Rudolf Hilferding

Das Finanzkapital


Vierter Abschnitt
Das Finanzkapital und die Krisen


XX. Kapitel
Die Änderungen im Krisencharakter
Kartelle und Krisen


Die Entwicklung der kapitalistischen Produktion bringt auch gewisse Änderungen in den Erscheinungsformen der Krisen hervor, deren Betrachtung wir uns jetzt zuzuwenden haben. Dabei kann es sich aber nur um den Versuch handeln, die allgemeinen Entwicklungslinien zu ziehen, während es Aufgabe der historischen Einzeldarstellung ist, die Änderungen in den Krisen für jedes einzelne Land in vergleichender Darstellung nachzuweisen. Hier kann nur versucht werden, das Allgemeine in dem Besondern aufzuzeigen, was um so schwieriger ist, als mit dem Fortschreiten des Kapitalismus die internationale Verflechtung der Wirtschaftsvorgänge immer inniger wird und daher auch bei den Krisen die Erscheinungen des einen Landes mit all seinen Besonderheiten des zeitlichen, technischen und organisatorischen Entwicklungsstadiums zurückwirkt auf die Krise des anderen Landes. So sind zum Beispiel die Erscheinungen der jüngsten europäischen Krise von 1907 nur zu verstehen aus der Rückwirkung der amerikanischen Krise; der besondere Charakter der amerikanischen Krise, welche die Erscheinungen der Geld- und Bankkrise in höchster, in Europa schon lange nicht mehr erreichter Vollendung zeigte, hatte spezifische Erscheinungen an den europäischen Geldmärkten zur Folge, die in manchen Einzelheiten und Verschärfungen ohne diese Rückwirkung vielleicht vermieden worden wären.

Anderseits ist es ebenso unmöglich, allgemeine Gesetze über die Veränderung der Krisen aus der Krisengeschichte eines einzigen Landes, zum Beispiel Englands, abzuleiten, weil eben die kapitalistische Krise eine Weltmarkterscheinung – und je länger desto mehr – ist und die Krisen eines einzigen Landes durch die Besonderheiten der kapitalistischen Entwicklung in diesem Lande auch bestimmte Modifikationen erfahren können, deren Verallgemeinerung irreführen muß. [1]

Wollen wir also die Veränderungen in den Krisenerscheinungen feststellen, so müssen wir sie zugleich theoretisch ableiten können, um die Gewißheit zu haben, daß es sich nicht um besondere, einer Phase des Kapitalismus entsprechende, im ganzen also vielleicht zufällige Erscheinungen handelt, sondern um Tendenzen, die aus dem Wesen der kapitalistischen Entwicklung erwachsen.

Der Kapitalismus entwickelt sich in einer Gesellschaft, in der die Warenproduktion einen verhältnismäßig noch geringen Raum einnimmt. Erst seine Ausdehnung bringt die Verallgemeinerung der Warenproduktion mit sich, die Herstellung des nationalen und des beständig in Ausdehnung begriffenen Weltmarktes. Mit der Ausdehnung des Marktes entwickeln sich auch die Bedingungen, unter denen Krisen stattfinden können. Solange die kapitalistische Produktion sich über einen breiten Unterbau der Produktion für den Selbstbedarf und einer handwerksmäßig gebundenen, für den lokalen Markt bestimmten, nichtkapitalistischen Warenproduktion erhebt, treffen die Krisen mit ihrer ganzen Wucht nur den kapitalistischen Überbau. Sie treffen damit Produktionszweige, deren Absatz fast vollständig zum Stocken gebracht werden kann, weil die notwendige Zirkulation, diejenige, die zum Stoffwechsel der Gesellschaft unbedingt erforderlich ist, durch die handwerksmäßige Produktion, der Rest des Bedarfs durch die Produktion für den Selbstbedarf gedeckt wird. Die Krise kann hier in dem kapitalistisch betriebenen Bereich der Produktion die größten Verheerungen mit sich bringen, indem sie den Absatz für einige Zeit vollständig unmöglich macht, vorausgesetzt, daß die Krisenursachen nur sonst stark genug sind, um die Produktion lahmzulegen, was, wie wir noch sehen werden, in dieser Periode auch der Fall ist.

Mit der Entwicklung der kapitalistischen Produktion wird die handwerksmäßige Produktion und die für den Selbstbedarf im großen Umfang vernichtet. Die Krise trifft jetzt eine Produktion, deren Einschränkung begrenzt wird durch die Notwendigkeit, den relativ und absolut bedeutend größeren gesellschaftlichen Bedarf zu decken. Mit dem Fortschreiten der Produktion wächst auch jener Anteil, der unter allen Umständen fortgeführt werden muß und dessen Fortführung die fast völlige Stockung des Produktions- und Zirkulationsprozesses einschränkt. Es erscheint dies darin, daß die der Konsumtion dienenden Industriezweige von der Krise verhältnismäßig schwächer getroffen werden, und um so schwächer, je notwendiger die Lebensmittel, je geringer daher die Schwankungen in ihrer Konsumtion.

Änderungen in den Krisenerscheinungen müssen auch eintreten infolge der Fortschritte der kapitalistischen Konzentration. Mit dem Umfang des Einzelunternehmens wächst seine Widerstandskraft. Je kleiner der Betrieb, desto wahrscheinlicher ist es, daß der Zusammenbruch der Preise völligen Bankrott nach sich zieht. Der kleine Unternehmer verliert vielleicht seinen ganzen Absatz; der Preissturz und die Arbeitsstockung machen die Verwandlung seines Warenkapitals in Geldkapital unmöglich. Er kann seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen, da er auch nicht über Reservekapital verfügt und besonders in Krisenzeiten keinen Kredit erhält. Die Krise führt so zum massenhaften Zusammenbruch der noch kleinkapitalistischen Unternehmungen, zum Versagen des Kredits, zu massenhaftem Bankrott, Zahlungseinstellungen, Bankbriichen und damit zur Panik. Es kommt dazu, daß auch die technischen Unterschiede größer sind. Modernen Betrieben stehen noch alte, zum Teil noch handwerksmäßige oder der Manufakturperiode angehörende Betriebe gegenüber, die der Preissturz völlig unmöglich macht. Aber ihr massenhafter Zusammenbruch reißt auch technisch an sich lebensfähige Unternehmer in das Verderben hinein. [2]

Anders steht der moderne Großbetrieb der Krise gegenüber; seine Produktion ist so groß, daß ein Teil auch während der Krise fortgeführt werden kann. Der amerikanische Stahltrust mag gezwungen sein, seine Produktion in der Krise auf die Hälfte zu vermindern; aber unter ein bestimmtes Minimum braucht er seine Produktion nicht einzuschränken. Mit der Konzentration der Betriebe wächst so der Umfang, in dem sie ihre Produktion aufrechterhalten können.

Mit der Entwicklung der kapitalistischen Produktion wächst also absolut und relativ der Umfang jenes Teiles der Produktion, der unter allen Umständen fortgeführt wird. Damit wächst aber auch der Umfang der Warenzirkulation, der während der Krise unberührt bleibt, damit aber auch der darauf beruhende Zirkulationskredit. Die Zerstörung des Kredits braucht also gleichfalls keine so vollständige zu sein wie in den Krisen der Frühperiode des Kapitalismus. Aber auch die Entwicklung der Kreditkrise auf der einen Seite zur Bankkrise, auf der anderen zur Geldkrise ist erschwert durch die Änderungen der Kreditorganisation einerseits, der Verschiebungen der Verhältnisse zwischen Handel und Industrie anderseits.

Die Kreditkrise entwickelt sich zur Geldkrise, wenn der Zusammenbruch des Kredits plötzlichen Mangel an Zahlungsmitteln erzeugt. [3] Dieser Mangel aber entsteht um so schwerer, je größef einmal der Umfang der Produktion ist, der unter allen Umständen fortgeführt wird. Denn in demselben Umfang kann das Kreditgeld seine Funktionen weiter erfüllen. Sodann je größer der Umfang der durch Kredit zu erledigenden Transaktionen ist und je mehr der kommerzielle durch den Bankkredit ersetzt ist. Denn die Erschütterung des Bankkredits ist schwieriger als die des Kredits eines einzelnen Industriellen. Entscheidend ist aber, daß der Mangel an Zahlungsmitteln überhaupt nicht eintritt, weil einmal die Entwicklung des Kredits den Bedarf an Zahlungsmitteln auch während der Krise herabdrückt, da zum Beispiel der Scheck- und Clearingverkehr fortdauert. Dann aber können diese Zahlungsmittel zur Verfügung gestellt werden durch die Notenbanken, deren Kredit auch während der Krise unerschüttert bleibt. Wir haben gesehen, daß die Notenzirkulation begründet ist auf der Wechselzirkulation. Diese kontrahiert sich einmal, weil ihre. Unterlage, die Warenzirkulation, sich kontrahiert. Sie kontrahiert sich aber stärker als die Warenzirkulation, weil der kommerzielle Kredit erschüttert ist. Die Bank ersetzt jetzt den kommerziellen Kredit durch ihren eigenen in dem Umfang, als es die wirkliche Warenzirkulation erlaubt. Sie kann das in diesem Umfang, weil die Fortdauer der Warenzirkulation ihr die Gewißheit gibt, daß ihre Forderungen gesichert sind. Für den wirklichen Bedarf der Zirkulation kann sie also ihr Kreditgeld zur Verfügung stellen und die Nachfrage nach Zahlungsmitteln befriedigen. Damit aber schränkt sie die Nachfrage nach Zahlungsmitteln auf ihren wirklichen, für die Zirkulation notwendigen Bedarf ein und verhütet jene fast unbegrenzte Nachfrage, die, aus der Furcht entsprungen, auch gegen die besten Sicherheiten keine Zahlungsmittel zu erhalten, über den wirklichen Bedarf hinausgeht und zur Aufschatzung in großem Maßstab, also wieder zur Verringerung der Zahlungsmittel führt. Um die Notenbank zu diesem Vorgehen instand zu setzen, ist notwendig, einmal daß ihr Kredit unerschüttert ist, was bei einer gutgeleiteten Notenbank eine sehr leicht zu erfüllende Bedingung ist, sodann daß die vermehrte Notenausgabe nicht die Konvertibilität gefährdet. Diese Bedingung wird erfüllt durch das der Bank schon durch ihr Selbsterhaltungsinteresse diktierte Vorgehen, ihre Noten während der Krise nur gegen unbedingte Sicherheit zu gewähren, wodurch sie die Garantie erhält, daß sie wirklich nur das Zirkulationsbedürfnis in den während der Krise gegebenen Grenzen erfüllt. Zweitens, daß diese Konvertibilität gegen unvorhergesehene Zufälle geschützt ist durch eine hinreichende Reserve von Bargeld, vor allem durch Gold. Diese Bedingung aber wird mit der Entwicklung der kapitalistischen Produktion erfüllt durch die gestiegene Goldproduktion, durch die Ansammlung des Goldes in den Banken und die Beschränkung der Funktion dieses Goldes darauf, als Reserve zu dienen. Durch die Entwicklung des Kredits wird das Gold immer mehr beschränkt auf die Funktion, dem Ausgleich der internationalen Zahlungsbilanz zu dienen. Steigt auch der Umfang der internationalen Zahlungen absolut kolossal, so steigt durch die Entwicklung des international fungierenden Kreditgeldes die bar zu begleichende Bilanz nicht in gleichem Umfang und nicht in demselben Verhältnis wie die angesammelte Goldreserve in Ländern alter kapitalistischer Entwicklung. Und dies setzt die Notenbanken in den Stand, den erhöhten Ansprüchen während der Krise nachzukommen. Voraussetzung ist natürlich, daß sie in ihren ökonomischen Funktionen nicht gehemmt werden durch gesetzlichen Zwang, wie dies in England durch die Peelsakte, in den Vereinigten Staaten durch die unsinnigen Deckungsvorschriften geschieht und dort auch Geldkrisen in typischem Sinn erzeugt hat.

Das Ausbleiben der Geldkrise bewahrt aber den Kredit vor vollständigem Zusammenbruch und ist damit zugleich eine Vorbeugung für die Entstehung der Bankkrise. Der Run auf die Banken unterbleibt, die Depositenentziehung wird keine akute und vollständige, und die Banken können, wenn sie sonst zahlungsfähig sind, ihren Verpflichtungen nachkommen. Soweit aber die Bankkrise nicht als Folge der Kredit- und Geldkrise entspringt, sondern primär aus Festlegung der Bankmittel und Verlusten aus Kreditgewährungen, hat auch hier die kapitalistische Entwicklung Tendenzen, die eine Milderung der Krise für das Kapital erzeugen.

Die größte Rolle spielt auch hier die Bankkonzentration. Sie gestattet durch den riesig erweiterten Geschäftsumkreis und durch die Ausdehnung über verschiedene nationale Wirtschaftsgebiete mit verschiedener kapitalistischer Entwicklungsstufe eine viel größere Verteilung des Risikos. Sodann aber geht diese zunehmende Konzentration der Banken zugleich mit einer Änderung ihrer Stellung zu der Spekulation, dem Handel und der Industrie vor sich. Zunächst bedeutet die Bankkonzentration eine Machtverschiebung zugunsten der Bank schon vermöge ihrer großen Kapitalskraft. Diese Kraft ist nicht nur quantitativ bedeutender als die der Schuldner der Bank, sondern die Überlegenheit der Bank ist eine qualitative dadurch, daß die Bank über das Kapital in seiner stets schlagfertigen Form, der Geldform, verfügt. Diese Überlegenheit aber verhütet, daß eine große, gut geleitete Bank in solche Abhängigkeit von dem Schicksal einer einzigen oder einiger weniger Unternehmungen gerät, bei denen sie ihre Mittel festgelegt hat, daß sie in deren Zusammenbruch während der Krise unrettbar mitverstrickt wird.

Untersucht man die Ursachen, die die Entstehung der Bankkrise erschweren, im einzelnen, so ist zunächst zu erwähnen, daß die Spekulation an Ausdehnung und Bedeutung sehr viel verloren hat, und zwar sowohl die Waren- als die Effektenspekulation. Unter Warenspekulation verstehen wir hier nicht nur die börsenmäßige Spekulation, sondern vor allem jene des Warenhandels, die Nachfrage der Waren von seiten der Händler, in der Erwartung, daß die Preise weitersteigen werden, und die Ansammlung größerer Warenlager, um durch Zurückhalten des Angebots die Preise weiter zu steigern. Diese Spekulation geht zurück einmal mit der Ausschaltung des Handels überhaupt, mit der Zunahme des direkten Verkehrs zwischen Produzenten und Konsumenten und mit der Verwandlung der Händler in auf feste Provision gesetzte Agenten der Syndikate und Trusts. Dies verhindert bis zu einem gewissen Umfang, daß in der Hochkonjunktur die Preise durch den Handel spekulativ weit über die Preisfestsetzungen der Produzenten hinaus gesteigert werden, daß flotter Absatz noch vorgetäuscht wird, während in Wirklichkeit die effektive Nachfrage bereits zu stocken begonnen hat. [4]

Wo aber der Großhandel – und nur um diesen handelt es sich in diesem Zusammenhang – seine alte Stellung nicht an die Industrie oder die Warenabteilungen von Großbanken verloren hat, weist er selbst starke Konzentration auf und schränkt die Beteiligung kapitalsschwacher oder ganz außenstehender Elemente stark ein. Wo aber infolge besonderer Bedingungen der börsenmäßige Warenhandel noch eine besondere Rolle spielt, werden die Bewegungen der Spekulation immer mehr beherrscht von den Banken, denen die Entwicklung der Kreditorganisation immer mehr die Verfügung über das gesamte Geldkapital gibt und die imstande sind, die Spekulationsbewegungen nicht über gewisse Grenzen hinausgelangen zu lassen.

Schließlich wirkt auf die Einschränkung der Warenspekulation die Entwicklung der Transportmittel, die die Entfernung vom Markte gerade für die der Spekulation besonders unterliegenden Waren stark verkürzt hat, sowie die des Nachrichtendienstes, der über den Stand der Märkte jeden Moment unterrichtet. Die Ansammlung von unverkäuflichen Produkten auf entfernten Märkten, während an den Produktionsstätten die Produktion in altem oder gesteigertem Umfang weitergeht, ist viel schwieriger. Dann aber spielt infolge der Verringerung des relativen Anteils der Konsumtionsmittel die Spekulation in Kolonialprodukten, die bei den älteren englischen Krisen oft so verhängnisvoll war, eine viel geringere Rolle, wozu die Sicherheit und Regelmäßigkeit in der Zufuhr, die Genauigkeit und Schnelligkeit in der Marktberichterstattung das Ihrige beiträgt. Dazu kommt, daß die Warenspekulation an Bedeutung verliert mit dem immer größer werdenden Umfang, den die Produktionsmittelindustrien annehmen, deren Produkte nicht der Spekulation unterliegen, weil die Produktion immer mehr Kundenproduktion wird.

In derselben Richtung der Erschwerung einer Entstehung der Bankkrisen wirken die Änderungen der Krisenerscheinungen in der Industrie und die Entwicklung der Bankenherrschaft über die Industrie. Wir haben gesehen, daß die wachsende Konzentration die industriellen Unternehmungen gegen die äußerste Wirkung der Krise, den völligen Bankrott, widerstandsfähiger macht. Diese Widerstandsfähigkeit wird erhöht durch die Organisationsform der Aktiengesellschaft, die zugleich, wie wir gesehen haben, den Einfluß der Banken auf die Industrie außerordentlich steigert. Denn die Aktiengesellschaft erhöht die Widerstandsfähigkeit des Unternehmens. Sie ermöglicht die Fortführung auch bei fehlendem Ertrag und selbst bei Verlusten, weil Kapitalzufuhr hier leichter möglich ist als beim Einzelbetrieb. Zweitens ist es bei der Aktiengesellschaft leichter möglich, Reserven anzusammeln und in guten Jahren Vorsorge für schlechte zu treffen. Drittens unterliegt die Anwendung der Mittel und vor edlem die Verwendung des ausgeliehenen Kapitals leichterer und daher schärferer Kontrolle. Die Banken kontrollieren unmittelbar die Verwendung der von ihnen durch Kredit unterstützten Gesellschaften. Die Kontrolle wird immer systematischer durchgeführt, je mehr die Tendenzen dahin gehen, die Industrie in Abhängigkeit von den Banken zu führen. Die Ausnützung des Kredits zu anderen als den Zwecken des Unternehmens selbst wird verhindert. In den älteren Krisen spielt der Umstand eine große Rolle, daß die Einzelunternehmer sich an der Spekulation in hohem Maße beteiligen und dazu ihr Betriebskapital verwenden, während sie ihren Betrieb mit Leihkapital weiterführen. Das verhindert jetzt die kontrollierende Bank.

Es ist also eine doktrinäre Auffassung, die das notwendige und unumgängliche, weil den Gesetzen der kapitalistischen Entwicklung entspringende Eindringen der Banken in die Industrie als eine Gefahr für die Banken bekämpft und demgegenüber das organisatorisch zurückgebliebene englische Bankwesen mit seiner Arbeitsteilung in Depositenbanken und Spekulationsbanken als das Ideal ansieht, das, wenn nötig, durch gesetzlichen Zwang erreicht werden muß. Diese Auffassung nimmt einmal den Schein des englischen Bankwesens für Wirklichkeit, indem sie übersieht, daß auch in England die Banken ihre angesammelten Gelder Industrie, Handel und Spekulation zur Verfügung stellen. Daß das in England durch Mittelspersonen, in Deutschland und in wieder etwas modifizierter Form in den Vereinigten Staaten direkt geschieht [5], erklärt sich aus bestimmten historischen Ursachen. Das englische Verfahren ist aber rückständig und übrigens auch im Verschwinden begriffen, weil es die Kontrolle des verliehenen Bankkapitals erschwert und deshalb die Ausdehnung des Bankkredits selbst hindert.

Schließlich, und hier können wir uns mit dem Hinweis auf das in dem Kapitel über die Börse Gesagte begnügen, spielt auch die Effektenspekulation als ein die Bankkrise verursachendes Moment eine stets geringere Rolle. Immer mehr werden die Spekulationsbewegungen mit der wachsenden Macht der Banken von diesen beherrscht und nicht mehr die Banken von den Spekulationsbewegungen. Mit der Bedeutung der Börse im allgemeinen geht noch rascher ihre Rolle als krisenverschärfende Ursache zurück.

Mit der abnehmenden Rolle der Spekulation geht parallel auch eine Änderung in der Psychologie des kapitalistischen Publikums. Primitiv wie diese Psychologie des Spekulanten trotz aller Bemühungen seiner Bewunderer, in seine Psyche alle divinatorischen Fähigkeiten und romantischen Weltverbesserungspläne hineinzugeheimnissen, in Wirklichkeit ist, läßt sich die Änderung in dem Verhalten des spekulierenden Publikums aus dem Gemeinplatz des kapitalistischen Normalmenschen erklären: Durch Schaden wird man – weniger dumm. Jene Massenpsychosen, wie sie die Spekulation zu Beginn der kapitalistischen Ära erzeugt, jene seligen Zeiten, wo sich jeder Spekulant als Gott fühlte, der aus nichts eine Welt schafft, scheinen unwiederbringlich dahin. Der Tulpenschwindel mit seinem idyllischen Untergrund poetischer Blumenliebhaberei, der Südseeschwindel mit seiner abenteuerlich-anregenden Phantastik unerhörter Entdeckungen, die Lawschen Projekte mit ihren Welteroberungsabsichten, sie weichen der unverhüllten Jagd nach dem Differenzgewinn, die mit dem Krach von 1873 ihr Ende findet. Seitdem ist der Glaube an die Wundermacht des Kredits und der Börse geschwunden, der schöne katholische Kultus ist trotz Bontoux der nüchternen Aufklärung erlegen, die nicht an die unbefleckte Empfängnis durch den Geist der Spekulation mehr glauben will, sondern das Natürliche natürlich nimmt und den Glauben den Dummen läßt, die noch immer nicht alle werden. Die Börse hat ihre Gläubigen verloren und nur ihre Priester behalten, die aus dem Glauben der anderen ihr Geschäft machen. Da der Glaube zum Geschäft geworden, wird das Geschäft des Glaubens immer geringer. Der holde und einträgliche Wahnsinn ist verflogen, die Tulpen längst verblüht, und die Kaffeestaude liefert noch Handelsprofit, aber keinen rechten Spekulationsgewinn mehr. Die Prosa hat die Poesie des Gewinns erschlagen.

Die angeführten Momente lassen die Ursachen erkennen, die eine Änderung in den Krisenerscheinungen herbeiführen, soweit sie durch die Massenhaftigkeit der Bankrotte, durch die akuten Erscheinungen der Börsen-, Bank-, Kredit- und Geldkrise erzeugt sind. Sie schließen das Entstehen solcher Krisen durchaus nicht aus, aber sie erklären, warum diese schwerer eintreten. Ob sie eintreten, hängt von der Schwere der Störungen und der Plötzlichkeit ihres Eintretens ab. Ob diese so groß werden, daß sie etwa eine der Großbanken Deutschlands zu Falle bringen können – normale Leitung vorausgesetzt –, ist eine quaestio facti und nicht eine Frage der Theorie. Aber all diese Momente lassen das Eintreten der industriellen Krise selbst, den Umschwung von Prosperität und Depression unberührt. Die Frage entsteht, ob die große Änderung in der Organisationsform der Industrie, ob die Monopole durch ihre behauptete Aufhebung der regulierenden Kraft des kapitalistischen Mechanismus, der freien Konkurrenz, qualitative Änderungen in den Konjunkturerscheinungen verursachen können.

Wir wissen, daß die Kartelle eine Verschiebung des Preisniveaus hervorbringen können. Sie schaffen ein verschiedenes Niveau des Profits in den kartellierten und den unkartellierten Produktionszweigen. Auf dieser veränderten Basis spielen sich dann die Konjunkturerscheinungen ab, die dann selbst durch die Kartelle gewisse Modifikationen erfahren. Aber den Kartellen wurde und wird zum Teil auch jetzt andere Wirkung zugeschrieben. Sie sollen nicht nur eine Modifikation der Krisenwirkung bedeuten, sondern imstande sein, die Krisen gänzlich zu beseitigen, da sie die Produktion regulieren und das Angebot jederzeit der Nachfrage anzupassen vermögen.

Diese Ansicht übersieht gänzlich die innere Natur der Krisen. Nur wenn die Krisenursache einfach in einer aus der Unübersichtlichkeit des Marktes folgenden Warenüberproduktion gesehen wird, kann es plausibel werden, daß die Kartelle die Krisen durch Einschränkung der Produktion beseitigen können.

Daß die Krise mit Warenüberproduktion identisch sei oder sie zur „Ursache“ habe, erscheint als unumstößliche Gewißheit. Ist es ja die auf der Oberfläche liegende handgreifliche Tatsache. Die Preise sind niedrig, weil das Angebot die Nachfrage übersteigt, also weil eben zuviel Waren da sind, und jeder Blick auf die Marktberichte zeigt, daß die Warenlager überfüllt, die Waren unverkäuflich sind, daß also in der Tat Überproduktion an Waren besteht. Die Kartelle aber sind imstande, für den ganzen Industriezweig Einschränkungen der Produktion vorzunehmen; was früher das blinde Preisgesetz bewirkte, das eine ganze Anzahl von Betrieben durch das Sinken der Preise zum Stillstand und Bankrott brachte, diese segensreiche Einschränkung der Produktion besorgt jetzt rascher und schmerzloser der assoziierte Verstand der kartellierten Leiter der Produktion. Ja, noch mehr. Da das Kartell die Preise festsetzen, jeden Moment für die „Übereinstimmung von Nachfrage und Angebot sorgen“ kann, die Spekulation ausschaltet, den Handel genau kontrolliert und überwacht, wenn nicht direkt übernimmt, warum sollte es nicht möglich sein, durch genaue Anpassung der Produktion an den Bedarf die Krisen gänzlich aus der Welt zu schaffen, geringe Störungen des Wirtschaftslebens aber rasch und ohne große Erschütterungen zu beseitigen?

Es war zu schön gewesen, es hat nicht sollen sein. Wer die Krisen einfach einer Überproduktion von Waren gleichsetzt, übersieht gerade die Hauptsache: den kapitalistischen Charakter der Produktion. Die Produkte sind nicht nur Waren, sondern Produkte von Kapital, und die Überproduktion während der Krise ist nicht einfache Warenüberproduktion, sondern Überproduktion von Kapital. Das heißt aber nichts anderes, als daß das Kapital in der Produktion in einem Maße angelegt ist, daß seine Verwertungsbedingungen mit seinen Realisationsbedingungen in Widerspruch geraten sind, so daß der Absatz der Produkte nicht mehr den Profit abwirft, der eine weitere Ausdehnung, eine weitere Akkumulation möglich macht. Der Warenabsatz stockt, weil die Ausdehnung der Produktion aufhört. Wer daher die kapitalistische Krise cinfach mit Warenüberproduktion gleichsetzt, bleibt bei der Analyse der Krisen in den ersten Anfängen stecken. Daß es sich nicht um bloße Warenüberproduktion handeln kann, wird schon daraus ersichtlich, daß einige Zeit nach der Krise der Markt für eine viel größere Menge von Waren aufnahmefähig sich erweist. Jede folgende Prosperitätsperiode übergipfelt die frühere um ein bedeutendes, obwohl weder der Bevölkerungszuwachs noch das Wachsen des zur Konsumtion zur Verfügung stehenden Einkommens eine solche vermehrte Aufnahmefähigkeit erklären würde. Es handelt sich aber auch um ganz andere Faktoren als um die bloße Konsumtionsfähigkeit.

Die Störungen in der Preisregulierung, die schließlich zu den Disproportionalitätsverhältnissen und damit zu dem Widerspruch zwischen den Verwertungs- und Realisationsbedingungen führen, werden durch die Kartelle nicht vermindert, sondern verschärft.

Die Kartelle bewirken, daß die Konkurrenz innerhalb eines Produktionszweiges aufhört oder, besser gesagt, latent wird, daß die preissenkenden Wirkungen der Konkurrenz innerhalb dieser Sphäre nicht zur Geltung kommen; sie bewirken zweitens, daß die Konkurrenz der kartellierten Sphären auf Grund einer höheren Profitrate vor sich geht gegenüber den nichtkartellierten Industrien. Aber sie können nichts ändern an der Konkurrenz der Kapitalien um die Anlagesphären, an den Wirkungen der Akkumulation auf die Preisgestaltung und deshalb die Entstehung von Disproportionalitätsverhältnissen nicht verhindern.

Wir haben gesehen, daß während der Prosperität die Konkurrenz innerhalb derselben Produktionssphäre keine preissenkenden Wirkungen ausübt; die Nachfrage übersteigt ja das Angebot, und in solchem Falle besteht Konkurrenz unter den Käufern, nicht unter den Verkäufern.

Erst wenn das Angebot die Nachfrage übersteigt, tritt Konkurrenz der Verkäufer ein und die Preise beginnen zu sinken. Daß aber die Kartelle der Preisgestaltung folgen und sie nicht bestimmen, ergibt sich aus dem ganzen Mechanismus der Produktion. Gesetzt, die Kartelle bleiben in der Prosperitätsperiode bei niedrigen Preisen; dann findet kein Steigen der Profite, keine vermehrte Akkumulation statt; blieben die Preise der kartellierten Industrien niedrig, während die der nichtkartellierten stiegen, so flösse Kapital aus der kartellierten Industrie ab; es wäre sehr bald Überproduktion von Kapital in den nichtkartellierten, Unterproduktion in den kartellierten Produktionszweigen, schärfste Disproportionalität, die zur allgemeinen Krise führte, wie ja Krise möglich ist auch bei gleichbleibender Produktion und sogar bei verminderter. In Wirklichkeit wäre das Kartell längst gesprengt, weil es das Profitstreben nicht befriedigt, sondern gehemmt, also das Motiv seines Bestehens aufgehoben hätte. Die teilweise Regelung, das heißt die Zusammenfassung eines Industriezweiges in ein Unternehmen, bleibt eben ohne Einfluß auf die Proportionalitätsverhältnisse der Gesamtindustrie zueinander. Die Anarchie der Produktion wird nicht aufgehoben durch quantitative Verminderung der einzelnen Elemente bei gleichzeitiger Verstärkung ihrer Wirksamkeit und deren Intensität; sie kann überhaupt nicht ratenweise oder graduell aufgehoben werden. Geregelte und anarchische Produktion sind nicht quantitative Gegensätze, so daß durch Anstückelung von immer mehr „Regelung“ aus der Anarchie bewußte Organisation würde. Sondern ein solcher Umschlag kann nur plötzlich stattfinden durch die Unterstellung der gesamten Produktion unter die bewußte Kontrolle. Wer diese Kontrolle ausübt und wem die Produktion gehört, ist eine Frage der Macht. An sich wäre ein Generalkartell ökonomisch denkbar, das die Gesamtproduktion leitete und damit die Krisen beseitigte, wenn auch ein solcher Zustand sozial und politisch eine Unmöglichkeit ist, da er an dem Interessengegensatz, den er auf die äußerste Spitze treiben würde, zugrunde gehen müßte. Aber von den einzelnen Kartellen eine Aufhebung der Krisen erwarten, zeugt nur von der Einsichtslosigkeit in die Ursache der Krisen und den Zusammenhang des kapitalistischen Systems.

Ebensowenig wie die Kartelle das Entstehen von Krisen verhindern können, können sie sich ihren Wirkungen entziehen. Identifiziert man allerdings die Krise mit Überproduktion von Waren, so wäre das Heilmittel einfach. Das Kartell vermindert die Produktion, vollzieht also in beschleunigtem Tempo, vielleicht auch in größerem Umfang das, was die Krise durch Erzeugen von Bankrott und Betriebseinschränkungen auch ohnehin bewirkt hätte. Die sozialen Wirkungen, namentlich die Arbeitslosigkeit und Lohnsenkung, blieben natürlich dieselben. Die kartellierten Kapitalisten aber könnten die Preise hochhalten, da ja das Angebot stark eingeschränkt wurde. Die Preise blieben hoch, der Profit hätte sich zwar vermindert, weil der Absatz geringer und auch die Produktionskosten gestiegen wären. Nach einiger Zeit würde der Markt die überschüssigen Produkte aufgenommen haben, und die Prosperität könnte einsetzen. Jedoch diese Argumentation ist so einfach, wie sie falsch ist. Es handelt sich als Vorbedingung für das Wiedereinsetzen der Prosperität um zwei Bedingungen, einmal um die Herstellung der Proportionalität, die nötig ist, damit die Depression aufhöre, sodann um die Erweiterung der Produktion, denn nur das bedeutet ja Prosperität. Die beschriebene Kartellpolitik aber würde das Eintreten dieser Bedingungen gerade erschweren. Die Einschränkung der Produktion bedeutet Aufhören aller neuen Kapitalanlage; das Hochhalten der Preise verschärft die Wirkung der Krise für alle nichtkartellierten oder nicht so fest kartellierten Industrien. Hier wird der Profit noch stärker fallen respektive die Verluste noch größer sein, infolgedessen hier noch stärkere Einschränkung der Produktion erzwungen werden. Dadurch wird die Disproportionalität nur wieder verstärkt; der Absatz der kartellierten Industrie leidet noch weiter, es zeigt sich, daß trotz der starken Einschränkung die „Überproduktion“ noch andauert, ja sich noch verschärft hat. Eine weitere Einschränkung der Produktion bedeutet aber weiteres Brachlegen von Kapital bei gleichbleibenden „Generalunkosten“, also weiteres Steigen der Selbstkostenpreise und daher neue Verminderung des Profits, selbst bei Aufrechterhaltung der hohen Preise. Deren Höhe lockt Außenseiter an; diese können mit niedrigeren Anlage- und Arbeitskosten rechnen, da ja alle Preise gefallen sind, sie werden daher konkurrenzfähig und beginnen das Kartell zu unterbieten. Das Kartell kann die Preise nicht mehr halten, und der Preissturz greift auch auf die kartellierte Industrie über. Die künstlichen Eingriffe werden korrigiert, und die Preisgestaltung folgt den Gesetzen, die die Kartelle vergebens für sich auszuschalten trachteten. [6] Auf Grundlage der neuen Preisgestaltung vollzieht sich eine neue Verteilung des Kapitals in die verschiedenen Produktionssphären, und allmählich stellen sich wieder Proportionalitätsverhältnisse ein; die Depression ist überwunden. Die Prosperität kann beginnen, sobald technische Neuerungen oder neue Märkte erhöhte Nachfrage hervorrufen, welche Neuanlage von produktivem Kapital, vor allem von fixem Kapital hervorruft.

Die Kartelle heben also die Krisenwirkungen nicht auf. Sie modifizieren sie insofern, als sie die Wucht der Krise auf die nichtkartellierten Industrien abwälzen. Der Unterschied der Profitrate in kartellierten und nichtkartellierten Industrien, der im Durchschnitt um so größer ist, je fester das Kartell und je gesicherter sein Monopol, wird geringer während der Prosperität und größer während der Depression. Das Kartell mag auch imstande sein, den Profit während der ersten Zeit der Krise und Depression länger aufrechtzuerhalten als freie Industrien und für diese die Wirkung der Krise zu verschärfen. Dieser Umstand ist deshalb nicht bedeutungslos, weil gerade während der Krise und in der ersten Zeit danach die Lage der Industriellen am schwersten und ihre Selbständigkeit am gefährdetsten ist. Daß sie gerade in dieser Zeit durch die Kartellpolitik keine Erleichterung erhalten durch Verringerung der Preise ihrer Rohmaterialien usw., ist ein Moment, das für die Verschlechterung der Lage in den nichtkartellierten Industrien und die schnellere Herbeiführung der Konzentration von Bedeutung ist.


Anmerkungen

1. Ein Fehler übrigens, dem Tugan-Baranowski in seinen Schlüssen aus seiner ausgezeichneten und zuverlässigen Darstellung der englischen Krisengeschichte nur nicht immer entgangen zu sein scheint.

2. „Die Krise von 1857 und noch mehr die von 1873 traf eine große, übergroße Zahl von Unternehmungen (seil, in der Eisenindustrie), die sich untereinander an Leistungsfähigkeit nicht sehr weit unterschieden; im allgemeinen Zusammenbruch stürzten dadurch viele Werke, die, an und für sich rein technisch betrachtet, lebensfähig und lebenswert waren. Die Krise von 1900 fand neben den Riesenbetrieben der grundlegenden Industrien viele Betriebe von nach heutigen Begriffen veralteter Organisation, die ‚reinen‘ Werke, die von der Welle der Hochkonjunktur mit auf die Höhe gehoben waren. Der Preisfall, der Rückgang des Bedarfes brachten diese ‚reinen‘ Werke in eine Notlage, von der bei den kombinierten Riesenbetrieben zum Teil überhaupt nicht, zum Teil nur ganz kurze Zeit die Rede war. Dadurch rührte die jüngste Krisis in ganz anderem Maße zur industriellen Konzentration als die früheren, als die von 1873, die zwar eine Auslese schuf, aber bei dem Stand der Technik keine derartige, daß ein Monopol der siegreich hervorgegangenen Unternehmungen geschaffen wurde. Ein solches dauerndes Monopol haben aber in hohem Grade die Riesenwerke der heutigen Großeisen- und Elektrizitätsindustrie, in geringerem die der Maschinenbranche und gewisser Metall-, Verkehrs- und anderer Gewerbe durch ihre komplizierte Technik, ihre großangelegte Organisation und ihre Kapitalsstärke. Wenn dies für manche ‚leichteren‘ Gewerbezweige nicht zutrifft und für diese die Wirkung einer Krise sich gegen früher nicht prinzipiell geändert hat, so wird dadurch nur noch verständlicher, daß die neueste Entwicklung des Bankwesens so sehr im Zeichen jener anderen Industrien steht.“ Jeidels, l. c., S. 108.

3. Und zwar bedarf es nur dieser Bedingung, welch tiefere Ursachen immer ihr Eintreten bewirkt haben. Bei Schilderung des Amsterdamer Börsenkrachs von 1775 heißt es von den Folgen eines großen Bankrotts:

„Man wußte nicht, wie hoch er sich belaufen würde, nicht, was für andere Häuser durch diesen Fall würden zerstört werden. Die allgemeine Ungewißheit verjagte den Kredit, und in einem Augenblick war kein bares Geld mehr zu finden. Der fürchtete seine Wechsel zurückgeschickt zu sehen, andere besorgten, von den Summen, welche sie zu fordern hatten, nichts zu erhalten, andere suchten sich die allgemeine Not zunutze zu machen, und so paßten alle nur auf die Gelegenheit, zu den niedrigsten Preisen einzukaufen, jeder fürchtete sich, sein bares Geld auszugeben, und so hörte die Zirkulation fast gänzlich auf.“ (Der Reichtum von Holland, aus dem Französischen, zwei Bände, Leipzig 1778, I., S. 444 ff.; zitiert bei Sartorius von Waltershausen, a. a. O., S. 577)

Damit vergleiche man folgende Schilderung des Zustandes der deutschen Börsen beim Kriegsausbruch 1870. Am 4. Juli 1870 war die Berliner Börse vortrefflicher Stimmung gewesen, während der folgenden Tage wurde sie schwankend, am 8. Juli stark beunruhigt, am 11. Juli kopflos. Die Panik dauerte 8 bis 10 Tage, dann wurde nach wiedergewonnenem Selbstvertrauen der Abwärtsbewegung Halt geboten ... Wie mit einem Zauberschlage war das Geld an der Börse verschwunden. Der Diskont bei der preußischen Bank stieg bis auf 9 Prozent, in Leipzig für Lombarddarlehen auf 10 Prozent, in Lübeck 9 Prozent, in Bremen 8 Prozent. Wo war nun das Geld geblieben, das wenige Tage vorher reichlich zu 3 Prozent und 3½ Prozent zu haben war? Daß es der Staat zu Mobilmachungszwecken aufgesogen hatte, war schon bei der damaligen Dezentralisation des Notenbankwesens in Deutschland, außerdem wegen der Bestände in den Händen der vielen keine Noten ausgebenden Banken und der Privatbankiers ausgeschlossen. Das meiste Geld war geblieben, wo es war, es wurde aber aus dem Kasten nicht hinausgelassen, und wer welches einziehen konnte, legte es zudem übrigen. So wurde aus München zum Beispiel berichtet: „Es gab einen Moment, wo für das beste Papier und gegen die größten Sicherheiten nicht 500 fl. aufzutreiben waren; dagegen glaubten selbst Privatleute sich eine Barreserve für äußerste Fälle unter großen Opfern verschaffen zu müssen.“ In Frankfurt a. M. „waren die Bankiers nur darauf bedacht, ihre Guthaben einzuziehen, indem auch das Publikum die bei ihnen hinterlegten Gelder ungesäumt zurückverlangte; wie das rapide Anwachsen des Giroguthabens bei der Bank zeigte, suchte man sich auf beiden Seiten eine starke Barreserve zu verschaffen, um allen Eventualitäten gegenüber gerüstet zu sein.“

Uber Bargeldagio wird aus Hannover folgendes mitgeteilt:

„Jeder Bankier, an der Spitze die Hannoversche Bank, dachte bloß an sich ... Kassenanweisungen und Noten der deutschen Privatbanken waren verfemt und 5 Prozent damno mußte sich der solide Mann, dem es um Kurant- oder preußische Scheine zu tun war, gefallen lassen, 10 Prozent und mehr mußte der Bauer zahlen, der sie in Angst um jeden Preis los sein wollte.“

Und wie dieser Zustand in verkleinertem Maße alle typischen Züge der jüngsten amerikanischen Geldkrise aufweist, so war auch das Heilmittel dasselbe:

„In der Periode der Geldklemme in der zweiten Hälfte des Juli suchte man sich durch verschiedene Maßregeln zu helfen. In Bremen beschlossen Senat und Bürgerschaft, gewissen fremden Goldmünzen den Charakter des gesetzlichen Zahlungsmittels beizulegen, was aber nicht viel half, da dieses Geld ebenso wie das der Stadtwährung in den Kassen zurückgehalten wurde, in Stuttgart wurde ein Kassenverein gegründet, welcher seine zu 3 Prozent verzinslichen und in sechs Monaten zurückzahlbaren Scheine zu 50 bis 500 fl. in Umlauf setzte. In München gab die Hypotheken- und Wechselbank ähnliche Schuldverschreibungen in den Verkehr, in Frankfurt a. M. gewährten angesehene Bankhäuser der dortigen Notenbank eine Kollektivgarantie. Sobald es möglich war, wurde Edelmetall aus dem Ausland bezogen. Die Bank- und Importhäuser Bremens waren Ende Juli in der Lage, über bedeutende Summen in Sovereigns zu verfügen. Frankfurt ließ Gold aus England, Silber aus Wien kommen. Diese Maßregeln erwiesen sich gegen die Geldklemme im Zahlungsverkehr leidlich wirksam, waren aber nicht imstande, dem Leihmarkt Kapital zuzuführen, um den staatlichen Bedürfnissen genügen zu können.“ Sartorius, a. a. O., S. 323 ff.

4. Insofern ist nachfolgende Bemerkung von Marx für die heutigen Verhältnisse einzuschränken:

„Bei dem modernen Kreditsystem verfügt es“ (das Kaufmannskapital) „über einen großen Teil des Gesamtgeldkapitals der Gesellschaft, so daß es seine Einkäufe wiederholen kann, bevor es das schon Gekaufte definitiv verkauft hat ... Außer der Trennung von W–G und G–W, die aus der Natur der Ware folgt, wird hier also eine fiktive Nachfrage geschaffen ... Daher das Phänomen in den Krisen, daß sie nicht zuerst sich zeigen und ausbrechen beim Detailverkauf, der es mit der unmittelbaren Konsumtion zu tun hat, sondern in den Sphären des Großhandels und der Banken, die diesem das Geldkapital der Gesellschaft zur Verfügung stellen.“ (Kapital, III., 1., S. 288. [Neuausgabe S. 335. Die Red.])

5. Daran ändert auch nichts, daß sich manchmal zwischen die Bank und das Unternehmen eine eigene Gründungsgesellschaft (Trustgesellschaft) schiebt, da diese von der Bank unmittelbar abhängig bleibt.

6. Das oben Ausgeführte wird illustriert durch das Verhalten des Stahltrusts. Er schränkte 1907/08 seine Produktion aufs äußerste ein, um die Preise aufrechtzuerhalten. Ein Jahr später, und der Eisenmarkt war deroutiert und zog in seine Deroute alle übrigen Metallmärkte hinein.


Zuletzt aktualisiert am 27. September 2016