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Wir haben im zweiten Kapitel die Entwicklung der Waarenzirkulation aus dem Produktenaustausch verfolgt.
Gehen wir jetzt einen Schritt weiter. Unter der einfachen Waarenzirkulation verkauft der Waarenbesitzer seine Waaren, um andere zu kaufen. Aber mit der Zeit entwickelt sich aus dieser Form der Zirkulation der Waaren eine neue Bewegungsform: kaufen, um zu verkaufen. Die Formel der einfachen Waarenzirkulation lautet, wie wir wissen, Waare—Geld—Waare; die Formel der neuen Zirkulationsform lautet Geld—Waare—Geld.
Vergleichen wir beide Formeln miteinander.
Die Bewegung Waare—Geld—Waare hat zum Ziel den Konsum. Ich verkaufe eine Waare, die Nichtgebrauchswerth für mich, um andere erlangen zu können, die für mich Gebrauchswerthe darstellen. Der Kreislauf Waare—Geld—Waare ist ein in sich abgeschlossener. Das im Verkauf gelöste Geld wird in eine Waare verwandelt, die konsumirt wird, die aus der Zirkulation fällt. Das Geld selbst ist ein für alle Mal ausgegeben, es entfernt sich in seinem Lauf von seinem früheren Besitzer. Die Waare, mit der der Kreislauf endete, ist unter den für die einfache Waarenzirkulation normalen Umständen, und nur um solche kann es sich hier handeln, an Werth gleich derjenigen, mit welcher der Kreislauf begann.
Anders der Kreislauf Geld—Waare—Geld. Dieser hat nicht den Konsum zum Zweck; was am Schluß des Kreislaufs steht, ist nicht Waare, sondern Geld. Das Geld, das in dessen Beginn in die Zirkulation geworfen worden, ist nicht ausgegeben, sondern blos vorgeschossen. Es kehrt wieder zu seinem ursprünglichen Besitzer zurück. Der Kreislauf selbst ist kein in sich abgeschlossener, er treibt über sich selbst hinaus; das Geld, das vorgeschossen worden, kehrt zurück, um wieder von Neuem in die Zirkulation geworfen zu werden und wieder zurückzukehren, damit sich das Spiel endlos wiederhole. Die Bewegung des Geldes, die durch den Kreislauf Geld—Waare—Geld erzeugt wird, ist eine maßlose.
Welches ist aber die Triebkraft dieser Bewegung? Der Beweggrund des Kreislaufs Waare—Geld—Waare ist klar; erscheint dagegen der Kreislauf Geld—Waare—Geld nicht sinnlos? Wenn ich eine Bibel verkaufe, um mir für den Erlös Brot zu kaufen, so ist die Waare am Ende des Kreislaufs eine andere, als die am Anfang, wenn auch ihr Werth derselbe. Die eine stillt meinen geistigen Hunger, nützt mir aber sehr wenig, wenn dieser gestillt ist, wenn ich z. B. die Bibel auswendig kenne, aber keine Mittel besitze, meinen leiblichen Hunger zu stillen. Wenn ich aber für 100 Mark Kartoffeln kaufe, um sie wieder für 100 Mark zu verkaufen, so bin ich am Ende so weit, wie am Anfang; der ganze Vorgang hat weder Zweck noch Vortheil. Ein solcher läge nur darin, wenn die Geldsumme am Ende der Transaktion eine andere wäre, als die am Anfang. Eine Geldsumme unterscheidet sich aber von der anderen nur durch ihre Größe. Der Kreislauf Geld—Waare—Geld hat also nur dann einen Zweck, wenn die Geldsumme, mit der er endet, eine größere ist, als die, mit der er beginnt. Und diese Vermehrung der Geldsummen ist denn auch in der That das treibende Motiv des Kreislaufs. Wer kauft, um zu verkaufen, kauft, um theurer zu verkaufen. Der Kreislauf Geld—Waare—Geld verläuft nur normal, wenn die Geldsumme am Ende eine größere ist, wie zu dessen Beginn. Der Kreislauf Waare—Geld—Waare geht hingegen, wie wir wissen, nur dann normal vor sich, wenn der Werth der Waare, mit der er schließt, der gleiche, wie der der Waare, mit der er beginnt.
Jeder Kauf ist ein Verkauf und umgekehrt. Der Kreislauf Geld—Waare—Geld scheint daher auf dasselbe hinauszulaufen, wie der Kreislauf Waare—Geld—Waare. Wir sehen aber jetzt schon, daß beide Kreisläufe von einander wesentlich verschieden sind.
Wenn ich, um bei unserem Beispiel zu bleiben, Kartoffelm um 100 Mark kaufe, um sie wieder zu verkaufen, so thue ich das mit der Absicht, sie theurer zu verkaufen, vielleicht um 110 Mark, d. h. 100 + 10 Mark, also, allgemein gesprochen, um eine Summe, gleich der ursprünglichen, vermehrt um einen Zusatz. Bezeichnen wir die Waare mit W, die ursprüngliche Geldsumme mit G, die zusätzliche Geldsumme mit g, so können wir die vollständige Formel in folgender Weise darstellen:
G—W—(G + g)
Dieses g, den zusätzlichen Werth, der über den ursprünglich vorgeschossenen Werth am Ende dieses Kreislaufs zu Tage tritt, nennt Marx den Mehrwerth. Dieser ist mit seinen Erscheinungsformen, Profit, Zins u. s. w., ebensowenig zu verwechseln, als der Werth mit dem Preis. Es handelt sich bisher in unserer Darstellung noch vielfach nur um die Grundlagen, nicht um die Erscheinungsformen der ökonomischen Kategorien. Dies, um Mißverständnisse zu vermeiden.
Der Mehrwerth bildet die bestimmende Eigenthümlichkeit des Kreislaufs G—W—(G + g). Der Werth, der sich in dieser Form des Kreislaufs bewegt, erhält durch den Mehrwerth selbst einen neuen Charakter, er wird – Kapital.
Nur in dieser Bewegung kann das Kapital begriffen werden. Es ist Mehrwerth heckender Werth. Wer von dieser Bewegung absieht, und das Kapital als ruhendes Ding erfassen will, wird stets auf Widersprüche stoßen. Daher die Konfusion in den herkömmlichen Lehrbüchern über den Begriff des Kapitals, über die Frage, welche Dinge als Kapital aufzufassen sind. Der eine definirt es als Werkzeug – da kommen wir zum Kapitalisten der Steinzeit, ja, der Affe, der mit einem Stein Nüsse aufschlägt, ist auch schon Kapitalist; ebenso wird der Stock des Vagabunden, mit dem dieser Früchte vom Baum schlägt, zum Kapital, der Vagabund selbst zum Kapitalisten. Andere definiren das Kapital als aufgespeicherte Arbeit, wodurch Hamstern und Ameisen die Ehre zu Theil wird, als Kollegen von Rothschild, Bleichröder und Krupp zu figuriren. Einige Oekonomen gar haben Alles, was die Arbeit fördert und produktiver macht, zum Kapital gerechnet, den Staat, das Wissen des Menschen, seine Seele.
Es ist klar, daß solche allgemeine Definitionen nur zu Gemeinplätzen führen, die in Kinderfibeln ganz erbaulich zu lesen sind, jedoch unsere Erkenntniß der menschlichen Gesellschaftsformen, ihrer Gesetze und Triebfedern, nicht im mindesten fördern. Erst Marx hat den Gemeinplatz aus der politischen Oekonomie völlig verbannt, der vor ihm in manchen ihrer Gebiete fast unumschränkt herrschte. Besonders gilt dies für das Gebiet der Darlegung der Eigenthümlichkeiten des Kapitals.
Wir haben gesehen, daß Kapital Mehrwerth heckender Werth ist, seine allgemeine Formel die: G—W—(G +g). Aus dieser geht schon hervor, was die Thatsachen bestätigen, daß die Geldform diejenige Form ist, in der jedes neue Kapital seine Bewegung beginnt. Man sieht aber auch aus ihr, daß diese Bewegung die Verwandlung des Kapitals aus der Geldform in die verschiedenartigen Formen der Waarenwelt nothwendigerweise bedingt, und ebenso wieder die Rückverwandlung aus diesen Formen in Geld.
Wir sehen ferner aus dieser Formel, daß nicht jedes Geld, nicht jede Waare Kapital sind, daß sie es nur werden, wenn sie eine bestimmte Bewegung durchmachen. Diese Bewegung hat aber ihrerseits wieder besondere historische Voraussetzungen, die wir noch kennen lernen werden. Das Geld, das ich ausgebe, um einen Konsumtionsgegenstand, etwa ein Brot oder einen Rock für mich zu kaufen, fungirt ebensowenig als Kapital, wie die Waare, die ich selbst produzirt habe und verkaufe, in dieser Transaktion als Kapital fungirt.
Produktionsmittel, aufgehäufte Arbeit &c. bilden allerdings den Stoff des Kapitals, aber nur unter gewissen Umständen. Indem man von diesen absieht, sieht man von den Eigenthümlichkeiten der modernen Produktionsweise ab und verbreitet ein Dunkel über sie, in dem sich sehr gut munkeln läßt, weshalb auch alle die gelehrten und ungelehrten Vertreter des Kapitalismus weder von der Marx’schen Kapitaltheorie, noch von der Werththeorie, auf der sie beruht, etwas wissen wollen.
Wir kennen jetzt die allgemeine Formel des Kapitals: G—W—(G +g). Wir wissen aber noch nicht, woher g, der Mehrwerth, stammt. Die gegebene Formel scheint anzudeuten, daß die Akte des Kaufens oder Verkaufens den Mehrwerth erzeugen, daß dieser also aus der Waarenzirkulation entspringt. Diese Ansicht ist die landläufige, sie beruht aber meist auf einer Verwechslung von Waarenwerth mit Gebrauchswerth. Dies gilt insbesondere von der Behauptung, daß bei einem Tausch beide Theile gewinnen, weil jeder hergiebt, was er nicht braucht, und erlangt, was er braucht. Man drückt das so aus: „Ich gebe etwas weg, was wenig Werth für mich besitzt und empfange dafür etwas, was mehr Werth für mich besitzt.“ Diese Darlegung der Entstehung des Mehrwerthes ist nur dort möglich, wo der Begriff Werth noch ganz nebelhaft ist. Um sich mit dieser Darlegung zufrieden zu stellen, muß man einerseits vergessen, daß der Austausch von Waaren wohl auf der Ungleichheit ihrer Gebrauchswerthe, aber gleichzeitig auch auf der Gleichheit ihrer Waarenwerthe beruht. Auf der anderen Seite muß man aber so gutmüthig sein, wie die meisten Leser der Vulgärökonomen, Alles unbesehen für baare Münze zu nehmen, was diese erzählen, und wirklich zu glauben, daß die geschäftlichen Operationen z. B. eines modernen Kaufmanns mit dem urwüchsigen Tausch zwischen Wilden auf einer Stufe ständen. Wir wissen aber, daß der Mehrwerth nicht auf der Stufe des Tausches, sondern der Waarenzirkulation entsteht, die durch Geld vermittelt wird, und daß der Mehrwerth in mehr Geld zu Tage tritt. Von einem „Gewinn“ durch Erlangung von etwas, das Gebrauchswerth für mich hat, gegen Hingabe von etwas, das keinen Gebrauchswerth für mich hat, kann also bei einer Transaktion nicht die Rede sein, die durch die Formel: G—W—(G + g) ausgedrückt wird.
Wir begegnen hier einem Manöver der Vulgärökonomie, das diese gern anwendet, wo es sich darum handelt, die Erkenntniß der modernen ökonomischen Verhältnisse zu erschweren, was ihre Hauptaufgabe: sie setzt die modernen Erscheinungen denen längst vergangener Zeiten gleich.
Wir haben hier nicht mit dem Tausch, sondern der Waarenzirkulation zu thun. Diese kann ebensowenig wie jener, unter normalen Umständen, einen Mehrwerth bilden, wenn stets gleiche Waarenwerthe für gleiche Waarenwerthe gegeben werden.
Nehmen wir aber an, die Gesetze der Waarenzirkulation würden verletzt; es würde z. B. den Waarenbesitzern das Privilegium verliehen, ihre Waaren mit einem Preisaufschlag von 10 Prozent ihres ursprünglichen Werthes zu verkaufen. Der Schneider verkauft den Rock statt um 30 um 33 Mark. Aber, o Jammer! Das Fäßchen Wein, das er früher um 30 Mark kaufte, muß er jetzt auch mit 33 Mark bezahlen. Er hat also nichts gewonnen.
Wir können noch den Versuch machen, die Entstehung des Mehrwerthes dadurch zu erklären, daß nicht alle, sondern nur einige Waarenbesitzer es verstehen, die Waaren unter ihrem Werth zu kaufen, über ihrem Werth zu verkaufen. Ein Kaufmann kaufe vom Landmann 40 Zentner Kartoffeln, die 100 Mark werth sind, um 90 Mark, und verkaufe sie um 110 Mark an den Schneider. Am Ende des Vorganges befindet sich allerdings in den Händen des Kaufmanns ein größerer Werth, als an dessen Beginn. Aber die Gesammtmasse der vorhandenen Werthe ist dieselbe geblieben. Wir hatten zu Beginn Werthe von 100 Mark (der Landmann) + 90 Mark (der Kaufmann) + 110 Mark (der Schneider) = 300 Mark. Am Schluß 90 Mark (der Landmann) + 110 Mark (der Kaufmann) + 100 Mark (der Schneider) = 300 Mark.
Der größere Werth in den Händen des Kaufmanns ist also nicht aus einer Werthvermehrung entstanden, sondern aus einer Verminderung der Werthe in den Händen Anderer. Will ich diesen größeren Werth Mehrwerth nennen, so kann ich ebenso gut den Werth, den ein Dieb einem Anderen direkt aus der Tasche stiehlt, Mehrwerth nennen.
Der historische Beginn der Aneignung von Mehrwerth geschah allerdings in dieser Weise, in der Aneignung fremder Werthe, entweder durch Vermittlung der Waarenzirkulation durch das Kaufmannskapital, oder ganz unverhüllt ohne diese Vermittlung, durch das Wucherkapital. Aber diese beiden Kapitalarten waren nur möglich durch Verletzung der Gesetze der Waarenzirkulation, durch offenbare und grobe Verletzung ihres Grundgesetzes, daß Werthe nur gegen gleiche Werthe ausgetauscht werden. Das Kapital stand daher, so lange es nur Kaufmanns- und Wucherkapital war, im Gegensatz zu der ökonomischen Organisation seiner Zeit und damit auch im Gegensatz zu deren moralischen Anschauungen. Im Alterthum ebenso wie im Mittelalter standen Handel und namentlich Wucher in schlechtem Geruch; sie wurden in gleicher Weise gebrandmarkt von antiken heidnischen Philosophen wie von Kirchenvätern; von Päpsten wie von Reformatoren.
Wenn wir einen Typus der Säugethiere aufstellen wollen, werden wir nicht das eierlegende Schnabelthier in erste Linie setzen. So dürfen wir auch nicht, wenn wir das Kapital erkennen wollen, welches den ökonomischen Ban der modernen Gesellschaft bestimmt, von dessen sozusagen vorsintfluthlichen Formen, dem Wucher- und Handelskapital, ausgehen. Erst nachdem eine andere, höhere Form des Kapitals sich gebildet, bilden sich auch Mittelglieder, welche die Funktionen des Handelskapitals und zinstragenden Kapitals in Einklang bringen mit den Gesetzen der jetzt herrschenden Form der Waarenproduktion. Erst von da hören sie auf, mit Nothwendigkeit von vornherein den Charakter der simplen Prellerei und des direkten Raubes zu tragen. Handelskapital und Wucherkapital können erst begriffen werden nach der Erkenntniß der modernen Grundform des Kapitals.
Es ist demnach begreiflich, warum Marx das Handels- und zinstragende Kapital in den ersten zwei Bänden des Kapital nicht behandelt hat; diese gelten der Erforschung der Grundgesetze des Kapitals.
Wir haben uns hier also mit den beiden ersterwähnten Kapitalformen nicht weiter zu befassen. Was als Ergebniß der Untersuchung festzuhalten, ist die Thatsache, daß der Mehrwerth nicht aus der Waarenzirkulation entspringen kann. Weder Kauf noch Verkauf schaffen Mehrwerth.
Aber andererseits kann der Mehrwerth auch nicht außerhalb des Bereichs der Zirkulation entstehen. Ein Waarenbesitzer kann durch Arbeit eine Waare umformen und ihr so neuen Werth zusetzen, der durch das Maß der gesellschaftllch nothwendigen Arbeit bestimmt ist, die aufzuwenden war, aber der Werth der ursprünglichen Waare wird dadurch nicht erhöht; diese erhält dadurch keinen Mehrwerth. Wenn ein Seidenweber Seide im Werth von 100 Mark kauft und zu einem Seidenstoff verarbeitet, so wird der Werth dieses Stoffes gleich sein dem Werth der Seide, vermehrt um den Werth, den die Arbeit des Webers geschaffen. Der Werth der Seide als solcher ist durch diese Arbeit nicht erhöht worden.
So stehen wir vor einem sonderbaren Räthsel: Der Mehrwerth wird nicht durch die Waarenzirkulation erzeugt. Er wird nicht erzeugt außerhalb ihres Bereichs.
Sehen wir uns die allgemeine Formel des Kapitals näher an. Sie lautet G—W—(G + g). Sie setzt sich aus zwei Akten zusammen: G—W, Kauf der Waare, W—(G + g), Verkauf. Nach den Gesetzen der Waarenzirkulation muß der Werth von G gleich sein W, W aber gleich G + g. Dies ist nur möglich, wenn W sich selbst vergrößert, wenn W eine Waare ist, die während ihres Verbrauchs einen größeren Werth erzeugt, als sie selbst besitzt. Das Räthsel des Mehrwerthes ist gelöst, sobald wir eine Waare finden, deren Gebrauchswerth die eigenthümliche Beschaffenheit besitzt, Quelle von Werth zu sein, deren Verbrauch die Schaffung von Werth ist, so daß die Formel G—W—(G + g) in Bezug auf sie lautet G—W . . . (W +w)—(G + g).
Wir wissen aber, daß Waarenwerthe nur durch Arbeit geschaffen werden. Die obige Formel kann also nur dann sich verwirklichen, wenn die Arbeitskraft eine Waare ist.
„Unter Arbeitskraft oder Arbeitsvermögen,“ sagt Marx, „verstehen wir den Inbegriff der physischen und geistigen Fähigkeiten, die in der Leiblichkeit, der lebendigen Persönlichkeit eines Menschen existiren und die er in Bewegung setzt, so oft er Gebrauchswerthe irgend einer Art produzirt.“
Die Arbeitskraft muß als Waare auf dem Markt erscheinen. Was heißt das? Wir haben oben gesehen, daß der Waarenaustausch das völlig freie Verfügungsrecht der Waarenbesitzer über ihre Waare zur Voraussetzung hat. Der Besitzer der Arbeitskraft, der Arbeiter, muß also ein freier Mann sein, wenn seine Arbeitskraft soll Waare werden können. Seine Arbeitskraft muß Waare bleiben; er darf sie daher nicht für immer, sondern nur für bestimmte Zeitabschnitte verkaufen, sonst wird er zum Sklaven und verwandelt sich aus einem Waarenbesitzer in eine Waare.
Noch eine andere Bedingung muß erfüllt sein, soll die Arbeitskraft zur Waare werden. Wir haben gesehen, daß ein Gebrauchswerth, um Waare zu werden, Nichtgebrauchswerth für seinen Besitzer sein muß. So muß auch die Arbeitskraft ein Nichtgebrauchswerth für den Arbeiter sein, wenn sie als Waare auf dem Markt erscheinen soll. Der Gebrauchswerth der Arbeitskraft besteht aber in der Erzeugung anderer Gebrauchswerthe; diese hat zur Voraussetzung die Verfügung über die nöthigen Produktionsmittel. Wo der Arbeiter über die Produktionsmittel verfügt, verkauft er nicht seine Arbeitskraft, sondern wendet sie selbst an und verkauft seine Produkte. Der Arbeiter muß von den Produktionsmitteln getrennt sein, vor Allem von dem wichtigsten derselben, dem Grund und Boden, soll die Arbeitskraft zur Waare werden.
Der Arbeiter muß frei sein in jeder Beziehung, frei von jeder persönlichen Abhängigkeit, aber auch los und ledig aller nöthigen Produktionsmittel: das sind die Vorbedingungen, soll der Geldbesitzer sein Geld in Kapital verwandeln können. Diese Vorbedingungen sind weder von Natur gegeben, noch sind sie allen Gesellschaftsformen eigen. Sie sind das Resultat einer langwierigen historischen Entwicklung, und erst verhältnißmäßig spät treten sie in solcher Ausdehnung auf, um bestimmend auf die Formation der Gesellschaft einzuwirken. Mit dem 16. Jahrhundert beginnt die moderne Lebensgeschichte des Kapitals.
Wir kennen jetzt die Waare, welche den Mehrwerth schafft. Wie hoch ist ihr eigener Werth?
Er wird bestimmt, wie der jeder anderen Waare, durch die zu ihrer Herstellung, also auch Wiederherstellung gesellschaftlich nothwendige Arbeitszeit.
Die Arbeitskraft setzt die Existenz des Arbeiters voraus. Diese Existenz bedarf ihrerseits wieder zu ihrer Erhaltung einer gewissen Summe von Lebensmitteln. Die zur Herstellung der Arbeitskraft nothwendige Arbeitszeit ist also gleich der Arbeitszeit, die gesellschaftlich nothwendig, um diese gewisse Summe von Lebensmitteln herzustellen. Eine Reihe von Umständen bestimmt die Größe dieser Summe. Je mehr Arbeitskraft der Arbeiter ausgiebt, je länger und angestrengter er arbeitet, desto mehr Lebensmittel bedarf er, um die Kraftausgabe wieder zu ersetzen, um am nächsten Tag ebenso arbeiten zu können, wie am vorhergehenden. Andererseits sind die Bedürfnisse der Arbeiterklassen verschiedener Länder verschieden nach den natürlichen und kulturellen Eigenthümlichkeiten jedes Landes. Ein norwegischer Arbeiter braucht eine größere Summe von Lebensmitteln, als ein indischer; die Nahrung, Kleidung, Wohnung, Feuerung &c., deren der erstere bedarf, um bestehen zu können, erfordern eine größere Arbeitszeit zu ihrer Herstellung, als die Lebensmittel des indischen Arbeiters. Ferner: In einem Lande, wo die Arbeiter z. B. barfüßig herumlaufen, oder nichts lesen, werden ihre Bedürfnisse geringer sein, als dort, wo sie höher entwickelt sind, wo sie z. B. Fußbekleidungen tragen oder Zeitungen und Bücher lesen, selbst wenn keinerlei klimatische und sonstige natürliche Unterschiede vorhanden. „Im Gegensatz zu anderen Waaren“, sagt Marx, „enthält also die Werthbestimmung der Arbeitskraft ein historisches und moralisches Element.“
Der Arbeiter ist ferner, wie Jedermann weiß, sterblich. Das Kapital aber will unsterblich sein. Dazu ist nothwendig, daß die Arbeiterklasse unsterblich sei, daß die Arbeiter sich fortpflanzen. Die Summe der zur Erhaltung der Arbeitskraft nothwendigen Lebensmittel schließt also auch die zur Erhaltung der Kinder (unter Umständen auch der Frauen) nothwendigen Lebensmittel ein.
Endlich sind zu den Produktionskosten der Arbeitskraft auch ihre Bildungskosten zu rechnen, die Kosten, erforderlich zur Erlangung einer gewissen Fertigkeit in einem bestimmten Arbeitszweig. Für die Mehrzahl der Arbeiter sind diese Kosten verschwindend klein.
Alle diese Bestimmungsgründe bewirken, daß der Werth der Arbeitskraft einer bestimmten Arbeiterklasse in einem bestimmten Land und zu einem bestimmten Zeitpunkt eine bestimmte Größe ist.
Wir haben bisher nicht vom Preis gehandelt, sondern vom Werth; nicht vom Profit, sondern vom Mehrwerth. So muß man auch hier im Auge behalten, daß wir vom Werth der Arbeitskraft handeln, nicht vom Arbeitslohn. Auf eine Eigenthümlichkeit, die bei der Bezahlung der Arbeitskraft stattfindet, muß jedoch schon hier hingewiesen werden. Nach vulgärökonomischer Ansicht schießt der Kapitalist dem Arbeiter den Lohn vor, weil der Kapitalist den Arbeiter in den meisten Fällen bezahlt, ehe er die Produkte von dessen Arbeit verkauft hat. In Wirklichkeit aber ist es der Arbeiter, der dem Kapitalisten seine Arbeitsleistung kreditirt.
Nehmen wir an, ich kaufe Kartoffeln, um aus ihnen Schnaps herzustellen. Ich bezahle die Kartoffeln erst, nachdem ich den Schnaps erzeugt, aber ehe ich den Schnaps verkauft. Wäre es nun nicht lächerlich, wenn ich behaupten würde, ich schösse dem Landmann den Preis seiner Kartoffeln vor, weil ich diese bezahlt, ehe ich den Schnaps verkauft? Nein, der Landmann kreditirt mir vielmehr den Preis seiner Kartoffeln, bis ich aus ihnen Schnaps erzeugt. Wenn ich sage, ich zahle baar, so sage ich damit, daß ich die Waare bezahle, sobald ich sie kaufe. Die Kaufleute würden sich sehr über die ökonomische Weisheit wundern, die behauptete, daß Derjenige, der ihre Waaren erst bezahlt, nachdem er sie verbraucht, nicht nur baar zahle, sondern ihnen sogar das Geld vorschieße. Den Arbeitern aber wagen die Vulgärökonomen dergleichen Unsinn immer noch vorzuschwätzen. Wenn den Arbeitern ihre Waare Arbeitskraft gegen baar abgenommen würde, müßte sie in dem Augenblick bezahlt werden, wo sie in den Besitz des Kapitalisten übergeht, also am Beginn jeder Woche, nicht an ihrem Ende. Bei dem heutigen System der Bezahlung riskiren nicht nur die Arbeiter ihren Lohn, sie sind auch gezwungen, auf Borg zu leben und deswegen alle Verfälschungen und Verschlechterungen der Lebensmittel durch die Zwischenhändler ruhig über sich ergehen zu lassen. Je länger die Periode der Lohnzahlung, desto schlimmer sind die Arbeiter daran. Eine vierzehntägige oder gar monatliche Lohnzahlung ist eine der drückendsten Lasten für den Lohnarbeiter.
Wie immer aber auch das System der Lohnzahlung sein möge, stets stehen Arbeiter und Kapitalist einander unter normalen Verhältnissen gegenüber wie zwei Waarenbesitzer, die gleiche Werthe gegenseitig austauschen. Das Kapital bewegt sich jetzt nicht mehr im Widerspruch gegen die Gesetze der Waarenzirkulation, sondern auf Grund dieser Gesetze. Arbeiter und Kapitalist stehen sich als Waarenbesitzer, also als freie und gleiche von einander persönlich unabhängige Personen gegenüber; sie gehören als solche zur selben Klasse, sie sind Brüder. Arbeiter und Kapitalist tauschen gleiche Werthe gegen einander aus: das Reich der Gerechtigkeit, der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit scheint also mit der Herrschaft des Lohnsystems angebrochen, das tausendjährige Reich des Glückes und Friedens. Der Jammer der Knechtschaft und der Tyrannei, der Ausbeutung und des Faustrechts liegt hinter uns.
So verkünden uns die gelehrten Vertreter der Interessen des Kapitals.
Zuletzt aktualisiert am 14.1.2011