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Der Kampf, Jahrgang 2 2. Heft, 1. November 1908, S. 71–79.
Transkription u. HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.
Das Privateigentum wächst den Eigentümern über den Kopf. Mit eherner Notwendigkeit führt das Sondereigentum an den Arbeitsmitteln zur Vergesellschaftlichung der Produktion und des Handels in den grossen Betrieben und Unternehmungen, zur Vereinigung der Eigentümer in den Kartellen, Fusionen und Trusts, zur Konzentration der im Eigentum enthaltenen Macht in den Händen des Finanzkapitals. Die breiten Schichten der besitzenden Klassen, selbst Eigentümer und des Eigentums Verfechter, empören sich nun gegen die notwendigen Wirkungen des Rechtes, auf das auch ihre Macht gegründet ist. Heute bauen sie selbst ein Kartell und morgen schreien sie nach Abhilfe gegen die Herrschaft der Kartelle.
Die Gegnerschaft der Zünftler und Agrarier gegen den Kapitalismus ist freilich widerspruchsvoll wie alle kleinbürgerliche Politik. Das Kleinbürgertum bekämpft die notwendigen Folgeerscheinungen des Sondereigentums und hält doch zähe am Sondereigentum fest; es befehdet den Kapitalismus und geht doch mit ihm gegen die Arbeiter gemeinsam vor; es fordert die Beseitigung der Kartelle und will doch die gewerberechtlichen Zwangsgenossenschaften in der Stadt und die Vereinigungen der landwirtschaftlichen Genossenschaften auf dem Lande zu Kartellen ausbauen. Aus diesen widerspruchsvollen Bestrebungen ward unsere Mittelstandspolitik geboren; dieselben Bestrebungen verdichten sich heute in der Forderung eines Kartellgesetzes.
Die Arbeiterschaft kennt den Geist des kleinbürgerlichen Antikapitalismus und sie ist gewohnt, seine Vorschläge argwöhnisch zu prüfen. Solange der Staat von den Eigentümern beherrscht wird, ist er im allgemeinen gewiss unfähig, die notwendigen Wirkungen des Sondereigentums aufzuheben; wo aber gegen die Macht der Kartelle auch innerhalb der besitzenden Klassen starke Gegentendenzen sich erheben, wird die Arbeiterklasse die günstige Situation ausnützen, um wenigstens in Einzelfällen gegen besonders auffällige Schäden der Kartellwirtschaft Abhilfe zu schaffen. Ohne Illusionen, aber auch ohne Missachtung des Erreichbaren, Vor- und Nachteile gewissenhaft abwägend, wird die Sozialdemokratie an der Beratung kleinbürgerlicher und agrarischer Kartellgesetzentwürfe teilnehmen.
Will das Bürgertum die Kartelle einem Sonderrecht unterwerfen, so haben wir nichts dagegen einzuwenden. Aber auf die Koalitionen der Arbeiter dürfen die Bestimmungen des Kartellgesetzes keine Anwendung finden. Ein Gesetz, das sich antikapitalistisch gebärdet, darf nicht zur Waffe des Kapitalismus gegen die Arbeiter werden. Dass heute dieselbe Bestimmung des Koalitionsgesetzes die Preisverabredungen der Unternehmer wie die Lohnverabredungen der Arbeiter umfasst, darf nicht darüber täuschen, dass die ökonomischen Funktionen der Gewerkschaften ganz andere sind als die der Kartelle. Unsere erste Forderung an ein Kartellgesetz lautet also: Vollständige Trennung des Kartellrechtes von dem Koalitionsrecht der Arbeiter!
In der Sphäre der Hausindustrie und des kapitalshörigen Handwerks ist die Grenze allerdings nicht leicht zu ziehen. Tausende von Handwerksmeistern arbeiten nicht mehr für den Markt, sondern für einen kapitalistischen Händler. Der Jurist hält sie für Unternehmer, der Nationalökonom muss sie als Lohnarbeiter betrachten. Was, ökonomisch betrachtet, ihr Arbeitslohn ist, erscheint doch juristisch zuweilen als der Preis ihrer Ware. Die Vereinigungen solcher Arbeiter sind als Gewerkschaften zu behandeln und nicht dem Kartellgesetz zu unterwerfen. Die selbständigen Gewerbetreibenden, die für den Markt produzieren, sind von den Hausindustriellen und kapitalshörigen Handwerkern, die im Dienste kapitalistischer Unternehmungen stehen, streng zu scheiden.
Dagegen müssen dem Kartellgesetz die Vereinigungen aller selbständigen Unternehmer unterworfen werden, also nicht nur die Kartelle in der Grossindustrie, sondern auch die wesensverwandten Verbände im Handel und im Verkehrswesen, im Kleingewerbe, in der Landwirtschaft und in der Viehzucht. Das Gesetz darf sich aber auf die Regelung der Kartelle nicht beschränken; es muss in gleicher Weise alle Unternehmungen treffen, die — sei es auch ohne Kartellvertrag — den Markt monopolistisch beherrschen. In vielen Fällen kann die Wirkung eines Kartells ja auch erreicht werden, ohne dass die Unternehmer einen Kartellvertrag schliessen: so zum Beispiel, wenn in den Verwaltungsräten mehrerer Aktiengesellschaften dieselben Personen sitzen, die ein einmütiges Vorgehen dieser Gesellschaften auch ohne Vertrag herbeiführen können, oder wenn alle oder fast alle Unternehmer eines Produktionszweiges ihre Erzeugnisse demselben Grosshändler verkaufen, der nun für sie alle den Vertrieb ihrer Ware besorgt. Die Gefahren eines Gesetzes, dessen Bestimmungen bloss für die Kartelle gelten, haben die Wirkungen der amerikanischen Kartellgesetzgebung deutlich gezeigt. In den Vereinigten Staaten hat gerade die kartellfeindliche Gesetzgebung die Bildung der Trusts gefördert. So erreichte man die beabsichtigten ökonomischen Wirkungen noch viel vollständiger als durch ein Kartell und handelte doch ausserhalb des Geltungsbereiches der Kartellgesetze. Wollen wir die auch in Oesterreich in mehreren Produktionszweigen bestehende Tendenz zur Vertrustung, zur völligen Verschmelzung aller Unternehmungen nicht künstlich fördern, so dürfen wir kein blosses Kartellgesetz schaffen, sondern nur ein Gesetz, das das einzelne, den Markt monopolistisch beherrschende Unternehmen ebenso zu treffen sucht wie die Vereinigungen mehrerer selbständiger Unternehmer.
Eine Fülle von Problemen ist es, die der Gesetzgebung harren, wenn sie sich an diese Materie heranwagen will.
Sie wird sich zunächst mit der Frage der Organisation der Kartelle beschäftigen müssen. Will sie dem Kartellvertrag zivilrechtliche Wirksamkeit geben? Will sie die Kartelle verhalten, ihre Statuten und Beschlüsse dem Staate bekanntzugeben, und die Regierung verpflichten, diese Statuten und Beschlüsse in einem Öffentlichen Kartellregister zur Einsicht aufzulegen? Bedürfen die Minoritäts- und Individualrechte innerhalb des Kartells besonderen Schutzes?
Das Verhältnis der Kartelle zu den ausserhalb des Kartellverbandes stehenden Konkurrenten muss nach Ansicht vieler gleichfalls durch das Gesetz geregelt werden. Den Zwang, den die Kartelle auf ihre Abnehmer durch die sogenannten Exklusionsverträge ausüben, nur bei ihnen zu kaufen und die ausserhalb des Kartells stehenden Unternehmer zu boykottieren, wird die Gesetzgebung vielleicht bekämpfen wollen.
Die wichtigste Aufgabe jedes Kartellgesetzes wird die Regelung des Verhältnisses der Kartelle zu ihren Kunden sein. Soll der Staat die Feststellung der Kartellpreise im Inlande beeinflussen? Soll er seine Aufmerksamkeit jenen Methoden der Kartellpolitik zuwenden, durch die die Kartelle mittelbar die Erhöhung der Preise zu erreichen versuchen: der Kontingentierung der Produktion und der Teilung des Absatzgebietes unter den vereinigten Unternehmern? Soll er die Kartelle zwingen, allen Abnehmern ihre Waren zu gleichen Bedingungen abzugeben? Soll er die Abnehmer gegen den Zwang zum Abschluss langfristiger Verträge schützen? Soll der Staat auch die Exportpolitik der Kartelle, die Erstellung der Auslandspreise und die Gewährung von Exportprämien kontrollieren?
Auch über das Verhältnis der Kartelle zu ihren Lieferanten gibt es laute Klagen. In Oesterreich wollen insbesondere die Klagen der Rübenbauer über das Rayonierungssystem des Zuckerkartells nicht verstummen.
Endlich stärkt die Kartellierung auch die Macht der Unternehmer gegenüber den Arbeitern. Auch sie fordern vom Staate, was die Kraft ihrer Organisationen den kartellierten Unternehmern nicht abringen kann. Heute fordert die Arbeiterschaft insbesondere den Achtstundentag in den kontinuierlichen Betrieben, von denen ja die meisten mächtigen Kartellen angeschlossen sind.
So steht die Gesetzgebung hier vor sehr vielen und sehr verschiedenartigen Problemen. Wie schwer viele von ihnen zu lösen sind, soll hier an einem Beispiel gezeigt werden, an dem Problem, ob und wie der Staat die Inlandspreise der kartellierten Waren regeln soll.
Es ist eine unrichtige Vorstellung, dass heute die Feststellung der Kartellpreise vom Staate nicht beeinflusst werde. Der Staat regelt heute schon den Preis vieler kartellierter Waren. Er tut dies durch seine Zollgesetzgebung und durch seine Eisenbahntarifpolitik.
Der wichtigste und bekannteste Fall staatlicher Beeinflussung des Kartellpreises ist der folgende: Der Staat erschwert die Einfuhr gewisser Waren durch seine Einfuhrzölle. Diesen Schutz nützt im Inland ein Kartell aus. Dieses Kartell hat aber keine Vereinbarungen mit ausländischen Verbänden. In diesem Falle haben die Konsumenten die Wahl, ob sie die Waren von dem inländischen Kartell zu dem von ihm festgesetzten Preise oder von den ausländischen Verkäufern beziehen wollen. Der Preis, den die ausländischen Verkäufer verlangen, ist die Summe des Weltmarktpreises, der Frachtkosten und des Zolles. Will das inländische Kartell den Bezug ausländischer Ware verhindern, so kann es seine Waren nicht teuerer feilbieten als die ausländischen Konkurrenten. Der Kartellpreis muss immer etwas niedriger sein als der Bezugspreis der ausländischen Ware. Der Kartellpreis im Inland kann also nur um den Zoll und die Frachtkosten höher sein als der im freien Wettbewerb gebildete Weltmarktpreis. Indem der Staat die Höhe der Zölle und der Frachtsätze festsetzt, regelt er also in diesem Falle auch den Kartellpreis, die Weite der Spannung zwischen dem kartellierten Inlandpreis und dem kartellfreien Weltmarktpreis.
Wo der Zoll nicht in Betracht kommt, wird der Kartellpreis immer noch durch die Höhe der Frachtsätze geregelt. Der Kartellpreis eines Kohlenkartells kann immer um die Frachtkosten höher sein als der Bezugspreis der Kohle aus dem nächsten ausserhalb des Kartells stehenden Kohlenrevier.
Allem staatlichen Einfluss ist der Kartellpreis nur in zwei Fällen entzogen: erstens im Falle eines rein lokalen Kartells, das Waren feilbietet, die ihrer Natur nach aus entfernteren Produktionsgebieten nicht eingeführt werden können. Hierher gehören zum Beispiel Kartelle von Brauereien, die leichtes Bier für den lokalen Markt erzeugen, das mit den teueren Exportbieren nicht in Konkurrenz tritt, Milchkartelle, soweit nicht durch Beschaffung von Kühlwagen und Frachtverbilligung das Gebiet, das eine Stadt mit Milch versorgt, erweitert werden kann, gewisse Kartelle im Baugewerbe u. s. w. Andererseits verschwindet der Einfluss des Staates auf den Kartellpreis, wo internationale Kartelle bestehen. Der Kartellpreis findet an der Höhe von Zoll und Frachtsatz keine Grenze mehr, sobald sich das inländische Kartell durch Vereinbarungen mit den ausländischen Konkurrenten gegen die Gefahr der Einfuhr ausländischer Ware gesichert hat und daher den Kartellpreis nach seinem Gutdünken festsetzen kann, ohne den Wettbewerb des Auslandes fürchten zu müssen.
Wir unterscheiden daher zwei Arten von Kartellpreisen: erstens den staatsfreien Kartellpreis der rein lokalen und der internationalen Kartelle, zweitens den staatlich begrenzten Kartellpreis im Falle des typischen nationalen Kartells. In diesem zweiten Falle wird der Kartellpreis durch die Festsetzung der Höhe der Frachtkosten und des Zolles in ein festes Verhältnis zu dem Konkurrenzpreis auf dem kartellfreien Markte gesetzt.
Die Freunde eines Kartellgesetzes wünschen nun, dass neben diese mittelbare Beeinflussung die unmittelbare Regelung der Kartellpreise durch die Staatsverwaltung tritt. Ein Kartellamt soll das Recht haben, Höchstpreise für die kartellierten Waren festzusetzen. Die Wirksamkeit der staatlichen Preisfestsetzung soll durch Strafandrohungen gegen die Ueberschreitung der festgesetzten Höchstpreise und durch zivilrechtliche Nichtigkeit aller dieser Preistaxe widersprechenden Verträge gesichert werden. Auf dieser Grundlage beruht der Regierungsentwurf eines Kartellgesetzes vom Jahre 1897, der § 2 der im letzten Jahre vom Abgeordnetenhause angenommenen Zuckersteuernovelle und der Entwurf eines Kartellgesetzes, den in der letzten Session der Abgeordnete Steinwender eingebracht hat.
Nun darf man die Wirkungen einer staatlichen Preisfestsetzung gewiss nicht überschätzen. Georg Siemens, der Direktor der Deutschen Bank, hat in der deutschen Börsenenquete gesagt, er mache sich anheischig, durch jeden Paragraphen eines jeden Börsengesetzes mit einem vierspännigen Wagen hindurchzufahren. Die Kartellmagnaten, gerissene Geschäftsleute, die ihr Geschäft viel besser verstehen als die zur Aufsicht bestellten Beamten und Richter, werden ein Kartellgesetz ebenso zu überlisten wissen wie die Beherrscher der grossen Banken das Börsengesetz. Die reale Macht des konzentrierten Kapitals spottet aller Künste der Juristen. Darum bleibt es aber doch immer möglich, dass die amtliche Preisfestsetzung wenigstens in jenen Fällen Abhilfe schaffen kann, in denen die Gefahren der Kartellwirtschaft besonders auffällig sind und starke bürgerliche Gegeninteressen die Aufmerksamkeit und Energie der staatlichen Organe aufpeitschen.
In der Sphäre des staatsfreien Kartellpreises, das heisst, wie wir gesehen haben, im Wirkungsbereich internationaler oder rein lokaler Kartelle, wäre die staatliche Preisfestsetzung ein Eingriff des Staates in ein bisher von ihm gänzlich unbeeinflusstes Gebiet. In der Sphäre des heute schon durch die Zoll- und Tarifpolitik staatlich begrenzten Kartellpreises, also im typischen Falle des innerstaatlichen Kartells, würde die staatliche Preisfestsetzung nur bedeuten, dass sich der Staat zur Beeinflussung der Kartellpreise neben den bisher angewandten Methoden der Zoll- und Tarifpolitik noch der Methode der unmittelbaren Preisfestsetzung bedienen will. Gerade in diesem Falle erscheint aber die unmittelbare staatliche Preisfestsetzung unnötig. Der Staat hat hier durch die Bestimmung von Zoll- und Frachtsatz erklärt, er gestatte dem Kartell, den Inlandpreis immer um einen bestimmten Betrag über dem Weltmarktpreis zu halten. Ueber diese Grenze kann ein innerstaatliches Kartell auch ohne ein Kartellgesetz nicht dauernd hinausgehen, da es jenseits dieser Grenze die ausländische Konkurrenz zu fürchten hat. Eine staatliche Preisfestsetzung wird also hier nur dann wirksam werden, wenn der Staat den zulässigen Höchstpreis unter dieser Grenze hält, ihn also niedriger festsetzt als die Summe des Weltmarktpreises, der Frachtkosten und des Zolles. Will man dies, dann ist aber nicht einzusehen, warum dann die Zollsätze so hoch festgestellt wurden. Wenn der Staat den Zoll für schmiedeeiserne Röhren mit K 14,30 festgestellt hat, so hat er damit das Eisenkartell ermächtigt, den Inlandpreis dieser Röhren um K 14,30 über dem Bezugspreis ausländischer Röhren zu halten; setzt er nun den Höchstpreis von Röhren niedriger fest, dann widerruft er die Ermächtigung, die er durch seinen Zolltarif selbst gegeben hat.
Wo das Rechtsgebiet und das Wirtschaftsgebiet zusammenfallen, lässt sich also die staatliche Festsetzung von Höchstpreisen für die von monopolistischen Organisationen verkauften Waren nur in der Sphäre der internationalen und der rein lokalen Kartelle als das einzige Mittel zu staatlicher Beeinflussung der Kartellpreise rechtfertigen; den nationalen Kartellen gegenüber erscheint sie dagegen als ein Mittel zu einem Zwecke, der durch Ermässigung oder Beseitigung der Kartellschutzzölle vollständiger erreicht werden könnte. Anders in Oesterreich! Der österreichische Staat ist nicht Herr seiner Zollgesetzgebung; zur Ermässigung der Kartellschutzzölle braucht er Ungarns Zustimmung, die bis zum Jahre 1917 kaum und auch später, wenn das gemeinsame Zollgebiet bestehen bleibt, wohl schwer zu erlangen sein wird. Hier erscheint die staatliche Festsetzung von Höchstpreisen für die kartellierten Waren als das einzige Mittel, dessen wir uns auch den nationalen Kartellen gegenüber bedienen können, als ein Ersatz für die Beschränkung unserer zollpolitischen Selbständigkeit. Ebenso erscheint hier die Festsetzung von Höchstpreisen leichter möglich als die Beeinflussung der Kartelle durch die Eisenbahntarifpolitik. Da unser Eisenbahnbudget passiv ist, wird der Staat sich nicht entschliessen können, durch Ermässigung der Eisenbahntarife die Zufuhr kartellfreier Waren zu erleichtern und dadurch die Kartelle zur Ermässigung ihrer Preise zu zwingen; er wird dieses Ziel lieber durch ein Machtgebot der Verwaltung zu erreichen suchen, das ihm keine finanziellen Opfer auferlegt.
Aber durch die Anwendung dieses Mittels stört der Staat das ganze System seiner Wirtschaftspolitik. Die Kartellschutzzölle bilden die Basis unseres ganzen Zollsystems. Weil wir hohe Eisenzölle haben, mussten wir die Maschinenindustrie durch höhere Zölle entschädigen, als sie sonst wohl erlangt hätte. Die Verteuerung der Spinnmaschinen zwingt uns, den Spinnern höhere Garnzölle zu gewähren. Für die Verteuerung des Garnes entschädigen wir den Weber durch die Bewilligung hoher Zölle für Gewebe. Setzen wir nun einen Höchstpreis für Eisen fest, der niedriger ist als die Summe des Weltmarktpreises, der Frachtkosten und des Zolls, dann beeinflussen wir zwar den Eisenpreis in gleicher Weise, wie wir es auch durch Ermässigung der Eisenzölle hätten tun können, aber wir gewähren der Maschinenindustrie, der Spinnerei, der Weberei trotzdem den gleichen Zollschutz, den sie zur Entschädigung für die höheren Eisenpreise erlangt hat. Würden wir mit den Eisenzöllen auch die Zölle der anderen Industrien in gleichem Masse herabsetzen, dann würden wir die Preise vieler wichtiger Industrieprodukte senken, die Kaufkraft der inländischen Konsumenten und die Konkurrenzfähigkeit unserer Industrie auf dem Weltmarkt steigern, die Ausdehnung unserer Industrie fördern. Wenn wir aber den Eisenpreis durch ein staatliches Gebot ermässigen, den anderen Industrien aber trotzdem unveränderten Zollschutz gewähren, dann erreichen wir dieses Ziel nicht oder doch nicht in gleichem Masse.
Die Gefahr, dass die Bureaukratie einseitig gegen einzelne Kartelle einschreiten, andere Kartelle aber desto mehr begünstigen wird, ist sehr gross. Die Bureaukratie wird sich ja überhaupt nur selten zu einem energischen Einschreiten gegen die Kartelle entschliessen können; sie ist ja in dem Glauben an das unbeschränkte Recht des Eigentümers erzogen, sie kann sich dem Einfluss der stärksten Interessentengruppen, insbesondere der Banken, die die grössten Steuerzahler und die Gläubiger des Staates sind, nicht leicht entziehen; sie ist in wirtschaftlichen Fragen ungeschult und unerfahren und wird die Gründe, die die Kartellherren zur Rechtfertigung ihrer Preistreiberei anführen, gläubig hinnehmen. Wird es ihr überhaupt an Energie gegen die Kartelle fehlen, so wird sie natürlich vollständig versagen, wo das Sonderinteresse eines Kartells entweder mit dem fiskalischen Interesse oder mit den Interessen eines grossen und einflussreichen Teiles der besitzenden Klassen zusammenfällt. Die Bureaukratie wird sich zu energischem Vorgehen gegen die Kartelle nur dort entschliessen, wo mächtige bürgerliche Gegeninteressen den Wünschen der Kartelle gegenüberstehen. Wer das parlamentarische Getriebe in Oesterreich kennt, wird keinen Zweifel daran hegen, dass die Feststellung von Kartellpreisen zu einem Gegenstände des parlamentarischen Schachers, der politischen Korruption werden wird. Jedes Kartellgesetz bedeutet also eine gewaltige Stärkung der Macht der Regierung und ihrer Bureaukratie, eine unversiegbare Quelle der politischen Korruption, einen fortwirkenden Anlass zu einseitigen und wirtschaftlich unbegründeten Verschiebungen der Produktions- und Konkurrenzbedingungen.
Bisher hat der Staat die Differenz zwischen dem Inlandspreise der kartellierten Waren und dem Weltmarktpreise durch seinen Zolltarif geregelt, also in einem Gesetze festgestellt. Nun soll er denselben Zweck durch eine behördliche Verfügung zu erreichen suchen! Es soll also ein Recht des Parlaments der Bureaukratie übertragen werden!
Welchen Preis wird aber die Bureaukratie für zulässig erklären, wenn sie sich überhaupt zum Einschreiten entschliesst? Soll sie als „natürlichen Preis“ der kartellierten Waren die Summe des Weltmarktpreises, der Frachtkosten und des Zolles ansehen? Dann wird ihr Gebot überhaupt nur den internationalen Kartellen gegenüber wirksam werden; in der ungeheuren Mehrzahl der Fälle, in den Fällen der innerstaatlichen Kartelle würde sie dann denselben Preis diktieren, den die drohende ausländische Konkurrenz auch ohne Eingreifen des Staates erzwingt. Soll sie einen Preis festsetzen, der erheblich niedriger ist als der Bezugspreis der ausländischen Ware ? Aber zwischen den Produktionskosten der inländischen und dem Bezugspreis der ausländischen Ware ist eine weite Spannung; wo liegt innerhalb dieses Raumes der Punkt des richtigen Preises? Soll der Preis so festgestellt werden, dass die kartellierten Produzenten auf den bürgerlichen Durchschnittsgewinn beschränkt, ihnen nicht mehr und nicht weniger als die Durchschnittsprofitrate gesichert wird ? Aber wie sollen die Behörden die Produktionskosten der kartellierten Ware, wie die Höhe der Durchschnittsprofitrate ermitteln? Und wenn dies selbst gelänge, sollen sie die hohen Produktionskosten der kleineren und technisch rückständigen oder die niedrigen Produktionskosten der grösseren und technisch fortgeschrittenen Betriebe der Preisberechnung zugrunde legen? Aber im ersten Falle werden sie den Preis nicht ermässigen können, im zweiten werden sie die kleineren und rückständigen Betriebe zugrunde richten und so der Konzentrationstendenz neue Stosskraft geben! Welche Macht, welche Verantwortung legt man so in die Hände der Bureaukratie!
Wir könnten die Willkür der Bureaukratie dadurch beschränken, dass wir die Grundsätze der staatlichen Preisregulierung schon in das Kartellgesetz aufnehmen. Das Gesetz müsste eine Aufzählung der wichtigsten kartellierten Waren enthalten und das Kartellamt anweisen, um welchen Betrag es die Höchstpreise dieser Waren im Inland höher festsetzen soll, als Waren gleicher Art aus dem Auslande bezogen werden könnten. Haben wir die Spannung zwischen Inlands- und Weltmarktpreis bisher durch den Zolltarif festgestellt, so würden wir sie nun durch einen Tarif regeln, der die zulässige Differenz zwischen dem Preis der inländischen und dem Bezugspreis der ausländischen Ware (ausschliesslich des Zolles) ausdrücklich feststellt; natürlich müsste dieser Preisdifferenzentarif die Differenz niedriger bestimmen, als der Zolltarif sie bestimmt hat. Aber die inländischen Kartelle wären in vielen Fällen wohl imstande, ein solches Gesetz zu überlisten. Das Kartellamt würde ja die Höchstpreise periodisch festsetzen, indem es den Bezugspreis der ausländischen Ware aus den Notierungen der Warenbörsen oder aus den Ergebnissen von Offertausschreibungen periodisch ermittelt und nach Abzug des Zolles und Zuschlag der gesetzlich festgelegten Preisdifferenz den zulässigen Höchstpreis im Inlande öffentlich kundmacht. Die Kartelle würden nun, wenn die Festsetzung der Höchstpreise bevorsteht, durch Börsenoperationen auf den ausländischen Märkten oder durch Abmachungen mit den ausländischen Kartellen eine Erhöhung der Bezugspreise der ausländischen Ware und dadurch, da die Preisdifferenz durch das Gesetz festgelegt ist, auch eine Erhöhung des durch die Behörden festzusetzenden Inlandpreises herbeiführen. Dagegen könnten wir uns nur sichern, wenn das Kartellamt durch das Gesetz ermächtigt würde, in solchen Fällen die Höchstpreise niedriger festzusetzen, als sie durch Zuschlag der gesetzlichen Preisdifferenz zu dem Weltmarktpreise berechnet werden. Enthält das Gesetz eine solche Bestimmung, dann bleibt aber wieder der Willkür der Bureaukratie ein breiter Spielraum.
Unter solchen Umständen wird es notwendig sein, der Zusammensetzung des Kartellamtes die grösste Aufmerksamkeit zu schenken. Zunächst wäre ein Kartellbureau im Handelsministerium zu bilden und mit der Sammlung und Veröffentlichung aller Kartellstatuten und Kartellbeschlüsse zu betrauen. Die Kartelle sind zu verpflichten, ihre Statuten und Beschlüsse dem Kartellbureau mitzuteilen, das sie in ein öffentliches Karteliregister einzutragen hat. Das Kartellbureau hätte ferner die Bewegung der Kartellpreise im Inlande und auf den ausländischen Märkten zu verfolgen und zu registrieren. Vollständig unabhängig von diesem Kartellbureau müsste ein Kartellamt bestehen. Das Gesetz müsste die Unabhängigkeit dieses Amtes und seiner Mitglieder von der Regierung, vom Parlament und von allen Interessenten durch sorgfältig zu erwägende Kautelen sichern. Diesem Amte allein wäre die Bestimmung der Höchstpreise anzuvertrauen. Das Verfahren vor dem Kartellamte müsste unter die Kontrolle der Oeffentlichkeit gestellt werden. Zur Beschwerdeführung über die Kartelle wären das Kartellbureau des Handelsministeriums, die Landesausschüsse, Bezirks- und Gemeindevertretungen, die Handelskammern, die gewerblichen und landwirtschaftlichen Genossenschaften und die Konsumvereine zuzulassen. Als Gegner des Beschwerdeführers würden die Vertreter des übermässiger Preise beschuldigten Kartells, als Vertreter der staatlichen Interessen der Leiter des Kartellbureaus des Handelsministeriums erscheinen. Nach Durchführung eines öffentlichen kontradiktorischen Verfahrens und auf Grund der vom Kartellbureau beigeschafften Daten hätte das Kartellamt zu entscheiden. Nur wenn auf diese Weise gegen den Missbrauch der durch das Kartellgesetz dem Kartellamte gegebenen Ermächtigung wenigstens gewisse Garantien geboten werden, scheint uns die staatliche Regelung der Kartellpreise annehmbar. Der Vorschlag des Regierungsentwurfes von 1897, der die Preisbestimmung dem Finanzministerium überlassen wollte, und der Antrag Steinwender, der sie einer vom Arbeitenministerium ernannten und abhängigen Kommission anvertrauen will, erscheinen uns vollständig unannehmbar.
Die Zollpolitik und die Eisenbahntarifpolitik werden immer die wirksamsten Mittel zur staatlichen Beeinflussung der Kartelle bleiben. Wir sprechen nicht von blossen Erziehungszöllen, die einer jungen Industrie während der ersten Periode ihres Wachstums Schutz gegen die ältere ausländische Konkurrenz gewähren und, sobald dem jungen Industriezweige sein Dasein gesichert ist, wieder beseitigt werden können. Aber wir haben stets die Kartellschutzzölle bekämpft, die eine Industrie, die an sich keines oder nur eines sehr mässigen Zollschutzes bedürfte, mit einer hohen Zollmauer umgeben, um die inländischen Verbraucher einem Kartell wehrlos auszuliefern. Wir halten diese Kartellschutzzölle für ein Hemmnis der Entwicklung unserer Industrie. Sie zwingen uns, auch die anderen Industrien durch besondere Ausgleichungszölle für die Verteuerung ihrer Produktionsmittel zu entschädigen und die Erziehungszölle höher festzusetzen, als dies sonst notwendig wäre; sie führen auf diese Weise eine Verteuerung aller Industrieprodukte herbei, verringern dadurch die Kaufkraft der heimischen Konsumenten und die Konkurrenzfähigkeit unserer Industrie auf dem Weltmarkt, sie hemmen so die Ausdehnung unserer Industrie. Als entschiedene Gegner der Kartellschutzzölle können wir es nicht grundsätzlich ablehnen, dass durch staatliche Bestimmung von Höchstpreisen für einzelne Waren ein ähnlicher Erfolg erreicht werden soll, wie er durch die Beseitigung oder Ermässigung der Kartellschutzzölle sicherer und vollkommener erreicht werden könnte. Aber wir täuschen uns nicht darüber, dass die staatliche Verwaltung nur in wenigen Fällen die Kraft zu energischem Einschreiten gegen die Kartelle finden wird. Und wir können der staatlichen Preisregulierung nur unter der Bedingung zustimmen, dass möglichst wirksame Bürgschaften dafür geschaffen werden, dass das Kartellgesetz nicht zur Stärkung der Macht der Bureaukratie, zu neuen Formen der politischen Korruption und zu einseitigen, nicht wirtschaftlich, sondern nur politisch begründeten Verschiebungen der Produktions- und Konkurrenzbedingungen rührt.
Sind solche Garantien geboten, dann wird das Kartellgesetz ebensowenig die Entwicklung unserer Industrie hemmen, wie die Ermässigung der Kartellschutzzölle sie hemmen würde. Freilich werden aber auch diejenigen eine bittere Enttäuschung erleben, die von dem Kartellgesetz eine Hemmung der ehernen Entwicklungstendenzen des Kapitalismus erwarten. Das Kartellgesetz wird nicht die Akkumulation des Kapitals erschweren. Wenn wir zum Beispiel die Eisenpreise durch staatliches Gebot senken, der Maschinenindustrie aber unveränderten Zollschutz gewähren, dann verringern wir zwar den Anteil der Eisenindustrie, aber wir vergrössern auch den Anteil der Maschinenindustrie an dem gesellschaftlichen Mehrwert; wir verengern den Spielraum der Akkumulation, der Verwandlung des Mehrwerts in Kapital, auf der einen Seite, um ihn auf der anderen zu verbreitern. Ebensowenig wird das Kartellgesetz die Zentralisation der Betriebe hindern. Die hohen Kartellpreise sichern auch manchem kleinen und technisch rückständigen Betrieb die Existenz; er wird zusammenbrechen und seine Produktionsquote an die grösseren und vorgeschrittenen Betriebe übergehen, wenn der Kartellpreis gesenkt wird. Ist die Höhe der Preise begrenzt, dann kann das Kapital nur durch Senkung der Produktionskosten seine Gewinne steigern; nur durch die Vergrösserung der grossen, die Stilllegung oder Aufsaugung der kleinen Betriebe kann es diesen Zweck erreichen. Die Konzentration des Kapitals wird durch das Kartellgesetz gefördert werden. Heute schon kontrolliert zum Beispiel das Eisenkartell einen Teil des in unserer Maschinenindustrie angelegten Kapitals. Werden die Gewinne der Eisenwerke zum Vorteil der Maschinenindustrie geschmälert, dann werden die Beherrscher des Eisenkartells desto eifriger bestrebt sein, engere Formen der Verbindung zwischen Eisen- und Maschinenindustrie herbeizuführen, um auf diese Weise einen Teil des ihnen entgangenen Gewinnes wiederzuerobern. Ebenso wird die Tendenz zur Vereinigung der Rohzuckerfabrikation mit den Zuckerraffinerien, der Rohölproduktion mit den Petroleumraffinerien, jeder Erzeugung von Halbfabrikaten mit der Fabrikation von Fertigprodukten gestärkt werden, wenn der Staat durch seine Preisfestsetzung dem einen Produktionszweig nimmt, um dem anderen zu geben. So wird die Tendenz zur vertikalen Konzentration, die in Deutschland in dem Kampfe zwischen gemischten und reinen Werken in Erscheinung trat, in den Vereinigten Staaten eine der mächtigsten Triebkräfte der Trustbildung insbesondere in der Stahlindustrie war, durch die staatliche Preisregulierung desto mehr gestärkt werden, je energischer das Kartellgesetz gehandhabt wird. Das Kartellgesetz mag gegen einzelne Fälle des Preiswuchers ein Mittel zur Abhilfe schaffen, es mag in manchen anderen Fällen zu Missbräuchen, zur Begünstigung einer Interessentengruppe auf Kosten der anderen fuhren, an der grossen Entwicklungsrichtung des Kapitalismus aber wird es nichts ändern.
Die grossen gesetzestechnischen Schwierigkeiten der staatlichen Regelung der Kartellwirtschaft, die Ungewissheit, ob ein Kartellgesetz den erstrebten Erfolg erreichen, ob es nicht vielmehr zu neuen Missbräuchen der Bureaukratie und der Kartellmagnaten selbst reiche Gelegenheit schaffen wird, führt immer wieder zu dem Vorschlag, auf einem anderen Wege gegen die Kartelle vorzugehen. So hat, als die Prager Röhrenaffäre die Aufmerksamkeit der österreichischen Bevölkerung neuerlich dem Eisenkartell zugewendet hat, die Arbeiter-Zeitung in zwei sehr beachtenswerten Artikeln [1] verlangt, man möge es versuchen, durch staatliche Monopolisierung des Grosshandels mit Eisen die wirtschaftliche Uebermacht des Eisenkartells zu brechen.
Technische Schwierigkeiten stehen der Ausführung dieses Vorschlages gewiss nicht entgegen. Ein staatliches Verkaufsbureau wird den Verkauf des Eisens ebensogut besorgen wie das Verkaufsbureau eines Kartells oder die Warenabteilung einer Bank. Gegen fiskalischen Missbrauch des Monopols müsste das Gesetz Vorsorge treffen: der Staat müsste verpflichtet werden, sich mit der Verzinsung des in dem Eisenhandelsmonopol angelegten Kapitals zu begnügen, auf jeden Unternehmergewinn zu verzichten. Dadurch würde zunächst der Zwischenhandel ausgeschaltet, der Markt von den an das Eisenkartell angegliederten Handelskartellen befreit, die Konsumenten durch Wegfall des Handelsprofits entlastet.
Soll das Eisenhandelsmonopol nicht die Macht der Bureaukratie stärken, soll es zur wirksamen Waffe gegen das Eisenkartell werden, dann muss das Gesetz aber auch genaue Bestimmungen darüber enthalten, zu welchem Preise das staatliche Verkaufsbureau das Eisen von den inländischen Produzenten kaufen soll. Wäre Oesterreich ein selbständiges Zollgebiet, dann wäre die Frage leicht zu beantworten. Der Zoll würde den Staat nicht belasten: denn der Betrag, den das Verkaufsbureau des Handelsministeriums an Zoll entrichtet, würde dann in die Kassen des Finanzministers fliessen. Der Staat könnte also das Eisen vom Ausland ohne tatsächliche Belastung durch den Zoll beziehen. Er dürfte also auch den inländischen Produzenten keinen höheren Preis bewilligen, als er — ohne Einrechnung des Zolles — den ausländischen Verkäufern zahlen müsste. Die Schaffung des staatlichen Eisenhandelsmonopols käme dann der vollständigen Aufhebung der Eisenzölle gleich.
Bei der heutigen Regelung unseres Verhältnisses zu Ungarn treffen aber diese Voraussetzungen nicht zu. Die Zollerträgnisse fallen nicht dem österreichischen, sondern dem gemeinsamen Finanzministerium zu. Trotzdem zieht auch der österreichische Fiskus aus den Zollerträgnissen Gewinn. Je höher die Erträgnisse des Zollgefälles sind, desto geringer ist die Quote der gemeinsamen Ausgaben, deren Bedeckung unmittelbar aus der österreichischen Staatskasse bestritten werden muss. Da die beiden Staaten in dem Verhältnis 63,6 : 36,4 zu dem Erfordernis der gemeinsamen Regierung, soweit es durch die Zollerträgnisse nicht gedeckt ist, beitragen müssen, bedeutet jede Zolleinnahme von 100.000 K eine Ersparnis von 63.600 K für den österreichischen Staatsschatz. Wenn das Verkaufsbureau des Handelsministeriums bei dem Bezug ausländischen Eisens 100.000 K Zoll bezahlt, so erspart dafür das Finanzministerium am quotenmässigen Beitrag für die gemeinsamen Angelegenheiten 63.600 K. Der Staat wird also als Käufer ausländischen Eisens nicht durch den vollen Betrag des Zolles, sondern nur durch 36,4 Prozent dieses Betrages belastet. Das Gesetz über die Einführung des Eisenhandelsmonopols muss also das staatliche Verkaufsbureau verpflichten, den inländischen Eisenwerken höchstens einen solchen Preis für ihre Waren zu bewilligen, der dem Einfuhrpreis ausländischen Eisens nach Abzug von 63,6 Prozent des Zolles gleichkommt; wollen die inländischen Eisenproduzenten diesen Preis nicht bewilligen, dann kann das Eisen ohne tatsächliche Belastung des Staatsschatzes aus dem Ausland bezogen werden. Trifft das Gesetz diese Bestimmung, dann wird die Schaffung des staatlichen Eisenhandelsmonopols dieselbe Wirkung erzielen wie eine Ermässigung der Eisenzölle um 63,6 Prozent.
Der Staat muss das zu diesem Preise erstandene Eisen an die Verbraucher und Kleinhändler ohne Gewinn abgeben. Er muss es an alle Verbraucher zu gleichen Bedingungen verkaufen: dadurch werden jene Ungleichheiten der Konkurrenz beseitigt, die das Eisenkartell erzeugt, um die Kartelle seiner Abnehmer vor unbequemem Wettbewerb zu schützen. Der Staat kann aber auch seine Kunden verpflichten, die Preise ihrer Waren in demselben Masse zu ermässigen, in dem sie durch die Ermässigung der Eisenpreise entlastet werden. So wird dieselbe Wirkung erzielt, als ob mit den Eisenzöllen auch die Zölle der Eisen verarbeitenden Industrien herabgesetzt worden wären. Der Staat beschränkt also durch die Monopolisierung des Eisenhandels nicht nur die Macht des Eisenkartells, sondern auch die Macht der Kartelle in den Eisen verarbeitenden Produktionszweigen.
Auf diese Weise kann der Staat die wichtigsten Produktionsmittel unserer Industrie verbilligen. Dadurch wird die Kaufkraft der inländischen Konsumenten gesteigert und die Konkurrenzfähigkeit unserer Industrie auf dem Weltmarkt erhöht. So wird die Monopolisierung des Eisenhandels durch den Staat zu einem Mittel, die Entwicklung unserer Industrie zu beschleunigen. Trifft das Gesetz die von uns vorgeschlagenen Bestimmungen über den Einkaufspreis und den Verkaufspreis des Eisens, dann kann das Monopol auch weder für fiskalische Zwecke, noch zur Begünstigung des einen, zur Schädigung des anderen Produktionszweiges missbraucht werden. Erinnern wir uns der grossen technischen Schwierigkeiten der Regelung der Kartellpreise durch die Staatsverwaltung, so wird man wohl zugeben müssen, dass durch die Monopolisierung des Grosshandels mit Eisen der angestrebte Erfolg auf dem ausgedehntesten und wichtigsten Gebiete der Kartellwirtschaft sicherer und gefahrloser erreicht werden kann, als durch ein noch so sorgfältig erwogenes Kartellgesetz.
Aber wir täuschen uns nicht darüber, dass auch nach der Monopolisierung des Eisenhandels das Eisenkartell immer noch über grosse Machtmittel verfügen wird.
Zunächst wird das Eisenkartell gewiss den Versuch unternehmen, durch internationale Abmachungen den Wirkungen der Monopolisierung entgegenzuarbeiten. Allerdings wird das staatliche Verkaufsbureau die kaufkräftigste und zahlungsfähigste Kundschaft auf dem internationalen Eisenmarkte sein. Die ausländischen Verbände werden auf diese Kundschaft nicht gerne verzichten. Trotzdem ist es immerhin möglich, dass das Eisenkartell durch Abmachungen mit den ausländischen Eisenproduzenten die Einfuhrpreise des ausländischen Eisens erhöht und dadurch den Staat zwingt, auch den österreichischen Werken höhere Preise zu bewilligen.
Aber auch an anderen Waffen gegen den Staat wird es dem Kartell nicht fehlen. Es kann zum Beispiel auf den Staat einen schweren Druck üben, indem es erklärt, es würde durch eine Herabsetzung der Preise zu einer Einschränkung der Produktion oder zur Herabsetzung seiner Produktionskosten durch Stilllegung einzelner Betriebe gezwungen, wodurch ganze Ortschaften zugrunde gerichtet werden. Ueberhaupt wird wie jede Begrenzung der Preise, auch die durch das Handelsmonopol bewirkte das Streben nach Herabsetzung der Produktionskosten stärken und dadurch die Tendenz zur Vertrustung der ganzen Eisenindustrie fordern.
So wird die Einführung des Handelsmonopols dem Kampfe gegen die Kartelle gewiss kein Ende bereiten. Die Klagen über das Kartell werden nicht verstummen; nur wird an die Stelle der schwachen vereinzelten Gegner des Kartells die Staatsgewalt treten. Die Wirkungen des Sondereigentums an den konzentrierten und gesellschaftlich genutzten Arbeitsmitteln können nur mit ihrer Ursache gänzlich beseitigt werden.
Von einer Verstaatlichung der Eisenproduktion kann heute freilich keine Rede sein. Die Eigentümer der Eisenwerke würden ja dann die hohen Kartellprofite in der Form der Ablösungsrente fortbeziehen, der Staat würde nur als ihr Betriebsleiter und Kassier fungieren. Nicht auf dem Wege der Ablösung, sondern nur auf dem Wege der Enteignung kann sich die Gesellschaft der Herrschaft der Kartellmagnaten entledigen. Aber zur Enteignung wird sich die herrschende Klasse der Eigentümer niemals entschliessen; nur die Eigentumslosen können das Eigentum aufheben, wo es zur Fessel der Produktion, zum Instrument der Ausbeutung geworden ist. Erst die siegende Arbeiterklasse wird mit dem Sondereigentum an den Arbeitsmitteln auch die Kartelle der Eigentümer beseitigen.
1. Arbeiter-Zeitung vom 1. und 2. September 1908.
Leztztes Update: 6. April 2024