MIA > Deutsch > Marxisten > Bucharin/Preobraschensky > ABC d. Kommunismus
§ 26. Das Finanzkapital – § 27. Der Imperialismus – § 28. Der Militarismus – § 29. Der imperialistische Krieg – § 30. Der Staatskapitalismus und die Klassen – § 31. Der Zusammenbruch des Kapitalismus und die Arbeiterklasse – § 32. Der Bürgerkrieg – § 33. Die Formen des Bürgerkrieges und seine Kosten – § 34. Allgemeine Auflösung oder Kommunismus?
Wie wir bereits gesehen haben, gab es zwischen den einzelnen Unternehmern ununterbrochen heftige Kämpfe um den Käufer; und in diesen Kämpfen siegten immer die Großunternehmer. Die Kleinkapitalisten unterlagen und gingen zugrunde, während sich das Kapital und die ganze Produktion in den Händen der größten Kapitalisten konzentrierten (Konzentration und Zentralisation des Kapitals). Gegen Anfang der Achtzigerjahre des vorigen Jahrhunderts war das Kapital schon ziemlich gut zentralisiert. An Stelle der früheren Einzelunternehmer tauchten in großer Anzahl bereits Aktiengesellschaften, d.h. „Genossenschaften auf Anteilscheine“ auf; natürlich waren diese „Genossenschaften“ Gesellschaften der Kapitalisten. Welchen Sinn hatten sie? Wo ist ihr Ursprung zu suchen? Die Antwort darauf ist nicht schwer. Jede neue Unternehmung mußte sofort über ein ziemlich großes Kapital verfügen. Wurde irgendwo ein schwächliches Unternehmen gegründet, so war seine Lebensfähigkeit sehr unwahrscheinlich, denn von allen Seiten kreisten es sofort starke und mächtige Gegner, die Großfabrikanten, ein. Ein neues Unternehmen mußte also, wenn es nicht zugrundegehen, sondern im Gegenteil leben und gedeihen wollte, von allem Anfang an großzügig organisiert sein. Das war aber nur dann möglich, wenn zu diesem Zwecke sofort ein großes Kapital vorhanden war. Aus diesem Bedürfnis heraus entstand die Aktiengesellschaft. Ihr Wesen besteht darin, daß hier einige große Kapitalisten die Kapitalien der Kleinen, ja selbst die geringen Ersparnisse der nicht kapitalistischen Gruppen (der Angestellten, Bauern, Beamten usw.) ausnützen. Das geschieht auf folgende Weise: Jeder zahlt einen oder mehrere Anteile ein und erhält dafür einen Zettel, „die Aktie“, die ihm das Recht gibt, einen gewissen Teil der Einkünfte zu beanspruchen. Auf diese Weise erhält man sofort durch Anhäufung von Summen ein großes „Aktienkapital“.
Als die Gesellschaften auftauchten, erklärten manche bürgerlichen Gelehrten, nach ihnen auch die Versöhnungssozialisten, daß jetzt eine neue Zeit angebrochen sei: das Kapital führe nicht zur Herrschaft eines Häufleins von Kapitalisten, sondern, jeder Angestellte könne für seine Ersparnisse Aktien kaufen und auf diese Weise zum Kapitalisten werden. Das Kapital werde eben immer „demokratischer“ und letzten Endes werde der Unterschied zwischen dem Kapitalisten und dem Arbeiter ohne jede Revolution verschwinden.
Das alles stellte sich als blanker Unsinn heraus. Die Wirklichkeit zeigte gerade das Gegenteil. Die großen Kapitalisten nützten einfach die kleinen zu ihren Zwecken aus, und die Zentralisation des Kapitals ging noch schneller vor sich als früher, denn jetzt nahmen schon die großen Aktiengesellschaften den Kampf untereinander auf.
Es ist leicht zu verstehen, warum die großkapitalistischen Anteilbesitzer die kleinen Anteilbesitzer zu ihren Handlangern gemacht haben. Da der kleine Teilhaber oft in einer andern Stadt lebt, ist er nicht in der Lage, hunderte von Werst zur allgemeinen Aktionärversammlung zu reisen. Wenn aber auch eine gewisse Anzahl solcher Anteilbesitzer kommt, so sind sie nicht organisiert. Die großen Anteilbesitzer sind dagegen organisiert und setzen immer nach ihrem gemeinsamen Plan Alles, was sie wollen, durch. Die Erfahrung hat bewiesen, daß es genügt, wenn sie ein Drittel aller Aktien besitzen; sie können dann unumschränkte Herren und Gebieter des ganzen Unternehmens sein.
Doch die Entwicklung der Konzentration und der Zentralisation des Kapitals machte dabei nicht Halt. In den letzten Jahrzehnten traten an Stelle einzelner Unternehmer und Aktiengesellschaften ganze Kapitalistenverbände: Syndikate (oder Kartelle) und Trusts.
Nehmen wir an, in irgend einem Produktionszweige – sagen wir in der Textil- oder Metallindustrie – seien alle kleinen Kapitalisten schon verschwunden; es sind nur fünf oder sechs der größten Unternehmungen, die beinahe, alle Waren der Textil- und Metallindustrie erzeugen, übrig geblieben. Sie führen unter sich einen Konkurrenzkampf, setzen zu diesem Zwecke die Preise herunter und erzielen somit einen kleineren Profit. Nehmen wir jetzt an, einige von diesen Unternehmungen seien kräftiger und größer als die übrigen. Dann werden die größeren den Konkurrenzkampf so lange führen, bis die schwächeren Unternehmungen vernichtet sind. Nehmen wir aber an, daß alle Unternehmungen ungefähr gleich stark sind: sie besitzen den gleichen Umfang der Produktion, gleiche Maschinen, beinahe die gleiche Arbeiterzahl und der Selbstkostenpreis eines Stückes der Ware stellt sich ebenfalls allen gleich hoch. Was geschieht nun dann? In diesem Falle kann der Kampf für kein Unternehmen siegreich ausgehen, er erschöpft sie alle in gleichem Maße, bei allen nimmt der Profit ab. Die Kapitalisten gelangen zu der Schlußfolgerung: weshalb sollen wir uns gegenseitig die Preise verderben? Täten wir nicht besser, uns zu vereinigen und gemeinsam das Publikum auszuplündern? Denn wenn wir uns vereinigen, wird es keine Konkurrenz mehr geben, die gesamten Waren sind in unseren Händen und wir können die Preise beliebig hoch hinaufschrauben.
So entsteht eine Vereinigung von Kapitalisten; das Syndikat oder der Trust. Ein Syndikat unterscheidet sich vom Trust im Folgenden: wenn sich ein Syndikat organisiert, dann machen die an ihm teilnehmenden Kapitalisten unter sich aus, die Waren nicht unter einem bestimmten Preise zu verkaufen, gemeinsam die Bestellungen zu verteilen oder den Markt unter sich aufzuteilen (du verkaufst nur dort und ich – nur hier) usw. Die Syndikatsleitung ist aber dabei nicht berechtigt, irgendein Unternehmen, sagen wir, zu schließen, jedes ist ein Glied des Verbandes, verfügt aber noch über einen gewissen Grad von Selbständigkeit. In einem Trust aber sind alle Unternehmen derart eng miteinander verknüpft, daß das einzelne Unternehmen seine Selbständigkeit ganz verliert: die Trustleitung ist berechtigt, das Unternehmen zu schließen, auf eine andere Grundlage zu stellen, an jeden beliebigen Ort zu verlegen, wenn es nur dem ganzen Trust zum Vorteil gereicht. Der Kapitalist dieses Unternehmens bezieht selbstverständlich seinen Profit ununterbrochen weiter, der letztere vermehrt sich sogar, aber über alles waltet der enge, fest gefügte Bund der Kapitalisten, der Trust.
Die Syndikate und Trusts beherrschen den Markt beinahe gänzlich. Sie fürchten keine Konkurrenz, da sie doch jede Konkurrenz vernichtet haben. An Stelle der Konkurrenz ist das kapitalistische Monopol, d.h. die Herrschaft eines Trusts, getreten. [A]
Auf diese Weise wurde die Konkurrenz durch die Konzentration und Zentralisation des Kapitals allmählich besiegt. Die Konkurrenz zehrte sich selbst auf. Je wahnsinniger sie sich entwickelte, desto schneller ging die Zentralisation vor sich; weil die schwächeren Kapitalisten umso schneller zugrunde gingen. Zu allerletzt tötete die Zentralisation des Kapitals, die durch die Konkurrenz hervorgerufen worden war, diese Konkurrenz selbst. An die Stelle „des freien Wettbewerbes“, d.h. der freien Konkurrenz, trat die Herrschaft der monopolistischen Unternehmerverbände – der Syndikate und Trusts.
Es genügt, nur einige Beispiele anzuführen, um die Riesenmacht der Trusts und Syndikate aufzuzeigen. In den Vereinigten Staaten von Amerika betrug der Anteil der Syndikate an der Produktion im Jahre 1900, d.h. schon im Anfang des 20. Jahrhunderts, in der Textilindustrie mehr als 50%, in der Glasindustrie 54%, in der Papierindustrie 60%, in der Metallindustrie (außer Eisen und Stahl) 84%, in der Eisenindustrie und in den Stahlgießereien 84%, in der chemischen lndustrie 81% usw. Selbstverständlich hat sich jetzt ihr Anteil an der Produktion unermeßlich gesteigert. Tatsächlich ist jetzt die ganze Produktion Amerikas in den Händen zweier Trusts, und zwar des Naphtha- und des Stahltrusts, konzentriert; von diesen Trusts hängen alle übrigen ab. In Deutschland lagen im Jahre 1913 92,6% der Kohlengewinnung im rheinisch-westphälischen Kohlenrevier in den Händen eines einzigen Syndikates; das Stahlsyndikat erzeugte beinahe die Hälfte der im Lande produzierten Stahlmenge; der Zuckertrust lieferte 70% des inneren und 80% des ausländischen Absatzes usw.
Ja sogar in Rußland befand sich schon eine ganze Reihe von Produktionszweigen unter der Alleinherrschaft der Syndikatsherren. Das Syndikat Produgol lieferte 60% der gesamten Donezkohle; das Syndikat Prodameta (Metall) vereinigte in sich 88-93% der Produktion; Krowlja 60% (Dachblech), Prodwagon (Eisenbahnwaggons) zentralisierte 14 von den 16 Bauunternehmungen, das Kupfersyndikat 90%, das Zuckersyndikat die gesamte Zuckerproduktion (100%) usw. Nach den Berechnungen eines Schweizer Gelehrten, die sich auf den Anfang des 20. Jahrhunderts beziehen, befand sich schon die Hälfte aller Kapitalien der Welt in den Händen von Syndikaten und Trusts.
Die Syndikate und Trusts zentralisieren nicht nur gleichartige Unternehmen. Immer häufiger tauchen Trusts auf, die zugleich einige Produktionszweige erfassen. Wie geht dies vor sich?
Alle Produktionszweige sind miteinander vor allem durch Kauf und Verkauf verbunden. Nehmen wir nun die Gewinnung des Eisenerzes und der Steinkohle. Hier wird ein Produkt gefördert, das den Eisenhütten und den metalturgischen Fabriken als Rohmaterial dient; diese Werke erzeugen ihrerseits, sagen wir, Maschinen; die letzteren finden Verwendung als Produktionsmittel in einer Reihe von anderen Produktionszweigen usw. usw. Nehmen wir nun an, wir wären im Besitze einer Eisengießerei. Diese kauft Eisenerze und Steinkohle. Sie ist also daran interessiert, dieses Erz und diese Kohle zu billigem Preise zu kaufen. Wenn sich aber das Erz und diese Kohle in den Händen eines anderen Syndikats befinden? In diesem Falle entbrennt ein Kampf zwischen den beiden Syndikaten, der entweder mit dem Siege des einen über den anderen oder mit der Verschmelzung beider endet. In dem einen wie in dem anderen Falle entsteht ein neues Syndikat, das gleichzeitig zwei Produktionszweige in sich vereinigt. Es ist selbst verständlich, daß auf diese Weise nicht nur zwei, sondern auch drei, auch zehn Produktionszweige sich vereinigen können. Solche Unternehmungen nennt man zusammengesetzte (auch „kombinierte“) Unternehmungen.
Somit organisieren die Syndikate und Trusts nicht nur einzelne Produktionszweige, sondern sie vereinigen auch die verschiedenartigen zu einer Organisation, verknüpfen einen Produktionszweig mit dem zweiten, dritten, vierten usw. Früher waren die Unternehmer auf allen Gebieten voneinander unabhängig, und die ganze Produktion war in Hunderttausenden von kleinen Fabriken zerstückelt. Gegen den Anfang des Zwanzigsten Jahrhunderts war diese Produktion schon konzentriert in riesenhaften Trusts, die viele Produktionszweige in sich vereinigten.
Die Verbindungen zwischen den verschiedenen Produktionszweigen entstanden nicht allein durch Bildung von „kombinierten“ Unternehmungen. Hier müssen wir einer Erscheinung unsere Aufmerksamkeit zuwenden, die wichtiger ist, als diese kombinierten Unternehmungen. Das ist die Herrschaft der Banken.
Doch vorher muß Einiges über diese Banken gesagt werden.
Wir haben schon gesehen, daß, nachdem die Konzentration und Zentralisation des Kapitals eine ziemliche hohe Entwicklungsstufe erreichten, das Bedürfnis nach Kapital entstand, um neue Unternehmungen sogleich in großzügiger Weise ins Werk zu setzen. (Auf Grund dieses Bedürfnisses entstanden, nebenbei gesagt, die Aktiengesellschaften.) Die Organisation von neuen Unternehmungen erforderte also immer größere Kapitalssummen.
Betrachten wir nun, was der Kapitalist mit seinem Profit macht. Wir wissen, daß der Kapitalist einen Teil davon für seine eigene Person aufwendet, für Verpflegung, Kleider usw., den Rest häuft er auf. Wie macht er das? Ist er imstande, in jedem beliebigen Augenblick sein Unternehmen zu erweitern, diesen Teil des Prolites dem Betriebe zuzuführen? Nein, das kann er aus folgenden Gründen nicht: das Geld strömt ihm zwar ununterbrochen, aber doch nur allmählich zu. Wird eine Warenpartie abgesetzt, kommt Geld in die Kasse, eine zweite – fließt die nächste Summe Geldes ein. Diese Gelder müssen eine gewisse Summe erreicht haben, um zur Erweiterung des Unternehmens verwendet werden zu können. Bis dahin können die Gelder nicht ausgenützt werden, sie liegen zwecklos in der Kassa. Und so ist es nicht nur bei einem oder zwei Kapitalisten, sondern bei allen. Es gibt immer ein freies Kapital. Wie wir aber oben gesehen haben, ist auch eine Nachfrage nach dem Kapital vorhanden. Auf einer Seite gibt es überflüssige Summen, die unnütz liegen, auf der andern besteht ein Bedürfnis nach ihnen. Je schneller sich das Kapital zentralisiert, desto größer ist das Bedürfnis nach großen Summen, umso größer wird die Menge des freien Kapitals. Eben diese Umstände erhöhen auch die Bedeutung der Banken. Damit das Geld nicht zwecklos liegen bleibt, gibt es der Industrielle in eine Bank, diese aber leiht dieses Geld jenen Industriellen aus, die es zur Erweiterung von alten oder zur 0rganisation von neuen Unternehmungen benötigen. Mit Hilfe des erhaltenen Kapitals pressen die Kapitalisten Mehrwert heraus; den einen Teil davon geben sie der Bank als Zinsen für das Darlehen zurück; die Bank zahlt ihrerseits einen Teil der erhaltenen Summe ihren Einlegern aus, den andern hält sie für sich als Bankgewinn zurück. So greifen die Räder der Maschine ineinander. ln der letzten Zeit ist die Rolle der Banken, ihre Bedeutung und Tätigkeit, außerordentlich gestiegen. Die Banken saugen immer größere und größere Kapitalssummen in sich auf und legen immer größere Kapitalien in der Industrie an. Das Bankkapital „arbeitet“ fortwährend in der Industrie, es wird selbst zum Industriekapital. Die Industrie gerät in die Abhängigkeit der Banken, die sie unterstützen und mit ihrem Kapital nähren. Das Bankkapital verwächst mit dem industriellen Kapital und wird zum Finanzkapital.
Das Finanzkapital verbindet durch die Banken alle Industriezweige in noch größerem Maße, als es durch die kombinierten Unternehmungen geschieht. Warum?
Nehmen wir irgend eine Großbank an. Diese Großbank vergibt Kapitalien nicht nur an eine, sondern an sehr viele Unternehmen oder Syndikate (sie „finanziert“). Sie ist deshalb daran interessiert, daß diese Unternehmen sich nicht gegenseitig in den Haaren liegen; die Bank einigt sie; ihre Politik ist ununterbrochen darauf gerichtet, die Verbindung dieser Unternehmungen zu einem einheitlichen Ganzen unter ihrer Leitung, der Leitung der Bank, durchzusetzen; die Bank erhält die Herrschaft über die ganze Industrie, über eine ganze Reihe von Produktionszweigen: Vertrauensleute der Bank werden zu Direktoren von Trusts, Syndikaten und einzelnen Unternehmungen ernannt.
Zum Schluß erhalten wir folgendes Bild: die Industrie des ganzen Landes ist in Syndikaten, Trusts und kombinierten Unternehmungen vereinigt; all das wird durch die Banken verbunden; an die Spitze des ganzen Wirtschaftslebens tritt ein Häuflein der größten Bankiers, die über die ganze lndustrie walten. Und die Staatsgewalt erfüllt ganz den Willen dieser Bank- und Syndikatsherren.
Das kann man sehr gut an Amerika beobachten. In den Vereinigten Staaten ist die „demokratische“ Regierung Wilsons [27] einfach ein Diener der amerikanischen Trusts. Das Parlament nimmt nur das an, was schon früher in den Beratungen hinter den Kulissen von den Syndikats- und Bankherren beschlossen worden ist. Die Trusts geben Riesengelder für die Bestechung der Abgeordneten aus, für die Wahlkampagne u. dgl. Ein amerikanischer Schriftsteller (Myers) [28] berichtet, daß im Jahre 1904 die Versicherungstrusts Mutual für Bestechungen 364.254 Dollars, Equitable 172.698, New-York 204.019 Dollars ausgegeben haben. Der Schwiegersohn Wilsons und Finanzminister MacAdoo [29] ist einer der größten Bank- und Syndikatsherren. Senatoren, Minister, Abgeordnete, sie sind einfach Angestellte oder Teilhaber der großen Trusts. Die Staatsgewalt, „die freie Republik“, ist nichts, als eine Werkstätte zur Beraubung des Publikums.
Somit können wir sagen, daß das kapitalistische Land unter der Herrschaft des Finanzkapitals sich selbst zur Gänze in einen riesigen kombinierten Trust verwandelt, an dessen Spitze die Banken stehen und als dessen Vollzugsausschuß die bürgerliche Staatsgewalt zu betrachten ist. Amerika, England, Frankreich, Deutschland usw. sind nichts anderes als staatskapitalistische Trust, mächtige Organisationen der Syndikats- und Bankherren, die hunderte Millionen von Arbeitern, Lohnsklaven, ausbeuten und beherrschen.
Das Finanzkapital beseitigt bis zu einem gewissen Grade die Anarchie der kapitalistischen Produktion im einzelnen Lande. Die einzelnen sich bekämpfenden Unternehmer vereinigen sich zum staatskapitalistischen Trust.
Wie steht es aber dann mit einem der Grundwidersprüche des Kapitalismus? Denn wir haben wiederholt gesagt, daß der Kapitalismus seinen Untergang finden muß, weil es ihm an Organisiertheit fehlt und weil in ihm der Klassenkampf herrscht. Wenn nun aber der eine von diesen Widersprüchen (siehe § 13) wegfällt, ist dann die Prophezeiung des Unterganges des Kapitals begründet?
Das Wichtigste für uns liegt jetzt im Folgenden. In Wirklichkeit werden die Anarchie der Produktion und die Konkurrenz gar nicht beseitigt; oder besser gesagt, sie werden an einer Stelle beseitigt, um desto krasser an einer anderen Stelle wieder aufzutreten. Versuchen wir diese Frage ausführlich zu erklären.
Der gegenwärtige Kapitalismus ist ein Weltkapitalismus. Alle Länder sind aufeinander angewiesen: die einen kaufen bei den anderen. Es gibt jetzt auf der Erde kein Plätzchen, das nicht unter die Ferse des Kapitals geraten wäre, kein Land, das restlos alles für seinen Bedarf selbst erzeugen würde.
Eine ganze Reihe von Produkten kann nur in bestimmten Orten erzeugt werden: Orangen wachsen nicht in kalten Ländern, das Eisenerz kann nur dort gefördert werden, wo sich ein solches im Boden vorfindet; Kaffee, Kakao, Kautschuk können nur aus heißen Ländern bezogen worden. Die Baumwolle wird in den Vereinigten Staaten von Amerika, in Indien, Ägypten, Turkestan usw. gepflanzt, von wo sie nach allen Weltteilen ausgeführt wird. Über Kohle verfügen England, Deutschland, die Vereinigten Staaten, die Tschechoslowakei und Rußland; Italien besitzt z.B. keine Kohle und ist deshalb völlig auf die englische oder deutsche Kohle angewiesen. Der Weizen wird nach allen Ländern aus Amerika, Indien, Rußland und Rumänien ausgeführt usw.
Außerdem sind die einen Länder fortgeschrittener als die anderen. Deshalb werden durch die ersteren allerlei Erzeugnisse der städtischen Industrie auf die Märkte der rückständigen Länder geworfen: z.B. Eisenwaren werden der ganzen Welt hauptsächlich von England, den Vereinigten Staaten und Deutschland geliefert; chemische Produkte lieferte vor allem Deutschland.
Auf diese Weise hängt ein Land vom andern ab. Wie weit diese Abhängigkeit gehen kann, sehen wir an England, welches 3/4-4/5 des ganzen ihm unentbehrlichen Getreides und die Hälfte der ihm notwendigen Fleischmenge einführen, den größeren Teil seiner Industrieerzeugnisse aber aus dem Lande ausführen muß.
Wird die Konkurrenz auf dem Weltmarkte durch das Finanzkapital beseitigt? Schafft dasselbe eine Weltorganisation, wenn es die Kapitalisten im einzelnen Lande vereinigt? Das ist nicht der Fall. Die Anarchie der Produktion und die Konkurrenz hören zwar im einzelnen Lande mehr oder weniger auf, weil sich die größten Unternehmer zum staatskapitalistischen Trust organisieren. Umso heftiger entbrennt aber der Kampf zwischen den staatskapitalistischen Trusts selbst. Das ist immer bei der Zentralisation des Kapitals zu beobachten: geht der kleine Mann zugrunde, so vermindert sich die Zahl der Konkurrenten, denn es bleiben allem die Großen zurück; diese kämpfen nun mit großen Mitteln; an Stelle des Konkurrenzkampfes der einzelnen Fabrikanten tritt dann das Ringen der einzelnen Trusts. Die Zahl der letzteren ist selbstverständlich geringer, als die der Fabrikanten. Ihr Kampf wird aber dagegen gewaltiger, erbitterter und zerstörender. Haben aber die Kapitalisten eines Landes alle kleinen Leute aus dem Sattel gehoben und sich in einem staatskapitalistischen Trust organisiert, dann schrumpft die Zahl der Konkurrenten noch mehr zusammen. Als Konkurrenten treten jetzt die riesenstarken kapitalistischen Mächte auf. Und ihr Konkurrenzkampf ist mit solch fabelhaften Kosten und Verwüstungen verbunden, wie kein anderer. Denn die Konkurrenz der staatskapitalistischen Trusts drückt sich im „Frieden“ im Rüstungswetteifer aus und mündet zuletzt in verheerende Kriege.
Somit vernichtet das Finanzkapital die Konkurrenz innerhalb der einzelnen Staaten, führt aber zu einer ungeheueren, erbitterten Konkurrenz dieser Staaten untereinander.
Warum muß die Konkurrenz der kapitalistischen Staaten untereinander am Ende zur Eroberungspolitik, zum Kriege führen ? Warum kann diese Konkurrenz nicht friedlich sein? Wenn zwei Fabrikanten miteinander konkurrieren, gehen sie doch auch nicht mit dem Messer aufeinander los, sondern suchen sich im friedlichen Kampfe die Käufer gegenseitig abzufangen. Warum hat denn die Konkurrenz auf dem Weltmarkte eine solch erbitterte und bewaffnete Form angenommen? Da müssen wir uns vor allem ansehen, wie sich die Politik der Bourgeoisie mit dem Übergange vom alten Kapitalismus, in dem die freie Konkurrenz blühte, zum neuen, in welchem das Finanzkapital seine Herrschaft antrat, ändern mußte.
Fangen wir bei der sogenannten Zollpolitik an, im Kampfe der Länder untereinander hat die Staatsgewalt, die immer ihre eigenen Kapitalisten schützt, für die Bourgeoisie in den Zöllen schon längst ein Kampfmittel gefunden. Wenn z.B. die russischen Textilfabrikanten befürchteten, daß ihre englischen oder deutschen Konkurrenten Waren einführen und dadurch die Preise in Rußland herabdrücken würden, belegte die diensteifrige Regierung sofort das englische und deutsche Gewebe mit einem Zolle. Das erschwerte selbstverständlich den ausländischen Waren den Zutritt nach Rußland. Die Fabrikanten erklärten aber, daß die Zölle zum Schutze der heimischen Industrie notwendig wären. Wenn wir aber die verschiedenen Länder genau betrachten, ersehen wir, daß sie sich dabei von einer ganz anderen Absicht leiten ließen. Es war kein Zufall, daß gerade die größten und mächtigsten Länder, mit Amerika an der Spitze, am meisten nach hohen Zöllen riefen und sie auch einführten. Hätte ihnen wirklich die ausländische Konkurrenz schaden können?
Nehmen wir an, die Textilproduktion ist in irgendeinem Lande in einem Syndikat oder Trust monopolisiert. Was geschieht nun bei der Einführung eines Zolles? Die kapitalistischen Syndikatsherren dieses Landes schlagen nun zwei Fliegen auf einmal tot: Erstens werden sie die fremde Konkurrenz los; zweitens können sie die Preise ihrer eigenen Ware ohne jedes Risiko um den Zoll erhöhen. Nehmen wir an, der Zoll wird für 1 Meter Gewebe um einen Rubel erhöht. In diesem Falle können die Syndikatsbarone der Textilindustrie ruhig auf den Preis ihrer eigenen Ware noch 1 Rubel oder 90 Kopeken für 1 Meter aufschlagen. Würde es kein Syndikat geben, könnte die Konkurrenz der Kapitalisten untereinander die Preise sofort herabdrücken. So aber kann das Syndikat ruhig diesen Aufschlag durchführen: der Ausländer bleibt ferne, da der Zoll zu hoch ist, und die Konkurrenz ist im eigenen Lande ausgeschaltet. Der Staat der Syndikatsherrn kommt durch die Zölle zu Einnahmen und das Syndikat selbst durch den Preisaufschlag zu einem Mehrgewinn. Infolge dieses Mehrgewinnes sind die Syndikatsherrn nun imstande, ihre Waren in andere Länder auszuführen und dort mit einem Verluste für sich selbst abzusetzen, nur um ihre Gegner aus den fremden Ländern zu verdrängen. So hat z.B. das russische Syndikat der Zuckerfabrikanten die Preise auf den Zucker in Rußland verhältnismäßig hochgehalten, ihn aber in England um eine Kleinigkeit verkauft, nur um die dortigen Konkurrenten zu beseitigen. Es war ein Sprichwort im Umlauf, daß man in England mit dem russischen Zucker Schweine füttere. Mit Hilfe der Zölle ist es also den Syndikatsherrn möglich, ihre eigenen Landsleute aus Leibeskräften zu plündern und die ausländischen Käufer unter ihre Herrschaft zu bringen.
Das alles zieht große Folgen nach sich. Es ist klar, daß der Mehrgewinn der Syndikatsherren mit der Zahl dar Schafe, die sich scheren lassen und die durch die Zollgrenze eingeschlossen sind, wächst. Umfaßt die Zollgrenze einen kleinen Kreis, dann ist nicht viel zu holen. Umfaßt sie dagegen weite Länder mit einer großen Bevölkerungszahl, ist viel zu verdienen, dann kann man auf dem Weltmarkte kühn vorgehen und darf auf einen großen Erfolg hoffen. Doch fällt die Zollgrenze gewöhnlich mit der Staatsgrenze zusammen. Wie kann aber die letztere erweitert werden? Wie kann man ein Stück fremden Bodens wegnehmen und seiner eigenen Grenze, seinem eigenen Staatsverbande einverleiben? Durch den Krieg. Somit ist die Herrschaft der Syndikatsherren unbedingt mit Eroberungskriegen verbunden. Jeder räuberische Kapitalstaat trachtet „seine Grenzen zu erweitern“: das erfordern die Interessen der Syndikatsherren, die Interessen des Finanzkapitals. Die Grenzen erweitern – das ist gleichbedeutend mit Kriegführen.
Auf diese Weise führt die Zollpolitik der Syndikate und Trusts, die mit ihrer Politik auf dem Weltmarkte in Verbindung steht, zu den heftigsten Zusammenstößen. Doch wirken hier auch noch andere Ursachen mit.
Wir haben gesehen, daß die Entwicklung der Produktion die ununterbrochene Ansammlung von Mehrwert zur Folge hat. In jedem entwickelten kapitalistischen Lande wächst deshalb unaufhörlich das überschüssige Kapital, das einen geringeren Profit abwirft als in einem rückständigen Lande. Je größer der Kapitalsüberschuß in einem Lande ist, desto größer ist das Bestreben, das Kapital auszuführen, es in einem anderen Lande anzulegen. Das wird im höchsten Maße durch die Zollpolitik begünstigt.
Die Grenzzölle behindern die Wareneinfuhr. Wenn z.B. russische Fabrikanten auf deutsche Waren hohe Zölle einführten, so war es für die deutschen Fabrikanten schwierig geworden, ihre Waren in Rußland abzusetzen.
Wurde den deutschen Kapitalisten aber der Warenabsatz erschwert, so fanden sie einen anderen Ausweg: sie begannen ihre Kapitalien nach Rußland auszuführen, sie bauten Fabriken und Werke, kauften Aktien russischer Unternehmungen oder gründeten mit ihrem Kapital neue. Waren ihnen dabei die Zölle hinderlich? Ganz und gar nicht. Im Gegenteil, nicht nur daß sie nicht hindern, sie helfen ihnen, dienen als Lockmittel für die Kapitalseinfuhr. Und zwar aus folgenden Gründen: Besaß der deutsche Kapitalist eine Fabrik in Rußland und war er noch dazu Mitglied eines russischen Syndikats, so halfen ihm die russischen Zölle, den Mehrgewinn einzustecken; sie waren ihm bei Ausplünderung des Publikums ebenso nützlich wie seinem russischen Kollegen.
Das Kapital wird aus einem Lande in ein anderes ausgeführt nicht nur um dort Unternehmungen zu gründen und zu unterstützen. Sehr oft wird es dem andern Staate für bestimmte Zinsen geliehen. (d.h. der andere Staat vergrößert seine Staatsschuld, er wird zum Schuldner des ersteren Staates). In solchen Fällen verpflichtet sich auch gewöhnlich der Schuldnerstaat, alle Anleihen (besonders für Kriegszwecke) bei den Industriellen desjenigen Staates zu machen, welcher ihm das Geld geliehen hat. So strömen riesige Kapitalien aus einem Staate in den anderen über, teils in Bauten und Unternehmungen, teils in Staatschuld angelegt. Unter der Herrschaft des Finanzkapitals erreicht die Ausfuhr (Export) des Kapitals eine ungeahnte Höhe.
Als Beispiel wollen wir einige Zahlen anführen, die zwar jetzt schon veraltet sind, uns aber doch manches sagen. Frankreich besaß im Jahre 1902 in 26 Staaten 35 Milliarden Francs angelegtes Kapital, davon ungefähr die Hälfte in Form von Staatsanleihen. Der Löwenanteil von dieser Anleihe entfiel auf Rußland (10 Milliarden). (Nebenbei gesagt ist die französische Bourgeoisie gerade deshalb so wütend, weil Sowjet-Rußland die Zarenschulden aufgehoben und die Bezahlung an die französischen Wucherer verweigert hat.) Im Jahre 1905 betrug die Summe des ausgeführten Kapitals schon mehr als 40 Milliarden. England besaß im Jahre 1911 im Auslande gegen eine Milliarde sechshundert Millionen Pfund Sterling (1 Pf. St. entspricht nach dem Friedenskurs zirka 10 Rubel 24 K), rechnet man auch die englischen Kolonien dazu, so übersteigt diese Zahl drei Milliarden Pf. St. Deutschland hatte im Auslande vor dem Kriege ungefähr 85 Milliarden Mark usw. Mit einem Worte, jeder kapitalistische Staat führte ungeheuerliche Summen von Kapital aus seinem Lande aus, um damit die fremden Völker auszuplündern.
Die Ausfuhr von Kapital zieht ebenfalls große Folgen nach sich. Die verschiedenen mächtigen Staaten beginnen um jene Länder, wohin sie ihr Kapital ausführen wollen, zu kämpfen. Doch hier müssen wir auf Folgendes aufmerksam machen: Wenn die Kapitalisten ihr Kapital in ein „fremdes“ Land ausführen, riskieren sie nicht den Verlust einer Warenpartie, sondern riesiger Summen, die nach Millionen und Milliarden zählen. Selbstverständlich macht sich bei ihnen deshalb stark der Wunsch bemerkbar, die kleinen Länder, in denen sie ihr Kapital angelegt haben, ganz in ihre Hände zu bekommen, ihre eigenen Heere zu zwingen, diese Kapitalien zu schützen. Die ausführenden Staaten haben das Bestreben, diese Länder um jeden Preis ihrer eigenen Staatsgewalt unterzuordnen, die Länder zu erobern. Die verschiedenen großen Raubstaaten laufen nun gegen diese schwachen Länder Sturm und es ist klar, daß die Räuber schließlich aufeinanderstoßen müssen. (Was auch tatsächlich geschehen ist.) Es führt also die Kapitalausfuhr ebenfalls zum Krieg.
Mit der Einführung von Syndikatszöllen hat sich der Kampf um den Absatzmarkt von Waren ungeheuer verschärft. Freie Länder, nach welchen man entweder Waren oder Kapital hätte ausfahren können, gab es schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts beinahe nicht mehr. Die Preise der Rohstoffe stiegen, ebenso die der Metalle, Schafwolle, Holz, Kohle und Baumwolle. In den letzten Jahren vor Ausbruch des Weltkrieges begann ein wildes Jagen nach Absatzmärkten und ein Kampf um neue Rohstoffquellen. Die Kapitalisten rannten in der ganzen Welt auf der Suche nach neuen Gruben, Erzlagern und neuen Märkten herum, um sowohl Metallerzeugnisse als auch Gewebe und andere Waren ausführen und ein neues „frisches“ Publikum plündern zu können. In früheren Zeiten konkurrierten oft in einem Lande mehrere Firmen „friedlich“ miteinander und vertrugen sich dabei ganz gut. Mit der Herrschaft der Banken und Trusts hatte sich die Sache geändert. Nehmen wir z.B. an, daß neue Kupfererzlager entdeckt werden. Sofort geraten diese in die Klauen irgend einer Bank oder eines Trusts, die sie sofort zur Gänze an sich ziehen und über sie ihre Monopolherrschaft errichten. Den Kapitalisten der anderen Länder bleibt da nichts übrig, als sich zu sagen: „Was vom Wagen heruntergefallen ist – ist verloren!“ [1*] Dasselbe geschieht nicht nur mit den Rohstoffquellen, sondern auch mit den Absatzmärkten. Nehmen wir an, es dringt in irgend eine ferne Kolonie ausländisches Kapital. Der Warenabsatz wird hier sogleich in großzügigster Weise organisiert. Gewöhnlich nimmt wieder irgend eine Riesenfirma die Sache in die Hand, errichtet dort sofort ihre Filialen und sucht mit Hilfe eines Druckes auf die örtliche Gewalt und durch tausenderlei Kniffe und Schliche den ganzen Warenabsatz als Monopol in ihre Hände zu bekommen, wobei sie ihre Konkurrenten fernhält. Es ist doch klar: das monopolistische Kapital, die Trusts und Syndikate müssen sich doch syndikatsmäßig aufführen. Das sind nicht mehr die „alten guten Zeiten“: das sind die Kämpfe der monopolistischen Räuber und Diebe um den Weltmarkt.
Deshalb mußte mit dem Wachsen des Finanzkapitals auch der Kampf um die Absatz- und Rohstoffmärkte sich verschärfen und zu den heftigsten Zusammenstößen führen.
Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts rissen die großen Raubstaaten fremde Länder, die den kleinen Völkern gehörten, an sich. Von 1876 bis 1914 haben die sogenannten „Großmächte“ gegen 25 Millionen Quadratkilometer zusammengerafft; sie haben soviel fremde Länder geraubt, daß deren Gesamtfläche mehr als das Doppelte eines ganzen Erdteiles, Europas, beträgt. Die ganze Welt war zwischen den großen Räubern aufgeteilt: alle Länder haben sie zu ihren Kolonien, zu ihren Tributpflichtigen und Sklaven gemacht.
Hier einige Beispiele. England erwarb vom Jahre 1870 an in Asien – Beludschistan, Birma, Zypern, Nordborneo, Gebiete gegenüber Hongkong, vegrößerte seine „Straits-Settlements“, brachte die Sinaihalbinsel an sich usw.; in Australien erwarb es eine Reihe von Inseln, den östlichen Teil von Neu-Guinea, den größeren Teil der Salomoninseln, die Insel Tonga usw.; in Afrika Ägypten, Sudan mit Uganda, Ostafrika, das „britische“ Somali, Sansibar, Pemba; es verschlang die beiden Burenrepubliken, Rhodesia, das „Britisch-Zentralafrika“, besetzte Nigeria usw. usw.
Frankreich unterwarf sich vom Jahre 1870 an Annam, eroberte Tongking, annektierte Laos, Tunis, Madagaskar, weite Strecken der Sahara, des Sudans und von Guinea; erwarb Gebiete an der Elfenbeinküste, in Dagome, Somali usw. Die französischen Kolonien hatten zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen größeren Flächenraum als Frankreich selbst (mehr als das Zwanzigfache). In England waren die Kolonien hundertmal größer als das englische Mutterland.
Deutschland beteiligte sich seit dem Jahre 1884 an dem Raubgeschäfte und es ist ihm in dieser kurzen Zeit gelungen, gleichfalls große Länderstrecken zusammenzurauben.
Das zaristische Rußland hat ebenfalls in großem Maßstabe räuberische Politik getrieben, zuletzt hauptsächlich in Asien, was zum Zusammenstoß mit Japan führte, das Asien vom andern Ende aus plündern wollte.
Die Vereinigten Staaten brachten zuerst zahlreiche Inseln in der Nähe von Amerika in ihren Besitz, dann gingen sie auf fremdes Gebiet auf dem Festlande über. Besonders empörend ist ihre räuberische Politik in Mexico.
Der Flächenraum der sechs Großmächte betrug im Jahre 1914 16 Millionen Quadratkilometer an Eigenbesitz, während die Kolonien 81 Millionen Quadratkilometer umfaßten.
Diese Raubzüge traten selbstverständlich zu allererst die kleinen, schutzlosen und schwachen Länder. Sie gingen zuerst zugrunde. So wie im Kampfe zwischen Fabrikanten und kleinen Handwerkern die letzteren am frühesten vernichtet wurden, so war es auch hier: die großen Staaten-Trusts, die großen, räuberischen und organisierten Kapitalisten zertrümmerten und unterwarfen sich zuerst die kleinen Staaten. Auf diese Weise vollzog sich die Zentralisation des Kapitals in der Weltwirtschaft; die kleinen Staaten gingen unter, die größten Raubstaaten bereicherten und vergrößerten sich und gewannen an Ausdehnung und Macht.
Als sie aber die ganze Welt ausgeplündert hatten, verschärfte sich der Kampf nun zwischen ihnen selbst. Der Kampf um die Neuaufteilung der Welt unter den Räubern mußte beginnen, ein Kampf auf Leben und Tod, der nun zwischen den ungeheuerlichen Räuberstaaten, die übrig geblieben waren, ausgefochten wurde.
Die Eroberungspolitik, die das Finanzkapital im Kampfe um die Absatzmärkte, um die Rohstoffquellen und die Anlageplätze für das Kapital führt, nennt man Imperialismus. Der Imperialismus wächst aus dem Finanzkapital heraus. Wie der Tiger sich nicht vom Grase nähren kann, geradeso konnte und kann das Finanzkapital keine andere Politik treiben als die der Eroberung, des Raubes, der Gewalt und des Krieges. Jeder der finanzkapitalistischen Staaten-Trusts will eigentlich die ganze Welt erobern, ein Weltreich gründen, in dem das Häuflein Kapitalisten der Siegernation einzig und allein herrschen solle. Der englische Imperialismus träumt z.B. vom „Großen Britannien“, das die ganze Welt beherrschen solle, wo die englischen Syndikatsherren Neger und Russen, Deutsche und Chinesen, Indier und Armenier, mit einem Worte Hunderte von verschiedenen schwarzen, gelben, weißen und roten Sklaven unter ihre Knute halten sollen. England ist jetzt auch fast schon so weit. Mit dem Essen kommt ihm der Appetit. Dasselbe sehen wir auch bei den anderen Imperialisten. Die russischen Imperialisten träumen vom „Großen Rußland“, die deutschen vom „Großen Deutschland“ usw.
Es ist klar, daß auf diese Weise die Herrschaft des Finanzkapitals die ganze Menschheit in den blutigen Abgrund der Kriege zu Nutzen und Frommen der Bankiers und Syndikatsherren stürzen mußte – in Kriege nicht zur Verteidigung des eigenen Landes, sondern zur Plünderung fremder Länder, um die Welt dem Finanzkapital des siegreichen Landes zu unterwerfen. Ein solcher Krieg war eben der große Weltkrieg 1914–1919.
Die Herrschaft des Finanzkapitals, der Bank- und Syndikatsherren kommt noch in einer anderen, sehr bemerkenswerten Sache zum Ausdrucke: in dem unerhörten Anwachsen der Rüstungsausgaben der Armee, der See- und Luftflotte. Das ist ja auch ganz klar. In früheren Zeiten wäre es keinem der Räuber eingefallen, von einer Weltherrschaft auch nur zu träumen. Jetzt aber hoffen die Imperialisten, ihren Traum zu verwirklichen. Es ist selbstverständlich, daß diese Staaten alle Mittel aufboten, um für diesen Kampf gerüstet zu sein. Die Großmächte raubten ununterbrochen fremdes Gut und sahen sich dabei fortwährend um: ob sie nicht etwa der Nachbar, ein ebensolches Raubtier, wie er selber, beißen werde. Deshalb mußte jede Großmacht eine Armee aufstellen, nicht nur für die Kolonien und gegen ihre eigenen Arbeiter, sondern auch zum Kampfe gegen ihren Raubgenossen. Führte die eine Macht ein neues Waffensystem ein, sofort suchte die andere Macht, sie zu überflügeln, um nicht den kürzeren zu ziehen. So entstand der wahnsinnige Rüstungswettlauf: ein Staat trieb den andern an. Es wachsen die Riesenunternehmungen und Trusts der Kanonenfürsten: der Putilows, Krupps, Armstrongs, Vickers usw. Die Kanonentrusts stecken kolossale Profite ein, stehen mit den Generalstäben in Verbindung und suchen auf jede Weise auch ihrerseits das Feuer zu schüren, indem sie jedweden Konflikt anfachen: denn vom Kriege hängt ja das Wohl ihrer Profite ab.
Die Staaten-Trusts umgaben sich mit einem Wald von Bajonetten; zu Land, zu Wasser und in der Luft war alles zum Weltkampfe bereit; unter den Staatsausgaben nahmen die Ausgaben für Armee und Flotte einen immer größeren Platz ein. In England bildeten die Ausgaben z.B, für Kriegszwecke im Jahre 1875 38,6%, d.h. etwas weniger als ein Drittel und im Jahre 1907–1908 schon 48,8%, d.h. fast die Hälfte aller Staatsausgaben; in den Vereinigten Staaten betrugen sie 56,9%, d.h. mehr als die Hälfte. Ebenso war es auch in den anderen Staaten. Der „Preußische Militarismus“ blühte in allen großen Staaten-Trusts. Die Kanonenfürsten schoren ihr Schärflein, die ganze Welt näherte sich mit ungeheuerer Geschwindigkeit dem blutigsten der Kriege, dem imperialistischen Weltgemetzel.
Besonders interessant war der Rüstungswettkampf zwischen der englischen und deutschen Bourgeoisie. England beschloß im Jahre 1912 auf je zwei Panzerdreadnoughts, die in Deutschland gebaut werden, drei eigene herzustellen.
Die Ausgaben für die Armee und Flotte wuchsen wie folgt:
Millionen Rubel |
Millionen Rubel |
||||
1888 |
1908 |
1888 |
1908 |
||
Rußland |
210 |
470 |
Italien |
75 |
120 |
Frankreich |
300 |
415 |
England |
150 |
280 |
Deutschland |
180 |
405 |
Japan |
7 |
90 |
Österreich-Ungarn |
100 |
200 |
USA |
100 |
200 |
Innerhalb 20 Jahren vergrößerten sich die Ausgaben um das Doppelte, in Japan um das Dreizehnfache. Knapp vor Kriegsausbruch artete das Rüstungsfieber in Rüstungswahnsinn aus. Frankreich gab im Jahre 1910 502 Millionen Rubel für Kriegszwecke aus, Im Jahre 1914 740 Millionen Rubel; Deutschland im Jahre 1906 478 Millionen Rubel und im Jahre 1914 943 Millionen Rubel d.h. im Laufe von 8 Jahren zweimal soviel. In noch größerem Maße rüstete England. 1900 verbrauchte es dafür 499 Millionen Rubel, im Jahre 1910 schon 694 Millionen und im Jahre 1914 804 Millionen Rubel; im Jahre 1913 gab England für seine Flotte allein mehr aus als alle Mächte im Jahre 1886 zusammen. Die militärischen Ausgaben des zaristischen Rußlands betrugen im Jahre 1892 293 Millionen Rubel, im Jahre 1912 421 Millionen, im Jahre 1906 529 Millionen Rubel; im Jahre 1914 erreichte das Budget des Kriegsmarineministeriums die Summe von 975 Millionen Rubel.
Die Ausgaben für Kriegszwecke verschlangen einen großen Teil der Steuergelder. Rußland verbrauchte z.B. darauf fast ein Drittel aller seiner Ausgaben, und bei Einrechnung von Anleihzinsen noch mehr.
Von je 100 Rubel entfielen im zaristischen Rußland:
Auf Armee, Flotte, Bezahlung von Anleihezinsen |
40,14 Rubel |
|
Auf Volksbildung |
3,86 Rubel |
(der dreizehnte Teil) |
Auf Bodenkultur |
4,06 Rubel |
(der zehnte Teil) |
Auf Verwaltung, Gerichtswesen, Diplomatie, Eisenbahnverwaltung, Handel und Industrie, Finanzwesen usw. |
|
|
Summe |
100,00 Rubel |
Dasselbe sehen wir auch in anderen Staaten. Nehmen wir das „demokratische“ England. Im Jahre 1904 entfielen von je 100 Rubeln:
Auf Armee u. Flotte |
53,80 Rubel |
—> 76,30 Rubel |
Auf Bezahlung von Anleihezinsen im Ganzen und Tilgung von Staatsschulden |
22,50 Rubel |
|
Auf die Zivilämter |
23,80 Rubel |
|
Summe |
100,00 Rubel |
Die imperialistischen Politik, die die „Großmächte“ führten, mußte früher oder später der Zusammenstoß folgen. Es ist ganz klar, daß diese räuberische Politik aller „Großmächte“ die Kriegsursachen war. Nur ein Narr kann jetzt daran glauben, daß der Krieg deshalb ausgebrochen ist, weil die Serben den österreichischen Thronfolger ermordet hatten [30] oder weil Deutschland Belgien überfallen hatte. Zu Beginn des Krieges wurde viel darüber gestritten, wer am Kriege schuld ist. Die deutschen Kapitalisten behaupteten, daß Rußland Deutschland überfallen hätte und die russischen Händler trompeteten nach allen Seiten hin, daß Rußland von Deutschland überfallen worden sei. In England sagte man, daß es zum Schutze den kleinen, vom Unglück betroffenen Belgiens Krieg führe. In Frankreich wurde ebenfalls davon geschrieben, geschrien und gesungen, wie edel Frankreich handle, indem es für das heldenhafte belgische Volk eintrete. Und zu ebenderselben Zeit wurde in Österreich und Deutschland weit und breit erzählt, daß sie sich vor dem Überfall der russischen Kosaken schützen und nun einen heiligen Verteidigungskrieg führen müssen.
Das alles war von Anfang bis zum Ende dummes Zeug und ein Betrug an den arbeitenden Massen. Diesen Betrug brauchte die Bourgeoisie, um die Soldaten zwingen zu können, in den Krieg zu ziehen. Die Bourgeoisie bediente sich nicht das erste Mal dieses Mittels. Wir haben schon oben gesehen, wie die Syndikatsherren hohe Zölle einführten, um mit Hilfe der Beraubung eigener Landsleute den Kampf auf den fremden Märkten besser führen zu können. Die Zölle waren also für sie ein Mittel des Angriffes. Die Bourgeoisie schrie aber, daß sie die „vaterländische Industrie“ verteidigen wollte. So ist es auch mit dem Kriege. Das Wesen des imperialistischen Krieges, der die Welt der Herrschaft des Finanzkapitals unterwerfen sollte, lag gerade darin, daß in ihm alle die Angreifer waren. Jetzt ist es doch ganz klar. Die Zarenlakaien sagten, daß sie sich „verteidigten“. Als aber die Oktoberrevolution die Geheimfächer in den Ministerien aurbrach, da wurde dort dokumentarisch festgestellt, daß sowohl der Zar als auch Kerenski im trauten Vereine mit den Engländern und Franzosen den Krieg um des Raubes wegen geführt hatten, daß sie das fremde Konstantinopel nehmen, die Türkei und Persien ausplündern und dem österreichischen Staate Galizien entreißen wollten.
Die deutschen Imperialisten haben sich ebenfalls entlarvt. Man muß sich nur des Brest-Litowsker Friedens [31] erinnern; daran, welche Raubzüge die Deutschen in Polen, Litauen, Ukraina und Finnland unternommen hatten. Die deutsche Revolution hat auch manches aufgedeckt und jetzt wissen wir ebenfalls auf Grund von Dokumenten, daß Deutschland sich des Raubes wegen zum Überfalle vorbereitet und mit dem Gedanken getragen hatte, beinahe alle fremden Kolonien und Länder an sich zu reißen.
Und die „edlen“ Verbündeten? Auch sie sind jetzt völlig entlarvt. Nachdem sie Deutschland durch den Frieden von Versailles [32] ganz ausgeraubt, 125 Milliarden Kontribution auferlegt, die ganze Flotte, alle Kolonien, fast alle Lokomotiven weggenommen und Milchkühe für Rechnung der Kontribution davongejagt hatten, so wird natürlich Kein Mensch an ihren Edelmut glauben. Und Rußland plündern sie gleichfalls aus, im Norden und Süden. Auch sie haben also des Raubes wegen Krieg geführt.
Das alles haben die Kommunisten (Bolschewiki) schon zu Beginn des Krieges vorausgesagt. Doch wenige glaubten damals daran. Jetzt sieht es aber jeder halbwegs vernünftige Mensch ein. Das Finanzkapital ist ein gieriger, blutrünstiger Räuber, gleichgültig welcher Herkunft er ist: ob russischer, deutscher, französischer, japanischer oder amerikanischer.
Es ist also lächerlich, bei einem imperialistischen Kriege zu sagen, daß wohl der eine Imperialist schuldig sei, der andere aber nicht; oder daß die einen Imperialisten angreifen und die anderen sich verteidigen. Das alles war ausgedacht, nur um die Arbeiter zu foppen. In Wirklichkeit griffen alle in erster Linie die kleinen Kolonialvölker an, alletrugen sich mit dem Gedanken, die ganze Welt auszuplündern und dem Finanzkapital des eigenen Landes zu unterwerfen.
Dieser Krieg mußte ein Weltkrieg werden. Beinahe die ganze Welt war zerstückelt und unter die „Großmächte“ aufgeteilt und alle Mächte waren miteinander durch die gemeinsame Weltwirtschaft verbunden. Kein Wunder also, wenn der Krieg fast alle Erdteile ergriffen hat.
England, Frankreich, Italien, Belgien, Rußland, Deutschland, Österreich-Ungarn, Serbien, Bulgarien, Rumänien, Montenegro, Japan, die Vereinigten Staaten, China und Dutzende anderer kleiner Staaten wurden in den blutigen Strudel hineingezogen. Die Bevölkerungszahl der ganzen Erde beträgt ungefähr anderthalb Milliarden Menschen. Und alle diese anderthalb Milliarden erduldeten direkt oder indirekt die Leiden des Krieges, den ihnen ein Häuflein kapitalistischer Verbrecher aufgezwungen hatte. Solche Riesenarmeen, wie Sie zu Land aufgestellt wurden, solche ungeheuerliche Mordwaffen hatte die Welt noch nie vorher gesehen. Auch eine solche Kapitalsmacht hatte die Welt niemals gekannt. England und Frankreich zwangen, nicht nur allein Engländer und Franzosen, ihrem Geldsack zu dienen, sondern auch die vielen Hunderte von schwarz- und gelbhäutigen Kolonialsklaven. Die zivilisierten Räuber schreckten selbst davor nicht zurück, Menschenfresser für ihre Zwecke zu gebrauchen. Und das alles wurde mit den edelsten Losungen bemäntelt.
Der Krieg vom Jahre 1914 hatte seine Vorgänger in den Kolonialkriegen. Ein solcher war der Kriegszug der „zivilisierten“ Mächte gegen China, der spanisch-amerikanische Krieg, der russisch-japanische Krieg im Jahre 1904 (wegen Korea, Porth Arthur, die Mandschurei usw.), der türkisch-italienische Krieg im Jahre 1912 (wegen der afrikanischen Kolonie Tripolis), der Burenkrieg zu Beginn des 20. Jahrhunderts [33], in dem das „demokratische“ England in bestialischer Weise die beiden Burenrepubliken erdrosselte; es gab eine Reihe von Fällen, wo der Krieg bald zu einem Riesenbrande zu entflammen drohte. Die Länderaufteilung in Afrika führte beinahe zu einem Kriege zwischen England und Frankreich (um Faschoda), ferner zwischen Deutschland und Frankreich (wegen Marokko) [34]. Zwischen dem zaristischen Rußland und England kam es seinerzeit beinahe zum Kriege wegen der Länderaufteilung in Mittelasien.
Schon zu Beginn des Weltkrieges traten die Interessengegensätze zwischen England und Deutschland wegen der Länderherrschaft In Afrika, Kleinasien und auf der Balkanhalbinsel scharf hervor. Und die Umstände gestalteten sich so, daß mit England auch Frankreich zusammenging, das Deutschland Elsaß-Lothringen entreißen wollte, und Rußland, welches auf der Balkanhalbinsel und in Galizien sein Schäfchen scheren wollte. Der räuberische deutsche Imperialismus fand seinen Hauptverbündeten in Österreich-Ungarn. Der amerikanische Imperialismus mengte sich erst später ein, da er auf die gegenseitge Schwächung der europäischen Staaten lauerte.
Außer dem Militarismus ist das gewöhnlichste Kampfmittel der imperialistischen Mächte die Geheimdiplomatie – die zu Geheimverträgen und Verschwörungen ihre Zuflucht nimmt, ohne selbst Mordtaten-, Sprengungen usw. zu verschmähen. Die eigentlichen Ziele des imperialistischen Krieges waren gerade in diesen Geheimverträgen enthalten, die einerseits zwischen England, Frankreich und Rußland, andererseits Deutschland, Österreich-Ungarn, Türkei und Bulgarien bestanden. Die Ermordung des österreichischen Thronfolgers vor dem Kriege erfolgte offenbar nicht ohne Wissen der Geheimagenten der Entente. Aber auch die deutsche Diplomatie hatte dagegen nichts einzuwenden gehabt: der deutsche Imperialist schrieb:
Wir müssen es als großes Glück betrachten, daß die große deutschfeindliche Verschwörung durch die Ermordung des Thronfolgers Franz-Ferdinand vor der beabsichtigten Frist ausgebrochen ist. Zwei Jahre später wäre für uns der Krieg viel schwieriger gewesen.
Die deutschen Provokateure wären bereit gewesen, selbst ihren eigenen Prinzen zu opfern, nur um einen Krieg hervorzurufen.
Die imperialistische Kriegführung zeichnete sich nicht nur durch ihre Dimensionen und Verwüstungen aus, sondern auch dadurch, daß die ganze Wirtschaft des Landes, das den imperialistischen Krieg führte, den Kriegsinteressen untergeordnet wurde. Früher konnte die Bourgeoisie Krieg führen, wenn sie nur Geld dazu hatte. Der Weltkrieg aber war so ungeheuer groß und wurde von derart entwickelten Ländern geführt, daß das Geld allein nicht ausreichte. Dieser Krieg erforderte, daß die Stahlgießereien ausschließlich mit dem Gießen von Kanonen, eine ungeheuerlicher als die anders, beschäftigt waren, daß die Kohle in den Schächten nur für den Kriegsbedarf gewonnen, Metalle, Gewebe, Leder usw. nur für den Krieg verwendet wurden. Es ist daher selbstverständlich, daß derjenige der staatskapitalistischen Trusts auf den Sieg hoffen konnte, bei dem die Industrie und daß Transportwesen dem Kriege besser angepaßt waren. Wie war das zu erreichen? Nur durch Zentralisation der ganzen Produktion. Die Produktion mußte glatt vor sich gehen, gut organisiert sein, unmittelbar der Obersten Heeresleitung und ihren Vorschriften unterstellt werden und die Anweisungen der Herren mit den Achselstücken und Sternen mußten genau ausgeführt werden.
Die Bourgeoisie konnte das sehr einfach zustandebringen. Sie mußte zu diesem Zwecke die private Produktion und die einzelnen privaten Syndikate und Trusts ihrem bürgerlichen Räuberstaate zur Verfügung stellen. Das wurde auch während des Krieges tatsächlich getan, Die Industrie wurde „mobilisiert“ und „militarisiert“, d.h. sie wurde dem Staate und den militärischen Behörden zur Verfügung gestellt. Wieso? – wird jemand einwenden. Das Bürgertum würde doch seiner Einkünfte verlustig werden? Das wäre doch Nationalisierung! Wenn alles dem Staate übergeben wird, was hat dann die Bourgeoisie davon und wie wird sie auf ein solches Geschäft eingehen? Die Bourgeoisie ist aber doch darauf eingegangen. Es ist doch nichts Verwunderliches daran. Denn die privaten Syndikate übergaben alles ja nicht dem Arbeiterstaate, sondern ihrem eigenen imperialistischen Staate. Was sollte die Bourgeoisie davor abschrecken? Sie legte bloß ihre Schätze aus einer ihrer Taschen in die andere: die Schätze wurden dabei um nichts kleiner.
Man muß sich immer den Klassencharakter des Staates vor Augen halten. Der Staat ist nicht irgendeine „dritte Macht“, die über den Klassen steht, sondern eine Klassenorganisation vom Scheitel bis zur Sohle. Unter der Diktatur der Arbeiter ist er eine Organisation der Arbeiter. Unter der Herrschaft der Bourgeoisie ist er eben eine Unternehmerorganisation, wie ein Trust oder Syndikat.
Somit hat die Bourgeoisie, als sie die privaten Syndikate in die Hände ihres eigenen (nicht proletarischen, sondern ihres räuberischen und kapitalistischen) Staates legte, gar nichts verloren. Ist es nicht ein und dasselbe, ob der Fabrikant Schulz oder Schmit seinen Profit aus der Syndikatskanzlei oder aus der Kassa der Reichsbank erhält? Die Bourgeoisie gewann, ohne etwas zu verlieren. Sie gewann, weil bei einer derartigen Zentralisation die Kriegsmaschine besser arbeitete und sich die Wahrscheinlichkeit des Erfolges in diesem Raubkriege erhöhte.
Kein Wunder, daß sich in allen kapitalistischen Ländern während des Krieges an Stelle der privaten Syndikateder Staatskapitalismus entwickelte. Deutschland konnte z.B. nur darum seine Siege erringen, solange dem Ansturm der ihm überlegenen gegnerischen Kräfte standhalten, weil seine Bourgeoisie es verstand, diesen Staatskapitalismus glänzend zu organisieren.
Der Übergang zum Staatskapitalismus vollzog sich in verschiedenen Formen und auf verschiedene Weise. Am häufigsten wurden Staatsmonopole auf dem Gebiete der Produktion und des Handels geschaffen, d.h. Produktion und Handel gingen in ihrer Gesamtheit in den Besitz des bürgerlichen Staates über. Manchmal volIzog sich der Übergang nicht sofort, sondern allmählich, indem der Staat nur einen Teil der Aktien eines Syndikates oder Trusts kaufte. Ein solches Unternehmen war zur Hälfte staatlich, zur Hälfte privat und der bürgerliche Staat führte dort seine Politik durch. Außerdem wurden dann oft den Unternehmungen, die in privatem Besitz verblieben, Zwangsvorschriften auferlegt; so waren z.B. Unternehmen nach dem neuen Gesetze verpflichtet, bei bestimmten Firmen einzukaufen und diese durften den ersteren nur bestimmte Mengen und zu einem bestimmten Preise verkaufen; der Staat schrieb obligatorische Arbeitsmethoden, Material usw. vor und führte Bezugsscheine auf alle wichtigen Produkte ein. So wuchs an Stelle des privaten der Staatskapitalismus empor.
Unter der Herrschaft des Staatskapitalismus tritt an Stelle der gesonderten Organisationen der Bourgeoisie ihre einheitliche Organisation, ihr Staat. Bis zum Kriege bestand in den kapitalistischen Ländern die bürgerliche Staatsorganisation und getrennt von ihr organisierten sich die Syndikate, Trusts, Unternehmerverbände, Organisationen der Großgrundbesitzer, bürgerliche politische Parteien, Verbände der bürgerlichen Journalisten, Gelehrten, Künstler; Kirchenvereine, Pfaffenverbände, weißgardistische Jugendvereinigungen, private Detektivbüros u. dgl. Im Staatskapitalismus verschmelzen alle diese gesonderten Organisationen mit dem bürgerlichen Staat, sie werden zu seinen Filialen, verfolgen seine Pläne, unterstellen sich der „Obersten Heeresleitung“. In den Schächten und Fabriken wird ausgeführt was der Generalstab befiehlt; die Zeitungen bringen was der Generalstab verlangt; in den Kirchen wird gepredigt, was die Räuber dieses Generalstabes für nützlich finden; man zeichnet, dichtet und singt, was ebenderselbe Generalstab vorschreibt; es werden Maschinen, Geschosse, Geschütze, Gase erfunden, die wieder er, der Generalstab, benötigt. Auf diese Weise wird das ganze Leben militarisiert, um der Bourgeoisie den Gewinn ihres blutbeschmutzten Geschäftes zu sichern.
Der Staatskapitalismus bedeutet eine riesige Erstarkung der Großbourgeoisie. Wie unter der Diktatur des Proletariats die Arbeiterklasse umso stärker ist, je inniger die Sowjetmacht, die Gewerkschaften, die kommunistische Partei usw. zusammenarbeiten, so ist unter der Diktatur der Bourgeoisie die bürgerliche Klasse umso mächtiger, je fester alle bürgerlichen Organisationen miteinander verkettet sind. Indem der Staatskapitalismus die bürgerlichen Organisationen zentralisiert und sie in Organe einer einzigen, einheitlichen Organisation umwandelt, verhilft er dem Kapital zu seiner Riesenmacht. Gerade hier feiert die Diktatur der Bourgeoisie ihren Triumph.
Der Staatskapitalismus entstand während des Krieges in allen großen kapitalistischen Ländern. Auch im zaristischen Rußland war er im Entstehen begriffen (Kriegsindustriekomitees, Monopole usw.). Später jedoch befürchtete die russische Bourgeoisie, eingeschüchtert durch die Revolution, daß zugleich mit der Staatsgewalt auch die Produktion in die Hände des Proletariats übergehen könnte. Daher verhinderte sie nach der Februarrevolution die Organisation der Produktion.
Wir sehen, daß der Staatskapitalismus die Ausbeutung nicht nur nicht beseitigt, sondern die Macht der Bourgeoisie ungemein verstärkt. Nichtsdestoweniger predigten die Scheidemänner in Deutschland und andere Versöhnungssozialisten, daß diese Zwangsarbeit Sozialismus sei. Wenn sich einmal alles im Besitze des Staates befinden werde, so sei der Sozialismus verwirklicht. Sie sahen nicht, daß wir es hier nicht mit einem proletarischen Staate zu tun haben, sondern mit einer Organisation, in der der ganze staatliche Machtapparat in den Händen der erbitterten Todfeinde und Mörder des Proletariats ist.
Dadurch, daß der Staatskapitalismus die Bourgeoisie einigt und organisiert und ihre Macht erhöht, schwächt er die Kraft der Arbeiterklasse. Die Arbeiter wurden unter dem Staatskapitalismus zu weißen Sklaven des Räuberstaates. Sie wurden des Streikrechts beraubt, mobilisiert und militarisiert; wer gegen den Krieg auftrat, wurde sofort wegen Hochverrates verurteilt; in vielen Ländern wurde ihnen das Recht auf Freizügigkeit genommen, der Übertritt von einem Unternehmen in das andere verboten usw. Der „freie“ Lohnarbeiter wurde leibeigen und war verurteilt, auf den Schlachtfeldern nicht für seine eigene Sache, sondern für die Sache seiner Feinde zu sterben, sich zu Tode zu arbeiten, aber nicht in seinem eigenen Interesse, noch im Interesse seiner Genossen, seiner Kinder, sondern für das Interesse seiner Peiniger.
A. Das Wort „Monopol“ stammt aus dem Griechichen – „monos“ (einzig) und „polis“ (Staat, Verwaltung, Herrschaft).
1*. Ein russisches Sprichwort.
27. Woodrow Wilson (1856-1924): 1913-1920 Präsident der USA; obwohl angeblich Pazifist, führte die USA 1917 in den Krieg gegen Deutschland; wichtiger Teilnehmer der Versailler Friedenskonferenz und Initiator des Völkerbundes; einer der Hauptorganisatoren der Intervention der imperialistischen Mächte gegen die russische Revolution.
28. Gustavus Myers (— - —): amerikanischer Schriftsteller und Historiker.
29. MacAdoo
30. Der österreichische Thronfolger, Erzherzog Franz-Ferdinand, wurde am 28. Juni 1914 in Sarajewo von eine serbischen Nationalisten mit seiner Frau erschossen. Die österreichisch-ungarische Regierung forderte Zugeständnisse von der serbischen Regierung, die die Unabhängigkeit Serbiens zerstört hätten. Als Serbien diese Forderungen ablehnte, bereitete Österreich-Ungarn für den Krieg vor. Serbien wandte sich zu seinem Verbündeten Rußland, und dadurch zu Frankreich und Großbritannien, für Hilfe. Österreich wandte sich zu seinen Verbündeten, Deutschland. Mit dem Attentat als Begründung lösten beide Seiten den Krieg aus, um den seit Jahren steigenden Konkurrenzkampf zwischen den verschiedenen imperialistischen Mächten um die weltweite Vorherrschaft zu entscheiden. Am 28. Juli erklärte Österreich-Ungarn Serbien den Krieg. Zwei Tage später mobilisierte Rußland gegen Österreich-Ungarn sowie Deutschland. Am 1. August erklärte Deutschland Rußland den Krieg und marschierte in Luxemburg ein; bis zum 4. August hatten Großbritannien und Frankreich dem Konflikt beigetreten; am selben Tag marschierten deutsche Truppen in Belgien ein.
31. Der Frieden von Brest-Litowsk, der den Krieg zwischen Deutschland und Sowjetrußland endete, wurde am 3. März 1918 von Trotzki in der russisch-polnischen Grenzstadt Brest-Litowsk unterschrieben. Die Bedingungen waren für die Russen sehr lästig und die Bolschewiki hatte die Unterzeichnung so lange wie möglich verzögert in der Hoffnung, daß die deutsche Revolution inzwischen ausbrechen würde. Schließlich wurden sie gezwungen, den Friedensvertrag zu unterzeichnen, nachdem die deutschen Streitkräfte ihren Einmarsch in Rußland wieder aufnahmen.
32. Der Frieden von Versailles, der den Ersten Weltkrieg beendete, wurde am 28. Juni 1919 von den USA, Großbritannien, Frankreich, Italien, Japan und den sich ihnen im Laufe des Krieges angeschlosenen Mächten einerseits und Deutschland andererseits unterzeichnet. Der Friedensvertrag hatte das Ziel, die Neuaufteilung der Welt zugunsten der Siegermächte zu verankern und so ein System der zwischenstaatlichen beziehungen zu schaffen, das auf die Abwürgung der Russischen Revolution und auf die Zerschlagung der revolutionären Weltbewegung gerichtet wäre.
33. Der Kriegszug gegen China bezieht sich auf die Niederschlagung des Boxeraufstands von 1899-1901. Diese wurde durch ein vereinigtes Expeditionskorps der imperialistischen Mächten, bestehend aus deutschen, japanischen, britischen, amerikanischen und russischen Truppen unter dem Oberbefehl des deutschen Feldmarschalls von Waldersee brutal durchgeführt. 1901 wurde china gezwungen, das sogenannte Schlußprotokoll zu unterzeichnen, das China in eine Halbkolonie des ausländischen Imperialismus verwandelte. – Der spanisch-amerikanische Krieg von 1898 war der erste Krieg um die Neuaufteilung der Welt. Unter dem Aufwand eines Angriffs auf ein amerikanisches Kriegsschiff während des Befreiungskriegs in Kuba intervenierten die USA. Das Ziel der Amerikaner bestand darin, die spanischen Kolonien in Mittelamerika – Kuba und Puerto Rico – sowie die Spanien gehörenden Philippinen zu annektieren. Im Ergebnis des Krieges verlor Spanien seine wichtigsten Kolonien: Die Philippinen, Puerto Rico und andere Inseln gingen an die USA über. Kuba, nominell selbständig, wurde zur Halbkolonie der USA. – Anfang 1904 brach der russisch-japanische Krieg aus. Der Grund für den Krieg war der zunehmende Gegensatz zwischen den imperialistischen Interessen Rußlands und Japans im Fernen Osten. Ursprünglich von der zaristischen Regierung als Ablenkung von der Entwicklung der revolutionären Bewegung begrüßt. Die zaristischen Streitkräfte, besonders die Flotte, litten eine Reihe von verheerenden Niederlagen, die eher die politische Unzufriedenheit verstärkte. Der Krieg trug erheblich zur Krise bei, die in der Revolution von 1905 zuspitzte, und die Revolution trug erheblich zur Beendigung des Kriegs bei. – Im türkisch-italienischen Krieg von 1911 eroberte Italien die türkische Provinz Tripolitanien (heute Libyen). Dabei wurden Tausende Araber von den italienischen Streitkräften getötet. – Der Burenkrieg (Oktober 1899-Mai 1902) war ein kolonialer Eroberungskrieg Großbritanniens gegen zwei südafrikanische Siedlerrepubliken – Transvaal und Oranje –, in dem diese Republiken ihre Selbständigkeit verloren und zu Kolonien Großbritanniens wurden.
34. Faschoda: eine Ortschaft in Ostsudan, wo es im September 1898 zu einem Zusammenstoß britischer und französischer Kolonialtruppen gekonmmen war; dieser Zusammenstoß verursachte eine Krise in den internationalen Beziehungen, in der sich der Kampf zwischen Großbritannien und Frankreich um die Herrschaft in Sudan und die endgültige Aufteilung Afrikas widerspiegelte. – In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg war Marokko, das als französisches Schutzgebiet galt, immer wieder Schauplatz für Streit mit Deutschland. Besonders in 1905 und 1911 verlangte Deutschland Konzessionen in diesem Gebiet, wurde aber nach heiklen Konfrontationen mit Frankreich zurückgewiesen.
Zuletzt aktualisiert am 11.10.2003