Karl Kautsky

Die Vorläufer des neueren Sozialismus

Erster Band, erster Theil


Erster Abschnitt
Der platonische und der urchristliche Kommunismus

Erstes Kapitel
Der Idealstaat Plato’s


1. Plato und seine Zeit

Nichts irriger, als die weitverbreitete Anschauung, der Kommunismus widerspreche dem Wesen des Menschen, der Menschennatur. Im Gegentheil, an der Wiege der Menschheit stand der Kommunismus, und er ist noch bis zu unserer Zeit die gesellschaftliche Grundlage der meisten Völker des Erdballs gewesen.

Weit entfernt, unvereinbar zu sein mit dem Gesetze des Kampfes ums Dasein, bildete er vielmehr die wichtigste Waffe der Menschheit in diesem Kampfe. Nur durch die innigste Zusammenschließung zu kleineren oder größeren Gemeinschaften konnten die nackten, waffenlosen Menschen der Vorzeit sich in den Wildnissen gegenüber ihren furchtbaren Feinden behaupten. Der primitive Mensch lebte nur in und mit seinem Gemeinwesen, seine Persönlichkeit hatte noch nicht die Nabelschnur zerrissen, die sie damit verband. In Gemeinschaft erwarben die Menschen ihren Lebensunterhalt – gemeinsam jagten sie, gemeinsam fischten sie –, in Gemeinschaft wohnten sie, gemeinsam vertheidigten sie das gemeinsame Land, den gemeinsamen Grund und Boden.

Aber das änderte sich mit den Fortschritten der Produktion. Sie erzeugten neben dem Gemeineigenthum das Privateigenthum. Ursprünglich umfaßte nur einige geringfügige Gegenstände des persönlichen Gebrauchs, die meist ihr Träger auch selbst verfertigt hatte, Schmuck, Waffen und dergl., Gegenstände, die so mit ihrem Urheber und Träger verwachsen schienen, daß man sie ihm oft nach seinem Ableben mit in’s Grab gab.

Aber almälig nahm das Privateigenthum an Umfang und Bedeutung zu, es begann auch auf bedeutendere Produktionsmittel sich zu erstrecken Und ergriff schließlich sogar das wichtigste Produktionsmittel, die Grundlage unserer Seins, den Grund und Boden. Die Jagd und die Weidewirthschaft verlangen noch das Gemeineigenthmn au Grund und Boden. Ganz anders der Ackerbau. Er wurde bis zur Entwickelung des modernen, landwirthschaftlichen Großbetriebes am besten betrieben in der Einzelwirthschaft besonderer Familien, und diese Einzelwirthschaft bedarf zu ihrer Entwickelung des Privateigenthums an Grund und Boden. Wo der Ackerbau sich entwickelt und die früheren Produktionsformen verdrängt, da entwickelt sich auch immer stärker das Bedürfniß nach dem Privateigenthum an Grund und Boden.

Die Entwickelung der städtischen Industrie und des Handels bedingt von vornherein das Privateigenthum an den Produktionsmitteln und Produkten. Aber nicht nur der Bereich des Privateigenthums dehnt sich immer mehr aus, es verliert auch eine seiner Schranken nach der anderen, die immer lästiger werden, je mehr der Handelsverkehr und die das Privateigenthum erheischenden Produktionsweisen sich entwickeln.

Es wurde aus einem rein persönlichen Eigenthum, das nach dem Tode des Besitzers mit ihm vernichtet wurde oder an die Gemeinschaft zurückfiel, ein auf andere Personen vererbliches Eigenthum.

Die ursprüngliche Gleichheit verschwand, das Privateigenthum wurde zu einer gesellschaftlichen Macht, die Gesellschaft spaltete sich in Eigenthümer, die herrschten, und Eigenthumslose, die in Abhängigkeit waren, das Erwerben von Privateigenthum wurde zu einer gesellschaftlichen Nothwendigkeit. Das Aufkommen des Geldes endlich verwandelte die Erwerbslust in einen maßlosen Drang.

Das Bedürfniß nach Gebrauchsgütern ist stets ein beschränktes. So lange der Reichthum nur in Gebrauchsgütern besteht, verlangt man nicht mehr davon, als man zu einem bequemen, angenehmen Leben nöthig ist. Geld dagegen kann man nie genug haben, denn Geld ist die Waare, mit der man alle anderen kaufen kann, eine Waare, die nicht verdirbt, die stets verwendbar ist. Das Aufhäufen von Schätzen, von großen Vermögen weit über das eigene Bedürfniß hinaus, wird nun zu einer Lebensaufgabe der Besitzenden. Der Gegensatz zwischen Reich und Arm kann von nun an ein unermeßlicher werden, und er wird es überall, wo die Bedingungen dazu sich bilden.

Die Verhältnisse der Menschen zueinander und ihr ganzes Denken und Sein verändern sich damit. Die Hingabe für das Gemeinwesen, die Selbstaufopferung, war ehedem die Haupttugend des Menschen gewesen. Sie schwindet nun immer mehr dahin. Jeder ist sich selbst der Nächste. Die Gemeinwesen zerfallen in Klassen, die einander auf das Erbittertste bekämpfen, sie zerfallen in Individuen, von denen jedes nur seinen eigenen Vortheil im Auge hat, von denen jedes dem Gemeinwesen möglichst wenig giebt und möglichst viel nimmt. Immer· lockerer werden die Bande, die den Einzelnen an sein Gemeinwesen fesseln und dieses zusammenhalten; es verkommt oder wird die Beute eines Volkes, das in seiner Entwickelung zurückgeblieben, noch kommunistische Tugend und kommunistische Kraft besitzt.

Das ist die Geschichte aller Nationen und Staaten im Alterthum.

Vielleicht am schnellsten und auffallendsten vollzog sich dieser Entwickelungsgang in Athen. Der Zeitraum vor der Beendigung der Perserkriege bis zur Unterjochung Griechenlands durch Philipp von Macedonien umfaßt kaum anderthalb Jahrhunderte (479–338 vor Beginn unserer Zeitrechnung). Am Beginn desselben finden wir (auch abgesehen von den Sklaven, die ja nicht zum Gemeinwesen gehörten) wohl schon Klassenunterschiede und Klassengegensätze, bevorrechtete Aristokraten und rechtlose Volksschichten, Reiche und Arme, aber noch waren diese Gegensätze nicht so weit gediehen, um das gemeinsame Interesse am Staatswesen in der freien Bevölkerung zu ersticken. Im letzten Drittel dieses Zeitraums gab es in Attika neben einer Menge Sklaven fast nur noch Reiche und Bettler.

„In früherer Zeit,“ rief der damals lebende Redner Demosthenes in einer seiner Gerichtsreden, „war es anders als jetzt. Damals war Alles, was dem Staate angehörte, reich und glänzend, unter den einzelnen Bürgern aber zeichnete sich äußerlich keiner vor dem anderen aus. Noch jetzt kann Jeder von Euch sich durch eigenen Anblick überzeugen, daß die Wohnungen eines Themistokles, eines Miltiades und aller übrigen großen Männer der Vorzeit durchaus nicht schöner und ansehnlicher waren als die ihrer Mitbürger. Dagegen sind die zu ihrer Zeit errichteten öffentlichen Gebäude und Denkmale so großartig und prachtvoll, daß sie ewig unübertrefflich bleiben werden; ich meine die Propyläen, die Arsenale, die Säulengänge, die Hafenbauten des Piräus und andere öffentliche Werke unserer Stadt. Jetzt aber giebt es Staatsmänner, deren Privatwohnungen viele öffentliche Gebäude an Pracht überbieten, und welche so große Landgüter zusammengekauft haben, daß die Felder von Euch Allen, die Ihr hier als Richter versammelt seid, an Ausdehnung denselben nicht gleichkommen. [1] Was dagegen jetzt von Staatswegen gebaut wird, das ist so unbedeutend und ärmlich, daß man sich schämen muß, davon zu reden.“

In ganz Griechenland konnte man diese Erscheinung beobachten, aber am auffallendsten zeigte sie sich in Athen, denn dieses war durch die Perserkriege der mächtigste Staat in Griechenland geworden und es hatte die griechische Freiheit vor dem Perserjoche nur gerettet, um den Griechen sein eigenes Joch aufzulegen. Fast die ganze Bevölkerung der Inseln und Küsten des ägäischen Meeres (und noch manche Küstenstadt und Insel außerhalb desselben) wurde ihm unterthan und zinspflichtig, neben der Sklavenarbeit und den Profiten eines mächtig aufblühenden Handels wurden Kriegsbeute und Tribute Unterworfener stete Einkommensquellen der Bevölkerung Athens, Mittel, die Reichen noch reicher zu machen und die übrigen Freien, die aus den großen Staatseinnahmen Nutzen zogen, der Arbeit zu entwöhnen, sie ins Lumpenproletariat hinabzudrücken, die ganze Bevölkerung zu korrumpiren und zu entnerven. Sies wurden aber auch Mittel, Athen in ganz Griechenland auf’s Aeußerste verhaßt zu machen.

Schließlich kam es zu einem Kampf auf Leben und Tod zwischen dem sich stetig ausbreitenden Athen und den noch nicht von ihm unterworfenen Staaten des Peloponnes unter der Führung Spartas. Dieser Kampf war aber nicht nur ein Krieg gegen die Oberherrschaft Athens, er war auch ein Krieg zwischen Demokratie und Aristokratie. Athen war der demokratischste Staat Griechenlands, Sparta der aristokratischste. In allen Athen unterworfenen Staaten mußten vornehmlich die Aristokraten die Zeche zahlen; sie wurden in erster Linie geplündert, nicht das Volk. In Athen selbst wälzte das Volk die Staatslasten so viel als möglich auf die Aristokraten und Reichen ab. Athen wurde daher allenthalben von den Aristokraten und Reichen besonders bitter gehaßt; in diesem Staate selbst war die soziale Zersetzung, waren die Gegensätze zwischen Arm und Reich so weit gediehen, daß die Aristokraten und Reichen Athens mit Sparta, mit dem Landesfeinde, liebäugelten und konspirirten. Ein Sieg Spartas erschien ihnen als das beste Mittel, die Herrschaft des Volkes zu stürzen.

Der entscheidende Kampf zwischen Athen nud Sparta, der sogenannte peloponnesische Krieg, dauerte fast dreißig Jahre (431–404) und endete mit der völligen Vernichtung der athenischen Macht. Athen wurde auf Attika beschränkt und von Sparta abhängig. An Stelle der Demokratie trat ein Regiment charakterloser Kreaturen Spartas.

Das war eine Situation, die besonders aufforderte, Einkehr zu halten, über die Ursachen des Gedeihens und Verfallens der Staaten nachzudenken. Die Frage nach der besten Staatsverfassung war damals allgemein.

1mter diesen historischen Verhältnissen erwuchs Plato.

Er wurde wenige Jahre nach dem Beginn des peloponnesischen Krieges [2] zu Athen geboren als Sohn eines alten aristokratischen Hauses. Er hat auch seine aristokratische Abkunft nie verleugnet und stets eine Abneigung gegen die Demokratie bewahrt. In angenehmen Vermögensumständen konnte er ganz der Entwickelung seines Geistes leben und fing früh an, sich mit Dichtkunst und Philosophie zu beschäftigen. Seine Bekanntschaft mit Sokrates – wahrscheinlich in seinem 20. Lebensjahr – wurde für ihn entscheidend. Er widmete sich von nun an völlig der Philosophie und wurde des Sokrates bedeutendster Schüler. Aber er erweiterte den Sokratischen Ideenkreis durch selbständige Studien [3] und eine Reihe von Reisen, die er nach dem Tode seines Freundes und Meisters unternahm, Reisen, die ihn nach Aegypten, Cyrene, Süditalien und Sizilien führten.

Von seinen Reisen zurückgekehrt, trat er in Athen öffentlich als Lehrer auf. Aber noch zweimal unterbrach er seine Lehrthätigkeit, um längere Reisen nach Sizilien auszuführen.

Die Ursache davon ist bezeichnend für den Verfall des politischen Lebens zu Plato’s Zeit. Dieser hatte ein System besonderer politischer Grundsätze entwickelt, auf die wir noch zu sprechen kommen werden, aber es fiel ihm auch nicht ein, auch nur das Geringste zu thun, um seinen Ueberzeugungen und Anschauungen durch Theilnahme am politischen Leben Geltung zu verschaffen.

Damit ist jedoch nicht gesagt, daß seine Ideen über Staat und Gesellschaft nicht praktisch gemeint waren, daß sie bloße Phantasien bleiben sollten.

368 starb der ältere Dionysius, Tyrann (Alleinherrscher) von Syrakus. Sein Sohn, Dionysius der Jüngere, hatte einige philosophische Allüren an den Tag gelegt und galt für einen Reformer, wie das bei Kronprinzen seit jeher der Brauch gewesen zu sein scheint. Dion, Plato’s Freund und des Dionysius Schwager, hoffte diesen für ihre gemeinsamen Bestrebungen zu gewinnen, und Plato selbst reiste auf diese Ansicht hin nach Syrakus, um durch den Tyrannen zu erreichen, wofür er in der Demokratie keinen Finger rührte: die Verwirklichung seiner politischen Ideale.

Natürlich erlebte er eine arge Enttäuschung. Dionysius hatte es ganz gern, wenn die Philosophen sich an seinen Hof drängten und dessen Ruhm vermehrten, aber sie durften ihn nicht bei den Freuden stören, die Wein, Weib und Gesang bereiten konnten. Als ihm die Philosophen unbequem wurden, ließ sie der „Philosoph auf dem Thron“ einfach hinauswerfen – verbannen. Als Plato, dadurch nicht gewitzigt, einige Jahre später eine zweite Reise au den Hof von Syrakus unternahm, zog er sich die Feindschaft des Tyrannen in einem solchen Grade zu, daß er froh sein mußte, sein Leben zu retten und mit einem blauen Auge davon zu kommen.

Damit endigte die politische Thätigkeit unseres Philosophen. Seine Lehrthätigkeit setzte er dagegen bis zu seinem Tode fort, der in seinem 81. Jahre eintrat.
 

II. Das Buch vom Staat

Von den Schriften Plato’s kommt für uns hier nur eine in Betracht, die erste philosophische, systematische Vertheidigung des Kommunismus, die auf uns gekommen ist: die Politeia, das Buch vom Staat, dessen Entstehungszeit wahrscheinlich in die Zeit kurz vor seiner ersten Reise an den Hof Dionysius des Jüngeren um 368 fällt.

Den wesentlichen Inhalt dieses Buches bildet die Untersuchung der Frage: Welches ist die beste Staats- und Gesellschaftsverfassung?

Daß die bestehenden Staats- und Gesellschaftsformen schlecht sind, unterliegt für Plato keinem Zweifel.

Das Privateigenthum, sagt er, der Gegensatz zwischen Reich und Arm, führt zum Untergang der Staaten.

„Verhalten sich nicht Tugend und Reichthum so, daß, läge jedes von ihnen auf der Schale einer Waage, Eines absteigen müßte, wenn das Andere aufsteigt? ... Werden also der Reichthum und die Reichen in einem Staat geehrt, so werden die Tugend und die Guten minder geachtet ... Ein solcher Staat ist nothwendig nicht einer sondern zwei: den einen bilden die Armen, den anderen die Reichen, welche Beide zusammenwohnen, Einer dem Anderen Böses sinnend (ἐπιβουλεύοντες [4]) ... und am Ende sind sie (die herrschenden Reichen) außer Stande, einen Weg zu führen, weil sie sich entweder der Menge bedienen müssen, vor welcher sie sich dann, wenn sie bewaffnet ist, mehr fürchten als· vor den Feinden; oder wenn sie sich ihrer nicht bedienen, so erscheinen sie dann im Gefecht nur als eine geringe Streitmacht, und überdies wollen sie keine Steuern zahlen, weil sie das Geld so sehr lieben.“

Die Armen aber, die Proletarier, vergleicht Plato mit Drohnen – ein bezeichnender Vergleich, der uns deutlich den Unterschied zwischen dem antiken und dem modernen Proletariat zeigt. Die freien Besitzlosen waren zumeist Lumpenproletarier. Heute lebt die Gesellschaft von den Proletariern, damals lebten die Proletarier von der Gesellschaft. Sie lebten von der Ausbeutung des Staates und der Reichen, die aus Sklavenarbeit und Erpressungen Unterworfener ihre Einnahmen zogen. Aber, meint Plato weiter, die zweibeinigen Drohnen unterscheiden sich von den geflügelten: nicht alle unter ihnen sind stachellos.

„Aus den Stachellosen werden Bettler auf ihr Alter, aus den mit Stacheln bewehrten alles Gaunervolk ... Diebe und Beutelschneider und Tempelräuber und Verüber ähnlicher Schandthaten.“ (VIII. Buch, 6. und 7. Kap.)

Ein Staat, in dem zwei derartige Staaten miteinander in Zwietracht leben, ist dem Untergang geweiht, mögen nun die Reichen herrschen (Oligarchie) oder die Armen (Demokratie).

Welche Staatsverfassung schlägt aber Plato an Stelle dieser „schlechten Verfassungen“ vor?

Nur der Kommunismus, meint er, kann die Zwietracht bannen.

Aber er ist viel zu sehr Aristokrat, um die Klassenunterschiede aufheben zu wollen. Der Kommunismus soll zum staatserhaltenden konservativen Element gemacht werden, jedoch nur als Kommunismus der herrschenden Klasse. Wird das Privateigenthum für die herrschende Klasse aufgehoben, dann, sagt et, hört jede Versuchung für diese auf, das arbeitende Volk auszubeuten und zu bedrücken, dann werden die Herrschenden nicht mehr Wölfe sein, sondern treue Wachhunde, die einzig nur ihrer Aufgabe leben, das Volk zu schützen und zu seinem Besten zu führen.

Für die arbeitenden Klassen, die Bauern und Handwerker, besteht im Staate Plato’s das Privateigenthum fort, ebenso fur die Krämer und Großhändler. Und in der That, die Aufhebung des Privateigenthums für sie widersprach den Bedürfnissen der damaligen Produktionsweise. Denn noch war die Grundlage der Produktion der Kleinbetrieb in Ackerbau und Handwerk. Dieser bedingt aber, wie wir bereits bemerkt haben, mit Naturnothwendigkeit das Privateigenthum an den Produktionsmitteln. Wohl kannte man auch schon größere Betriebe, aber nur mit Sklaven. Die Technik in Ackerbau und Industrie war noch nicht so weit entwickelt, daß sie gesellschaftliche Produktion verlangt hätte. Wo nicht äußerer Zwang die Arbeiter zusammentrieb, wo diese freie Männer waren, da arbeiteten sie jeder für sich. Das Privateigenthum an den Produktionsmitteln für freie Arbeiter abschaffen wollen, wäre zu Plato’s Zeit ein Unding gewesen. Sein Sozialismus war demnach ein von dem modernen grundverschiedener.

Die herrschende Klasse im platonischen Idealstaat produzirt nicht. Sie wird erhalten durch die Beiträge der arbeitenden Klassen. Ihr Kommunismus ist nicht ein Kommunismus der Produktionsmittel, sondern der Genußmittel, dies Wort im weitesten Sinne genommen, ein Kommunismus des Konsums.

Die herrschende Klasse, das sind die Wächter des Staates. Sie werden mit besonderer Sorgfalt ausgewählt aus den Besten und Tüchtigsten. Die Kinder der Wächter haben wohl bessere Aussichten, als die anderen Kinder im Staat, dieser Klasse eingereiht zu werden, weil der Apfel nicht weit vom Stamme fällt. Aber wenn einer der Nachkommen der Wächter seinem Posten nicht gewachsen ist, dann soll er ohne Mitleid aus deren Klasse ausgeschlossen werden; umgekehrt sollen sie, wenn unter den Handwerkern und Ackerbauern einer aufwüchse, in dem sich edle Eigenschaften zeigten, „einen solchen in Ehren halten und unter die Herrscher erheben.“

Die Aristokratie im platonischen Staat beruht also nicht auf einem Geburtsadel.

Der zur Aufnahme in die Klasse der Wächter bestimmte Nachwuchs wird einer besonderen, sorgfältigen Erziehung unterworfen, die Plato ausführlich beschreibt, auf die hier einzugehen jedoch nicht der Ort ist.

„Außer der Erziehung nun,“ fährt Plato fort [5], „möchte wohl ein Vernünftiger sagen, müßten auch ihre Wohnungen und ihre ganze übrige Habe so eingerichtet sein, daß dadurch die Wächter weder davon abgebracht werden, die Besten zu sein, noch auch gereizt, gegen die anderen Bürger zu freveln.“

„Sehr wahr,“ sagte er (Glaukon).

„Sieh also zu,“ erwiderte ich (Sokrates), „ob sie etwa auf folgende Weise leben und wohnen müssen, wenn sie derartig werden sollen. Vor Allem soll keiner etwas zu Eigen besitzen, wenn es irgend zu vermeiden ist; keine besondere Wohnung soll er haben, noch eine Vorrathskammer, wohin nicht Jeder könnte, der Lust hat. Das Nothwendige aber, dessen ebenso tapfere wie mäßige Krieger bedürfen, sollen sie der Reihe nach von den anderen Bürgern als Lohn für ihren Schutz in solchen Mengen empfangen, daß sie keinen Mangel haben, daß ihnen aber auch nichts für das nächste Jahr übrig bleibt. Gemeinsam sollen sie leben und wie im Felde Stehende gemeinsame Mahlzeiten (Suffitien) abhalten. Gold und Silber aber, muß man ihnen sagen, haben sie von den Göttern als Göttliches immer in der Seele, daher bedürfen sie nicht des Goldes und Silbers der Menschen. Es sei ihnen auch garnicht gestattet, den Besitz des göttlichen Goldes durch den des sterblichen zu verunreinigen, da gar Vieles und Unheiliges mit dieser gemeinen Münze vorgefallen ist, indeß das Gold in ihrer Seele lauter sei. Ihnen allein im Staat sei es verboten, mit Gold und Silber sich abzugeben, es zu berühren, es in der Wohnung zu haben oder an der Kleidung oder daraus zu trinken. Besäßen sie selbst eigenes Land und Wohnungen und Gold so würden sie Hauswirthe und Landwirthe sein und nicht Wächter, harte Gebieter und nicht Genossen der anderen Bürger; sie würden dann hassend und gehaßt, belauernd und belauert ihr ganzes Leben hinbringen, weit mehr den inneren Feind fürchtend als den äußeren, und dem Verderben entgegen reimen, sie und die ganze Stadt.“ (III. Buch, 22. Kap.)

Aber Plato verlangt nicht nur die Gemeinschaft der Güter für seine „Wächter.“ Alles, was Privatinteressen bei ihnen erzeugen, Zank und Zwietracht unter ihnen säen könnte, soll ausgeschlossen sein. Daher verlangt er für sie die Aufhebung der Einzelfamilie, die Gemeinschaft der Weiber und Kinder.

Was unsere heutigen Sozialistenfresser als Beweis für die viehische Verkommenheit der Sozialdemokraten hinstellen, die Forderung der Aufhebung der Familie und Ehe, das können sie bei jenem Philosophen des Alterthums finden, den heute die offiziellen Hüter von Zucht und Sitte, den namentlich unsere Geistlichen am meisten erheben, besonders um seiner „fast christlichen“ Ethik willen.

„Mit dem ganzen Vorhergegangenen,“ läßt Plato Sokrates sagen, „hängt meiner Meinung nach folgende Einrichtung zusammen.“

„Welche?“

„Daß die Weiber alle den Männern gemein seien, keine aber mit irgend einem besonders zusammenlebe. Und auch die Kinder sollen gemein sein, so daß weder ein Vater sein Kind kenne, noch ein Kind seinen Vater.“ (V. Buch, 7. Kapitel)

Damit meint jedoch Plato nicht gänzlich regellosen Geschlechtsverkehr. Aber dieser soll nur von einem Prinzip beherrscht werden: dem der geschlechtlichen Zuchtwahl. Die Frauen dürfen nur vom 20. bis zum 40. Jahre „dem Staate gebären;“ die Männer nur vom 30. bis zum 55. Jahre „dem Staate zeugen.“ Wer vor oder nach diesem Alter Kinder zeugt oder gebärt, macht sich eines Vergehens schuldig. Dergleichen Kinder soll man beseitigen durch eine künstliche Fehlgeburt oder durch Aussetzung. Aufgezogen dürfen sie nicht werden. Die innerhalb dieser Altersgrenzen Stehenden sollen aber von den Regenten möglichst so gepaart werden, daß „die Tüchtigsten den Tüchtigsten am meisten beiwohnen und die Untauglichsten den Untauglichsten; und die Kinder der ersteren sollen aufgezogen werden, die Kinder der letzteren aber nicht, wenn die Heerde tadellos bleiben soll; und dies Alles (die Regelung der Paarung) muß völlig unbekannt bleiben, außer den Obern selbst, damit die Schaar der Wächter stets möglichst von Zwietracht frei bleibe.“

Diejenigen aber, die über das vorgeschriebene Zeugungsalter hinaus sind, mögen sich vermischen nach Herzenslust und Gutdünken innerhalb ihrer Altersschicht.

„Die neugeborenen Kinder nehmen die dazu bestimmten Behörden an sich, die aus Männern oder Frauen oder beiden bestehen, denn die Aemter sind ja Männern und Frauen gleich zugänglich.“

„Gut.“

„Die Kinder der Tüchtigen nun, denke ich, tragen sie in das Säugehaus zu Wärterinnen, die in einem besonderen Theil der Stadt wohnen, die der Untauglichen aber und ebenso die mißgestaltet Geborenen werden sie, wie es sich gehört, zu einem unzugänglichen und unbekannten Orte verbergen.“

„Sicher,“ sagte er, „wenn das Geschlecht der Wächter edel bleiben soll.“

„Diese Behörden werden auch für die Ernährung der Säuglinge sorgen, indem sie die Mütter, wenn sie von Milch strotzen, in das Säugehaus führen, wobei sie jedoch möglichst darauf bedacht sind, daß keine ihr Kind erkenne, und indem sie, wenn jene nicht hinreichen, noch andere Säugende herbeischaffen.“ (V. Buch, 9. Kap.)

Alles das erscheint für Unser Empfinden seltsam, ja abstoßend. Nicht so für die Griechen der Zeit Plato’s. Wohl herrschte unter ihnen die Einehe, aber diese war, wie sie selbst offen erklärten, nur eine Einrichtung zur Erzielung legitimer Kinder, zur Sicherung des Erbrechtes. Die Ehen wurden nicht im Himmel der Liebenden geschlossen, sondern von den Familienhäuptern verabredet, wobei nicht die Neigungen der Betheiligten, sondern ihre Vermögensverhältnisse in Betracht kamen. Ein junger Mann hatte in der Regel gar keine Gelegenheit, ein Mädchen aus gutem Hause vor seiner Verlobung mit ihr kennen zu lernen. [6]

Neben der Sorge um die Vermehrung und Vererbung des Vermögens war bei den Eheschließungen auch die für Erzielung einer kräftigen Nachkommenschaft sehr maßgebend. In Sparta, wo die Vermögensverhältnisse eine geringere Rolle spielten, dagegen die Kriegstüchtigkeit der Spartiaten in erster Linie stand, waren bei den Eheschließungen die Rücksichten der geschlechtlichen Zuchtwahl von großer Bedeutung. So stark wirkte sie, daß unter Umständen ein Gatte seine ehelichen Rechte einem anderen abtrat, weil dieser kräftiger war, bessere Kinder zu zeugen versprach. Plutarch verglich in der That die spartanische Ehe mit einem Gestüt, in dem es sich nur um die Erzeugung einer möglichst edlen Rasse handle.

Angesichts dessen war die Regelung der Paarung durch die Obrigkeit nach den Regeln der Zuchtwahl für die Zeitgenossen Plato’s weder etwas Widersinniges noch etwas Widerliches.

Die Aufhebung der Familie, der geschlechtliche Kommunismus, war aber die logische Konsequenz des Kommunismus der Genüsse. In der That, wo alle Genüsse gemeinsam sein sollen, war es höchst inkonsequent, einen so machtvollen, das gesellschaftliche Leben so tief beeinflussenden Genuß wie den geschlechtlichen dem Bereich der Gemeinsamkeit zu entziehen.

Dagegen steht die Weibergemeinschaft, der geschlechtliche Kommunismus, nicht im geringsten logischen Zusammenhang mit der Forderung des Gemeineigenthum an den Produktionsmitteln, die der moderne Sozialismus erhebt, man müßte denn die Frau zu den Produktionsmitteln rechnen. [7]

In einem anderen Punkte berührt sich jedoch das platonische Ideal mit einer Forderung der heutigen Sozialdemokratie. So wie diese, verlangt Plato die Gleichstellung von Mann und Weib, die Zulassung der letzteren zu allen Aemtern (freilich nur innerhalb der Klasse der Wächter). Sogar in den Krieg sollen die Frauen mitziehen. Sie sollen auch dieselbe Erziehung erhalten wie die männlichen Wächter.

„Von allen Beschäftigungen, durch die der Staat besteht, giebt es keine, die dem Weibe als Weib oder dem Manne als Mann zukommt; die natürlichen Anlagen sind in Beiden auf ähnliche Weise vertheilt und die Frau kann ihrer Natur nach ebenso wie der Mann an allen Beschäftigungen theilnehmen; in Allen aber ist das Weib schwächer als der Mann ... Mögen sich also immer die Frauen unserer Wächter entkleiden (um Leibesübungen vorzunehmen, wie die Männer), da sie ja Tugend statt des Gewandes überwerfen werden, und mögen sie Theil nehmen am Kriege und an der Regierung des Staates und mögen Anderes nicht verrichten. Hiervon aber wollen wir das Leichtere den Weibern zutheilen vor den Männern wegen der Schwäche ihres Geschlechts. (V. Buch, 5. und 6. Kap.)

Die Grundlage der gesellschaftlichen und politischen Gleichstellung der Frau mit dem Manne bildet ihre Befreiung von den Arbeiten des Haushaltes. Im platonischen Staat geschieht dieses dadurch, daß diese Arbeiten den arbeitenden Klassen zugewiesen werden. So lange es nicht möglich war, zum mindesten die schwersten dieser Arbeiten von der Maschine besorgen zu lassen, konnte eine Emanzipation der Frau auf anderer Grundlage nicht erreicht werden.

So kühn alle diese Ideen Plato’s sind, sie sind nicht aus der Luft gegriffen, sondern haben eine reale Grundlage. Wir haben dies schon bei einer seiner kühnsten Ideen, der Einführung planmäßiger Zuchtwahl in den Geschlechtsverkehr, gesehen. Das Vorbild, das ihn dort leitete, hat seinen ganzen Ideengang beeinflußt. Dieses Vorbild war Sparta, der, wie wir bereits erwähnt haben, aristokratischste Staat Griechenlands, der sich daher stets der besonderen Sympathie der athenischen Aristokratie erfreute. Diese Sympathien waren so stark [8], daß sie mit beigetragen haben zu der Niederwerfung Athens durch Sparta im peloponnesischen Kriege.

Die spartanischen Sympathien, die Plato als Aristokrat hegte, wurden jedenfalls nicht vermindert durch den Einfluß, den die antidemokratischen Tendenzen des Sokrates auf ihn übten.

Von den Schülern des Sokrates haben mehrere der hervorragendsten und bekanntesten sich spartanerfreundlich gezeigt. Xenophon, der Busenfreund des spartanischen Königs Agesilaos hat in spartanischen Diensten mehrere Feldzüge mitgemacht; er scheute sich sogar nicht, in der Schlacht bei Koronea (394) im Gefolge des spartanischen Feldherrn gegen seine Mitbürger, die Athener, zu fechten. Grund genug, daß er aus seiner Vaterstadt verbannt wurde. Alkibiades hatte es im peloponnesischen Kriege noch besser getrieben. Er ging als athenischer Feldherr zu den Spartanern über, wurde gewissermaßen deren Generalstabschef, theilte ihnen, alle schwachen Seiten Athens mit und führte so eine Reihe großer Niederlagen für dieses herbei, die thatsächlich den Krieg entschieden, wenn derselbe auch noch lange fortgeschleppt wurde. Und als Athen unterlegen war, wurde es eiine Beute der „dreißig Tyrannen,“ einer Bande aristokratischer Gesinnungslumpen, die das siegreiche Sparta dem athenischen Volk als Regenten aufgedrängt hatte. An der Spitze dieser Bande, die durch ein wüstes Schreckensregiment sich bereicherte und das niedergeworfene Athen vollends ruinirte, stand Kritias, ebenfalls ein Schüler des Sokrates.

Man muß das im Auge behalten, wenn man den Prozeß des Sokrates richtig verstehen will.

Angesichts alles Dessen dürfen wir uns nicht wundern, daß der spartanische Staat die Grundlage war, auf die Plato beim Aufbau seines Idealstaates sich stützte. Es läßt sich das in einer Reihe von Punkten nachweisen, doch ist hier nicht der Ort, diesen Nachweis zu führen.

Damit soll jedoch nicht gesagt sein, daß Plato den spartanischen Staat blos abgeschrieben hat. Dazu war er denn doch zu sehr Philosoph und dazu sah er die Schäden zu genan, an denen dieser Staat zu seiner Zeit schon krankte. Die Macht und der Reichthum, die Sparta durch den peloponnesischen Krieg und nach ihm erlangte, korrumpirten es ebenso schnell, wie Athen durch seine Siege in den Perserkriegen und deren Konsequenzen korrumpirt wurde. Die Reste eines urwüchsigen Kommunismus, die sich in Sparta noch erhalten hatten, boten ebensowenig Schutz dagegen, als die Ruinen einer Ritterburg Schutz vor der modernen Artillerie gewähren. Sie sanken zu bloßen Formen herab. Ihre größte Wichtigkeit zu Plato’s Zeit bestand vielleicht in der Anregung, die sie dem Geist des Forschers und Denkers gaben, kommunistische Zustände für möglich und wünschenswerth zu halten und aus den Gedankenkeimen, die sie boten, das konsequent durchgeführte System eines Kommunismus zu entwickeln, der zu seiner Zeit wenigstens ideell möglich war.

Allerdings nur ideell. Plato war Aristokrat, aber seine aristokratische Gesinnung bethätigte sich nur in der Abneigung gegenüber dem niederen Volk, nicht in dem Zutrauen zu seinen Standesgenossen. Er zweifelte an diesen ebenso wie an jenen. Der rohe spartanische Militarismus und die rücksichtslose spartanische Ausbeutungswirthschaft behagten ihm ebensowenig wie die athenische Volksherrschaft.

Darum theilte er in seinem Idealstaate die obere Klasse, die der Wächter, in zwei Unterabtheilungen: die Krieger und die Regenten. Nur die Letzteren sollen den Staat regieren, sie aber sollen Philosophen sein. Die Herrschaft des Kriegsadels war in seinen Augen ebenso verderblich wie die des Volkes, das zu seiner Zeit bereits zum großen Theil aus Lumpenproletariern bestand. Blos dies Herrschaft der Philosophen kann eine vernünftige Staatsleitung verbürgen.

„Ehe nicht das Geschlecht der Philosophen Herr im Staate wird (ἐγϰρατἐς γένηται),wird weder für den Staat noch für die Bürger ein Ende des Unglücks sein, noch wird die Verfassung, die wir ersonnen haben, in Erfüllung gehen.“ (VI. Buch, 13. Kap. Vgl. V. Buch, 15. Kap.)

Wie aber sollen die Philosophen im Staate zur Herrschaft gelangen? Nicht durch Antheilnahme an den politischen Kämpfen des Volkes, sondern dadurch, daß sie einen Alleinherrscher für sich gewinnen. (VI. Buch, 14. Kap.) [9]

Wir wissen bereits, welche Erfahrungen Plato mit seinem Versuch machte, einen Alleinherrscher für seine Ideen zu interessiren.

Sein Schicksal war das Schicksal aller Utopisten nach ihm, das heißt aller derjenigen, die eine Erneuerung von Staat und Gesellschaft anstrebten, ohne in dieser selbst die dazu nöthigen Faktoren zu finden; sie mußten auf einen Akt großmüthiger Willkür eines politischen oder finanziellen Alleinherrschers hoffen, eines philosophischen Königs oder eines philosophischen Millionärs.

Zu Plato’s Zeit gab es in den Staaten, die er kannte, keine Volksschicht mehr, von der er eine Regeneration des Staates hätte erwarten können. Alles war angefault und zerfressen und bereits spukte die Idee einer Alleinherrschaft als letzte Rettung des Staates auch in den Köpfen von Republikanern. Xenophon, der Mitschüler Plato’s, schrieb einen Staatsroman, die Kyropädie, in dem der Segen der Herrschaft eines wohlerzogenen Königs gepriesen wird.

Bald nach Plato fingen die Philosophen an, in der Alleinherrschaft nicht mehr ein Mittel zu sehen, sie zur Herrschaft im Staate zu bringen, sondern nur noch ein Mittel, sie der 1ästigen Sorge um Staatsangelegenheiten zu entheben. Die Auflösung des Staates vollzieht sich auch im allgemeinen Bewußtsein. Es ist nicht mehr das Gemeinwesen, was die Philosophen beschäftigt, sondern das liebe Ich. Nicht nach der besten Staatsverfassung suchen sie mehr, sondern nach der besten Methode für den Einzelnen, auf eigene Faust glückselig zu werden.

Es entwickelt sich allmälig die Atmosphäre, der das Christenthum entspringt.


Fußnoten

1. Die Gerichtshöfe (Dikasterien) in Athen waren Schwurgerichtshöfe; jeder derselben bestand aus fünfhundert Geschworenen (Heliasten).

2. Das Jahr seiner Geburt ist ungewiß. Sie fällt in die Zeit zwischen 429 und 427 vor unserer Zeitrechnung.

3. Großen Einfluß übten auf ihn namentlich die Lehren der Pythagoräer und ein tieferes Eingehen in die Mathematik. – Bei dieser Gelegenheit sei mir eine Bemerkung erlaubt. Pythagoras (geboren um 600, gestorben um 510 v. u. Z.) wird häufig als Kommunist und Gründer eines kommunistischen Bundes genannt. „Die Pythogoräer des höheren Grades,“ sagt Zeller, einer der besten Kenner der griechischen Philosophie, „lebten den späteren Angaben zufolge in vollständiger Gütergemeinschaft, nach einer genau vorgeschriebenen, als göttliche Satzung von ihnen verehrten Lebensordnung, zu der neben durchaus leinener Kleidung namentlich auch die gänzliche Enthaltung von blutigen Opfern und Fleischspeisen, von Bohnen und einigen anderen Nahrungsmitteln gehört haben soll; selbst der Grundsatz der Ehelosigkeit wird ihnen beigelegt.“ „Aber,“ fährt Zeller fort, „ältere Zeugen freilich, die mehr Glauben verdienen, wissen nichts von der Gütergemeinschaft,“ und er kommt zu dem Schlusse: „Was Spätere von ihrer Gütergemeinschaft erzählen, ist ganz sicher fabelhaft.“ Zeller, Die Philosophie der Griechen, 3. Aufl., Leipzig 1869, I, S. 270–279). Der angebliche pythagoräische Kommunismus ist jedenfalls eine spätere Erfindung, bei der wohl das platonische Vorbild maßgebend gewesen ist. Auf keinen Fall kann man sagen, daß der Kommunismus Plato’s Pythagoras entnommen sei.

In den geschichtlichen Darstellungen des griechischen Kommunismus findet in der Regel der pythagoräische neben dem platonischen eine Stelle. Es genügt hier wohl, auf den fabelhaften Charakter des ersteren zu verweisen. Vgl. darüber neben Zeller auch R. Pöhlmann, Geschichte des antiken Kommunismus und Sozialismus, München 1893, I, S. 53, und Drumann, Die Arbeiter und Kommunisten in Griechenland und Rom, Königsberg 1860, § 19.

4. Das Wort von den zwei Nationen, die im Staate wohnen, hat, wie man sieht, nicht Disraeli erfunden; es ist mehr als zwei Jahrtausende älter.

5. Oder vielmehr Sokrates. Das ganze Werk ist, wie die platonischen Abhandlungen überhaupt, in die Form eines Gesprächs gebracht, in dem meist, so auch hier, Sokrates als der Hauptsprecher auftritt.

6. Man sieht, es ist falsch, wenn man der kapitalistischen Produktionsweise die Schuld giebt, daß die Ehe ein Geldgeschäft geworden sei. Die gesetzlich geschützte Einehe ist es von jeher gewesen. Sie ist ein Kind des Privateigenthums und des Erbrechtes. Die kapitalistische Produktionsweise hat vielmehr Verhältnisse geschaffen, unter denen die individuelle Geschlechtsliebe – das leidenschaftliche Bedürfniß, einer bestimmten Person des anderen Geschlechts anzugehören und keiner anderen, dieser aber für immer – zu einem anerkannten Faktor im gesellschaftlichen Leben werden konnte. Für die Moral der heutigen Gesellschaft ist dadurch eine Ehe, die ein bloßes Geldgeschäft ist, zu einem unsittlichen Verhältniß geworden. Da aber die kapitalistische Produktionsweise die ökonomischen Wurzeln des Ehegeschäfts bestehen läßt, ja verstärkt, bewirkt diese moralische Anschauung nicht, daß die Ehe aufhört, ein Geldgeschäft zu sein, sondern nur, daß man sich bemüht, diesen Charakter zu verbergen, daß die Eheschließenden gezwungen sind so zu thun, als sei es wirklich die Liebe, die sie zu ihrem Bunde dränge. An Stelle der heidnischen Offenherzigkeit ist christliche Heuchelei getreten. Natürlich gilt das vornehmlich für die Ehen der Besitzenden.

7. „Der Bourgeois sieht in seiner Frau ein bloßes Produktionsinstrument. Er hört, daß die Produktionsinstrumente gemeinsam ausgebeutet werden sollen und kann sich natürlich nichts Anderes denken, als daß das Loos der Gemeinschaftlichkeit die Weiber gleichfalls treffen soll.“ (Das kommunistische Manifest)

8. Sie äußerten sich durch Verschwörungen, Landesverrath, ja durch die meuchlerische Ermordung hervorragender Demokraten und Feldherren.

9. Eine verblüffende Entdeckung hat der jüngste Forscher über den platonischen Kommunismus gemacht, der bereits erwähnte Herr Professor Robert Pöhlmann. Den philosophischen Absolutismus, den Plato gefordert, erklärt er für verwirklicht im – deutschen Reich: „Erscheint diese Forderung nicht geradezu wie ein prophetischer Hinweis auf eine wahrhaft staatliche Monarchie, wie sie vor Allem der deutsche Staat verwirklicht hat?“ Wer aber sind die Staatsphilosophen, die über den Klasseninteressen der Besitzenden sowohl wie der Besitzlosen stehen? Es sind „unsere heutigen Staats- und Kommunalbeamten, Geistliche, Lehrer, Offiziere u. s. w., in der Mehrzahl Leute, denen ohne oder doch ohne großen Besitz höchste Bildung zugänglich ist“ u. s. w. „Eben dies, die Schaffung einer so gestellten und so gesinnten Gesellschaftsschicht, wie sie der moderne Staat besitzt und der damalige entbehrte, ist von Plato mit genialem Scharfblick als eine Haupt- und Grundfrage aller Politik erkannt worden.“ (Geschichte des antiken Kommunismus und Sozialismus) Die Auffassung, daß die ganze weltgeschichtliche Entwicklung seit dem Mittelalter kein anderes Ziel gehabt habe, als die Alles überstrahlende Herrlichkeit der Hohenzollern’schen Dynastie und ihres Staates zu offenbaren, ist bei einem deutschen Geschichtsprofessor etwas Selbstverständliches. Aber zu diesem Zwecke bis ins graue Alterthum zurückzugehen und Plato zum Vorkämpfer der Herrschaft der preußischen Junker- und Bureaukratenthums zu machen – das hat vor Herrn Pöhlmann doch Niemand gewagt.

Daß ein deutscher Gelehrter mit der feierlichsten Miene von der Welt dem griechischen Philosophen die Pickelhaube aufsetzen kann, ohne von einem Sturm von Hohngelächter begraben zu werden, ist bezeichnend für die heutige deutsche Geschichtswissenschaft und ihr Publikum.


Zuletzt aktualisiert am: 2.2.2011