MIA > Deutsch > Marxisten > Kautsky > Vorläufer > Absch. I
Wir haben bereits gesagt, daß die Entwickelung, die wir im Eingang des vorigen Kapitels geschildert und durch das Beispiel Athens belegt haben, das Schicksal aller Nationen und Staates im Alterthum gewesen ist.
Auch das weltbeherrschende Rom blieb davon nicht verschont. Es war schon weit in seinem inneren Niedergang fortgeschritten, als es auf der Höhe seiner äußeren Macht anlangte. Sein Reich, welches alle Länder um das Mittelmeer herum umfaßte, bildete ein Gemenge von Staaten, die alle auf derselben Bahn wandelten; die einen, im Osten und Süden des Mittelmeeres gelegen, waren Rom vorausgeeilt, die anderen im Westen und Norden, waren hinter ihm zurückgeblieben; aber sie waren eifrig bestrebt, dieselbe Höhe zu erreichen, wie die Hauptstadt und mit ihr dahin zu gelangen, wo Griechenland und die Länder des Orients bereits standen: bei der völligen sozialen Auflösung.
Wir haben gesehen, wie die athenische Volksfreiheit verfiel und die Republik reif wurde für den Uebergang zur Alleinherrschaft. Ebenso ging es auch in den anderen Demokratien, ebenso auch in Rom. In dieselbe Zeit, in die man die Geburt Christi setzt, fallen die letzten Zuckungen der römischen Republik und die Anfänge des Zäsarismus.
Die Aristokratie und die Demokratie zeigten sich damals in gleicher Weise bankerott. Der Kern des Volkes, die freie Bauernschaft, war im römischen Reich verkümmert, in vielen Gegenden völlig verschwunden, Größe und Ruhm des Staates erwuchsen aus dem Ruin des Bauern. Die ewigen Kriege, durch bäuerliche Milizheere geführt, brachten es dahin, daß die Wirthschaft des Bauern verkam, indeß die Wirthschaft des größeren Grundbesitzers, der mit Sklaven wirthschaftete, nicht litt. Im Gegentheil, gerade die Kriege lieferten ihm ungemein billiges Sklavenmaterial. Kein Wunder, daß die Sklavenwirthschaft rasch überhand nahm und die Wirthschaft der freien Bauern verdrängte. Wie Schnee vor der Sonne schmolz die freie, kräftige Bauernschaft dahin, zum Theil verkrüppelte sie, zum größten Theil aber versank sie ins Proletariat, das heißt ins Lumpenproletariat, denn eine Lohnarbeit, der sie sich hätte zuwenden können, bestand damals nicht in erheblichem Maße. In der Industrie wie in der Landwirthschaft herrschte die Sklavenarbeit. Die besitzlosen Bauern drängten in die Gro9städte, wo sie zusammen mit freigelassenen Sklaven die unterste Schicht der Bevölkerung bildeten.
Aber so lange noch die demokratische Republik bestand, bedeutete die Massenarmuth noch nicht das Massenelend. Die Massen besaßen, wenn nichts Anderes so doch die politische Macht, und sie wußten von dieser sehr wohl zu leben, sie in den mannigfachsten Formen zur Schöpfung der Reichen und der zinspflichtigen unterworfenen Gebiete auszunützen.
Nicht nur Brot und Spiele verschaffte ihnen ihre politische Macht, sondern mitunter auch die Zuwendung von Produktionsmitteln, von Grundeigenthum. Durch die letzten Jahrhunderte der römischen Republik ziehen sich ununterbrochen die Versuche hin, durch Vertheilung von Bauerngütern an Proletarier eine neue Bauernschaft zu gründen. Indessen alle diese Versuche, das Rad der ökonomischen Entwickelung zurückzudrehen, waren vergeblich. Sie scheiterten an der politischen und ökonomischen Uebermacht der Großgrundbesitzer, welche die Durchführung dieser Versuche hinderten, wo sie konnten und welche, wo es trotzdem gelang, freie Bauern zu schaffen, diese rasch wieder erdrückten und auskauften. Sie scheiterten aber auch an der Verkommenheit des Lumpenproletariats, das vielfach nicht mehr arbeiten wollte und es vorzog, sich in der Stadt zu amüsiren, statt auf dem Lande das dürftige, arbeits- und sorgenvolle Dasein eines Kleinbauern zu führen. Die Proletarier hinderten oft die Sozialreformen, die zu ihren Gunsten dienen sollten, dadurch, daß sie die ihnen zugewiesenen Güter ohne Weiteres wieder verschleuderten; sie hinderten sie aber auch oft dadurch, daß sie ihre politische Macht den reichen Großgrundbesitzern verkauften und sie gegen die Sozialreformer wendeten.
Die großartigsten dieser Versuche einer Sozialreform wurden veranlaßt und geleitet von den beiden Gracchen, Tiberius Sempronius Gracchus (geb. 163, von seinen aristokratischen Gegnern erschlagen 133 v. u. Z.) und dem entschiedeneren und weitergehenden Gajus Sempronius Gracchus (geb. 153), der das Werk seines älteren Bruders fortsetzte, aber so wie dieser der Wuth der Latifundienbesitzer erlag (121). Man hat die beiden Gracchen Kommunisten genannt, das waren sie jedoch in keiner Weise. Was sie anstrebten, war nicht eine Aufhebung des Privateigenthums, sondern die Schaffung neuer Eigenthümer, die Wiederherstellung einer kräftigen Bauernschaft, der festesten Grundlage des Privateigenthums.
Sie handelten darin ganz im Sinne der ökonomischen Verhältnisse ihrer Zeit. Wohl verdrängte damals nicht blos der Großgrundbesitz den Kleingrundbesitz, sondern vielfach auch der Großbetrieb den Kleinbetrieb. Aber dies war nicht die Folge der technischen und ökonomischen Ueberlegenheit des ersteren, sondern die Folge der enormen Billigkeit seiner Arbeitskräfte, der Sklaven.
Die ewigen Kriege brachten zahlreiche Kriegsgefangene als Sklaven auf den Markt. Gar mancher Krieg der Römer war blos durch das Bedürfniß der Großgrundbesitzer nach billigen Sklaven hervorgerufen, die reine Sklavenjagd.
Ungeheuere Sklavenmassen kamen zusammen; kein Wunder, daß ihre Preise ungemein sanken. Schon in Athen hatte die Sklaverei in Folge ähnlicher Verhältnisse sich stark entwickelt. Man zählte dort um das Jahr 300 v. u. Z. Neben 21.000 Bürgern 400.000 Sklaven. Von Aeschines wird es als Zeichen seiner besonderen Armuth erzählt, daß er blos sieben Sklaven besessen habe. Im römischen Weltreich wurde das Sklavenunwesen noch ärger. Der römische Feldherr Lucullus verkaufte (in der zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung) Kriegsgefangene, das Stück zu drei Mark (in unserem Gelde gerechnet), als Sklaven.
Jetzt wurde es rentabel, große Sklavenheerden zusammenzukaufen – reiche Römer besaßen tausende von Sklaven – und zusammen an die Arbeit zu setzen. An Stelle kleiner Betriebe errichtete man große Plantagen und, wie man sich ausdrückte, Fabriken. Diese Bezeichnung für die industriellen Großbetriebe der Griechen und Römer ist jedoch ungenau. Denn sie trugen einen ganz anderen Charakter, als die modernen Manufakturen und Fabriken, sie waren nicht, wie diese, den Kleinbetrieben überlegen. Den industriellen Großbetrieb mit Sklavenarbeit darf man nicht mit Fabriken vergleichen, sondern höchstens, wenn man eine moderne Erscheinung zum Vergleich heranziehen will, mit der Gefängnißarbeit. Niemand wird behaupten wollen, daß diese dem freien Handwerk gegenüber eine höhere Produktionsweise darstellt. Die Sklavenarbeit war, namentlich in der Landwirthschaft, so roh und unökonomisch als nur möglich [1]; der einzelne Sklave in diesen Großbetrieben leistete viel weniger, als ein freier Arbeiter in einem Kleinbetrieb. Wenn der Sklave im Großbetrieb trotzdem billiger produzirte, so nur deswegen, weil er selbst fast nichts kostete, und wegen der Billigkeit und Massenhaftigkeit des Sklavenmaterials auch nicht geschont und ausreichend genährt und bekleidet zu werden brauchte. Mochten sie verkommen, man fand genug andere an ihrer Stelle.
Man sieht, die Verdrängung des Kleinbetriebes durch den Großbetrieb im römischen Reich beruhte auf ganz anderen Bedingungen, als die heutige gleichartige Erscheinung. Die Vorbedingungen zu einer höheren Produktionsweise, als der Kleinbetrieb (im Ackerbau und auch im Handwerk) bedeutet, zu einer genossenschaftlichen Produktion, waren nicht gegeben. Wenn die Gracchen also als Vertreter der Interessen des Proletariats nichts weniger als Kommunisten waren, so entsprach dies vollständig den ökonomischen Verhältnissen, die sie vorfanden.
Was für die Gracchen gilt, kann auch von Catilina (geb. 108 v. u. Z.) gesagt werden, dem Führer einer Verschwörung gegen das römische Grundbesitzerregiment, der, nachdem alle anderen Versuche seiner Partei, die politische Macht zu erobern, gescheitert waren, mit seinen Genossen zu gewaltsamer Erhebung getrieben wurde und der Uebermacht seiner Gegner in heldenmüthigem Kampfe erlag (62 v. u. Z.). Auch ihn hat man zum Kommunisten gestempelt – Mommsen zum „Anarchisten“ – aber ohne jede Berechtigung. Ebensowenig wie bei den Gracchen handelte es sich bei Catilina um die Aufhebung des Privateigenthums, und die Einführung einer kommunistischen Gesellschaftsordnung. Er strebte die Eroberung der politischen Macht durch die Besitzlosen an, um diese zu Besitzenden zu machen.
Eine andere Richtung erhielt das Denken der Proletarier und ihrer Freunde, als das politische Leben abstarb, als die Besitzlosen moralisch und politisch ebenso verkommen waren wie die Besitzenden, die Demokratie ebenso haltlos wurde wie die Aristokratie und der Boden geebnet war für da Auftreten eines Alleinherrschers, eines Kaisers, des Herrn eines Söldnerheeres und der Anfänge einer Bureaukratie.
Mit der politischen Macht versiegte die wichtigste, ja fast die einzige Erwerbsquelle des antiken Proletariers. Arm sein hieß jetzt auch elend sein. Die Besitzlosigkeit der Massen entwickelte in der römischen Gesellschaft grauenhafte Zustände, die ehedem unbekannt gewesen waren. Der Pauperismus, die Massenarmuth und das Massenelend wurden nun zur wichtigsten sozialen Frage, einer Frage, die immer dringender ihre Lösung heischte, denn die gesellschaftliche Entwickelung ging ihren Gang, die Mittelschichten verfielen immer mehr, die Reichen wurden immer reicher, die Zahl der Besitzlosen wuchs.
Dies war jedoch nicht die einzige soziale Frage, welche die Gesellschaft des römischen Weltreiches bewegte. Der Verfall der freien Bauernschaft, der zum zäsaristischen Absolutismus führte, bildete den Vorläufer des ökonomischen Verfalles der ganzen Gesellschaft.
Schon ehe die römische Gesellschaft politisch abgedankt hatte, hatte sie militärisch abgedankt. Mit den Bauern waren die Krieger des Milizheeres verschwunden. An Stelle desselben trat ein Söldnerheer, die kräftigste Stütze des Despotismus. Aber dieses Heer, unwiderstehlich nach innen, hatte bald Mühe, den auswärtigen Feind abzuwehren, namentlich die Germanen, die immer kraftvoller andrängten, indeß das römische Heerwesen zusehends verfiel.
Dies zeitigte sehr wichtige ökonomische Folgen. Die Eroberungskriege wurden seltener; der ewige Krieg, der an den Grenzen tobte, gestaltete sich immer mehr zum reinen Vertheidigungskrieg, der mehr Verluste an Kriegern brachte, als er an Kriegsgefangenen lieferte. Die Zufuhr von Sklaven wurde nach und nach immer spärlicher. Mit dem Aufhören der reichlichen Sklavenzufuhr brach aber die Grundlage des damaligen Großbetriebes, namentlich in der Landwirthschaft, zusammen. Die Sklaverei selbst hörte nicht völlig auf, aber sie wurde immer mehr bloße Luxussklaverei.
Dies bedeutete jedoch nicht die Rückkehr zu einer freien Bauernschaft und einem freien Handwerk. Die Industrie blieb zum größten Theil in den Händen von Sklaven. Die Verringerung der Sklavenzufuhr führte nur selten zum Aufkommen eines freien, kräftigen Handwerks, sondern meist zum Rückgang und Verfall der Industrie. Nicht viel besser ging es in der Landwirthschaft. Die freien Bauern waren von der Sklavenwirthschaft verkrüppelt und erschlagen worden, und wo sie einmal im Römerreich verschwunden waren, da konnte die Bauernwirthschaft sich nicht wieder einwurzeln. Denn wenn auch der Großbetrieb immer unrentabler wurde, der Großgrundbesitz blieb, ja er dehnte sich auch jetzt noch mehr aus, denn den Erpressungen der kaiserlichen Beamten und den Verheerungen, die namentlich unglückliche Kriege über viele Landschaften brachten, konnte er immer noch besser widerstehen als die kleineren Grundbesitzer.
Aber den Großbetrieb konnte er schließlich nicht mehr aufrecht halten. Derselbe wurde immer mehr eingeschränkt, und neben ihm entwickelte sich das System, die großen Güter ganz oder zum Theil zu parzelliren und die kleinen Gütchen gegen bestimmte Lieferungen und Leistungen zu verpachten, an sogenannte Kolonen, die man namentlich in den späteren Jahrhunderten der Kaiserzeit so eng als möglich an die Scholle zu fesseln suchte – die Vorgänger der mittelalterlichen Hörigen.
Die Ursache dieser Fesselung war die rapide Abnahme an Arbeitskräften im Reich. Neben einigen wenigen Reichen und einer verhältnißmäßig geringen Zahl freier, selbständiger Arbeiter in den verkümmerten Resten von bäuerlicher Landwirthschaft und Handwerk bildeten die große Masse der Bevölkerung Lumpenproletarier und Sklaven. Ohne geordnete Familienverhältnisse meist in den elendesten Verhältnissen lebend, waren weder die Einen noch die Anderen im Stande, auch nur einigermaßen einen genügenden Nachwuchs zu erzielen. Die zahlreichen unglücklichen Kriege vermehrten noch das Defizit an Menschen. Die Bevölkerung verminderte sich zusehends. Um Kolonen und Soldaten zu bekommen, mußten die herrschenden Klassen Roms immer mehr Ausländer, Barbaren, ins Reich ziehen, dessen Wehrstand und Nährstand schließlich vornehmlich von diesen eingewanderten Fremdlingen und ihren Nachkommen gebildet wurde.
Aber das genügte nicht, den Abgang an Menschen zu ersetzen, und es waren immer rohere, tiefer stehende Elemente, die man heranziehen mußte.
Die römische Kultur hatte ihre Höhe nur erreichen können durch den Ueberfluß an Arbeitskräften, der ihr zu Gebot gestanden hatte und den sie rücksichtslos hatte verschwenden dürfen. Mit dem Ueberfluß an Arbeitskräften hörte auch den Ueberfluß an Produkten auf, Landwirthschaft und Industrie gingen zurück, wurden immer roher und barbarischer. Und mit ihnen verkamen Kunst und Wissenschaft.
Dieser gesellschaftliche Niedergang nahm einen langen Zeitraum in Anspruch. Es dauerte mehrere Jahrhunderte, bis das römische Weltreich von der stolzen Höhe, die es unter Augustus und seinen ersten Nachfolgern einnahm, zu dem erbärmlichen Tiefstand herabgesunken war, den es zu Beginn der Völkerwanderung erreicht hat. Aber die Richtung dieses Niederganges war bereits im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung gegeben und in manchen Punkten klar erkennbar. Mit ihn und durch ihn ist jene neue gesellschaftliche Macht erwachsen, die in dem allgemeinen Verfall rettete, was noch zu retten war, und die schließlich die Reste der römischen Kultur den Germanen übermittelte, wo sie eine neue, höhere Kultur anbahnte. Diese Macht war das Christenthum.
Wie zur Zeit des Verfalles Griechenlands, mußten auch jetzt in der römischen Kaiserzeit alle denkenden und mit ihren leidenden Brüdern fühlenden Menschen sich gedrängt fühlen, nach einem Ausweg aus den furchtbaren Zuständen zu suchen.
Auf die Frage nach diesem Ausweg wurden die verschiedensten Antworten gegeben. Auch das platonische Ideal wurde wieder neu belebt, aber es konnte jetzt noch weniger Einfluß üben als zur Zeit seines Ursprungs. Der Neuplatoniker Plotin (im dritten Jahrhundert unserer Zeitrechnung) gewann zwar die Gunst der höheren Stände, ja des Kaisers Gallienus und der Kaiserin Salonina in so hohem Grade, daß er daran denken konnte, mit deren Hülfe eine Stadt nach dem Muster des platonischen Gemeinwesens zu gründen. Aber dieser Salonkommunismus des Modephilosophen bildete nur eine der zahlreichen Spielereien, mit denen die Obersten der Nichtsthuer die Zeit vertändelten. Es wurde nicht einmal ein Versuch zur Ausführung des Planes gemacht, wenn man nicht die Erfindung eines Namens für die Kolonie – Platonopolis, Platostadt – als solchen betrachten will.
Die Staatsgewalt begegnete allgemeinem Mißtrauen und allgemeiner Gleichgültigkeit, und die Verwesung des Gesellschaftskörpers war eine so hochgradige, daß man von keinem Sterblichen, und wäre er der mächtigste der Zäsaren gewesen, erwarten durfte, es könnte ihm gelingen, demselben neues Leben einzuhauchen. Nur eine übermenschliche Macht, nur ein Wunder konnte dies bewirken.
Wer es nicht für möglich hielt, daß noch Wunder geschähen, versank in trübsinnigen Pessimismus oder betäubte sich in gedankenlosem Genuß. Unter den sanguinischen Enthusiasten aber, denen das Eine wie das Andere gleich unmöglich war, begannen Manche au das Wunder an glauben. Namentlich war dies der Fall bei den Enthusiasten der untersten Schichten des Volkes, die den allgemeinen Niedergang am drückendsten empfanden, und die weder die Mittel besaßen, sich in Vergnügungen zu berauschen, noch den Katzenjammer fühlten, der auf solchen Rausch gern folgt und der so leicht den Pessimismus erzeugt. Aus ihren Reihen vornehmlich ersproß die Idee, daß ein Erlöser vom Himmel in nächster Zeit kommen werde, um ein herrliches Reich auf Erden zu errichten, in dem es keinen Krieg giebt und keine Armuth, in dem Freude, Friede und Ueberfluß herrschen und unendliche Seligkeit. Dieser Erlöser war der Gesalbte des Herrn – Christus. [2]
War man einmal so weit, das Wunder für möglich zu halten, dann waren alle Schranken der Phantasie niedergerissen, und jeder der Glänbigen durfte sich das kommende Reich so überschwänglich als möglich vorstellen. Nicht nur die Gesellschaft, die ganze Natur sollte sich ändern, alle Schädlichkeiten sollten aus ihr verschwinden, alle Genüsse, die sie bietet, maßlos vergrößert, die Menschen erfreuen. [3]
Die erste christliche Schrift, in der derartige Erwartungen ausgesprochen wurden, bildet die sogenannte „Offenbarung Johannis“, die Apokalypse, die wahrscheinlich bald nach Nero’s Tode geschrieben wurde, und die verkündigt, es werde baldigst ein furchtbarer Kampf sich entspinnen zwischen dem wiederkehrenden Nero, dem Antichrist, und dem wiederkehrenden Christus, ein Kampf, den die gesammte Natur mitkämpft. Christus werde siegreich aus diesem Kampfe hervorgehen und ein tausendjähriges Reich begründen, in welchem die Frommen mit Christus regieren werden, ohne daß der Tod eine Macht über sie hat. Aber nicht genug damit, wird nach Ablauf dieses Reiches ein neuer Himmel und eine neue Erde erstellen, und auf dieser Erde ein neues Jerusalem, ein Sitz der Seligkeit.
Das tausendjährige Reich – das ist der Zukunftsstaat des Urchristenthums; nach ihm werden alle überschwänglichen Erwartungen des Kommens einer neuen Gesellschaft, die in christlichen Sekten auftauchen, als chiliastische [4] bezeichnet.
Anknüpfend an die Apokalypse haben zahlreiche christliche Lehrer in den ersten Jahrhunderten des Christenthums chiliastische Erwartungen geäußert und mitunter, wie Irenäus (im zweiten Jahrhundert) und noch Lactantius (um 320 vor unserer Zeitrechnung), das kommende Paradies auf Erden sehr eingehend und in den glühendsten sinnlichen Farben beschrieben. [5] Erst als sich die Verhältnisse für das Christenthum völlig geändert hatten, als es aufhörte, blos der Glaube der Unglücklichen und Unterdrückten, der Proletarier und Sklaven und ihrer Freunde zu sein, als es auch der Glaube der Mächtigen und Reichen wurde, da gerieth der Chiliasmus allmälig in Mißgunst bei der offiziellen Kirche, denn er hatte immer einen revolutionären Beigeschmack, war immer eine Prophezeiung des kommenden Umsturzes der bestehenden Gesellschaft.
Der heilige Augustinus, der in der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts und der ersten des fünften (er starb 430) lebte, bekämpfte zuerst entschieden die unbequeme Lehre durch eine Reihe sophistischer Auslegungen der Apokalypse. Von da all gilt der Chiliasmus als „ketzerisch.“ Die offizielle Kirche versetzte das kommende Reich der Seligkeit in die Wolken.
Sie chiliastischen Erwartungen sind eines der hervorragendsten Merkmale des urchristlichen Geisteslebens. Aber so wie derjenige auf dem Holzwege ist, der glaubt, die heutige Sozialdemokratie ziehe ihre Kraft aus dem Versprechen irgend eines „Zukunftsstaates,“ so würde auch der irren, der annähme, daß das Urchristenthllm aus dem Chiliasmus den wesentlichsten Theil seiner Kraft gezogen habe.
Gleich der Sozialdemokratie ist auch das Urchristenthum für die Machthaber seiner Zeit dadurch unüberwindlich geworden, daß es für die Masse der Bevölkerung unentbehrlich wurde. Sein praktisches Wirken, nicht seine frommen Schwärmereien haben ihm zum Siege verholfen.
Das praktische Wirken wollen wir jetzt betrachten.
Der Pauperismus war, wie wir gesehen, die große soziale Frage der Kaiserzeit. Alle Versuche des Staates, ihm entgegenzuwirken, erwiesen sich als vergebens. Manche Kaiser, und auch Prwate, suchten ihm durch milde Stiftungen zu steuern. Aber das geschah in höchst unzureichendem Maße; es waren Tropfen auf einen heißen Stein, und die habgierige römische Bureaukratie bildete nicht den besten Verwalter derartiger Einrichtungen.
Die Pessimisten und die Genußmenschen thaten dem Pauperismus gegenüber, was sie auch den anderen Uebeln im Staat und Gesellschaft gegenüber thaten, nämlich nichts. Sie erklärten, es sei sehr traurig, daß derartige Umstände beständen, aber diese seien unabwendbar und Philosophen dürften gegen das Unabwendbare nicht ankämpfen.
Anders die sanguinischen Enthusiasten und die Proletarier, auf denen das Elend lastete. Sie konnten es unmöglich ruhig mit ansehen, sie mußten darnach trachten, ihm ein Ende zu bereiten. Mit den überschwänglichen Träumen von der Glückseligkeit, die der Messias aus den Wolken herabbringen werde, war den Entbehrenden nicht geholfen. Denselben Kreisen, denen der Chiliasmus entstammte, entsprangen auch thatkräftige Versuche, dem bestehenden Elend zu Leibe zu rücken.
Diese Versuche mußten ganz anderer Art sein, als die der Gracchen gewesen waren. Diese hatten an den Staat appellirt; sie wollten, daß das Proletariat die politische Macht erobere und sich dienstbar mache. Jetzt hatte jede politische Bewegung aufgehört und die Staatsgewalt war in allgemeinen Mißkredit gerathen. Nicht durch den Staat, sondern hinter seinem Rücken, durch besondere, von ihm völlig unabhängige Organisationen wollten die neuen Sozia1reformer die Gesellschaft umgestalten.
noch wichtiger zeigte sich ein anderer Unterschied. Die gracchische Bewegung war eine halb ländliche; sie stützte sich nicht blos auf die städtischen Proletarier, sondern auch auf die verkommenden Bauern. Und sie wollte jene auch zu Bauern machen. Das städtische Proletariat wurzelte eben mit einem Fuße noch in der Bauernschaft.
In der Kaiserzeit waren Stadt und Land bereits völlig getrennt. Die städtische und die ländliche Bevölkerung bildeten zwei Nationen, die einander nicht mehr verstanden. Die christliche Bewegung war in ihren Anfängen eine rein großstädtische – so sehr, daß Landmann und Nichtchrist gleichbedeutende Begriffe wurden. [6]
Damit hängt aufs Engste der entscheidende Unterschied zwischen der gracchischen und der christlichen Sozialreform zusammen. Jene wollte die Plantage Weidewirthschaft durch die Bauernwirthschaft verdrängen; wenn sie die bestehende Vertheilung des Eigenthums antastete, so geschah das, um eine Reform der Produktionsweise anzubahnen. Aber eben deswegen mußte sie nothwendigerweise, wie wir gesehen haben, das Privateigenthum (an den Produktionsmitteln) anerkennen.
Für das Christenthum in seinen Anfängen war die maßgebende Klasse ein großstädtisches Lumpenproletariat, das sich der Arbeit entwöhnt hatte. Produziren erschien diesen Elementen als eine ziemlich gleichgültige Sache; ihr Vorbild waren die Lilien auf dem Felde, die nicht säen und nicht spinnen und doch gedeihen. Wenn sie eine andere Vertheilung des Eigenthums anstrebten, so hatten sie nicht die Produktionsmittel im Auge, sondern die Genußmittel. Ein Kommunismus des Konsumirens war aber für die Lumpeuproletarier jener Zeit nichts Unerhörtes. Zeitweise öffentliche Speisungen großer Massen Bedürftiger oder Vertheilungen von Lebensmitteln an sie waren in den letzten Zeiten der Republik Regel gewesen fanden auch in der Kaiserzeit anfänglich noch statt: was lag näher, als diese Speisungen und Vertheilungen in ein System zu bringen, einen regelmäßigen Kommunismus der vorhandenen Genußmittel – theils durch gleichmäßige Vertheilung, theils durch gemeinsame Verwendung derselben – anzustreben.
Es entstanden kommunistische Ideen dieser Art, bald auch kommunistische Gemeinden zu ihrer Durchführung. Die erste bildeten sich im Orient, der ökonomisch am weitesten vorgeschritten war, namentlich unter den Juden, die auch vor den Christen schon apokalyptische Erwartungen entwickelt hatten, und unter denen wir bereits um das Jahr 100 vor unserer Zeitrechnung einen kommunistischen Geheimbund, den der Essener finden.
„Den Reichthum halten sie für nichts,“ berichtet von diesen Josephus, „hingegen rühmen sie sehr die Gemeinschaft der Güter, und man findet keinen unter ihnen, der reicher wäre als der Andere. Sie haben das Gesetz, daß Alle, die in ihren Orden eintreten wollen, ihre Güter zum gemeinsamen Gebrauch darreichen müssen, daher man bei ihnen weder Mangel noch Ueberschuß merkt, sondern sie haben Alles gemein wie Brüder ... Sie wohnen nicht in einer Stadt zusammen, sondern haben in allen Städten ihre besonderen Häuser, und wenn Leute, die ihres Ordens sind, anderswoher zu ihnen kommen, theilen sie mit denselben ihren Besitz, und diese können ihn wie ihr eigenes Gut gebrauchen. Sie kehren ohne Weiteres beieinander ein, auch wenn sie einander nie gesehen haben, und thun, als ob sie ihr Leben lang in vertrautem Verkehr gewesen wären. Wenn sie über Land reisen, nehmen sie nichts mit sich als eine Waffe gegen die Räuber. In jeder Stadt haben sie einen Gastmeister, der den Fremden Kleider und Lebensmittel austheilt ... Sie treiben keinen Handel miteinander, sondern wenn Jemand Einem, der Mangel hat, etwas giebt, so empfängt er hingegen wieder von ihm, was er bedarf. Und wenn er auch nichts dafür bieten kann, so mag er doch ohne Scheu, vom wem er will, begehren, was er braucht.“ [7]
Ganz in ähnlicher Weise waren die ersten Christengemeinden organisirt. Ob und inwieweit hier bewachte Nachahmung vorliegt, ist nicht aufgehellt. Die Aehnlichkeit der Einen mit den Anderen kann von der Aehnlichkeit der Verhältnisse herrühren, denen sie entsprossen sind. Auf jeden Fall überragten die christlichen Gemeinden bald die essenischen in einem wesentlichen Punkte: in ihrer Internationalität, die der Internationalität des großen römischen Weltreiches entsprach. Die Essener hielten zäh am Judenthum fest. Sie sind eine kleine Sekte geblieben, welche kaum jemals mehr als 4.000 Mitglieder zählte. Das Christenthum hat das römische Reich erobert.
Anfangs strebten die Christen vielfach nach der Einführung eines völligen Kommunismus. Jesus spricht im Evangelium Matthäi (19, 21) zum reichen Jüngling: „Willst Du vollkommen sein, so gehe hin, verkaufe, was Du hast und gieb es den Armen.“ [8] In der Apostelgeschichte (4, 32, 34) wird die erste Gemeinde zu Jerusalem folgendermaßen beschrieben: „Keiner sagte von seinen Gütern, daß sie seine wären, sondern es war ihnen Alles gemein ... Es war auch keiner unter ihnen, der Mangel hatte; denn wie viele ihrer waren, die da Aecker und Häuser hatten, verkauften sie dieselben und brachten das des verkauften Gutes und legten es zu der Apostel Füßen; und man gab einem Jeglichen, was ihm noth war. Ananias und Sapphira, die etwas von ihrem Gelde der Gemeinde vorenthielten, wurden bekanntlich dafür von Gott mit dem Tode bestraft.“ [9]
Praktisch lief jedoch diese Art Kommunismus darauf hinaus, daß alle Produktionsmittel in Genußmittel verwandelt und dieselben an die Armen vertheilt werden sollten: das bedeutete, wenn allgemein durchgeführt, das Ende aller Produktion. So wenig die ersten Christen sich als echte Bettlerphilosophen um das Produziren kümmern mochten, eine dauernde größere Gesellschaft konnte auf dieser Grundlage nicht aufgebaut werden.
Der damalige Stand der Produktion verlangte das Privateigenthum an den Produktionsmitteln, und die Christen konnten darüber nicht hinauskommen. [10] Sie mußten also darnach trachten, Privateigenthum und Kommunismus miteinander zu vereinigen. Sie konnten es jedoch nicht in der Weise Plato’s thun, der den Kommunismus zum Privilegium einer Aristokratie machte und das Privateigenthum für die Volksmasse bestehen ließ. Gerade diese bedurfte jetzt des Kommunismus.
Die Vereinigung von Privateigenthum und Kommunismus geschah in der Weise, daß man einem Jeden sein Eigenthum, namentlich an Produktionsmitteln, ließ und blos den Kommunismus des Genießens und Gebrauchens – namentlich der Lebensmittel – forderte.
Natürlich ergab sich diese Unterscheidung nicht in der Theorie, so scharf unterschied man damals nicht in ökonomischen Dingen. Aber die Praxis lief darauf hinaus, und nur mit Hülfe dieser Unterscheidung ist es möglich, den anscheinenden Widerspruch in der Lehre der Kirche zu begreifen, die in den ersten Jahrhunderten gleichzeitig das Gemeineigenthum verherrlicht und jeden thatsächlichen Angriff auf das Privateigenthum verpönt.
Die Besitzenden sollten ihre Produktionsmittel behalten und ausbeuten, vor Allem ihren Grund und Boden; aber was sie an Konsumtionsmitteln besaßen und erwarben – Nahrungsmittel, Kleider, Wohnungen und Geld, um derlei zu kaufen – das sollte der christlichen Gemeinde zur Verfügung gestellt sein.
„Es war also die Gemeinschaft der Güter nur eine Gemeinschaft des Gebrauchs. Ein jeder Christ hatte nach der brüderlichen Verbindung ein Recht zu den Gütern aller Mitglieder der ganzen Gemeinde und konnte im Falle der Noth fordern, daß die begüterten Mitglieder ihm so viel von ihrem Vermögen mittheilten, als zu seiner Nothdurft erforderlich ward. Ein jeder Christ konnte sich der Güter seiner Brüder bedienen, und die Christen, die etwas hatten, konnten ihren dürftigen Brüdern die Benutzung und den Gebrauch derselben nicht versagen. Ein Christ z. B., der kein Haus hatte, konnte von einem anderen Christen, der zwei oder drei Häuser hatte, begehren, daß er ihm eine Wohnung gebe; deswegen blieb dieser doch Herr der Häuser. Wegen der Gemeinschaft des Gebrauchs aber mußte die eine Wohnung dem Anderen zum Gebrauch überlassen werden.“ [11]
Die transportablen Lebensmittel, sowie Geld, wurden zusammengebracht und eigene Gemeindebeamte gewählt, welche die Austheilung dieser Gaben zu leiten hatten.
Der volle Kommunismus des ersten Christenthums war mit der, wenn auch nur theilweisen, Anerkennung des Privateigenthums durchbrochen. Er sollte aber noch eine weitere Abschwächung erfahren.
Der Kommunismus des Konsumirens hängt, wie wir bereits bei der Betrachtung des platonischen Staates gesehen haben, auf’s Engste zusammen mit der Aufhebung der Familie und Einzelehe. Man kann dies auf zwei Wegen erreichen: durch Gemeinschaft der Frauen und der Kinder oder durch den Verzicht auf den geschlechtlichen Verkehr, durch das Zölibat. Plato wählte den ersteren Weg, die Essener den letzteren. Sie huldigten der Ehelosigkeit. In seinen radikal-kommunistischen Anfängen suchte das Christenthum ebenfalls der Familie und Ehe zu Leibe zu gehen, meist in der asketischen Form, die der katzenjämmerlichen Stimmung jener Zeit am besten entsprach; es hat aber auch christliche Sekten gegeben, z. B. die Adamiten, eine gnostische Sekte aus dem zweiten Jahrhundert, welche die lebenslustigere Form der Aufhebung von Familie und Ehe lehrten und praktizirten.
Das Evangelium Matthäi läßt Christum sagen (19, 29): „Wer verläßt Häuser oder Brüder oder Schwestern oder Vater oder Mutter oder Kinder oder Acker um meines Namens willen, der wird hundertfältigen Lohn ernten und das ewige Leben erwerben.“ Und im Evangelium Lucä ruft Christus auf: „So Jemand zu mir kommt und hasset nicht Vater und Mutter, Weib und Kinder, Brüder und Schwestern, auch dazu sein eigenes Leben, der kann nicht mein Jünger sein.“ [12]
Sämmtlichen urchristlichen Gemeinden ist das Streben eigenthümlich, das Familienleben wenigstens bis zu einem gewissen Grade aufzuheben. Daher finden wir bei ihnen die Einrichtung, daß die täglichen Mahlzeiten gemeinsam waren. (Vgl. Apostelgeschichte 2, 46.) Diese Liebesmahle, Agapen, entsprechen den gemeinsamen Mahlzeiten, Suffitien, der Spartaner und des platonischen Staates. [13] Sie waren die natürliche Konsequenz des Kommunismus der Genußmittel.
Indeß, wie schon gesagt, das Christenthum konnte den Kleinbetrieb und das Privateigenthum an Produktionsmitteln nicht überwinden. Damit ist aber nothwendig die Einzelfamilie verbunden, nicht blos als Form des Zusammenlebens von Mann und Weib, von Eltern und Kindern, sondern auch als wirthschaftliche Einheit. Da das Christenthum nicht eine neue Produktionsweise bringen konnte, mußte es auch die überkommene Familienform bestehen lassen, so sehr sie dem Kommunismus des Konsumirens widersprach. Nicht die Art und Weise, wie die Menschen genießen, sondern wie sie produziren, entscheiden in letzter Linie über den Charakter der Gesellschaft. Wie der volle Kommunismus, war auch die angestrebte Aufhebung der Familie und Ehe unverträglich mit der Ausbreitung des Christenthums in der Gesellschaft. Sie ist stets auf einzelne Sekten und Korporationen beschränkt geblieben. Es gelang ihr nicht, allgemeine Gültigkeit zu erlangen.
Ueber den Widerspruch zwischen der Einzelfamilie und dem Kommunismus des Genießens und Gebrauchens konnte nur ein außergewöhnlicher Enthusiasmus hinweghelfen. Dieser war in den ersten Christengemeinden auch vorhanden. Indeß je zahlreicher die Christen wurden, desto geringer im Verhältniß zur Gesammtzahl mußte naturgemäß in ihrer Mitte die Zahl der außergewöhnlich veranlagten Naturen sein. Und in den Durchschnittsmenschen erzeugten die sozialen Verhältnisse des versinkenden Rom alles Andere eher als thatkräftige Hingebung. Keine Klasse war davon ausgenommen.
Daher besiegte auch in den Christengemeinden die Einzelfamilie bald den Kommunismus der Genußmittel. Die häuslichen Mahlzeiten wurden die Regel, die Agapen immer mehr auf festliche Gelegenheiten beschränkt. In dieser Beschränkung erhielten sie sich während der ersten Jahrhunderte des Christenthums, dann verfielen sie vollständig, wurden zu bloßen Speisungen Armer, welche die Reichen zeitweise veranstalteten, ohne daß sie selbst an den Mahlzeiten theilnahmen.
Die Sorge für die Familie trat wieder in den Vordergrund; nur was diese nicht brauchte, gehörte der Gemeinschaft, der Kirche. Der gemeinsame Gebrauch des Besitzes aller Genossen reduzirte sich in die Uebergabe des Ueberflusses der Einzelnen an die Gemeindekasse. Der Ueberschuß des Einkommens über das Nothwendige, den jeder Einzelne erzielte, sollte er der Kirche abgeben. Dies war die Form, welche der christliche Kommunismus bald in der Praxis annahm.
Aber da dieselben sozialen Verhältnisse der Kaiserzeit, welche die Durchführung des Kommunismus unmöglich machten, die Bildung kommunistischer Ideen begünstigten, erhielt sich die kommunistische Ueberlieferung des Urchristenthums lange lebendig; immer wieder erstanden neue kommunistische Sekten, und auch die siegreiche unter den kirchlichen Organisationen, die katholische, blieb in der Theorie noch lange kommunistisch.
Nach wie vor donnerten die Väter der Kirche gegen den Reichthum und die Ungleichheit. „Ihr Elenden,“ ruft der heilige Basilius im vierten Jahrhundert den Reichen zu, „wie wollt Ihr Euch vor dem ewigen Richter verantworten? ... Ihr erwidert mir: Wie habe ich Unrecht, da ich nur für mich behalte, was mir gehört? Ich aber frage Euch, was nennt Ihr Euer Eigenthum? Von wem habt Ihr es erhalten? Ihr handelt wie ein Mann im Theater, der sich beeilt, alle Plätze zu belegen, und die Anderen nun hindern will, einzutreten, indem er zu seinem Gebrauch sich vorbehält, was für Alle da ist. Wodurch werden die Reichen reich, als durch Besitznahme von Dingen, die Allen gehören? Wenn Jeder für sich nicht mehr nähme, als er zu seiner Erhaltung braucht, und den Rest den Anderen ließe, dann gäbe es weder Reiche noch Arme.“
Noch im sechsten Jahrhundert schrieb Gregor der Große:
„Es genügt nicht, daß man Anderen ihr Eigenthum nicht nimmt, man ist nicht schuldlos, so lange man Güter sich vorbehält, die Gott für Alle geschaffen hat. Wer den Anderen nicht giebt, was er hat, ist ein Todtschläger und Mörder, denn da er für sich behält, was zur Erhaltung der Armen gedient hätte, kann man sagen, daß er tagaus tagein so Viele erschlägt, als von seinem Ueberfluß leben konnten. Wenn wir mit Denen theilen, die in der Noth sind, dann geben wir ihnen nicht etwas, was uns gehört, sondern was ihnen gehört. Es ist nicht ein Werk der Barmherzigkeit, sondern die Zahlung einer Schuld.“ [14]
Eines der merkwürdigsten Zeugnisse für den kommunistischen Charakter des Urchristenthums findet sich aber in den Schriften des heiligen Johannes, mit dem Beinamen Chrysostomus, d. h. Goldmund, wegen seiner feurigen Beredsamkeit so genannt. 347 in Antiochien geboren, stieg er bis zur Würde eines Patriarchen von Konstantinopel auf. Aber die Unerschrockenheit, mit der er die Sittenlosigkeit der Residenz, namentlich des Hofes, brandmarkte, veranlaßte, daß der Kaiser Arkadius ihn verbannte. Er starb im Exil (in Armenien) 407.
In der elften seiner Homilien (Predigten) über die Apostelgeschichte kam dieser kühne Mann auch auf dem Kommunismus der ersten Christen zu sprechen. Er zitirt folgenden Satz aus der Apostelgeschichte: „Große Gnade war bei ihnen Allen und es war Keiner unter ihnen, der Mangel hatte.“ Dies aber, fährt er fort, kam daher, daß „Keiner von seinen Eltern sagte, daß sie seine wären, sondern es war ihnen Alles gemein.“
„Die Gnade war unter ihnen, weil Keiner Mangel litt, das heißt, weil sie so eifrig gaben, daß Keiner arm blieb. Denn nicht gaben sie einen Theil und behielten einen anderen für sich; noch auch gaben sie Alles gewissermaßen als ihr Eigenthum. Sie hoben die Ungleichheit auf und lebten in großem Ueberfluß; und sie thaten dies in der preiswürdigsten Weise. Sie wagten es nicht, die Spenden in die Hände der Bedürftigen zu geben, noch auch schenkten sie mit hochmüthiger Herablassung, sondern sie legten sie zu den Füßen der Apostel nieder und machten diese zu Herren und Vertheilern der Gaben. Was brauchte, wurde dann aus dem Vorrath der Gemeinschaft, nicht aus dem Privateigenthum Einzelner genommen. Dadurch wurde erreicht, daß die Geber sich nicht eitel überhoben.
„Würden wir heute dasselbe thun, wir lebten viel glücklicher, die Reichen wie die Armen; und die Armen würden nicht mehr Glück dadurch gewinnen als die Reichen ... denn die Gebenden wurden nicht nur nicht arm, sie machten auch die Armen reich.
„Stellen wir uns die Sache vor: Alle übergeben das, was sie haben, in gemeinsames Eigenthum. Niemand möge sich darüber beunruhigen, weder der Reiche noch der Arme. Wie viel glaubt Ihr, daß Geld zusammenkommen wird? Ich schließe – denn mit Sicherheit kann man es nicht behaupten –, wenn jeder Einzelne all sein Geld übergäbe, seine Aecker, seine Besitzungen, seine Häuser (von den Sklaven will ich nicht sprechen, denn die ersten Christen besaßen wohl keine, da sie sie wahrscheinlich freiließen), dann wird wohl eine Million Pfund Gold zusammenkommen, ja wahrscheinlich zwei- oder dreimal so viel. Denn sagt mir, wie viele Menschen enthält unsere Stadt (Konstantinopel)? Wie viele Christen? Werden es nicht hunderttausend sein? Und wie viele Heiden und Juden! Wie viele Tausende Pfund Gold müssen da zusammenkommen! Und wie viele Arme haben wir? Ich glaube nicht, daß es mehr als fünfzigtausend sind. Wie viel wäre nöthig, sie jeden Tag zu ernähren? Wenn sie an einem gemeinsamen Tische speisen, werden die Kosten nicht sehr groß sein können. Was werden wir also mit unserem riesigen Schatz anfangen? Glaubst Du, daß er jemals erschöpft werden könnte? Und wird der Segen Gottes sich nicht tausendmal reichlicher auf uns ergießen? Werden wir nicht aus der Erde einen Himmel machen? Wenn dies sich bei Drei- oder Fünftausenden (den ersten Christen) so glänzend erwiesen hat und Keiner von ihnen Mangel litt, um wie viel mehr muß es bei einer so großen Menge sich bewähren? Wird nicht Jeder der Neuhinzukommenden Etwas hinzufügen?
„Die Zersplitterung der Güter verursacht größeren Aufwand und dadurch die Armuth. Nehmen wir ein Haus mit Mann und Weib und zehn Kindern. Sie betreibt Weberei, er sucht auf dem Markte seinen Unterhalt; werden sie mehr brauchen, wenn sie in einem Hause gemeinsam oder wenn sie getrennt leben? Offenbar, wenn sie getrennt leben. Wenn die zehn Söhne auseinandergehen, brauchen sie zehn Hänser, zehn Tische, zehn Diener und alles Andere in ähnlichem Maße vervielfacht. und wie steht’s mit der Menge der Sklaven? Läßt man diese nicht zusammen an einem Tische speisen, um an Kosten zu sparen? Die Zersplitterung führt regelmäßig zur Verschwendung, die Zusammenfassung zur Ersparung am Vorhandenen. So lebt man jetzt in den Klöstern und so lebten einst die Gläubigen. Wer starb da vor Hunger? Wer wurde nicht reichlich gesättigt? Und doch fürchten sich die Leute vor diesen Zustand mehr als vor einem Sprung in’s unendliche Meer. Möchten wir doch einen Versuch machen und die Sache kühn angreifen! Wie groß wäre der Segen davon! Denn wenn damals, wo die Zahl der Gläubigen so gering war, nur drei- bis fünftausend, wenn damals, wo die ganze Welt uns feindlich gegenüberstand, wo nirgends ein Trost winkte, unsere Vorgänger so entschlossen daran gingen, wie viel mehr Zuversicht sollten wir jetzt haben, wo durch Gottes Gnade überall Gläubige sind! Wer würde dann noch Heide bleiben wollen? Niemand, glaube ich. Alle würden wir an uns ziehen und uns gewogen machen.“ [15]
Chrysostomus schloß seine Ausführungen mit der Aufforderung, seinen Vorschlag zu verwirklichen.
Diese so nüchterne, rein ökonomische, von jeder re1igiösen Überschwänglichkeit freie Predigt ist in jeder Beziehung höchst bemerkenswerth. Sie zeigt uns deutlich den Kommunismus des Urchristenthums, dessen Ueberlieferungen noch lebendig waren; sie läßt aber auch deutlich erkennen, daß er nur ein Kommunismus des Konsumirens, nicht des Produzirens war. Chrysostomus bemüht sich, seine Zuhörer für den Kommunismus zu gewinnen, indem er ihnen vorrechnet, wie viel ökonomischer der gemeinsame Haushalt gegenüber der Zersplitterung in vielen Haushaltungen ist. Wer aber alles das produziren soll, was dieser kommunistische Haushalt braucht, davon kein Wort. Auf diesem Gebiet sollte eben Alles bleiben wie es war.
Der Vorschlag des Chrysostomus blieb unausgeführt. Wie bereits die Kirche sich von dem kommunistischen Wesen ihre Ursprunges entfernt hatte, sagt er uns ja selbst: „Die Leute fürchten den Kommunismus mehr noch als den Sprung ins weite Meer.“ Und ebenso deutlich wie Chrysostomus sprachen auch die anderen Kirchenlehrer. Gerade ihre leidenschaftlichen Deklamationen gegen die Reichen, die christlichen Reichen, beweisen, daß in der Kirche seit dem zweiten Jahrhundert nicht blos die Praxis, sondern auch schon der Geist des Kommunismus, das Gefühl der Gleichheit und Brüderlichkeit, dahinschwand„
Es zeigte sich wieder einmal, daß die materiellen Verhältnisse stärker sind als die Ideen und diese von jenen beherrscht werden. Unwiderstehlich wurde die Kirche getrieben, ihre Lehre den durch ihre Ausdehnung veränderten Verhältnissen anzupassen. Da man die kommunistische Ueberlieferung nicht vernichten konnte, suchte man sie wegzudeuten. Und durch eine Reihe von Spitzfindigkeiten, wie sie der damaligen, mehr klügelnden als forschenden Philosophie nahe lagen, mit der Wirklichkeit zu versöhnen.
Fortan verzichtet das Christenthum darauf, das Problem der Armuth zu lösen, den Unterschied zwischen Reich und Arm aufzuheben. Hattten die ersten Christen noch behauptet, kein Reicher könne des Himmelreiches theilhaftig werden, d. h. in ihre Gemeinschaft aufgenommen werden, der nicht alles Hab und Gut den Armen spende und selbst arm werde, nur die Armen könnten selig werden, so wurden jetzt diese rein materiellen Verhältnisse in geistige Beziehungen umgedeutet.
„Die Kirche,“ sagt Ratzinger in seiner Geschichte der kirchlichen Armenpflege (Freiburg im B. 1860), bei seiner Charakterisirung des Gedankenganges der ersten Kirchenlehrer über das Eigenthum, „war blos für die Armen bestimmt, die Reichen waren davon ausgeschlossen. Diese Entäußerung vom Besitz braucht kein völliger Verzicht darauf zu sein, es genügt, wenn er (der Reiche ) sich des übermäßigen Genusses am Besitz, der Lust an demselben, kurz, der Habsucht, entschlägt ... Auch der Reiche mußte sein Herz von allem irdischen Besitz trennen; er durfte, sich als Haushalter Gottes betrachtend, nur so besitzen, als besäße er nicht, er sollte nur das Nöthigste zu seinem Unterhalte verwenden, alles Uebrige aber als treuer Verwalter Gottes für die Armen verwenden.“ Aber ebensowenig als der Reiche, darf der Arme nach irdischem Besitz streben; er muß mit seinem Loos zufrieden sein und dankbar die Brosamen hinnehmen, die ihm der Reiche vorwirft. (S. 9, 10)
Welch’ niedlicher Eiertanz! Nicht mehr sich, nur noch sein Herz braucht der Reiche vom irdischen Besitz zu trennen; er soll besitzen, als besäße er nicht! So wußte sich das Christenthum mit seinem kommunistischen Ursprung abzufinden.
Aber auch in dieser seiner abgeschwächten Form hat das Christenthum noch Jahrhunderte lang Bedeutendes in der Bekämpfung des Pauperismus geleistet. Hat es ihn auch nicht beseitigt, so war es doch diejenige Organisation, die bei Weitem am wirksamsten sich erwies, in ihrem Bereich das Elend, das aus der Massenarmuth erwuchs, zu lindern. Und darin liegt vielleicht der wichtigste Hebel seines Erfolges.
Indeß je mächtiger es wurde, desto ohnmächtiger dem sozialen Problem seiner Zeit gegenüber, aus dem es seine Kraft gezogen. Nicht nur, daß das Christenthum sich unfähig erwies den Klassenunterschieden ein Ende zu machen, die es vorfand, es selbst erzeugte mit der Zunahme seiner Macht und seines Reichthums einen neuen Klassengegensatz: es bildete sich in der Kirche eine herrschende Klasse, der Klerus, welchem die Klasse, das Laienthum [16], botmäßig war.
Ursprünglich herrschte in den christlichen Gemeinden volle Selbstverwaltung. Die Vertrauensmänner an ihrer Spitze, die Bischöfe und Presbyter, wurden von den Gemeindegenossen aus ihren eigenen Kreisen gewählt, waren ihnen Rechenschaft schuldig. Sie zogen keine Vortheile aus ihrem Amt.
Sobald jedoch die einzelnen Gemeinden größer und reicher wurden, wuchsen die Aufgaben, die den Vorstehern zufielen, so sehr, daß sie nicht nebenher, neben einem bürgerlichen Beruf betrieben werden konnten. Es trat eine Arbeitstheilung ein, die Aemter in den christlichen Gemeinden wurden besondere Berufe, die ganze Leute erforderten. Das Kirchengut konnte nun nicht mehr ausschließlich der Unterstützung der Armen zugewendet werden; man mußte auch die kosten seiner Verwaltung daraus bestreiten, die Kosten für die Versammlungsgebäude und die Erhaltung der Gemeindebeamten.
Wer aber bildete die Masse der Gemeinde? Lumpenproletarier, und diese sind nie im Stande gewesen, die Macht, welche ihnen eine demokratische Verfassung verlieh, zu bewahren. Sie konnten es in der Kirche ebensowenig, wie in der Republik. Sie verkauften und verloren sie in jener an den Bischof, wie sie sie sie in dieser an den Zäsar verloren hatten.
Der Bischof hatte das Vermögen seiner Kirche, d. h. seiner Gemeinde, zu verwalten und zu bestimmen, in welcher Art die Einkünfte der Kirche zu verwenden seien. Dadurch wurde dem Lumpenproletariat gegenüber eine ungeheuere Macht in seine Hände gelegt, die immer mehr wuchs, je größere Reichthümer die Kirche ansammelte. Die Bischöfe wurden immer unabhängiger von ihren Wählern, diese wurden immer abhängiger von ihnen.
Hand in Hand mit dieser Entwickelung ging eine immer engere Zusammenschließung der einzelnen Gemeinden, die ursprünglich völlig selbständig gewesen waren, zu einem großen Verein, der Gesammtkirche. Gleiche Anschauungen, gleiche Ziele, gleiche Verfolgungen veranlaßten schon früh einzelne Gemeinden, durch Sendeschreiben und Abgeordnete in Verkehr miteinander zu treten; gegen das Ende des zweiten Jahrhunderts war die Verbindung vieler Kirchen in Griechenland und Asien schon so eng, daß die Kirchen einzelner Provinzen festere Vereinigungen bildeten, deren oberste Instanzen Kongresse der Vertrauensmänner waren, Synoden der Bischöfe. Ihnen gegenüber schrumpfte die Selbstverwaltung der einzelnen Gemeinden sehr zusammen, die Erhebung der Bischöfe über ihre Gemeindegenossen aber wurde dadurch begünstigt.
Schließlich kam es zu einer Zusammenfassung aller christlichen Gemeinden des Reiches in einer einzigen Vereinigung, und im vierten Jahrhundert unserer Zeitrechnung finden wir bereits Reichssynoden (die erste 325 zu Nicäa).
Innerhalb der Synoden selbst aber dominirten jene Bischöfe, welche die reichsten und mächtigsten Gemeinden vertraten. So kam schließlich der Bischof von Rom an die Spitze der abendländischen Christenheit.
Diese ganze Entwickelung ging nicht ohne große Kämpfe vor sich, Kämpfe gegen die Staatsgewalt, die den neuen Staat im Staate nicht auskommen lassen wollte, Kämpfe zwischen den einzelnen Organisationen und innerhalb der Organisationen, Kämpfe zwischen Volk und Klerus, in denen ersteres in der Regel den Kürzeren zog. Schon im dritten Jahrhundert besaß das Volk fast überall nur noch das Bestätigungsrecht der Kirchenbeamten; diese hatten sich zu einer geschlossenen Körperschaft organisirt, die sich selbst ergänzte und die über das Kirchenvermögen nach ihrem Gutdünken verfügte.
Von nun an war die Kirche diejenige Organisation im römischen Reiche, die einem strebsamen Kopfe die beste Karrière bot. Die politische Karrière hatte aufgehört, seitdem das politische Leben erloschen war; der Kriegsdienst war fast völlig an gemiethete Barbaren überlassen worden, Kunst und Wissenschaft fristeten nur noch mühselig ihr Dasein, und die Staatsverwaltung verknöcherte und verfiel immer mehr. Nur in der Kirche herrschte noch Leben und Bewegung; dort konnte man noch am ehesten zu einer gesellschaftlichen Macht emporsteigen. Fast Alles, was die heidnische Welt noch all Thatkraft und Intelligenz aufzuweisen hatte, wandte sich nun dem Christenthum und in diesem der kirchlichen Laufbahn zu; die Kirche, die sich als unbesiegbar erwiesen im Kampfe mit der Staatsgewalt, begann diese selbst sich dienstbar zu machen.
Zu Beginn des vierten Jahrhunderts fand bereits ein schlauer Thronprätendent, Konstantin, heraus, daß der Sieg demjenigen winkte, der den Christengott sich günstig stimme, das heißt, der mit dem christlichen Klerus sich auf guten Fuß stelle. Durch ihn wurde das Christenthum zur herrschenden, bald darauf zur einzigen Religion im römischen Reiche.
Von da an ging die Vermehrung des Kirchenguts erst recht schnell vor sich. Kaiser und Private wetteiferten miteinander, die Gunst der neuen Macht durch Geschenke zu erkaufen. Andererseits sahen die Kaiser sich immer mehr veranlaßt, der kirchlichen Bureaukratie die Besorgung einer Reihe staatlicher und munizipaler Aufgaben zuzuweisen, zu denen die verkommene staatliche Bureaukratie nicht ausreichte. Auch dazu mußten sie der Kirche bestimmte Einnahmequellen eröffnen.
Vordem waren die Gaben der Gemeindegenossen an die Kirche rein freiwillige gewesen. Seitdem diese sich des Schutzes der Staatsgewalt erfreute, fing sie an, auf regelmäßige Abgaben zu sinnen. Der Zehnte wurde eingeführt, anfangs nur durch moralische Mittel eingetrieben, schließlich aber auch durch Zwang. [17]
Die Kirche wurde nun enorm reich und gleichzeitig wurde ihr Klerus völlig unabhängig von der Laienschaft. Kein Wunder, daß sie in dem Maße, als ihr Reichthum wuchs, immer mehr aufhörte, ihr Vermögen im Interesse der Armen zu verwalten! Der Klerus verwendete es für sich, Habsucht und Verschwendung rissen in der Kirche ein, namentlich bei den reichen Gemeinden, in Rom, Konstantinopel, Alexandrien u. s. w. Aus einer kommunistischen Anstalt wurde sie die riesenhafteste Ausbeutungsmaschine, welche die Welt gesehen. Bereits im fünften Jahrhundert finden wir die Theilung des kirchlichen Einkommens in vier Theile als stehende Einrichtung der römischen Kirche. Ein Theil gehörte dem Bischof, ein Theil seinem Klerus, ein Theil diente den Kultusbedürfnissen (Bau und Erhaltung der Kirchen und dergl.), und nur ein Theil den Armen. Diese zusammen erhielten nur noch so viel, als der Bischof allein!
Und dabei ist diese Viertheilung höchst wahrscheinlich nicht einmal eingeführt worden, um die Armen zu benachtheiligen, sondern um sie zu schützen, damit die Herren Seelenhirten nicht das ganze Kirchengut für sich allein verpraßten.
Jedoch der kommunistische Ideengehalt des Christenthums ließ sich nicht ersticken, so lange die sozialen Umstände währten, die ihn geboren. So lange das römische Reich dauerte, und bis in die Zeit der Völkerwanderung hinein, galt das Kirchengut als Eigenthum der Armen (patrimonium pauperum), und keinem Kirchenlehrer, keinem Konzil wäre es eingefallen, das leugnen zu wollen. Freilich, die Verwaltungskosten dieses Gutes waren recht hohe geworden, sie fraßen zeitweise das ganze Einkommen auf, aber das ist eine Eigenthümlichkeit der meisten Wohlthätigkeitsinstitute. Deswegen hätte es doch Niemand gewagt, zu behaupten, daß die Verwalter die Eigenthümer des Vermögens seien.
Dieser letzte Schritt, der den kommunistischen Ursprung der Kirche völlig verwischen sollte, konnte erst geschehen, nachdem die einbrechenden Germanen die römische Welt und damit auch die Kirche auf völlig neue gesellschaftliche Grundlagen gestellt hatten.
Das Christenthum war nicht im Stande und konnte nicht im Stande sein, eine neue Produktionsweise zu begründen, eine solche Revolution herbeizuführen. Damit war es auch nicht im Stande, das römische Reich vor dem Untergange zu retten. Wenn dieses trotz aller sozialen Verkommenheit seine Existenz durch Jahrhunderte hindurch zu schleppen vermochte, so verdankte es dies nicht dem Christenthum, sondern den heidnischen Barbaren, den Germanen. Diese wurden, wie wir gesehen, als Söldner und Kolonen die Stützen der sinkenden Gesellschaft.
Aber Söldnerthum und Kolonisation genügten nicht, die andrängenden Germanen zu befriedigen. Diese Einrichtungen zeigten ihnen blos die Schwäche des Reiches und machten sie mit Genüssen bekannt, die nur im Römerreiche zu befriedigen waren; sie verstärkten den Drang nach dem Süden. Schließlich überflutheten die Germanenschaaren das Reich und nahmen davon Besitz, eine Schaar die andere verdrängend und vordrängend, bis allmälig wieder Ruhe in das Chaos kam, die einzelnen Völker seßhaft wurden und neue Staaten sich bildeten, eine neue gesellschaftliche Ordnung sich entwickelte.
Die Germanen standen in der Zeit der Völkerwanderung noch auf der Stufe des urwüchsigen Agrarkommunismus. Die einzelnen Stämme, Gaue und Gemeinden bildeten Genossenschaften, Markgenossenschaften, mit Gemeineigenthum an Grund und Boden. Haus und Hof waren allerdings schon Privateigenthum der einzelnen Familien geworden; das Ackerland wurde unter diese zur Sondernutzung vertheilt, aber das Eigenthumsrecht daran stand der Genossenschaft zu; Weide, Wald und Wasser blieben in der Nutzung der Gemeinschaft.
Die Armuth, die Besitzlosigkeit als Massenerscheinung hörte seit der Völkerwanderung auf. Wohl tritt im Mittelalter nicht selten Massenelend auf, aber es rührt von Mißwachs her oder Kriegsnoth oder Seuchen, nicht aber von Besitzlosigkeit. und es war stets ein vorübergehendes und kein Elend für Lebenszeit. Wo sich aber Bedürftige fanden, da standen sie nicht verlassen da: die Genossenschaft, zu der sie gehörten, bot ihnen Schutz und Hülfe.
Die Wohlthätigkeit der Kirche hörte auf, ein für den Bestand der Gesellschaft nothwendiger Faktor zu sein. Die kirchliche Organisation selbst erhielt sich in den Stürmen jener Zeit, aber nur dadurch, daß sie sich den neuen Verhältnissen anpaßte, daß sie ihren Charakter völlig veränderte. Aus einer Wohlthätigkeitsanstalt wurde sie eine politische Einrichtung. Ihre politischen Funktionen wurden neben ihrem Reichthum die Hauptquelle ihrer Macht im Mittelalter. Ihren Reichthum rettete die Kirche in den Stürmen der Völkerwanderung aus der alten in die neue Gesellschaft. Wie viel sie auch davon verlieren mochte, ebenso viel oder noch mehr wußte sie neu zu erwerben. Die Kirche wurde in allen christlich-germanischen Staaten der größte Grundeigenthümer, ein Drittel des Landes gehörte in der Regel ihr, in manchen Gegenden noch mehr.
Dies reiche Kirchengut hört nun völlig auf, Armengut zu sein. Karl der Große wollte noch, wie manche andere Einrichtung des Römerreichs, so auch die Viertheilung des Kirchenvermögens in das Frankenreich übertragen. Aber wie die meisten anderen seiner „Reformen“ blieb auch diese auf dem Papier – oder Pergament. Wenige Jahre nach Karl’s Tode schon erschienen die isidorischen Dekretalien, eine Sammlung frech erfundener und gefälschter Dokumente, welche die Ansprüche des Papstthums rechtfertigen sollten und die juristische Grundlage seiner Politik wurden. In Bezug auf das Kirchenvermögen behaupten diese Dekretalien, daß unter den Armen, deren Vermögen es bilde, blos die Geistlichen zu verstehen seien, die das Gelübde der Armuth abgelegt haben. Diese Theorie wurde allgemein zur Geltung gebracht, von da an wurden die Kirchengüter als Güter des Klerus betrachtet. Im 12. Jahrhundert fand diese Theorie ihre folgerichtige Ausbildung durch die Behauptung, alles Kirchenvermögen gehöre dem Papste, der darüber nach Belieben verfügen könne. [18]
Diese Anschauungen entsprachen ganz den thatsächlichen Verhältnissen, der Herrschaft, welche die Kirche in Staat und Gesellschaft, welche das Papstthum in der Kirche übte.
Aber wenn das Kirchengut auch aufhörte, Armengut zu sein, so ist damit doch nicht gesagt, daß im Mittelalter von Seiten der kirchlichen Organisationen garnichts für die Armen geschehen sei, soweit es Arme damals überhaupt gab. Wenn auch kein Proletariat in unserem Sinne in den ersten Jahrhunderten des Mittelalters bestand – einige Städte vielleicht ausgenommen –, so gab es doch zeitweise nicht wenige Bedürftige, wie wir schon oben erwähnt, in Zeiten von Mißwachs Hungernde, in Zeiten von Seuchen Kranke und Wittwen und Waisen, denen eine Familie fehlte, die sie aufnahm, in Kriegszeiten sogar landlose Leute aus der Nachbarschaft oder von fernher, die der einbrechende Feind vertrieben hatte.
Solche Bedürftigen zu unterstützen, galt im Mittelalter als die Pflicht eines jeden Besitzenden, vor Allem jedes Grundbesitzers, also auch des größten Grundbesitzers, der Kirche. Diese Pflicht erfüllte sie nicht, weil sie eine besondere Wohlthätigkeitsanstalt gewesen wäre, sondern weil sie zu den Besitzenden gehörte; diese Pflichterfüllung war nicht der Ausfluß eines besonderen christlichen, sondern eines allgemeinen, wenn man will, heidnischen Prinzips, eines Prinzips, welches allen Völkern gemein ist, die auf niederer Kulturstufe stehen: der Gastfreundschaft.
Die Freude am Theilen, am Mittheilen, ist allen Völkern einen, bei denen der urwüchsige Kommunismus oder mindestens noch dessen Ueberlieferungen herrschen. Und der Fremde ist eben dort eine so seltene, so auffallende Erscheinung, daß man ihm gegenüber unmöglich gleichgültig bleiben kann; je nach seinem Herkommen und Benehmen bekämpft man ihn als Feind, oder ehrt ihn als Gastfreund, als ein geschätztes Mitglied der Familie; man spaltet ihm den Schädel, oder stellt ihm Haus und Hof, Küche und Keller zur Verfügung, mitunter auch das Ehebett.
Die Freude an der Mittheilung des Ueberschusses, den die eigene Wirthschaft über die Bedürfnisse der Familie hinaus erzeugt, erhält sich, so lange die sogenannte Naturalwirthschaft besteht, so lange nicht für den Markt oder den Kunden, nicht für den Verkauf produzirt wird, sondern für den Selbstgebrauch. Diese Produktionsweise herrschte während des Mittelalters, wenigstens in der Landwirthschaft, und dieser Produktionszweig war damals für das gesellschaftliche Leben weitaus der entscheidende.
Je mehr die Produktion sich entwickelte, desto größer wurde der Ueberschuß, den jedes Landgut erzielte. Namentlich in den Händen der großen Grundherren, der Könige, der hohen Adeligen, der Bischöfe, der Klöster häuften sich enorme Ueberschüsse von Lebensmitteln an, die sie nicht verkaufen konnten. Sie konnten sie nur – verfüttern. Sie benutzten sie, um zahlreiche Kriegsleute zu halten, Handwerker und Künstler, sowie um die freigebigste Gastfreundschaft zu üben. Es hätte damals für höchst unanständig gegolten, wenn ein Bemittelter einem friedfertigen Familienfremden Speise und Trank und ein Obdach versagt hätte, sobald diesen darum ansprach.
Wenn Bischöfe und Klöster die Hungrigen speisten, die Nackten kleideten und die Obdachlosen beherbergten, thaten sie nichts, was nicht jeder andere Besitzende im Mittelalter auch that. Der Unterschied war höchstens der, daß sie, als die Reichsten, den anderen Besitzenden darin voraus sein konnten.
Aber die Sitte der Gastfreundschaft nimmt rasch ein Ende, sobald die Waarenproduktion beginnt, das Produziren zum Verkauf, sobald ein Markt für die verschiedenen Produkte sich aufthut. Die einzelnen Wirthschaften kommen nun in die Lage, ihre Ueberschüsse gegen Geld umzutauschen, jenen großen Erzeuger von Macht, von dem man nie zu viel haben kann, der nicht verdirbt, der sich aufhäufen läßt. An Stelle der Freude des Mittheilens vom Ueberschuß tritt die Freude am Aufspeichern von Schätzen, die Freigebigkeit wird getödtet durch die Habsucht.
Je mehr die sogenannte Geldwirthschaft die Naturalwirthschaft zurückdrängt, ein Vorgang, der von Italien und Südfrankreich aus seit dem 13. Jahrhundert sich rasch über das übrige Europa verbreitet, desto mehr schränken die Besitzenden ihre Gastfreundschaft und Freigebigkeit ein.
Aber in demselben Maße, in dem die Freigebigkeit schwand, vermehrte sich die Zahl der Armen. Die Entwickelung der Waarenproduktion erzeugte ein Proletariat, daß rasch anwuchs und in manchen Gegenden eine bedeutende Ausdehnung erreichte.
Seine beste Zuflucht fand dies in der Freigebigkeit der Klöster.
Große Körperschaften scheinen immer schwerfälliger in ihrer Entwickelung zu sein und sich veränderten Verhältnissen weniger leicht anzupassen, als einzelne Individuen. [19] Sicher war dies der Fall mit den Klöstern. Sie hielten am längsten an den alten Naturallieferungen ihrer Hintersassen fest, während rund um sie herum die Leistungen in Geldsteuern verwandelt wurden; sie vermieden es mehr, als ihre Nachbarn, die Bauern ihrer Landantheile zu berauben oder deren Leistungen hinaufzuschrauben, sie bewahrten endlich im Allgemeinen länger als diese ihre alte Gastfreundschaft und Freigebigkeit.
Aber völlig konnten auch die Klöster der neuen Zeit sich nicht verschließen. Auch ihre Insassen wurden von Golddurst ergriffen, ihre Speisungen der Bedürftigen reduzirten sich immer mehr auf „breite Bettelsuppen.“
Und selbst wo sie an der alten Liberalität festhielten, erwies sich diese als immer weniger genügend gegenüber den wachsenden Anforderungen der Massenarmuth.
Wieder erstand das Problem der Armuth und wieder bildeten sich kommunistische Ideen und Bestrebungen.
Diese nahmen zweierlei Formen an. In den unteren Volksschichten entstand bereits frühzeitig ein unklarer Gefühlskommunismus, in den Schichten gelehrter und kühner Menschenfreunde bildete sich später ein klar durchdachter, philosophischer Kommunismus, der Utopismus.
Rein literarisch betrachtet, erscheint die letztere Richtung als eine Fortsetzung des platonischen, die erstere als eine Fortsetzung des urchristlichen Kommunismus.
Über beide Richtungen sind von diesen ihren Vorgängern in wesentlichen Punkten verschieden. Denn eine neue gesellschaftliche Macht ersteht und bemächtigt sich der kommunistischen Idee, eine Macht, von der Plato und die ersten Christen nichts wußten: die Lohnarbeiterschaft als Grundlage einer neuen Produktionsweise.
1. Marx bemerkte in seinem Kapital in einer Note über die Sklavenarbeit:
„Der Arbeiter soll sich hier (in der Sklaverei), nach dem treffenden Ausdruck der Alten nur als instrumentum vocale (stimm- oder sprachbegabtes Werkzeug) von dem Thier als instrumentum semivocale (fast sprachbegabtes Werkzeug) und dem todten Arbeitszeug als instrumentum mutum (stummes Werkzeug) unterscheiden. Er selbst läßt Arbeitszeug und Thier fühlen, daß er nicht ihresgleichen, sondern ein Mensch ist. Er verschafft sich das Selbstgefühl seines Unterschiedes von ihnen, indem er sie mißhandelt und con amore verwüstet. Es gilt daher als ökonomisches Prinzip in dieser Produktionsweise, nur die rohesten, schwerfälligsten, aber gerade wegen ihrer unbehülflichen Plumpheit schwer zu ruinirenden Arbeitsinstrumente anzuwenden.“ K. Marx, Das Kapital, I., 2. Aufl., S. 185.)
Man vergleiche damit folgende Ausführung, die wir in Sismondi’s Études sur l’économie politique (Paris 1837) gefunden haben. Er giebt da einen längeren Auszug aus einem Werke von Ch. Comte über die Sklaverei, und sagt unter Anderem:
„Die Sklaven unserer Tage sind unfähig für jede Arbeit, die Intelligenz, Geschmack, Sorgfalt erfordert. Es ist wahrscheinlich, daß die schönen Arbeiten des römischen Alterthums von Leuten verrichtet wurden, die ihre industrielle Geschicklichkeit als Freie erlangt hatten und die erst der Krieg zu Sklaven gemacht hatte. Denn sobald die Römer einmal alle industriellen Nationen unterjocht hatten, so daß sie nur noch unter den Barbaren Sklaven machen konnten, verkamen die Künste und alle Arten der Industrie ungemein rasch und sie selbst verfielen in Barbarei.
„Aber die Sklaverei korrumpirt nicht blos die Versklavten, sondern auch die Freien, denn sie züchtet jene Verachtung der industriellen Arbeit, welche die Beschäftigung der ärmeren Freien mit der Industrie immer mehr zurückdrängt. der Zustand der Proletarier der römischen Republik, die von jeder Arbeit zurückgehalten wurden, theils durch die Verachtung der Arbeit, theils durch die Konkurrenz der Sklaven, ist ein bemerkenswerthes und erschütterndes Beispiel der Degradation und des Elends, in die die Sklaverei jenen Theil des Volkes stürzt, der weder zu den Herren noch zu den Knechten zählt.“ (I., S. 382–393)
2. christos, griechisch = gesalbt.
3. Corrodi hat in seiner Kritischen Geschichte des Chiliasmus (Frankfurt 1781) die sonderbaren Blasen, welche diese Phantasien warfen, eingehend beschrieben, ja sogar – kritisirt!
4. chilias, griechisch = die Zahl Tausend.
5. Eine große Rolle spielen in dem kommenden christlichen Reich der Wein und die Rebe. Irenäus lehrte: „Es wird die Zeit kommen, da die Weinstöcke wachsen, jeder mit zehntausend Reben, jede Rebe mit zehntausend großen Zweigen, jeder große Zweig mit zehntausend kleinen Zweigen, jeder kleine Zweig mit zehntausend Trauben, jede Traube mit zehntausend Beeren und jede Beere mit Saft für zwanzig Maß Wein.“ Hoffentlich wächst Durst in dem tausendjährigen Reich in demselben Verhältniß. Irenäus stellt aber noch zartere Freuden in Aussicht: „Die jungen Mädchen werden sich da in Gesellschaft der Jünglinge ergötzen; die Greise werden dieselben Vorrechte genießen und ihr Kummer wird sich in Vergnügen auslösen.“ Namentlich letztere Aussicht muß für die jüngeren und älteren Greise der römischen fin de siècle-Gesellschaft sehr verlockend gewesen sein.
6. Das Wort Paganus (lateinisch „Dorfbewohner“) gebrauchten die späteren Christen zur Bezeichnung der „Heiden.“
7. Josephus, Geschichte des jüdischen Krieges, II. Buch, 8, 3, 4.
8. Vgl. Matthäus 10, 21; Lucas 12, 33; 18, 21.
9. Wichtig ist auch die Stelle Apostelgeschichte 5, 44, 45.
10. Die Klöster bildeten eine Ausnahmeerscheinung, die klösterliche Organisation konnte nie zum allgemeinen Form der Gesellschaft werden. Aber auch in den Klöstern war die Gemeinsamkeit des Konsumirens die Hauptsache, das Produziren Nebensache. Wir kommen darauf in einem anderen Zusammenhang zurück.
11. J. Q. Vogel, Alterthümer der ersten und ältesten Christen, Hamburg, 1780, S. 47.
12. Vgl. auch Matth. 10, 37, 12, 46 ff. Marc. 3, 31 ff., 10, 29. Luc. 8, 20; 18, 29.
13. Allerdings, wenn mir Daumer glauben dürften (Die Geheimnisse des christlichen Alterthums, Hamburg 1847), so wären diese Mahlzeiten nicht Liebesmahlzeiten gewesen, sondern – Menschenfressereien.
14. Zitirt bei F. Villegardelle, Histoire des idées socialistes avant la revolution française, Paris 1846, S. 71 ff. Villegardelle hat zahlreiche Stellen ähnlichen Inhaltes aus den Schriften anderer Kirchenlehrer der ersten Jahrhunderte zusammengestellt. Leider giebt er nicht an, welchen Werken er diese Stellen entnommen hat. Es war uns daher unmöglich, die Zitate zu verifiziren.
15. S. P. N. Joanni Chrysostomi opera omnia quae exstant, Paris 1859 (Ausgabe J. P. Migne, Patrologiae cursus completus), IX., S. 96–98.
16. Vom griechischen Laos, das Volk.
17. Das 2. Konzil von Tours (567) verlangt von den Gläubigen, sollten unter Anderem auch von den Leibeigenen den Zehnten geben.
18. Diese Veränderung im Charakter des Kirchengutes hatte eine wichtige Folge. Sie drängte zur Durchführung des Zölibates, der Ehelosigkeit der Geistlichen. Aus ideologischen Gründen hatten verschiedene Richtungen in der Kirche seit jeher die Ehelosigkeit der Geistlichen gewünscht, mitunter auch angeordnet aber es war ihnen nicht gelungen, damit durchzudringen. Diese Bestrebungen hatten erst Erfolg, als sich ein materielles Interesse damit verknüpfte, die Sorge um das Kirchengut. So lange dies als Gut der Gemeinden galt, welches die Bischöfe b1os zu verwalten hatten, wurde es in seinem Bestande durch die Familien der Geistlichen nicht sehr bedroht. Das änderte sich, als das Kirchengut das Gut des Klerus selbst wurde. Nun suchte jeder Kleriker, der Kinder hatte, diesen vom Kirchengute möglichst viel mitzutheilen. „Man erlebte täglich, daß die Priestersöhne nicht allein das Erbgut ihrer Väter erhielten, sondern auch das Kirchengut, dessen Nießbrauch Jene gehabt, als ihr Erbtheil in Anspruch nahmen!“ (Giesebrecht, Gesch. d. deutsch. Kaiserzeit, II., S. 406) Gar rührend sind die Klagen, die z. B. Benedikt VIII. Auf dem Tessiner Konzil (zwischen 1014 und 1024) darüber anstimmte: „Große Grundstücke, große Güter, was immer sie können, erwerben die niederträchtigen Väter (die verheiratheten Geistlichen) ihren niederträchtigen Söhnen aus dem Kirchenschatz – denn etwas Anderes besitzen sie nicht“ &c. (Bei Gieseler, Lehrbuch der Kirchengeschichte, Bonn 1831, I., S. 282. Durch Gieseler wurden wir aus dem Zusammenhang zwischen Kirchengut und Zölibat der Geistlichkeit aufmerksam gemacht.) Aber der Verschleuderung des Kirchengutes an die Kinder der Kleriker konnte wirksam erst Einhalt gethan werden, als in der Kirche die Alleinherrschaft des Papstthums fest begründet worden war. Eine der ersten Aufgaben der päpstlichen Gewalt war nun die Bekämpfung der Priesterehe. Leo IX. (1048–1054) begann damit, der energische Gregor VII. (1073–1085) führte das Verbot der Priesterehe am entshiedensten durch. Indessen dauerte es nördlich der Alpen lange, bis es allgemein anerkannt wurde. In Lüttich finden wir noch um 1220, und in Zürich noch um 1230 verheirathete Geistliche in Amt und Würden. (Gieseler, a. a. O., S. 290)
Als in der Reformation das Kirchengut verweltlicht, von den Fürsten an sich gerissen wurde und die Geistlichen sich in Beamte des Staates verwandelten, die von ihrem Solde lebten, verschwand natürlich jedes Interesse an der Aufrechterhaltung des Zölibates der Geistlichkeit. Der protestantische Geistliche kann Kinder haben, so viel er will, er findet kein Kirchengut, das er ihnen zuschanzen könnte.
19. Man betrachte, z. B. die Zähigkeit, mit der die großen englischen Gewerkschaften an ihrer alten Politik festhalten, während überall sonst die Arbeiterwelt freudig unter die Fahne des Sozialismus eilt.
Zuletzt aktualisiert am: 2.2.2011