Rudolf Hilferding

Das Finanzkapital


Fünfter Abschnitt
Zur Wirtschaftspolitik des Finanzkapitals


XXI. Kapitel
Die Wandlung in der Handelspolitik


Das Finanzkapital bedeutet die Vereinheitlichung des Kapitals. Die früher getrennten Sphären des industriellen, kommerziellen und Bankkapitals sind jetzt unter die gemeinsame Leitung der hohen Finanz gestellt, zu der die Herren der Industrie und der Banken in inniger Personalunion vereint sind. Diese Vereinigung selbst hat zur Grundlage die Aufhebung der freien Konkurrenz des Einzelkapitalisten durch die großen monopolistischen Vereinigungen. Damit ändert sich naturgemäß auch das Verhältnis der Kapitalistenklasse zur Staatsmacht.

Die bürgerliche Staatsauffassung entsteht im Kampfe gegen die merkantilistische Politik, im Kampfe gegen die zentralisierte und privilegierende Staatsmacht. Sie vertritt das Interesse der beginnenden kapitalistischen Manufaktur und Fabrik gegenüber den Privilegien und Monopolen der großen Handels- und Kolonialkompanien einerseits, des zunftartig abgeschlossenen handwerksmäßigen Gewerbes anderseits. Der Kampf gegen die Staatseinmischung konnte aber nur geführt werden, wenn nachgewiesen wurde, daß diese staatliche Gesetzgebung für das Wirtschaftsleben überflüssig und schädlich sei. Gegenüber den Staatsgesetzen mußte die Eigengesetzlichkeit der Wirtschaft und ihre Überlegenheit über die staatliche Gesetzgebung nachgewiesen werden. [1]

So gründet sich die Politik des Bürgertums auf die Nationalökonomie, und der Kampf gegen den Merkantilismus wird zum Kampf um die wirtschaftliche Freiheit, und dieser wieder wird zum Kampf um die Freiheit der Person gegen die staatliche Bevormundung erweitert. Wie sich diese Auffassungen zur Weltanschauung des Liberalismus erhöhen, ist hier nicht weiter zu verfolgen. Nur darf vielleicht darauf hingewiesen werden: Wo, wie in England, der Kampf um die wirtschaftliche Freiheit zu einer Zeit siegt, die die moderne wissenschaftliche Auffassung noch nicht kennt, bezieht der Liberalismus diese auch nicht in sein Weltbild; die revolutionäre Umwälzung aller moralischen und religiösen Anschauungen, wie sie der französische Liberalismus entwickelt, wird in England nie zum Gemeinbewußtsein des Volkes, während umgekehrt sich der wirtschaftliche Liberalismus in England stärker durchsetzt als irgendwo auf dem Kontinent.

Doch auch in England ist der Sieg des laisser faire nicht vollständig: das Gebiet des Bankwesens bleibt ausgeschlossen, und die Theorie der Bankfreiheit unterliegt den praktischen Bedürfnissen der Beherrscher der Bank of England. Noch weniger gewinnt die Theorie der Manchesterleute Einfluß auf den tatsächlichen Gang der auswärtigen Politik, die die Exekutive des englischen Welthandels im 19. Jahrhundert so gut geblieben ist, wie sie es im 17. und 18., Jahrhundert gewesen. Auf dem Kontinent reduziert sich die Praxis völlig auf die Durchführung der Gewerbefreiheit und bleibt eine innerpolitische Maxime, während die Handelspolitik sehr natürlicherweise schutzzöllnerisch bleibt. Denn die englische Freihandelspolitik beruhte auf dem Vorsprung der kapitalistischen Entwicklung und der daraus folgenden technischen und ökonomischen Überlegenheit der englischen Industrie. Dieser Vorsprung war durchaus nicht allein natürlichen Ursachen geschuldet, spielten diese auch eine bedeutende Rolle; solange namentlich das moderne Transportsystem noch nicht entwickelt war, mußten die Wasserfracht und die Frachtersparnis durch das Zusammenfallen von Erz und Kohle entscheidende Bedeutung gewinnen. Es darf aber darüber nicht vergessen werden, daß auf der anderen Seite kapitalistische Entwicklung Akkumulation von Kapital ist und daß die schnellere Akkumulation in England zu einem wesentlichen Teil geschuldet ist: einerseits dem Ausgang der Machtkämpfe mit Spanien, Holland und Frankreich um die Herrschaft zur See und damit um die Herrschaft über die Kolonien, anderseits der raschen Proletarisierung durch den Sieg des Großgrundeigentums über den Bauern.

Englands industrieller Vorsprung steigerte sein Interesse am Freihandel, wie vorher der Vorsprung kapitalistischer Entwicklung Holland eine freihändlerische Politik hatte einschlagen lassen. [2] Im Innern bewirkte die Entfaltung der Industrie, die Vermehrung der Bevölkerung und deren Konzentration in den Städten sehr bald, daß die eigene landwirtschaftliche Erzeugung nicht genügte. Infolgedessen wurde der Preis des Getreides bestimmt durch die damals vor der Umwälzung des Transportwesens noch besonders hohen Transportkosten und durch die dann wirksam werdenden Zölle. Übrigens hatten die Grundbesitzer schon in der Übergangszeit, als nur gute Ernten die Einfuhr unnötig machten, schlechte aber sie ungewöhnlich steigerten, durch das System der Exportprämien für die periodische Fabrikation von Hungersnotpreisen gesorgt, und die enge Basis des englischen Geldwesens bewirkte, daß auf die Verteuerung der Lebensmittel die Geldkrise folgte. Dieses ganze System stand nun im schärfsten Gegensatz zu den industriellen Interessen; eine Einfuhr fremder Industrieprodukte hatten die Fabrikanten nicht zu fürchten, da ihre Unternehmen technisch und ökonomisch weit überlegen waren; die Getreidepreise waren aber der wichtigste Bestandteil des „Preises der Arbeit“; dieser aber spielte bei dem Kostpreis der Industriellen eine um so bedeutendere Rolle, da ja die organische Zusammensetzung des Kapitals noch gering, der Anteil der lebendigen Arbeit am Wert des Gesamtprodukts daher verhältnismäßig höher war. Das offen ausgesprochene Motiv der englischen Zollkampagne war ja auch die Verbilligung des Kostpreises durch Verbilligung einerseits des Rohmaterials, anderseits des Preises der Arbeitskraft.

Ebenso war das englische industrielle und Handelskapital an dem Freihandel der anderen Länder interessiert, dagegen hatte es nur geringes Interesse an dem Besitz der Kolonien. Soweit diese die Absatzmärkte für Industrieprodukte und die Einkaufsmärkte für seine Rohstoffe waren, hatte England mit keiner nennenswerten Konkurrenz zu rechnen, sobald nur diese Gebiete unter Freihandelsregime standen. Die Forderung einer aktiven Kolonialpolitik, die sehr kostspielig war, die Steuern erhöhte und das parlamentarische Regime im Heimatland schwächte, trat zurück hinter der Propaganda des Freihandels. Allerdings blieb das Aufgeben der Kolonien eine platonische Forderung radikaler Freihändler. Denn die wichtigste Kolonie, Indien, kam nicht nur als Markt in Betracht; ihre Beherrschung sicherte auch einer großen und einflußreichen Klasse reiche Einkünfte als „Tribut für gute Regierung“. [3] Zudem aber war auf diesem wichtigen Markt die „Sicherheit“ eine Bedingung des Absatzes, und es war fraglich, ob die Aufgabe der englischen Herrschaft nicht das Wiederaufleben alter Kämpfe mit sich bringen müßte, die die Absatzmöglichkeiten verschlechtern würden. [4]

Ganz anders lag das handelspolitische Interesse am Kontinent. Hier waren vor allem die agrarischen Rohstofflieferanten, die exportierenden Grundbesitzer, freihändlerisch, da der Freihandel den Absatz der eigenen Produkte vergrößerte und den Bezug der Industrieprodukte verbilligte. Dagegen lag das Interesse der Industriellen umgekehrt. Der Schutzzoll auf landwirtschaftliche Produkte kam nicht in Frage; aber die übermächtige englische Konkurrenz verhinderte oder verlangsamte die eigene industrielle Entwicklung. Galt es ja erst die Anfangsschwierigkeiten zu überwinden, Herr zu werden über edle Hemmnisse, die der Mangel geschulter Arbeiter, Werkführer und Ingenieure mit sich brachte, die Rückständigkeit der Technik auszugleichen, die kaufmännische Organisation zu schaffen, die Entwicklung des Kredits zu fördern, die Proletarisierung durch Niederkonkurrierung des Handwerks und Auflösung der alten Bauernwirtschaft zu beschleunigen, kurz alles einzuholen, was den englischen Vorsprung begründete. Dazu trat das fiskalische Interesse an den Zolleinnahmen, das zur Zeit, wo das System der indirekten Besteuerung erst in den Anfängen steckte und seinem Ausbau der naturalwirtschaftliche Zustand weiter Länder unüberwindbare Hindernisse entgegensetzte, noch mehr in Betracht kam als heute. Volkswirtschaftlich schienen zudem in jener Periode die Zolleinnahmen der kontinentalen Staaten, sofern sie auf Industrieprodukte gelegt waren, nicht schädlich zu sein. Zwar mußte der inländische Konsument das Produkt zum Beispiel der englischen Industrie um den Betrag des Zolles teurer bezahlen, aber diese Differenz floß in die Staatskasse. Dagegen bewirkt heute der Schutzzoll, daß über den an die Staatskasse fließenden Betrag hinaus gewaltige Summen von den inländischen Konsumenten an die Industriellen und Grundbesitzer entrichtet werden müssen. Umgekehrt beginnt heute in England das fiskalische Interesse mit in den Vordergrund zu treten, weil das unterdessen ausgebaute Steuersystem bei den politischen Machtverhältnissen der Klassen sich nur schwer und nur unter großem Widerstand vervollständigen läßt.

Soweit aber der Kolonialbesitz in Frage kam, mußten die Kolonialstaaten auch hier die übermächtige englische Konkurrenz fürchten, sobald sie die schützenden Zollschranken und Privilegien niederrissen.

So nahm die Zollpolitik der industriellen Klassen auf dem Kontinent und in England verschiedene Richtung, die sich aus der industriellen Vorherrschaft des englischen Kapitalismus erklärt. Theoretisch gerechtfertigt wurde das kontinentale und amerikanische Schutzzollsystem durch Carey und List. Lists System ist keine Widerlegung der Freihandelstheorie, wie sie etwa Ricardo formuliert hat. Es ist nur eine Wirtschaftspolitik, die das Freihandelssystem erst möglich machen soll dadurch, daß es die Entwicklung einer nationalen Industrie ermöglicht, für die dann das Freihandelssystem das angemessenste ist. Lists Erziehungszölle sollten nur diesem Zweck dienen, und List forderte daher niedrige Zölle, um die Differenz zwischen dem Vorsprung Englands und der Zurückgebliebenheit Deutschlands auszugleichen, und Zölle auf Zeit, da ja seine Politik bewirken mußte, daß schließlich die Zölle überflüssig würden.

Diese Zollpolitik der Entwicklung des Kapitalismus wird in ihr Gegenteil verkehrt durch die Zollpolitik des entfalteten Kapitalismus.

Lists System war eingestandenermaßen das System für kapitalistisch rückständige Länder. Das Gesetz der Heterogenität der Zwecke aber bewährte wieder einmal seine Wirksamkeit. Nicht das Freihandelsland England, sondern die Schutzzolländer Deutschland und die Vereinigten Staaten wurden zu Musterländern kapitalistischer Entwicklung, sobald man als Maßstab den Grad der Zentralisation und Konzentration des Kapitals annimmt, also den Grad der Kartell- und Trustentwicklung, der Herrschaft der Banken über die Industrie, kurz der Verwandlung allen Kapitals in Finanzkapital. In Deutschland bewirkte der rasche Aufschwung der Industrie nach dem Fall der inneren Zollschranken und besonders nach der Gründung des Reiches eine völlige Verschiebung der handelspolitischen Interessen. Das Aufhören des Exports von landwirtschaftlichen Produkten machte aus den Grundbesitzern Interessenten des Schutzzolls. Mit ihnen verbanden sich die Schutzzollinteressenten aus der Industrie, und es waren gerade die Vertreter der schweren Industrie, besonders der Eisenindustrie, die gegenüber der stärkeren englischen Konkurrenz den Schutzzoll forderten. Es war ein Industriezweig mit hoher organischer Zusammensetzung, der die Erhöhung der Lebensmittelpreise, die übrigens damals noch mäßig war und in ihren Wirkungen durch die beginnende amerikanische landwirtschaftliche Konkurrenz aufgehoben wurde, leicht tragen konnte. Anderseits litt die Industrie außerordentlich stark unter den Folgen der Krise. Die englische Konkurrenz war um so schwerer zu ertragen, als die deutsche Eisenindustrie aus natürlich-technischen Gründen hinter der englischen zurückgeblieben war, namentlich vor der Erfindung der Entphosphorisierung des Roheisens. Dazu kam, daß gerade in Industrien mit sehr hoher organischer Zusammensetzung und besonders starkem Anteü des fixen Kapitals der Vorsprung früherer Entwicklung schwer einzuholen ist. Für die Schutzzollpolitik war auch ein Teil des Bankkapitals, das in Deutschland schon frühzeitig, von allem Anfang an mit der Entwicklung der schweren Industrie innig verbunden war. Gegner der Schutzzollpolitik waren der Teil des industriellen Kapitals, der in Exportindustrien angelegt war, und das Handelskapital. Der Sieg des Schutzzolls aber im Jahre 1879 bedeutete den Beginn einer Wandlung in der Funktion des Schutzzolls, indem aus dem Erziehungszoll allmählich ein Kartellschutzzoll wurde. [5]

Es ist kein Zweifel, daß der Ausschluß der ausländischen Konkurrenz die Kartellbildung außerordentlich fördert. Direkt, weil die Verminderung der Konkurrenten ihren Zusammenschluß erleichtert. Indirekt, weil der Schutzzoll in seiner realen Gestaltung und seinem Ursprung nach, da er in diesem Stadium in Europa und in den Vereinigten Staaten von den mächtigen Kapitalisten der Rohstoff- und Halbfabrikatenproduktion getragen wird, in der Regel für diese Industrien günstiger ist als für die exportierenden Fertigindustrien, die auf dem Weltmarkt mit solchen Produkten Englands zu konkurrieren hatten, deren Kostpreis nicht durch Schutzzoll erhöht war. Gerade dieser Umstand mußte die Industrien, die der Produktion von Produktionsmitteln dienen, in ihrer Entwicklung begünstigen, ihnen alles Kapital, das sie zur technischen Ausgestaltung benötigten, zur Verfügung stellen, ihren Fortschritt zu hoher organischer Zusammensetzung, damit aber auch ihre Konzentration und Zentralisation beschleunigen und so die Vorbedingungen für ihre Kartellierung schaffen.

Zugleich war es wieder ein Umstand, der ursprünglich in der Zurückgebliebenheit der deutschen kapitalistischen Entwicklung gelegen war, der schließlich zu einer Ursache der organisatorischen Überlegenheit der deutschen über die englische Industrie wurde. Die englische Industrie hat sich sozusagen organisch aus kleinen Anfängen allmählich zu ihrer späteren Größe entwickelt. Aus Kooperation und Manufaktur wurde die Fabrik, und diese entwickelte sich zuerst und hauptsächlich in der Textilindustrie, einer Industrie, die verhältnismäßig wenig umfangreiches Kapital erforderte. Organisatorisch blieb es in der Hauptsache beim Einzelbetrieb; der Einzelkapitalist, nicht die Aktiengesellschaft dominierte, und der kapitalistische Reichtum blieb in der Hand der industriellen Einzelkapitalisten. Es entstand so allmählich mit wachsender Beschleunigung eine Klasse reicher, kapitalstarker industrieller Unternehmer, deren Eigentum die Produktionsstätten waren. Als später namentlich durch die Entwicklung der großen Transportunternehmungen die Aktiengesellschaften zu größerer Bedeutung gelangten, da waren es diese großen Industriellen hauptsächlich, die Aktionäre wurden. Es war industrielles Kapital auch seiner Entstehung und seinem Eigentum nach, das in diesen Aktiengesellschaften angelegt wurde. Ebenso wie das industrielle und Kaufmannskapital war auch das Bankkapital – und dasjenige, welches sich mit Emissionsgeschäften befaßte, ausschließlich – in den Händen einzelner Kapitalisten, während die Aktienbanken nur dem Zirkulationskredit dienten, also auf die Industrie keinen größeren Einfluß nahmen. Ebensowenig aber die Emissionsbankiers, die ja dadurch aufgehört hätten, Bankiers zu sein, und Industrielle wenigstens teilweise geworden wären. Dieses Überwiegen der Ansammlung des Kapitals in den Händen der Einzelkapitalisten, eine Folge der früheren und sozusagen organischen Entwicklung des englischen Kapitalismus, fehlte auf dem Kontinent wie in den Vereinigten Staaten. Dazu kam, daß aus den Kolonien, und namentlich aus Indien, wie aus der Ausnützung der englischen Handelsmonopole ebenfalls große Summen sich in den Händen einzelner aufgehäuft hatten, was in Deutschland und Amerika völlig fehlte.

Als dann in Deutschland die politischen Hindernisse kapitalistischer Entfaltung durch den Zollverein und dann durch die Reichsgründung endlich überwunden und die Balm für den Kapitalismus frei war, da konnte natürlich die kapitalistische Entwicklung nicht nachträglich die englische durchlaufen. Vielmehr mußte das Bestreben dahin gehen, technisch und ökonomisch die in dem fortgeschritteneren Lande bereits erreichte Stufe im eigenen Lande womöglich zum Ausgangspunkt zu nehmen. In Deutschland fehlte jedoch jene Akkumulation von Kapital in den Händen einzelner, nötig, um in den höchstentwickelten Industrien die Produktion auf der in England erreichten Stufenleiter zu führen, wenn das Unternehmen ein Einzelunternehmen sein sollte. So erhielt hier die Aktiengesellschaft neben ihrer der deutschen wie der englischen Form gemeinsamen Funktion noch die neue, das Mittel zu sein, das nötige Kapital aufzubringen, das infolge der geringeren Akkumulation nicht nur der einzelne industrielle Kapitalist nicht besaß, sondern auch nicht die industrielle Kapitalistenklasse als Ganzes. Während in England die Aktiengesellschaft, besonders in ihren Anfängen, wesentlich reiche Kapitalisten vereinigte, sollte die Aktiengesellschaft in Deutschland den Industriellen auch das nötige Kapital zur Verfügung stellen, ihnen das Geld der anderen Klassen für ihre Unternehmen zuführen. Das ließ sich aber durch die direkte Aktienemission nicht in demselben Umfang erreichen wie durch die Vermittlung der Banken, in denen alles brachliegende Geld der Kapitalisten selbst, dann aber auch das Geld der anderen Klassen konzentriert und der Industrie zur Verfügung gestellt werden konnte. Derselbe Grund, der in der Industrie die Aktienform begünstigte, ließ auch die Banken als Aktienbanken erstehen. Die deutschen Banken hatten also von vornherein die Aufgabe, den deutschen industriellen Aktiengesellschaften das nötige Kapital zur Verfügung zu stellen, also nichtnurfür Zirkulations-, sondern auch für Kapitalkredit zu sorgen. Von vornherein mußte also das Verhältnis der Banken zur Industrie in Deutschland und – zum Teil in anderen Formen – in den Vereinigten Staaten ein ganz anderes werden als in England. Entsprang diese Verschiedenheit vor allem der rückständigeren, später einsetzenden kapitalistischen Entwicklung Deutschlands, so wurde diese innige Verbindung zwischen industriellem und Bankkapital umgekehrt zu einem wichtigen Moment in der Entwicklung zu höheren kapitalistischen Organisationsformen in Deutschland und Amerika. [6] Dieses Zusammenfallen der Schutzzollpolitik mit der Finanzierung der Industrie durch die Banken mußte bei rasch sich entwickelnder industrieller Entfaltung bald jene Kartellierungstendenzen schaffen, die selbst wieder neue Schutzzollinteressen schufen, da sich die Funktion des Schutzzolles selbst dadurch änderte.

Der alte Schutzzoll hatte die Aufgabe, neben der Ausgleichung etwa vorhandener ungünstiger Naturumstände, das Entstehen einer Industrie innerhalb der geschützten Grenzen zu beschleunigen. Er sollte die in Entwicklung begriffene heimische Industrie vor der Gefahr bewahren, durch übermächtige Konkurrenz der schon entwickelten ausländischen Industrie gehemmt oder vernichtet zu werden. Seine Höhe brauchte nur eine mäßige zu sein, eben groß genug, um den Vorsprung der fremden Industrie auszugleichen. Er konnte keineswegs ein prohibitiver sein, da die einheimische Industrie den Bedarf noch nicht zu decken vermochte. Und er war vor allem nicht als dauernder gedacht. Hatte er erst seine Funktion als „Erziehungszoll“ erfüllt, war die heimische Industrie entwickelt, konnte sie den einheimischen Bedarf decken und zur Exportmöglichkeit heranreifen, so verlor der Schutzzoll seinen Sinn. Er war nur ein Hindernis für günstige Exportchancen, indem er fremde Nationen zu ähnlichen Maßregeln bewog. Seine preiserhöhende Wirkung konnte unter dem System der freien Konkurrenz von dem Moment an nicht mehr wirksam werden, wo die geschützte Industrie den einheimischen Bedarf befriedigte und den Export beginnen konnte. Denn bei freier Konkurrenz mußte in diesem Moment der Preis auf dem geschützten Markt gleich sein dem Weltmarktpreis, da ja durch Ersparung der Transportspesen nach dem entfernteren ausländischen Markt der Absatz auf dem Inlandsmarkt gewinnreicher war als auf dem auswärtigen und das Angebot der Industrie gleich oder größer war als die heimische Nachfrage. Der Schutzzoll war daher seiner Höhe nach ein mäßiger und seiner Dauer nach ein vorübergehender, der nur während der Jugendzeit eines Industriezweiges über die Schwierigkeiten des Anfanges hinweghelfen sollte.

Anders im Zeitalter der kapitalistischen Monopole. Jetzt treten gerade die mächtigsten, exportfähigen Industrien, deren Konkurrenzfälligkeit auf dem Weltmarkt keinem Zweifel unterliegt, für die also der Schutzzoll nach der alten Theorie kein Interesse mehr haben sollte, für Hochschutzzoll ein. Nun hat der Schutzzoll von dem Moment an keine preissteigernde Wirkung mehr, in dem die einheimische Industrie den einheimischen Bedarf vollständig deckt – Herrschaft der freien Konkurrenz vorausgesetzt. Aber der industrielle Schutzzoll war eines der wirksamsten Beförderungsmittel der Kartelle, einmal durch die Erschwerung der ausländischen Konkurrenz [7], dann aber weil das Kartell die Möglichkeit bot, die Zolldifferenz auch dann auszunützen, wenn selbst die Exportfähigkeit bereits erreicht war. Das Kartell schließt durch Kontingentierung des für den inländischen Konsum bestimmten Produktionsquantums die Konkurrenz auf dem inneren Markte aus. Der Wegfall der Konkurrenz erhält die preiserhöhende Wirkung des Schutzzolles auch für jenes Stadium, wo die Produktion den Bedarf des Inlandes längst übersteigt. So wird es zu einem eminenten Interesse der kartellierten Industrie, den Schutzzoll zu einer dauernden Einrichtung zu machen, der ihr erstens den Bestand als Kartell sichert und zweitens ihr gestattet, auf dem inländischen Markt ihr Produkt mit einem Extraprofit zu verkaufen. Die Höhe dieses Extraprofits ist gegeben durch die Erhöhung des inländischen Preises über den Weltmarktpreis. Diese Differenz hängt aber ab von der Höhe des Zolles. Ebenso unbeschränkt wie das Streben nach Profit wird so das Streben nach Erhöhung des Zolles. Die kartellierte Industrie ist so unmittelbar im höchsten Maße interessiert an dem quantitativen Ausmaß des Schutzzolles. Je höher der Zoll, desto höher kann der Inlandpreis über den Weltmarktpreis erhöht werden, und so wird aus dem Erziehungszoll ein Hochschutzzoll. Aus dem Vertragsfreund, dem Befürworter allmählicher Zollherabsetzung, ist der leidenschaftlichste Hochschutzzöllner geworden.

Das Kartell profitiert aber nicht nur an dem Schutzzoll, der auf die von ihm selbst hergestellten Produkte gelegt ist. Wir wissen, daß der Kartellpreis caeteris paribus seine Schranke findet an der Profitrate der anderen Industrien. Wird zum Beispiel die Profitrate in der Maschinenindustrie durch Erhöhung der Maschinenzölle gesteigert, so können die Kartelle der Kohlen- und Eisenproduktion ihre Preise erhöhen und sich so einen Teil oder eventuell den ganzen Extraprofit der Maschinenindustrie aneignen. Es entsteht so ein Interesse der monopolistischen Verbände an Zöllen nicht nur auf ihre eigenen Produkte, sondern auch auf die der weiterverarbeitenden Industrien.

Der Schutzzoll gewährt also dem Kartell einen Extraprofit über den durch die Kartellierung erreichten hinaus [8] und gibt ihm die Macht, von der Bevölkerung des Inlandes gleichsam eine indirekte Steuer zu erheben. Dieser Extraprofit stammt jetzt nicht mehr aus dem Mehrwert, den die vom Kartell angewandten Arbeiter erzeugen; er ist auch nicht mehr ein Abzug vom Profit anderer nichtkartellierter Industrien, sondern er ist ein Tribut, welcher der gesamten Konsumentenklasse des Inlandes auf erlegt ist; in welchem Ausmaß er von den einzelnen Schichten dieser Konsumenten getragen wird, ob er in concreto Abzug von der Grundrente, vom Profit oder vom Arbeitslohn ist und in welchem Maße er es ist, hängt genauso wie bei der Abwälzung von indirekten, auf industriellen Rohstoffen und Genußmitteln lastenden Steuern von den konkreten Machtverhältnissen und von der Natur des Gegenstandes ab, der durch den Kartellschutzzoll verteuert wird. Eine Erhöhung des Zuckerpreises trifft da zum Beispiel die Masse der Arbeiter stärker als eine Erhöhung des Preises landwirtschaftlicher Maschinen oder von Möbeln aus gebogenem Holz. Aber wie immer schließlich diese Erhöhungen wirken, ein Teil des Einkommens der Gesellschaft wird durch sie mit Beschlag belegt zugunsten der zollgeschützten kartellierten Industrie, deren Akkumulation dadurch mächtig gefördert wird.

Diese Art der Steigerung des Profits mußte aber um so wichtiger werden, als die Erhöhung der Profitrate durch Steigerung des absoluten Mehrwerts, also durch Verlängerung der Arbeitszeit und Senkung des Arbeitslohnes, infolge der Erstarkung der Arbeiterorganisationen unmöglich wurde, vielmehr die entgegengesetzte Tendenz immer mehr zunahm. Daß aber die Durchsetzung der industriellen Zölle auch die Erhöhung der Agrarzölle mit sich brachte, hatte gerade für die schweren Industrien wenig Bedeutung, da sie infolge ihrer hohen organischen Zusammensetzung die Verteuerung der Arbeitskraft nicht allzusehr belastete, ihre Stellung im Lohnkampf eine außerordentlich starke ist und die geringe Steigerung der Produktionskosten infolge der agrarischen Zölle durch den Extraprofit infolge der Schutzzölle weitaus überkompensiert wurde, wenn diese nur hoch genug festgesetzt wurden.

Die Preiserhöhung auf dem Inlandsmarkt aber hat die Tendenz, den Absatz der kartellierten Produkte zu verringern, und gerät damit in Widerspruch mit der Tendenz, die Produktionskosten durch Ausdehnung der Stufenleiter der Produktion herabzusetzen. Wo die Kartelle noch nicht festgefügt sind, mag dies dem Bestand des Kartells gefährlich werden. Die großen, besteingerichteten Betriebe, denen die Verminderung ihres Absatzes durch die Kartellpolitik unerträglich wird, eröffnen aufs neue den Konkurrenzkampf, um die schwächeren Betriebe zu vernichten und sich deren Absatzgebiet anzueignen, worauf nach beendigtem Kampf auf neuer Grundlage ein noch stärkeres Kartell entstehen mag. Ist aber das Kartell festgefügt, dann wird es die Einschränkung auf dem Inlandsmarkt auszugleichen suchen durch Verstärkung des Exports, um auf derselben und womöglich auf größerer Stufenleiter die Produktion fortführen zu können. Auf dem Weltmarkt muß natürlich das Kartell zu dem Weltmarktpreis verkaufen. Ist das Kartell überhaupt leistungs- und exportfähig, was ja nach unserer Voraussetzung der Fall ist, so wird sein wirklicher Produktionspreis (k + p) dem Weltmarktpreis entsprechen. Das Kartell ist aber in der Lage, auch unter seinem Produktionspreis zu verkaufen. Denn auf dem inländischen Markt hat es ja auf die hier abgesetzte Produktion einen durch die Zollhöhe bestimmten Extraprofit erzielt. Es ist deshalb in der Lage, einen Teil dieses Extraprofits zu verwenden, um sein Absatzgebiet im Ausland durch Unterbietung seiner Konkurrenten auszudehnen. Gelingt dies, so kann es eventuell seine Produktion steigern, die Produktionskosten verbilligen und damit, da der inländische Preis derselbe bleibt, neuen Extraprofit erzielen. Dieselbe Wirkung erzielt das Kartell, wenn es seinen inländischen Abnehmern aus seinem Extraprofit Exportprämien zahlt, wenn diese ihre Produkte ausführen. Die Höchstgrenze der Exportprämie ist hier bei gegebener Größe des Wirtschaftsgebietes und gegebener inländischer Konsumtion bestimmt durch die Höhe des Zolles; in günstigen Konjunkturen aber wird das Kartell in der Lage sein, diese Prämie viel niedriger anzusetzen, eventuell ganz aufzuheben und sich auf diese Weise einen Teil des Konjunkturgewinnes, der sonst seinen Abnehmern zufiele, anzueignen. Bei ungünstigen Konjunkturen wird vielleicht auch die volle Prämie nicht ausreichen, um die Verluste der Abnehmer bei den gesunkenen Weltmarktpreisen auszugleichen. Die Geschichte der Kartelle lehrt immer wieder, wie wichtig es für den Bestand von Kartellen ist, auch den Export in der Hand zu haben, da sonst die Hinderung des Exports durch mangelnde Ausbildung des Prämiensystems die Existenz der Kartelle immer wieder bedroht.

Mit der Entwicklung des Prämiensystems hat aber der Schutzzoll seine Funktion völlig gewandelt, ja in sein Gegenteil verkehrt. Aus einem Mittel der Abwehr gegen die Eroberung des einheimischen Marktes durch fremde Industrien ist ein Mittel der Eroberung der fremden Märkte durch die einheimische Industrie geworden, aus der Verteidigungswaffe des Schwachen die Angriffswaffe des Starken.

Der englische Freihandel galt seinen Vertretern durchaus nicht als eine nur für England anzuwendende Wirtschaftspolitik. Vielmehr war die Verallgemeinerung der Freihandelspolitik ein wichtiges Interesse der englischen Industrie, deren Weltmarktmonopol dadurch gesichert war. Der Schutzzoll anderer Staaten bedeutete eine Einschränkung der Absatzmöglichkeiten englischer Waren. Auch darin hat sich heute insofern eine Änderung vollzogen, als das Kapital auch diese Schranke überwindet. Die Einführung oder Erhöhung des Zolles in einem anderen Lande bedeutet zwar nach wie vor für das dorthin exportierende Land eine Einschränkung seiner Absatzmöglichkeit, also ein Hindernis seiner industriellen Entwicklung. Aber der Schutzzoll bedeutet in diesem Lande Extraprofit, und dieser wird ein Motiv, statt der Waren die Produktion der Waren selbst in das fremde Land zu bringen. Solange der Kapitalismus unentwickelt war, war diese Möglichkeit verhältnismäßig gering, zum Teil weil damals die staatliche Gesetzgebung hindernd eingriff, zum Teil weil die ökonomischen Vorbedingungen für kapitalistische Produktion noch nicht genügend gegeben waren, Mangel an staatlicher Sicherheit, Mangel an Arbeitskräften, besonders an qualifizierten, bestand, Hindernisse, die langsam und allmählich überwunden werden mußten und die Kapitalsübertragung außerordentlich erschwerten. Diese Hindernisse sind aber heute zumeist beseitigt. So wird es dem Kapital eines entwickelten Landes möglich, die schädlichen Folgen des Schutzzollsystems in seiner Wirkung auf die Profitrate zu überwinden durch das Mittel des Kapitalexports.


Anmerkungen

1. Da die Aufdeckung der wirtschaftlichen Gesetze den Inhalt der politischen Ökonomie bildet, so wird der Kampf gegen die merkantilistische Wirtschaftspolitik zu der einen mächtigen Triebkraft der Entwicklung der theoretischen Ökonomie. Die andere früher einsetzende und noch mehr unmittelbar auf den Grund gehende Triebkraft war die Bemühung um das Kardinalproblem der wirtschaftlichen Gesetzgebung zu Beginn des modernen Kapitalismus, die Frage nach der richtigen Geldverfassung. Es ist das Problem des Geldes, das Petty stellt, was ihn zum Begründer der klassischen Ökonomie macht, weil es unmittelbar zum Wertproblem und damit zu dem Grundgesetz der politischen Ökonomie führt.

2. „Die Blüte des holländischen Supremats in Handel und Seefahrt liegt in der Zeit von der Gründung der Ostindischen Kompanie bis zu den Kriegen mit Cromwell und Karl II. 1600 bis 1675; am Schluß dieser Periode schätzte Colbert die gesamte Handelsmarine der europäischen Staaten auf 20.000 Seeschiffe, von denen 16.000 allein auf die Holländer, die man daher die Frachtfuhrleute Europas nannte, gekommen wären. Ein unermeßliches Kolonialreich in Asien, in Süd- und Nordamerika, in Afrika wurde geschaffen, ein großes Assekuranzgeschäft entstand; Amsterdams Börse war die erste, dort war der Weltmarkt des Geldes, dessen niedriger Zinsfuß der Industrie und dem Handel immer von neuem zustatten kam. Die Fischerei mit Herings- und Walfischfang wurde von keiner anderen Nation erreicht. Die Handelspolitik war die freiheitlichste jener Zeit. Es gab keine Konkurrenten, die Holland zu fürchten gehabt hätte.“ Sartorius, l. c., S. 369.

3. Die Summe der Pensionen allein, die aus Indien alljährlich nach England fließen, wird heute auf jährlich 320 Millionen Mark berechnet. Dazu kommen die enormen Beträge zur Bezahlung der englischen Beamten, zur Erhaltung der Armee und zur Führung eines Teiles der englischen Kolonialkriege in Asien.

4. „Dagegen gab England trotz Cobden seine eigenen Kolonien nicht auf. Der leitende liberale Staatsmann jener Tage, Lord John Kussel, mochte die Meinung seiner Partei zum Ausdruck bringen, wenn er die Zeit der Loslösung für noch nicht gekommen erklärte. England habe inzwischen alles zu tun, um die Kolonien zur Selbstregierung zu erziehen. In der Tat verzichtete England unter dem Einfluß der Manchesterlehre auf die bisherige Auffassung, welche in den Kolonien nutzbaren Besitz erblickte. Noch Sir Robert Peel hatte gesagt: ‚In jeder unserer Kolonien besitzen wir ein zweites Irland.‘ Nunmehr gründete England die Beziehungen zu seinen überseeischen Siedlern auf Freiwilligkeit und gab ihnen parlamentarische Verfassungen. Damit wurden die Manchesterleute – ohne es zu wollen – Neubegründer des britischen Reiches, welches durch Rotrücke nicht zusammenzuhalten gewesen wäre.“ Schulze-Gävernitz, Der britische Imperialismus, S. 75.

5. Siehe Rudolf Hilferding, Der Funktionswandel des Schutzzolles, Neue Zeit, XX, 2., und Robert Liefmann, Schutzzoll und Kartelle, Jena 1903. Reichhaltiges Illustrationsmaterial bei Hermann Levy, Einfluß der Zollpolitik auf die wirtschaftliche Entwicklung der Vereinigten Staaten, Conrads Jahrbücher 1909, und Entwicklungsgeschichte einer amerikanischen Industrie, Conrads Jahrbücher 1905.

6. Daß die analoge Entwicklung in Frankreich ausblieb, die durch die Gründung des Credit mobilier angebahnt wurde, erklärt sich aus jenen Ursachen, die die industrielle Entfaltung Frankreichs überhaupt verhindert haben. Dazu gehört die für kapitalistische Entwicklung ungünstige Bodenverteilung mit ihren Folgen, dem Zweikindersystem und dem Mangel einer ausreichenden industriellen Reservearmee, die übermäßige Schutzzollpolitik und die übermäßige Kapitalausfuhr, die selbst wieder in dem auf dem Kleinbürgertum, Kleinbauerntum und der Luxusindustrie beruhenden Rentnertum ihre Ursachen hat.

Den Zusammenhang zwischen Nationalisierung des Kapitals einerseits und der Verstärkung des Einflusses der Banken auf die Industrie infolge mangelnder Kapitalkraft der deutschen Industriellen selbst beleuchtet eine Aussage Alexanders in der Deutschen Börsenenquete (Teil I, S. 449). Danach befand sich eine Anzahl Kohlenzechen, wie Herne, Bochum usw., bis vor kurzem (1892) im Besitz französischer und belgischer Aktionäre. Gleichzeitig fand eine Konzentration der Zechen statt. Die Vermittlung im Ankauf der Aktien wurde von Bankinstituten übernommen, da die Gesellschaften selbst dafür keine flüssigen Mittel besaßen. Die Banken konnten darauf nur eingehen, weil sie sicher waren, durch das Termingeschäft diese Bestände, die ihre Mittel festlegten, bald wieder abstoßen zu können.

Man darf übrigens annehmen, daß die Schwächung der Börsen durch gesetzliche Einschränkung und namentlich die Einschränkung des Termingeschäftes dahin tendiert, den Einfluß der Banken auf die Industrie zu steigern, da diese dann auf die Bankenvermittlung in höherem Maße angewiesen ist als bei einer kräftig funktionierenden Börse. In der Tat ist ja auch die Wirkung der deutschen Börsengesetzgebung den Großbanken sehr zustatten gekommen.

7. Natürlich ist den Fabrikanten diese Wirkung des Freihandels, die Kartellbildung zu erschweren, bewußt. Ein englischer Fabrikant machte in der Times vom 10. Oktober 1906 den Vorschlag eines Kartells der englischen Elektrizitätsfirmen. Dabei gab der Proponent selbst zu, daß „in einem Freihandelsland hohe Preise und Einschränkung der Produktion den Handel nur in die Hände der ausländischen Konkurrenz bringen würde“. Ein anderer Fabrikant antwortete:

„Wenn wir Schutzzoll hätten, so könnten wir etwas in der Art tun, wie es in dem Vorschlag enthalten ist, aber wir wissen aus Erfahrung, daß jeder Versuch mit einer Kombination unter den bestehenden Verhältnissen aussichtslos ist, um die Preise auf der von Ihrem Korrespondenten vorgeschlagenen Höhe zu halten. Wir leiden alle durch die Überproduktion, und bis diese nicht geheilt ist, entweder dadurch, daß die Fabrikanten ihre Produktion einschränken oder diese gänzlich aufgeben, werden wir weiter leiden.“ Macrosty, a. a. O., S. 519 ff.

Macrosty selbst sagt a. a. O., S. 342:

„The weakness of every form of combination in the United Kingdom is due to the free admission of foreign competition. If that can be removed their strength is enormously increased and all the conditions of the problem are altered.“

8. Wie sehr diese Möglichkeit selbst erst zum Motiv für Kartellierung wird, zeigt die schwere Erschütterung, die die deutschen und österreichischen Zuckerkartelle erfuhren, als der Zuckerzoll infolge der Brüsseler Konvention auf 6 Franc herabgesetzt wurde. Der österreichische Zoll zum Beispiel von 22 Kr. hatte den im Kartell vereinigten Fabriken einen Extraprofit geliefert, der so hoch war, daß er den Vorteil, der selbst für die größten und technisch vollkommensten Fabriken aus einem Konkurrenzkampf und Verdrängung der kleineren entspringen konnte, weitaus überwog und sie zum Abschluß des Kartells geneigt machte. Zugleich war die Bedingung der Kontingentierung der Produktion, die ja gerade den größten und technisch vollkommensten Unternehmungen verhältnismäßig größere Opfer auferlegte, viel leichter zu ertragen, da die Höhe des Zolles und die dadurch ermöglichte Erhöhung des Inlandpreises den daraus entspringenden Nachteil weitaus wettmachte. Man ersieht auch daraus, wie sehr nicht nur der Zoll an sich, sondern die Hohe des Zolles für die Kartellierung in Betracht kommt.


Zuletzt aktualisiert am 27. September 2016