K. Kautsky

Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
der nationalen Wirthschaftspolitik

(1881)


IAus Jahrbuch für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, II. Jg., Zürich 1881, S. 157–169.
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Oswald Stein
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der nationalen Wirthschaftspolitik
Ein Handbuch für das deutsche Volk

Bern und Leipzig, Georg Frobeen & Cie. 1880. XVI und 383 S.

Ein mit List’schen und Carey’schen Phrasen verbrämtes, in Dühring’scher Manier geschriebenes systemloses Konglomerat Bismarck’scher Ansichten über Wirthschaftspolitik: das ist, mit kurzem Worten charakterisirt, das vorliegende Buch. Es ist ein Versuch, die Wirthschaftspolitik des Fürsten Bismarck den Halbgebildeten mundgerecht zu machen. Von System und Wissenschaftlichkeit kann da natürlich keine Rede sein; Herr Stein fühlt das selbst sehr gut und kommt einem Angriffe zuvor, indem er selbst die Offensive gegen Alles ergreift, was sich Wissenschaft nennt, und die Routine hoch leben lässt.

„Ueber die von den Doktrinären zum Einfangen des gesunden Menschenverstandes errichteten Verhaue und Wolfsgruben kommen wir indessen leicht hinweg, wenn wir uns im nüchternen praktischen Leben Rathes erholen.“ (pag. 304)

Natürlich wüthet er gegen alles, was gelehrt heisst, gegen die „dünkelhaften Kasten gelehrter Mandarinen und halbgebildeter Bonzen,“ „die Legion staatlich approbirter Aichmeister aller Wissenschaft und Bildung“ und „den Schwanz eines zahllosen geistigen Proletariats kümmerlicher Dozenten und Literaten,“ unter denen „die Sucht (sic!), zu den bisherigen Erfindungen und Entdeckungen stets neue hinzufügen, wüthet,“ „und sollte diese Entdeckung auch nur in der winzigen Aenderung einer patentirten Definitionsschraube bestehen.“ (pag. 117, 125, 367 etc.)

Ganz in unwissenschaftlicher Manier fasst Herr Stein, der die Nationalökonomie „auf eine neue Grundlage stellen will“ – die Bismarck’sche – Alles rein persönlich auf. Dort, wo er unfähig ist, seine Gegner zu widerlegen, greift er zu dem Mittel, ihre Ehrlichkeit zu verdächtigen und ihre Lehrsätze als das Ergebniss persönlicher Vortheile hinzustellen. Zwei Beispiele werden genügen, seine Beurtheilung von Ricardo und Marx.

Von Ricardo heisst es:

„Auch er geht von jener Selbstsucht aus, welche die Essenz eines Bankiers ausmacht. Im Uebrigen stand er als ‚Mann der Aufklärung‘ – er ‚erwarb‘ sich sein Vermögen an der Börse – mit der politischen und kirchlichen Richtung seines Zeitgenossen (Malthus) nicht im Einklang. An erster Stelle gilt bei dem urchigen Vertreter der Krämer-Oekonomie der Erwerbstrieb, den er im Leben, wie in der Theorie verwerthete.“ (pag. 105)

Nachdem er ihn noch einen „grossen Sophisten und logischen Taschenspieler“ genannt hat, was übrigens Jedem passirt, den Herr Stein nicht versteht, heisst es an anderer Stelle:

„Mit richtigem Takte hat ein italienischer Professor herausgefunden, dass der vielbewunderte und hochgepriesene Ricardo mit ausgesuchter Raffinerie den blanken Unsinn zu beweisen gesucht habe. Der talmudistische Sophist ist in der That nur dadurch berühmt geworden, dass die Pächter der ökonomischen Wissenschaft noch weniger von Nationalökonomie verstanden, als er selber“ ... „Wer sich seine Sinne nicht durch das Geklingel von Redensarten noch durch die Vermengung von Wahrheit und Dichtung gefangen nehmen lässt, wird ohne Weiteres erkennen, dass wir hier einen jener pfiffigen Geschäftsleute vor uns haben, welche gewohnt sind, schlechte Waaren durch gleissende Formen aufzuputzen und für gute an den Mann zu bringen. Ricardo ist das Muster eines redegewandten Charlatans, der Prototyp jener Professoren, die mit möglichst vielen Worten und raschen Wendungen den Mangel an solidem Wissen zu maskiren verstehen“ etc. etc. (pag. 244, 245)

Auf diese Weise „widerlegt“ Herr Stein seine Gegner. Marx erfahrt natürlich von dem grossen Sozialistentödter kein besseres Schicksal.

„Eine besondere Beachtung verdienen noch die Juden unter den Sozialisten. Mit Vorliebe suchen diese theils absichtlich, theils instinktiv allen Hass auf die Industrie abzuladen, und um die Aufmerksamkeit vom Handel noch mehr abzuleiten, haben sie eine neue historische und ökonomische Kategorie, den Kapitalismus erfunden“ ... „den der Jude Karl Marx als Trumpf ausspielt.“ (pag. 186, 201)

Den Kapitalismus erfand er, um den Handel zu retten – die „Internationale“ gründete er, um ein berühmter Mann zu werden.

„Die Verbindung wurde nur ein Jahrzehnt mühsam über Wasser gehalten: Karl Marx wurde ein berühmter und gefürchteter Mann, und damit hatte er genug. Würde die europäische Presse kein Aufhebens von der ‚Intemationale‘ gemacht, noch dem Herrn Marx den gewünschten Gefallen erwiesen haben, ihn mit der Pariser Kommune zu indentifiziren, würden ferner die Regierungen die Gefahr nicht kolossal unterschätzt haben, dann würde Karl Marx vielleicht heute noch nicht im Konversationslexikon stehen. (!) Zwar versammelte sich von Zeit zu Zeit der Generalstab der ‚Intemationale‘, aber dieser Rath dokumentirte sich als ein recht konfuser Generalstab. Der Stabschef legte demselben jedesmal seine Feldzugspläne vor, die Zeitungen schlugen einen Heidenlärm, und – das war der Zweck – der Ruhm des Herrn Marx war wieder für ein Jahr gesichert.“ (pag. 293)

„Gewiss sind nicht alle deutschen Juden unpatriotisch – Lassalle war beispielsweise ein lebhafter Freund der deutschen Sache – aber Karl Marx hat den Juden nicht abgestreift, trotzdem er es als hegelianischer Scholastiker und gelehrter Sophist keck mit jedem deutschen Professor aufnehmen kann.

„Sein Buch, das Kapital, trägt genau den Typ des landläufigen teutonischen Rathedermannes; es ist mit möglichst vielen Anmerkungen, verschrobenen Sätzen, sowie mit den unvermeidlichen ‚Gesetzen‘ und Definitionen gespickt. Kein Wunder, dass die deutschen Nationalökonomen nicht geringen Respekt vor Herrn Marx hegen, und dass auch viele Zeitungen (und zwar nicht einzig wegen Stammes- und Verwandschaftsbeziehungen zwischen dem Verfasser und den Redaktoren) die gleiche Hochachtung zur Schau trugen. In der That blieb das Buch des Herrn Marx unwiderlegt, denn die gegen dasselbe losgelassenen Salbadereien oder Schimpfereien haben dem Verfasser nicht das Geringste geschadet (auch die des Herrn Stein nicht), obwohl es der Mühe werth war, dem grossen Taschenspieler auf seine Schliche zu kommen und seine Beweisführung näher zu prüfen, da das Kapital eigentlich die Bibel der Sozialdemokratie genannt werden darf.“ (pag. 301)

Und so fort mit Grazie in’s Unendliche. Die Philosophie der Statistik ist von einigen Nationalökonomen nur „erfunden worden, damit die ‚melkende‘ Kuh von Staat die sonderbaren Philosophen reichlich mit Butter versorge“ (pag. 361), die Lehre von Kraft und Stoff oder die „Kraftstoffelei“, wie sich Herr Stein geistreich ausdrückt, ist auch nur erfunden worden, weil die „Vertreter derselben bei dem ‚Geschäft‘ ihre Rechnungen finden“ (pag. 368) – kurz, es gibt in der ganzen Wissenschaft nur einen ehrlichen und vernünftigen Menschen, und der nennt sich Oswald Stein.

Untersuchen wir, inwiefern das Selbstgefühl dieses Herrn berechtigt ist.

Vor Allem füllt uns seine Universalität auf. In allen Gebieten ist er zu Hause, in der Philosophie wie in der Naturwissenschaft, in der Geschichte wie in der Nationalökonomie.

Ueber seine Leistungen auf den ersten beiden Gebieten wollen wir uns nur kurz auslassen.

Sein Abscheu vor Gesetzen und Definitionen, den er des Oefteren an den Tag legt, dokumentirt hinreichend seine Befähigung zum Philosophen. Nur der Kuriosität halber sei erwähnt, dass er die „Philosophie des Unbewussten“ des „Berliner Börsenphilosophen“, wie er E. v. Hartmann nennt, für die natumothwendige Konsequenz der Pflege der Statistik und der Naturwissenschaften erklärt (!), oder wie er sich ausdrückt:

„Allenthalben sind die Todtengräber des Idealismus, voran die Nationalökonomen, die ‚Philosophen‘ der Statistik und die Apostel des Fleisches (sic!) an der Arbeit. Die deutsche Wissenschaft ist glücklich im ‚Nirwana‘ des Unbewussten angelangt, ihr höchstes Ziel ist die Mark und die Wurst. – Kant dreht sich im Grabe um ...“ (pag. 372)

Kühn sind auch die naturwissenschaftlichen Hypothesen des Herrn Stein. Mit einer Nonchalance ohne Gleichen „erfindet“ er (hier passt sein ihm so geläufiger Ausdruck sehr gut) Hypothesen wie die, dass die Entwaldung der Gegenden vulkanische Eruptionen hervorrufen könne (pag. 234)! Zum Unglück für ihn finden sich sonderbarer Weise die meisten Vulkane in Mittel- und Südamerika und auf den Sundainseln, Gegenden, in welchen der Mensch der Wälder nicht Herr werden kann in Folge der Ueppigkeit der Vegetation. Gar keine Vulkane finden sich dagegen in den baumlosen Steppen Zentralasiens und in der Sahara.

Etwas näher wollen wir uns die historischen Exkurse betrachten, obgleich wir auch ihnen nicht den Raum schenken können, der nothwendig wäre, um die seichte Oberflächlichkeit des Herrn Stein auch auf diesem Gebiete gehörig zu kennzeichnen. Schon die Methode ist bezeichnend. Auch in der Geschichte fasst Herr Stein Alles persönlich auf, den Einfluss der ökonomischen Verhältnisse auf die historischen Gestaltungen lässt er ganz ausser Acht, was bei einem Nationalökonomen sicher sehr merkwürdig ist. Neben diesem Charakteristikum des Herrn Stein findet sich auch das andere, mit einer beneidenswerthen Leichtigkeit Hypothesen über Ereignisse zu fabriziren, die gar nicht geschehen sind. Die Geschichtsforscher wissen die Geschichte der Chinesen und Inder nur bis ungefähr zum Jahre 2000 v. Chr. zu verfolgen, Herr Stein dagegen kennt sie „mit einiger Zuverlässigkeit bis in das vierte Jahrtausend.“ (pag. 233) Die Phöniker lässt er den Bernstein von der Ostseeküste holen, obgleich derselbe auf dem Landwege anfangs an die Pomündung, später nach Pisa gebracht und von da erst verschifft wurde. Die griechischen Hirten werden zu idyllischen Naturschwärmern gemacht, welche durch die Gedichte Homers die Liebe zur Natur und ihren Schönheiten einsaugten. Die Wissenschaft freilich sagt, dass erst mit der Renaissance der Natursinn erwachte und vor Petrarca kaum ein Dichter irgendwo den Naturgenuss geschildert hat, wie sich denn auch erst um diese Zeit die Landschaftsmalerei entwickelte.

Die grössten Schnitzer lässt sich Herr Stein zu Schulden kommen, wenn er mit Hilfe der Geschichte eine seiner Behauptungen erhärten will. Um die englische Kolonialpolitik zu verurtheilen, sagt er:

„Die Geschichte lehrt uns, dass niemals Kolonien zum Mutterlande eine grössere Anhänglichkeit bewahrt haben, als die von den Phöniziern und Karthagern gegründeten; sie genossen fast dieselbe Freiheit und Selbstständigkeit, wie die Pflanzstadt, während die griechischen, vom Mutterlande in Unterthänigkeit gehaltenen Ansiedlungen sich bald in Opposition zu diesem stellten und eine passende Gelegenheit benutzten, um sich zu befreien.“ (pag. 381)

Bekanntlich ist das gerade Gegentheil davon wahr. Niemand hat wohl seine Pflanzstädte ärger unterdrückt, als Karthago, indess die griechischen in sehr losem Verhältnisse zur Mutterstadt standen. Ein noch grösseres Malheur passirt Herrn Stein, wo er aus der Geschichte beweisen will, dass der Kommunismus verdummend wirke.

„Wie wenig der Agrarkommunismus geeignet ist, diese Ziele zu fordern und die Bevölkerung in Wohlstand, Gesittung und Bildung vorwärts zu bringen, dafür dürfte uns Russland ein genügender Beweis sein. Vor tausend Jahren, da in den Ländern östlich der Elbe und Oder das Privateigenthum herrschend war, standen die slavischen Völker nicht niederer als die angrenzenden germanischen Stämme; im Gegentheil hatte sich in den grossen an der Ostsee und im russischen Tieflande gelegenen Handelsstädten eine sehr bedeutende Kultur entwickelt, welche natürlich nicht ohne Einfluss auf die umliegende Landschaft blieb.“ (pag. 297)

Dagegen „wo der gemeinschaftliche Besitz des Grund und Bodens und der kommunistische Betrieb in neuerer Zeit durchgeführt wurde, war das Resultat individuelle Verknechtung und geistiger Rückschritt.“ (p. 255) Herr Stein weiss also nicht, dass das Gemeineigenthum an Grund und Boden die ursprüngliche Form und das Privateigenthum erst die später entwickelte ist – er erklärt sogar, dass letzteres sich in Indien finde, soweit die Geschichte zurückreicht (pag. 247), in Indien, wo das Gemeineigenthum an Grund und Boden in manchen Gegenden heute noch besteht und überall bestand, bevor die Engländer den Gemeindeverband lockerten.

Ganz blind gegen alle historische Wahrheit, ja völlig toll wird Herr Stein, wenn er auf das Judenthum zu sprechen kommt. Die lächerlichsten Fabeln werden uns da aufgetischt. Allen Ernstes wird uns erzählt, die Semiten seien ihres Schmutzes wegen aus Aegypten vertrieben worden. Ein Theil derselben wandte sich unter Danaos und Kadmos nach Griechenland. Ihre Nachfolger waren die Danaer.

„Die Krämerschlauheit blieb ihnen als hervorstechende Eigenthümlichkeit des Charakters. Sie waren es auch, welche den Rath gaben, den Kampf gegen das heilige Ilion einzustellen und den Trojern jenen hölzernen Gaul zu schenken, welcher diesen zum Verderben gereichen sollte. Daher hat sich durch das ganze Alterthum das Wort von dem bodenlosen Danaidenfass (! in Folge des hölzernen Pferdes! Bekanntlich steht die Sage vom Fasse der Danaiden nicht in mindester Beziehung zum trojanischen Kriege), sowie der Spruch erhalten: Timeo Danaos et dona ferentes.“ (Diesen „Spruch“ hat Virgil zur Zeit von Christi Geburt geschrieben!) (pag. 176)

Damit wäre glücklich der Beweis erbracht, dass es jüdische Hinterlist war, welche Troja eroberte. Eine Entdeckung, welche wir allen Forschern des griechischen Alterthums bestens empfehlen.

Die Juden sind aber nicht nur an allem Unheil Schuld, sie wurden auch seit jeher von allen anderen Nationen gehasst, und zwar „weil sie uns immer nur als widrige Schacher entgegentreten. Dieser Umstand, sowie der Schmutz und die sonstigen Eigenthümlichkeiten, welche ihnen anhafteten, endlich auch die Sorgfalt, mit der sie die Reinheit ihres Blutes zu erhalten Buchten und jede Gemeinschaft mit NichtJuden als unrein zurückwiesen, erhöhten die tiefe Abneigung, welcher sie allenthalben im (römischen Welt) Reiche begegneten.“ (pag. 181) So viel Sätze, so viel Unrichtigkeiten. Was den Schmutz anbelangt, so war der nicht nur bei den Juden, sondern bei allen Völkern des Alterthums, die ästhetischen Athener nicht ausgenommen, einheimisch. Erst unter den Römern entwickelte sich der Begriff der Reinlichkeit. Dass die Juden in der Fremde überall als Schacherer auftraten, kann Jemanden, der den Geist des Alterthums erfasst hat, auch nicht wundern. Widrig wurden sie den anderen Völkern dadurch nicht, weil diese es ebenso machten. Ebenso wie die semitischen Juden trieben auch die indogermanischen Griechen und Römer in der Heimath Landwirthschaft, in die Fremde gingen sie nur, um zu handeln oder die Provinzen zu plündern. Auch die Sorgfalt, die Reinheit des Blutes anfrecht zu halten, ist im Alterthume nichts Merkwürdiges. Das Stammesbewusstsein war bei allen Völkern ursprünglich ungemein stark ausgebildet. Der Unterschied zwischen den Juden und den anderen Bewohnern des römischen Weltreiches bestand blos darin, dass bei den Juden das nationale Leben noch mächtig blieb, als es bei den übrigen Unterthanen Roms bereits erloschen war. Erst in der Kaiserzeit beginnt der Judenhass, weil erst da das zähe Stammesbewusstsein der Juden in grellen Gegensatz zu der Atomisirung der übrigen Nationalitäten trat.

Hier hat Herr Stein ungefähr das Richtige getroffen, wenn er daraus den Judenhass ableiten will. Aber ein zähes nationales Leben zu besitzen, ist doch nichts Schimpfliches, und darum beeilt sich Herr Stein inkonsequent zu sein, nur um noch einige Seiten länger auf die Juden schimpfen zu können. Während er selbst noch auf pag. 181 das zähe Stammesbewusstsein der Juden betont, sagt er drei Seiten später, auf pag. 184 von denselben Juden:

„Von einem einheitlichen Nationalgefühl war bei dieser zusammengewürfelten Horde keine Rede .... Während jeder Nomadenstamm wenigstens seine unverbrüchliche Sitte hat, die ihm als Gesetz gilt, dem Kosaken so gut, wie dem Beduinen und Zigeuner – bestand bei dem Durcheinander von Vollblut, Bastarden und Negern, über welches Moses das Kommando führte, nicht einmal eine einheitliche Sitte.“

Das sind dieselben Leute, welche wegen „der Sorgfalt, die Reinheit ihres Blutes zu erhalten,“ den übrigen Nationen verhasst waren.

Nur noch zwei Aussprüche seien angeführt, um zu beweisen, welche Verwirrung in den Köpfen der furor antisemiticus anrichten kann. Auf pag. 188 wird „die Beschuldigung, dass die Juden Christenkinder todteten“ als durchaus nicht unglaublich hingestellt, und auf pag. 199 heisst es gar:

„Durch den Handel mit Kleidern, Möbeln, Schnittwaaren und dergleichen, machen sie die Industrie von sich abhängig, bestimmen die Verböserung der Fabrikation, die Preise des Marktes und das eherne Lohngesetz.“ (!)

Durch den Handel mit Kleidern bestimmen die Juden das eherne Lohngesetz – Herr Stein hat Recht, dass er vorsichtigerweise gleich von vornherein alle Nationalökonomen für inkompetent erklärt, ihn zu richten.

Damit wären wir auf dem eigentlichen Kampfplätze des Herrn Stein angelangt. Trotzdem können wir uns kürzer fassen, da seine ganze nationalökonomische Erkenntniss darin besteht, den Schutzzoll als soziales Universalheilmittel anzupreisen und jedes nationalökonomische Gesetz, jede Definition für Unsinn zu erklären.

Der kurze Abriss der Geschichte der Nationalökonomie, mit dem er sein Buch beginnt, hat nur den Zweck, dem Merkantilsystem ein Loblied zu singen und daraus die Nothwendigkeit der Schutzzölle zu erweisen. Herr Stein vergisst da zweierlei. Erstens sind die Schutzzölle gar nicht das Charakteristische des Merkantilsystems. Schon die Römer und Griechen kannten Zölle, auch durch’s ganze Mittelalter lässt sich eine Zollgesetzgebung verfolgen, ja, eine seiner Hauptaufgaben sah der Merkantilismus sogar darin, die Zölle, welche die einzelnen Provinzen gegeneinander angerichtet hatten, zu beseitigen. In Bezug auf die Zölle gegen das Ausland beschränkte sich der Merkantilismus grösstentheils darauf, bei ihrer Erlassong nicht blos die fiskalischen Interessen, sondern mehr als bisher auch die Interessen der Industrie zu wahren. Seine Hauptaufgabe aber sah das Merkantilsystem in der positiven Förderung der Industrie, einestheils durch Erleichterung des Verkehrs, Bau von Strassen und Kanälen, anderntheils durch Verschaffung billiger Rohstoffe und guter Absatzmärkte, was beides durch Erwerbung von Kolonien bewrkt wurde. Die Staatsgewalt sorgte aber noch weiter für die Industrie, sie verschaffte ihr Kapital durch Staatsvorschüsse, sie verschaffte ihr auch billige und geschickte Arbeiter. Es ist bekannt, dass die Regierungen keine Kosten scheuten, um sich gegenseitig die besten Arbeiter abwendig zu machen, und dass demgemäss auch, namentlich in England und Frankreich, die Auswanderung solcher Arbeiter strenge verboten war. Die Bourgeoisie erlangte also dasselbe positive Einschreiten der Staatsgewalt zu ihren Gunsten, welches jetzt das Proletariat für sich verlangt, die Schutzzölle waren blos bestimmt, eine Störung der industriellen Entwicklung von aussen her zu verhindern, nicht aber, diese Entwicklung hervorzurufen. Unsere Schutzzöllner würden Ach und Weh schreien, wenn ein moderner Handelsminister die Industrie so „bevormunden“ würde, wie es Colbert gethan.

Zweitens aber sei bemerkt, dass daraus, dass Schutzzölle vor zweihundert Jahren wohlthätig wirkten, nicht folgt, dass dies auch heutzutage der Fall sein müsse. Von allen denen, welche heutzutage nach Schutzzoll schreien, dachte 1872 keiner daran, einen Schutz zu verlangen. Auch ist es merkwürdig, dass gerade diejenigen Staaten am meisten unter der Krisis leiden, bei denen die Industrie sich in letzter Zeit am schnellsten entwickelt hat. Was sollen da Schutzzölle helfen? Die Merkantilisten wandten diese an, um die Produktivität der Industrie vergrössern zu helfen, niemals aber, um der Ueberproduktion entgegenzuarbeiten. Schutzzölle müssen diese noch vermehren, statt sie zu vermindern, indem sie ein neues Stimulans zur Produktion abgeben, ohne zugleich den Konsum zu vermehren. Sie wirken wie der Branntwein, der für den Augenblick die Kräfte erhöht, zugleich aber den Ruin des Körpers beschleunigt. Nur dann, wenn der Staat sich daran macht, die soziale Entwicklung positiv zu fördern, können wir die Schutzzölle als Schutz gegen jede Störung von Aussen acceptiren.

Mit der Schutzzöllnerei geht natürlich Hand in Hand ein wüthender Hass gegen den Handel. Gleich Carey kennt auch Herr Stein den Unterschied zwischen Kapital und Arbeit, zwischen Unternehmer und Lohnarbeiter nicht – der ist ja bekanntlich von den jüdischen Sozialisten erfunden worden, um den Handel zu retten. Diesem werden alle Nachtheile der Industrie in die Schuhe geschoben.

„Könnte man die Industrie aus der Knechtschaft des Handels befreien, dann möchte es wohl möglich werden, Jene selbst und mit ihr den Arbeitslohn und die Stellung des Arbeiters zu heben.“ (pag. 221)

„Die Krisen,“ heisst es an einer anderen Stelle, „sind die Folge der schnellen Produktion, langen Arbeitszeit, der unersättlichen Habgier, der freien Konkurrenz und der verkümmerten Nationalökonomie. So wird diese zur Organisation des Elendes, die Vertreter der ökonomischen Wissenschaft werden zu Aposteln des Diebstahls und die Fabriken sind, um mit dem berühmten amerikanischen Schriftsteller Carey zu reden, Werkstätten des frühen Todes, Abzehrwerkstätten, in welchen zwei Sorten von Waaren, nämlich Stoffe und Menschen gebleicht werden, um auf dem fremden Markte das Schlachtfeld der Konkurrenz zu behaupten, während der einheimische Markt ganz und gar zur Domäne des Auslandes und der internationalen Krämersippe wird. Diese hat das Territorium der Nation in ein Schlachtfeld verwandelt, auf welchem jährlich Tausende zum Opfer fallen. Sie bringt die theuerste Kraft des Volkes schonungslos dem Mammon dar. Ihre Götter sind das goldene Kalb, die Venus und der Bauch. Ihr Janustempel, die Börse, steht jahraus, jahrein offen und wird nur an gewissen Feiertagen geschlossen, damit die Würgengel der Nation frischen Athem zur ungeschwächten Fortsetzung ihres Mordhandwerkes holen können.“ (pag. 223.)

Die armen „nationalen“ Fabrikanten und Kapitalisten! Wie sie von der internationalen Krämersippe gezwungen werden, ihr „Mordhandwerk“ zu verrichten! Diese allein ist daran Schuld, dass die Lohnarbeiter geschunden und ausgebeutet werden.

„Das Volk betrachtet deshalb ganz folgerichtig nicht einen Popanz, wie den Kapitalismus als den Feind der Nation, sondern das selbstsüchtige Krämerthum und, weil fast alle Juden den Schacher als ihr Geschäft betreiben, das Judenthum.“

Also auch hier wären wir glücklich dabei angelangt, im Judenthum das Grundübel der modernen Gesellschaft zu entdecken. Nach Carey sind die Engländer an allem Unheil Schuld, nach Stein die Juden.

Auch wo er sonst Carey’s Ideen frei bearbeitet, ist Herr Stein nicht sonderlich glücklich. Gleich diesem ist er ein Gegner von Malthus und Ricardo, ohne jedoch Carey’s noch einigermassen plausible Einwendungen gegen das Bevölkerungsgesetz und die Bodenrente gelten zu lassen. Er thut beide ganz einfach damit ab, dass er erklärt, die Erscheinungen der politischen Oekonomie und Bevölkerungslehre seien zu komplizirt, als dass sie überhaupt Gesetzen unterliegen könnten!

„Denn bei der Bevölkerung“ heisst es, „kommen ausser physischen noch moralische und intellektuelle Faktoren in Betracht. Deswegen lassen sich die Erscheinungen der Bevölkerungsbewegung noch viel weniger unter allgemeine ‚Gesetze‘ bringen, als die Erscheinungen der Natur.“ (pag. 325)

Die Folge davon ist, dass er zwar sehr viel Worte über die Bevölkerungsfrage macht, ohne jedoch zu einem entscheidenden Resultate zu kommen. Er kommt auf den, den Lesern des Jahrbuches bekannten Dr. Stille und dessen Empfehlung des präventiven Verkehrs zu sprechen und meint „wenn im gesetzlich geregelten Verkehr der Geschlechter Vorsicht geübt wird ... so lässt sich gegen solche Vorsicht kein Einwand erheben. Die Geheimnisse des ehelichen Lebens gehören aber nicht an die grosse Glocke und dürfen von den Aerzten nicht als Norm der Gesundheitspflege, Sittenlehre und Bevölkerungspolitik verkündet werden.“ (pag. 340) Warum? Das sagt uns Herr Stein nicht, hält aber damit den präventiven Verkehr für abgethan. Er sucht die Lösung der Bevölkerungsfrage in anderer Richtung.

„Er glaubt,“ sagt er von Charles Périn, dessen Ansichten er für richtig erklärt, „dass die Kirche die besten Mittel besitzt, um die Bevölkerungsfrage zu lösen, die unüberlegten, ins Elend führenden Verbindungen seltener zu machen, die Zahl der unehelichen Kinder zu vermindern, die Verbreitung guter Sitte zü fördern, eine bessere Erziehung zu pflegen und schändliche Einflüsse von der Jugend fern zu halten.“ (pag. 339)

Damit sagt er nichts anderes, als was der von ihm so gehasste Malthus auch sagte. Er sagt sogar, es erscheine ihm „als ein Gebot der nationalen Wohlfahrt, das Alter der Heirathsfähigkeit, wenigstens für die Männer, bis zur Mitte der zwanziger Jahre zu verlegen“ (pag. 343), steht also in dieser Beziehung auf demselben Boden, wie Schäffle, welcher es entschieden betont:

„Nicht die Abschaffung der Ehe, sondern allgemeine Ermöglichung derselben vom völlig reifen Lebensalter an, mit Einschränkung der ehelichen Fruchtbarkeit ... Das ist die Richtung, in welcher die Erlösung der Menschheit von den grössten und ältesten Massenleiden und die edlere Richtung natürlich züchtenden Daseinskampfes gesucht werden muss und allein gefunden werden kann.“ (Bau und Leben des sozialen Körpers, II, 264)

Trotzdem erklärt Herr Stein: „Ganz besonders bemüht sich Professor Schäffle, die Hartherzigkeit des englischen Pastors zu übertrumpfen.“ (pag. 347)

Man kann hier deutlich sehen, wie weit der Vorwurf der Hartherzigkeit gegen den Malthusianismus her ist. Wenn ich ein unerbittliches Naturgesetz konstatire, so muss ich noch nicht hartherzig sein. Aber die meisten Menschen denken wie Oswald Stein, dass die Naturgesetze nach Belieben erfunden werden, wie man sie braucht, und dass, wer ein hartherziges Naturgesetz konstatirt, an der Hartherzigkeit seine Freude haben müsse.

Uebrigens sieht selbst Herr Stein sich genöthigt, zuzugeben, dass die Kirche allein das Bevölkerungsproblem nicht lösen könne und empfiehlt daher die Auswanderung. Dazu aber brauche Deutschland Kolonien, und diesem Mangel sei am einfachsten abzuhelfen, – wenn man Holland annektire.

„Die niederländischen Kolonien sind nächst den englischen die grössten und werthvollsten der Welt; sie umfassen 31,000 Quadratmeilen des fruchtbarsten Landes mit mehr als 25 Millionen Einwohnern. Die Umstände sind nicht ungünstig. Obendrein ist das holländische Königshaus dem Aussterben nahe, und das Haus Hohenzollem wird sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, mit seinen durch verwandtschaftliche Beziehungen zu den Oraniern fundirten Erbansprüchen aufzutreten.“ (pag. 166. Vgl. pag. 350)

Das nennt Herr Stein nationale Wirthschaftspolitik.

Aber nicht nur in Bezug auf Schutzzölle und die Bevölkerungsfrage laufen seine Deduktionen auf Verherrlichung der Bismarckschen Systemlosigkeit hinaus, dasselbe ist der Fall mit der Grundrente. Zuerst wird Ricardo als ein Schwindler hingestellt, um eine Voreingenommenheit gegen ihn zu erwecken. Darauf versucht Herr Stein eine Autorität gegen Ricardo in’s Feld zu führen und behauptet daher, es sei seine Rententheorie schon „durch von Thünen’s (den er konsequent mit zwei n schreibt, von dessen Werk er also nicht einmal das Titelblatt gesehen hat) Werk Der isolirte Staat gründlich widerlegt worden.“ (pag. 245) Zum Unglück für Herrn Stein ist es eine bekannte merkwürdige Thatsache, dass von Thünen, ohne Ricardo zu kennen, fast zu derselben Theorie, wie dieser gelangte, nur dass er mehr den Einfluss der Entfernung vom Markte und dergleichen als die natürliche Bodenfruchtbarkeit in Betracht zog, während bei Ricardo das Umgekehrte der Fall ist. Herr Stein hat aber sehr Unrecht, wenn er meint, Ricardo habe gesagt, dass die Rente blos von der natürlichen Fruchtbarkeit des Bodens bestimmt werde. Er sagt vielmehr ausdrücklich:

„Es wird demnach blos aus dem Grunde eine Rente entrichtet, weil der Boden nicht in unendlicher Menge und allgemein gleicher Beschaffenheit vorhanden ist und bei annehmender Bevölkerung Boden von geringerer Beschaffenheit oder weniger vortheilhafter Lage zum Anbaue genommen wird.“ (Ricardo, Grundsätze der Volkswirthschaft, deutsch von Baumstark, pag. 44)

Auch ist Herr Stein ganz auf dem Holzwege, wenn er meint, die Bodenrente hänge nicht blos von den natürlichen Eigenschaften des Bodens (wozu seine Lage natürlich auch gehört) und der Höhe der Kultur, also Bedingungen ab, welche der einzelne Mensch nicht schaffen kann, sondern die Thätigkeit des Menschen bestimme die Höhe der Grundrente.

„Es gibt Gemeinden, welche auf mittelmässigem Boden grössere Erträgnisse erzielen als andere Gemeinden auf gutem Boden. Der beste Humus kann durch Trägheit, falsche Behandlung und Raubbau schlecht werden, so schlecht, dass schliesslich nur mehr das Unkraut auf demselben gedeiht, während schlechter Boden durch Fleiss, Umsicht, Düngung und Bewässerung verbessert zu werden und mit der Zeit den reichsten Nutzen zu gewähren vermag. Die Höhe der Bodenrente hängt nicht allein von der natürlichen Beschaffenheit des Bodens, sondern auch von der Beschaffenheit seiner Bebauer ab.“ (pag. 253)

Herr Stein verwechselt hier Bodenerträgniss mit Bodenrente. Der Bodenertrag hängt allerdings von der Arbeit ab, die auf ihn verwendet wird, nicht aber die Rente. Denn diese ist der Rest des Bodenertrages, der übrig bleibt, wenn man die der geleisteten Arbeit gebührende Entschädigung und den Kapitalzins abzieht. Wenn ich mehr Arbeit auf einem Gute verwende, wächst allerdings das Erträgniss, aber auch die Kosten der Arbeit wachsen. Die Logik des Herrn Stein gleicht ganz der des Schlaukopfes, welcher behauptete, dass ein Handweber unter Umständen schneller weben kann, als ein Dampfwebstuhl; wenn nämlich der Dampfwebstuhl ruinirt werde und die Weber bei demselben schliefen. Herr Stein scheint die Berücksichtigung solcher exceptioneller Verhältnisse für die Aufgabe der Nationalökonomie zu halten, wenn er ausruft:

„Die konstituirenden Elemente der Bodenrente sind, eben weil der Mensch mit seinen unberechenbaren Anlagen, Fertigkeiten und Antrieben in erster Linie mit berücksichtigt werden muss, so vielfach, so verschieden, und je nach den Menschen, nach Ort und Zeit, so veränderlich, dass es unmöglich erscheint, eine fixe Bestimmung zu geben. Hier hat die bei unseren Kathedermannen so beliebte Gesetzesmacherei ein Ende. Die von diesen erfundenen ‚Gesetze‘ über Bodenrente qualifiziren auch als eine eitle Rabulisterei, als eine Verkennung des Wesens des Menschen, des Volkes und der Nationalökonomie.“ (pag. 254)

Ja, die „Gesetze“ und Definitionen, die hasst Herr Stein wie das gebrannte Kind das Feuer. Wozu auch Begriffe und Gesetze definiren? Worte genügen!

Mit Worten lässt sich bekanntlich trefflich streiten, mit Worten ein System bestreiten. Trotzdem wird Herr Stein mit den vorgebrachten Gründen ausser dem Fürsten Bismarck und den Agrariern nicht viele Anhänger seiner Theorie finden, dass nicht die natürliche Beschaffenheit des Bodens und der Kulturzustand der Gesellschaft, sondern die Fähigkeiten und der Fleiss der Bebauers die Bodenrente bestimmen. Da müsste es denn eigentlich auch eine Hobel- und Nadel- etc. Rente geben. Oder nicht?

Mit der Bodenrente sind wir auf das sozialistische Gebiet gekommen. Denn der Grund, warum Herr Stein sich so scharf in’s Zeug legt, um die Bodenrente zu vernichten, ist kein anderer als der, die Nothwendigkeit und Rechtmässigkeit des Privateigenthums an Grund und Boden zu erweisen. Ein Pröbchen seines Versuches, dies auf historischem Wege zu erörtern, haben wir kennen gelernt. Auch seine Ansichten über Marx und den Kapitalismus sind uns nicht fremd geblieben. Wir können uns daher umso kürzer fassen, als Herr Stein eine geradezu horrende Unkenntniss des Sozialismus an den Tag legt. Ihn in dieser Beziehung zu kritisiren ist demnach sehr unnöthig. Einige Zitate genügen.

Er hat etwas davon gehört, dass dem Arbeiter der Ertrag seiner Arbeit gehören solle – wie das aufzufassen ist, darüber vergleiche den Artikel über die Vertheilung des Arbeitsertrages in diesem Jahrbuche –, und das erscheint ihm ganz ungeheuerlich. „Selbstverständlich erweist sich jeder Versuch, die richtige Quote des Ertrages für jeden der berechtigten Ansprecher zu ermitteln, als vergebliche Mühe ... Diejenigen, welche die „Gesetze“ des Arbeitslohnes suchen, gleichen jenem Knaben, der mit dem Becher das Meer in eine Grube schöpfen wollte. (Diese Gesetzesfurcht wird nachgerade komisch.)

„Angenommen jedoch, der Ertrag für den Arbeiter sei genau berechenbar, so würden wir sofort dem Einwurf begegnen: Wer denn den Arbeiter schadlos halte, wenn in Folge der Konkurrenz oder ungünstiger Konjunkturen der Ertrag der Arbeit unter den Produktionskosten bliebe.“ (! Herr Stein weiss nichts von einer Organisation der Arbeit, die der Sozialismus nothwendigerweise zugleich mit der Abschaffung des Arbeitslohnes durchführen muss.) ... „Was ferner noch den Ertrag der Arbeit betrifft, so wollen wir auch des Umstandes gedenken, dass der Profit, welcher beim Verkauf der Waaren erzielt wird, nicht selten auf Prellerei des Käufers beruht. Werden sich die Arbeiter auch diesen unmoralischen Gewinn vindiziren wollen?“ (sic!) (pag. 285, 286)

Endlich sieht er eine unüberwindliche Schwierigkeit darin, dass „die Bewohner eintöniger Haiden lieber in Gebirgsthälern, die Bauern des Nordens vielleicht lieber im Süden und die Arbeiter jener Fabrik lieber in diesem schönen Etablissement wirken wollen.“ (pag. 300.) Sancta simplicitas!

„Ueberhaupt kann man nicht sagen, was der Staat ist und welches seine Aufgabe unter allen Verhältnissen sein soll.“ (pag. 291)

„Was ist der Staat? Nach der Anschauung mancher Sozialdemokraten soll der Staat eine Anstalt für die Erzeugung (!) und Erziehung von Kindern, eine Brut-, Kinderbewahr-, Fütterungs-, Schul- und Arbeitsanstalt sein. Das letzte Ziel der Kommunisten ist der allgemeine Gänsemarsch zur grossen Gleichheitskaserne. Die modernen Kommunisten gleichen denen früherer Jahrhunderte, wie ein Ei dem anderen.“ (pag. 289.) etc. etc.

Karl Marx wird der geistreiche Satz in den Mund gelegt: „Die soziale Frage ist weder eine lokale noch nationale, sondern eine soziale Frage.“ Wahrscheinlich hat der Verfasser einmal davon läuten gehört, dass in den Statuten der „Internationale“ folgender Satz stehe: „Die Emanzipation der Arbeit ist weder ein lokales noch ein nationales, sondern ein soziales Problem, welches alle Länder umfasst, in denen die moderne Gesellschaft existirt,“ und dieser Sazs hat dann in seinem Kopf die obige merkwürdige Form angenommen.

Bei seiner Angst vor allem, was Gesetz und Definition heisst, befällt Herrn Stein jedesmal ein Schauder, so oft die Werththeorie erwähnt wird.

„Es wäre viel besser gewesen, wenn Smith von vornherein darauf verzichtet hätte, den natürlichen Tauschwerth zu bestimmen ... Hätte Smith die Anschauungen der mit scholastischen Erinnerungen verquickten Philosophenschule über Bord geworfen, dann würde er sich vor der Täuschung bewahrt haben, dass man etwas definiren könne, was nicht definirbar ist, weil wir eben den Antheil, welchen die einzelnen Bestandtheile der nationalen Produktivkraft an den Erzeugnissen und dem Ertrage der Wirthschaft haben, nicht zu berechnen vermögen.“ (pag. 100)

Auf diese Weise wird die Grundlage des wissenschaftlichen Sozialismus abgethan. Doch Herr Stein ist nicht nur negativ, er macht uns auch positive Vorschläge zur Lösung der sozialen Frage. Nachdem er alle anderen Systeme kritisch vernichtet hat, darf man wohl Neues und Ueberraschendes von ihm erwarten. Aber was bietet er uns? Empfehlung von Staatsbanken, Versicherungszwang und Abkürzung der Schulpflicht für die Landwirthschaft. Für die Industrie dagegen fordert er ein Haftpflichtgesetz, einen Normalarbeitstag, Konsumvereine und Innungen – das ist Alles, wenn man nicht seine Aufforderung, Königthum, Adel und Geistlichkeit sollten an der Lösung der sozialen Frage mithelfen, auch noch für etwas rechnen will.

Man wirft den Sozialdemokraten vor, dass sie grösser seien im Kritisiren als im positiven Aufbau, und dies ist auch richtig. Aber trotzdem überragen ihre positiven Forderungen himmelhoch die der anderen Parteien und Schulen, welche nie kläglicher dastehen als dann, wenn sie Mittel zur Lösung der sozialen Frage angeben sollen. Das Buch des Herrn Oswald Stein ist ein neuer Beleg dafür. Der Faden der Lächerlichkeit und Oberflächlichkeit durchzieht zwar sein ganzes Werk, nirgends aber tritt derselbe so sehr hervor, als wo es positiv sein will. Hier wird die Enttäuschung über das so pomphaft sich einführende Buch am grössten.

Es ist durchaus nicht Gehässigkeit, welche uns dies Urtheil fällen lässt. Wir sind gewohnt, unseren Gegnern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, umsomehr, da wir von den Gegnern am meisten gelernt haben. Leider ist Herr Stein kein Gegner, von dem man etwas lernen kann.

Man wird fragen, warum dann sein Buch einer so eingehenden Besprechung unterzogen wurde? Wenn die von Herrn Stein vertretenen Ideen ihm allein eigenthümlich wären, dann brauchte man sich allerdings nicht tiefer mit ihnen zu befassen. Aber seine Ideen sind solche, welche jetzt sehr viel Lärm machen, sie sind die Ideen der Antisemiten, der Agrarier, der Schutzzöllner, der Christlich-Sozialen etc., Ideen, die von den Regierungen Deutschlands und Oesterreichs gehegt und gepflegt werden, die einen Theil des Kleingewerbes und des Bauernstandes ergriffen haben, die für unser öffentliches Leben typisch geworden sind und deren Irrthümlichkeit und Lächerlichkeit darzulegen durchaus nicht überflüssig ist. Es ist entschieden nothwendig, Bücher wie das des Herrn Stein energisch zu bekämpfen, in denen dort, wo das das Wissen aufhört und die Beweisgründe fehlen, an die brutalen Instinkte und Vorurtheile des grossen Haufens appellirt wird, und diese mit Absicht den Ergebnissen der Wissenschaft entgegengestellt werden. Das Vorgehen des Herrn Stein bezweckt, die Dummheit und Rohheit dem gegenwärtigen Systeme dienstbar zu machen, weil alle anderen Stützen desselben wanken, und ihnen zum Siege über das Wissen zu verhelfen, weil dies das Todesurtheil über unsere Zustände spricht: Eine Kampfesweise, die nicht entschieden genug verdammt werden kann.


Zuletzt aktualisiert am 21. September 2016