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Ehe ich auf den Gegenstand vorliegender Untersuchung selbst eingehe, muss ich mich vor allem von dem schweren Verdachte reinigen, in den ich bei manchem durch den Titel meiner Arbeit geraten sein dürfte. „Am Tage nach der Revolution“ ! Beweist das nicht, dass wir „orthodoxen“ Marxisten im Grunde doch nur verkappte Blanquisten sind, die da erwarten, durch einen Handstreich an einem Tage die soziale Diktatur an sich reißen zu können? Und ist es nicht ein Rückfall in die Denkweise des Utopismus, wenn ich heute über Vorschriften für einen Moment nachsinne, von dem wir gar nicht wissen, wann und unter welchen Bedingungen er eintreten wird?
Sicher, wenn der Titel der vorliegenden Schrift dies besagen würde, dann hätte man alle Ursache, mit dem größten Misstrauen an sie heran zu gehen. Ich beeile mich daher, zu bemerken, dass ich die Revolution für einen historischen Prozess halte, der mehr oder weniger lange dauern, einen Prozess, der sich unter schweren Kämpfen Jahrzehnte lang hinziehen kann. Andererseits bin ich davon überzeugt, dass es nicht unsere Ausgabe ist, Rezepte für die Garküche der Zukunft auszuspintisieren. Wie wenig ich davon halte, dafür nur ein Beispiel.
Als vor mehr als 15 Jahren die deutsche Sozialdemokratie ein neues Programm diskutierte, wurde vorgeschlagen, darin die Forderung von Maßregeln aufzunehmen, die den Übergang von der kapitalistischen zur sozialistischen Produktionsweise vermitteln sollten. Damals war ich unter denjenigen, die gegen die Aufnahme derartiger Forderungen auftraten, weil ich es für falsch hielt, der Partei jetzt schon einen bestimmten Weg vorzuschreiben für ein Ereignis, das wir uns gar nicht vorstellen, von dem wir nur eine dunkle Ahnung haben können und das uns mit sehr viel Unerwartetem überraschen wird.
Aber ich halte es für eine gute Denkübung und für ein Mittel, politische Klarheit und Beständigkeit zu fördern, wenn wir versuchen, die Konsequenzen unseres Strebens zu ziehen und die Probleme zu erforschen, die uns aus der Eroberung der politischen Macht erwachsen dürften. Dies ist auch propagandistisch wertvoll, denn einesteils behaupten unsere Gegner, wir würden durch unseren Sieg vor unlösbare Ausgaben gestellt, und andererseits haben sich in den eigenen Reihen Leute erhoben, die die Folgen unseres Sieges nicht schwarz genug malen können. Der Tag des Sieges berge für uns auch schon den Tag der Niederlage in sich. Da ist es doch wichtig, zu untersuchen, ob und in wie weit dies der Fall wäre.
Will man aber bei solcher Gedankenarbeit zu bestimmten Resultaten kommen und sich nicht ins Endlose verlieren, dann muss man die austauchenden Probleme in ihrer einfachsten Form untersuchen, in der sie sich in Wirklichkeit nie zeigen werden, und abstrahieren von allen komplizierenden Umständen. Das ist ein in der Wissenschaft gewöhnliches Verfahren, wobei man sich dessen wohl bewusst bleibt, dass die Dinge in der Wirklichkeit nicht so einfach liegen und sich nicht so glatt abwickeln, wie es in der Abstraktion der Fall ist. Ich habe schon gesagt, dass die soziale Revolution ein langjähriger Prozess ist; aber wollen wir sie auf ihre einfachste Gestalt reduzieren, dann müssen wir von der Annahme ausgehen, dass dem Proletariat eines schönen Tages die gesamte politische Macht ohne Einschränkung mit einem Schlage zufallen, dass es sich bei ihrer Ausübung einzig von seinem Klasseninteresse leiten lassen und sie aufs zweckmäßigste anwenden wird. Das erstere wird sicherlich nicht zutreffen, das letztere braucht auch nicht durchgehend der Fall zu sein. Dazu ist das Proletariat selbst nicht geschlossen genug, nicht genug eine einheitliche Masse. Das Proletariat zerfällt bekanntlich in verschiedene Schichten, verschieden in ihrem Entwicklungsgang, verschieden in ihrer Tradition, verschieden nach ihrer geistigen und ökonomischen Entwicklungsstufe. Es ist aber auch sehr wahrscheinlich, dass zugleich mit dem Proletariat noch andere ihm gesellschaftlich nahestehende Schichten in die Höhe kommen, Teile des Kleinbürgertums oder der kleinen Bauernschaft, deren Denkweise sich nicht völlig mit der proletarischen deckt; daraus können Friktionen und Irrwege der mannigfachsten Art entspringen, wir werden nicht immer können, was wir wollen, und werden nicht immer das wollen, was unter den gegebenen Verhältnissen für die dauernde Emanzipation des Proletariats am zweckmäßigsten wäre. Von diesen störenden Momenten müssen wir aber hier absehen.
Andererseits müssen wir aber auch bei diesen Untersuchungen von bekannten Voraussetzungen ausgehen; wir können nicht als ihre Grundlage ein Bild der Zustände annehmen, wie sie sich in der Zukunft entwickeln dürften, denn damit gerieten wir ins Phantastische und Bodenlose. Und doch ist es selbstverständlich, dass wir nicht zur Herrschaft kommen unter den heutigen Verhältnissen. Die Revolution selbst setzt lange und tiefgehende Kämpfe voraus, die bereits unsere heutige politische und soziale Struktur verändern werden. Nach der Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat wird es also Probleme geben, von denen wir heute noch nichts wissen, und manche, mit denen wir uns heute beschäftigen, werden bis dahin gelöst sein. Es werden aber auch Mittel zur Lösung der verschiedenen Probleme auftauchen, von denen wir heute noch keine Ahnung haben.
So wie der Physiker die Fallgesetze im luftleeren Raum untersucht und nicht in bewegter Luft, so untersuchen wir hier die Situation des siegreichen Proletariats unter Voraussetzungen, die in voller Reinheit nie eintreffen werden, nämlich unter der Annahme, es werde morgen schon mit einem Schlage zur Alleinherrschaft kommen, und die Mittel, die ihm zur Lösung seiner Aufgaben zu Gebote stünden, seien die heute gegebenen. Wir können dabei zu Resultaten kommen, die sich von dem wirklichen Verlauf der kommenden Dinge ebenso unterscheiden wie die Fallgesetze von dem wirklichen Fall der verschiedenen Körper. Aber trotz dieser Abweichungen bestehen die Fallgesetze wirklich und beherrschen den Fall jedes einzelnen Körpers, den man erst begreifen kann, wenn man diese Gesetze begriffen hat.
So bestehen auch die Aussichten und Hindernisse für das siegreiche Proletariat wirklich, die auf dem hier angegebenen Wege gefunden werden – natürlich unter der Voraussetzung, dass wir dabei methodisch richtig vorgehen –, und sie werden in den Kämpfen der sozialen Revolution und ihren Vorläufern eine bestimmende Rolle spielen, mag auch die Wirklichkeit sich etwas anders gestalten, als hier angenommen. Und nur auf diesem Wege kann man überhaupt zu wissenschaftlich bestimmten Urteilen über die Aussichten der sozialen Revolution kommen. Wem dieser Weg noch zu unsicher erscheint, ihr ein Prognostikon zu stellen, der muss ganz schweigen, wenn von ihr die Rede ist, und einfach erklären: wer's erlebt, wird wissen, wie es aussieht, was unleugbar der sicherste Weg bleibt. –
Nur solche Probleme der sozialen Revolution sind diskutabel, die auf dem hier angegebenen Wege erkennbar sind. Über alle anderen kann man weder in der einen noch in der anderen Richtung ein Urteil fällen.
Nehmen wir also an, der schöne Tag sei angebrochen, der dem Proletariat mit einem Male alle Gewalt in den Schoß wirft. Was wird es damit anfangen? Nicht anfangen wollen, auf Grund dieser oder jener Theorie oder Stimmung, sondern anfangen müssen, getrieben durch seine Klasseninteressen und den Zwang der ökonomischen Notwendigkeit.
Zunächst ist es selbstverständlich, dass es nachholen wird, was die Bourgeoisie versäumt hat. Es wird alle Reste des Feudalismus wegfegen und das demokratische Programm, welches auch die Bourgeoisie einmal vertreten hat, zur Wahrheit machen. Als unterste aller Klassen ist es auch die demokratischste aller Klassen. Es wird das allgemeine Wahlrecht zu allen Körperschaften einführen, die volle Press- und Vereinsfreiheit verleihen; es wird den Staat unabhängig machen von der Kirche, es wird alle erblichen Vorrechte aufheben. Es wird den einzelnen Gemeinden zur vollen Selbstverwaltung verhelfen und den Militarismus beseitigen. Dieses letztere kann in zweierlei Weise geschehen: Durch Einführung der Volksbewaffnung und durch Abrüstung. Die Volksbewaffnung ist eine politische Forderung, die Abrüstung eine finanzielle. Die erstere kann unter Umständen ebensoviel kosten wie ein stehendes Heer, aber sie ist erforderlich zur Befestigung der Demokratie, um der Regierung ihr wichtigstes Machtmittel gegenüber dem Volk zu nehmen. Die Abrüstung wieder zielt vor allem auf Verringerung des Militärbudgets ab. Sie kann in einer Weise durchgeführt werden, welche die Macht der Regierungen noch verstärkt, wenn an Stelle des großen Heeres der allgemeinen Wehrpflicht ein kleineres Heer charakterloser Lumpenproletarier gesetzt wird, die sich für Geld zu allem gebrauchen lassen. Ein proletarisches Regime wird notwendigerweise danach trachten, Volksbewaffnung und Abrüstung mit einander zu vereinbaren, das Volk zu bewaffnen und gleichzeitig die Fortsetzung der Rüstungen, die Herstellung neuer Gewehre, Kanonen, Panzerschiffe, Festungen überflüssig zu machen, indem es internationale Vereinbarungen abschließt und alle internationalen Konfliktsstoffe beseitigt, die aus der bürgerlichen Konkurrenz stammen.
Selbstverständlich wird das siegreiche Proletariat auch das Steuerwesen einer gründlichen Reform unterziehen. Es wird trachten, alle Steuern abzuschaffen, die heute das arbeitende Volk belasten, also vor allem die indirekten, die Lebensmittel verteuernden Steuern, und dafür die großen Einkommen und Vermögen mehr zur Deckung der Staatsausgaben heranziehen, durch eine progressive Einkommensteuer bzw. Vermögenssteuer. Aus diesen Punkt komme ich später noch zurück, hier genüge daher diese Andeutung.
Ein besonders wichtiges Feld wird aber das Schulwesen für uns sein. Das Volksschulwesen hat von jeher die proletarischen Parteien beschäftigt und schon bei den alten kommunistischen Sekten des Mittelalters eine große Rolle gespielt. Das Monopol auf Bildung den besitzenden Klassen zu entreißen, musste immer zu den Wünschen des denkenden Teils des Proletariats gehören. Es ist selbstverständlich, dass das neue Regime die Schulen vermehren und verbessern, die Lehrer auskömmlicher und besser bezahlen wird. Aber man wird noch weiter gehen. Wohl kann das siegreiche Proletariat, auch wenn es noch so radikal gesinnt ist, nicht mit einem Male die Klassenunterschiede aufheben, denn sie sind in vieltausendjähriger Entwicklung entstanden und sie und ihre Folgen lassen sich nicht einfach wegwischen, wie Kreidestriche mit einem Schwamm von einer Tafel. Aber die Schule kann in dieser Richtung vorarbeiten und ganz wesentlich zur Beseitigung der Klassenunterschiede beitragen, dadurch, dass alle Kinder gleich gut genährt und gekleidet, in gleicher Weise unterrichtet werden, in gleicher Weise die Möglichkeit zu allseitiger Entwicklung ihrer geistigen und leiblichen Fähigkeiten erhalten.
Man darf den Einfluss der Schule nicht überschätzen. Das Leben ist mächtiger als sie, und wo sie sich in Gegensatz setzen will zu der Wirklichkeit, da wird sie stets scheitern. Wenn wir z. B. den Versuch machen wollten, heute schon die Klassenunterschiede durch die Schule aufzuheben, so würden wir damit nicht weit kommen. Aber die Schule kann dort, wo sie in der Richtung der tatsächlichen gesellschaftlichen Entwicklung wirkt, diese ganz gewaltig fördern und beschleunigen. Wo diese Verhältnisse also in der Richtung der Aufhebung der Klassenunterschiede fortschreiten, da kann die Schule dabei vorangehen und für die in ihr heranwachsende Generation wenigstens auf beschränktem Gebiete das verwirklichen, was in der ganzen Gesellschaft gleichzeitig mit dieser Generation allmählich entwickelt wird.
Alles das sind Ziele, die schon der bürgerliche Radikalismus aufgestellt hat, die er aber nicht erreichen kann, weil dazu eine Kraft und Rücksichtslosigkeit gegenüber dem Kapital gehört, deren keine bürgerliche Klasse fähig ist. Die Neuschule im hier entwickelten Sinne würde z. B. im Deutschen Reiche jährlich nach der Berechnung, die ich in meiner Agrarfrage angestellt, 1½, vielleicht sogar 2 Milliarden jährlich erfordern. Fast das doppelte des heutigen Militärbudgets! Solche Summen für Schulzwecke kann nur ein vom Proletariat beherrschtes Gemeinwesen aufbringen, das vor den großen Einkommen nicht respektvoll Halt macht.
Aber die Revolution wird natürlich bei diesen Umwandlungen nicht stehen bleiben können. Sie ist eben keine bloße bürgerlich demokratische, sondern eine proletarische Revolution. Wir wollen, wie schon erwähnt, nun nicht untersuchen, was das Proletariat auf Grund der einen oder anderen Theorie wird tun wollen, denn wir wissen ja nicht, welche Theorien noch auftauchen können und unter welchen Umständen und Einflüssen die Revolution sich durchsetzen wird. Wir wollen nur untersuchen, was das siegreiche Proletariat unter dem Drange der ökonomischen Verhältnisse zu tun gezwungen sein wird, wenn es zweckmäßig vorgehen will.
Da ist ein Problem vor allen anderen, welches jedes proletarische Regime in erster Linie beschäftigen wird. Es wird auf alle Fälle die Frage lösen müssen, wie der Not der Arbeitslosen abzuhelfen. Die Arbeitslosigkeit ist der schlimmste Fluch für den Arbeiter. Sie bedeutet für ihn Elend, Demütigung, Verbrechen. Der Arbeiter lebt nur vom Verkaufe seiner Arbeitskraft, und wenn er keine Käufer für diese findet, ist er dem Hunger preisgegeben. Selbst dann peinigt die Arbeitslosigkeit den Arbeiter, wenn er sich in Arbeit befindet, denn keinen Tag ist er davor sicher, arbeitslos und damit elend zu werden. Diesem Zustande wird ein proletarisches Regime auf jeden Fall ein Ende zu machen trachten, selbst wenn die Proletarier nicht sozialistisch, sondern liberal denken würden, wie bisher in England. In welcher Weise die Arbeitslosenfrage gelöst werden wird, das haben wir hier nicht zu untersuchen; es gibt hierzu sehr verschiedene Methoden, und mannigfaltige Vorschläge sind von einer Reihe von Sozialpolitikern gemacht worden. Man hat bekanntlich auch von bürgerlicher Seite der Not der Arbeitslosigkeit zu steuern versucht und Arbeitslosenversicherungen projektiert, zum Teil auch eingerichtet. Aber die bürgerliche Gesellschaft vermag auf diesem Gebiete nur unzureichendes Stückwerk zu schaffen, weil sie sonst selbst den Ast absägte, auf dem sie sitzt. Nur das Proletariat, das siegreiche Proletariat kann und wird Maßregeln treffen, die alle Not der Arbeitslosigkeit auszuschließen im Stande sind, möge sie durch Krankheit oder sonst wie verursacht sein. Eine wirklich ausreichende Unterstützung aller Arbeitslosen muss nämlich völlig das Kraftverhältnis zwischen Proletariat und Bourgeoisie, zwischen Proletariat und Kapital verschieben; sie macht das Proletariat zum Herren in der Fabrik. Wenn die Arbeiter sich heute dem Unternehmer verkaufen, wenn sie sich von ihm ausbeuten und knechten lassen müssen, so ist es eben das Gespenst der Arbeitslosigkeit, die Hungerpeitsche, was sie dazu zwingt. Hat dagegen der Arbeiter die Sicherheit der Existenz, auch wenn er nicht in Arbeit ist, so ist nichts leichter für ihn, als das Kapital matt zu setzen. Es braucht dann nicht mehr den Kapitalisten, während dieser ohne ihn seinen Betrieb nicht fortsetzen kann. Ist es so weit, dann wird der Unternehmer bei jedem Konflikt mit seinen Arbeitern den Kürzeren ziehen und gezwungen sein, nachzugeben. Die Kapitalisten können da wohl fortfahren, Leiter der Fabriken zu sein, aber sie werden aufhören, ihre Herren und Ausbeuter zu sein. Erkennen aber die Kapitalisten, dass sie nur noch das Risiko und die Lasten des kapitalistischen Betriebes zu tragen haben, dann werden diese Herren die ersten sein, welche auf die Fortführung der kapitalistischen Produktion verzichten und darauf drängen, dass man ihnen ihre Unternehmungen abkauft, die sie ja doch nicht mehr mit Vorteil betreiben können. Wir haben ähnliche Vorkommnisse schon gehabt. So waren, um ein Beispiel zu nennen, in Irland zur Zeit, als die Pächterbewegung ihren Höhepunkt erlangt hatte, die Grundbesitzer nicht im Stande, ihre Renten einzutreiben; da waren es die Landlords selbst, die danach verlangten, dass man allen Grundbesitz von Staatswegen ankaufe. Das Gleiche hätten wir unter dem proletarischen Regime von dem kapitalistischen Unternehmertum zu erwarten. Auch wenn dieses Regime nicht von sozialistischen Theorien geleitet würde und nicht von vornherein daraus ausginge, die kapitalistischen Produktionsmittel in gesellschaftlichen Besitz zu bringen, würden die Kapitalisten selbst verlangen, dass man ihnen ihre Produktionsmittel abkaufe. Politische Herrschaft des Proletariats und Fortführung der kapitalistischen Produktionsweise sind mit einander unvereinbar. Wer die Möglichkeit der ersteren zugibt, muss auch die Möglichkeit des Verschwindens der letzteren zugeben.
Welche Käufer stehen nun den Kapitalisten zu Gebote, denen sie ihre Unternehmen verkaufen könnten? Ein Teil der Fabriken, Bergwerke usw. könnte an die in ihnen tätigen Arbeiter selbst verkauft werden, die sie fortan genossenschaftlich betrieben. Andere könnten an Konsumgenossenschaften, wieder andere an Gemeinden oder an den Staat verkauft werden. Es ist aber klar, dass das Kapital sich am meisten den zahlungsfähigsten, sichersten Käufern zuwenden wird und das sind der Staat und die Gemeinden, und schon aus diesem Grunde würde die Mehrzahl der Unternehmungen in staatlichen und kommunalen Besitz übergehen. Dass die Sozialdemokratie, wenn sie ans Ruder kommt, von vornherein eine derartige Lösung anstreben wird, das ist bekannt. Andererseits wird aber auch ein nicht von sozialistischen Anschauungen geleitetes Proletariat von vornherein darauf ausgehen, jene Betriebe in Staats- oder Gemeindeeigentum zu verwandeln, die aus natürlichen Gründen – z. B. Bergwerke, – oder durch die Art ihrer Organisation – z. B. Trusts – zu Monopolen geworden sind. Diese privaten Monopole werden heute schon unerträglich, nicht bloß für die Lohnarbeiter, sondern für alle Klassen der Gesellschaft, die nicht an ihnen einen Anteil haben. Nur die Ohnmacht der bürgerlichen Welt gegenüber dem Kapital hindert sie, ihnen zu Leibe zu gehen. Eine proletarische Revolution müsste naturnotwendig dahin führen, das Privateigentum an diesen Monopolen aufzuheben. Sie sind aber heute schon sehr ausgedehnt, beherrschen heute schon in hohem Grade das ganze ökonomische Leben und entwickeln sich rapid. Ihre Verstaatlichung und Kommunalisierung bedeutet allein schon die Beherrschung des ganzen Produktionsprozesses durch die Gesellschaft und ihre Organe, Staat und Gemeinde.
Für die Verstaatlichung am geeignetsten sind die nationalen Transportmittel – Eisenbahnen – sowie die Produktion von Rohmaterialien und anderen Produktionsmitteln – Bergwerke, Wälder, Eisenhütten, Maschinenfabriken u. dgl. Das sind auch die Gebiete, auf denen der Großbetrieb und die Kartellierung am meisten entwickelt ist. Die Verarbeitung der Rohmaterialien und Halbfabrikate für den persönlichen Konsum sowie der Kleinhandel haben vielfach lokalen Charakter und sind noch stark dezentralisiert. Auf diesen Gebieten werden die Kommunen und Genossenschaften stärker in den Vordergrund treten, der Staatsbetrieb eine sekundäre Rolle spielen. Aber mit der fortschreitenden Arbeitsteilung tritt die Produktion für den direkten persönlichen Konsum verhältnismäßig immer mehr zurück hinter die Produktion von Produktionsmitteln. Damit wächst auch das Gebiet der staatlichen Produktion. Andererseits wird dieses Gebiet dadurch erweitert, dass die Entwicklung des Verkehrs und des Großbetriebs die lokalen Schranken des Marktes für einen Produktionszweig nach dem anderen sprengt, einen nach dem anderen aus einem lokalen in einen nationalen verwandelt. So ist z. B. die Gasbeleuchtung offenbar eine kommunale Angelegenheit. Dagegen macht die Entwicklung der elektrischen Beleuchtung und Kraftübertragung in gebirgigen Gegenden die Verstaatlichung der Wasserkräfte notwendig. Das wirkt darauf hin, auch die Beleuchtung aus einer kommunalen zu einer staatlichen Angelegenheit zu machen. Andererseits war früher der Betrieb eines Schuhmachers auf den lokalen Markt angewiesen. Die Schuhfabrik hingegen versorgt nicht nur eine Gemeinde, sondern das ganze Land mit ihren Produkten, sie ist reif nicht für die Kommunalisierung, sondern für die Verstaatlichung. Ebenso Zuckerfabriken, Bierbrauereien usw.
Die Entwicklung hat also die Tendenz, den Staatsbetrieb unter einem proletarischen Regime immer mehr zur Hauptbetriebsform zu machen.
Soviel zunächst über das Eigentum an den Produktionsmitteln der Großbetriebe, zu denen die landwirtschaftlichen natürlich auch gehören. Was soll aber mit dem Geldkapital und dem Grundeigentum geschehen? Das Geldkapital ist jener Teil des Kapitals, der die Form von zinstragenden verliehenem Geld annimmt. Der Geldkapitalist hat keine persönlichen Funktionen im Wirtschaftsleben zu erfüllen, er ist überflüssig und man kann ihn ohne Schwierigkeit mit einem Federzug expropriieren. Man wird um so eher dazu schreiten, da gerade dieser, der überflüssige Teil der Kapitalistenklasse, die hohe Finanz, immer mehr die Herrschaft über das ganze wirtschaftliche Leben an sich reißt. Er ist auch der Herr der großen privaten Monopole, der Trusts usw. Und man kann nicht das industrielle Kapital expropriieren und vor dem Geldkapital Halt machen. Beide sind zu innig mit einander verschmolzen. Die Vergesellschaftung der kapitalistischen Betriebe (wie man kurz den Übergang in staatlichen, kommunalen, genossenschaftlichen Besitz bezeichnen kann) führt schon von selbst dahin, dass ein großer Teil des Geldkapitals vergesellschaftet wird; wenn man eine Fabrik oder ein Landgut verstaatlicht, werden auch ihre Schulden verstaatlicht, aus Privatschulden zu Staatsschulden. Ist es eine Aktiengesellschaft, so werden die Aktionäre Staatsgläubiger.
Daneben kommt noch das Grundeigentum in Betracht. Ich spreche hier vom Grundeigentum, nicht vom landwirtschaftlichen Betriebe. Die großen, kapitalistisch wirtschaftenden landwirtschaftlichen Betriebe werden von selbst dieselbe Entwicklung durchmachen wie die anderen großen Betriebe. Sie werden ihre Lohnarbeiter verlieren und gezwungen sein, ihren Besitz dem Staat oder den Kommunen zum Kauf anzubieten, und so werden auch sie vergesellschaftet werden. Die kleinbäuerlichen Betriebe dagegen werden wohl Privateigentum bleiben. Auf diese komme ich noch später zurück.
Also nicht um landwirtschaftlichen Betrieb handelt es sich hier, sondern um das Grundeigentum, losgelöst vom Betrieb, das Privateigentum am Boden, das seinem Besitzer den Bezug der Grundrente verschafft, die in der Form von Pacht oder Miete oder Hypothekenzinsen in die Erscheinung tritt, sei es nun von städtischem oder ländlichen Grundbesitz.
Das Gleiche was vom Geldkapitalisten, gilt auch vom Grundbesitzer. Er hat ebenfalls keine persönlichen Funktionen mehr im wirtschaftlichen Leben zu erfüllen und kann mit Leichtigkeit beiseite geschoben werden. Wie gegenüber den oben erwähnten privaten Monopolen, so finden wir auch gegenüber dem privaten Grundbesitz auch heute schon selbst in bürgerlichen Kreisen das Bestreben nach seiner Vergesellschaftung, da das private Monopol namentlich in den Städten immer drückender und schädlicher wird. Auch hier bedarf es bloß der nötigen Macht, um die Vergesellschaftung zu erzielen. Das siegreiche Proletariat wird diese Macht liefern.
Die Expropriation der ausbeutenden Klassen stellt sich als eine reine Machtfrage heraus. Sie geht mit Notwendigkeit aus den ökonomischen Bedürfnissen des Proletariats hervor, wird also die unabwendbare Folge seines Sieges sein.
Weniger sicher wie auf die Frage nach der Notwendigkeit und Möglichkeit der Expropriation der Expropriateure können wir auf die sich daran schließende Frage antworten: Wird die Expropriation sich vollziehen als eine Ablösung oder Konfiskation, werden die bisherigen Besitzer entschädigt werden oder nicht? Das ist eine Frage, deren Beantwortung heute nicht möglich ist. Wir sind nicht Diejenigen, welche diese Entwicklung zu vollziehen haben. Von einem in den Verhältnissen liegenden Zwang, der von vornherein die eine oder die andere Lösung notwendig machte, kann man aber hier nicht reden. Trotzdem spricht eine Reihe von Gründen dafür, das; ein proletarisches Regime suchen wird, den Weg der Ablösung, der Bezahlung der Kapitalisten und Grundeigentümer zu wählen. Von diesen Gründen will ich nur zwei erwähnen, die mir die maßgebendsten zu sein scheinen. Das Geldkapital ist, wie schon gesagt, eine unpersönliche Macht geworden, und man kann heute jede Geldsumme in Geldkapital verwandeln, ohne dass ihr Besitzer kapitalistisch tätig zu sein braucht. Wir wissen, wenn man sich eine Mark gespart hat, kann man sie zinstragend anlegen, ohne dass man damit Kapitalist wird. Diese Erscheinung wird bekanntlich von optimistischen Vertretern des Bestehenden weitlich ausgenützt. Sie schließen, dass es auf diesem Wege sehr wohl möglich wäre, die Kapitalisten zu expropriieren, indem alle Arbeiter ihre sämtlichen Spargroschen in die Sparkassen hineintragen oder Aktien kaufen und so selbst Teilhaber des Kapitals werden. Dieselben Optimisten haben an anderer Stelle gesagt, wenn wir heute das Kapital konfiszierten, so würden wir nicht nur das Kapital der Reichen, sondern auch das der Arbeiter konfiszieren; wir würden dann auch den Armen, Witwen und Waisen ihre Spargroschen wegnehmen. Auf diese Weise würden wir unter den Arbeitern selbst eine große Unzufriedenheit erzeugen, ein Grund mehr, sie zum Umsturz ihrer eigenen Herrschaft aufzureizen, den diese Verherrlicher der bestehenden Ordnung mit Sicherheit erwarten.
Die erstere Annahme brauche ich nicht weiter zu behandeln. Sie ist zu töricht. Die Leute, die durch das Anwachsen der Spargroschen das Kapital expropriieren wollen, sehen eben nicht das viel stärkere Anwachsen des großen Kapitals. Andererseits aber ist es nicht unberechtigt, wenn man sagt, ein proletarisches Regime, das zu einer allgemeinen Konfiskation schritte, würde auch die Ersparnisse der kleinen Leute konfiszieren. Das wird kein Grund sein, dass die Arbeiter ihrer eigenen Herrschaft überdrüssig werden – man muss sehr arm an triftigen Argumenten gegen die soziale Revolution sein, wenn man in solchen Erwartungen schwelgt –, aber es kann ein Grund werden, dass das siegreiche Proletariat von der einfachen Konfiskation der Produktionsmittel Abstand nimmt.
Wenn aber das geschieht, dann kann man fragen, welche Vorteile hat das Proletariat von der Expropriation? Sie bewirkt bloß, dass alles Kapital zu bloßem Geldkapital, dass alles Kapital in Staats-, Gemeinde- und Genossenschaftsschulden aufgelöst wird, und dass der Mehrwert, den die Kapitalisten bisher direkt aus dem Arbeiter zogen, diesem nun von Staat, Gemeinde und Genossenschaft abgenommen und den Kapitalisten zugeführt wird. Hat sich aber dann etwas an der Lage der Arbeiter geändert?
Diese Frage ist wohl berechtigt. Aber auch, wenn das proletarische Regime den Kapitalisten dieselbe Profitmasse abliefern würde, die sie bis dahin bezogen, würde doch die Expropriation bei Fortbestehen der proletarischen Herrschaft den großen Vorteil mit sich bringen, dass jede weitere Vermehrung der Ausbeutung von nun an unmöglich wäre. Jede Neuanlage von Kapital, also jede Zunahme desselben, wäre ausgeschlossen, ebenso jede Vermehrung der Grundrente. Dies wäre allein schon ein gewaltiger Erfolg der proletarischen Umwälzung. Jede weitere Zunahme des gesellschaftlichen Reichtums würde von da an der ganzen Gesellschaft zugute kommen.
Aber dazu käme noch ein anderer Vorteil. Sobald alles kapitalistische Eigentum die Form von Schuldverschreibungen des Staates, der Gemeinden oder Genossenschaften angenommen hat, wird es möglich, eine progressive Einkommensteuer, eine Vermögens- und Erbschaftssteuer in einer Höhe einzuführen, wie sie bis dahin unmöglich ist. Es ist ja heute schon unsere Forderung, dass wir durch eine solche Steuer alle anderen, besonders die indirekten Steuern ersetzen. Wenn wir aber zu ihrer Durchführung heute die Kraft erhielten, etwa durch Unterstützung anderer Parteien, was freilich ausgeschlossen, da keine bürgerliche Partei so weit ginge, so würden wir doch dabei auf große Schwierigkeiten stoßen. Es ist eine bekannte Tatsache, dass, je höher die Steuer, desto größer die Versuchungen zu Steuerdefraudationen. Aber selbst wenn es gelänge, jede Verbergung von Einkommen und Vermögen unmöglich zu machen, selbst dann wäre man nicht in der Lage, die Einkommens- und Vermögenssteuern beliebig hoch zu schrauben, weil die Kapitalisten, wenn die Steuer ihr Einkommen oder Vermögen zu sehr beschnitte, einfach aus dem Staate fortziehen würden und dieser das Nachsehen hätte. Der Staat hätte dann die Einkommen- und Vermögensteuer, aber ohne Einkommen und Vermögen. Über ein gewisses Maß kann man also bei diesen Steuern heute nicht hinaus, selbst wenn man die politische Macht dazu hätte. Die Situation ändert sich aber vollständig, wenn das sämtliche kapitalistische Eigentum die Form von öffentlichen Schuldverschreibungen annimmt; dies Eigentum, das heute genau zu erforschen unmöglich, liegt dann klar zu Tage. Man braucht nunmehr bloß zu bestimmen, dass alle Schuldverschreibungen auf den Inhaber lauten müssen, und man weiß ganz genau jedes Vermögen und jedes kapitalistische Einkommen abzuschätzen. Man kann alsdann auch die Steuer beliebig hochschrauben, ohne dass Steuerdefraudationen möglich sind. Es wird dann aber auch unmöglich, durch Auswanderung der Steuer zu entgehen, denn da es die öffentlichen Institutionen des Landes, vor allem der Staat selbst sind, aus denen alle Zinsen fließen, kann dieser die Steuer von den Zinsen abziehen, ehe sie ausgezahlt werden. Unter diesen Umständen wird es möglich, die progressiven Einkommen- und Vermögenssteuern so hoch zu schrauben, als man es braucht. Wenn nötig, so hoch, dass sie einer Konfiskation der großen Vermögen nahe oder gleich kommen.
Nun könnte man fragen, welchen Vorteil es biete, diesen Umweg der Konfiskation der großen Vermögen statt des direkten Weges einzuschlagen? Ist es nicht eine Spiegelfechterei, bloß zu dem Zweck, den Anschein der Konfiskation zu vermeiden, wenn man die Kapitalien zuerst zu ihrem vollen Werte ablöst und sie dann durch die Steuergesetzgebung konfisziert? Der Unterschied zwischen diesem Modus und dem der direkten Konfiskation scheint nur ein formeller.
Aber so geringfügig ist der Unterschied doch nicht. Die direkte Konfiskation der Kapitalien betrifft alle, die kleinen und die großen, die der Arbeitsunfähigen und der Arbeitskräftigen, in gleicher Weise. Es ist bei dieser Methode schwer, oft unmöglich, die großen Vermögen von den kleinen, mit jenen in denselben Unternehmungen zusammen angelegten Geldkapitalien, zu trennen. Die direkte Konfiskation würde sich auch rasch, oft mit einem Schlage, vollziehen, während die Konfiskation durch die Steuer es erlaubt, die Aufhebung des kapitalistischen Eigentums zu einem sich länger hinziehenden Prozess zu machen, der in dem Maße fortschreitet, in dem die neue Ordnung sich befestigt und ihre wohltätigen Einflüsse geltend macht. Sie ermöglicht es, den Vorgang der Konfiskation auf Jahrzehnte auszudehnen, so dass sie erst für die neue Generation voll wirksam wird, die unter den neuen Verhältnissen herangewachsen und nicht mehr darauf angewiesen ist, mit Kapitalien und Zinsen zu rechnen. Die Konfiskation verliert so ihre Härte, sie wird anpassungsfähiger und schmerzloser. Je friedlicher sich die Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat vollzieht, je fester organisiert und aufgeklärt es ist, desto eher dürfen wir erwarten, dass es die verfeinerte der primitiven Form der Konfiskation vorziehen wird.
Ich habe mich bei dieser Frage etwas länger aufgehalten, weil sie einen der Haupteinwände unserer Gegner bildet, nicht aber weil ihre Durchführung die größte Schwierigkeit ist, der wir begegnen. Die großen Schwierigkeiten beginnen vielmehr erst nach allen den erwähnten Vorgängen. Die Expropriierung der Produktionsmittel ist unter den großen Umwälzungen der sozialen Revolution der relativ einfachste Vorgang. Sie bedarf nur der nötigen Macht und die ist ja eine unerlässliche Voraussetzung unserer ganzen Untersuchung. Die Schwierigkeiten für das proletarische Regime liegen nicht auf dem Gebiete des Eigentums, sondern auf dem der Produktion.
Wir haben gesehen, dass die soziale Revolution den Fortgang der kapitalistischen Produktionsweise unmöglich macht, dass die politische Herrschaft des Proletariats notwendigerweise mit dem ökonomischen Aufruhr gegen die kapitalistische Produktionsweise verbunden ist, der den Fortgang der letzteren verhindert. Die Produktion aber muss fortgeführt werden, sie darf nicht zum Stillstehen kommen, nicht einmal auf wenige Wochen, ohne dass die ganze Gesellschaft zu Grunde geht. So ersteht für das siegreiche Proletariat die dringende Aufgabe, trotz aller Störungen, den Fortgang der Produktion zu sichern und die Arbeiter, die der Fabrik oder sonstigen Arbeitsstätten den Rücken kehren, wieder in sie hineinzuführen und sie darin festzuhalten, damit die Produktion ungestört weitergeht.
Welche Mittel zur Lösung dieser Aufgabe stehen dem neuen Regime nun zu Gebote? Das Mittel der Hungerpeitsche gewiss nicht, noch weniger das Mittel des physischen Zwanges. Wenn es Leute gibt, welche glauben, dass die Herrschaft des Proletariats zu einem Zuchthausregiment führen würde, dass jedem dann seine Arbeit von der Obrigkeit zugeteilt werde, so kennen sie das Proletariat schlecht, denn dieses, das sich dann selbst seine Gesetze geben wird, hat ein viel stärkeres freiheitliches Empfinden, als jene servilen und byzantinischen Professoren, die über den zuchthausartigen Charakter des Zukunftsstaates zetern
Nie wird sich ein siegreiches Proletariat eine zuchthäuslerische oder kasernenmäßige Reglementierung gefallen lassen. Aber es bedarf deren auch nicht, ihm stehen andere Mittel zu Gebote, die Arbeiter an der Arbeit zu halten.
Da darf man zunächst nicht vergessen die große Macht der Gewohnheit. Das Kapital hat den modernen Arbeiter daran gewöhnt, Tag aus Tag ein zu arbeiten, er hält es ohne Arbeit gar nicht mehr lange aus. Es gibt sogar Leute, die so sehr an ihre Arbeit gewöhnt sind, dass sie nicht wissen, was sie mit ihrer freien Zeit anfangen sollen, die sich unglücklich fühlen, wenn sie nicht arbeiten können. Es wird wenige Menschen geben, die sich ohne jede Arbeit auf die Dauer glücklich fühlten. Ich bin überzeugt, wenn die Arbeit den abstoßenden Charakter der Überarbeitung verliert, wenn die Arbeitszeit auf ein vernünftiges Maß herabgesetzt ist, so wird allein schon die Gewohnheit hinreichen, eine große Menge Arbeiter in den Fabriken und Bergwerken zu regelmäßiger Arbeit festzuhalten.
Aber selbstverständlich kann man sich auf diesen Antrieb allein nicht verlassen, er ist der schwächste. Ein anderer, viel stärkerer Trieb ist die Disziplin des Proletariats. Wir wissen, wenn seine Gewerkschaft einen Ausstand beschließt, dann ist die Disziplin des organisierten Arbeiters stark genug, dass er alle Gefahren und Schrecken der Arbeitslosigkeit freiwillig auf sich nimmt und oft monatelang hungert, um die gemeinsame Sache zu einem siegreichen Ende zu führen. Nun glaube ich, wenn es möglich ist, durch die Kraft der Disziplin die Arbeiter aus den Fabriken herauszuholen, so wird es auch möglich sein, sie dadurch dort festzuhalten. Wenn eine Gewerkschaft die Notwendigkeit ununterbrochenen, regelmäßigen Fortganges der Arbeit anerkennt, dann dürfen wir überzeugt sein, dass im Interesse der Gesamtheit kaum eines ihrer Mitglieder seinen Posten verlassen wird. Dieselbe Kraft, die das Proletariat heute als Kampfesmittel dadurch geltend macht, dass es die Produktion stört, wird es dann als wirksames Mittel verwenden, um den regelmäßigen Fortgang der gesellschaftlichen Arbeit zu sichern. Je höher entwickelt heute schon die gewerkschaftliche Organisation, desto besser die Aussichten auf ungestörten Fortgang der Produktion nach der Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat.
Aber die Disziplin, welche im Proletariat lebt, ist nicht die militärische Disziplin, sie bedeutet nicht den blinden Gehorsam gegen eine von oben eingesetzte Autorität; es ist die demokratische Disziplin, die freiwillige Unterwerfung unter eine selbst gewählte Führung und unter den Beschluss der Majorität der eigenen Genossen. Soll diese demokratische Disziplin in der Fabrik wirken, dann setzt sie eine demokratische Organisation der Arbeit daselbst voraus, sie setzt voraus, dass die demokratische Fabrik an Stelle der heutigen autokratischen tritt. Es ist selbstverständlich, dass ein sozialistisches Regime von vornherein bestrebt sein wird, die Produktion demokratisch zu organisieren. Aber auch, wenn das siegreiche Proletariat nicht von vornherein diese Absicht haben sollte, so wird es doch dazu durch die Notwendigkeit getrieben werden, den Fortgang der Produktion sicher zu stellen. Die Aufrechterhaltung der unentbehrlichen Disziplin bei der Arbeit wird sich nur durchführen lassen durch Einführung der gewerkschaftlichen Disziplin in den Produktionsprozess.
Dies wird allerdings nicht überall in gleicher Weise vollzogen werden können, jeder Betrieb hat seine Eigenart, nach der sich die Organisation seiner Arbeiter richten muss. Es gibt z. B. Betriebe, die ohne eine bürokratische Organisation nicht auskommen, wie die Eisenbahnen. Die demokratische Organisation kann sich da so gestalten, dass die Arbeiter Delegierte wählen, die eine Art Parlament bilden, welches die Arbeitsordnungen feststellt und die Verwaltung des bürokratischen Apparates überwacht. Andere Betriebe kann man der Verwaltung der Gewerkschaften übergeben, wieder andere können genossenschaftlich betrieben werden. Es sind also höchst mannigfaltige Formen demokratischer Organisation der Betriebe möglich und wir dürfen nicht erwarten, dass die Organisation aller Betriebe nach einer und derselben Schablone vor sich gehen wird.
Wir haben gesehen, wie die Arten des Eigentums an Produktionsmitteln verschiedene sein werden, Staats-, Gemeinde- und Genossenschaftseigentum. Daneben kann aber auch noch das Privateigentum an manchen Produktionsmitteln fortbestehen, wie wir noch zeigen werden. Jetzt sehen wir auch, dass die Organisation der Betriebe eine mannigfache sein wird.
Aber demokratische Disziplin und Gewohnheit regelmäßiger Arbeit, so mächtige Antriebe sie sind, verbürgen es vielleicht noch nicht genügend, dass die gesamte Arbeiterschaft stetig an der Produktion teilnimmt. Wir dürfen nicht erwarten, dass die gewerkschaftliche Organisation und Disziplin jemals in der heutigen Gesellschaft auch nur die Mehrheit der Arbeiterklasse umfassen. Wenn diese ans Ruder kommt, wird wahrscheinlich immer noch nur eine Minorität ihrer Mitglieder organisiert sein. Man wird also nach weiteren Antrieben der Arbeit suchen müssen. Und da liegt für ein proletarisches Regime einer besonders nahe: die Anziehungskraft der Arbeit. Es wird trachten müssen, die Arbeit, die heute eine Last ist, zu einer Lust zu machen, so dass es ein Vergnügen wird, zu arbeiten, dass die Arbeiter mit Vergnügen an die Arbeit gehen.
Allerdings ist das nicht eine so einfache Sache, aber wenigstens den Anfang hierzu wird das Proletariat gleich nach Beginn seiner Herrschaft machen, indem es die Arbeitszeit verkürzt. Daneben wird sich das Streben geltend machen, die Arbeitsräume hygienischer und freundlicher zu gestalten, dem Arbeitsprozess möglichst viel von seinen unangenehmen, abstoßenden Seiten zu nehmen. Das Alles ist nur die Fortsetzung von Bestrebungen, die heute schon als gesetzlicher Arbeiterschutz eine gewisse Wirkung ausüben. Aber größere Fortschritte auf diesen Gebieten erfordern bauliche und technische Änderungen, die nicht von heute auf morgen vollendet werden können. Es wird kaum gelingen, die Arbeit in Fabrik und Bergwerk bald zu einer sehr anziehenden zu machen. Neben der Anziehungskraft der Arbeit wird daher noch eine andere Anziehungskraft in Wirkung treten müssen: die des Lohnes der Arbeit.
Ich spreche hier von Arbeitslöhnen. Ja, wird man sagen, wird es denn in der neuen Gesellschaft noch Arbeitslöhne geben? Wollen wir nicht die Lohnarbeit und das Geld abschaffen? Wie kann man also von Arbeitslöhnen reden? Diese Einwände wären stichhaltig, wenn die soziale Revolution sofort daran gehen wollte, das Geld abzuschaffen. Das halte ich jedoch für unmöglich. Das Geld ist das einfachste bisher bekannte Mittel, welches es ermöglicht, in einem so komplizierten Mechanismus, wie es die moderne Produktionsweise mit ihrer ungeheuer weit getriebenen Arbeitsteilung ist, die Zirkulation der Produkte und ihre Verteilung an die einzelnen Mitglieder der Gesellschaft zu vermitteln; es ist das Mittel, welches es jedem ermöglicht, seine Bedürfnisse nach seinen individuellen Neigungen (natürlich innerhalb der Grenzen seiner ökonomischen Macht) zu befriedigen. Als Mittel der Zirkulation wird das Geld, so lange nichts Besseres gefunden, unentbehrlich bleiben. Freilich, manche seiner Funktionen wird es, wenigstens im inneren Verkehr, einbüßen, vor allem die des Wertmessers. Einige Bemerkungen über den Wert dürften hier nicht unangebracht sein, da sie auch später Vorzubringendes erläutern.
Nichts irriger als die Ansicht, eine sozialistische Gesellschaft hätte die Aufgabe, das Wertgesetz vollständig zur Durchführung zu bringen, dafür zu sorgen, dass nur gleiche Werte gegen gleiche Werte ausgetauscht werden. Das Wertgesetz ist vielmehr ein der Gesellschaft der Warenproduktion eigentümliches Gesetz.
Die Warenproduktion ist jene Produktionsweise, in der bei entwickelter Arbeitsteilung von einander unabhängige Produzenten für einander produzieren. Aber keine Produktionsweise kann bestehen ohne eine bestimmende Proportionalität der Produktion. Die Zahl der Arbeitskräfte, über die eine Gesellschaft verfügt, ist beschränkt, und sie kann nur dann ihre Bedürfnisse befriedigen und die Produktion fortsetzen, wenn in jedem Produktionszweig eine den vorhandenen Produktivkräften entsprechende Menge von Arbeitskräften tätig ist. In einer kommunistischen Gesellschaft wird die Arbeit planmäßig reguliert, werden die Arbeitskräfte den einzelnen Zweigen nach einem bestimmten Plane zugewiesen. Bei der Warenproduktion wird diese Regelung besorgt durch das Wertgesetz. Der Wert jeder Ware wird bestimmt nicht durch die auf ihre Produktion aufgewendete, sondern durch die dazu gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit. Von der Modifikation, welche dieses Gesetz in der kapitalistischen Produktionsweise durch den Profit erfährt, sehen wir hier ab, da sie die Auseinandersetzung nur unnötig komplizieren würde, ohne für die Frage eine neue Erkenntnis zu bringen. Die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit in jedem Arbeitszweig wird bestimmt einmal durch die in der Gesellschaft erreichte Höhe seiner Technik, die in ihm übliche Anspannung der Arbeit usw., kurz durch die durchschnittliche Produktivkraft des einzelnen Arbeiters, andererseits aber durch die Menge der Produkte, die der gesellschaftliche Bedarf von dem betreffenden Arbeitszweig verlangt, und endlich durch die Gesamtmenge der Arbeitskräfte, die der Gesellschaft zur Verfügung stehen. Die freie Konkurrenz sorgt dafür, dass der Preis jedes Produkts, das heißt, die Menge Goldes, die man dafür eintauschen kann, immer wieder seinem durch die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit bestimmten Wert zustrebt. Auf diese Weise wird es erreicht, dass auch die Ausdehnung der Produktion in jedem Arbeitszweig, trotzdem sie keine von einem Zentralpunkt geregelte ist, sich nie allzuweit und nie dauernd von dem richtigen Niveau entfernt. Ohne das Wertgesetz würde bei der Anarchie, die in der Warenproduktion herrscht, diese bald in einem unentwirrbaren Chaos endigen.
Ein Beispiel wird das klar machen. Es sei so einfach als möglich gestaltet. Als das Ergebnis der gesellschaftlichen Produktion sollen uns bloß zwei Waren irgendwelcher Art gelten, meinetwegen Hosen und Hosenträger.
Nehmen wir an, in einer Gesellschaft betrage die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit innerhalb eines bestimmten hier gleichgültigen Zeitraumes für Hosen 10.000 Arbeitstage und für Hosenträger 1.000 Arbeitstage. Das heißt, um dem gesellschaftlichen Bedarf an Hosen und Hosenträgern zu genügen, sind bei dem gegebenen Stande der Produktivität der Arbeit so viele Arbeitstage notwendig. Gilt das Produkt eines Arbeitstages 10 Mark, so wird der Wert der Hosen 100.000 Mark, der der Hosenträger 10.000 Mark betragen.
Weicht ein einzelner Arbeiter bei seiner Produktion von der gesellschaftlichen Norm ab, erzeugt er etwa nur halb so viel Produkt in einem Arbeitstag wie seine Kollegen, so wird der Preis seines Produkts eines Arbeitstages auch nur die Hälfte des von den anderen in einem Arbeitstag hergestellten betragen. Das ist bekannt. Das gleiche findet aber statt, wenn die Proportionalität der Arbeiten eine anormale wird. Werden z. B. der Hosenträgerfabrikation mehr Arbeitskräfte zugeführt, als gesellschaftlich notwendig, so müssen anderswo Arbeitskräfte weggezogen werden, da die Zahl der gesellschaftlich zu Gebote stehenden Arbeitskräfte eine beschränkte. Nehmen wir der Einfachheit halber an, sie werden alle der Schneiderei entzogen. An Stelle der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit von 10.000 Arbeitstagen hier und 1.000 dort finden wir etwa 8.000 wirkliche Arbeitstage hier, 3.000 dort; die Welt erstickt in Hosenträgern, hat aber nicht genug Hosen anzuziehen. Was wird die Folge davon sein? Die Preise der Hosenträger werden sinken, die der Hosen steigen. Die 8.000 wirklich verausgabten Arbeitstage in der Hosenträgerfabrikation werden doch nur den Wert der 1.000 gesellschaftlich notwendigen repräsentieren, der Wert des einzelnen Hosenträgers wird auf ein Drittel seines bisherigen sinken. Der Preis wird ebenfalls sinken, wohl noch unter dieses Drittel. Der Wert der Hosen wird aber nach wie vor durch die gesellschaftlich notwendigen 10.000, nicht durch die wirklich auf sie verwendeten 8.000 Arbeitstage bestimmt werden, der jeder einzelnen Hose wird 5 Viertel des bisherigen betragen. In Folge dessen wird die Fabrikation der Hosenträger unrentabel, die Zahl der ihr gewidmeten Arbeitskräfte wird verringert und fließt wieder der ungemein profitabel gewordenen Hosenschneiderei zu.
Auf diese Weise regelt das Wertgesetz bei freier Konkurrenz die Produktion. Es ist nicht die denkbar beste Weise. die Produktion zu regeln, aber die einzig mögliche unter dem Privateigentum an den Produktionsmitteln. An ihre Stelle tritt unter dem gesellschaftlichen Eigentum an den Produktionsmitteln die gesellschaftliche Regelung der Produktion. Die Notwendigkeit, die Produktion durch den Austausch gleicher Werte zu regeln, hört auf. Damit wird auch die Notwendigkeit beseitigt, dass das Geld Wertmesser und Wertgegenstand sei. An Stelle des Metallgeldes kann irgendein Geldzeichen treten. Die Preise der Produkte selbst können jetzt unabhängig vom Werte festgestellt werden. Indessen wird die in ihnen steckende Arbeitszeit für ihre Bemessung immer eine maßgebende Bedeutung behalten, und es liegt nahe, dass man dabei an die historisch überlieferten Preise anknüpfen wird.
Wenn es aber Geld und Preise der Produkte gibt, wird auch die Arbeit mit Geld bezahlt werden, wird es also Löhne geben müssen.
Trotzdem wäre es falsch, wollte man von einem Fortbestehen des heutigen Lohnsystems reden, wie es manche Fabier tun, die da sagen, die Aufgabe des Sozialismus sei nicht die, das Lohnsystem abzuschaffen, sondern vielmehr die, es zu verallgemeinern. Das ist nur äußerlich richtig. Tatsächlich ist der Lohn unter einem proletarischen Regime etwas ganz anderes als unter einem kapitalistischen. Heute ist er der Preis der Ware Arbeitskraft. Er wird bestimmt in letzter Linie durch die Erhaltungskosten des Arbeiters, seine Schwankungen hängen ab von dem Wechsel des Angebots und der Nachfrage. In einer vom Proletariat beherrschten Gesellschaft dagegen hört das auf, der Arbeiter wird nicht mehr gezwungen sein, seine Arbeitskraft zu verkaufen, sie hört auf, eine Ware zu sein, deren Preis durch ihre Reproduktionskosten bestimmt wird, und ihr Preis wird unabhängig von dem Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage. Was jetzt die Höhe des Arbeitslohns in letzter Linie bestimmt, ist die Menge der zur Verteilung unter die Arbeiterklasse vorhandenen Produkte. Je größer diese Menge, umso mehr kann und wird auch das allgemeine Niveau der Löhne sich steigern. Allerdings, für das Verhältnis der Arbeitslöhne der einzelnen Arbeitszweige untereinander werden Angebot und Nachfrage eine gewisse Bedeutung behalten. Da man die Arbeiter ja nicht militärisch ohne ihre eigene Einwilligung den einzelnen Betrieben zuweisen wird, so kann es vorkommen, dass einigen Industriezweigen zu viel Arbeiter zuströmen, während bei anderen Mangel an Arbeitern herrscht. Den nötigen Ausgleich kann man dadurch herbeiführen, dass man dort, wo sich zuviel Arbeiter melden, die Löhne herabsetzt, dagegen in jenen Industriezweigen, wo es an Arbeitern mangelt, den Lohn erhöht, bis man es erreicht, dass jeder Zweig soviel Arbeiter hat, als er braucht. Aber das allgemeine Niveau der Löhne der Gesamtarbeiterklasse wird nicht mehr durch das Verhältnis von Angebot und Nachfrage bestimmt, sondern durch die Menge der vorhandenen Produkte. Ein allgemeines Sinken der Löhne in Folge von Überproduktion wird unmöglich. Je mehr produziert wird, desto höher im Allgemeinen die Löhne.
Nun erhebt sich aber folgende Frage: Soll der stetige Fortgang der Produktion gesichert werden, dann wird es notwendig, die Arbeiter durch eine allgemeine Erhöhung der Löhne an die Produktion zu fesseln. Woher sollen aber die erhöhten Löhne bezahlt, das heißt, woher soll die erforderliche Menge von Produkten genommen werden?
Nehmen wir den für das neue Regime günstigsten Fall, den wir nicht angenommen haben, dass alles Vermögen konfisziert ist, dass die gesamten Einnahmen der Kapitalisten den Arbeitern zufließen, so gäbe das allerdings schon eine sehr schöne Lohnerhöhung. Ich habe in meiner Schrift über Sozialreform und soziale Revolution eine Statistik angeführt, derzufolge in England im Jahre 1891 die Menge der Einkommen der Arbeiter rund 700 Millionen Pfund Sterling und die Menge der Einkommen der Kapitalisten etwa 800 Millionen Pfund Sterling betrug. Ich habe weiter bemerkt, dass diese Statistik meines Erachtens zu rosig färbt. Ich habe Grund anzunehmen, dass sie die Löhne zu hoch und die kapitalistischen Einkommen zu gering ansetzt. Nehmen wir nun aber diese Zahl vom Jahre 1891 an, so zeigt sie allerdings, dass, wenn das Einkommen der Kapitalisten den Arbeitern zugeführt würde, jeder Lohn eine Verdoppelung erfahren könnte. Aber leider wird sich die Sache nicht so einfach gestalten. Wenn wir das Kapital expropriieren, müssen wir auch seine gesellschaftlichen Funktionen übernehmen. Darunter die wichtige Funktion der kapitalistischen Akkumulation. Die Kapitalisten verzehren nicht ihre ganzen Einnahmen; einen Teil davon legen sie zurück zur Erweiterung der Produktion; ein proletarisches Regime wird desgleichen tun und die Produktion erweitern müssen, es könnte daher schon aus diesem Grunde, selbst bei radikaler Konfiskation des Kapitals nicht dessen ganze bisherigen Einnahmen der Arbeiterklasse zuführen. Aber vom Mehrwert, den die Kapitalisten einsacken, müssen sie auch wieder einen Teil in der Form von Steuern an den Staat abgeben. Dieser Anteil wächst enorm, wenn die progressive Einkommen- und Vermögenssteuer die einzige Staats- und Gemeindesteuer bilden soll. Und die Steuerlast wird nicht sinken. Ich habe oben darauf hingewiesen, welche Kosten die Neuordnung des Schulwesens allein verursachen wird. Außerdem aber wird eine ausgiebige Krankenversicherung eingerichtet werden, eine Invaliden- und Altersversicherung für alle Arbeitsunfähigen usw.
Wir sehen also, dass zur Erhöhung der Löhne von den jetzigen Einkommen der Kapitalisten nicht allzu viel übrig bleibt, selbst wenn wir das Kapital mit einem Schlag konfiszieren. Um so weniger, wenn wir die Kapitalisten entschädigen wollen. Es wird daher unbedingt notwendig sein, dass man, um die Löhne der Arbeiter erhöhen zu können, die Produktion über ihr bisheriges Maß hinaus erweitert.
Nicht bloß Fortführung der Produktion, sondern auch ihre Steigerung wird eine dringende Aufgabe der sozialen Revolution sein. Das siegreiche Proletariat muss die Produktion aufs rascheste erweitern, soll es den enormen Ansprüchen genügen können, die an das neue Regime gestellt werden.
Um die Produktion rasch zu steigern, dazu gibt es verschiedene Mittel, wovon zwei die wichtigsten, die heute schon große Bedeutung erlangt haben. Beide werden erfolgreich von den amerikanischen Trusts angewandt, von denen wir überhaupt für die Methoden der sozialen Revolution manches lernen können. Sie zeigen uns, wie man mit einem Schlage die Produktivität der Arbeit erhöhen kann. Das geschieht einfach dadurch, dass man die Gesamtproduktion auf die vollkommensten Betriebe konzentriert und alle übrigen weniger auf der Höhe stehenden ganz außer Tätigkeit setzt. Der Zuckertrust z. B. hat vor einigen Jahren von allen Betriebsstätten, die er besaß, nur ein Viertel ausgenutzt und in diesem einen Viertel seiner sämtlichen Betriebsstätten hat er ebenso viel produziert, wie vordem in allen zusammen. Auch der Whisky-Trust hat 80 große Brennereien erworben und von diesen 80 sofort 68 außer Betrieb gesetzt; er hat nur 12 Brennereien weiter betrieben und in diesen 12 produzierte er bald mehr als früher in den 80. Ebenso wird auch ein proletarisches Regime vorgehen und es kann dies umso leichter, weil es nicht durch das Privateigentum daran gehindert wird. Wo die einzelnen Betriebe Privateigentum, da kann die Ausmerzung der unzureichenden unter ihnen nur langsam auf dem Wege der freien Konkurrenz vor sich gehen. Die Trusts konnten die schlecht prosperierenden Betriebe nur dadurch sofort beseitigen, dass sie das Privateigentum an ihnen aufhoben und alle in einer Hand vereinigten. Die Methode, welche die Trusts nur für ein relativ kleines Gebiet der Produktion in Anwendung bringen können, vermag ein proletarisches Regime auf das ganze Gebiet der gesellschaftlichen Produktion auszudehnen, da es das gesamte kapitalistische Privateigentum aufhebt. Aber seine Methode, die Erhöhung der Produktivität durch Ausmerzung der unzureichenden Betriebe, wird sich nicht bloß durch den Umfang ihrer Anwendung von der der heutigen Trusts unterscheiden, sie wird auch auf andere Weise und zu anderen Zwecken in Wirksamkeit treten. Das neue Regime wird diese Änderung vor allem vollziehen, um die Löhne erhöhen zu können. Der Trust dagegen geht seinen Weg ohne Rücksicht auf die Arbeiter. Diejenigen, die in den überzähligen Betrieben überflüssig werden, entlässt er einfach. Er benutzt sie höchstens dazu, einen Druck auf die beschäftigten Arbeiter auszuüben, deren Löhne zu drücken, deren Abhängigkeit zu vermehren. Anders wird natürlich die siegreiche Arbeiterschaft vorgehen. Diese wird die Arbeiter, die in den stillgesetzten Betrieben überflüssig werden, den anderen zuweisen, deren Tätigkeit fortgesetzt wird. Die Trusts machen aber umso eher Arbeiter überflüssig, weil es nicht ihre Absicht ist, die Produktion erheblich auszudehnen. Je mehr man die Menge der Produkte vermehrt, umso größer ihr Angebot, umso niedriger unter sonst gleichen Umständen wird ihr Preis. Die Trusts aber wollen gerade dem Sinken der Preise entgegenwirken. Sie wollen also eher die Produktion beschränken, als sie erweitern. Wenn sie in den besten Produktionsstätten allein produzieren lassen, so geschieht dies vor allem zur Herabdrückung der Produktionskosten, um dadurch bei gleich bleibenden oder gar steigenden Preisen den Profit zu erhöhen, nicht zur Erweiterung der Produktion. Dem proletarischen Regime handelt es sich dagegen um eine Erweiterung der Produktion, denn es will nicht die Profite, sondern die Löhne erhöhen. Es wird also die Zahl der Arbeiter in den besten Betrieben aufs äußerste vermehren, und es kann die Produktion dadurch steigern, dass es in einem Betrieb mehrere Schichten von Arbeitern nach einander arbeiten lässt. Wie dies möglich ist und wie sehr das die Produktion beeinflussen kann, das möchte ich an einem Beispiel erklären, dessen Zahlen natürlich willkürlich aus der Lust gerissen sind und nicht etwa der Wirklichkeit entsprechen sollen, das aber kein Phantasiegebilde darstellt, sondern sein reales Vorbild in dem Wirken der Trusts findet. Nehmen wir etwa die deutsche Textilindustrie. Sie umfasst heute rund eine Million Arbeiter (1895 993.257). Davon ist die größere Hälfte (1895 587.599) in Betrieben beschäftigt, von denen jeder mehr als 50 Arbeiter zählt. Wir nehmen nun an, dass der größere, der umfangreichere Betrieb auch stets der technisch vollkommenere ist. Das wird ja nicht in allen Fällen zutreffen. Es kann ein Betrieb mit 20 Arbeitern technisch viel besser eingerichtet sein als einer der gleichen Branche mit 80. Aber im Durchschnitt wird es zutreffen und wir können es hier um so eher annehmen, als sich's nur um ein Beispiel zur Veranschaulichung, nicht um einen positiven Vorschlag handelt, der morgen schon auf der hier gegebenen Grundlage zu verwirklichen wäre. Nehmen wir an, die unvollkommensten seien die Betriebe mit weniger als 50 Arbeitern. Alle diese würden geschlossen und ihre Arbeiter in die Betriebe versetzt, von denen jeder mehr als 50 Arbeiter beschäftigt. Man könnte sie dann in zwei Schichten nach einander arbeiten lassen. Beträgt heute ihre Arbeitszeit 10–11 Stunden, so könnte man sie für jede Schicht etwa auf 8 Stunden reduzieren. Es würde also in diesen Betrieben von da ab täglich um sechs Stunden länger gearbeitet, ihre Maschinen um so viel mehr ausgenutzt, obwohl die Arbeitszeit für jeden Arbeiter um zwei Stunden verkürzt wäre. Wir dürfen annehmen, dass die Produktion des Einzelnen dadurch nicht verringert wird, denn es haben zahlreiche Beispiele gezeigt, dass die Vorteile einer derart verkürzten Arbeitszeit ihre Nachtheile im Allgemeinen mindestens auswiegen. Nehmen wir nun weiter an, ein Arbeiter erzeuge heute im unvollkommenen Betrieb jährlich eine Produktenmenge, die einen Wert von 2.000 Mark repräsentiert, und die Arbeit im größeren Betrieb sei um 100 % produktiver (Sinzheimer nimmt ähnliche Verhältnisse der Produktivität von Groß- und Kleinbetrieb an), so dass jeder Arbeiter im größeren Betrieb einen Wert von 4.000 Mark produziert. Dann produziert heute die halbe Million Arbeiter in den kleineren Betrieben der Textilindustrie eine Produktenmenge im Werte von einer Milliarde Mark; die andere halbe Million Arbeiter in den größeren Betrieben dagegen eine Produktenmenge im Werte von zwei Milliarden Mark. Die Million Arbeiter erzeugt also Produkte im Werte von 3 Milliarden Mark.
Wenn aber jetzt unter dem neuen Regime die Arbeiter alle in den größeren Betrieben mit mehr als 50 Arbeitern konzentriert werden, so wird jeder Arbeiter nun einen Wert von 4.000 Mark im Jahr erzeugen, die Gesamtheit der Textilarbeiter also 4 Milliarden Mark, 1 Milliarde Mark mehr als früher produzieren. Wir nehmen der Vergleichbarkeit wegen an, dass nach wie vor Werte produziert werden.
Man könnte aber noch weiter gehen, die Arbeit nicht bloß in den kleinen, sondern auch in den mittleren Betrieben mit je 50 bis 200 Arbeitern einstellen und die gesamte Textilproduktion in den größten Fabriken mit mehr als 200 Arbeitern konzentrieren. Deren gesamte Arbeiterzahl betrug 1895 350.300, also ungefähr ein Drittel sämtlicher Textilarbeiter. Man müsste also drei Schichten nacheinander arbeiten lassen, um alle Arbeiter in den größten Fabriken allein zu beschäftigen. Nehmen wir an, um die Nachtarbeit zu vermeiden, werde die Arbeitszeit eines Jeden auf 5 Stunden, die Hälfte der jetzigen, verkürzt. Heute produziert ein Arbeiter in den größten Betrieben vielleicht viermal so viel wie der im Kleinbetrieb, also nach unserer, wie gesagt, ganz willkürlichen Annahme etwa 8000 Mark im Jahr. Durch die Reduzierung der Arbeitszeit verringert sich nicht in gleichem Maße sein Produkt, da der besser ausgeruhte Arbeiter mehr leistet als der überarbeitete. Wenn wir annehmen dürfen, dass er in 8 Stunden ebensoviel leisten kann wie heute in 10, so wird man nicht zu optimistisch rechnen, wenn man weiter annimmt, dass die Herabsetzung der Arbeitszeit von 8 auf 5 Stunden die Leistung des Arbeiters um nicht mehr als 25 Prozent, sicherlich weniger als um 37 Prozent verringern wird. Danach würde jeder Arbeiter nun mindestens 5.000 Mark, vielleicht 6.000 Mark im Jahr produzieren, alle zusammen also 5–6 Milliarden. Die Gesamtproduktion würde also gegenüber der heutigen verdoppelt, die Löhne könnten dem entsprechend verdoppelt werden – auch bei vollständigem Absehen von jeder Konfiskation der Kapitalien – bei gleichzeitiger Reduzierung der Arbeitszeit um die Hälfte. Ja, unter Umständen kann die Lohnsteigerung auf Grund der hier gegebenen Ziffern noch eine größere sein. Nehmen wir an, von dem heutigen Jahresprodukt der Textilindustrie, das wir auf 8 Milliarden veranschlagt, entfiele eine Milliarde auf die Arbeitslöhne, eine zweite auf die Ersetzung von Rohstoffen, Maschinen usw., und die dritte auf den Kapitalprofit. Jetzt, unter dem neuen Regime, werden 6 Milliarden produziert. Davon kommen 2 auf Rohstoffe, Maschinen und dgl., eine dient der Entschädigung der expropriierten Kapitalisten und der Vollziehung der von diesen bisher besorgten gesellschaftlichen Leistungen. Dann bleiben 8 Milliarden für Arbeitslöhne übrig. Diese ließen sich also verdreifachen. Und das Alles ohne irgendwelche Neuanlagen, neue Maschinerie, bloß durch Stillsetzung der kleineren Betriebe und Überführung ihrer Arbeiter in die größeren. Wir brauchen dazu bloß im Großen durchzuführen, was die Trusts im Kleinen uns vormachen. Es ist nur das Privateigentum an den Produktionsmitteln, was diese Entfaltung der modernen Produktivkräfte hindert.
Diese Methode entwickelt jedoch noch eine andere Seite. Unsere Kritiker wenden uns gern ein: es sei noch auf lange hinaus unmöglich, die Produktion zu verstaatlichen, dazu sei die Zahl der heutigen Produktionsstätten viel zu groß. Es würde noch lange Zeit brauchen, bis die Konkurrenz die kleinen Betriebe ausgelöscht und damit die Möglichkeit der sozialistischen Produktion geschaffen habe. Beträgt doch die Zahl aller industriellen Betriebe im Deutschen Reich etwa 2½ Millionen, die der Textilbetriebe allein über 200.000. Wie kann man solche Mengen von Betrieben staatlich leiten!
Sicher, die Aufgabe erscheint erschreckend, aber sie reduziert sich erheblich, wenn wir annehmen, dass das proletarische Regime die Methode der Trusts in Anwendung bringt, die Betriebe zwar sämtlich expropriiert, aber nur die vollkommeneren großen Betriebe weiter betreibt. Von den 200.000 Textilbetrieben sind es bloß 3000, welche mehr als 50 Arbeiter haben. Es ist klar, dass die Konzentration der Industrie auf diese letzteren Betriebe die Aufgabe der gesellschaftlichen Regelung der Produktion schon sehr vereinfacht. Noch einfacher wird sie, wenn wir annehmen, dass das neue Regime alle Betriebe schließt, die weniger als 200 Arbeiter haben; es bleiben alsdann von 200.000 nur noch 800 übrig. So viele Betriebe zu übersehen und zu kontrollieren, wird keineswegs mehr eine Unmöglichkeit sein.
Daraus ergibt sich uns wieder ein bemerkenswerter Gesichtspunkt. Unsere Gegner und die Pessimisten in den eigenen Reihen messen die Reife unserer Gesellschaft für die sozialistische Produktion an der Zahl der Ruinen, die sie noch mit sich herumschleppt und die rasch los zu werden sie unfähig ist. Immer und immer wieder führt man uns triumphierend die großen Mengen von Kleinbetrieben vor, die noch bestehen. Aber die Reife für den Sozialismus bemisst sich nicht nach der Zahl der Kleinbetriebe, die noch, sondern nach der Zahl der Großbetriebe, die schon bestehen. Ohne entwickelten Großbetrieb ist der Sozialismus unmöglich. Wo dagegen der Großbetrieb in ausgedehntem Maße vorhanden, ist es für eine sozialistische Gesellschaft ein leichtes, in ihm die Produktion zu konzentrieren und den Kleinbetrieb raschestens los zu werden. Die Unglücksraben des Sozialismus, die nur sein kommendes Unheil durch ihr warnendes Krächzen zu verkünden wissen, klammern sich hartnäckig an die Tatsache, dass die Zahl der Kleinbetriebe im Deutschen Reich von 1882–1895 um 1,8 Prozent zunahm; aber sie sind blind für die Tatsache, dass im selben Zeitraum die Zahl der Großbetriebe mit mehr als 50 Arbeitern um 90 Prozent, die der Riesenbetriebe mit mehr als 1.000 Personen um 100 Prozent zunahm. Diese Zunahme, das ist die Vorbedingung des Sozialismus, und die wird reichlich erfüllt. Nimmt dabei der Kleinbetrieb nicht absolut ab, so beweist das bloß, dass die Zahl der Ruinen, die das proletarische Regime wegzufegen haben wird, noch eine beträchtliche ist. Indessen versprechen die Trusts auch in dieser Beziehung uns tüchtig vorzuarbeiten.
Noch in anderer Beziehung bieten sie uns ein Vorbild. Die heutigen Trusts erhöhen ihre Profite nicht bloß durch Erhöhung der Produktivität der Arbeit ihrer Arbeiter, sondern auch durch Ersparnisse der verschiedensten Art. Eine sozialistische Produktion müsste dieselben in noch höherem Maßstabe machen. Zu diesen Ersparnissen gehören die an Maschinerie, Hilfsmaterialien, Transportkosten. Um bei dem Beispiel der Textilindustrie zu bleiben: Es erfordert einen ganz anderen Aufwand, das Roh- und Hilfsmaterial zu 200.000, wie zu 800 Arbeitsstätten zu transportieren. Dasselbe ist der Fall mit den Kosten der Leitung des Betriebs. Von den 200.000 Betrieben erfordern allerdings die kleinsten keine besondere Überwachung; man kann zu diesen die mit weniger als 5 Arbeitern rechnen. Hier arbeitet der Leiter mit. Nur 12.000 überschreiten diese Grenze. Aber auch deren Leitung erfordert sicher erheblich mehr Verwaltungskräfte als die von 800. Andere Ersparnisse werden dadurch erzielt, dass die Trusts den Kampf der konkurrierenden Betriebe um den Kunden beseitigen. Seitdem sie in den Vereinigten Staaten aufkommen, nimmt die Zahl der beschäftigten Geschäftsreisenden ab; am auffallendsten ist ein Fall, auf den J.W. Jenks in einer Abhandlung hinweist: ein Trust, der den Umfang seiner Produktion so sehr erweiterte, dass die Zahl der in seinen Betrieben beschäftigten ungelernten Arbeiter seit seiner Begründung um 51 Prozent, der gelernten um 14 Prozent wuchs. Dagegen nahm die Zahl seiner Geschäftsreisenden in dem gleichen Zeitraum um 75 Prozent ab. Derselbe Jenks berichtet, dass manche Trusts nach ihren eigenen Angaben 40–85 Prozent und noch mehr an Inseraten- und Reklamekosten sparen usw.
Endlich aber wird die Erhöhung der Löhne in der Industrie auch zahlreiche Arbeitskräfte frei machen, die heute im Zwischenhandel eine parasitische Existenz finden. Sie fristen ein kümmerliches Dasein in ihren kleinen Kramläden, nicht, weil diese etwa eine Notwendigkeit sind, sondern weil ihre Besitzer daran verzweifeln, anderswo ihr Brot zu finden, oder weil sie nicht genug bei der Lohnarbeit verdienen und einen Nebenerwerb daneben suchen.
Von den nahezu 2 Millionen Menschen, die heute im Deutschen Reich im Handel und Verkehr (ohne Post und Eisenbahnen) und in Gastwirtschaften tätig sind, wird bei genügend hohen Löhnen in der Industrie und genügender Nachfrage nach Arbeitskräften vielleicht eine Million frei, die von parasitischer zu produktiver Tätigkeit überführt werden können.
Das sind die beiden Methoden der Vermehrung der Produktionsfähigkeit der Arbeiterschaft: die Aufhebung der parasitischen Beschäftigungen und die Konzentration des Betriebs in den vollkommensten Betriebsstätten. Durch Anwendung dieser beiden Mittel kann ein proletarisches Regime die Produktion sofort auf ein so hohes Niveau steigern, dass es möglich wird, die Löhne erheblich zu erhöhen und gleichzeitig die Arbeitszeit zu reduzieren. Jede Erhöhung der Löhne und Reduzierung der Arbeitszeit muss wieder die Anziehungskraft der Arbeit vermehren und der Produktion neue Arbeiter zuführen, die bisher parasitisch tätig waren, etwa als Bediente, Kleinkrämer usw. Je höher die Löhne, desto mehr Arbeiter. Aber in einer sozialistischen Gesellschaft kann man den Satz auch umdrehen: Je mehr Arbeiter, also je weniger Müßiggänger in der Gesellschaft, desto mehr wird produziert, desto größer die Löhne. Dies Gesetz wäre widersinnig in einer Gesellschaft der freien Konkurrenz, wo die Löhne umso tiefer sinken – unter sonst gleichen Umständen –, je größer das Angebot von Arbeitern. Es ist ein Lohngesetz der sozialistischen Produktionsweise.
Zuletzt aktualisiert am 7.1.2012