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Quelle: Die neue Zeit, 19. Jg., 1900-1901, 2. Bd. (1901), H. 35, S. 274–278.
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Bernstein hat ein Buch veröffentlicht, das eine Sammlung alter Artikel darstellt, die der Verfasser im Laufe der letzten zehn Jahre veröffentlicht hat. [2] Mehrfach fehlt der bei einer solchen Ausgabe übliche Hinweis auf die Stelle, wo die einzelnen Artikel ehedem erschienen. Wir dürfen wohl darauf aufmerksam machen, daß sie fast ausnahmslos in der Neuen Zeit veröffentlicht wurden.
Dort sind sie unverkürzt zu finden. In vorliegender Ausgabe fehlen manche Stellen, da, wie Bernstein in der Vorrede bemerkt, es ihm „nur recht und billig schien, aus polemischen Artikeln alle Stellen und Wendungen fortzulassen, die mit dem behandelten Gegenstand keinen nothwendigen Zusammenhang haben, sondern bloß der Person des Gegners galten und hierin das Maß des objektiv Gerechtfertigten überschritten“. Soweit ich sehe, bezieht sich diese Weglassung der polemischen Stellen nur auf solche, die gegen Gegner unserer Partei gerichtet sind. Die polemischen Stellen gegen die Personen einzelner Parteigenossen sind nicht blos unverkürzt wiedergegeben, sondern noch um einige Zusätze bereichert. Er griff dabei sogar zur Ausgrabung von Briefen, die ich ihm ehedem geschrieben, um daraus die Schwärze meiner Seele zu erweisen.
Nun ist selbst die Deutung einzelner aus dem Zusammenhang gerissener Sätzen die man wörtlich vor sich hat, mitunter ein recht mißlich Ding. Bernstein giebt aber blos seine Auffassung meiner Briefe wieder. Er will unter Anderem zeigen, daß ich früher auf dem gleichen Standpunkt stand, auf dem er jetzt steht, dann aber „mich auf die Seite seiner Opponenten schlug“ (S. 219), und daß meine Kritik seines Buches von vornherein nicht prinzipieller Gegnerschaft, sondern persönlicher Gehässigkeit entsprang.
Da es ihm schwer fiele, aus meinen Publikationen den für diese Anschuldigungen zu erbringen, so müssen eben meine alten Briefe herhalten, um zuerst aus Äußerungen persönlicher Sympathie meine prinzipielle Zustimmung, dann aus der Ablehnung von Vorschlägen meine Gehässigkeit Bernstein gegenüber zu erweisen. Diese Methode der Polemik benennt Bernstein Waffengänge für freie Wissenschaft im Sozialismus.
Es fiele mir leicht, nachzuweisen, daß die erwähnten Behauptungen Bernsteins völlig haltlos sind, daß ihn Erinnerungsvermögen und Phantasie täuschen und daß er in unsere Korrespondenz Dinge hineinliest, die nicht darin stehen. Aber die Entwirrung des Bernsteinschen Anklagegewebes würde immerhin mehr Zeit und Aufmerksamkeit kosten, als ich von unseren Lesern für diese kleinlichen persönlichen Rekriminationen in Anspruch nehmen darf.
Ein Beispiel, in dem die Bloslegung der Bernsteinschen Halluzinationen mit ein paar Worten geschehen kann, möge genügen, seine ganze Anklagemethode zu illustriren.
„Thatsächlich“, klagt er (S. 422), „war die Polemik Kautskys wider mein Buch von Anbeginn an nicht eine Diskussion, sondern eine Denunziation, und zwar eine Denunziation versetzt mit allen möglichen herabsetzenden Insinuationen, die man überhaupt einem Schriftsteller nur an den Kopf werfen kann ... Kautsky hatte es in der Hand, die Diskussion auf derjenigen Höhe zu führen, von der er spricht (der Höhe einer Diskussion über die Grundlagen unserer Bewegung); Niemand wäre bereitwilliger darauf eingegangen, als der Schreiber dieses. Ja, ich darf mich darauf berufen, Kautsky nach Erscheinen meines Buches einen Vorschlag gemacht zu haben, der die überhaupt nur möglichen Bürgschaften einer solchen Diskussion darbot. Aber der Vorschlag ward abgelehnt. Es sollte eine Abschlachtung werden und nicht eine Auseinandersetzung.“
Welch schwarze Niedertracht! Und welch vernichtende Beweisführung! Ja, ich muß, gestehen, ich habe seinen Vorschlag abgelehnt. Diese Thatsache muß einem Anhänger der freien Wissenschaft genügen!
Nur ein marxistischer Dogmenfanatiker kann verlangen, den Vorschlag kennen zu lernen, den ich abgelehnt, ehe er ein Urtheil über die Motive der Ablehnung fällt. Leider bin ich noch immer der alte Großinquisitor und daher verbohrt genug, auf den Vorschlag selbst, der doch offenbar Nebensache, das Hauptgewicht zu legen. Ich bin aber auch verbohrt genug, die bloße Berufung auf einen privaten, nicht der Öffentlichkeit vorliegenden Brief, ohne Mittheilung seines Wortlauts, für eine weit schlimmere Indiskretion zu halten, als die Veröffentlichung des Wortlauts selbst. Ich werde daher undelikat genug sein, den Vorschlag Bernsteins wörtlich zu zitiren (aus seinem Briefe vom 1. März 1899). Da heißt es:
„Du kündigst mir eine ganze Serie von Artikeln gegen mein Buch an. Ich kann es begreifen, daß Du Dich dazu augeregt fühlst, aber unter einem Gesichtspunkt ist mir die Sache doch unangenehm. Ich habe mir nun über drei Monate Schweigen in der Neuen Zeit auferlegt. Ziehen sich Deine Artikel lange hin, so heißt das wieder einige Monate Schweigen. Inzwischen werden natürlich alle möglichen Angriffe à la Plechanow auf mich herabregnen – die Luxemburg giebt mir in der Leipziger Volkszeitung einen schönen Vorgeschmack – wo soll ich auf sie antworten? Der Vorwärts bringt keine Polemiken, soll ich in einem Provinzblatt Gastfreundschaft aufsuchen, in den Monatsheften? Denn in der Neuen Zeit könnte ich doch im theoretischen Streite nicht eher da Wort ergreifen, als bis Du zu Ende gesprochen.
„Ich wüßte einen Ausweg, aber ich zweifle, ob er Dir gefallen wird. Schon vor längerer Zeit wollte ich Dir den Vorschlag machen, einmal eine andere Form der Kontroverse zu wählen, als sie bisher in der Neuen Zeit üblich war, eine Kontroverse, die, wenn sie so geführt wird, wie ich sie mir vorstelle, auch lebendiger ausfiele, wie ein Turnier mit Bandwürmern (kannst Du das nicht illustriren?). Ich meine, eine Kontroverse derart, daß Du die Hauptpunkte fixirtest, worin oder in Bezug auf die Du mir entgegenzutreten nöthig hättest, und daß wir dann diese Punkte nach einer von Dir zu bestimmenden Reihe nacheinander kämpfend durchgehen. Und zwar in der Art: Du schreibst den Angriff, sagen wir in puncto historischen Materialismus. Dann kommt meine Antwort die ich dann jedesmal so einrichte, daß sie zu keiner neuen Kontroverse Anlaß giebt, daß heißt weniger polemisch als meine Auffassung darlegend und vertheidigend sein sollte, so daß der Punkt eventuell mit einem gleich angehängten Nachwort von Dir erledigt werden kann, Auf diese Weise erhielt die Kontroverse den Charakter eines Dialogs und könnte von allen Denunziationen und Provokationen freigehalten werden, wie sie heute die Parteipolemik verunzieren. Und ich bin überzeugt, ein großer Theil der Leser der Neuen Zeit würde sie lieber sehen.“
Dies der Vorschlag, den abgelehnt zu haben ich bekennen muß. Man sieht, er entsprang nicht dem Wunsche, alle „nur überhaupt möglichen Bürgschaften“ einer grundlegenden Diskussion darzubieten, sondern dem viel weniger großartigen Wunsch, früher zum Worte zu kommen. Und nur dadurch wird er begreiflich. Ebenso begreiflich aber wird es für Jedermann, außer für Anhänger der freien.Wissenschaft, sein, daß ich diese sonderbare Zumuthung ablehnte, auf eine zusammenhängende Kritik von vornherein zu verzichten und mich auf ein Zwiegespräch einzulassen, das die Sachlichkeit der Diskussion nicht im Geringsten mehr verbürgte, als eine zusammenhängende Darstellung, wohl aber die Gefahr mit sich führte, daß die Diskussion sich verzettelte und vom Hundertsten ins Tausendste kam.
Wenn Bernstein jetzt aus meiner Ablehnung seines Vorschlags den strikten Beweis für die ungeheuerliche Anklage erblickt, daß es mir von vornherein nur um seine Abschlachtung, nicht um eine Auseinandersetzung zu thun war, so zeigt er damit nur, in welch eigenthümliche Gemüthsverfassung ihn unsere Polemik versetzt hat, und daß er auch zu jener nicht seltenen Spezies von Leuten gehört, denen das eigene Hinüberschießen als eine grandiose That, das Herüberschießen als unerhörte Niedertracht erscheint. Sein Hinüberschießen malt sich in seinem Kopfe als ein ritterlicher Waffengang für freie Wissenschaft; mein Zurückschießen als ekle Schlächterarbeit.
Daß diese Auffassung für ihren Urheber sehr tröstlich und erhebend ist, kann nicht geleugnet werden.
Zum Unglück für Bernstein stand er jedoch selbst einmal in dem Lager, auf das er jetzt seine Geschosse richtet, und das gröbste Geschütz dort bediente er selbst. Das hat bei der Wiedererweckung alter Erinnerungen von dazumal seine unangenehmen Seiten. Trotz sorgfältigster Auswahl der wiederveröffentlichten Artikel konnte Bernsteiu es nicht verhindern, daß welche zum Abdruck kamen, die, um mit seinen Worten zu reden, die reinen Abschlachtungen derselben freien Wissenschaft waren, die jetzt die Ehre hat, ihn zu ihren Vorkämpfern zu zählen. Damit hätte doch sein entrüsteter Protest gegen seine Abschlachtung durch mich sonderbar kontrastirt. Es mußte also jede Spur an das alte Schlächterhandwerk getilgt werden. Das geschah auch.
So hieß es zum Beispiel in einem Artikel Bernsteins in der Neuen Zeit über Die neueste Leistung des Herrn Lujo Brentano: „Nicht in den Reihen der Sozialisten, sondern den Reihen der Gegner ist der Vorschlag, dem Satze, der vom Lohngesetz handelt, im revidirten Programm eine andere Fassung zu geben, mit lärmendem Geschrei aufgenommen worden. Zum Theile aus alter, lieber Gewohnheit, zum Theile aus Unwissenheit. Diese Unwissenheit kommt in klassischer Weise zum Ausdruck in einem Artikel des Herrn Lujo Brentano“ (IX, 1, S. 294). Im neuen Abdruck ist der Artikel nur noch betitelt: Brentano über die Sozialdemokratie und das Lohngesetz, und die oben gesperrt [hier: schräg – MIA] gesetzten Stellen sind gestrichen, „diese Unwissenheit“ ist durch „dies“ ersetzt, welches „dies“ jetzt gar keinen Sinn hat (S. 38). Wenige Zeilen später wird Brentano als Verfasser einer Schmähschrift gegen Marx von Engels nicht mehr, wie früher, „angenagelt“, sondern. vielmehr „herausgefordert“, und so geht’s weiter.
Den Schluß des Artikel über die Lohnfondstheorie bildete der Satz:
„Die bürgerliche Ökonomie mit ihrer unüberwindlichen Abneigung vor einer grünndlichen Analyse des Produktionsprozesses des bürgerlichen Reichthums läßt uns, wie in so vielen Fragen, so auch in der Frage des Lohnfonds im Stiche. Das Günstigste, das sie uns bietet, sind eklektische Gemeinplätze.“ (Neue Zeit, IX, 1, S. 375)
Dieser Satz findet sich ebenso wenig im Abdruck, wie der folgende aus dem Schlußkapitel der Artikelserie über das eherne Lohngesetz:
„Indeß wird wohl aus der Thatsache, daß der ordentliche Herr Professor zwar von dem Hohne spricht, mit dem Lassalle ‚eben mit Rücksicht auf dieses Lohngesetz die englischen Arbeiterorganisationen bezeichnete als den Versuch der Waare Arbeit sich als Mensch zu geberden‘, aber über die Stellung Marx’ zur Gewerkschaftsbewegung sorgfältig schweigt, der Schluß erlaubt sein, daß es sich bei ihm nicht nur um eine wissenschaftliche, sondern auch um eine moralische – drücken wir es mit einem Fremdwort aus – insanity handelt.“ (Neue Zeit, IX, 1, S. 601/603)
Diese sorgfältige Verschweigung des Herrn Professors wird im Abdruck „sorgfältig verschwiegen“ und damit ist man auch der peinlichen Nothwendigkeit enthoben, sie zu kennzeichnen. Ebenso fehlt die einige Zeilen später zu findende Verhöhnung des modernen professoralen Eklektizismus:
„Sind sie obendrein, wie Herr Brentano, geaichte Vertreter der Universitätswissenschaft, so nennen sie dieses unsystematische Hin- und Hertappen historisch-realistische Methode. Wahrscheinlich, weil dieselbe die wirklichen historischen Merkmale ebenso ignorirt, als sie fortgesetzt Ursachen und Wirkungen durcheinanderwirft.“
Auf S. 604 des zitirten Bandes der Neuen Zeit reproduzirte Bernstein einen längeren Passus aus dem Kapital, der mit dem Satze schließt:
„Die Pharisäer der politischen Ökonomie proklamirten nun die Einsicht in die Nothwendigkeit eines gesetzlich geregelten Arbeitstags als charakteristische Neuerrungenschaft ihrer ‚Wissenschaft‘.“
Dazu bemerkte er: „Warum ich den Schlußsatz mitzitire, brauche ich nach dem Vorhergesagten nicht weiter auszuführen.“
Im Abdruck ist auch dieses Sätzchen unter den Tisch gefallen!
Bernstein veröffentlichte seine alten Artikel wieder, um, wie er in der Vorrede sagt, „derjenigen Auffassung entgegenzutreten, die aus jenen (seinen letzten Arbeiten) einen jähen Bruch mit früher von mir bekannten Abhandlungen herauslas.“ Um den Leser in Stand zu setzen, zu beurtheilen, was aus seinen früheren Abhandlungen wirklich herauszulesen, mußte er diese vollständig abdrucken. Dagegen hatte er selbst sich jedes „Herauslesens“ zu enthalten. Das hat er nicht gethan. Es genügte ihm nicht, aus seinen Artikeln für den Abdruck diejenigen „herauszulesen“, die ihm für seine Zwecke am passendsten erschienen, er hat auch noch eine Reihe von Stellen aus den herausgelesenen Artikeln „herausgelesen“ und gestrichen. Er meint freilich in seiner Vorrede, das seien Worte, in der Hitze des Kampfes gefallen, die mit der Sache nichts zu thun hätten und die er hinterdrein als unangemessen erkenne. Sie hätten nicht das Recht, den Tag zu überleben.
Uns erscheint die Sache anders. Gerade die gestrichenen Seiten sind charakteristisch, gerade ihre Vergleichung mit seinen heutigen Anschauungen beweist einen jähen Bruch mit seinen alten Überzeugungen, denn die gestrichenen Stellen zeigen Bernstein als aggressiven Kritiker jener bürgerlichen Wissenschaft, der er heute Weihrauch streut. Diese gestrichenen Stellen zeigen aber auch nicht bloß Bernsteins frühere Richtung, sondern auch die Schärfe an, mit der er einem Genossen entgegengetreten wäre, der es gewagt hätte, bei Engels’ Lebzeiten jenen Standpunkt zu entwickeln, den unser kritischer Sozialist heute selbst vertritt. Meine Kritik, die ich an ihm geübt, ist Milch und Honig, verglichen mit der Schwefelsäure jener Kritik, die er an den „eklektischen Gemeinplätzen“, dem „unsystematischen Umhertappen“, der „Unwissenheit“ und der „moral insanity“ der „Pharisäer der politischen Ökonomie“ geübt.
Er kennzeichnet durch diese Streichungen aber auch am besten seine Anklage gegen mich, die er aus meinen Briefen „herausliest“, als hätte ich früher seinen Standpunkt getheilt und mich dann „auf die Seite seiner Opponenten geschlagen“. Jawohl ich stand früher mit Bernstein auf dem gleichen Standpunkt, auf demselben, den er aus seinen wiederabgedruckten Artikeln ausgestrichen, den er jedoch aus der Erinnerung seiner Waffengefährten nicht so leicht ausstreichen wird. Aber nicht ich bin es, der sich auf die Seite unserer gemeinsamen Opponenten von ehedem geschlagen hat. Ich setze den Kampf fort, den wir bis vor wenigen Jahren Schulter an Schulter gekämpft, in demselben Sinne und derselben Weise, wie auch Bernstein ihn geführt. Gerade au den Sätzen, die er jetzt aus seinen früheren Artikeln getilgt sehen möchte, halte ich fest, und wenn die Wiederholung dieser Sätze jetzt neben unseren Gegnern auch ihn trifft und verletzt, so hat er am allerwenigsten Grund, Anderen Untreue und Abfall vorzuwerfen. Will er von Abschlachtung reden, dann hat schon der frühere Bernstein an dem jetzigen diese Abschlachtung vollzogen.
In den unkastrirten Originalen seiner Artikel lebt noch jener alte Bernstein, den wir alle liebten und schätzten, jener scharfe und unerbittliche Kritiker der breiten Bettelsuppen, mit denen die bürgerliche Ökonomie den Sozialismus zu verwässern sucht. Wer wissen will, was Bernstein war, wer beurtheilen will, was er geworden· ist, der lese die Originale seiner alten Artikel aus der Zeit von 1881 bis zu Engels’ Tode. Namentlich für den dekadenten, zweifelsüchtigen Theil unseres Nachwuchses aus der Intelligenz kann dies Studium nur nützlich wirken.
Der größte Theil der vorliegenden Kritik wurde schon vor einem halben Jahre geschrieben, unmittelbar nach dem ersten Erscheinen des Buches. Ich habe damals von ihrer Veröffentlichung Abstand genommen, denn eben, als sie erscheinen sollte, erfuhr ich von den Bemühungen, die im Gange waren, Bernstein die Rückkehr nach Deutschland zu ermöglichen, Da ich, durch die früheren Erfahrungen nicht gewitzigt, immer noch hoffte, das neue Milieu werde ihm zeigen, wie sehr er sich geirrt, oder werde ihn mindesten über seine Parteikritiker gerechter urtheilen lassen, wollte ich ihm nicht diese Kritik als Willkommensgruß bei seine Rückkehr entgegenhalten. Ich schwieg um des lieben Friedens willen auf diese wie auf manche frühere Provokation Bernstein, um so mehr, da ich annehmen konnte, Niemand werde seine Berufungen auf unveröffentlichte Briefe und sein Gejammer über meine Treulosigkeit und Bosheit ernst nehmen.
Da aber Bernstein sich nun anschickt, seine Thätigkeit in einer Weise fortzusetzen, die das höchste Gaudium unserer Gegner erregt, da ich ferner die Erfahrung machen mußte, da manche Leute seine Anklagen gegen mich als mehr betrachteten, denn als bloße Ausflüsse kleinlichen Ärger, und da Bernstein, beziehungsweise sein Verleger, eben sich anschickt, sein Buch durch eine neue Lieferungsausgabe weiteren Kreise zugänglich zu machen und es ihnen mit dem ganzen Apparat von Marktschreierei anzupreisen, dessen die Firma Edelheim fähig ist, sehe ich keinen Grund mehr, mit der Kennzeichnung dieses Buche noch weiter hinter dem Berge zu halten.
1. Um falschen Voraussetzungen vorzubeugen, bemerke ich, daß ich hier nicht von dem jüngsten Vortrage Bernsteins handle. Mit diesem möchte ich mich erst befassen, wenn er mir im Druck vorliegt. – K.K
2. Eduard Bernstein, Zur Geschichte und Theorie des Sozialismus, Berlin-Bern, Dr. John Edelheim. 420 S.
Zuletzt aktualisiert am 7.1.2012