MIA > Deutsch > Marxisten > Kautsky > Vorläufer > Absch. III
Italien und Südfrankreich waren jene Länder des christlich-germanischen Kulturkreises, in denen die Zivilisation des römischen Weltreichs am tiefsten gewurzelt hatte. Die Ueberlieferungen dieser Zivilisation wurden dort durch die Völkerwanderung am wenigsten zerstört und unterbrochen, und auch der Verkehr mit den verhältnißmäßig hochzivilisrten Ländern des Orients, mit Aegypten, Syrien, Kleinasien, Konstantinopel, erhielt sich dort am lebendigsten. Das städtische Wesen hörte in Italien und Südfrankreich auch während der finstersten Zeiten der Barbarei, die auf die Völkerwanderung folgten, nicht völlig auf; die Städte gelangten dort am ehesten wieder zu Reichthum und Macht, und die sozialen Gegensätze, welche die Waarenproduktion erzeugt, kamen im Mittelalter in jenen Ländern zuerst zur Geltung. Oder vielmehr, sie wurden aus dem Alterthum in das Mittelalter herübergenommen.
Auch das Proletariat hat dort nie ganz aufgehört. Es wurde in den Städten Italiens und Südfrankreichs zuerst wieder ein sozialer Faktor, und so ist es ganz natürlich, daß in ihrem Schooße die ersten kommunistischen Bestrebungen des Mittelalters entstanden.
Aber so wie das italienische und südfranzösische Städtewesen jener Zeit eine große Verwandtschaft mit dem römischen aufwies, und wie dort die Traditionen der Römerzeit am lebendigsten blieben, so hat auch der proletarische Kommunismus der daselbst erwuchs, an den Formen festgehalten, die ihn aus der Zeit des ersterbenden Römerreichs überliefert worden. Opposition gegen die bürgerliche Gesellschaft nimmt aufangs einen ganz mönchischen Charakter an, und sie ist in Italien und Südfrankreich nie darüber hinausgekommen – die neueste Zeit natürlich ausgenommen.
Um aber das Mönchswesen zu charakterisiren, müssen wir noch einmal einen Blick auf die ersten Jahrhunderte des Christeuthums werfen. Wir haben gesehen, daß die Bestrebungen des Urchristenthums, den Kommunismus zu verwirklichen, an den Verhältnissen der damaligen Gesellschaft scheiterten. Aber wir haben auch gesehen, wie dieselben Verhältnisse, die es damals noch ausschlossen, daß der Kommunismus der allgemeine Zustand der Gesellschaft werde, immer wieder neue Proletarier und damit auch immer wieder von Neuem das Bedürfniß nach kommunistischen Einrichtungen erlangten.
Je weitere Verbreitung das Christenthum gewann, desto offenbarer verzichtete es darauf, den Kommunismus allgemein durchzuführen. In demselben Maße aber wuchs das Bestreben, einzelne kommunistische Korporationen innerhalb des Christenthums zu begründen.
Ihr Vorbild fanden diese in der einzigen kommunistischen Organisation, von der sich damals noch wenigstens Reste erhalten hatten: der Fa milie oder, besser gesagt, der Hausgenossenschaft. Im Alterthum, und auch noch in der Kaiserzeit bildete jeder Wirthschaftsbetrieb eine für sich abgeschlossene Einheit, die alles Wesentliche selbst erzeugte, was sie brauchte, und nur die Ueberschüsse an Waaren verkaufte. Ursprünglich waren diese Betriebe ausschließlich Hausgenossenschaften gewesen, größere Familien von etwa 40-50 Köpfen (vgl. S. 43), welche in vollständigem Kommunismus lebten, die Produktions- und die Konsumtionsmittel gemeinsam besaßen und benutzten. Vor der Sklavenwirthschaft verschwanden diese Hausgenossenschaften, an ihre Stelle traten Wirthschaftsbetriebe, im denen die Produktions- und Konsumtionsmittel Privateigenthum eines Einzelnen waren, dem auch die Arbeiter gehörten – die Sklaven. Aber immerhin war die Hausgenossenschaft in den ersten Jahrhunderten des Christenthums noch lebendig genug, um an Vorbild zu gesellschaftlichen Neuschöpfungen dienen zu können.
Diese Neuschöpfungen waren die Klöster, künstliche Hausgenossenschaften, deren Bindemittel, neben den gemeinsamen Interessen, nicht die Bande des Blutes, sondern bestimmte, ausgeklügelte Regeln und Gelübde bildeten.
Dieselben Bevölkerungsschichten, aus denen sich die ersten Christen rekrutirten, lieferten auch die meisten Mitglieder der neuen Hausgenossenschaften, die meisten Mönche und Nonnen. Auf der einen Seite waren es reiche Leute, denen vor ihrem Reichthum und vor der Gesellschaft, in die er sie brachte, ekelte. Auf der anderen Seite waren es – und diese bildeten die Mehrzahl – arme Teufel, die im Kloster eine Zuflucht fanden, welche ihnen die „weltliche,“ d. h. bürgerliche, Gesellschaft versagte. „Nun aber,“ klagte der heilige Augustinus, „weihen sich dem Dienste Gottes (servitutis dei) meistens Sklaven oder Freigelassene, oder Leute, die um deßwillen von ihren Herren freigelassen worden sind oder freigelassen werden sollen, oder Bauern oder Handwerker oder sonstige Plebejer.“ [1]
Eine Familie kann ihren Lebensunterhalt auf die verschiedenste Weise finden: durch Arbeit, durch Betteln, durch Ausbeutung. So fanden auch die Klöster auf die verschiedenste Weise ihren Erwerb. In den einen herrschten die Neigungen der Lumpenproletarier vor, die ihre Mitglieder waren; sie verlegten sich vornehmlich aufs Betteln. Andere hatten das Glück, reiche Mitglieder oder Patrone zu finden, die ihnen Geld und Gut und Sklaven oder Kolonen schenkten, von deren Ausbeutung die frommen Männer leben konnten. Die weitaus meisten Klöster aber waren Vereine armer Leute, die sich zusammenthaten, um sich besser durchschlagen zu können. Diese sahen sich, wenigstens in ihren Anfängen, auf die Handarbeit ihrer Mitglieder angewiesen.
Die ersten Klöster, von denen wir wissen, im vierten Jahrhundert, schrieben die Handarbeit vor; die bedeutendsten Klostergründer der damaligen Zeit forderten sie, so Antonius, Pachomius, Basilius im vierten Jahrhundert, so Benedikt von Nursia, der Begründer des Benediktinerordens, zu Anfang des sechsten Jahrhunderts.
Ursprünglich konnte jedes Mitglied aus seiner Hausgenossenschaft nach Belieben heraustreten; dieselbe trennte ihre Mitglieder auch nicht durch eine besondere Tracht von der übrigen Bevölkerung.
Nach ihrem Charakter und ihrem Zweck kann man die Klöster auf dieser Stufe sehr wohl mit den Produktivgenossenschaften der Proletarier unserer Zeit vergleichen. Die einen wie die anderen waren Versuche, die „soziale Frage“ ihrer Zeit für einen beschränkten Kreis durch die eigenen Kräfte der Betheiligten zu lösen.
Aber bei aller Verwandtschaft weisen beide Organisationen auch bedeutende Verschiedenheiten auf, entsprechend den Verschiedenheiten zwischen der heutigen und der römischen Gesellschaft.
Die kapitalistische Produktionsweise hat fast die gesammte Produktion in Waarenproduktion verwandelt. Demnach müssen auch die Produktivgenossenschaften der Arbeiter Waaren erzeugen. Sie produziren Gebrauchsgegenstände nicht für den eigenen Bedarf, sondern für den Markt, sie haben mit all dem Risiko und allen den demoralisirenden Einflüssen zu kämpfen, die das System der freien Konkurrenz und der Krisen mit sich bringt.
Vor der kapitalistischen Produktionsweise blieb die Produktion überwiegend auf die Erzeugung von Gebrauchsgegenständen für den eigenen Bedarf gerichtet. Wie jeder Bauernhof, jedes Latifundium, jeder Fronhof Alles oder mindestens fast Alles erzeugte, was er selbst brauchte, und nur den Ueberschuß als Waare auf den Markt brachte, so war es auch bei den Klöstern der Fall. Der Ueberschuß, der sie mit dem Markte, der Welt verband, bildete meist eine große Versuchung, der der Sündenfall folgte. Der Ueberschuß sollte den Armen gehören, aber es war profitabler, ihn zu verkaufen und für sich zu verwenden.
Im späteren Mittelalter, als die städtische Industrie sich entwickelte, konnte die klösterliche Produktion für den Markt den Handwerkern arge Konkurrenz bereiten (vgl. S. 97). Aber die Produktion für den Selbstgebrauch blieb stets die Hauptsache. Sie hat in den Klöstern länger den Einflüssen des auftauchenden Kapitalismus widerstanden, als anderswo: bei ihnen hat sich die Naturalwirthschaft am längsten erhalten. Dieses Wirthschaftsystem hat ihnen einen Konservatismus, aber auch eine Zähigkeit und Widerstandsfähigkeit verliehen, die wir bei den heutigen Produktivgenossenschaften vergeblich suchen.
Der zweite große Unterschied ist der, daß die Produktivgenossenschaften unserer Zeit nur auf dem Gemeineigenthum an Produktionsmitteln beruhen, nicht auf dem an Konsumtionsmitteln. In den Klöstern dagegen war das gemeinsame Leben, der gemeinsame Haushalt, die Hauptsache, und das Gemeineigenthum au den Produktionsmitteln eine Nebensache, die man mit in Kauf nehmen mußte, wenn man den kommunistischen Haushalt zu einer dauernden Einrichtung machen wollte. Denn die Erfahrung hatte gezeigt, daß der gemeinsame Haushalt im Widerspruch stehe zu dem Privateigenthum der Einzelnen an ihren Prodktionsmitteln, und daß er sich nie lange halte, wo dieses Privateigenthum fortbestehe.
Und noch ein Unterschied besteht zwischen den heutigen Produktivgenossenschaften und den Klöstern. Jene heben die Einzelfamilie nicht auf. Das Gemeineigenthum an den Produktionsmitteln ist mit dieser Einrichtung sehr wohl veträglich, nicht aber das Gemeineigenthum an den Konsumtionsmitteln. Außer der Hausgenossenschaft durfte also der Mönch oder die Nonne keine andere Familie kennen. Aber die Klöster mußten noch weiter gehen. Die urwüchsige Hausgenossenschaft schließt die Einzelehe der einzelnen Genossen nicht aus. Aber diese Genossenschaft beruhte auf Banden des Blutes, die durch tausendjährige Gewöhnung geheiligt waren, nicht auf jüngst erfundenen künstlichen Konstruktionen, und sie existirte in einer Gesellschaft, in der das Privateigenthum und das Erbrecht einzelner Individuen wenigstens für die wichtigsten Produktionsmittel noch nicht bestand. Die Klöster dagegen entstanden zu einer Zeit, in der dies Eigenthums- und Erbrecht vollständig entwickelt war. Und so weit sie sich auch in Einöden flüchten mochten, um außerhalb der bürgerlichen Welt zu leben, sie blieben dennoch in deren Bereich. Die Einführung der Einzelehe in das Kloster hätte naturnothwendig dessen Kommunismus gesprengt, wie ihre Anerkennung bereits den Kommunismus der christlichen Kirche getödtet hatte.
Den Klöstern blieb nichts übrig, als das Abschwören der Ehe, wollten sie ihren Kommunismus und damit sich selbst erhalten. Der liberale Aufkläricht sieht in der Ehelosigkeit der Mönche und Nonnen das Ergebniß völligen Idiotismus. Aber der Geschichtschreiber thut gut daran, wenn ihm irgend eine historische Massenerscheinung unbegreiflich erscheint, den Grund dafür in seinem Mangel an Einsicht in die wirklichen Zusammenhänge zu suchen und diesen nachzuforschen, und nicht die Dummheit der Massen dafür verantwortlich zu machen, was freilich bequemer und für den Schreiber auch erhebender ist. Die Ehelosigkeit der Klosterleute beweist nicht, daß die Klostergründer Idioten waren, sondern daß die ökonomischen Verhältnisse unter Umständen stärker werden können, als die Gesetze der Natur.
Uebrigens besagt die Ehelosigkeit nicht nothwendig Keuschheit. Sie kann, wie wir schon einmal erwähnt haben, auch durchgeführt werden bei außerehelichem Geschlechtsverkehr. Plato suchte diesen Ausweg. Aber in der römischen Gesellschaft war die Ehe denn doch zu fest begründet, als daß den Klöstern dieser Weg offen gestanden hätte. Sie bequemten sich so eher zur Forderung der Keuschheit, als die allgemeine Trübseligkeit der Zeit die Neigung zur Askese sehr begünstigte.
Daß unsere Annahme, die Ehelosigkeit in den Klöstern entspringe ihrem Kommunismus der Genußmittel, keine bloße Spekulation ist, dafür spricht: die Thatsache, daß wir beide Erscheinungen bisher stets vereinigt finden konnten. Im Alterthum zeigen uns dies Plato und die Essener. Wir können aber noch einen weiteren Vergleich ziehen mit den Kolonien in den Vereinigten Staaten, die in den letzten Jahrzehnten des vorigen und in den ersten unseres Jahrhunderts einen primitiven Kommunismus durchführen wollten – wohl zu unterscheiden von jenen Kolonien, welche die Ideen neuerer Utopisten realisiren sollten – von Utopisten, die bereits von der Erkenntniß der kapitalistischen Produktionsweise ausgingen und die daher den Kommunismus der Produktionsmittel zur Grundlage ihrer Versuche machten, wie R. Owen, Fourier und Cabet. [2]
Unter den verschiedenen religiös-kommunistischen Gemeinden in den Vereinigten Staaten, die Charles Nordhoff in seinem Werk über die kommunistischen Gesellschaften dieses Landes beschreibt [3], ist keine einzige, die nicht der Ehe feindlich gesinnt wäre, trotzdem sie auf den verschiedensten Wegen und unter den verschiedensten Umständen ohne Zusammenhang miteinander entstanden sind. Diese Uebereinstimmung ist demnach kein Zufall.
Zwei dieser Sekten erlauben zwar die Ehe, die Amanagemeinde (gegründet 1844) und die Separatisten (bestehend seit 1817); aber auch sie erklären den ehelosen Stand für einen höheren und verdienstlicheren. Die Separatisten von Zoar verboten anfangs die Ehe. Seit 1830 ist sie bei ihnen erlaubt. Aber der neunte der zwölf Artikel, welche ihre Grundsätze enthalten sagt:
„Wir halten jeden Verkehr der Geschlechter untereinander, der nicht zur Fortpflanzung der Gattung nothwendig ist, für sündig und dem Gebot Gottes zuwiderlaufend. Völlige Keuschheit ist verdienstvoller als die Ehe.“ (A. a. o., S. 104.)
Die anderen Sekten verbieten die Ehe direkt. Die Rappisten erlaubten sie anfangs, von 1803 an, kamen aber 1807 zur Ansicht, die Ehelosigkeit sei nothwendig. 1832 trennten sich 250 Rappisten, die des Zölibats müde waren, von der Hauptgemeinde und gründeten eine eigene Gemeinde. Diese ging bald unter, das Vermögen wurde unter die einzelnen Familien vertheilt.
Die Shakers die älteste der amerikanischen Kommunistensekten, die ins vorige Jahrhundert zurückreicht, rechnen zu ihren fünf Hauptgrundsätzen als ersten den Kommunismus und als zweiten das Zölibat.
Nur eine dieser Sekten hat es gewagt, die Ehelosigkeit, die auch sie verlangt, nicht durch das Zölibat erreichen zu wollen, sondern durch den platonischen Ausweg, der dem modernen Fühlen und Denken allerdings noch mehr widerstrebt als die lebenslängliche Keuschheit. Es sind das die Perfektionisten von Oneida und Wallingford, die sich 1848 zusammenthaten. Sie glaubten, Christus habe nicht blos die Gemeinschaft der Güter, sondern auch die der Personen gelehrt. Niemand hat das Recht, einer anderen Person gegen ihren Willen beizuwohnen, aber sie halten die „ausschließliche und abgöttische Anhänglichkeit“ zweier Personen aneinander für den Beweis sündiger Selbstsucht, und wo eine solche aufzukommen scheint, wird sie durch „Kritiken“ und andere Maßregeln erstickt. Wie im platonischen Staat, wird auch bei den Perfektionisten die Erzeugung der Kinder von Gellschaftswegen geregelt und soll nach „wissenschaftlichen Grundsätzen“ betrieben werden. (A. a. O., S. 276)
Bemerkenswerth ist, daß gerade die Perfektionisten unter den primitiv-kommunistischen Sekten ökonomisch und intellektuell am höchsten stehen. Sie sind die Einzigen, die eine ordentliche Buchfürung aufzuweisen haben und künstlerisches und literarisches Interesse an den Tag legen.
Wir dürfen also wohl sagen, daß die Ehelosigkeit in den Klöstern nicht das Produkt einer unverständigen Laune oder gar einen selbstquälerischen Wahnsinns war, sondern in den materiellen Verhältnissen wurzelte, unter denen dieselben entstanden.
Noch etwas Anderes zeigt uns ein Blick auf die kommunistischen Kolonien Amerikas: der Kommunismus erzeugt einen außerordentlichen Fleiß, eine außerordentliche Arbeitsfreudigkeit. Nichts lächerlicher als die Befürchtung, in einem kommunistischen Gemeinwesen würde nicht gearbeitet werden. Durch die Erfahrung ist sie längst widerlegt worden.
Das schon zitirte Buch von Nordhoff bringt unter Anderem auch dafür eine Reihe von Belegen.
„Ich habe oft gefragt,“ erzählt er, „was thut Ihr mit den Faulenzern? Aber in einer Kommunistengemeinde giebt es keine Müßiggänger. Ich nehme daher an, daß die Menschen nicht von Natur aus faul sind. Selbst die ‚Winter-Shaker,‘ jene unstäten Gesellen, die beim Herannahen der kälteren Jahreszeit bei den Shakers und anderen Gemeinden Unterkunft suchen, indem sie vorgeben, sie möchten gern Mitglieder werden, die zu Beginn des Winters kommen, wie ein Shaker-Aeltester mir sagte, ‚mit leerem Magen und leerem Ranzen und fortgehen, Beides wohlgefüllt, sobald die Rosen zu blühen beginnen‘ – selbst diese verkommenen Individuen verfallen dem Einfluß der Planmäßigkeit und der Ordnung und thun ihren Antheil an der Arbeit ohne Widerstreben, bis die warme Frühlingssonne sie wieder in die Freiheit lockt.“ (A. a. O., S. 395)
Wir dürfen daher wohl annehmen , daß die Forderung der Handarbeit, welche die Klostergründer aufstellten, ernst gemeint war und daß auch die Berichte über den Fleiß der Mönche nicht ganz auf Schönrednerei zu reduziren sind, wenn wir auch wohl wissen, daß im Erfinden und Uebertreiben die kirchliche Rhetorik jede andere Art der Rhetorik, selbst die advokatische, seit jeher in Schatten gestellt hat. [4]
Und noch Eines zeigen un die primitiven kommunistischen Kolonien Nordamerikas die große ökonomische Ueberlegenheit dieser Gesellschaftsform gegenüber der bäuerlichen und kleinbürgerlicheb, innerhalb deren sie erstanden.
Es würde zu weit führen, auf die Gründe dieser Erscheinung einzugehen. [5] Genug, sie steht fest und wird am besten bewiesen durch die rasche Zunahme des Wohlstandes, welche diese Gemeinden aufweisen.
Noch mehr mußte sich diese Ueberlegenheit geltend machen in dem sinkenden Römerreich, das keinen blühenden Bauernstand und kein blühendes Kleinbürgerthum besaß, wie die Vereinigten Staaten in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts. Die Bauernschaft war ruinirt, die Latifundienwirthschaft mit Sklaven folgte ihr nach, an deren Stelle wieder ein kümmerliches Zwergpächterthum trat, das Kolonat. Diesem gegenüber erwiesen sich die klösterlichen Produktivgenossenschaften ökonomisch sehr überlegen. Kein Wunder, daß sich das Klosterwesen in der christlichen Welt rasch verbreitete und daß es zum Träger der Reste der römischen Technik, der römischen Kultur überhaupt wurde.
Ebensowenig werden wir uns darüber wundern, wemm nach der Völkerwanderung den germanischen Fürsten und Grundherren die Klöster als die geeignetsten Einrichtungen erschienen, um eine höhere Produktionsweise in ihren Gebieten heimisch zu machen, und daß sie die Gründung von Klöstern ebenso begünstigten, ja oft veranlaßten, wie etwa im vorigen Jahrhundert die europäischen Herrscher die kapitalistischen Manufakturen unterstützten. Während südlich der Alpen der Hauptzweck der Klöster darin bestand, Zufluchtstätten für Proletarier und mißhandelte Bauern zu sein, wurde nördlich der Alpen ihre Hauptaufgabe die Förderung der Landwirthschaft, der Industrie, des Verkehrs.
Aber gerade seine ökonomische Ueberlegenheit über die anderen Wirthschaftsbetriebe seiner Zeit mußte jedes Kloster, sofern es nur in jeden wüsten Zuständen überhaupt sich erhielt, früher oder später zu Reichthum und Macht bringen, wenn es nicht schon von vornherein durch irgend einen vornehmen Protektor damit ans gestattet worden war. Macht und Reichthum bedeuten aber die Verfügung über die Arbeit Anderer. Die Mönche und Nonnen hörten nun auf, auf ihre eigene Arbeit angewiesen zu sein, es trat für sie die Möglichkeit ein, von der Arbeit Anderer zu leben, und sie machten natürlich von dieser Möglichkeit Gebrauch. Aus Produktivgenossenschaften wurden die Klöster Ausbeutergenossenschaften.
Das ist das schließliche Schicksal jedes gelungenen Versuchs, den Kommunismus fair eine kleine Korporation innerhalb einer Gesellschaft des Privateigenthums und der Ausbeutung durchzuführen. Das gilt für den Kommunismus der Produktionsmittel ebenso wie für den der Genußmittel oder beide vereint. Für ersteren liefert die Geschichte der Produktivgenossenschaften, für letzteren die der primitiv-kommunistischen Kolonien Amerikas zahlreiche Beweise.
Die einen wie die anderen ziehen es in der Regel vor, wenn sie gedeihen und ihre Produktion erweitern, Lohnarbeiter aufzunehmen, statt gleichberechtigte Mitglieder, mit denen die früheren Mitglieder theilen müßten.
Die Befreiung von der Handarbeit bedeutet nicht nothwendigerweise das Aufgeben jeglicher Arbeit. Sie ermöglicht die Beschäftigung mit geistiger Arbeit, und auch in dieser Beziehung sind die Klöster wichtig geworden.
Anfangs freilich bedeuteten sie nichts für die Kunst und Wissenschaft. Produktivgenossenschaften von gewesenen Bauern, Handwerkern, Sklaven, Lumpenproletariern, womöglich außerhalb der Städte in abgelegenen Gegenden errichtet, wo die bürgerliche Gesellschaft und der Staat sie nicht belästigen konnten, waren nicht die geeignetsten Stätten für den Betrieb von Kunst und Wissenschaft; diese blieben im Römerreich, auch unter der Herrschaft des Christenthums, in den Städten konzentrirt.
Aber mit dem Aufhören der Sklaverei, die so große Ueberschüsse an Produkten geliefert hatte, hörten nach und nach nicht blos der Luxus, sondern auch Wissenschaft, Kunst, Handwerk, die Zivilisation überhaupt auf. Die Landwirthschaft sank immer mehr zu primitiver Pachtwirthschaft roher Kolonen herab, die nur geringe Erträge lieferten; stellenweise ging sie völlig zu Grunde. Dem Ruin der Landwirthschaft folgte der der Städte, die an Bevölkerungszahl, an Umfang und Wohlstand immer mehr abnahmen. Die Völkerwanderung ruinirte sie völlig oder drückte sie zur Bedeutungslosigkeit herab.
Jetzt wurden die Klöster, die inzwischen wohlhabend geworden waren, die besten, ja fast die einzigen Zufluchtsstätten von Wissenschaft und Kunst. Im vierten Jahrhundert beginnt das Klosterleben sich zu entwickeln, aber erst vom sechsten an rückt der Schwerpunkt des geistlichen Lebens allmälig in die Klöster, wo er bis zum erneuten Aufblühen der Städte bleibt.
Indeß die Zahl Derjenigen, die sich in ein Kloster begaben, um dort die innen gebotene Muße zur Ausübung von Künsten oder Wissenschaften zu benutzen, bildete stets nur eine Minorität der Klosterbewohner. Die weitaus Meisten benutzten das Wohlleben und die Muße, die ihnen die Ausbeutung verschaffte, zu gröberen Genüssen. Die Faulheit, Geilheit und Versoffenheit der Mönche ist ja sprüchwortlich geworden.
Hand in Hand damit ging eine andere Entwickelung. Sobald einer der klösterlichen Produktivgenossenschaften gedieh und wohlhabend wurde, erhob sie sich über die Masse der übrigen Bevölkerung. Diese bevorzugte Stellung konnte sie nur erhalten, wenn sie sich von der großen Menge abschloß, die herandrängte, um an dieser ökonomischen Besserstellung Antheil zu nehmen. So wie ehedem die Markgenossenschaften und Zünfte, und so wie in unserem Jahrhundert so manche gedeihende kommunistische Kolonie oder Produktivgenossenschaft wurden auch die Klöster exklusiv, sobald sie wohlhabend wurden. Die armen Teufel, die sich zur Mitgliedschaft meldeten, wurden möglichst ferngehalten. Dagegen nahm man gern Leute auf, die durch ihre Stellung oder ihr Vermögen dem Kloster Vortheile versprachen. Wenn die Klöster mit zunehmendem Reichthum aufhörten Produktivgenossenschaften zu sein und Ausbeutergenossenschaften wurden, so hörten sie auch auf, Zufluchtsstätten für die Armen und Gedrückten zu bilden. Sie wurden Versorgungsanstalten für jüngere Söhne und sitzengebliebene Töchter des Adels.
Aber das Bedürfniß nach Produktivgenossenschaften auf der einen Seite, nach Zufluchtsstätten für die Armen und Gedrückten auf der anderen Seite erhielt sich während des ganzen Mittelalters auf das Lebhafteste, und das Kloster bot damals die einzige Form, diesem Bedürfniß zu genügen. Und so ziehen sich durch dieses ganze Zeitalter neben ununterbrochenen Klagen über den Verfall der mönchischen Zucht und Sitte ebenso ununterbrochene Versuche, durch Reformirungen schon bestehender Orden oder einzelner Klöster oder durch Gründung neuer dem Uebel abzuhelfen.
Die Methoden der Reform waren mannigfaltiger Art. Die einfachste und für den Reformator profitabelste war die, dem Kloster alles überflüssige Vermögen zu konfisziren. [6] Aber nicht immer gelang die Reformation, denn die streitbaren Mönche jener Zeit wehrten sich oft gewaltig ihrer Haut. Mancher reformlustige Abt ist von ihnen erschlagen, mitunter auch durch Meuchelmord aus dem Wege geräumt worden.
Und wo die Reformation genug, fruchtete sie nicht viel. Nach kurzer Zeit finden wir die alten Zustände wieder.
So wars auch mit den Neugründungen von Mönchsorden. Immer erfinderischer wurden die Ordensgründer in der Ausarbeitung ihrer Klosterregeln – Musterstatuten würde man heute sagen –, um alle Weltlichkeit aus den Klöstern zu bannen. Künstlich sollten die weltlicheli Begierden ansgetrieben werden durch Selbstpeinigungen aller Art. Immer strenger wurde die Askese, immer schroffer die Abschließung von der Außenwelt. Aber da man nicht an die Wurzel des Uebels ging, und nicht gehen konnte, blos den Symptomen entgegenarbeitete, so blieben alle die Quälereien wirkungslos und, glücklicherweise, meist undurchgeführt.
Am meisten häuften sich die Ordensgründungen im 12. und 13. Jahrhundert. Damals waren die Städte Italiens und Südfrankreichs in raschem Aufblühen begriffen. Diese ökonomische Blüthe bedeutete aber zugleich Wachsthum des Proletariats eines arbeitenden, jedoch auch und namentlich eines Lumpenproletariats. Dies wurde in manchen Städten stark genug, um soziale Bewegungen hervorzurufen. Sie äußerten sich vor Allem darin, daß sie den Hang zum Mönchswesen verstärkten und diesem wieder mehr einen proletarischen Charakter verliehen, als es vom sechsten bis zum elften Jahrhundert gehabt hatte. Nicht immer zeigen sich diese mönchischen Tendenzen der herrschenden Kirche gezogen. Oft allüren sie sich mit den kirchenfeindlichen, ketzerischen Tendenzen, die um diese Zeit in Italien und Südfrankreich auftreten.
Aber oft gelang es auch dem Papsthum, diese mönchischen, proletarischen Tendenzen sich dienstbar zu machen. Besonders wichtig wurden dadurch die Bettelorden der Dominikaner und Franziskaner. Das lateranische Konzil (1215) hatte die Stiftung neuer Orden verboten, damit der maßlosen „Gründerei“ Einhalt gethan werde. Aber kaum war dies Verbot erlassen, so wurde es vom Papst umgestoßen zu Gunsten der eben genannten beiden Orden, die damals gegründet wurden.
Besonders bezeichnend sind die Anfänge der Franziskaner. Ihr Stifter, der heilige Franz v. Assisi, wurde als der Sohn eines reichen Kaufmannes 1182 geboren und verlebte eine lustige Jugend, worauf ihn während des üblichen Katzenjammers Ekel vor dem Reichthum und der Drang, den Dürftigen zu helfen, erfaßte. Er verkaufte seine Habe, vertheilte den Erlös unter die Armen und beschloß, sein Leben ihrem Dienste zu weihen. Nachdem er sich gleichgesinnte Genossen zugesellt, organisirte er sie in einem Orden, den Innocenz III. 1215 mündlich und Honorius III. 1223 schriftlich genehmigte.
Der heilige Franz glaubte, es würde ihm gelingen, den Orden davor zu schützen, daß er eine Ausbeutergesellschaft werde, wie seine Vorgänger waren. Er dachte dies dadurch zu erreichen, daß er das Gebot beständiger Eigenthumslosigkeit, welches bisher blos für das einzelne Klostermitglied, aber nicht für die Gesammtheit, nicht für den Orden gegolten hatte, auf diesen ausdehnte. Der Orden der Franziskaner durfte nichts erwerben, er sollte auch keine Erwerbsarbeit treiben, sondern nur dem Dienste der Armen und Kranken leben und zufrieden so mit den milden Gaben, die man ihm reichte.
Aber gerade weil dieser Orden sich in der Bekämpfung des Elends so nützlich erwies, dann aber auch, weil er durch seine werkthätige Hülfe das Vertauen der ärmeren Massen gewann, sie vor revolutionären Gelüsten bewahrte und der Kirche geneigt erhielt, flossen ihm bald nur zu viele milde Gaben zu. Noch zu Lebzeiten des heiligen Frauz erstand in seinem Orden die Neigung nach Beseitigung der Regel, die ihm den Erwerb von Gütern verbot. „Der große Stifter des Bettelordens ruhte schon in einem von Gold und Marmor funkelnden Dom.“ (Gregorovius, Geschichte der Stadt Rom, V., S. 114.) Nicht ganz 20 Jahre nach seinem Tode (der 1226 eintrat) waren diese Bestrebungen so erstarkt, daß Innozenz IV. 1245 die Regel umänderte und bestimmte, daß die Franziskaner Güter, wenn schon nicht als Eigenthum, so doch als Besitz erwerben und genießen dürften. Das Eigenthumsrecht an ihrem Besitzthum gebührte dem Papst.
Von da an verfiel der Frauziskanerorden (und ebenso ging es den Dominikanern) rasch dem gleichen Schicksal, das seine Vorgänger gehabt. Er wurde eine Ausbeutergesellschaft. [7]
Aber diese Milderung hatte noch eine andere Folge. Ein Theil der Franziskauer nahm seine Aufgabe als Vertreter der Interessen der Armuth ernst. Dazu gehörten namentlich die Tertiarier. Der heilige Franz hatte eine demokratische Einrichtung getroffen. Neben dem Mönchsorden als ersten und einem weiblichen Orden als zweiten [8] ließ er einen dritten sich bilden, die Tertiarier, die an den Aufgaben des Ordens mitwirkten, ohne der Ehe und ihrer bürgerlichen Beschäftigung zu entsagen. Diese Tertiarier waren meistens Handwerker oder andere Leute aus dem Volke, ihre Vereine kann man wohl als Arbeitervereine bezeichnen.
Sie waren es, die am entschiedensten der Verwandlung des Ordens in eine Ausbeutergesellschaft widerstrebten. Zwischen beiden Parteien kam es zu heftigen Kämpfen, die Jahrzehnte lang währten. Je mehr die Ausbeuterrichtung vom päpstlichen Stuhle begünstigt wurde, desto entschiedener wendetem sich die Anhänger der strengeren Richtung (Spiritualen oder Fraticelli genannt) gegen Papst und Kirche selbst, desto mehr suchten sie Anschluß an kirchenfeindliche Organsationen. Als der Papst Johann XXII. endlich die Inquisition gegen sie, namentlich in Südfrankreich (1317 in Narbonne, Beziers) aufbot, um sie zur Raison zu bringen, entschied das nur ihren völligen Bruch mit der Kirche. Sie wurden seitdem zu den ketzerischen kommunistischen Sekten, den Begharden, gezählt, unter denen wir die Vorgänger der Wiedertäufer zu suchen haben.
Man sieht, die strengen Franziskaner bildeten ein Mittelglied zwischen dem mönchischen Kommunismus, der im Mittelalter eine der Grundlagen der Gesellschaft war, und dem proletarischen Kommunisten jener Zeit, der die bestehende Gesellschaft umzustürzen trachtete.
Um diese Zeit trat auch schon ein Theoretiker des Kommunismus auf, allerdings nur des mönchischen: der Abt Joachim von Fiore in Kalabrien, geboren um 1145 im Dorfe Cälium in der Nähe von Cosenza. Nach einer Wallfahrt in das heilige Land kehrte er nach Kalabrien zurück, wurde Mönch, später, um 1178, Abt des Zisterzienserklosters Corace. Er gründete hierauf ein eigenes Kloster in Fiore und starb 1201 oder 1202.
Ergriffen von den sozialen Mißständen seiner Zeit, namentlich der furchtbaren Ausbentungswirthschaft und Korruption, die in der Kirche herrschte, suchte er nach einer Rettung aus diesem Unwesen und glaubte sie zu finden in der Verallgemeinerung des Kommunismus – natürlich in jener Form, die der damaligen Zeit entsprach, der klösterlichen. Er sah eine Revolution und eine neue Gesellschaft kommen: das tausendjährige Reich, von dem die Apokalypse spricht.
Er unterscheidet drei Zeitalter: „Zuerst war die Zeit, in der die Menschen dem Fleische dienten; diese begann mit Adam und endete mit Christus. Dann kam die Zeit, in der sie beiden dienen, sowohl dem Fleisch wie dem Geist; sie dauert bis heute. Ein anderes Zeitalter aber ist es, in dem man nur noch dem Geiste lebt, dessen Beginn in die Tage des heiligen Benedikt fällt.“ Dieser dritte Gesellschaftsstand ist der mönchische Zustand (status monachorum). Das Klosterwesen wird die ganze Menschheit umfassen. „ Es ist nothwendig, daß wir zur wahren Nachahmung des Lebens der Apostel gelangen, indem man nicht nach dem Besitz irdischer Güter strebt, sondern sie eher dahin giebt“ &c. Zur vollen Verwirklichung sollte der dritte Gesellschaftszustand kommen in der 22. Generation seit dem heiligen Benedikt, also in nächster Zeit. Die römische Kirche werde in schweren Strafgerichten untergehen und aus ihren Resten eine neue Gesellschaft erstehen, der Orden der Gerechten, der das Privateigenthum aufgiebt. Ein Zeitalter der vollen Freiheit und vollen Erkenntniß bricht damit an.
Joachim’s Lehren machten großen Eindruck. Namentlich in der strengeren Richtung des Franziskanerordens, den Fraticellen, die sich für den „Orden der Gerechten“ hielten, welcher berufen sei, die Gesellschaft zu verjüngen, und durch sie fanden diese Lehren weite Verbreitung. Sie haben den italienischen Münzer, Dolcino, beeinflußt; sie sind auch Münzer selbst nicht fremd geblieben. [9]
So tief war der Eindruck der Joachimschen Prophezeiungen nicht blos in Italien, sondern auch in Deutschland, und sie entsprachen einem so lebhaften Bedürfniß der Massen, daß, als die Thatsachen die Prophezeiung Lügen straften, das Volk lieber jene umdichtete, als daß es den Glauben an diese fahren ließ. Joachim hatte prophezeit, die soziale Umwälzung werde am 1260 zu Ende sein. Gerade als es diesem Zeitpunkt zuging, tobte ein heftiger Kampf zwischen dem Papstthum und dem Kaiser Friedrich II. Die Anhänger Joachim’s erwarteten, dem Kaiser werde es gelingen, den Papst niederzuwerfen und mit dessen Sturz die neue Gesellschaft zu inauguriren. Aber es kam anders.
„Der Tod Friedrichs (1250) stand mit des Joachim von Fiore Prophezeiung in Widerspruch; denn darnach sollte er nicht aus der Welt gehen, ohne sein Werk vollendet zu haben. So entstand zuerst in diesen Kreisen die Meinung, Friedrich II. könne nicht todt sein, er halte sich nur verborgen, um dereinst wiederzukehren und sein unvollendet gelassenes Werk wieder aufzunehmen und zu Ende zu führen ... So entstand jener eigenthümliche Vorstellungskreis, in dem sich die deutsche Kaisersage bewegt, und der erst infolge des Mißverständnisses späterer Zeit auf Kaiser Friedrich I. (Barbarossa) und die von seiner Wiederkehr zu erwartende Erneuerung der Herrlichkeit des Reiches gedeutet worden ist.“ [10]
Unter dieser „Herrlichkeit des Reiches“ verstand das Volk, wie man sieht, die kommunistische Revolution.
1. De opere Monachorum, c. 22. Bei J. E. L. Gieseler, Lehrbuch der Kirchengeschichte, 3. Aufl., I., S. 545.
2. Die Rückständigkeit jenes gegenüber diesem Kommunismus zeigt sich schon in seinem religiösen Charakter. Für die kommunistischen Gemeinde, die wir hier im Auge haben, ist die Religion nicht Privatsache. Sie stehen noch auf jener Stufe, auf der soziale Grundsätze in ein religiöses Gewand gehüllt werden, die Zugehörigkeit zur Gemeinde bedingt daher für sie auch die Zugehörigkeit zu bestimmten religiösen Dogmen.
3. The commmunistic societies of the United States, from personal observation, London 1877.
4. Eine übermäßige Arbeitsbürde haben sich die Mönche freilich nicht aufgelegt, ebensowenig, wie andere freie Arbeiter vor dem Aufkommen der kapitalistischen Produktion. In den Benediktinerklöstern betrug der Normalarbeitstag nach der Regel des heiligen Benedikt von Nursia sieben Stunden. (Ratzinger, Geschichte der kirchlichen Armenpflege, S. 100) Wir empfehlen diesen Normalarbeitstag der Beachtung der frommen Christenheit.
5. Nordhoff hat sie in seinem schon mehrfach erwähnten Werk eingehender dargelegt. Man darf, wie schon erwähnt, diese kommunistischen Kolonien einfacher Bauern und Handwerker, welche sich durch den Kommunismus ökonomisch über das Niveau des Kleinbauernthums und Kleinbürgerthums erhoben, nicht verwechseln mit den kommunistischen Kolonien, die, von gebildeten Städtern, und zwar zum großen Theil von Angehörigen der liberalen Berufe, begründet, eine Gesellschaftsform schaffen sollten, die nicht blos über der bäuerlichen und kleinbürgerlichen steht, sondern sogar über der kapitalistischen in ihrer entwickeltsten Form. Diese Experimente scheiterten meinst schon in ihrem Beginne, denn der Städter ist, wenn allein auf seine Arbeit angewiesen, ein schlechter Pionier der Kultur auf dem Lande, namentlich in einer Wildniß. Aber auch wenn das Experiment anscheinend gelang, mußte es seinen Zweck verfehlen, denn eine einzelne kommunistische, sich selbst genügende Gemeinde muß, auch wenn noch so vollkommen organisirt, stets ökonomisch viel tiefer stehen als eine kapitalistische Gesellschaft, die den inneren Markt einer ganzen Nation und daneben noch ein Stück des Weltmarktes beherrscht. Eine kommunistische Kolonie kann sich in der heute Gesellschaft nur dann erhalten, wenn ihre Mitglieder verbauern und auf alle Kulturerrungenschaften der kapitalistischen Gesellschaft Verzicht leisten. Man kann darnach ermessen, welchen Werth etwa Hertzka’s afrikanische Experimente besitzen. Wenn sie wider Erwarten gelingen sollten, (im Moment, wo diese Zeilen in Druck gehen, trifft die Nachricht von ihrem Scheitern ein) wäre das Ergebniß die Gründung nicht einer neuen höheren Gesellschaft, sondern einiger Bauerndörfer, die in jeder Beziehung außerhalb des Bereichs der Zivilisation stehen.
6. Besonders zeichnete sich in dieser Weise der deutsche Kaiser Heinrich II. (1002–24) aus. (Vergl. Lamprecht, Deutsche Geschichte, II., S. 280 ff. und Giesebrecht, Deutsche Kaiserzeit, II., S. 84 ff.) Dieser große Konfiskator von Klostergütern wurde heilig gesprochen. Eine Aufmunterung für fromme Katholiken.
7. Der Kanonikus Johann Ruysbroek, ein Niederländer, geboren 1293, sagte bereits nach eigener Anschauung von den Mönchen überhaupt und den Bettelmönchen im Besonderen:
„Bei ihnen herrschen im Allgemeinen drei Fehler: Trägheit, Fresserei und Schwelgerei. Die alten Väter waren arm, die Gründer der Bettelorden ließen sich an Gott genügen und verachteten zeitliche Güter und Ehren. Jetzt streben fast alle Klöster nach Reichthümern. Man findet unzählige Bettelmönche, aber wenige, welche die Statuten ihres Ordens beobachten; sie wollen Arme heißen, aber sie saugen alles Land, was auf sieben Meilen ihr Kloster herumliegt, aus und leben im Ueberfluß; ja unter ihnen selbst giebt es wieder Abstufungen, wie sie hier garnicht vorkommen sollten: Einige haben vier, fünf Röcke, Andere kaum einen; die Einen schmausen in dem Refektorium mit dem Prior, Guardian und Lector an einem besonderen Platz, die Anderen müssen sich mit Gemüse, Hering und Bier begnügen; diese werden dann neidisch, umsomehr, da sie meinen, alle Güter sollen gemein sein“ u. s. w. (Bei Ullmann, Reformatoren vor der Reformation, vornehmlich in Deutschland und den Niederlanden, Hamburg 1842, II., S. 57, 58)
8. Derselbe wurde von einer schwärmerischen Freundin und Verehrerin des heiligen Franz, der achzehnjährige Clara Sciffi gegründet; daher der Orden der Clarissinnen genannt.
9. Luther warf Münzer vor, der habe seine „hochmüthigen Gedanken“ aus des Abtes Joachim Auslegung des Jeremias. Münzer selbst schrieb über sein Verhältniß zu Joachim am 2. Dezember 1523 an Zeys:
„Ihr sollt auch wissen, daß die Schriftgelehrten diese Lehre dem Abt Joachim zuschreiben und heißen sie ein ewiges Evangelium mit großem Spott. Ich habe ihn allein über Jeremiam gelesen. Aber meine Lehre ist hoch droben, ich nehme sie von ihm nicht an, sondern von Ausreden Gottes, wie ich dann zur Zeit mit aller Schrift Biblien beweisen will.“
Dieser Brief findet sich als Anhang zur Schrift: Von dem getichten glawben auff nechst Protestation außgangen Tome Müntzers Selwarters zu Alstet, 1524.
10. H. Prutz, Staatengeschichte des Abendlandes im Mittelalter, Berlin 1885, I., S. 657.
Zuletzt aktualisiert am: 3.3.2011