüdische Gesetz aufheben wolle:
„Denket nicht, daß ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen, nicht aufzulösen bin ich gekommen, sondern zu erfüllen. Denn wahrlich, ich sage euch, bis der Himmel und die Erde vergehen, soll auch nicht ein Jota oder ein Häkchen vom Gesetze vergehen, bis alles wird geschehen sein.“ (Matthäus 5, 17. Vergleiche Lukas 16, 16)
Seinen Jüngern befiehlt Jesus:
„Zieht nicht auf die Straßen der Heiden und betretet keine Samariterstadt, geht vielmehr zu den verlorenen Schafen vom Hause Israel.“ (Matthäus 10, 6)
Hier wird die Propaganda außerhalb des Judentums direkt verboten. Ähnlich, wenn auch milder, äußerte sich Jesus bei Matthäus zu einer Phönizierin (bei Markus eine Griechin, von Geburt eine Syrophönizierin). Sie rief ihm zu:
„Erbarme dich meiner, Herr, du Sohn Davids. Meine Tochter wird von einem Dämon gequält. Er aber antwortete ihr kein Wort. Und da seine Jünger kamen, baten sie ihn: Fertige sie ab, sie schreit ja hinter uns her. Er aber antwortete: Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen vom Hause Israel. Sie aber kam, warf sich vor ihm nieder und sagte: Herr, hilf mir. Er aber antwortete: Es geht nicht an, das Brot der Kinder zu nehmen und es den Hunden hinzuwerfen. Sie aber sagte: Doch, Herr; essen doch auch die Hunde von den Brosamen, die vom Tische ihres Herrn fallen. Hierauf antwortete ihr Jesus: O Weib, dein Glaube ist groß. Es geschehe dir, wie du willst. Und ihre Tochter ward geheilt von dieser Stunde.“ (Matthäus 15, 21 ff. Vergleiche Markus 7, 27 ff.)
Jesus läßt hier also wohl mit sich handeln. Aber zuerst zeigt er sich sehr ungnädig gegen die Griechin, bloß weil sie nicht Jüdin ist, obwohl sie ihn im Sinne des jüdischen Messiasglaubens als Sohn Davids anruft.
Ganz jüdisch ist es endlich gedacht, wenn Jesus seinen Aposteln verheißt, daß sie in seinem Zukunftsstaat auf zwölf Thronen sitzen und die zwölf Stämme Israels richten werden. Diese Aussicht konnte nur einem Juden, und zwar nur einem Juden in Judäa, sehr verlockend erscheinen. Für die Heidenpropaganda war sie zwecklos.
Aber wenn die Evangelien so stärke Spuren des jüdischen Messiasglaubens übernahmen, so stellten sie unvermittelt daneben Ausbrüche der Abneigung gegen jüdisches Wesen, die ihre Verfasser und Bearbeiter beseelte. Jesus polemisiert immer wieder gegen alles, was dem frommen Juden teuer war, die Fasten, die Speisegebote, die Sabbatruhe. Die Heiden erhebt er über die Juden:
„Darum sage ich euch: Das Reich Gottes wird von euch genommen und einem Volke gegeben werden, bei dem es Früchte bringt.“ (Matthäus 21, 42)
Jesus geht sogar so weit, den Juden direkt zu fluchen:
„Hierauf hub er an, die Städte zu schmähen, in denen die meisten seiner Wunder geschehen waren, weil sie nicht Buße getan hatten: Wehe dir, Chorazin, wehe dir, Bethsaida, denn wenn in Tyrus und Sidon die Wunder geschehen wären, die bei euch geschehen sind, sie hätten dereinst in Sack und Asche Buße getan. Doch ich sage euch: Tyrus und Sidon wird es erträglicher am Gerichtstag ergehen als euch. und du, Kapernaum, wurdest du nicht zum Himmel erhöht? Du wirst noch zur Hölle herabgeworfen werden. Denn wenn in Sodom die Wunder geschehen wären, die bei dir geschehen sind, so stände es noch bis heute. Doch ich sage euch, es wird dem Lande Sodom erträglicher gehen am Tage des Gerichtes als dir.“ (Matthäus 11, 20 ff.)
Diese Worte bezeugen direkten Judenhaß. Hier spricht nicht mehr eine Sekte im Juentum gegen andere Sekten der gleichen Nation. Hier wird die jüdische Nation als solche zu einer moralisch minderwertigen gestempelt, wird sie als besonders bösartig und verstockt hingestellt.
Das tritt auch zutage in den Prophezeiungen über die Zerstörung Jerusalems, die Jesus in den Mund gelegt werden, die aber natürlich erst nach diesem Ereignis fabriziert wurden.
Der jüdische Krieg, der in so überraschender Weise Kraft und Gefährlichkeit des Judentums für seine Gegner offenbarte, dieser rasende Ausbruch wildester Verzweiflung trieb den Gegensatz zwischen Judentum und Heidentum auf die Spitze, wirkte etwa so, wie im neunzehnten Jahrhundert die Junischlacht und die Pariser Kommune auf den Klassenhaß zwischen Proletariat und Bourgeoisie. Das vertiefte auch die Kluft zwischen Judenchristentum und Heidenchristentum, überdies aber entzog es dem ersteren immer mehr jeden Boden. Durch den Untergang Jerusalems verlor eine selbständige Klassenbewegung des jüdischen Proletariats ihre Grundlage. Eine solche Bewegung hat die Unabhängigkeit der Nation zur Voranssetzung. Seit der Zerstörung Jerusalems gab es Juden nur noch in der Fremde, unter Feinden, von denen sie alle, Arme wie Reiche, in gleicher Weise gehaßt und verfolgt wurden, gegen die sie alle fest zusammenstehen mußten. Die Mildtätigkeit der Besitzenden gegen die armen Nationsgenossen erreichte daher gerade im Judentum einen hohen Grad, das nationale Solidaritätsgefühl überwand vielfach den Klassengegensatz. So verlor das Judenchristentum allmählich seine propagandistische Kraft. Das Christentum wurde seitdem immer mehr ausschließliches Heidenchristentum, wurde immer mehr aus einer Partei im Judentum zu einer Partei außerhalb des Judentums, ja im Gegensatz zum Judentum. Chi:istliche Gesinnung und judenfeindliche Gesinnung wurden immer mehr identische Begriffe.
Mit dem Untergang des jüdischen Gemeinwesens verlor aber auch die jüdisch-nationale Messiaserwartung ihren Boden. Sie mochte noch einige Jahrzehnte lang nachwirken, noch einige krampfhafte Todeszuckungen hervorbringen, als wirksamer Faktor der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung hatte sie durch die Vernichtung der jüdischen Hauptstadt den Todesstoß erhalten.
Das galt aber nicht für die Messiaserwartung der Heidenchristen, die sich losgelöst hatte von der jüdischen Nationalität und unberührt blieb von deren Schicksalen. Nur in der Form des gekreuzigten Messias behielt jetzt die Messiasidee Lebenskraft, nur in der Form des außerjüdischen, ins Griechische übersetzten Messias, des Christus.
Ja, die Christen verstanden es, das grauenhafte Ereignis, das den Bankrott der jüdischen Messiaserwartung bedeutete, geradezu in einen Triumph ihres Christus zu verwandeln. Jerusalem erschien jetzt an der Feind Christi, Jerusalems Zerstörung als Christi Rache am Judentum, als furchtbarer Beweis seiner sieghaften Kraft.
Lukas erzählt von Jesu Einzug in Jerusalem
„Und wie er hinzukam, da er die Stadt sah, weinte er über sie und sagte: Wenn doch auch du erkannt hättest an diesem deinem Tage, was zu deinem Frieden ist; nun aber ward es vor deinen Augen verborgen. Denn es werden Tage über dich kommen, da werden deine Feinde einen Graben um dich herumziehen und dich umzingeln und dich bedrängen von allen Seiten. Und sie werden dich zerstampfen und deine Kinder in dir und werden keinen Stein auf dem anderen lassen, dafür, daß du die Zeit der Heimsuchung nicht erkannt hast.“ (Lukas 19, 41 ff.)
Und gleich darauf erklärt Jesus wieder, die Tage der Zertretung Jerusalems, die Vernichtung selbst den Schwangeren und Säugenden bringen, seien „Tage der Rache“ (ἐκδικήσεως). (Lukas 21, 22)
Die Septembermorde der französischen Revolution, die nicht der Rache an Säuglingen galten, sondern der Abwehr eines grausamen Feindes, nehmen sich gelinde aus gegen dieses Strafgericht des guten Hirten.
Die Zerstörung Jerusalems hatte aber noch andere Folgen für das christliche Denken. Wir haben schon darauf hingewiesen, wie das Christentum, das bis dahin gewalttätig gewesen war, nun einen friedlichen Charakter bekam. Nur bei den Juden hatte es im Anfang der Kaiserzeit noch eine kraftvolle Demokratie gegeben. Die anderen Nationen des Reiches waren damals schon kampfunfähig und feige geworden, auch die Proletarier unter ihnen. Die Zerstörung Jerusalems warf die letzte Volkskraft im Reiche nieder. Alle Rebellion wurde nun aussichtslos. Und das Christentum wurde jetzt immer mehr bloßes Heidenchristentum. Es wurde damit unterwürfig, geradezu servil.
Die Herrscher im Reiche waren aber die Römer. Bei denen galt es vor allem, sich als lieb Kind zu erweisen. Waren die ersten Christen jüdische Patrioten gewesen und Feinde aller Fremdherrschaft und Ausbeutung, so fügten die Heidenchristen zum Judenhaß die Verehrung des Römertums und der kaiserlichen Obrigkeit hinzu. Das äußert sich auch in den Evangelien. Bekannt ist die Erzählung von den Lockspitzeln, welche die „Schriftgelehrten und Hohenpriester“ zu Jesus sandten, um ihm eine hochverräterische Äußerung zu entlocken:
„Und sie lauerten ihm auf und sandten Spitzel (ἐγκαϑέτους) zu ihm, die sich als Gerechte (das heißt als Genossen Jesu) aufspielen mußten, um ihn bei einem Worte zu ertappen, daß sie ihn der Obrigkeit und der Gewalt des Statthalters ausliefern könnten. Und sie befragten ihn: Meister, wir wissen, daß du recht redest und lehrst und nicht auf die Person siehst, sondern den Weg Gottes nach der Wahrheit lehrst. Ist es uns erlaubt, dem Kaiser Steuer zu zahlen oder nichts Er aber, da er ihre Arglist wahrnahm, sagte zu ihnen: Zeigt mir einen Denar. Wessen Bild und Aufschrift trägt er? Sie aber sagten: Des Kaisers. Er aber sagte zu ihnen: Folglich gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.“ (Lukas 20, 20 ff.)
Hier entwickelt Jesus eine famose Geld- und Steuertheorie: Die Münze gehört dem, dessen Bild und Aufschrift sie trägt. Man gibt also dem Kaiser nur sein Geld zurück, wenn man ihm Steuer zahlt.
Der gleiche Geist durchweht die Schriften der Vorkämpfer der heidenchristlichen Propaganda. So heißt es in dem Briefe Pauli an die Römer (13, 1 ff.):
„Jedermann sei untertan der öbrigkeitlichen Gewalt, denn es gibt keine Obrigkeit, die nicht von Gott wäre. Wo sie ist, ist sie von Gott angeordnet. Wer sich also der Obrigkeit widersetzt, der lehnt sich auf wider Gottes Ordnung, die Aufrührer aber werden sich die Verdammnis holen ... Die Obrigkeit trägt das Schwert nicht umsonst, sie ist Gottes Gehilfin, Rächerin und Richterin für den, der Böses tut. Darum ist es geboten, sich zu unterwerfen, nicht nur aus Furcht vor der Strafe, sondern auch um des Gewissens willen. Darum sollt ihr auch die Steuer entrichten, denn es sind Gottes Beamte, die dazu aufgestellt sind. Gebt jedem, was er zu fordern hat, Steuer, dem die Steuer gebührt, Zoll, dem der Zoll gebührt, Furcht, dem Furcht, Ehre, dem Ehre gebührt.“
Wie weit ist das bereits von jenem Jesus entfernt, der seine Jünger auffordert, Schwerter zu kaufen, und den Haß der Reichen und Mächtigen predigte; wie weit von jenem Christentum, das in der Offenbarung Johannis Rom und die mit ihm verbündeten Könige aufs ingrimmigste verflucht:
„Babylon, die große (Rom), eine Wohnung der Teufel, ein Kerker aller unreinen Geister und aller unreinen und verhaßten Vögel. Denn aus dem Zornwein ihrer Unzucht haben die Nationen getrunken, und die Könige der Erde haben mit ihr Unzucht getrieben und die Kaufleute der Erde sind von ihrer Üppigkeit reich geworden ... und es werden hehlen und wehklagen über sie die Könige der Erde, die mit ihr Unzucht und Üppigkeit getrieben“ usw. (18, 2 ff.)
Der Grundton der Apostelgeschichte ist die Betonung der Feindschaft des Judentums gegen die Lehre vom gekreuzigten Messias und das Hervorheben eines angeblichen Entgegenkommens der Römer gegen diese Lehre. Was das Christentum nach dem Falle Jerusalems entweder wünschte oder sich einbildete, das wird dort als Tatsache hingestellt. Die christliche Propaganda wird nach der Apostelgeschichte in Jerusalem von den Juden immer wieder unterdrückt, die Juden verfolgen und steinigen die Christen, wo sie können, die römischen Behörden dagegen schützen diese. Wir haben gesehen, daß von Paulus erzählt wird, er sei in Jerusalem schwer bedroht worden, dagegen habe er in Rom frei und ungehindert reden können. In Rom die Freiheit, in Jerusalem die gewaltsame Unterdrückung!
Am auffallendsten aber treten Judenhaß und Römerschmeichelei zutage in der Passionsgeschichte, der Geschichte vom Leiden und Sterben Christi. Hier kann man deutlich erkennen, wie der ursprüngliche Inhalt der Erzählung unter dem Einfluß der neuen Tendenzen in sein Gegenteil verkehrt wurde.
Da die Passionsgeschichte den wichtigsten Teil der evangelischen Geschichtsdarstellung bildet, den einzigen, bei dem von Geschichte gesprochen werden kann, und da sie die Art der urchristlichen Geschichtschreibung deutlich kennzeichnet, soll sie noch eingehend betrachtet werden.
1. Von εὐ, eu, gut, glückbringend und ἀγγέλλω, verkünden, berichten.
2. Vergleiche Bruno Bauer, Die Apostelgeschichte, eine Ausgleichung des Paulinismus und des Judentums innerhalb der christlichen Kirche, 1850.
Zuletzt aktualisiert am 26.12.2011