Antonio Gramsci


Italien und Rußland

(14. Juni 1919)


Ohne Unterschrift, L’Ordine Nuovo, 14. 6. 1919, Jg. I, Nr.&mnsü;6.
Antonio Gramsci, L’Ordine Nuovo 1919–1920, Turin 1954, S. 242–243.
Aus: Antonio Gramsci, Zur Politik, Geschichte und Kultur, Leipzig 1980, S. 67–68.
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Steht Italien im Krieg mit der Republik der Sowjets? Haben die italienischen Arbeiter und Bauern direkte, „nationale“ Gründe für ihre Solidaritätsaktion mit den Arbeitern und Bauern Rußlands?

Ja, Italien führt Krieg gegen die Arbeiter und Bauern Rußlands, obwohl keinerlei Kriegserklärung feierlich erfolgt ist. Italienische Soldaten sind unter Mißachtung des Völkerrechts mit dem Auftrag an die Küste von Murmansk und nach Sibirien geschickt worden, russische Arbeiter und Bauern zu töten: Bei Admiral Koltschak unterhält der italienische Staat in der tschechoslowakischen Armee eine Abteilung, die aus Dalmatinern gebildet ist und sich nach Aussage reaktionärer englischer Zeitungen kürzlich mit „Ruhm“ bedeckt hat, als sie mit ihrem so ganz und gar italienischen Eifer nach der Niederlage, die den zaristischen Banden bei Omsk durch die Rote Armee der Sowjets zugefügt worden war, den Rückzug der Weißen deckte.

Ja, bei ihrer Solidaritätsaktion für die Arbeiter-und-Bauern-Republiken haben die italienischen Arbeiter und Bauern neben der internationalistischen Auffassung auch nationale Gründe gehabt, nämlich als „souveränes Volk“ und als „Staatsbürger“. Der italienische Staat hat sich in einen Krieg eingelassen, er hat das Blut, den Reichtum und das Prestige des Landes in einem Krieg aufs Spiel gesetzt, dem die legitimen Vertreter des italienischen Volkes nicht ihre Zustimmung gegeben haben. Bestünde das italienische Volk nicht aus Sklaven der Regierungsgewalt, aus Menschen ohne politisches Verantwortungsbewußtsein, so müßten sich alle italienischen Staatsbürger mit dem Proletariat in einer Protestaktion vereinen. In einem Lande von freien Menschen ist es unvorstellbar, daß die Regierung willkürlich, ohne Mandat und ohne Zustimmung durch das Parlament, über das Blut und den nationalen Reichtum verfügen kann.

Wieder einmal beweist das Proletariat, daß es Sachwalter der ständigen Lebensinteressen der Nation ist, daß es das einzige Bollwerk der Grundfreiheiten der Nation ist. Aber die Aktion des Proletariats kann nicht nur eine rein politische sein. Mit der politischen Demonstration (daß das Proletariat die Mehrheit der Nation darstellt) muß eine soziale Aktion verbunden sein, die mit den Methoden und der der ausgebeuteten werktätigen Klasse eigenen Taktik durchgeführt werden muß. Der Vorschlag einer revolutionären Gegenblockade der Länder, die sich im Krieg mit den Sowjetrepubliken befinden, ein Vorschlag, der von den schwedischen Linken gemacht worden ist, bezieht sich gerade auf diese soziale Aktion. Die Genueser Matrosen haben ein Beispiel gegeben. Die Maschinenbauer und die Transportarbeiter (Hafenarbeiter, Matrosen und Eisenbahner) haben die Pflicht, sich über die zuständigen Organe (Fabrikkommissionen und Berufsorganisationen) über die Bestimmungsorte der durch ihre Hände gegangenen Produkte zu informieren und sich zu weigern, die nach Archangelsk, Murmansk, Estland, Böhmen, Rumänien, dem Kaukasus für Denikin und nach Sibirien für Koltschak bestimmten Waren (Munition, Lebensmittel, Post, technisches Material) herzustellen und zu transportieren. Die Kontrolle über die Produktion und über den Handel durch die Arbeiter wird das energischste (weil ständig wirkende) Mittel sein, mit dem die Arbeiterklasse die sowjetischen Republiken vor der falschen und schurkischen Reaktion, die sie meucheln will, retten wird.


Zuletzt aktualisiert am 20. April 2020