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Der Kampf, Jg. 2 Heft 7, 1. April 1909, S. 332–333.
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In der Sammlung Kultur und Fortschritt, die von Felix Dietrich in Gautzsch herausgegeben wird, schreibt Clara Linzen-Ernst über Mehrwert, Zins und Unternehmergewinn bei Karl Marx. Frau Linzen will Marx den bürgerlichen Lesern näher bringen: darum verwendet sie von den 16 Seiten, die ihr zur Verfügung stehen, nicht weniger als zehn für den Nachweis, dass auch Marx die „Existenzberechtigung“ des Kapitalisten innerhalb der bürgerlichen Gesellschaftsordnung „anerkannt“ habe. Zu den konstituierenden Merkmalen der kapitalistischen Gesellschaft gehört, dass in ihr eine Klasse von Kapitalisten existiert: diese Tatsache kann man nicht „anerkennen“, sondern nur feststellen. Marx interessiert vielmehr, dass die kapitalistische Gesellschaft den Kapitalisten allmählich aus der Produktion völlig ausschaltet, die Aufhebung des Daseins der Kapitalistenklasse möglich macht und eine Klasse hervorbringt, die diese Aufhebung schliesslich vollziehen wird; diese Gedankenreihe aber würdigt Frau Linzen keiner Untersuchung. Sie glaubt vielmehr, die „Existenzberechtigung“ der Unternehmerklasse damit erweisen zu können, dass auch nach Marx in dem Einkommen des Unternehmers neben dem Unternehmergewinn und dem Kapitalzins auch ein Aufsichtslohn enthalten sei. Das kann gewiss zutreffen; aber in der Analyse des Aufsichtslohns vermengt Frau Linzen verschiedene ökonomische Begriffe.
Die ökonomische Analyse muss in der Aufsichtsarbeit des Unternehmers zunächst zwei Teile unterscheiden: erstens die Arbeit der technischen Leitung des Betriebes, die einen Teil des Arbeitsprozesses bildet, in jeder Gesellschaftsordnung unentbehrlich und zweifellos wertbildend ist; der Entgelt für diese Arbeit ist, sofern der Kapitalist sie selbst leistet, von ihm selbst geschaffener Wert, dem Arbeitsentgelt des einfachen Warenproduzenten vergleichbar. Zweitens aber enthält die Aufsichtsarbeit auch die Arbeit der ökonomischen Leitung der Unternehmung, die nur aus dem Konkurrenzverhältnis entspringt und heute schon eingeschränkt wird, wenn das Konkurrenzverhältnis ganz oder teilweise durch Kartelle, Syndikate, Trusts aufgehoben wird. Diese Arbeit braucht nur eine Waren produzierende Gesellschaft ; sie ist nach Marx nicht wertbildend, ihre Entlohnung ist ein Teil des Mehrwerts. Schon durch diese Unterscheidung wären die Darlegungen der Frau Linzen einzuschränken.
Die kapitalistische Gesellschaft braucht nun sowohl die technische als auch die ökonomische Aufsichtsarbeit. Wenn der Kapitalist sie vollzieht, fungiert er als qualifizierte Arbeitskraft. Ueber den Wert der qualifizierten Arbeitskraft wurde vor einigen Jahren innerhalb der Marxschen Schule lebhaft diskutiert; Frau Linzen hätte ihr Problem richtiger und genauer behandeln können, wenn sie die Ergebnisse dieser Diskussion beachtet hätte.
Von der Qualifikation der Arbeitskraft, die erlernt, erworben ist, ist aber ihre Qualität, die natürliche Begabung ihres Trägers zu unterscheiden. Die Qualifikation vermehrt den Wert der Arbeitskraft und, sofern es wertbildende Arbeit ist, der Wert der von ihr geschaffenen Waren, die Qualität gibt ihr die Macht, im Konkurrenzkämpfe von wem immer geschaffene Werte an sich zu ziehen, ähnlich wie Kapital- und Arbeitsaufwand dem Boden Wert gibt, seine natürliche Beschaffenheit dagegen seinem Besitzer die Macht einräumt, einen Teil der gesellschaftlichen Mehrwertmasse als Rente an sich zu ziehen. (Eine Darstellung der aus den Verschiedenheiten der Qualität der Arbeitskraft hervorgehenden ökonomischen Erscheinungen auf Marxscher Grundlage hat Hans Deutsch einmal angekündigt.) Sofern nun die Ungleichheit der individuellen Profitraten von der „Schlauheit und Betriebsamkeit“, von der „Verschiedenheit in dem Geschäftsgeschick“ der Unternehmer abhängt, sind die auf diese Weise erzielten Extraprofite derjenigen Unternehmer, die mit grösserem als dem gesellschaftlich notwendigen Geschäftsgeschick arbeiten, eben auf die Qualität ihrer Arbeitskraft zurückzuführen – diese Frage ist also einerseits von der Frage nach der Funktion der qualifizierten technischen Aufsichtsarbeit im Wertbildungsprozess und andererseits von der Frage nach dem Werte der für die technische und ökonomische Aufsichtsarbeit erforderlichen qualifizierten Arbeitskraft schärfer zu scheiden, als Frau Linzen dies tut.
Ist also ihre Analyse des „Aufsichtslohnes“ an sich mangelhaft, so ist es noch schlimmer, dass sie um ihretwillen die Darstellung der Grundgedanken der Marxschen Wertlehre in allzu engem Raume zusammengezwängt hat. Darum ist diese Darstellung keineswegs leicht verständlich, sie verfehlt also in einer populären Broschürensammlung ihren Zweck. Und indem die Aufmerksamkeit des Lesers sofort auf ein Problem zweiten Ranges abgelenkt wird, erhält er von dem Aufbau der Marxschen Oekonomie ein falsches Bild.
Trotz dieser schweren Mangel dürfen wir uns freuen, in einer von einem bürgerlichen Verlag herausgegebenen Sammlung populärer Broschüren die Grundbegriffe der Marxschen Oekonomie von einer Frau dargestellt zu sehen, die Marx’ Kapital gut kennt und – trotz ihrer Absicht, Marx zu verbürgerlichen – mit redlichem Streben nach Wahrheit studiert hat.
Leztztes Update: 6. April 2024