O. B.

Rundschau

Dreadnoughts-Wahlen

(1. April 1911)


Der Kampf, Jg. 4 7. Heft, 1. April 1911, S. 319–331.
Transkription u. HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.


Dieses Heft war bereits in Druck, als der Reichsrat vertagt wurde. Ehe es in die Hände der Leser kommt, wird er wohl aufgelöst sein. Die Völker Oesterreichs stehen an der Schwelle eines grossen Wahlkampfes,

Im Jänner 1908 hat Graf Aehrenthal mitgeteilt, dass Oesterreich-Ungarn von der Türkei die Zustimmung zum Bau der Sandschakbahn erlangt habe. Damit begann nach langer Unterbrechung die „aktive Politik“ Oesterreichs auf der Balkanhalbinsel. Die erste Wirkung dieser Mitteilung war die Verschärfung des Gegensatzes zwischen Oesterreich-Ungarn und Russland, zwischen Oesterreich-Ungarn und Italien, zwischen Oesterreich-Ungarn und Serbien.

Im Oktober 1908 wurden Bosnien und die Herzegowina annektiert. Die Wirkung dieser Massregel war eine allgemeine europäische Krise, die uns im Februar 1909 hart an den Abgrund der Kriegsgefahr brachte.

Die Herrschenden setzten nun alles daran, Oesterreich-Ungarn, das ihre Politik der halben Welt verfeindet hatte, zu rüsten. Während der Annexionskrise wurden ausgegeben: 180 Millionen Kronen für Rüstungen des gemeinsamen Landheeres, 54 Millionen Kronen für die Kriegsmarine, ausserdem , Millionen Kronen für die österreichische Landwehr. Sofort nach der Beendigung der Annexionskrise begann der Bau neuer Kriegsschiffe, für die die Delegation 31,4 Millionen (darunter 4,4 Millionen für vier Dreadnoughts) bewilligt hat. Ausserdem wurde das „ordentliche“ Heereserfordernis um 7,7 Millionen erhöht und für Neuanschaffungen für das Heer ein „ausserordentlicher“ Kredit von 4 Millionen bewilligt. Schliesslich wurde angekündigt, dass die Reform des Wehrgesetzes mit einer Erhöhung der jährlichen Ausgaben für das Heer um 100 Millionen Kronen verknüpft und überdies für grosse Neuanschaffungen eine einmalige Ausgabe von weiteren 100 Millionen Kronen beansprucht werden würde. Dies die militärischen und finanziellen Begleiterscheinungen der neuen „aktiven“ Politik auf der Balkanhalbinsel.

Die Kosten dieser Rüstungen wurden vorläufig durch Anleihen gedeckt. Seit der Annexion Bosniens wurde die Begebung der folgenden Staatsschulden vom Parlament bewilligt:

Im Februar

1909 220 Mill. Kr.

Schatzscheine

In Jänner

1910 139 Mill. Kr.

Rente

In April

1910 220 Mill. Kr.

Rente

In Jänner

1911 109 Mill. Kr.

Rents

Zusammen 688 Mill. Kr.

neue Schulden

Im letzten Budgetprovisorium forderte die Regierung die Bewilligung einer weiteren Anleihe im Betrage von 76 Millionen Kronen. Da sie die Bewilligung zur Begebung von Renten nicht bekommen hat, wird sie diese Anleihe wohl als Kontokorrentdarlehen bei den Grossbanken aufnehmen. Damit steigt die Summe der seit der Annexion aufgenommenen Schulden auf 764 Millionen Kronen.

Baron Bienerth hat nun von den Herrschenden den Auftrag bekommen, Steuererhöhungen durchzusetzen, um die Kosten für die Verzinsung dieser Schulden zu decken und die Mittel für die Erhöhung des „ordentlichen“ Heeres-erfordernisses für die Zukunft beizustellen.

  1. Zunächst sollen die Preise der Tabakfabrikate vom 1. Juli an erhöht werden. Dies kann durch eine Verordnung geschehen; die Zustimmung des Reichsrates braucht die Regierung dazu nicht. Doch musste die Regierung fürchten, dass das Abgeordnetenhaus bei der Beratung des Budgets den von den Sozialdemokraten bereits angekündigten Antrag annehmen werde, den Betrag von 10 Millionen Kronen, der als Erträgnis der Preiserhöhung für das zweite Halbjahr 1911 in das Budget eingestellt wurde, zu streichen.
     
  2. Zweitens sollte die Branntweinsteuer um 60 Heller für den Liter Alkohol erhöht werden.
     
  3. Drittens sollte ein Zündhölzchenmonopol geschaffen, der Preis der Schachtel Zündhölzer auf das Doppelte erhöht, der Gewinn zwischen dem Staat und der Länderbank geteilt werden.
     
  4. Viertens sollten auch direkte Steuern (die Personaleinkommensteuer und die Erbschaftsgebühr) erhöht und eine neue direkte Steuer, die Tantiemensteuer, eingeführt werden.

Aber die Erhöhung der direkten Steuern stiess im Herrenhause und in den kapitalistischen Parteien des Abgeordnetenhauses auf starken Widerstand. Sie wäre nicht ohne gewichtige Zugeständnisse an die Kapitalisten und die Grundherren durchzusetzen gewesen. Das industrielle Kapital forderte die Ermässigung der Erwerbsteuer für die Aktiengesellschaften. Die Grossgrundbesitzer forderten die Ermässigung der Erbsteuer für die Liegenschaften und der Referent des Finanzausschusses, Dr. Löwenstein, hat die Erfüllung dieser Forderung in seine Vorschläge auf genommen. Die Grossgrundbesitzer sollen statt 1 bis 1½ Prozent nur noch ½ Prozent des Wertes als Erbschaftsgebühr für ihren Grundbesitz bezahlen! Die Besitzenden waren also nicht gewillt, die neuen Lasten auf sich zu nehmen!

Anderseits wagten es die bürgerlichen Parteien nicht, dem Volke neue indirekte Steuern aufzuerlegen, ohne gleichzeitig volkstümliche Forderungen zu erfüllen. Die Sozialversicherung, die Dienstpragmatik für die Staatsbeamten, das Lokalbahngesetz standen auf der Tagesordnung! Ueberdies forderten die Landtagscliquen, dass ein Teil des Erträgnisses der neuen Steuern den Ländern zugewiesen werde! Was konnte da für den Militarismus übrig bleiben?

Baron Bienerth war also nicht fähig, dem Auftrag des Generalstabs zu entsprechen. Das Abgeordnetenhaus lebt nun schon bald vier Jahre. Spätestens in zwei Jahren muss jeder Abgeordnete vor die Wähler treten. Kann man den bürgerlichen Abgeordneten zumuten, im letzten Abschnitt ihres parlamentarischen Daseins neue drückende Steuern zu beschliessen, ohne gleichzeitig volkstümliche Reformen zu schaffen, die das Erträgnis dieser Steuern verschlingen? Mit einem neuen Hause wird es wohl leichter sein! Dann hat ja jeder Abgeordnete volle sechs Jahre vor sich – eine lange Zeit, während derer die Wähler wohl vergessen werden, was an ihrem Beginn geschehen ist. Ein neues Haus wird die neuen indirekten Steuern bewilligen, ohne das Geld, das für Kanonen und Kriegsschiffe bestimmt ist, für die Sozialversicherung oder für Lokalbahnen zu vergeuden. Das ist Bienerths Rechnung. Er hat den Konflikt mit den Tschechen heraufbeschworen, um das widerspenstige Haus aufzulösen und sich ein neues wählen zu lassen, das, wie er meint, die Dreadnoughts-Steuern leichter bewilligen wird. Damit ist unsere Wahlparole gegeben. Wir werden Gericht halten über die Parteien, die die gemeingefährliche „aktive Politik“ des Grafen Aehrenthal unterstützt, die Dreadnoughts bewilligt haben und sich nun rüsten, im neuen Haus die Steuern zu bewilligen, aus deren Ertrag die Kosten der Rüstungen bezahlt werden sollen. Gegen Imperialismus und Militarismus! – das ist unsere Parole für die Dreadnoughts-Wahlen!

 


Leztztes Update: 6. April 2024